Читать книгу Trilogie - Andreas Menne Peter - Страница 13

Aliens unter sich, Menschen außer sich

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Suite und Deluxe-Zimmer?«, fragte der Portier, nachdem Konstantin offensichtlich zwei Goldmünzen auf den Tresen gelegt hatte.

»Ich steh auf Deluxe und Limited«, schwärmte er, und sie bekamen ihre Schlüssel ausgehändigt.

»Warum lässt du mich als Schweißer darben, wenn du einfach so mit Gold um dich werfen kannst?«, wollte Sven wissen.

»Das ist kein echtes Gold. Es ist praktisch wertloses Erz von Aquarius B. Aber menschliche Messverfahren können den Unterschied nicht feststellen«, verteidigte sich Konstantin.

»Na also, dann ist es für Menschen Gold. Wenn wir hier fertig sind, kannst du vielleicht ein bisschen von dem wertlosen Erz gegen Erde aus meinem Vorgarten tauschen.«

* * *

Also, was jetzt?«, fragte Sven, als sie auf Christians Zimmer saßen und Konstantin die Speisekarte des Hotels studierte.

»Ich würde sagen die 153, die 154 und 155 ohne Speck«, schlug er vor.

»Hör auf mit dem Quatsch«, rief ihn Sven zur Räson.

»Wieso? Magst du keinen Salat?«

»Wir sind zum Arbeiten hier.«

»Aber nicht mit leerem Magen«, mahnte Konstantin.

Christian verschwand in seinem Badezimmer, von wo aus sie kurze Zeit später gurgelnde Geräusche hörten.

»Sollen wir mal nachsehen?«, wollte Sven wissen.

»Nein, nein. Das ist normal. Er bonaniert.«

»Er onaniert?«

»Nein, er bonaniert. Er reißt sich die oberste Hautschicht ab.«

»Wieso?«

»Das tut er, statt zu ruhen. Die Müdigkeit und alle schlechten Einflüsse werden in die oberste Hautschicht verlagert, dann wird sie abgerissen. Das macht man einmal pro Tag und man muss nie schlafen und wird nie krank.«

»Also ich weiß nicht, wenn ich mir die Haut abreiße …«

»Na, bei einem Menschen funktioniert es natürlich nicht.«

Sie aßen fürstlich. Danach war Sven so müde, dass er den Weltuntergang erstmal auf morgen verschob.

* * *

Am nächsten Tag dachte er, er hätte alles nur geträumt. Aber er lag in einem fremden Bett. In einem Hotelbett. Mehr noch: in einem Hotelbett einer Luxussuite. Luxus: er war ihm nie begegnet … bis jetzt.

Sie frühstückten alle gemeinsam in Christians Suite. Konstantin biss je einmal in zwanzig verschiedene Gebäckspezialitäten.

»Hör auf, das gehört sich nicht«, mahnte Sven.

»Wieso? Wen stört‘s? Die Welt geht unter. Oder glaubst du, Gott kommt eines Tages zu mir und sagt ›Konstantin, du bist ein Außerirdischer meines Wohlgefallens, aber du hast einmal zwanzig Gebäckstücke nur angebissen. Seitdem bist du bei mir untendurch. Fahr zur Hölle!‹«

»Ich glaube schon, dass Gott erbost darüber wäre, dass du das Essen, das er dir beschert hat, nicht aufisst. Also Christian«, wandte sich Sven nun an ihren neuen hoffentlich Verbündeten, »hast du einen Plan, wie wir deinen Schlüssel von Bereschit und unseren von Dimenzion finden können?«

Christian zeigte ein strahlendes Lächeln und sagte: »Gurgel«, bevor er antwortete: »Wir müssen im Bauamt nachfragen. Das ist im Rathaus.«

»Im Bauamt? Das klingt so weltlich. Ich hatte was Mystisches erwartet«, wunderte sich Sven.

»Gott hält nichts von Zauberei. Und wenn du an einem bestimmten Ort so ein mystisches Gefühl im Magen verspürst, dann ist es nichts Spirituelles, sondern wahrscheinlich nur ein Darmleiden«, erklärte Chris.

»Also im Bauamt. Und weiter?«

»Frag im Bauamt nach den Schlüsseln Bereschit und Dimenzion.«

»Wartet mal: Ich kann doch nicht so einfach im Bauamt nach so etwas Mystischem fragen.«

»Wer sagt, dass es was Mystisches ist?«, wunderte sich Christian.

»Also gut, und warum soll ich das machen?«

»Weil du den Auftrag bekommen hast den Schlüssel zu organisieren«, rief ihm Konstantin in Erinnerung.

»Aber nur den von Dimenzion und nicht den von Bereschit.«

»Wenn du weißt wo der eine ist, weißt du doch auch wo der andere ist.«

»Richtig«, lenkte Sven ein. »Irgendeinen speziellen Ansprechpartner?«

»Ja. Es gibt da einen außerirdischen Sachbearbeiter namens Kurt Liebknecht«, wusste Chris.

»Wieso haben die alle so komische Namen?«, wunderte sich Sven erneut.

»Es sind Außerirdische«, fiel Konstantin dazu ein.

»Nein, ich meine: Warum haben sie so menschliche Namen?«

»Ich kann dir auch seinen wahren Namen nennen. Er beginnt mit einer 200-stelligen Zahlenkombination«, bot Chris an.

»Nein danke. Warum holen die Aliens den Schlüssel eigentlich nicht selbst?«

»Es sind keine Aliens, es sind Außerirdische«, verbesserte Konstantin.

»Ja, ja, schon gut … Also, warum holen sie den Zores nicht selbst ab?«

»Nur jemand, der hier geboren wurde, also ein echter Landsmann, besser gesagt ein Mann von Welt, darf den Schlüssel holen.«

»Aha. Also geh ich zu diesem Kurt Liebknecht, und der sagt mir dann so einfach, wo der Schlüssel ist?«

Chris amüsierte sich. »Schön wär‘s.«

»Und wie ist es?«

»Ich hab nicht gesagt, dass es nicht so ist, aber vielleicht musst du ihn foltern.«

»Was?«

Chris zog einen kleinen Behälter hervor. Es war ein längliches Reagenzglas, gefüllt mit einer nahezu durchsichtigen Flüssigkeit.

