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1. Spaziergang Palestrina Komponist und Geschäftsmann im Schatten des Petersdoms

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S. Maria Maggiore – Palazzo del Quirinale – Kapitol – Villa Farnesina – Gianicolo – Petersdom

Am 2. Februar 1594 starb Giovanni Pierluigi da Palestrina im Alter von 68 Jahren in Rom in seinem Haus in der Via dell’Armellino. Noch am selben Abend wurde sein Leichnam in den Petersdom gebracht, begleitet von den Sängern der päpstlichen Kapelle, allen Musikern der Stadt und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung. Er fand dort seine Ruhestätte in der Cappella Nova an der Seite seiner ersten Frau Lucrezia, seiner Söhne Rodolfo und Angelo, vier seiner Enkelkinder und seines Bruders Silla. Sein Leichnam war in einen Bleisarg mit der Aufschrift „Joannes Petraloysius Praenestinus musicae princeps“ gelegt worden – Fürst der Musik. Einzig der Ort seiner Bestattung war alles andere als fürstlich: Die Cappella Nova war bereits dem Abriss geweiht und sollte dem Hauptschiff des neuen, gewaltigen Petersdomes weichen.

Schon 1452 hatte man den baufälligen Zustand der alten Peterskirche aus dem 4. Jahrhundert erkannt, 1506 hatte dann Papst Julius II. den Grundstein zum Neubau gelegt – und mit dem entsprechenden Ablassbrief einen der Auslöser der Reformation geschaffen. Seitdem zankten sich Päpste, Kardinäle, Architekten und Bauleiter um die Baupläne. Diese Großbaustelle war Sinnbild der Macht, aber auch des großen Umbruchs in der katholischen Kirche, ein steinernes Zeugnis der Kirchenspaltung.

Das Engagement der Päpste für die Kunst und ihre oftmals überbordende Sucht nach Glanz und Prunk hatte Palestrina meist zu seinen Gunsten nutzen können. Durch geschickte Schachzüge war es ihm gelungen, seinen Ruhm Stück für Stück auszubauen und für die Nachwelt zu zementieren. Daneben hatte er es immer verstanden, als geschäftstüchtiger Unternehmer durch kluges Wirtschaften seine Güter zu vermehren. Die Baustelle des Petersdomes hatte er dabei zeitlebens im Blick.

Und so, wie die Bauarbeiten an der Peterskirche sein Wirken in Rom lebenslang begleiteten und beeinflussten, so ließen sie ihn auch nach seinem Tod nicht los. Bei der Errichtung der heutigen Chorkapelle wurde 1615 sein Grab zerstört, der Sarg mit den sterblichen Überresten ging dabei verloren.

Doch nicht nur bei seinem Grab verlieren sich die Spuren schnell in den Windungen der Geschichte, auch die Zeugnisse seines privaten Lebens – fest verwurzelt in der ewigen Stadt – sind so spärlich, dass man nur schwer ein Bild des Musikers erhält, der bereits zu Lebzeiten eine Legende war, als Retter der Kirchenmusik stilisiert, zur Personifikation der Renaissancemusik und zum Vorbild aller Kirchenmusik nach ihm wurde – und als der römischste aller Komponisten gilt.

Geboren wurde Palestrina um 1525/26 möglicherweise im Stadtteil Monti im Herzen Roms. Sein Vorname: Giovanni, lateinisch Joannes. Sein Familienname: Pierluigi, lateinisch Petraloysius. Heute wird fast ausschließlich seine Herkunftsbezeichnung da Palestrina, lateinisch Praenestinus, als Name verwendet.

Über dem Petrusgrab stand zu dieser Zeit eine beeindruckende Bauruine. Nach einer fast zwanzigjährigen Pause an der größten Baustelle der Stadt hatte die Natur langsam wieder Besitz von den mächtigen Vierungspfeilern ergriffen, die Bramante errichtet hatte. Drohend standen die grasbewachsenen, einsturzgefährdeten Bögen über den Resten der teilweise noch intakten Basilika von Alt-Sankt-Peter, als wollten sie diese verschlingen. Der niederländische Maler Marten van Heemskerck hat dieses Bild in einer seiner Skizzen während seines Romaufenthalts ab 1532 festgehalten, auf der die bewachsenen Mauern zu erkennen sind. Über dem Papstthron und dem Petrusgrab hatte man zum Schutz eine provisorische Kapelle errichtet, nachdem 1506 das Dach der alten Kirche über der Vierung abgetragen worden war. Die Altarkerzen erloschen unter freiem Himmel und mehrfach mussten die liturgischen Feiern wegen Regen abgebrochen werden.


Abb. 1: Marten van Heemskerck: Blick von Norden auf St. Peter. Berlin, Kupferstichkabinett, Heemskerck-Skizzenbücher I, fol. 13r.

