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ОглавлениеKapitel 1:
Der Weltraum –
Unendliche Weiten
Das Weltall ist für uns ein exotischer, ungewöhnlicher Ort, den nur die wenigsten Menschen selbst erleben können. Luftleerer Raum, Schwerelosigkeit, Kälte und gefährliche Strahlung ist das, was uns da draußen erwartet.
Umso größer ist der Reiz, diese faszinierende, fremde Welt über unseren Köpfen in Science-Fiction-Filmen darzustellen. Wie fühlt es sich wohl an, als Astronaut einen Weltraumspaziergang zu machen oder auf dem Mond herumzuhüpfen? Was erlebt die Crew eines Raumschiffs in der Schwerelosigkeit? Wie bewegt sie sich? Welche Regeln muss sie beachten? Und vor allem: Wie stellen die Filmemacher das Ganze wissenschaftlich korrekt dar? In diesem ersten Kapitel soll genau das unser Thema sein. Wir werden feststellen, dass es filmisch mehr oder weniger gut umgesetzt wird.
Ordnen wir doch erst einmal uns selbst im Weltall ein. Wir leben auf der Erde, einem verhältnismäßig kleinen, gesteinsartigen Planeten, der eine Lufthülle hat und dessen Oberfläche zu 70 Prozent von flüssigem Wasser bedeckt ist. Auf der Erde lebt die Spezies Mensch, eine Lebensform aus fast acht Milliarden Individuen, die diesen Planeten dominieren. Unsere Erde ist jedoch kosmisch betrachtet nur ein Staubkorn in den Weiten des Universums. Seit rund 4,5 Milliarden Jahren kreist sie mit sieben anderen Planeten um die Sonne. Die Sonne ist ein Stern, der sein Licht aus der Verschmelzung von Atomkernen selbst herstellen kann und es uns hell und kuschelig warm auf der Erde macht. Unser Sonnensystem befindet sich in einer scheibenförmigen, sich drehenden Ansammlung von etwa 400 Milliarden Sternen, leuchtendem rotem, blauem oder regenbogenfarbigem Gas und kaltem schwarzem Staub: unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße. Diese Galaxie ist wiederum nur eine von vielen. Es gibt etwa 100 Milliarden Galaxien im sichtbaren Universum. Das Universum war nicht schon immer da, sondern entstand nach gängiger Lehrmeinung vor 13,8 Milliarden Jahren im Urknall, einem heißen und dichten Anfangszustand.
Das Vakuum
Typischerweise befi nden sich in einem spielwürfelgroßen Volumen (1 cm3) etwa 1023 Teilchen, eine Eins mit 23 Nullen Diese Zahl – die sogenannte Avogadro-Zahl – heißt 100 Trilliarden und ist wirklich beeindruckend groß Auf der Erde kann man mithilfe von Vakuumpumpen die Luft aus einem geschlossenen Volumen entfernen Normalerweise beträgt der Luft druck an der Erdoberfl äche 1 Bar oder 101 325 Pascal Druck ist Kraft pro Fläche Die Druckeinheit »Pascal« entspricht demnach einem Newton pro Quadratmeter Der Luft druck wird verursacht durch das Gewicht der Luft säule, die auf jedem Quadratmeter der Erdoberfläche lastet. Wenn Sie tauchen gehen, kommt der Druck der Wassersäule über Ihrem Kopf dazu. In einer Tiefe von zehn Metern beträgt dieser Überdruck ein Bar. Ein Millibar ist dementsprechend der Wasserdruck einer ein Zentimeter hohen Wassersäule.
Wenn wir nach oben in den Weltraum Vordringen, kommen wir in immer höhere Luftschichten. Die Höhe und damit der Druck der Luftsäule über uns nimmt ab, bis schließlich gar keine Luft mehr da ist. Dann haben wir das Vakuum des Weltraums erreicht, in dem kein Druck mehr herrscht.
Wie gut sind die besten Vakua, die man aktuell technisch herstellen kann? Nun, in einem Ultrahochvakuum erreichen moderne Turbopumpen, dass nur noch ein Restgasdruck von 10–11 Millibar herrscht. In einem Kubikzentimeter befinden sich dann nur noch rund 10.000 Luftteilchen. Der Weltraum toppt diese Verhältnisse: Durchschnittlich befindet sich nur ein Teilchen in einem Kubikzentimeter Weltraum. Das ist ein Durchschnittswert. Es gibt natürlich Orte im Universum, wo das bei Weitem überschritten wird – zum Beispiel in dichten Gaswolken oder im Innern von Sternen oder Sternüberresten wie Schwarzen Löchern –, aber im Wesentlichen ist das Weltall eine perfekte Leere.
► Der Reflexionsnebel im Sternbild Orion namens Messier 78 hat eine höhere Teilchendichte als der Weltraum, der ihn umgibt. (Credit: ESO/Igor Chekalin)
Die Tatsache, dass wir in einer klaren Nacht das Licht ferner Sterne sehen können, verrät uns, dass zwischen unserer Erde und diesen Sternen im Wesentlichen nichts existiert. Nichts hält das Sternenlicht auf. Auch innerhalb des Sonnensystems befindet sich zwischen den Planeten und unzähligen Kleinkörpern vor allem nichts. Dieses Nichts ist besser als jedes Vakuum, das man auf der Erde herstellen könnte.
Zu den ersten filmischen Darstellungen der Weltraumphysik gehören natürlich die Science-Fiction-Serien »Raumschiff Enterprise« (→ Kapitel 1, Seite 13) und »Raumpatrouille Orion« (→ Kapitel 1, Seite 17). Sie gingen fast zeitgleich im September 1966 auf Sendung, die »Enterprise« war wenige Tage früher erstausgestrahlt worden.
Titel »Raumschiff Enterprise«
Originaltitel »Star Trek«
Erscheinungsjahr 1966
Idee/Regie Gene Roddenberry
Schauspieler William Shatner, Leonard Nimoy, DeForest Kelley
Unterhaltungswert 5/5. Legendäre Dialogschlachten mit Scotty und Pille.
Auweia-Faktor 1/5. Für den Sound sich automatisch öffnender Türen und eingehender Funknachrichten. Kult!
Science-Faktor 2/5. Anfangs mit Kirks Crew noch wissenschaftlich anspruchsloser.
Größter Aufreger Die »Enterprise« fliegt schallend im Vorspann vorüber.
Besonderes Der Kultsatz »Beam me up, Scotty!« war so niemals in der Serie zu hören!
Auszeichnungen Science-Fiction-Preis Hugo Award; ansonsten nur Nominierungen für den »Emmy«
Zur Handlung von »Raumschiff Enterprise«
Man muss sie einfach lieben: William Shatner, der den Käpt’n James »Jim« T. Kirk verkörpert; Leonard Nimoy als Halbvulkanier (Mister) Spock; DeForest Kelley als Schiffsarzt Leonard McCoy, der in der deutschen Fassung in der Regel »Pille« und im englischen Original »Bones« genannt wurde, und natürlich James Doohan als Montgomery Scott, der Schiffsingenieur »Scotty«. In der zweiten Reihe folgen Nichelle Nichols als Uhura, George Takei als Hikaru Sulu und Walter Koenig als Pavel Chekov. Bitte bedenken Sie, dass der Quotenrusse in den (Dreh-)Zeiten des Kalten Krieges schon ein besonderes Zugeständnis der US-Amerikaner war. Sie alle fliegen mit dem Raumschiff »Enterprise« durch das All, erforschen den Weltraum und das Unbekannte. Dabei erleben sie viele Abenteuer und begegnen vor allem Außerirdischen. Dazu gehört das kämpferische Volk der Klingonen, mit denen die Menschen in den Anfängen der Serie in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt sind. Mit den Vulkaniern nahmen die Menschen zuvor schon Kontakt auf (→ »Star Trek – Der erste Kontakt« in Kapitel 4, Seite 163) und leben mit ihnen in Frieden.