»Was ist das?«, wollte Sven wissen.

»Das sind Antimaterieteilchen von Kurt Liebknecht. Wenn diese Antimaterieteilchen auf die entsprechenden Materieteilchen treffen, die Teil von Liebknechts Körper sind, dann lösen sie sich auf. Für immer.«

»Das ist ja grausam. Oh Gott, hoffentlich treffe ich nie auf Teile meiner Antimaterie, sonst fange ich an, mich unter großen Schmerzen aufzulösen«, folgerte Sven.

»Keine Angst. Deine Antimaterieteilchen sind weit weg«, beruhigte ihn Chris.

»Aber vielleicht treffen sie eines Tages zusammen. Was für ein brisantes Thema: So kann man Leute im wahrsten Sinne des Wortes verschwinden lassen. So könnten politische Gegner aus dem Weg geräumt werden, ohne dass Hinweise auf den Täter oder das Opfer zurückbleiben.« Ein anderer Gedanke kam ihm: »Gibt es da draußen etwa ein Paralleluniversum, ein Negativuniversum, das aus Antimaterie besteht und wo ein Typ haust, der das genaue Gegenteil von mir ist?«

Chris und Konstantin warfen sich einen vielsagenden Blick zu, ehe Chris ihn beruhigte. »Nein, so ist das nicht. Es gibt kein Antimaterieuniversum. Antimaterieteilchen können nicht leben. Bedenke: Sie sind das genaue Gegenteil von dem, was existiert.«

»Das heißt: Alles was hier nicht lebt, lebt dort im Antimaterieuniversum?«, wollte Sven wissen.

»Nein«, beschwichtigte Chris. »Antimaterie ist das genaue Gegenteil von Materie. Das Gegenteil von Leben ist Tod, aber etwas, das nie gelebt hat, kann auch nicht tot sein, somit kann ein Stein nicht lebendig sein und deine Antimaterie ist auch nicht du, nur tot, sondern sie ist eben nicht du, weil sie das Gegenteil von dir ist.«

»Also eine heiße Frau mit Sexappeal?«

Chris rollte die Augen.

»Wieso, das wäre doch das perfekte Pendant zu mir«, rechtfertigte sich Sven.

»Es ist eine dunkle Antimasse«, erklärte Chris und musterte Sven eingehend. »Hochintelligent in deinem Fall«, witzelte er. »Also hier: Nimm die Antimaterie. Keine Angst: Die kann dir nichts anhaben.«

»Ich kann niemanden foltern.«

»Es wird reichen ihn zu bedrohen. Und wenn nicht, reicht es, wenn du den Deckel hier aufmachst. Die Antimaterie ist ausgehungert und findet ihn.«

»Na toll.«

* * *

Sie fielen im Rathaus ein.

»Ziemlich großer Bau«, stellte Konstantin fest.

»Ja. Hoffentlich kann man hier ungestört einen Alien foltern«, sinnierte Chris.

Sven raufte sich die Haare – hoffentlich würde es unblutig über die Bühne gehen … und nicht so peinlich werden.

Es gab einen Lageplan und einen Pförtner. Sie entschieden sich für den Lageplan – vor dem mussten sie sich nicht erklären.

»Vierter Stock, Büro 403«, stellte Chris fest. Sie gingen zu den Aufzügen.

»Also ›Bereschit‹«, zettelte Konstantin ein Gespräch an.

»Ja, Bereschit – hartes ›B‹, weiches ›E‹«, pflichtete Chris bei.

»Noch so ein Spezialist«, argwöhnte Sven.

Die Aufzugfahrt wurde noch unangenehmer. Chris steckte sich die rechte Hand in die Hose und begann sich den Hintern zu kratzen.

»Chrihis …«, mahnte ihn Konstantin.

»Was kann ich dafür, wenn Gott so ein obszönes Sounddesign fürs Kratzen am Hintern entwickelt hat. Zum Glück kann es nur außen jucken und nicht in den Organen. Stellt euch vor, euer Magen oder eure Leber würde jucken, dann würdet ihr gar nicht rankommen.«

»Danke für das Bild«, erklärte Sven. »Ich krieg es nie wieder aus dem Kopf.«

* * *

Sie erreichten das Büro von Kurt Liebknecht.

»Wir warten draußen, für den Fall, dass was schiefgeht«, erklärte Chris.

»Du meinst: Falls da drinnen was schiefgeht, willst du lieber hier draußen sein«, brachte es Sven auf den Punkt. Er trat ein.

Kurt Liebknecht wälzte an einem zerschlissenen Schreibtisch Akten. »Ich kann mich nicht erinnern, jetzt einen Termin zu haben, noch Sie gebeten zu haben einzutreten«, sagte der Glatzkopf ohne ihn anzusehen.

»Tut mir leid. Ich bin in einer wichtigen Mission hier und hab keine Zeit für Höflichkeiten.«

»Es geht hier nicht um Höflichkeiten, es geht darum, eine gewisse Etikette zu wahren.«

»Ich hab weder ein Etikett, noch will ich eine Plakette, aber ich suche den Schlüssel von Dimenzion … und bei der Gelegenheit auch noch den von Bereschit, aber das scheint ja ein Weg zu sein.«

»Keine Ahnung, wovon Sie sprechen.«

»Ich habe hier Antimaterie von Ihrem Körper, das heißt, sie wirkt entgegen Ihrem Körper. Wenn Sie mir die Information nicht geben, die ich benötige, mach ich ein Fass auf und öffne die Büchse der Pandora.«

»Alles nur Fassade. In Wirklichkeit sind Sie unsicher. Sie könnten das nicht tun.«

»Unter normalen Umständen nicht, aber es geht um die Welt. Also würde ich es tun.«

»Wie sind Sie überhaupt auf diesen Trip gekommen?«

»Na ja, ein paar Aliens, pardon: Außerirdische baten mich es zu tun.«

»Da kommen ein paar Fremde und sagen Ihnen, Sie sollen einen Schlüssel auftreiben und Sie willigen ein?«

»Na ja … wenn man es so ausdrückt …«

»Ich weiß schon: Wenn ein Wunder spricht, glaubt man ihm. Wenn etwas passiert, das man rational nicht erklären kann, nimmt man es als Wunder an und ein Wunder wird als Obrigkeit ernst genommen, man glaubt ihm und man tut alles, was es will. Kostenlos!«

Sven schlug die Augen nieder. Stimmte schon irgendwie, er hatte sich ausnutzen lassen. Trotzdem, wo er schon mal hier war …

»Jetzt hab ich damit angefangen und will nicht, dass es umsonst war«, kämpfte er sich ein Stück seiner Ehre zurück.