Aufgewachsen ist Palestrina wahrscheinlich in der Kleinstadt Palestrina, knapp 40 Kilometer östlich von Rom, denn es gab einen triftigen Grund für die Familie, die Ewige Stadt zu verlassen: den Sacco di Roma. Am 6. Mai 1527 waren deutsche Landsknechte und spanische Söldner in Rom eingefallen und hatten die Stadt geplündert.

Papst Clemens VII. hatte sich im Krieg um die Herrschaft über die reichen Städte Oberitaliens auf die Seite Franz I. von Frankreich und gegen Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, gestellt. Daraufhin fielen 24.000 wütende und disziplinlose Landsknechte, die Karl V. als Söldner verpflichtet hatte, quasi führerlos in die Ewige Stadt ein. Die marodierende Meute raubte, vergewaltigte, folterte, schändete Kirchen und tötete bis zu 40.000 Menschen. Das Resultat: leichengepflasterte Straßen, Anarchie, ein Schaden von 10 Millionen Dukaten (etwa 1,5 Mrd. Euro), eine durch Seuchen nahezu unbewohnbare, hungernde Stadt. Das Petrusgrab war aufgebrochen, der Papst eingeschlossen in der Engelsburg. Das gesamte Abendland war verstört. Wie konnte es sein, dass Menschen zu derartigen Taten fähig waren?

Möglicherweise hat der kleine Giovanni in Palestrina von all dem nur wenig mitbekommen. In der beschaulichen Kleinstadt war er von Kindesbeinen an von Musik umgeben, von Volksmusik, volkstümlichreligiöser Musik, aber auch zeitgenössischer polyphoner Kirchenmusik und gregorianischen Gesängen. An der Kathedrale S. Agapito in Palestrina gab es ein reiches musikalisches Leben. Die Bischöfe der Stadt stammten aus den großen Adelsgeschlechtern Roms, wie etwa Andrea della Valle. Dieser wurde 1534 Erzpriester der Basilika S. Maria Maggiore und nahm den jungen Palestrina als Sängerknaben zur Ausbildung mit in die große Stadt. Sieben Jahre nach der Plünderung, einem schweren Hochwasser und einer sich anschließenden Malariaepidemie blühte Rom wieder auf und zelebrierte sich und seine wiedererlangte Stärke und Pracht: „Roma resurgens“, eine Stadt, die auch wieder in die Künste investierte. Geistliche wie weltliche Musik war allgegenwärtig.

Machen wir uns nun auf den Weg, Palestrinas Spuren an seinen Wirkungsstätten und im Rom seiner Zeit zu entdecken. Es ist ein Spaziergang, der immer wieder neue Blicke auf den Petersdom freigibt, auf den Dreh- und Angelpunkt in Palestrinas Leben und Schaffen. Unsere erste Station ist die Basilika S. Maria Maggiore. Im Chor dieser Kirche erhielt Palestrina im Alter von etwa 8 Jahren seine erste Gesangs- und Musikausbildung.

Der Legende nach erschien die Jungfrau Maria dem römischen Patrizier Johannes und Papst Liberius in der Nacht auf den 5. August 356 und beauftragte sie, ihr zu Ehren eine Kirche an der Stelle zu errichten, an der des Morgens Schnee liege. Tags darauf war der Esquilinhügel mit einer Schneedecke überzogen. An dieses Wunder wird jedes Jahr erinnert, indem auf die Gläubigen weiße Blütenblätter aus der Kassettendecke herabregnen. Tatsächlich hängt der Bau der Kirche mit einem kirchengeschichtlichen Ereignis zusammen: 431 wurde auf dem Konzil von Ephesus Maria als Mutter Gottes proklamiert. Einzigartig sind an den Seitenwänden die Mosaiken aus dieser Zeit.

Der Überlieferung nach ist das Gold der Kassettendecke das erste Gold, das aus Amerika nach Europa kam. Isabella und Ferdinand von Spanien hatten es Papst Alexander VI. geschenkt. Große Verehrung genießt das Gnadenbild Salus Populi Romani in der Cappella Paolina im linken Seitenschiff, eine Marienikone, die der Überlieferung nach der Apostel Lukas gemalt haben soll.