Eine der schillerndsten Figuren der Serie war Spock. Der Halbvulkanier mit den spitzen Ohren war telepathisch, apathisch und doch irgendwie sympathisch. Wir kennen ihn vor allem mit seinem emotionslosen Gesichtsausdruck und natürlich seinem Vulkanier-Gruß, bei dem man jeweils zwei Finger einer Hand auseinanderspreizte. Generationen von Trekkies verstauchten sich die Finger.
Der Name von Spocks Heimatplaneten Vulkan wurde übrigens inspiriert von knallharter Astrophysik. Schon im 19. Jahrhundert machte der französische Astronom Urbain Le Verrier die Entdeckung, dass die komplette Bahnellipse des innersten Planeten Merkur einen merkwürdigen Tanz vollführt. Sie dreht sich im Raum. Großteils ist das durch die Gravitationswirkung der anderen Planeten – vor allem des Gasriesen Jupiter – erklärbar, aber ein Anteil von sieben Prozent des Dreheffekts blieb rätselhaft. Er wurde dem hypothetischen Planeten Vulkan zugeschrieben, der in der Nähe der Sonne seine Bahn ziehen soll, sich jedoch bislang der Beobachtung entzog. Später stellte sich jedoch heraus, dass es den heißen Sonnenumkreiser Vulkan gar nicht gibt. Albert Einstein konnte Merkurs Gravitationsanomalie 1915 fulminant mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie erklären.
Mein Fazit zu »Raumschiff Enterprise«
Die frühen Fernsehserien hatten bei der Umsetzung, wie Raumschiffe im Weltraum aussehen, ihren ganz eigenen Charme. Denn in den 1960er- und 1970er-Jahren kamen in der Tricktechnik vor allem Miniaturmodelle zum Einsatz – Computertechnik gab es ja noch nicht beim Film. Die Raumschiffe waren Modelle aus Holz, Metall, Glas oder Plastik, die einige zehn Zentimeter bis einen Meter groß waren. Sie wurden aufwendig abgefilmt.
Interessanterweise lief es anfangs auch bei »Raumschiff Enterprise« nicht so gut, was aus heutiger Sicht verwundert. Die Mondlandung 1969 brachte dann allerdings einen Boom bei den Einschaltquoten. 1972 hatten weltweit fast 200 Sender die Ausstrahlungsrechte von Kirk & Co. erworben. Das ZDF strahlte erstmals die deutsche Fassung 1972 aus. Nach der dritten Staffel »Raumschiff Enterprise« musste die Serie 1969 nach 79 Folgen eingestellt werden. Man munkelt, dass es daran lag, weil der Kirk-Darsteller nicht mehr länger den Bauch einziehen konnte. Der Erfolg von »Raumschiff Enterprise« liegt nach meiner Einschätzung vor allem an den extrem geistreichen Dialogen und weniger an der Science-Fiction.
Die Serie, die bis heute auf allen möglichen TV-Sendern wiederholt wird, hat kaum an Charme eingebüßt. Im Unterschied zu »Raumpatrouille Orion« wurde und wird die »Star Trek«-Reihe bis heute in immer neuen Spin-offs fortgesetzt. Auf »Raumschiff Enterprise« (1966–1969) folgten: »Raumschiff Enterprise: Das nächste Jahrhundert« (1987–1994), »Deep Space Nine« (1993–1999), »Raumschiff Voyager« (1995–2001), »Enterprise« (2001–2005), »Discovery« (startete 2017) – und es gab viele Kinofilme.
»Star -Trek« -Faktenwissen
Beamen und Glitzereffekt: Man streute Aluminiumstaub in einen Lichtstrahl.
Die Klingonen hatte der ehemalige Polizist Roddenberry nach einem Ex-Kollegen beim Los Angeles Police Department benannt: Lt. Wilbur Clingan.
In der zweiten Staffel hatte Pavel Chekov seinen Auftritt. Die Russen hatten sich in der »Prawda« beklagt, dass »die hässlichen Amerikaner« vergessen hätten, wer die Pioniere des Alls seien.
Im Kinofilm »Treffen der Generationen« (1994) treffen Kirk und Picard aufeinander und erleben ein gemeinsames Abenteuer, bei dem Kirk das Staffelholz an Picard übergibt. Kirk stirbt im Jahr 2371.
(Quelle: »Die Welt«, 2016)
»Raumschiff Enterprise« bietet echt starke Dialoge und sprühenden Wortwitz. Die Serie wird geliebt für die legendären Wortgefechte zwischen Kirk, »Pille«, Spock und Scotty. Was, glauben Sie, war der häufigste Satz der Serie? Antwort: »Er ist tot, Jim.« Denn das war extrem häufig McCoys erschütternde Diagnose, nachdem er einer unglückseligen Person in unbequem horizontaler Lage den Pulsschlag am Hals ertastete.
Titel »Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion«
Erscheinungsjahr 1966
Idee Rolf Honold
Regie Theo Mezger, Michael Braun
Schauspieler Dietmar Schönherr, Eva Pflug, Wolfgang Völz
Unterhaltungswert 3/5. Echt kreativer Zauber aus der Trickkiste.
Auweia-Faktor 1/5. Mit dem Bügeleisen im Kontrollpult läuft alles glatt.
Science-Faktor 2/5. Den Saturnmond Rhea aus der ersten Folge gibt’s wirklich!
Größter Aufreger Die dramatische Mucke von Peter Thomas hält wach.
Besonderes Einschaltquote bei Erstausstrahlung 56 Prozent!
Auszeichnungen Äh, nö?
»Raumschiff Orion« hat ebenfalls Kultcharakter. Kids von heute finden das sicher »voll vintage, ey«. Alle zwei Wochen erschien 1966 eine neue Folge zur besten Sendezeit, nämlich samstagabends nach der Tagesschau im Ersten. Zur Erinnerung, liebe Frischlinge: Damals gab es (bis auf wenige regionale Ausnahmen) nur drei Fernsehprogramme. Erstes, Zweites und Drittes. »Die Macht« war noch Zukunftsmusik, denn es gab noch keine Fernbedienung. Man musste damals in den 60ern und 70ern tatsächlich vom Sofa aufstehen, nach vorn zum ultratiefen Röhrengerät laufen, um den Sender umzuschalten. »Likes« hießen damals noch Einschaltquoten, und die waren traumhaft, war die Auswahl doch sehr begrenzt. Unter »Kabelfernsehen« verstand man damals noch, dass das Röhrengerät über einen Netzstecker mit der Steckdose verbunden war.
Zur Handlung von »Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion«
Inhaltlich geht es in der Serie um den Kommandanten Cliff Allister McLane, gespielt von Dietmar Schönherr, und seine Crew. Er wird in der ersten Folge wegen seines Verhaltens strafversetzt. Es herrscht Krieg mit dem Volk der »Frogs«. Eva Pflug spielt Leutnant Tamara Jagellovsk. Sie ist Sicherheitsoffizier des – halten Sie sich fest! – Galaktischen Sicherheitsdienstes GSD und soll McLane in Zaum halten. Natürlich erliegt sie seinem Charme.
