Читать книгу Das Spiel der Dämonen, Teil 2 (Louisville, USA, 1865) - Andreas Parsberg - Страница 4

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Laura verließ so schnell sie konnte das Schulgelände.

Sie wollte nicht länger mitansehen müssen, wie Cedric mit dieser blöden Ziege Michelle sprach.

Dann dachte sie an diesen besonderen Moment zurück. Dieser kurze Augenblick, an dem sie spürte, dass er etwas für sie empfand. Sie hatte so gehofft, dass er sie küssen würde. Aber er hatte sich beleidigt zurückgezogen und den Moment zerstört.

Blöde Kerle, dachte sie, die kapieren gar nichts!

Zu Hause angekommen wollte sie nur noch ins Bett. Ihr Handy läutete, als sie die Tür öffnete.

„Hallo Süße“, flötete Vanessa ins Telefon. Sie klang immer so lebenslustig und fröhlich. Aber genau das brauchte Laura jetzt auch. „Wie geht es dir? Hast du noch Schmerzen?“

„Es geht schon wieder“, antwortete Laura.

„Was war denn los? Du bist so schnell verschwunden.“

„Die blöde Ziege hat mit Cedric geflirtet“, erklärte Laura.

„Du meinst Flachzange Michelle?“

„Ja klar“, antwortete Laura. „Die hat ihn richtig angehimmelt.“

„Ach und da hatte er keine Augen mehr für dich?“

„Nein, der hat mit Blondchen geflirtet. Vollmond in St. Tropez! Ha, ha, dass ich nicht lache.“

„Hattest du wieder den Traum?“

„Ja, leider“, flüsterte Laura und schüttelte bedrückt mit dem Kopf. „Seit zwei Wochen schon träume ich jede Nacht den gleichen Traum. Was das wohl zu bedeuten hat?“

„Erzähl ihn mir noch einmal“, bat Vanessa.

„Ich renne durch die Dunkelheit“, sagte Laura. „Es ist immer mitten in der Nacht. Ich glaube, ich bin in einem großen Gebäude. Es fühlt sich aber so heiß dort an. Jedenfalls, ich renne schnell einen breiten Flur entlang und habe große Angst...“

„Was hast du an in dem Traum?“

„Ich weiß es nicht. Er spielt sich aus meinem Blickwinkel ab. Ich kann alles sehen, nur nicht mich selbst.“

„Siehst du andere Menschen?“, fragte Vanessa leise nach.

„Ich höre jemanden. Einen Jungen. Er befindet sich irgendwo neben mir. Ich glaube, er läuft auch sehr schnell. Ich kann seinen Atem hören.“

„Kennst du ihn?“

„Ich habe ihn im Traum nicht gesehen. Vom Gefühl würde ich sagen, es ist Cedric. Ich spüre doch immer dieses Kribbeln, wenn er in meiner Nähe ist. Das Gleiche empfinde ich im Traum in diesem Moment.“

„Erkennst du das Gebäude, in dem ihr beiden lauft?“, fragte Vanessa nach.

„Nein, nicht wirklich. Manchmal wirkt es wie ein Gang im Max-Born-Gymnasium. Das ist aber eher eine Ahnung. Es ist alles so verschwommen.“

„Aber du hast das Gefühl, dass du in Gefahr bist?“

„Ich glaube, ich bin in Gefahr. Es... es kommt mir so vor, als ob... als ob jemand mich und den Jungen, der neben mir läuft, töten will.“

„Wie kommst du darauf?“

„Ich spüre es so intensiv. Der Tod erwartet mich und den Jungen in diesem Gebäude. Er wartet auf uns!“

„Du sagst, du hast seit zwei Wochen diesen Traum?“, fragte Vanessa.

„Ja, so in etwa. Genau kann ich das auch nicht mehr sagen.“

„Das trifft ziemlich genau den Zeitpunkt der Fete bei Michelle, oder?“

„Ja, könnte hinkommen. Warum?“

„Ich sag nur Ouija Brett und Geisterbeschwörung. Seit diesem Zeitpunkt träumst du doch, oder?“

„Ja.“

„Und auch ziemlich unheimliche Dinge, oder?“

„Ja“, antwortete Laura.

„Du solltest mit Cedric darüber reden, der war auch dabei. Vielleicht hat er ähnliche Träume.“

„Ich weiß, aber ich konnte noch nicht ungestört mit ihm reden.“

„Wann willst du es dann machen?“, fragte Vanessa.

„Er sagte, dass er mich anrufen wird. Ich habe ihm meine Handynummer gegeben. Dann werde ich mit ihm sprechen“, erwiderte Laura.

„Gut, mach das, Süße“, sagte Vanessa. „Jetzt schlaf und versuch, nicht wieder zu träumen.“

„Du hast gut reden, wie soll ich das ausschalten?“

„Willst du heute Nacht bei mir schlafen?“, fragte Vanessa leicht besorgt.

„Nein. Ich komme klar.“

„So hörst du dich aber nicht an“, meinte Vanessa.

Laura unterdrückte ein Gähnen. „Also, im Grunde genommen bin ich ziemlich kaputt. Nach unserem Gespräch werde ich mich sofort hinlegen.“

„Laura, Süße, wenn etwas passiert, ruf mich an, hörst du? Oder schreib eine SMS.“

„Mach ich.“ Laura gähnte herzhaft. „Ich kann kaum noch die Augen offenhalten. Ciao, Vanessa.“

„Melde dich gleich morgen früh bei mir, bitte“, bat Vanessa und legte auf.