Das erste Dokument, das Palestrinas Namen erwähnt, ist ein Versorgungsvertrag zwischen dem Kapitel der Kirche S. Maria Maggiore und dem Kantor Giacomo Coppola aus dem Jahr 1537, in dem von einem „Ioannes de pelestrina“ als Sängerknabe die Rede ist. Die Knaben, die mit etwa sieben Jahren dem Chor beitraten, erhielten als Ausgleich für ihre Dienste im Chor von S. Maria Maggiore, der Cappella Liberiana, Unterkunft, Verpflegung, Kleidung und Ausbildung. Sie lernten Grammatik, Latein, Gregorianik und polyphonen Gesang, Kontrapunkt und Komposition. Gemeinsam mit hauptberuflichen Sängern taten sie hier in der Kirche täglich Dienst im Rahmen der Liturgie. Auch einige andere Kirchen Roms unterhielten solche cappelle, die renommierteste darunter war der Privatchor des Papstes, die Cappella Pontificia. In ihm sangen als einzigem Chor Roms keine Knaben. Die Sopran- und Altpartien wurden von Countertenören und ab der Mitte des 16. Jahrhunderts zunehmend von Kastraten übernommen. Diesem Chor gehörten die renommiertesten Musiker der Zeit als Sänger an, darunter Guillaume du Fay oder Josquin des Prez. Letzterer hatte von der Sängerkanzel der Sixtinischen Kapelle für Papst Alexander VI. Borgia gesungen und – dort heute noch zu sehen – seinen Namen in den Putz geritzt.

Die Kapellmeister der Stadt waren auch als Komponisten tätig und standen in der Tradition der sogenannten franko-flämischen Schule. Deren Vertreter hatten die vokale Mehrstimmigkeit (Polyphonie) aus Belgien, den Niederlanden und Frankreich nach Italien gebracht und hier durch landestypische Elemente (Madrigal, Falsobordone, Tanzformen) und örtliche Traditionen erweitert. Die Ideen der Renaissance und des Humanismus, dieser Übergangszeit vom Mittelalter zur Neuzeit, in der 1450 der Buchdruck erfunden, 1492 Amerika entdeckt oder 1517 durch Luther die Reformation eingeläutet worden war, wirkten sich auch auf die Musik aus. Ihre Kompositionsideale entstammen, ebenso wie die Ideale der Baukunst, theoretischen Überlegungen und idealisierenden Konstruktionen. Die Musik ist gekennzeichnet durch Ebenmaß, rationale Durchdringbarkeit und schließlich das Streben nach Vollkommenheit.

Wir verlassen S. Maria Maggiore in Richtung der Piazza della Repubblica. Hier steht eine recht eigenwillige Kirche: S. Maria degli Angeli. Ihre Entstehung ab 1561 hat Palestrina miterlebt. Sie führt eine Idee der Renaissance baulich vor Augen: die Zusammenführung von Heidentum und Christentum, die Rückbeziehung auf die antiken ebenmäßigen Formen und Ideale und – typisch für Rom – die bildhaft werdende Kontinuität der Kirche aus der Antike heraus. In den Mauern der Diokletiansthermen errichtete Michelangelo eine Kirche, indem er die bestehende Bausubstanz in ihrem antiken Erscheinungsbild mit ihren harmonischen Proportionen lediglich restaurierte. Im 18. Jahrhundert wurde sie so stark umgestaltet, dass von dem Eindruck, den ein Besucher zu Palestrinas Lebzeiten von der schlichten Kirche mit ihrem nackten Mauerwerk aus der Kaiserzeit hatte, kaum mehr etwas geblieben ist. In S. Maria degli Angeli sind heute zahlreiche Originalgemälde aus dem Petersdom zu sehen, die dort durch Kopien aus Mosaiksteinen ersetzt wurden, um sie vor der großen Feuchtigkeit in der Nähe des Tiber zu schützen.

1544 bekam Palestrina mit 18 Jahren dank seiner familiären Verbindungen einen unbefristeten und gut dotierten Vertrag für seine erste Stelle als Organist und Chorleiter an der Kathedrale S. Agapito in Palestrina und verließ Rom für sieben Jahre. Am 13. Dezember 1545 wurde in Trient das sogenannte Tridentinische Konzil eröffnet, das sich mit Luthers Ideen auseinandersetzte. Es sollte Reformen auch in der katholischen Kirche durchsetzen sowie die eigenen Positionen gegenüber den „neuen“, lutherischen Lehren schärfen und vereinheitlichen. Das Konzil tagte mit großen Unterbrechungen bis 1563. Im Bereich der Kirchenmusik sollte es Palestrinas Ruhm als Komponist geistlicher Werke für Jahrhunderte zementieren.

Über die Via XX Settembre geht es von der Kirche S. Maria degli Angeli den Quirinalshügel hinauf zur Piazza del Quirinale, auf der seit der Antike die Statuen der Dioskuren Castor und Pollux mit ihren Pferden stehen. Papst Gregor XIII. glaubte, der Aufenthalt hier oben sei in den Sommermonaten gesünder und die Luft besser als die „mal aria“ am Tiberufer im Vatikan, die so viele Fieberkranke hervorbrachte. Er ließ den Palast ab 1583 – als Palestrina mit 46 Jahren sein erstes Enkelkind bekam – im Stil der ausgehenden Renaissance errichten.