Warum eigentlich Patrouille? Die »Orion« hat die Aufgabe, die Grenzen des von Menschen besiedelten Gebiets zu sichern. Es geht also um etwas völlig anderes als bei der Serie »Raumschiff Enterprise«, in der die Crew das Unbekannte des Alls erforschen will. Interessanterweise finden sich einige gesellschaftskritische und politische Themen in der Serie, zum Beispiel wenn in Form des Waffensystems »Overkill« an den Massenvernichtungswaffen der Ära des Kalten Kriegs Kritik geübt wird. Das Frauenbild der »Orion«-Reihe war ebenfalls sehr progressiv, mehr als bei der »Enterprise« – ganz im Geiste der aufkeimenden 68er.
Mein Fazit zu »Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffs Orion«
Die wissenschaftlich korrekte Darstellung der Weltraumphysik war eigentlich in beiden Fernsehserien zweitrangig. In den Anfängen von »Star Trek« sah das legendäre Raumschiff sehr einfach gestrickt aus – ähnlich schlimm das untertassenförmige Vehikel bei »Raumpatrouille Orion«.
Aus heutiger Sicht sehen die Tricks bei »Raumpatrouille Orion« sehr putzig aus, weil Alltagsgegenstände wie Bügeleisen, Plastikbecher und Pendeluhren zweckentfremdet und als spacige Weltraumdeko ihren großen Auftritt hatten. »Raumpatrouille Orion« wurde bereits nach nur sieben Episoden eingestellt. Dafür gab es verschiedene Gründe. Unter anderem war die militaristische Erzählform dem Nachkriegsdeutschland offenbar zu viel; außerdem war die Produktion sehr aufwendig. Auf Youtube können ganze Folgen angesehen werden.
Schon in den 60ern nahm etwas seinen Lauf, das wir bis heute in der Raumschiff-Science-Fiction nicht losgeworden sind. Ein Raumschiff hat gefälligst zu zischen, wenn es an der Kamera vorbeifliegt! Dumm nur, dass sich physikalisch betrachtet der Schall im Vakuum des Weltalls gar nicht ausbreiten kann. Eine Schallwelle ist ja nichts anderes als ein Gerangel und Geschubse zwischen Teilchen, das sich wellenartig in der Luft, einer Flüssigkeit oder einem Festkörper ausbreitet. In der Leere des Alls kann sich ohne nennenswerte Zahl von Teilchen nichts ausbreiten. Das Weltall ist stumm wie ein Fisch.
Genau das wurde Ende der 1960er-Jahre fulminant in einem Klassiker der Weltraumgeschichten umgesetzt: in Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum«. Der britische Physiker und einer der wichtigsten SF-Autoren Arthur C. Clarke schrieb die Kurzgeschichte »The Sentinel«, auf der dieser Film teilweise beruht.
Titel »2001: Odyssee im Weltraum«
Originaltitel »2001: A Space Odyssey«
Erscheinungsjahr 1968
Regie Stanley Kubrick
Schauspieler Keir Dullea, Gary Lockwood, William Sylvester
Unterhaltungswert 2/5. Ein Streifen mit … schnarch … Längen.
Auweia-Faktor 2/5. Mehrdeutigkeiten lassen Raum für Interpretationen.
Science-Faktor 3/5. Der erste SF-Film, der versucht, es richtig zu machen!
Größter Aufreger Ein sehr unaufgeregter Film.
Besonderes Platz 1 der besten SF-Filme aller Zeiten (American Film Institute 2008).
Auszeichnungen Oscar für visuelle Effekte plus drei Oscar-Nominierungen; Hugo Award
Zur Handlung von »2001: Odyssee im Weltraum«
In einer Urzeitszene vor Millionen von Jahren wird eine Gruppe von Hominiden in der afrikanischen Steppe von einer anderen Gruppe von einem Wasserloch vertrieben. Dann entdecken sie einen schwarzen Monolithen und berühren ihn. Offenbar beeinflusst der Stein das Bewusstsein der Menschen, sodass sie lernen, Knochen als Waffen einzusetzen. Sie vertreiben damit ihre Rivalen vom Wasserloch.
Dann folgt ein Szenenwechsel in eine ganz andere Zeit: Jetzt sind wir im Jahr 1999 – damals noch drei Jahrzehnte in der Zukunft – und begegnen Satelliten, Raumstationen und der Mondstation »Clavius«. Der Wissenschaftler Dr. Heywood Floyd, verkörpert von William Sylvester, geht seltsamen Vorgängen auf der Mondstation nach. Eine Seuche soll ausgebrochen sein. Dort angekommen, stößt er auf einen baugleichen Monolithen, der im Mondkrater Tycho gefunden wurde. Als Sonnenlicht den ausgegrabenen Stein trifft, sendet er ein lautes Radiosignal zum Planeten Jupiter.
Später, im Jahr 2001 (vergleiche Filmtitel), reist eine Crew mit dem Rauschiff »Discovery One« zum Jupiter, um ihn zu erforschen. Mit an Bord sind die Astronauten Dr. David »Dave« Bowman (Keir Dullea), Dr. Franke Poole (Gary Lockwood) und ihre Crew. Sie befinden sich in einer Art Hyperschlaf. Das Schiff wird kontrolliert vom Supercomputer HAL 9000, der Emotionen äußern kann. Der Computer macht sich selbstständig und wird zur Gefahr. Deshalb wollen die Astronauten ihn abschalten, werden jedoch überrumpelt. HAL tötet die Crewmitglieder, indem er ihre Lebensfunktionen ausschaltet, ebenso Frank, aber Bowman gelingt HALs Deaktivierung.
Am Jupiter angekommen, entdeckt Bowman noch einen Monolithen. Er wurde vom Radiosignal des anderen Steins auf dem Mond aktiviert. Jetzt beginnt der abgefahrene Teil des Films, in dem sich Bowman in surrealer, kosmischer und traumhafter Umgebung selbst begegnet. Mal ist er ein um Jahrzehnte gealterter Greis; dann, als er den Monolithen im Raum berührt, ein Fötus. Zum Schluss schwebt der Kleine im Weltraum über der Erde und betrachtet seinen Heimatplaneten. Klassische Musik und Aus.
Mein Fazit zu »2001:Odyssee im Weltraum«
Hm, also mein Film war das nicht. Mit 143 Minuten Filmlänge muss man einiges an Sitzfleisch, Popcorn, Getränken und vor allem Geduld mitbringen. Insbesondere die ewig langen Einstellungen, in denen kaum etwas passiert oder gesprochen wird und die von einschläfernder klassischer Musik unterlegt sind, brachten mich persönlich an den Rand des Erträglichen. Aber vielleicht bin ich auch einfach nur ein dummer Kunstbanause, der den Film nicht verstanden hat.