»Mir ist es einerlei. Ich gehe nächste Woche sowieso in Rente und dann hau ich ab von der Erde.«

»Dann können Sie mir ja sagen, wo der Schlüssel ist.«

Der Mann musterte ihn kurz, ehe er antwortete: »Er ist im Hundertwasserhaus. Hundertwasser hat ihn selbst dort versteckt. Er liegt im Heizungskeller.«

»Hundertwasser?«

»Nein, der Schlüssel. Da ist ein Stöpsel im Boden. Ein blauer Stöpsel. Es sieht so aus, als wäre er nur zu Zierdezwecken dort – wie Hundertwasser halt so gearbeitet hat. Aber in dem Stöpsel befindet sich der Schlüssel von Bereschit, der von Dimenzion und der von Hades.«

»Hades?«

»Das ist der Schlüssel zur Hölle. Den können Sie liegen lassen. Das Schloss ist sowieso kaputt.«

»Alles klar … Danke.«

»Wir müssen zum Hundertwasserhaus«, sagte Sven zu seinen Kumpanen, als er wieder im Flur stand. »Ach ja, hier«, er wedelte mit dem Reagenzglas. »Was mach ich damit?«

»Ach, schmeiß es einfach weg«, schlug Chris vor. »Das mit der Antimaterie war eh eine Lüge. In dem Gefäß ist Salzsäure.«

Sven schrie auf.

* * *

Sie machten sich auf den Weg zum Hundertwasserhaus, das nach Konstantins Vorstellung nah am Wasser gebaut sein musste.

»Wie kommen wir da rein?«, wollte Sven wissen.

»Einfach durch die Tür«, überlegte Konstantin.

»Das ist ein Mietshaus. Die Tür ist verschlossen«, gab Sven zu bedenken.

Chris drückte alle Klingelknöpfe. »Irgendwer wird schon einfach so aufmachen.«

Prompt ertönte der Summer.

»Jetzt runter in den Keller«, instruierte Chris sie.

Sie stiegen hinab in den Keller. »Mach mal Licht«, bat Konstantin Chris, der irritiert durch die Luft starrte.

»Das würde ich lassen«, flüsterte Sven. »Man könnte uns ausmachen.«

»Das ist ein großes Mietshaus. Kein Aas weiß, dass wir hier nicht wohnen. Und wenn wir hier durch die Dunkelheit schleichen, ist das verdächtiger, als wenn wir Licht machen«, gab Konstantin zu bedenken.

»Auch wieder wahr«, sah Sven ein und sich um, als er endlich etwas erkennen konnte.

Sie erreichten eine massive Kellertür aus Metall, die automatisch zufiel, wenn man sie nicht aufhielt. Offensichtlich eine Brandschutztür.

»Nicht zufallen lassen. Das ist zu laut«, mahnte Konstantin.

»Es fällt nicht auf, wenn sie zufällt. Das wäre Zufall«, merkte Chris an.

»Ich will nicht, dass uns so eine Kleinigkeit zu Fall bringt«, konterte Konstantin.

»Macht ihr das absichtlich?«, wollte Sven wissen.

Sie traten ein. Es war zweifelsohne der Heizungskeller, es roch nach Öl und abgestandener Luft.

»Sucht mal den Stöpsel«, flüsterte Sven.

»Stöpsel?«, rief Christian. »Stöpsel?«

»Christian: Der Stöpsel ist kein Lebewesen. Er wir nicht antworten«, klärte Sven ihn auf.

»Vielleicht hat der Sachbearbeiter mit Stöpsel ja auch einen kleinen Mann gemeint«, verteidigte Konstantin Chris.

»Haha. Da ist er.« Sven deutete nach unten. Sie fanden den blauen Stöpsel in der Ecke des Raumes.

Sven bückte sich und löste ihn aus dem Boden, drehte ihn um und … fand einen Zettel. Er entfaltete ihn. Darauf stand:

Die Schlüssel, die hier sein sollten,

befinden sich in der Schweiz.

Uhrenmacherallee 3

Bern.

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»Das ist ein großzügiges Angebot«, stellte Konstantin fest.

»Was soll jetzt der Scheiß?«, fluchte Sven.

»Die Schlüssel befinden sich der Schweiz, Uhrenmacherallee 3, Bern.«

»Ich kann selbst lesen Konstantin, danke.« Sven war erbost.

»Also fahren wir jetzt in die Schweiz«, brachte es Chris auf den Punkt.

»Was haben die Schlüssel in der Schweiz zu suchen?«, stellte Sven eine Frage in den Raum.

»Du weißt doch: Die Schweiz ist neutral. Vielleicht hatten sie auch vor, den Schlüssel von der Erde zu bringen, wollten aber keinen interstellaren Zwischenfall auslösen, dadurch, dass er einfach verschwände«, überlegte Konstantin.

»Warum sollte die Schweiz dabei in besonderem Maße involviert sein?«

»Du verstehst nicht«, klärte Konstantin Sven auf. »Die Schweiz ist in Wirklichkeit ein Raumschiff, das vor vielen tausend Jahren auf der Erde gelandet ist. Die meisten Schweizer wissen nicht mehr um ihre außerirdische Herkunft, aber wenn die Welt untergeht, wird das ganze Land wieder ins All abheben.«

* * *

Sie liefen zum Hotel, wo ihr Wagen stand, und kauften Christian unterwegs ein paar Pommes, weil er über ein Hungerloch im Ventriculus klagte. Damit war er sehr experimentierfreudig. Christian schob sich Pommes in alle möglichen Körperöffnungen. Irgendwann zog er sie wieder raus und aß sie.