Laura war plötzlich so müde, dass sie sich nicht einmal mehr duschte. Sie zog ihr Nachthemd an, putzte sich die Zähne und machte das Licht aus. Dann überprüfte sie, ob das Fenster fest verschlossen war, kroch ins Bett und kuschelte sich in die Bettdecke.

Wenige Sekunden später war sie eingeschlafen.

Und sofort war sie im selben Traum wie immer!

Nur schien es diesmal, als sei sie hellwach. Sie konnte das Gebäude deutlicher erkennen. Sie hörte eine unheimliche männliche Stimme hinter einer Wand. Wieder war sie in einem großen Gang und hörte Schritte hinter sich. Als sie spürte, dass der Junge ziemlich nah sein musste, rief sie ihm zu: „Hallo?“

Dann hörte sie jemanden keuchen. Sie hoffte, dass es Cedric wäre und nicht der Tod, der auf sie warten würde. Seine Schritte kamen mit jeder Sekunde näher, dann bog er um die Ecke und war an ihr vorbeigelaufen. Sie rannte hinter dem Jungen her und versuchte ihn einzuholen. Aber er war schneller. Dann sah sie am Ende des Ganges einen fremden Mann stehen. Es sah aus, als hätte er eine Mönchskutte an. Die Kapuze war über sein Gesicht gezogen. Laura konnte nur stechende, gelbe Augen erkennen. Der Junge, der vor ihr lief, hatte den unheimlichen Mönch erreicht. Sie hörte seine Worte: „Lass Laura in Ruhe!“

Es war eindeutig die Stimme von Cedric.

Dann schreckte sie hoch und war schlagartig wach. Ihr Körper war schweißbedeckt, ihr Herz raste.

Sie blickte auf die Uhr. Kurz nach zwei.

Konnte sie noch Vanessa anrufen? Dann entschied sie sich dagegen. Sie musste bis morgen früh warten um ihrer Freundin alles zu erzählen. Wenn sie sich dann noch daran erinnerte. Sie ließ sich zurück in das Bett fallen. Wenn ich doch nur mit Cedric darüber reden könnte, dachte sie traurig.

Wenige Momente später war sie wieder eingeschlafen.

Das Klingeln ihres Handys weckte sie.

Es war bereits hell draußen. Sie blickte auf die Uhr, es war kurz nach zehn.

„Hallo?“, meldete sie sich verschlafen.

„Äh, hallo Laura, hier ist Cedric. Ich wollte mich erkundigen, wie es dir geht. Hast du noch Schmerzen von dem Sturz?“

„Hi Cedric. Danke für deinen Anruf. Ich spüre fast nichts mehr“, antwortete Laura und wurde langsam munter.

„Das freut mich, ich hatte schon ein schlechtes Gewissen. Hättest du Lust, heute Abend etwas zu unternehmen?“

„Was würdest du denn vorschlagen?“, fragte sie aufgeregt und spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.

„Wie wär´s zum Beispiel mit dem Point? Michelle würde auch mitkommen.“

„Ich soll mit dir und Michelle in die Disko gehen?“

„Hm, ja, sie hat mich gestern gefragt. Ich habe zugesagt und würde mich freuen, wenn du auch mitkämst.“

„Du kannst ruhig in die Disko gehen, Cedric. Ich bleibe lieber zu Hause und erhole mich von meinem Sturz, denn dank deiner Rücksicht beim Fechten habe ich Rückenschmerzen.“

„Ich habe mich doch schon entschuldigt“, warf er ein. „Sei doch nicht so nachtragend und komm mit ins Point. Ich würde mich wirklich freuen.“

„Kapierst du es nicht? Ich habe echt keine Lust mit dir und Michelle ins Point zu gehen!“

„Ach Laura, bitte, sei doch nicht so“, bat Cedric, aber sie hatte schon aufgelegt. Verwirrt lauschte er auf den Summton in der Leitung.

Cedric verbrachte den Samstag zuerst mit Hausaufgaben, bevor er am Nachmittag die Sky Bundesliga Konferenz ansah. Seine Laune hob sich, als Bayern München durch einen Doppelschlag von Kroos und Müller in Schalke mit 2:0 in Führung ging. Wird sicher ein toller Abend, dachte er zufrieden.

Nach Beendigung der Sportübertragung ging er runter in die Küche.

„Hinten im Topf ist eine leckere Gemüsesuppe“, sagte seine Mutter, als sie seinen suchenden Blick bemerkt hatte.

Hungrig holte sich Cedric einen Teller Suppe und eine Scheibe Brot.

Nach dem Essen brachte er das schmutzige Geschirr in die Küche und räumte es in die Spülmaschine.

„Heute Abend fahre ich übrigens mit Michelle nach Gilching ins Point“, erklärte er so beiläufig wie möglich.

„Ist das die hübsche Blonde mit den blauen Augen?“, fragte sein Vater.

„Du meinst die affektierte Blonde mit dem blauen Lidschatten“, verbesserte ihn seine Mutter ironisch. „Na, dann mal viel Spaß.“


Um kurz vor acht Uhr erreichte er die mächtige Villa von Michelles Eltern.

Entschlossen klingelte er an der Haustür.

Ein junges, sehr attraktives Mädchen mit langen tief schwarzen Haaren öffnete die Tür, lächelte freundlich und blickte ihn offen an.