Doch können so viele Oscar-Nominierungen lügen? Vielleicht liegt es auch am Regisseur. Er gilt ja als Meister seines Fachs, aber selbst Buchautor Clarke, der mit Kubrick bei der »Odyssee« zusammenarbeitete, soll zunächst über ihn gesagt haben: »… ein Einsiedler, ein Verrückter, der in einem Baum lebt«. Nach dem, was man über den Meisterregisseur lesen kann, war der Umgang mit Kubrick am Set auch alles andere als einfach. Mir scheint, dass sich an dem Mann und seinen Filmen die Geister scheiden. Kubricks Werk ist natürlich völlig anders als die übliche Science-Fiction-Kost. Seine filmischen Mittel sind anders, innovativ und damit auch gewöhnungsbedürftig. Sie polarisieren damit das Publikum. Kubrick arbeitete nicht mit nervenaufreibender Action, sondern nutzte die Bildersprache, Anspielungen oder die passende Musik, die das ausdrückt, was Worte nicht sagen. Der Film ist vor allem eine nonverbale und optisch innovative Erfahrung. Die Musik ruft beim Zuschauer passende Stimmungen hervor und ersetzt durch inhaltliche Anspielungen das, was sonst explizit gesagt wird. Im Gegensatz zu gängiger Science-Fiction handelt es sich nicht um Filmmusik, die extra für den Streifen komponiert wurde, sondern um bekannte klassische Musik.
Auch wenn mich persönlich die »Odyssee im Weltraum« nicht in den Bann gezogen hat, so muss man dem Klassiker des Science-Fiction-Kinos zugutehalten, dass er großen Wert auf Realismus und physikalische Korrektheit legt. Hier zischt und brummt kein Raumschiff. Den Machern war es auch wichtig, dass die Raumflugzeuge realistisch sind. So kamen sehr ausgefeilte Modelle zum Einsatz. Die Filmcrew machte aufwendige Kamerafahrten, die am Modell vorbeiführten. Der Außenbordeinsatz (sogenannte EVAs für extravehicular activity; darauf kommen wir noch) ist echt gut gemacht. Alles sieht sehr realistisch aus – und das ziemlich genau ein Jahr vor der Mondlandung. Handwerklich gibt es demnach an »2001: Odyssee im Weltraum« nichts auszusetzen.
Auch die Oscar-prämierten visuellen Effekte waren beeindruckend umgesetzt. Bitte bedenken Sie, dass Kubricks Werk etwa zehn Jahre vor »Star Wars« gemacht wurde. Die technischen Möglichkeiten waren da deutlich begrenzter. Bowmans Flug durch das »Sternentor« mutet an wie eine Reise durch ein Wurmloch und ist vor dem Hintergrund moderner Filme auch heute noch sehenswert.
Die Kritik – auch meine – entzündet sich wohl daran, dass der Film dem Zuschauer viel Interpretation überlässt. Die Message wird nicht mit der Holzhammer-Methode eingeprügelt, sondern muss mühsam ergrübelt werden, indem man die Bildsprache und Anspielungen deutet. Klar, das ist anstrengend. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass man ohne Zusatzinfos »2001: Odyssee im Weltraum« nicht in vollem Umfang verstehen kann.
So gab es Gespräche des Regisseurs mit dem US-Astronomen Carl Sagan zum Thema Aliens. Im Film wird es nicht explizit klar, dass die Monolithen offenbar von einer außerirdischen Intelligenz gebaut wurden. Kubrick verzichtete auf die explizite Darstellung von Aliens. Sie haben weder Gestalt noch Form, sondern bestehen aus reiner Energie und Intelligenz. Über die Monolithen nahmen sie Kontakt mit der Menschheit auf und beeinflussten ihre Entwicklung. Kubrick hat das sehr subtil und unterschwellig dargestellt. Abschließend halten wir fest: Kubricks Werk ist das, was die meisten Filme des Genres nicht sind: Kopfkino.
Titel »Gravity«
Erscheinungsjahr 2013
Regie Alfonso Cuarón
Schauspieler Sandra Bullock, George Clooney
Unterhaltungswert 5/5. Mitfiebern bis zum Schluss!
Auweia-Faktor 1/5. Ich sage nur: die Träne.
Science-Faktor 5/5. Wissenschaftlich höchst verzückend!
Größter Aufreger George Clooney stirbt einen sinnlosen Tod.
Besonderes Extrem wirklichkeitsnahe Darstellung des Weltraums
Auszeichnungen 7 Oscars (u. a. für Regie, visuelle Effekte, Kamera)
Zur Handlung von »Gravity«
Im Science-Fiction-Film »Gravity« kam auf bedrückend realistische Weise rüber, wie leer, kalt, dunkel und lebensfeindlich der Weltraum ist. Im Film geht es darum, ob Astronauten, deren Spaceshuttle nach einem katastrophalen Unfall zerstört wurde, wieder zur Erde zurückkehren können.
Bullock spielt die medizinische Ingenieurin Dr. Ryan Stone. Clooney ist der Astronaut Matthew Kowalski und ein alter Weltraum-Hase. Die beiden waren mit einem Spaceshuttle namens »Explorer« in eine erdnahe Umlaufbahn geflogen. Der Name des Shuttles ist erfunden – genauso wie der Name der Mission: STS-157. Die NASA hatte das Space-Shuttle-Programm eingestellt. Das letzte Shuttle war die Atlantis, und es landete am 21. Juli 2011 nach dem Ende der Mission STS-135. Der Film ist sehr realitätsnah, weil das Kürzel STS für Space Transportation System tatsächlich für Shuttle-Missionen verwendet wird.
Das Weltraumteleskop Hubble (HST)
Das HST wird gemeinsam von der US-amerikanischen Weltraumorganisation NASA und dem europäischen Pendant ESA betrieben und kreist seit 1990 um die Erde. Mit dem Weltraumteleskop lässt sich sichtbare, infrarote und ultraviolette Strahlung beobachten. Es kann damit Fotos von Objekten schießen, die so aussehen, wie es uns mit unseren Augen erscheinen würde, falls sie eine gigantische Sehschärfe hätten. Der Durchmesser des Hauptspiegels des Teleskops (»Öffnung«) bestimmt maßgeblich, wie scharf ein Teleskop abbilden kann. Beim HST beträgt der Durchmesser 2,4 Meter. Das ist verglichen mit den Spiegeln der Zehn-Meter-Klasse von den größten erdgebundenen Teleskopen eigentlich nicht viel, aber dadurch, dass sich das HST außerhalb der Erdatmosphäre befindet, kann es wahnsinnig scharfe Bilder schießen. Bei erdgebundenen Teleskopen machen Luftbewegungen die Fotos unscharf – nicht so beim Weltraumteleskop. Die erreichbare Auflösung des HST beträgt 0,05 Bogensekunden. Das entspricht der Größe des Winkels, wenn Sie die Vollmondbreite in 40.000 gleich große Stücke teilen. Theoretisch könnte man mit dem HST von der Erdoberfläche aus Details eines 50-Meter-Einfamilienhauses auf dem Mond scharf abbilden! Benannt wurde das Teleskop nach dem US-amerikanischen Astronomen Edwin Hubble.
► Weltraumteleskop Hubble (Credit: NASA/ESA)
Kowalski und Stone haben die Aufgabe, das Weltraumteleskop Hubble zu reparieren. Dieses Teleskop gibt es wirklich. Astronomen nennen es nur HST, was für Hubble Space Telescope steht. Es ist eines der besten und leistungsfähigsten Teleskope, die jemals gebaut wurden. Es kreist in einer Höhe von 550 Kilometern um die Erde. Der Weltraum beginnt laut – an sich willkürlicher –NASA-Definition übrigens in 85 Kilometern Höhe. Vergleichen Sie das mal mit dem höchsten Berg der Welt: Der Mount Everest ist fast neun Kilometer hoch – ab etwa dem Zehnfachen davon sind wir demnach im Weltraum.
Filmszene: Reparatur am Weltraumteleskop Hubble.