»Mensch Christian, gleich zwei Todsünden: Wollust und Völlerei«, tadelte ihn Konstantin. »Bereue, du Sünder!«

»Ich kann auch bereuen, während ich esse«, erklärte Christian.

* * *

Sie waren gerade unterwegs durch eine Nebenstraße, als sie ein alarmierendes Geräusch hörten. Jemand schrie: »Aaaaaaaaaachtuuung!!!«

Es war ein surrealer Anblick, als Sven zum Firmament aufblickte und einen großen metallenen Abfallcontainer, so groß wie ein kleiner Lkw, von einem Hochhaus fallen sah. »Weeeg da!!«, schrie Sven zu Christian, doch es war zu spät. Christian wurde mit voller Wucht von dem Baucontainer getroffen und erschlagen. Das heißt: Er hätte erschlagen sein müssen, aber Christian zuckte nur ein bisschen zusammen, als hätte er sich erschreckt, weil er eine leere Kunststoffflasche an den Kopf bekommen hat

te. Eine sehr weiche Kunststoffflasche.

»Was zum … Wieso … Geht’s dir gut?«, wunderte sich Sven.

»Ja, ja«, beschwichtige Christian. »Ich bin aus Kartoon – von Natur aus.« Sven, dem ohnehin schon der Kopf schwirrte, sparte sich die Frage nach der Bedeutung von einem Begriff, den er doch nicht begriff.

»Wesen von ertsodaigfasdölkgfjsödlkjfghvrdöolkvjeröolitgjreöotij sind so gut wie unkaputtbar … Nur … der Container hat jetzt eine Delle«, sagte Christian besorgt.

»Mach dir um den Container keine Sorgen. Der hat keine Schmerzen«, beruhigte ihn Sven.

Bald erreichten sie ihren Wagen und fuhren los – Sven am Steuer, Konstantin als Beifahrer und Chris auf der Rückbank. Doch für ihn war es eine befremdliche Erfahrung und er beklagte sich ständig. »Nicht so schnell, ich komm nicht hinterher«, rief er.

»Du sitzt auf der Rückbank. Du wirst immer genauso schnell sein wie wir«, versuchte ihn Sven zu beruhigen, aber Chris begann zu weinen. Sven fuhr rechts ran. »Was sollen wir machen?«, fragte er an Konstantin gewandt.

»Wir können mein Raumschiff nehmen«, fiel Christian ein.

»Du hast ein Raumschiff?«, staunte Sven.

»Ja. Wie hätte ich sonst zur Erde kommen sollen?«

»Gut. Aber was ist mit unserem Wagen?«

»Wir machen es so: Du fliegst mit Christian in die Schweiz, ich hol euch ab, wenn ihr den Schlüssel habt.«

Für Konstantin war es mindestens genauso aufregend ein Auto zu fahren, wie für Sven in einem Raumschiff mitzufliegen.

»Wo steht dein Raumschiff, Christian?«, wollte Sven wissen.

»Zehn Kilometer von hier.«

»Was?! Zehn Kilometer?!«

»Na, er kann ja wohl schlecht in der Innenstadt landen«, sprang ihm Konstantin bei.

»Es gibt hier Gebäude wie das Hundertwasserhaus. Wenn er darauf landet, fällt es gar nicht auf«, befand Sven. »Kannst du mit dem Wagen umgehen?«, wollte er von Konstantin wissen.

»Gas, Kupplung … versteh ich, aber wofür ist das dritte Pedal?«

»Das ist die Bremse.«

»Überflüssig sowas in einen solchen Wagen einzubauen.«

»Hoffentlich bist du so robust wie Christian«, hoffte Sven.

* * *

Christian und Sven liefen in Richtung Stadtausgang. Solche Übergänge waren in Städten freilich fließend – da gab es die Vorstadt, Nachstadt, Neustadt, Altstadt. Irgendwann erreichten sie einen ländlichen Fußballplatz und darauf stand … ein Ufo.

Sven holte zu Christian auf: »Bist du verrückt? Mitten auf dem freien Feld. Mitten auf einem Fußballplatz. Das könnte jederzeit jemand entdecken!« Doch Christian ließ sich nicht beirren.

Als sie das Raumschiff fast erreicht hatten, sah Sven einen Jungen von vielleicht neun Jahren mit einem Staublappen die Außenhaut des Ufos polieren. Christian ging zum ihm und sagte: »Das hast du fein gemacht. Hier hast du zehn Euro.«

Der Junge freute sich und lief im Hopsasa-Lauf über den Fußballplatz.

Sie bestiegen das Raumschiff – leider sah es von innen bei Weitem nicht so ordentlich aus wie von außen. Überall lagen Fastfoodpackungen und Trinkbecher herum, außerdem stank es penetrant.

»Setz dich doch – dort auf die Donuts, das ist so schön weich«, bot Chris Sven an. Sven räumte den Sitz frei und setzte sich hin. Christian setzte sich ebenfalls und war im Begriff, das Raumschiff zu starten.

»Halt, halt, warte mal. Ich bin noch nie mit einem Raumschiff geflogen. Gibt es denn irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen zu treffen und Vorschriften zu befolgen? Im Flugzeug gibt es doch eine Einweisung.«

»Es gibt nur eine Regel: nicht sterben.«

»Toll, danke.« Sven blickte sich um. »Ist dieses Raumschiff denn sicher?«

»Wie, sicher?«

»Na, ich meine: Könnte die leere Kälte von draußen hier ins Innere des Schiffes dringen?«

»Ha, das passiert öfters. Aber keine Angst: Das macht mir nichts.«

»Aber mir!! -273,15 Grad Celsius sind mir circa 290 Grad zu kalt.«

»Dann zieh doch ‘ne Jacke an.«

Sven verdrehte die Augen und Christian startete das Raumschiff.