„Hallo, ich bin Cedric und mit Michelle verabredet.“

„Oh, du Armer“, antwortete das hübsche Mädchen grinsend. „Ich bin Chloé, die jüngere Schwester von Michelle.“

„Warum sagst du zu mir »du Armer«?“, fragte Cedric verwundert.

„Entschuldige, Cedric“, antwortete Chloé. „Das war nicht böse gemeint, mir tut nur jeder leid, der mit Michelle seine Zeit verbringen muss.“

„Du magst deine Schwester nicht?“

„Ich finde, sie ist eine eingebildete Kuh, aber das sagst du ihr bitte nicht. Sie würde das nicht witzig finden und ich hätte Stress zu Hause.“

Cedric grinste Chloé verschwörerisch an.

„Ist versprochen. Das bleibt unser Geheimnis.“

„Danke, dafür darfst du auch reinkommen.“

„Ist deine Schwester schon fertig?“

Chloé blickte Cedric verwirrt an, dann lachte sie laut.

„Warum lachst du, Chloé?“

„Weil das ein guter Witz war. Michelle und pünktlich fertig. Ich befürchte, du musst noch etwas auf meine Schwester warten. Die ist nie pünktlich fertig, aber du hast das Glück, bei unseren Eltern im Wohnzimmer zu warten.“

„Äh, vielen Dank auch.“

„Kann ich verstehen, aber die sind gar nicht so schlimm. Du wirst es überleben.“

Chloé verabschiedete sich vor dem Wohnzimmer von Cedric. Das Mädchen wirkte so anders als Michelle, so natürlich und sympathisch. Er mochte sie auf Anhieb.

Dann betrat er das Wohnzimmer und begrüßte die Eltern von Michelle.

Oh je, worauf hatte er sich da nur eingelassen?

Nun musste er bestimmt ewig lang über belangloses Zeug reden. Aber zum Umkehren war es nun zu spät. Schicksalsergeben setzte er sich auf die Couch. Beim Anblick der gewaltigen Wohnhalle dachte er an die Party von Michelle. Er erinnerte sich an die Geisterbeschwörung und bekam eine Gänsehaut.

Zum Glück begann Michelles Mutter von St. Tropez zu schwärmen. Cedric konnte sich darauf beschränken, hin und wieder ein „Ja“ oder „Nein“ oder „das glaube ich nicht“ einzuwerfen.

Michelle kam fast eine Stunde nach der verabredeten Zeit herunter!

„Hallo, Cedric. Du bist ja schon da!“, rief sie erstaunt.

Cedric war so baff, dass ihm keine passende Antwort einfiel.

Michelle schien auch keine Antwort zu erwarten. Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn aus dem Haus.

Michelle hatte bereits einen Führerschein und ein eigenes Auto. Natürlich ein auffälliges rotes Cabrio mit 245 PS, das ihre Eltern bezahlt hatten.

Michelle strahlte ihn mit ihren blauen Augen an, öffnete die Beifahrertür und schob ihn in den Sportwagen.

Nach einer kurzen Fahrt über die Autobahn A 96 erreichten sie Gilching. Auf dem Parkplatz der Diskothek parkte sie das Auto, ergriff seine Hand und schleppte ihn in die Disko. Dort begrüßte sie ausgelassen eine große Anzahl Bekannter. Trotz der lauten Musik unterhielt sie sich mit ihren Freunden und erzählte ununterbrochen irgendwelche unwichtigen Sachen. Cedric kannte nur wenige der anderen Typen und wurde nicht in die Unterhaltung einbezogen.

„Cedric Vogt“, erklärte sie drohend, drehte ihren Kopf und lächelte ihn an. „Du kommst jetzt auf der Stelle her und unterhältst dich mit mir. Du hast dich den ganzen Abend nicht um mich gekümmert!“

Am liebsten hätte er ihr geantwortet, dass sie ihm ja auch keine Gelegenheit dazu gegeben hatte. Doch er ließ es lieber sein, denn er wollte keine schlechte Stimmung erzeugen.

Inzwischen wurde die Musik im Point ruhiger. Ringsum kuschelten sich Pärchen nahe aneinander oder bewegten sich engumschlungen auf der Tanzfläche.

Michelle hakte sich ausgelassen bei ihm ein.

„Komm, wir tanzen“, bestimmte sie.

Zu seiner Überraschung zog sie ihn in ihre Arme und legte beide Hände um seine Taille. Cedric spürte ihren Körper, der sich eng und gierig an seinen presste. Ganz langsam drehten sie sich tanzend im Kreis.

Michelle schloss die Augen. Sie fühlte einen innerlichen Triumpf darüber, ihn so nah zu spüren. Cedric war bei ihr, nicht bei dieser langweiligen Laura.

Als er den Kopf bewegte, spürte er, wie ihr weiches Haar seine Wange entlangstreichelte. Er spürte ein leichtes Kribbeln, das sich über seinen ganzen Körper ausbreitete. Plötzlich fühlte er, wie ihre langen Fingernägel seinen Rücken sanft entlangkratzten.

Er hielt seinen Atem an.

„Cedric“, flüsterte sie leise.

Er reagierte nicht darauf.

„Cedy Bärli“, sagte sie noch einmal und legte eine Hand unter sein Kinn.

Wie kommt sie darauf, mich „Bärli“ zu nennen?, fragte er sich verwundert.

„Bitte, Cedric, sieh mich an.“

In diesem Moment ahnte, nein, wusste er nur zu genau, was jetzt kommen würde. Er war sich nicht sicher, ob er das wollte. Nur mit Mühe brachte er es fertig, ihrer Bitte Folge zu leisten.