In der Anfangsszene werkeln die beiden Astronauten Kowalski und Stone am Weltraumteleskop herum. Moment, hier stutzt der Kenner. Ein Medizin-Astronaut wie Stone darf an einem Teleskop herumschrauben? Hm, ich will Frau Bullock nicht zu nahe treten, aber da sollte man nur jemanden ranlassen, der einschlägige Fachkenntnisse besitzt. Im Film wird erwähnt, dass sie eine sechsmonatige Ausbildung zum Mission Specialist habe. Diese Bezeichnung gibt es bei der NASA für Astronauten mit einem klar abgegrenzten Aufgabengebiet, zum Beispiel Medizin. Weiterhin hat die NASA den Payload Specialist (»Payload« bezeichnet die Nutzlast, also das, was ein Spaceshuttle oder eine Rakete in den Weltraum transportiert, zum Beispiel einen Satelliten oder Nahrung für die ISS), jedoch würde diese Ausbildung keine Trainings in Weltraumspaziergängen oder Raumschifflandungen umfassen. Hier schwächelt das Drehbuch.
► NASA-Astronaut Bruce McCandless mit MMU (Credit: NASA)
Ziemlich verstört verfolgte ich in der Eingangssequenz, wie wild Kowalski beim Außenbordeinsatz mit seinem »Jetpack« durch die Gegend flog. Der hatte echt Haken geschlagen wie ein Hase. NASA-Astronauten nennen das Jetpack übrigens MMU, was für Manned Maneuvering Unit steht. In den 1970er-Jahren wurden die MMUs für Außenbordeinsätze (EVAs) entwickelt. Sie gehören nicht zur Standardausrüstung und kommen nur bei bestimmten Missionen zum Einsatz. Bei der NASA haben die MMUs typische Abmessungen von 127 mal 85 mal 69 Zentimetern und wiegen satte 153 Kilogramm. Davon entfallen fast elf Kilogramm auf Stickstoffgas, das mit 24 Schubdüsen ausgestoßen wird. So kann der Astronaut per Rückstoß hervorragend im All manövrieren. Ich als Theoretiker schaue fasziniert und etwas neidisch auf die Astronauten, die mit dem MMU durchs All düsen. Tatsächlich haben die Astronauten keine »Sicherheitsleine« und sind komplett frei. Im Jahr 1984 wurden die MMUs eingemottet, weil ihre Steuerung zu ungenau und der Einsatz zu riskant war. Der Nachfolger heißt SAFER. Ich weiß genau, woran Sie jetzt denken, aber SAFER steht für Simplified Aid for EVA Rescue. Sie sind seit 1994 in Verwendung, sollen aber nur im Notfall eingesetzt werden, zum Beispiel, falls die Sicherungsleine reißt. SAFER ist deutlich kleiner als die MMU.
► NASA-Astronaut Marc Lee mit SAFER (Credit: NASA)
Zurück zu »Gravity«. Kowalski und Stone schrauben am Teleskop rum, unterhalten sich über Funk und können so auch mit der Bordstation kommunizieren. Die Szene ist akustisch sehr realistisch. Denn neben dem Gespräch hören wir ansonsten vor allem den Körperschall, also Töne und Geräusche, die sich über die Raumanzüge, Werkzeuge und andere Objekte übertragen. Selbstverständlich tragen Stone und Kowalski Raumanzüge und Helme. Man kann durch die Helmvisiere durchschauen und die Gesichter gut erkennen. Filmisch ist klar warum. Der Zuschauer soll ja wissen, welche Filmfigur da gerade agiert. Echte Astronautenhelme sind sowohl durchsichtig als auch verspiegelt. Bei letzteren ist es unmöglich, von außen Gesichter zu erkennen. Warum sind die eigentlich verspiegelt? In der Raumfahrt hat alles einen Sinn. Die Goldbeschichtung reflektiert das Sonnenlicht.
Filmszene: Dr. Stone mit durchsichtigem Helm.
Wie gesagt ist die Strahlung da oben energiereicher und schädigend. Die kurzwellige ultraviolette Strahlung kann mit dicker Kleidung blockiert werden. Aber auch die langwellige Infrarotstrahlung darf man nicht unterschätzen. Sie kann gut reflektiert werden, wenn man eine Oberfläche mit Aluminium, Silber, Kupfer oder Gold bedampft. Das ist übrigens der Grund, weshalb man in der Raumfahrt oft Gegenstände sieht, die wie in Alufolie eingewickelt aussehen. Der spezielle Vorteil von Gold ist, dass es sehr beständig ist; andere Metalle korrodieren leichter oder oxidieren. Typischerweise besteht das Helmvisier aus Polykarbonat, im Prinzip Plastik, das hauchdünn mit Gold beschichtet ist. Die Plastikschicht schluckt das UV.
► Astronaut im Raumanzug (Credit: NASA)
Der dicke, gasdichte Raumanzug schützt den Astronauten darüber hinaus vor Mikrometeoriten, also kleinsten Teilchen, die normale Kleidung durchlöchern würden. Die Geschwindigkeit der winzigen Staubteilchen ist hoch, sodass ihre Bewegungsenergie (die ja quadratisch mit der Geschwindigkeit zunimmt) beträchtlich wird.
Astronautenmode ist nicht ganz billig. Ein NASA-Raumanzug, der für den Außeneinsatz konzipiert ist, kostet rund zwölf Millionen US-Dollar! Und dann steht nicht mal Gucci drauf. Er wiegt mehr als 100 Kilogramm, was zum Glück unter Schwerelosigkeit kein Problem darstellt. Allerdings sind Astronauten durch den Anzug recht bewegungseingeschränkt. Gerade die Handschuhe sind sehr klobig und lassen kaum Spielraum für Feinmotorik. Die Fingerhandschuhe sind übrigens ein echtes Problem: Hier findet die Kälte leicht den Weg in den Anzug. Daher sind Astronautenhandschuhe beheizt und stehen unter Druck.
Die Astronauten brauchen natürlich Sauerstoff, den sie immer wie ein Taucher mit sich führen. Auf der Erde atmen wir ja Luft ein, im Wesentlichen ein Gemisch aus Stickstoff (80 Prozent) und Sauerstoff (20 Prozent). Astronauten atmen jedoch reinen Sauerstoff aus ihren Flaschen. Um sich daran zu gewöhnen, müssen sie »voratmen«, sonst bekommen sie die Taucherkrankheit (→ Seite 131). Nach einem sechsstündigen Außeneinsatz sind Astronauten schweißgebadet. Sie haben im oberen Torso einen Trinkbeutel mit 80 Millilitern Fassungsvermögen. So können sie während der Arbeit trinken.
Natürlich muss die Flüssigkeit auch irgendwann wieder raus. Kein schönes Thema, aber lassen Sie uns mal Tacheles reden.
► Ozog’n iss. Das trägt Astronaut unterm Anzug. Hier das Modell »Liebestöter XXL«. (Credit: NASA)
Bei einem stundenlangen Außeneinsatz machen sich die Astronauten in die Hosen! Es geht nicht anders. Aber keine Sorge, sie haben Windeln an. Die Unterwäsche von Astronauten törnt einen richtig ab: Funktionsunter wäsche, Kabel, Schläuche und eine Windel mit einem fast oktoberfesttauglichen Fassungsvermögen von 0,9 Litern. Beim Film »Gravity« habe ich in dieser Hin sicht ganz schön gestaunt. Als Frau Bullock später (dazu kommen wir noch) die ISS betrat, entblätterte sie sich nämlich vom Raumanzug und hatte rattenscharfe Hotpants und ein vergleichbar ansehnliches Tanktop drunter. Der Zuschauer goutiert diesen Anblick und lehnt sich in freudiger Entzückung aus seinem Kinosessel nach vorn. Die Stirn des Raumfahrtexperten legt sich hingegen in tiefe Falten. Und, liebe Männer, haben Sie Ihre Lebensabschnittsverschönerin schon mal ohne Socken gesehen? Hallo? Auch das kein Problem für Doc Stone, die selbst im All die Hitze hat. Da musste ich echt schmunzeln, habe den Anblick aber dennoch genossen. Das ist halt Hollywood!