»Es kann sein, dass du ein mulmiges Gefühl in der Magengrube spürst, wenn wir jetzt starten. Aber das ist nur beim ersten Mal so. Weil du das erste Mal nicht überleben wirst hahaha.«

»Sehr witzig. Danke.«

»Es ist natürlich nicht so sicher wie ein Dimensionskreuzer«, erklärte Chris.

»Was ist ein Dimensionskreuzer?«, wollte Sven wissen.

»Dabei steigt man in einer anderen Dimension in das Raumschiff und steuert es aus der anderen Dimension heraus. Dabei kann man alles hören und sehen, aber man kann bei einer Kollision nicht verletzt werden, weil man sich ja gar nicht in der gleichen Dimension wie das Raumschiff befindet. Eine Kollision kann einem also nichts anhaben.«

Christian zog einen Hebel und riet Sven: »Halt dir die Nase zu.«

»Wieso?«

»Keine Ahnung. Ich dachte, das sagt man so.«

»Meintest du vielleicht die Ohren?«

»Nein, das war es nicht.«

Das Raumschiff hob unter schwerem Ächzen ab.

»Ist auch nicht mehr der neueste Oldtimer das Schiff«, erklärte Christian. »Aber es ist nochmal durch den TUV gekommen.«

»Den TUV? Hat das was mit unserem TÜV zu tun?«

»Ja. Der TÜV ist ein irdischer Ableger des TUV, er wird von Außerirdischen betrieben.«

»War ja klar.«

»TUV bedeutet: Technisch Universelle Vereinigung. TÜV bedeutet in Wirklichkeit: Technikverein Überprüfungsanstalt Vegetation.«

Sie passierten die Atmosphäre.

»Scheiße nochmal.« Sven schnüffelte in der Luft herum. »Hoffentlich gibt’s hier keine Lecks, sonst haben wir gleich keinen Sauerstoff mehr.«

»Du bist drollig. Man kann ein Sauerstoffleck doch nicht erschnüffeln. Wenn kein Sauerstoff mehr da ist, hast du gar nichts mehr zum Einatmen.«

»Toll. Du hast doch hoffentlich Atemgeräte an Bord.«

»Du meinst sowas wie ‘nen Rauchverzehrer?«

»Vergiss es.«

Sie verließen die Exosphäre und Sven war zum ersten Mal im freien Raum und vergaß seine weltlichen Sorgen.

Er sah das weite, schwarze All und die funkelnden Sterne – so klar wie nie.

Nur wenige Sekunden, dann tauchten sie wieder in die Atmosphäre ein und donnerten schließlich durch die Wolkendecke.

»Festhalten. Die Landung wird immer ein bisschen holprig.«

»Der ganze Flug war holprig.«

»Noch eine Kilomeile bis zur Landung. Mal sehen, ob ich es diesmal schaffe, das Raumschiff an einem Stück auf die Erde zu bringen. Na ja, wenn nicht: auch nicht so schlimm für mich.«

»Aber für mich! Wenn das Raumschiff, in dem ich sitze, am Boden zerschellt, dann bekomm ich auch eine Schelte.«

»Ich versuch sanft zu landen und das Raumschiff auf dem Erdenboden ausgleiten zu lassen.«

»Danke.«

»Allerdings kann es sein, dass sich dabei der Unterboden des Raumschiffes so erhitzt, dass es Feuer fängt.«

»Na toll. Noch andere Ideen?«

»Du kannst ja schon vorher aussteigen.«

»Hast du einen Fallschirm?«

»Du brauchst keinen Fallschirm, du fällst von alleine. Das ist die Schwerkraft, weißt du?«

»Konzentrier’ dich lieber auf die Fliegerei. Das ist unsere einzige Chance … oder vielleicht wäre es in deinem Fall besser, wenn du dich nicht konzentrierst. Vielleicht erhöht das unsere Chancen.«

Sie landeten auf einer Alm vor Bern und glitten mit dem Raumschiff noch über einige Serpentinen aus begrünten Hügeln. Es rauchte bereits verdächtig, aber vielleicht war es auch Blütenstaub. Schließlich kam das Raumschiff zum Stillstand.

»Das Raumschiff ist auf dem Raumschiff gelandet«, drückte es Chris poetisch aus.

»Vielleicht gibt’s kleine Raumschiffchen.«

Sie entstiegen dem Gefährt und machten sich auf zu der angegebenen Adresse.

* * *

Zu ihrer Überraschung war es ein kleines, schmuckes Häuschen und zu ihrer noch größeren Überraschung stand bereits ein brandneuer Audi TT vor der Tür. Konstantin saß auf dem Dach des Gefährts und ließ seine Beine durch das Dachfenster ins Innere baumeln. Er aß gerade eine Currywurst.

»Wie kommt es, dass du schon hier bist. Wo die Autobahn doch immer so verstopft ist.«

»Ja, schon, aber da ist ein rechter Fahrstreifen auf der Autobahn, der immer frei ist.«

»Ist da nicht auch Tempo 120?«

»Ich bin an keinem Schild vorbeigekommen.«

»Vermutlich, weil du es vorher umgefahren hast.« Sven verdrehte die Augen. »Warst du schon drin?«, wechselte er das Thema.

»Nein.«

»Sieht beschaulich aus.«

»Ein Psychopath kann auch in einer schmucken Hütte wohnen«, wandte Konstantin ein.

Sie liefen durch den verschrobenen Vorgarten und standen vor der verschlossenen Tür.

»Irgendwo ‘ne Klingel?«, wollte Sven wissen.

»Nö«, klärte Konstantin ihn auf. »Soll ich ins Auto und hupen?«

»Vielleicht probieren wir es erstmal mit klopfen«, schlug Sven vor.

Sven klopfte gegen das Gehölz, dabei zeigte sich, dass die Tür ein Schnappschloss hatte, das prompt aufsprang.

»Was da drinnen wohl los ist?«, interessierte sich Konstantin.

»Come in and find out«, resümierte Sven.

Sie traten ein und standen in einer Vorhalle, die eindeutig größer war als das ganze Haus. In der Mitte des Raumes fand sich eine runde Pforte und an dieser saß eine runde Frau. Sie gingen auf sie zu.