Er drehte seinen Kopf und blickte in ihre wunderschönen tiefblauen Augen.

Ihr Atem streichelte seinen Hals. Er roch ihr Parfüm, das ihn fast hypnotisierte. Von ihren Augen ging etwas aus, das ihn faszinierte. Immer näher kamen ihre Lippen. Plötzlich lagen sie weich und warm auf seinem Mund.

Noch immer war Cedric unfähig, sich zu rühren. Sein ganzer Körper bebte, als sie mit ihrer Zunge über seine Lippen streichelte.

Sie küsst mich!, hämmerte es in seinem Kopf.

Michelle von Bartenberg, das Mädchen, das allen Jungs den Kopf verdrehte, küsst mich gerade.

Cedric hatte zwiespältige Gefühle.

Er empfand es einerseits als wunderschön und erregend, auf der anderen Seite verspürte er ein schlechtes Gewissen. Warum eigentlich?

Sie löste sich von seinen Lippen.

„Na?“, fragte sie und blickte ihn erwartungsvoll an, so als erwarte sie den Friedensnobelpreis.

Als Cedric nichts sagte, beugte sich Michelle noch einmal nach vorne und küsste ihn erneut.

Diesmal erwiderte Cedric das Spiel ihrer Zunge.

Auch eine Antwort, dachte sie innerlich grinsend. Mir kann kein Junge widerstehen!

Es dauerte eine Ewigkeit, bis sie sich voneinander lösten. Liebevoll streichelte sie über seine Wange.

„Mein Gott, Cedy Bärli! Du hast ja richtig Temperament. Wer hätte das gedacht?“

„Sag bitte nicht Bärli zu mir, das ist ja peinlich.“

„Natürlich, Cedylein“, antwortete sie und küsste ihn nochmals zärtlich auf seine Lippen. Dann ergriff sie seine Hand und zog ihn zu einer freien Sitzgruppe. Dort rutschte sie in eine dunkle Ecke, zog Cedric zu sich und legte ihren Arm um seinen Nacken. Wie selbstverständlich küsste sie ihn erneut. Es fühlte sich gut an, aber es erzeugte kein Feuerwerk von Gefühlen, wie er geträumt hatte.

Irgendwann schaffte er es, heimlich auf die Uhr zu schauen. Halb zwölf! Er hatte seinen Eltern versprochen, allerspätestens um zwölf zu Hause zu sein.

Okay, er hatte bereits gegen eine Hexe und einen Dämon gekämpft, war in Schottland durch finstere Geheimgänge geschlichen, musste aber um zwölf Uhr zu Hause sein.

Das würde er jetzt wohl nicht mehr schaffen.

Wie schnell die Zeit plötzlich vergangen war.

Plötzlich ergriff Michelle seine Hand und drückte sie auf die Wölbung ihrer Bluse, unter der sich ihre Brust befand.

„Du darfst mich hier gerne berühren, aber bitte sanft und zärtlich“, hauchte sie lüstern.

Cedric sprang auf, als hätte ihm der Höllenfürst persönlich ein Schwert in den Rücken gerammt.

„Ich muss heim“, rief er hektisch und blickte erschrocken in die zornigen Augen von Michelle. Oh je, da habe ich wohl etwas falsch gemacht, stellte er fest. Er schob seine Gedanken jedoch mit dem Hinweis zur Seite, dass er sowieso niemals eine Frau verstehen würde.

Nach einigen Verabschiedungen verließen sie gemeinsam die Disko und fuhren zurück nach Germering. Vor seinem Elternhaus parkte sie den Wagen.

„Äh, war nett mit dir, Michelle“, sagte er unsicher. „Bis bald.“

Sie lächelte ihn an, als würde sie noch etwas erwarten. Cedric blieb verwundert im Auto sitzen.

Wieso strahlte sie jetzt so?

Vor wenigen Augenblicken war sie noch zornig gewesen!

Völlig unerwartet beugte sie sich zu ihm herüber und gab ihm einen zärtlichen Kuss. Ihre Zunge streichelte seine Lippen entlang. Er spürte ein merkwürdiges Ziehen in seinem Lendenbereich. Während sie ihre Lippen wieder von seinem Mund löste, streichelte sie mit ihren Fingerspitzen seine Wange entlang.

„Ich fand es auch unheimlich toll, Cedric. Rufst du mich morgen an?“

Er schluckte. Morgen? Hatte sie ernsthafte Absichten?

Wir haben uns geküsst, bedeutet das, wir sind ein Paar?

Ich will aber mit Michelle kein Paar sein, lieber mit Laura.

Alle möglichen Ausreden fielen ihm ein, über die Lippen brachte er jedoch nichts weiter als ein leises „Okay“.

„Wann rufst du mich an?“, hakte sie nach. „Sonntags schlafe ich immer länger, aber ich möchte mich auf deinen Anruf einrichten können.“

Cedric wurde es mulmig. Worauf hatte er sich da nur eingelassen?

Viel lieber hätte er jetzt in Schottland gegen eine Hexe gekämpft, dies erschien ihm einfacher.

„Gegen zwei“, murmelte er, da sie eine Antwort von ihm erwartete.