Filmszene: Ganz schön heiß, Dr. Stone!
Um im All am Körper die richtige Temperatur zu haben, tragen Astronauten sogar flüssigkeitsgekühlte Ganzkörperanzüge unter dem Raumanzug. Gerüchten zufolge sollen die russischen Kosmonauten hier Wodka als Kühlflüssigkeit verwenden.
► Flüssigkeitsgekühlte Unterwäsche – wer will das sehen? (Credit: NASA)
Was macht man mit benutzten Windeln im All? Hm, lassen Sie uns einen Stuhlkreis bilden und gemeinsam darüber philosophieren. In einem Interview sagte ein NASA-Astronaut, dass sie derlei Unrat tatsächlich in die unbemannte Progresskapsel packen, die dann in der Erdatmosphäre verglüht. Jetzt stellen Sie sich mal vor, dass ein Liebespaar romantisch auf einer Parkbank sitzt. Man kuschelt, busselt und entdeckt zufällig eine wunderschöne Sternschnuppe am Nachthimmel. Die beide schwören sich ewige Liebe, aber ihnen entging, dass sie sehr wahrscheinlich gerade einer astronautischen Darmfrucht beim Verglühen zuschauten.
Alles klar. Luftleer, perfekte Stille und arschkalt. Wie ist es sonst so im Weltall? Klar, eine Sache haben wir noch gar nicht angesprochen. Die Schwerelosigkeit. Die faszinierenden Aufnahmen und Videos von Weltraumstationen zeigen immer wieder eindrucksvoll, wie die Astronauten und alle möglichen Objekte auf der Station sinnlos durch die Gegend driften. Einmal angeschubst, fliegt der Astronaut immer in die gleiche Richtung, bis ihn die Wand der Station schmerzhaft stoppt. Hier kommt etwas ins Spiel, was 90 Prozent der berufstätigen Bevölkerung, die sitzend in einem Büro arbeitet, nicht unbekannt ist: Trägheit. Dieses Wort beschreibt nicht nur die Antriebslosigkeit, die einen bei einem Acht-Stunden-Bürojob übermannt, sondern ist auch ein Fachbegriff der Physik. Ich habe jetzt das böse P-Wort benutzt, sorry. Aber wenn wir uns über die wissenschaftliche Richtigkeit von Science-Fiction unterhalten wollen, kommen wir um die Naturwissenschaften nicht herum. Dabei ist die Physik übrigens die Königin der Naturwissenschaften (Anm. d. Autors: Ich bin Physiker.) – sagen Sie’s aber bitte keinem Biologen oder Chemiker.
Wo war ich? Ach ja, Trägheit. Der englische Physiker Sir Isaac Newton formulierte im 17. Jahrhundert sein berühmtes Trägheitsgesetz: »Jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, sofern er nicht von einwirkenden Kräften gezwungen wird, diesen Zustand zu ändern.« Ruhe klingt schon mal gut. Gleichförmig geradlinige Bewegung klingt komplizierter, als es ist. Damit ist einfach gemeint, dass ein Objekt immer geradeaus mit konstanter Geschwindigkeit fliegt. Es ist also keine beschleunigte Bewegung. Genau das passiert im freien Fall. Schießen Sie einen Gegenstand in der Schwerelosigkeit weg, dann wird er sich für immer mit der anfangs mitgegebenen Geschwindigkeit und Richtung bewegen – es sei denn, er trifft auf ein Hindernis (im obigen Beispiel die Wand) oder wird von einem anderen Körper (etwa einem Nachbarplaneten) eingefangen. In »Gravity« wurde das nahezu perfekt umgesetzt: Körper behalten ihren Bewegungszustand bei, oder sie drehen sich einfach immer weiter, beispielsweise, als die beiden Astronauten Kowalski und Stone ins All driften.
Treffen die driftenden Astronauten auf ein Hindernis, dann prallen sie zurück. Wie genau das endet, hängt davon ab, welche Massen und Geschwindigkeiten der Astronaut und das Hindernis haben. Auch die Bewegungsrichtungen der beteiligten Körper spielen eine Rolle. Physiker können ausrechnen, wie solche Kollisionen verlaufen, indem sie den sogenannten Impuls benutzen. Das ist das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit. Die Summe der Impulse der Körper vor dem Stoß muss gleich der Summe der Impulse nach dem Stoß sein. Das ist die Impulserhaltung und ein wichtiges Naturgesetz, um Bewegungen von Körpern zu beschreiben.
Was ist Impulserhaltung?
Impuls ist das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit. Wie die Größe Geschwindigkeit hat auch der Impuls eine Richtung. Beispiel Billard: Alle Kugeln sind gleich groß und gleich schwer. Beim geraden Stoß der weißen Kugel auf eine andere wird der gesamte Impuls der weißen Kugel auf die andere, zuvor ruhende Kugel übertragen. Weil die weiße Kugel ihren Impuls verloren hat, bleibt sie liegen.
Beim Boccia hingegen ist die zu werfende Metallkugel größer und schwerer als die kleine Kugel, die getroffen werden muss. Wenn die geworfene Kugel auf das ruhende Ziel trifft, wird auch hier Impuls übertragen, da die Kugeln aber unterschiedlich schwer sind, bewegen sich nach dem Stoß beide weiter. Die große, schwere Kugel hat von ihrem Impuls eingebüßt und die kleine, leichte Kugel etwas gewonnen. Bewegt sich umgekehrt eine leichte Kugel auf eine schwere Kugel, die ruht, so lässt sich beobachten, wie die kleine Kugel abprallt und ihre Bewegungsrichtung umkehrt. Ist die große Kugel sehr schwer, bleibt sie unbeeindruckt liegen.
Experiment: Werfen Sie mal einen Tischtennisball auf einen Medizinball. Auch hier erklärt die Impulserhaltung die Bewegungsumkehr. Das lässt sich ausrechnen, indem man alle Impulse vor dem Stoß gleichsetzt mit den Impulsen nach dem Stoß. Meistens benötigt man bei konkreten Rechnungen zusätzlich noch die Energieerhaltung.
Übrigens: Wenn zwei Autos zusammenstoßen, prallen sie kaum zurück. Hier wird der Impuls oder die Bewegungsenergie der Autos vor dem Stoß nahezu komplett in Verformung der Karosserien umgesetzt. Das ist günstiger für die Insassen, die nicht herumgeschleudert werden. Anderes Beispiel für solche inelastischen Stöße: Knete, die Sie an die Wand werfen. Eventuell prallt sie nicht zurück, sondern verformt sich und bleibt an der Wand kleben.
Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass die ansonsten langhaarige Schönheit Sandra Bullock bei »Gravity« eine schicke Kurzhaarfrisur hat? Dafür gibt es einen triftigen Grund. Lange Haare schweben unter Schwerelosigkeit wild in der Gegend herum. Die Special-Effects-Leute hätten ganz schön tricksen müssen, um der Astronautin einen korrekten Struwwelpeter-Look zu verpassen. Denn natürlich wurden die meisten Szenen im irdischen Filmstudio unter Schwerkraftbedingungen gefilmt. Somit machte man sich das Leben leichter und sparte durch den Haarschnitt Kosten.
Die Trägheit und Wucht von im All frei driftenden Objekten wurde uns Zuschauern in den Katastrophenszenen in »Gravity« besonders heftig vor Augen geführt. Das schützende Spaceshuttle wird von Trümmerteilen bombardiert und auf spektakuläre Weise zerstört. Dabei stirbt die Shuttle-Crew, und nur Kowalski und Stone überleben. Ich empfand es als sehr gruselig, dass das vollkommen unhörbar geschah. Das war eine erfreulich realistische Darstellung der Weltraumphysik, weil man im Vakuum nun mal nichts hört.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber meine persönliche Schauersequenz von »Gravity« war der Anblick des Crewmitglieds, dessen Helm und Kopf von einem Trümmerteil durchbohrt wurde. Die unglaubliche Wucht des Aufpralls hatte ihm ein faustgroßes Loch in den Kopf gerissen. Es sah irgendwie unnatürlich, weil vollkommen blutlos aus, und außerdem konnte der Zuschauer durch das Loch schauen. Und dann zeigen sie auch noch das frei schwebende Familienfoto des glücklosen Kollegen. Da musste ich schon schlucken.
Das Spaceshuttle ist also hin. Zwei Astronauten sind allein im All. Ihr Sauerstoff geht zur Neige. Auweia! Das sind natürlich Situationen, die einen richtig guten Filmstoff abgeben. Wissenschaftsnerds wie ich wählen in solchen Momenten nicht die emotionale Ergriffenheit um das Schicksal der Protagonisten, sondern lassen den Blick auf die im Film dargestellte Nachtseite der Erde schweifen. Und siehe da, auch auf solche Details haben die Macher von »Gravity« geachtet. Ich erkenne die Umrisse von Sizilien im Mittelmeer, das imposante Nildelta in Ägypten und die bei Nacht hell erleuchtete Hauptstadt Kairo. Grandios! Ich war nicht wegen des Astronautenschicksals tief emotional berührt, sondern weil geografische Details dermaßen ultrakorrekt umgesetzt wurden. Chapeau!
► Die Erde bei Nacht (Credit: NASA)
Der Film hätte jetzt eigentlich vorbei sein können. Denn wie sollten zwei Astronauten aus dieser schier ausweglosen Situation in der Einsamkeit des Alls herauskommen? Aber da waren noch weitere 50 Filmminuten. Hier ging die wissenschaftliche Korrektheit wieder auf Urlaub. Denn die Hauptfiguren entschieden sich, zur intakten nahen Internationalen Raumstation ISS zu fliegen, um dort Sauerstoff zu tanken und in einer neuen Komfortzone unterzukommen. Als aufmerksamer Zuschauer fragen wir argwöhnisch: Können die das? Zu Recht. Denn das würde in der Realität nicht funktionieren. Zwar wimmelt es da draußen von Stationen und Satelliten, aber so nah sind die Abstände auch wieder nicht, dass sie fröhliches Stationen-Hopping betreiben könnten. Sorry, Schorsch, da hilft auch keine Turbovariante deines Jetpacks!
Die Internationale Raumstation ISS kreist im erdnahen Orbit in 420 Kilometer Höhe; HST wie gesagt in rund 550 Kilometern. Der Bereich dazwischen, also in Höhen zwischen 85 und 500 Kilometern, heißt »Thermosphäre«. Je nach Sonnenaktivität wird es dort nämlich 300 bis 1500 Grad Celsius heiß – also in etwa so heiß wie eine Kerzenflamme. Die Hitze würde man allerdings nicht direkt spüren, weil kaum Teilchen da sind, die die Wärme übertragen. Die mittlere Dichte beträgt da oben nur etwa 10–14 Gramm pro Kubikzentimeter. Das ist echt wenig. Zum Vergleich: Auf Meereshöhe und bei normaler Sommertemperatur liegt die Luftdichte bei 10–3 Gramm pro Kubikzentimeter. Es geht aber noch extremer: Die mittlere Dichte im Universum beträgt 10–30 Gramm pro Kubikzentimeter und seine mittlere Temperatur 2,7 Kelvin, also rund -270 Grad Celsius. Brrrrr.
Eine Höhe von 500 Kilometern ist nicht ungefährlich, weil man hier außerhalb der schützenden, dichten Erdatmosphäre von energiereicher UV-Strahlung und kosmischer Strahlung (unter anderem elektrisch geladenen Teilchen) bombardiert wird. Ist man ihr längere Zeit ausgesetzt, steigt das Risiko, an Krebs zu erkranken oder andere Strahlenschäden zu erleiden. Daher muss man sich schützen: mit einem Raumanzug, einer Raumkapsel oder einer Raumstation mit dicken Wänden.
► Spaceshuttle an ISS angedockt. (Credit: NASA)
Die Internationale Raumstation
Die ISS (International Space Station) ist ein Gemeinschaftsprojekt von den Weltraumorganisationen NASA (USA), Roskosmos (Russland), ESA (Europa), CSA (Kanada) und JAXA (Japan). Die Station ist seit 1998 im Bau und kostete nach einer Schätzung der ESA 100 Milliarden Euro – für Entwicklung, Aufbau und die ersten zehn Jahre Nutzung. Die ISS ist das größte künstliche Objekt im Erdorbit und ist etwa 110 mal 100 mal 30 Meter groß. Sie fliegt in einer Höhe von 420 Kilometern und benötigt für eine Umrundung der Erde 91 Minuten. Die Crew der ISS erlebt deshalb 16 Sonnenauf- und -untergänge pro Tag! Die ISS dient der Erforschung der Schwerelosigkeit, der erdnahen Atmosphäre und des Weltraums.
Gerade in einer Schlüsselszene schossen die Macher von »Gravity« einen kapitalen Bock. Die wissenschaftliche Korrektheit wurde hier leider fulminant an die Wand gefahren. Frau Bullock und Herr Clooney sind auf dem Weg vom zerstörten Spaceshuttle zur rettenden ISS. Als sie bei der ISS ankommen, müssen sie natürlich erst mal bremsen. Kowalski bewerkstelligt das mit seinem Jetpack, dem aber auch schon die Puste ausgeht. Die Astronauten kollidieren mit Teilen der ISS, sodass sogar das Sicherungsseil, das sie verbindet, reißt. Getrennt voneinander suchen sie angestrengt Halt und verheddern sich schließlich in einem Gewirr aus Seilen – bis hier war alles gut und korrekt.