Sven legte die Visitenkarte auf den Tisch, die sie in Wien gefunden hatten.

»Sie wollen den Schlüssel«, stellte die Frau prompt fest. »Welchen und warum?«

»Den von Dimenzion …«, erklärte Sven.

»… und den von Bereschit«, ergänzte Christian.

»Wir wollen den Schlüssel, um die Welt zu retten«, verdeutlichte Sven.

»Ich will zur Apfelernte«, offenbarte Chris seine Beweggründe.

»Guter Grund«, meinte die Frau.

»Und unser Vorhaben die Welt zu retten?«, wollte Sven wissen.

»Kann man drüber streiten«, antwortete die Dame.

»Also gut«, brachte Sven das Gespräch wieder in die Spur. »Das sind also unsere Gründe.«

»Die Schlüssel verwahrt der Schlüsselmeistermensch und die gibt er bei Weitem nicht jedem.« Die Frau musterte ihn argwöhnisch. »Dafür müssen Sie erst mit ihm reden. Er entscheidet dann.«

»Okay. Wo finden wir ihn?«, wollte Sven wissen.

»Ihr findet ihn nicht, er findet euch. Geht die Treppe nach unten, einer nach dem anderen. Wobei ich nicht glaube, dass der Schlüsselmeister mit euch reden muss«, erklärte die Frau Christian. »Der Grund ist gut genug, da gibt es keine Zweifel.«

»Toll«, wisperte Sven auf dem Weg nach unten. »Vielleicht sollte ich sagen, dass wir nur Tomaten pflücken wollen in Dimenzion.«

* * *

Sie kamen im Untergeschoss an. In dem vieleckigen Raum, der ihnen zu Füßen lag, standen Säulen, die aus Gold und Bronze zu sein schienen.

»Also, wo ist der Schlüsselmeister?«, wollte Sven wissen.

»Der Schlüsselmeistermensch«, verbesserte ihn Chris. »Eine besondere Ehre, einen Menschen mit einer solchen Aufgabe zu betrauen.«

»Gut, wo ist er?« Sven blickte sich um. Der Raum bestand aus einem Fünfeck mit einer Säule in jeder Ecke, aber irgendwas stimmte nicht. Licht und Schattenspiel passten nicht zusammen, und als Sven in eine der Ecken ging, verschwand der Raum einfach, und er sah nur noch schwarz. »Wow, was ist das?«, wunderte er sich.

»Spiegel«, antwortete Chris. »In Wahrheit befindet sich in diesem Raum nur eine Säule, die durch Spiegel in jede Ecke projiziert wird. Nicht mal das.« Er deutete auf eine Linse, durch die offensichtlich ein Bild in den Raum geworfen wurde.

»Das ist nicht mehr als ein Dia«, erkannte Sven. »Ein Projektor und Spiegel erzeugen eine perfekte Illusion. Ich schalt das Ding mal ab.«

»Nein!«, rief Konstantin, doch Sven hatte bereits den Knopf an der Seite des Geräts betätigt. Auf der Stelle wurde es stockdunkel.

»Toll, gut gemacht«, sagte Konstantin ironisch. Doch nach einem Moment hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und Sven erkannte einen Lichtschimmer am Ende des Raumes. »Da müssen wir hin«, sagte er.

Sie bewegten sich blind auf die Lichtöffnung zu und erkannten schließlich, dass die Helligkeit durch ein Schlüsselloch drang. Als sie die dazugehörige Tür erreichten, ging sie vor ihnen auf.

»Hereinspaziert«, sagte ein Schemen, den sie gegen den Lichtschein nicht erkennen konnten. »Nur er«, ergänze die Stimme, als Sven eingetreten war. Sven hob die Hände, um sich gegen das grelle Licht zu schützen, aber auch gegen einen eventuellen Angriff durch die Person, die seine Freunde ausgeschlossen hatte. Doch die Attacke blieb aus. Als sich Svens Augen an die Umgebung gewöhnt hatten, erkannte er ein Büro, das offensichtlich aus leuchtendem Neon bestand, und an einem Schreibtisch vor seinen Augen wuselte ein Mann herum. Es war Dustin Hoffman.

Was zur Hölle machte Dustin Hoffman hier?

»Schönen guten Tag, Sven«, sagte er.

»Mr … Hoffman.«

»Herr Hoffman zu Deutsch, aber nenn mich doch Dustin.«

»Herr Dustin.«

»Vielleicht besser nicht.«

»Sie sind der Schlüsselmeister?«

»Der Schlüsselmeistermensch, und du.«

»Ich bin …«

»Nein, ich meinte: Du sollst du sagen.«

»Also du … Ich möchte den Schlüssel von Dimenzion.«

»Wieso?«

»Ich will ihn beschützen.«

»Wie soll dir das gelingen?«

»Keine Ahnung«, musste Sven eingestehen. »Also lass ich ihn hier. Wenn Sie glauben, besser darauf aufpassen zu können … Sie machen einen souveränen Eindruck.«

»Ich bin auch nicht immer hier«, erklärte Dustin. »Ich habe Hollywoodengagements.«

»Wieso bist du Schauspieler geworden?«

»Na, denkst du, ich kann davon leben, dass ich dir

hier philosophische Ratschläge gebe? Ich bin der Schlüsselmeistermensch – ich bin für die Herausgabe von fünf Schlüsseln verantwortlich. Das ist keine tagesfüllende Aufgabe.«

»Verstehe.«

»Also: Es geht nicht darum, dass ich darauf aufpasse, dass der Schlüssel von jemandem geholt wird, der ein anderes Ziel verfolgt als du. Ich bin gewissermaßen neutral. Ich will nur einen guten Grund hören.«

»Also wenn jemand kommt, der einen guten Grund dafür nennt, die Menschheit auszulöschen, dann würdest du ihm den Schlüssel geben?«

»Das ist meine Aufgabe.«

»Und wenn jemand kommt, der einen guten Grund dafür hat, die Welt nicht zu zerstören?«