„Toll. Um vier bin ich mit Johanna verabredet, aber ich werde nicht eher gehen, bis du angerufen hast. Weißt du, Cedric, ich habe schon so lange davon geträumt, dass du mein Freund bist. Du bist so muskulös und siehst wahnsinnig gut aus. Gute Nacht.“

Sie küsste ihn und spielte mit ihrer Zungenspitze an seinen Lippen. Als sie mit ihren langen Fingernägeln die Innenseite seiner Oberschenkel entlangstreichelte, erschrak er so heftig, dass er sich den Hinterkopf an der Kopfstütze anschlug.

Schnell öffnete er die Tür und hechtete aus dem Wagen.

Mit einem unwohlen Gefühl sah er ihr nach.

Michelle, diese wunderschöne blonde Frau, war eine völlig fremde Welt für ihn.

Er war sich nicht sicher, ob er diese Welt kennenlernen wollte!


Als Cedric am Sonntag aufwachte, schoss ihm gleich als Erstes in den Kopf, dass er heute Michelle anrufen musste. Ärgerlich drehte er sich noch mal um und zog sich die Decke über den Kopf.

Wieso hatte er sich bloß wieder breitschlagen lassen?

Er wollte doch kein Mädchen zur Freundin haben, mit dem man sich nicht richtig unterhalten konnte!

Okay, sie sah wirklich klasse aus, besonders ihre langen blonden Haare, die blauen Augen und ihre attraktive Figur. Alle Jungs in der Schule waren scharf auf sie und würden vor Neid erblassen, wenn er ihr Freund sein würde.

Aber wenn er die Augen schloss, sah er keine blonden Haare sondern lange mittelbraune Haare und grüne Augen. Mist, dachte er, warum sind Mädchen so kompliziert.

Angestrengt versuchte er, noch ein bisschen weiterzuschlafen, aber es gelang ihm nicht. Er machte sich die ganze Zeit Gedanken darüber, was er Michelle am Telefon sagen sollte.

Na ja, der Morgen ist jedenfalls gründlich verdorben, dachte er. Gerade hatte er seufzend beschlossen aufzustehen, da vibrierte sein Handy und kündigte einen Anruf an.

„Hallo Laura“, sagte Cedric erfreut, nachdem er am Display erkannt hatte, wer ihn anrief. „Schön, dich zu hören.“

Sein Herzschlag beschleunigte sich. Warum ruft mich Laura an?

„Wie war´s gestern in Gilching?“, fragte sie sofort, ohne lange um den heißen Brei zu reden.

Hat die Frage eine tiefere Bedeutung?, überlegte er.

„Ja, äh, war okay“, stammelte er.

Laura schwieg. Cedric war die Gesprächspause unangenehm.

„Michelle, na ja, äh, ist ja soweit ganz nett“, fuhr er fort.

„Dachte ich mir, dass du das findest“, antwortete Laura.

„Aber sie redet ziemlich viel Mist“, sprach er weiter.

„Allerdings. Ein Orden für deine Erkenntnis.“

„Manchmal ist das ja ganz gut. Es macht vieles einfacher.“

„Einfacher?“, fragte Laura verständnislos.

Sie hatte heute Morgen beschlossen, Cedric von ihrem zu Traum erzählen. Nachdem sie nervös aufgestanden war, zwei Tassen Tee getrunken hatte, wählte sie seine Handynummer. Der Traum war wichtig!

Aber jetzt war Michelle wichtiger. Michelle! Blöde Ziege!

„Na ja, es entstanden keine peinlichen Gesprächspausen“, fuhr Cedric fort.

Laura schwieg. Sie befürchtete, dass noch mehr mit Michelle vorgefallen war, und war sicher, dass sie das nicht hören wollte.

„Michelle wollte unbedingt, dass ich sie heute anrufe“, erzählte Cedric weiter, als ihm die Gesprächspause zu lang wurde. „Ich habe es versprochen.“

„Was willst du ihr sagen?“

„Ich weiß es nicht“, stammelte er. „Am liebsten würde ich sie gar nicht anrufen.“

„Dann tu es doch auch nicht.“

„Aber ich habe es ihr versprochen. Ich möchte mein Versprechen nicht brechen, sonst hätte ich ein schlechtes Gewissen.“

„Männer haben bei attraktiven Frauen immer ein schlechtes Gewissen“, erklärte sie.

„Ja, kann sein.“

„Du findest sie hübsch?“, fragte sie nach.

„Ja, sicher. Sie ist doch sehr attraktiv, oder?“

„Wenn du meinst!“, antwortete sie bissig.

„Bist du sauer auf mich?“

„Mir ist doch egal, mit wem du dich triffst“, fauchte sie. „Du bist doch ein freier Mensch.“

„Ja, das bin ich“, murmelte Cedric.

„Kann sie gut küssen?“, fragte sie gefährlich leise.

Der Unterton in ihrer Stimme warnte Cedric. Er fühlte eine Gefahr und wusste plötzlich, dass er auf ganz dünnem Eis stand.

„Äh... küssen?“, stotterte er und überlegte verzweifelt, wie er das Thema wechseln könnte.

„Du willst mir jetzt doch nicht erzählen, dass du sie nicht geküsst hast!“

„Ja, äh, nein. Ich meine: Ja.“

„Dachte ich mir.“

Sie schwieg.

„Begleitest du mich heute Abend zu meinem älteren Bruder Simon?“, fragte er und hoffte, das Thema „Michelle“ und „Küsse“ verlassen zu haben.