Schließlich hängen beide Astronauten am gleichen Seil. Es droht unter dem Zug der Gewichte beider Astronauten zu reißen. Dann wären beide verloren. Als Gentleman-Astronaut und selbstloser Retter lässt Clooney das Seilende los und driftet frei schwebend in die Tiefen des Alls, sodass Astronautin Bullock als Gerettete in die sichere Raumstation gelangen kann. Es war ein Heldentod, und ich bin mir sicher, dass viele Frauen um Herrn Clooney geweint haben. Ich habe auch geweint, aber es waren Tränen der Wut. Mich hat die Szene noch mehr aufgeregt als eine Tasse Espresso, weil die Heddergeschichte mit wenigen Physikkenntnissen hätte entwirrt werden können. Und zwar so: Astronautin Bullock zieht mit einem beherzten Ruck den mit ihr verbandelten Weltraumhelden Clooney zu sich heran. Sie nähern sich an, halten sich dann fest und driften gemeinsam nicht in die ewigen Jagdgründe, sondern zur rettenden Raumstation. Der Vorteil: Beide überleben. Ich weiß nicht, weshalb Clooney den Heldentod sterben musste. Ist es unwahrscheinlich, dass zwei Astronauten vom erdnahen Weltraum zur Erde zurückkehren? Ist es einfach ein filmischer Höhepunkt, wenn einer der Helden in einem Anfall männlicher Selbstvergessenheit den Freitod wählt, um eine Frau zu retten? Bin ich einfach nur neidisch auf Schorsch Kluni? Oder wurde er den Filmbossen einfach zu teuer? Wir werden wohl ewig über die genauen Gründe rätseln – wissenschaftlich korrekt war dieser Kniff jedenfalls nicht.
Die Weltraumtrümmer waren bei »Gravity« eine ständig wiederkehrende Bedrohung. Aber ein Filmfehler trat auf jeden Fall bei dem berühmten 90-Minuten-Orbit auf. Den gibt es tatsächlich, und es ist korrekt, dass Körper in der Flughöhe von ISS und HST etwa anderthalb Stunden für eine Erdumrundung benötigen. Im Film kehrte der lebensbedrohliche Weltraumschrott alle 90 Minuten wieder. Deshalb stellte Doc Stone auf der ISS den Timer ihrer Uhr auf 90 Minuten ein, um sich selbst vor den nächsten Kollisionen zu warnen. Klingt zunächst richtig, aber wenn sich Raumstation und Trümmer entgegengesetzt im gleichen Orbit aufeinander zubewegen, dann treffen sie sich natürlich alle 45 Minuten! Hier müssen wir wieder Abzüge in der B-Note geben. Auch die ISS wird spektakulär zerstört, und Stone kann gerade so mit einer der russischen Sojus-Kapseln entkommen. Die gibt es tatsächlich an der ISS. Nur ist komisch, dass die ISS von jeder Crew verlassen war und in diesem Fall eigentlich keine leere Sojus-Kapsel zurückbleibt – im Film schon.
Murphy’s Law: Natürlich jagt ein Übel das andere. Der Treibstoff der Sojus geht zur Neige, und Doc Stone muss eine Lösung finden, zur Erde zurückzugelangen. Wieder ist auf aberwitzige Weise eine Raumstation in der Nähe, diesmal eine chinesische namens »Tiangong«. Die existiert wirklich, ebenso wie die chinesischen Raumkapseln »Shenzhou«. Als sich Astronautin Bullock der Station nähert, findet sie diese verlassen vor. Sie ist für den kontrollierten Absturz vorgesehen. Stone schafft es, sich in eine der Kapseln zu retten. Die Station stürzt ab.
Und noch ein paar Filmfehler:
In »Gravity« reißt der Funkkontakt mit der Bodenstation ab. Dramaturgisch ist es sicherlich günstig, dass Dr. Stone auf sich allein gestellt ist und kein Experte vom Boden ihr aus der Patsche helfen kann. Aber in Wirklichkeit ist das nicht möglich. Denn im All funktioniert die Kommunikation über viele Satelliten, die unter anderem auch höher kreisen als sämtliche Raumstationen. Damit wären sie von den gefährlichen Trümmerteilen nicht getroffen worden.
Warum muss Kowalski der Medizinerin Stone die Wirkung von Kohlendioxid in der Atemluft erklären? LOL
Was schwebt denn da? Auf den Stationen flog allerhand durch die Gegend, was nichts im All verloren hat: Auf der chinesischen Raumstation gab’s einen Tischtennisschläger. Das Match hätte ich gern gesehen! Und auf der ISS flog eine Zahnspange. Eine Zahnspange ist ein absolutes Ausschlusskriterium im Bewerbungsverfahren für Astronauten. Viel zu gefährlich!
Brüllend komisch ist auch das Öffnen der Luken zu den Raumstationen. Die Astronautin wird so was von herumgeschleudert. Zudem gehen sie im Film nach außen auf, aber echte Luftschleusen öffnen nach innen.
Hinsichtlich der Weltraumphysik, der Darstellung der Schwerelosigkeit und insbesondere der akustischen Effekte hebt sich »Gravity« sehr positiv von der üblichen SF-Kost ab. Gängige Weltraumreihen wie »Star Wars« und »Star Trek« leben ja von dem ordentlichen Bums bei Explosionen oder geräuschvoll vorbeiziehenden Raumschiffen im Weltraum. Physiker und Toningenieure bekommen dabei regelmäßig feuchte Augen und schütteln mit einem vielsagenden So-nicht-Blick den Kopf.
Apropos feuchte Augen. In einem verzweifelten Moment weint unsere Gravity-Weltraumheldin Sandra Bullock Tränen in der Schwerelosigkeit. Wie auf der Erde kullert der Wassertropfen die Wange hinab, um dann – oh Wunder! – die Wange zu verlassen und im Weiteren als kugelförmiger Tropfen durch den schwerkraftfreien Raum zu driften. Die Kugelform ist natürlich vollkommen richtig, wie wir von vielen ISS-Videos wissen. Die typische Tropfenform ist ja ein Resultat der Schwerkraft, die das Wasser in die Länge zieht. Alles gut. Aber ich maule hier, weil der Tropfen sich von der Wange löste. DAS würde er unter keinen Umständen selbst in der Schwerelosigkeit vollbringen, weil zwischenmolekulare Kräfte (Adhäsion, wie Angeber sagen) den Tropfen auf der Wange halten. Richtig wäre also gewesen, dass die Träne auch unter Schwerelosigkeit die Backe runterrinnt oder sogar auf ihr bleibt und sich nicht plötzlich entscheidet, in die Luft zu gehen. Ich weiß, was Sie sagen wollen, und Sie haben recht: Eine Wange hat man im Gesicht und eine Backe hat man am Ar…arg durchgesessenen Fleisch des verlängerten Rückens. Aber ich bin in Hessen aufgewachsen, wo alles Backe ist.
Mein Fazit zu »Gravity«
Bei allen Lästereien, die ich hier vom Stapel lasse, muss ich sagen, dass »Gravity« ein intensives, kurzweiliges und spannendes Filmerlebnis für mich war. Der Film geht nur rund 80 Minuten und ist von Anfang bis Ende spannend und mitreißend. Ich fieberte bis zum Ende mit, wie es Sandra Bullock schaffen könnte, wohlbehalten auf die Erde zurückzukehren. Ob sie’s schafft, verrate ich hier nicht. Gucken Sie doch den Film!
Filmisch waren einige Gegensätze gut gegenübergestellt worden: eine helle, warme und lebensfreundliche Erde ganz im Kontrast zum schwarzen, lebensfeindlichen Weltall; die Weite des Weltraums gegenüber der klaustrophobischen Enge von Raumanzügen und Kapseln; die kühle, emotionslose Technik versus emotional stark mitgenommenen Astronauten. Prädikat: künstlerisch wertvoll.
Die Weltraumphysik war sehr realistisch und teilweise erschreckend wirklichkeitsgetreu dargestellt. Sie macht unmissverständlich klar, wie gut es uns hier unten auf der Erde geht. Wir sollten sie schützen, dass das so bleibt.