»Überzeuge mich.«

»Es ist eine schöne blaue Kugel?«

»Moment mal. Ich glaube, wir reden aneinander vorbei: Es geht hier nicht um die totale Zerstörung der Erde, sondern um die Auslöschung der Menschheit. Die Menschen sprechen in ihrer Arroganz immer vom Untergang der Welt, wenn sie in Wahrheit ihren eigenen Untergang meinen. Der Weltuntergang ist eher unwahrscheinlich, der Untergang der Menschheit dagegen sehr wahrscheinlich. Die Zeichen sind eindeutig.«

»Welche Zeichen?«

»Gaia entzieht Landstrichen, die in Kürze von Naturkatastrophen zerstört werden, die Lebensenergie, um keine Energie zu verschwenden. Es wäre ja unsinnig, einen Landstrich zum Blühen zu bringen, um ihn dann durch einen Vulkanausbruch zu zerstören. Man muss die Zeichen nur richtig deuten. Der kollektiv schlechte Zustand der Flora deutet auf eine globale Katastrophe hin. Aber sei es drum: Du willst also die Welt retten. Wie?«

Sven war auf diese Frage nicht vorbereitet, und er hatte auch keine Antwort. »Äh … ich verstecke den Schlüssel.«

»Wo?«

»… In meiner … Ho … Hosentasche?«

»Oh … je Junge«, sagte Dustin. »Das ist ziemlich dürftig. Aber gut, ich bin nicht hier, um mit dir zu streiten. Ich gebe dir den Schlüssel. Zumal du in Begleitung von Chris bist, der dich schon längst aufgehalten hätte, wenn es nicht rechtens wäre.«

»Was, Sie kennen ihn? Woher?«

»Das ist eine lange Geschichte, aber fangen wir nicht bei Adam und Eva an. Hier ist er … der Schlüssel.« Dustin fuchtelte ungeduldig mit den Fingern, als Sven keine Anstalten machte den Schlüssel entgegenzunehmen.

»Das ist ein Hüpfball«, stellte Sven fest.

»Ja, und?«, empörte sich Dustin.

»Na ja, wie soll ich damit eine Türe öffnen?«

»Ach das. Du musst ihn einfach auf den Gegenstand werfen, der in die andere Welt übergehen soll. Wenn du dich selbst trans-portal-ieren willst, dann lass dir den Ball auf den Kopf fallen, willst du jemanden mitnehmen, nimm ihn an die Hand. Noch Fragen?«

»Nein danke, ich meinte: Nein, danke.« Sven winkte Dustin zum Abschied und lief zur Tür. Draußen war es immer noch dunkel, aber der Lichtschein von Dustins Arbeitszimmer erfasste Konstantin und Christian, der ihm freundlich zunickte, bevor er an ihm vorbei in das Büro lief, um seinen Schlüssel abzuholen. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, war es wieder stockfinster.

»Nun tappen wir wieder im Dunkeln«, brachte es Konstantin auf den Punkt. »Bist du da hinten, Sven?«

»Nein, ich bin hier vorne. Das hier ist vorne! Was machen wir jetzt?«

»… Keine Ahnung«, erklärte Konstantin nach einiger Pause. »Und die Außerirdischen haben dir nicht mehr gesagt?«

»Nein, nur das du Bescheid wüsstest.«

»Worüber Bescheid wissen?«

»Weiß ich nicht.«

»Toll, sehr hilfreich … Ich würde sagen, wir warten auf Chris und fragen ihn, ob er eine Idee hat. Ich mach jetzt erstmal den Projektor wieder an. Besser falsche Goldsäulen als schwarzsehen.«

Sven wippte auf seinen Füßen und wartete. Plötzlich spürte er eine Hand auf einem Körper – seinem Körper. Sie wanderte seinen Bauch hinauf zur Brust und dann seinen Arm runter und nahm ihm den Schlüssel aus der Hand.

»Was soll der Unsinn, Konstantin? Mach erstmal das Licht an.«

»Mach ich doch«, rief Konstantin vom anderen Ende des Raumes.

»Was zum …« Sven ging in Abwehrhaltung. In diesem Moment gelang es Konstantin den Projektor wieder anzuschalten. Es dauerte einen Moment, ehe Sven realisiert hatte, was geschehen war. Jemand hatte ihm den Schlüssel aus der Hand genommen – es war nicht Konstantin. Es war eine rothaarige, ultraschlanke Frau, die nur schwarze Panties und einen knappen BH trug … und seinen Schlüssel.

Sven starrte sie nur an und sie lächelte zurück. Konstantin reagierte als Erster. »Eine Xandrianerin, sie hat den Schlüssel – schnapp sie dir!«

Sven lief mit den Händen beschwichtigend auf sie zu. »Hey, wir werden uns sicher einig«, sagte er, doch die Xandrianerin ließ den Schlüssel kurzerhand in ihrem Höschen verschwinden. »Na? Willst du mich sexuell belästigen?«, fragte sie.

»Nein!«, antwortete Sven entschieden.

»Gut«, sagte die Frau und machte Anstalten zu verschwinden.

»Du musst sie aufhalten!«, rief Konstantin vom Projektor aus und machte sich auf den Weg zu ihnen.

»Wie denn? Sie hat den Schlüssel in ihrer Unterhose. Wie soll ich ihn wiederbeschaffen, ohne ihr zu nahe zu treten?«

»Oh, ihr Menschen«, empörte sich Konstantin und lief auf die Xandrianerin zu, doch sie sprintete bereits galant und mit beeindruckendem Tempo die Treppe nach oben. Konstantin hatte keine Chance.

Ein paar Sekunden blieben sie einfach stehen, ehe sich sein Freund an Sven wandte und ihn finster anblickte. »Gut gemacht.«

»Was hätte ich denn tun sollen? Ich kann ihr doch nicht in die Hose greifen!«

»Und was jetzt?!«

»Keine Ahnung, ich dachte das weißt du. Die Außerirdischen sagten: Konstantin weiß Bescheid.«

»Danke! Danke!! Ist ja wirklich alles sehr schmeichelhaft, aber zusammen mit dem vermeintlichen Wissen, überträgt man mir auch noch die Verantwortung, die damit einhergeht.«

»Wir fragen Chris«, erklärte Sven nach kurzer Bedenkzeit.