„Was ist bei deinem Bruder?“

„Simon feiert seine Verlobung mit Nicole. Er veranstaltet ein Gartenfest mit Büffet und Tanz. Würdest du mit mir dort hingehen?“

„Du willst mich zu deiner Familie mitbringen?“

„Ja, ich würde mich sehr freuen.“

Der Puls von Laura raste, ihr Herz klopfte wild. Eine solche Einladung zur Verlobung seines Bruders bedeutete mehr als ein Diskobesuch. Er würde keine Frau seiner Familie vorstellen, die ihm nichts bedeutete.

Vielleicht mag er mich doch, überlegte sie aufgeregt.

„Warum nimmst du nicht Michelle mit?“

„Ich würde lieber mit dir dort hingehen.“

„Na gut“, antwortete sie. „Aber nur, weil ich etwas Wichtiges mit dir besprechen möchte.“

Vielleicht würde sie die Gelegenheit bekommen, mit ihm über den Traum zu reden.

„Darf ich dich heute Abend um sieben Uhr abholen?“

„Ja, gerne.“


Der Sonntag war ein Tag voller Erwartungen.

Laura versuchte sich ununterbrochen vorzustellen, wie der Abend werden würde. Cedric würde sie seiner Familie vorstellen!

Schon um sechs Uhr stand sie startbereit in der Küche. Ihre Mutter betrachtete sie mit einem verschmitzten Lächeln.

„Du siehst gut aus“, meinte sie. „Der Rock steht dir sehr gut. Die Bluse harmoniert mit der Farbe deiner Augen.“

„Danke, Mutti“, strahlte Laura, schließlich hatte sie einige Stunden dazu gebraucht, sich zu entscheiden, was sie anziehen sollte. Dann glaubte sie endlich, das Richtige gefunden zu haben. Einen blauen knielangen Glockenrock, ein enges weißes Langarmshirt und einen Blazer. Dazu trug sie hohe Pumps, die ihre schlanken Beine betonten.

Da saß sie nun, je näher die Zeiger der Uhr auf sieben vorrückten, desto nervöser wurde sie. Für einen Moment zweifelte sie daran, dass es richtig gewesen war, die Einladung von Cedric angenommen zu haben.

Aber was hatte sie zu verlieren? Nichts! Gar nichts!

Aus ihrer Handtasche kramte sie einen kleinen Spiegel hervor. Ein Blick hinein ließ sie zufrieden lächeln.

Sie sah wirklich gut aus. Ihre mittelbraunen Haare hatte sie solange gebürstet, bis sie glänzten. Zur Feier des Tages hatte sie sogar Make-up und Mascara aufgelegt.

Ein lautstarkes Hupen vor der Haustür ließ sie erschrocken hochspringen. Noch ein kurzer Blick in den kleinen Spiegel, ein Griff zu ihrem Blazer und los ging es.

„Viel Spaß, mein Schatz“, verabschiedete sich ihre Mutter. Schnell drückte sie ihr einen herzhaften Kuss auf die Wange und machte, dass sie zum wartenden Taxi kam, dessen Tür bereits geöffnet war.

Während sie es sich verlegen auf der Rückbank bequem machte, spürte sie deutlich die Blicke von Cedric.

„Du siehst phantastisch aus“, sagte er.

Laura drehte den Kopf und lächelte. „Du auch“, erwiderte sie.

Er sah wirklich toll aus. Die obersten zwei Knöpfe seines weißen Hemdes waren geöffnet und ließen so seine gebräunte Brust erkennen. Über den Schultern lag ein grobgestrickter, hellblauer Pullover, der ausgezeichnet zu seiner blauen Hose passte.

Während der Taxifahrer den Motor anließ und den Gang einlegte, blickte sie betreten zu Boden.

Die Atmosphäre war geprägt von Unsicherheit und Scheu. Sie schienen beide erregt und voller Erwartung zu sein, was der Abend bringen würde. Keiner sagte ein Wort, bis das Taxi beim Haus von Cedrics Bruder eintraf.

Er hielt Laura zurück, als sie die Türe öffnen und aussteigen wollte.

„Warte einen Moment.“

Er stieg aus dem Auto aus. Fragend blickte Laura ihm nach. Plötzlich wurde die Tür an ihrer Seite geöffnet. Mit einer tiefen Verbeugung rief er: „Darf ich Ihnen helfen, Fräulein Bertani?“

Das entschärfte die Situation und sie fiel in sein helles Lachen ein.

„Sehr gerne, Herr Vogt!“

Umständlich ergriff sie seine ausgestreckte Hand und ließ sich hoheitsvoll aus dem Taxi gleiten.

„Madame, es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass der rote Teppich in der Reinigung ist.“

Sie lachten gemeinsam und liefen dann übermütig in den Garten seines Bruders, in dessen hinterem Bereich ein riesiges Zelt aufgestellt war. Überall hingen Girlanden, die sich leicht im Abendwind bewegten. Durch die Bäume waren bunte Glühbirnen an langen Kabeln gezogen worden, was allem einen lustigen und lockeren Anstrich gab.

Sie betraten das Zelt und waren für einen Moment von der Helligkeit, die von sehr vielen Kerzen erzeugt wurde, wie geblendet. Menschen aller Altersstufen saßen an den wunderschön gedeckten Tischen.

In einer Ecke des Zeltes stand ein Podest, auf dem drei junge Männer auf Hockern saßen und ein Bier tranken. Neben ihnen befanden sich Musikinstrumente. Die Band. Wahrscheinlich machten sie gerade eine Pause.

Die Anwesenden wirkten gut gelaunt und gelöst. Jeder schien heiter und übermütig, denn Laura konnte niemanden entdecken, der nicht ein amüsiertes Lächeln auf dem Gesicht hatte.

Cedric führte sie von einem Tisch zum nächsten. Es folgte fröhliches Winken und Händeschütteln. Laura wurde hin- und hergereicht und allen möglichen Menschen vorgestellt. Endlich legte er seinen Arm um ihre Schulter und zog sie sanft mit sich fort.

„Komm, wir holen uns etwas zu essen und gehen nach draußen. Dort stehen freie Tische und Bänke, an die wir uns setzen können.“

Laura folgte ihm wortlos. Cedric packte ihren Teller mit einer Auswahl der Delikatessen voll. Dann begaben sie sich nach draußen, was nicht einfach war, da immer neue Gäste erschienen und immer wieder andere Menschen auf Cedric zukamen, um mit ihm ein paar Worte zu wechseln.

Es gelang ihnen dann, einigermaßen ungestört zu einem freien Tisch zu gelangen. Während sie sich mit ihrem Essen befassten, sprachen sie kein Wort. Laura hatte das Gefühl, dass jedes Wort, das nun unbedacht gesagt würde, alles zerstören könnte. Cedric schien ebenfalls so zu denken. Er aß und starrte auf den Teller. Von Zeit zu Zeit hob Laura den Kopf und sah Cedric kurz an. Jedes Mal begegneten sich ihre Blicke, sodass sie fast gleichzeitig schnell den Kopf senkten und sich wieder auf ihre Teller konzentrierten, als hätten sie sich gegenseitig bei etwas Unerlaubtem ertappt.

In der Luft lag ein Knistern. Laura spürte fast körperlich, dass jeden Moment etwas passieren würde, das sie sich wünschte, wovor sie aber auch Angst hatte. In ihrem Innern herrschte Chaos, ein Zwiespalt, der sie nicht zur Ruhe kommen ließ. Gedankenverloren stocherte sie auf ihrem Teller herum. Fast gleichzeitig schoben sie ihre geleerten Teller zur Seite.

„Cedric“, begann sie leise, „ich möchte dir etwas erzählen.“

Der Augenblick war ideal, um von ihrem Traum zu berichten!

Sie kam aber nicht dazu, denn im Zelt begann die Band zu spielen. Es war ein ruhiges und romantisches Stück.

„Komm, lass uns tanzen“, murmelte er, legte seinen Arm um ihre Schulter und führte sie zum Zelt.

Laura vergaß durch seine Berührung und Nähe den Traum.

Wie in Trance ließ sie sich von ihm in das Zelt führen, zu dem kleinen freien Platz, der als Tanzfläche gedacht war und wo sich schon einige Paare befanden. Laura sah nichts von den anderen Anwesenden, sondern hörte nur die leise, zärtliche Musik.

Er nahm sie in den Arm. Der zärtliche Blick seiner rehbraunen Augen schien sie zu verbrennen. Impulsiv legte sie ihren Kopf an seine Brust und spürte, wie sein Griff fester wurde.

Laura vergaß alles um sich herum. Es war wie im Traum.

Leider dauerte es nicht ganz so lange.

„Cedric!“

Diese Stimme war unverwechselbar!

Es gibt Dinge, die vergisst man nicht.

Die Stimme von Michelle gehörte ganz eindeutig dazu.

Michelle musterte Laura mit einem nicht einmal unfreundlichen, aber nur sehr flüchtigen Blick und bremste gleichzeitig Cedrics Tanzbewegungen ab, mit einer Selbstverständlichkeit, die Laura innerlich fast rasend machte.

„Cedy Bärli, sei ein Schatz und ...“

Weiter hörte Laura nicht hin. Sie griff nach hinten, schob energisch Cedrics Arme auseinander und löste sich von ihm. Ohne ein Wort zu sagen, blickte sie ihn an. Cedric schien vollkommen verwirrt und ein wenig schuldbewusst zu sein. Alles, was sie in seinen Augen las, war ein leichter Schrecken, als begriff er nur langsam, was überhaupt geschah und was dies bedeutete.

Laura gab ihm auch gar keine Gelegenheit, seine Fassung wiederzufinden und irgendeine geschliffene Erklärung hervorzubringen. Sie drehte sich um und verließ das Zelt, so schnell, wie es gerade noch ging, ohne zu rennen.

Sie ist hier!

Das war alles, was sie denken konnte. Michelle ist hier!

Ihr war nicht bewusst, was sie in diesem Moment wirklich empfand. Sie kochte innerlich vor Zorn und verletztem Stolz, fühlte sich aber gleichzeitig auch wie betäubt.

Sie war verletzt! Tiefer, als sie sich eingestehen wollte. Er hatte Michelle auch eingeladen! Nicht genug damit, dass ihm eine Freundin offensichtlich nicht reichte, nein, er hatte sich nicht einmal gescheut, beide Mädchen auf einer Feier seiner Familie vorzustellen.

Wie hatte ich nur so dumm sein und glauben können, dass er meine Gefühle erwiderte?, fragte sie sich traurig.

Liebe? Lächerlich!

Sie zwang sich innerlich zur Ruhe und blieb für einen Augenblick am Eingang des Zeltes stehen, um Luft zu holen. Neben ihr stand ein junges Paar und unterhielt sich, ohne Lauras Anwesenheit zu bemerken. Wie durch einen Nebel schnappte sie einige Fetzen ihrer Unterhaltung auf.

„Diese Michelle von Bartenberg ist eine richtig hübsche junge Frau. Ihr langes blondes Haar, einfach toll“, sagte die Frau zu ihrem Begleiter.