»Wir fragen Chris«, pflichtete Konstantin bei.

Sie gingen auf die Tür zu und Sven klopfte behutsam. Dort drinnen gingen ja offensichtlich für gewöhnlich ganz weltbewegende Dinge vor sich, da sollte man nicht mit der Tür ins Haus fallen.

Nach einigem Warten klopfte Sven erneut, diesmal massiver. Nichts tat sich.

Konstantin drückte behutsam den Türgriff nach unten. Sven schüttelte den Kopf, aber sein Freund ließ sich nicht beirren und linste durch den Spalt ins Innere. Schließlich öffnete er ganz.

»Bist du verrückt?«, zischte Sven, dann sah er es auch. Der Raum war leer und schwarz, niemand mehr da.

»Vielleicht hat hier auch jemand den Projektor abgestellt«, resümierte Konstantin.

»Wo ist Chris?«, wunderte sich Sven.

»Ach ja, ich hab vergessen, dass ich angeblich Bescheid weiß. Ich weiß es aber nicht. Ich habe keine Ahnung. Ich kann dir nur eines sagen: Wenn du deinen Schlüssel zurückwillst, müssen wir der Xandrianerin folgen.«

»Wie sollen wir sie finden?«

»Sven: Wir leben im 21. Jahrhundert. Eine Frau, die in schwarzen Panties durch Bern läuft … mir fallen auf Anhieb zig Möglichkeiten ein, wie wir ihr folgen können: auf Twitter, Facebook, YouTube und so wie die Dame drauf ist vielleicht sogar YouPorn.«

Konstantin schnappte sich sein Smartphone und startete eine Neuigkeitensuche.

Plötzlich sah Sven etwas am Boden blitzen. Es war rund und hatte in etwa die Größe eines Tennisballs. »Konstantin«, erkannte Sven. »Da liegt noch ein Schlüssel auf dem Boden.« Er hob ihn auf. »Es ist der Schlüssel … zur Hölle.«

* * *

Wie sich herausstellte, war die rothaarige Frau an mehreren Punkten in der Innenstadt gesichtet worden, zuletzt am Bahnhof. »Sie will zum Friedhof«, resümierte Konstantin. »Der perfekte Ort, um ein Ufo zu verbergen.«

»Wieso?«

»Die ganzen Mausoleen – da fällt ein Ufo gar nicht auf.

»Gut. Dann auf dorthin.«

Es dämmerte bereits, als sie durch Berns Straßen eilten. »Sven, es gibt einige Dinge, die du wissen solltest über die Xandrianer«, erklärte ihm Konstantin auf dem Weg. »Wir müssen möglicherweise ihr Raumschiff besteigen, und das wird kein Zuckerschlecken. Wir sollten uns dabei nicht erwischen lassen. Die Xandrianer sind keine Mörder, aber sie sind … na ja … Sklavenhalter.«

»Sklavenhalter? Heißt das, sie nehmen uns als Geiseln, wenn sie uns erwischen?«

»Geisel? Wenn du lebenslange Leibeigenschaft als Geißelung bezeichnen willst, dann hast du Recht. Nachdem Vergewaltigung, Diskriminierung und Dominanz überhand auf Xandria nahmen, beschlossen die Frauen, das Ruder an sich zu reißen und versklavten ihre Männer kurzerhand. Seitdem gehen die männlichen Xandrianer im Regelfall an Hundehalsbändern auf Knien und dienen zur trivialen Unterhaltung und als Gespielen für das frivole Treiben der Frauen.«

Sven starrte ihn nur an.

»Okay, okay, das war etwas theatralisch ausgedrückt, aber es ist so. Wenn sie uns erwischen auf ihrem Schiff, wird es sehr schwer für uns werden, den Schlüssel zu finden und ihn in unseren Besitz zu bringen, und wir werden ihre Herrschaft wohl nie wieder verlassen können. Da ist es.«

Sie betraten den Friedhof durch die große Pforte und suchten zwischen Grabsteinen und Mausoleen den Sternenkreuzer der Xandrianer, der laut Konstatins Aussagen von außen durchaus kleiner sein konnte als von innen. Auf einer großen Wiese fanden sie ihn. Vor ihnen stand das Raumschiff. Wieder staunte Sven, wie leicht man so einen Koloss in der Zivilisation verstecken konnte. Sie verschanzten sich hinter einem Hügel, und Konstantin kniff die Augen zusammen, offensichtlich um kaltes Kalkül vorzutäuschen. »Wir müssen uns an das Raumschiff heranpirschen.«

»Du bist gut! Das ist ‘ne flache, frischgemähte Wiese – da gibt es nichts zu pirschen.«

»Na, ich meine: Wir laufen im Zickzack auf das Raumschiff zu. Damit vermindern wir das Risiko.«

»Damit erhöhen wir das Risiko, weil wir dann aus mehreren Winkeln aus dem Raumschiff heraus gesehen werden können. Wir sollten in einer Linie auf das Raumschiff zulaufen, damit vermindern wir die Angriffsfläche.«

»Schwachsinn. Das kommt doch darauf an, wie oft jemand aus dem Raumschiff guckt.«

»Und es kommt darauf an, von wo aus jemand aus dem Raumschiff guckt.«

»Also gut, wir machen es so: Ich laufe zickzack, du läufst in einer geraden Linie. Dann werden wir ja sehen, was passiert.«

»Ja, dann haben wir doppeltes Risiko, und sicher werden wir dann sehen, was passiert, vielleicht ist es sogar das Letzte, was wir sehen.«

»Wiedersehen«, sagte Konstantin und lief los.

»Verdammt.« Sven folgte ihm.

Die ersten zwanzig Meter geschah nichts. Nochmal 20 Meter … nichts geschah.

Plötzlich ging mit lautem Knacken ein Scheinwerfer an.

»Scheiße! Wir sind entdeckt worden«, rief Sven.

»Bin mal gespannt, an wem von uns beiden es lag«, rief Konstantin freudig. Sven warf ihm einen finsteren Blick zu.

Trilogie

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