„Ja“, meinte der Mann, „und sie wird von allen Jungs der Stadt umworben. Sie ist einfach eine gute Partie, so eine reiche und bedeutende Familie.“

Die beiden sprachen noch weiter, aber Laura hörte nichts mehr. Tränen der Wut liefen ihr über die Wangen, ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt, fast ohne ihr Zutun. Hätte ich mich doch bloß nicht so von ihm umgarnen lassen, dachte sie geknickt. Aber seine rehbraunen Augen...

Schluss damit! Aus! Vorbei! Dieser... dieser...

Ihr fiel keine Bezeichnung ein, die passend war. Und doch, es war nicht nur Zorn, den sie empfand, ganz und gar nicht. Die Vorstellung, dass er Michelle nun in den Armen hielt, mit ihr tanzte, seine Wange an die ihre legte, machte sie rasend.

Ohne es überhaupt zu merken, hatte Laura wieder den Tisch erreicht, an dem sie vorhin gegessen waren. Sie ließ sich auf die Bank fallen und begann zu weinen. Ob aus Zorn oder Enttäuschung, wusste sie selbst nicht. Wahrscheinlich beides. Sie holte ein Taschentuch hervor und wischte sich über die Augen. Mit ihren verheulten Augen und einem Gesicht voller schwarzer Streifen, sah sie fast aus wie ein Kohlenarbeiter.

Diese Vorstellung ließ ihre Tränen versiegen.

Die Genugtuung, dass er sie weinen sah, wollte sie ihm nicht gönnen!

Ihre Hände hörten auf zu zittern, der harte Kloß in ihrem Hals löste sich. Sie sah sich suchend um, dann fiel ihr ein, dass sie ihre Handtasche mit dem kleinen Spiegel im Zelt zurückgelassen hatte. Immer wieder rieb sie mit dem Handrücken über ihr Gesicht.

„Komm, ich helfe dir“, hörte sie plötzlich eine wohlbekannte Stimme neben sich. Sie blickte auf.

Cedric stand vor ihr, hob mit einer Hand ihr Kinn an, um dann vorsichtig mit einem weichen Tuch ihr verschmiertes Gesicht zu reinigen.

„Es ist nicht so schlimm, gleich ist alles ab“, meinte er und blickte sie mit seinen sanften Augen an. Laura wollte etwas sagen, das ihn verletzten würde, aber es blieb ihr im Hals stecken. Sie schluchzte nur und verfluchte sich selbst wegen ihrer Unbeholfenheit, die der Klang seiner Stimme und die Berührung seiner Hände in ihr ausgelöst hatten.

Ein lauter Knall ließ sie zusammenzucken!

Verwirrt blickten sie sich an, als hätten sie etwas Verbotenes getan. Wie abgesprochen sahen sie gleichzeitig zu Boden, bis ein zweiter, diesmal lauterer Knall sie wieder auf den Boden der Wirklichkeit zurückholte. Gleißendes Licht tauchte alles in eine Helligkeit, die Laura für einen Augenblick die Augen schließen ließ.

Ein Feuerwerk!

Blitze und farbige Feuerbälle zerrissen die Nacht, Farben flammten auf und versanken, kleine und große Sterne verteilten sich am Himmel.

Laura spürte seine Hand, die nach ihrer suchte und sie festhielt, als wolle er sie nie wieder loslassen. Er zog sie fest an sich heran, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie sanft auf den Mund.

Die Berührung seiner Lippen schien ihr den Verstand zu rauben. Sie hatte das Gefühl, im Nichts zu versinken, den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Ohne es zu wollen, legte sie ihre Arme um seinen Nacken und erwiderte seinen Kuss, der eine Ewigkeit zu dauern schien.

Als sich ihre Lippen voneinander lösten, raste ihr Pulsschlag. Sie fühlte sich glücklich, endlich hatte er sich getraut.

Sie hatte so lange darauf gewartet!

Sanft und zärtlich streichelte Cedric ihre Wangen. Ihre Blicke trafen sich, ihre Augen verschmolzen zu einer Einheit.

„Du hast wunderschöne Augen, Eileen“, flüsterte er wie in Trance.

„Eileen?“

Laura riss sich von ihm los, funkelte ihn wütend an und schubste ihn weg.

„Wer ist Eileen?“, fauchte sie zornig, holte aus und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.

„Wie viele Mädchen hast du gleichzeitig laufen? Michelle? Eileen? Soll ich jetzt auch noch zu deiner Sammlung gehören?“

Bestürzt ließ Cedric ihre Hand los und sah sie verdattert an.

„Nicht doch, Laura. Ich kann es dir erklären...“

Aber Laura, hörte nicht mehr zu. Kopflos stieß sie ihn beiseite und verließ den Schauplatz des Geschehens, ohne ihren Blazer und ihre Handtasche mitzunehmen.

Sie hatte nur noch den einen Wunsch: nach Hause zu kommen, sich in ihr Bett zu legen und die Decke über den Kopf zu ziehen - nichts mehr zu sehen und zu hören, von diesem... diesem... ihr fiel erneut kein Ausdruck für ihn ein.

Sie konnte nur seine rehbraunen Augen sehen!

Wieder hatte sie verpasst, mit ihm über ihre merkwürdigen Träume zu reden.

Dies sollte sich noch als Fehler herausstellen!

Das Spiel der Dämonen, Teil 2 (Louisville, USA, 1865)

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