Hinter seinen Mauern birgt der Palast eine musikalische Kuriosität: die Fontana dell’organo im Nymphäum des Parks, eine Hydraulis bzw. Wasserorgel, deren Ursprünge aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammen. Ebenso wie die Nachahmung der Antike waren die Nachahmung und Idealisierung der Natur ein zentrales Anliegen der Renaissance. Bei der Wasserorgel des Quirinal ist dieses Prinzip bis ins kleinste Detail umgesetzt: in einer künstlichen und aufwändig geschmückten Grotte steht eine Orgel, die zum Klingen gebracht wird, indem Wasser eine Stiftwalze antreibt, die in der Art einer Spieluhr Töne auf einer Klaviatur anschlägt. Den Wind bekommt die Orgel ebenfalls durch eine wassergetriebene Mechanik. Mehrfach wurde das Instrument umgebaut und restauriert, im 19. Jahrhundert spielte man hier Walzen mit Kompositionen Verdis ab. Nach langer Pause ist sie seit 2002 wieder spielbereit.

Eine Papstwahl entschied über Palestrinas weiteres berufliches Schicksal: 1550 zog Giovanni Maria Ciocchi del Monte, der Bischof von Palestrina, als Julius III. in den Vatikan ein und berief „seinen“ Kirchenmusiker, inzwischen verheiratet und Vater, aus Palestrina zum Kapellmeister der Cappella Giulia. Dieser Chor war für die musikalische Gestaltung der Liturgie im Petersdom zuständig, war 1513 ins Leben gerufen worden und nach seinem Gründer Papst Julius II. della Rovere benannt. Daneben hatte dieser Papst die Schweizergarde als päpstliche Leibwache begründet, den Grundstein für den Neubau des Petersdoms gelegt und Michelangelo mit der Bemalung der Decke der Sixtinischen Kapelle beauftragt. Für sein Grabmal schuf Michelangelo die berühmte Mosesstatue, die heute in S. Pietro in Vincoli steht. Die Cappella Giulia war nach der Cappella Pontificia (später nach ihrem Wirkungsort auch Cappella Sistina genannt) die angesehenste Musikinstitution der Stadt.

Palestrina stand also bereits im Alter von etwa 25 Jahren an der Spitze einer der renommiertesten Kapellen Europas. Sein Aufgabenbereich umfasste die Auswahl sowie die Musik- und Gesangsausbildung der Sängerknaben, die künstlerische und organisatorische Leitung sowie die Auswahl der Solostimmen. Dazu wachte er über die chorische Disziplin, sorgte für Schreib- und Notenmaterial – und verfasste selbstverständlich eigene Musik.

Auf die Piazza del Quirinale leuchtet die Kuppel des Petersdoms zu uns herüber. Als Palestrina die Chorleiterstelle der Cappella Giulia annahm, bot sich von hier aus ein anderer Blick. Abgesehen davon, dass noch nicht einmal der Grundstein zu dem mächtigen Palast in unserem Rücken gelegt war, ging die Arbeit am Petersdom kaum voran. 1546 war Michelangelo im Alter von 71 Jahren die Bauleitung übertragen worden. Er warf den kompletten Bauplan um und ließ Teile des Neubaus von Raffael wieder einreißen, um seine eigenen Vorstellungen umzusetzen. Gegen allen Widerstand und viele Intrigen setzte er – auch dank der Unterstützung durch Julius III. – seine Ideen durch. Er wetterte über alle bisherigen Verzögerungen an der Baustelle: Sie sei ein zu großes Geschäft für alle Beteiligten, als dass ein Interesse daran bestünde, das Werk zu einem Abschluss zu bringen. Heemskercks Zeichnung zeigt diesen Zustand: Während im Zentrum die Vierung der neuen Kirche zu erkennen ist, stehen an den Seiten die Säulen, die das Hauptschiff der konstantinischen Basilika begrenzten. In der Mitte ist die provisorisch über dem Petrusgrab errichtete Kapelle zu erkennen.

Die Chorproben Palestrinas fanden im Ginnasio della Cappella Giulia an der linken Seite der alten Peterskirche statt. In diesem Gebäude, das sich vom Quirinal aus gesehen hinter der linken kleinen Kuppel des Doms befand, wohnte Palestrina mit seiner Familie.


Abb. 2: Marten van Heemskerck: Blick von Osten durch das Hauptschiff von St. Peter. Staatliche Museen, Berlin, 1535.

Julius III. war ein gebildeter Humanist und Liebhaber der Künste und förderte sie nach Kräften. Er beauftragte den renommierten Architekten Giorgio Vasari, zusammen mit Michelangelo die Sommerresidenz Villa Giulia außerhalb der Stadt zu errichten, in deren Gärten und Sälen in lauen Sommernächten eine cappella zur Unterhaltung spielen sollte; gut vorstellbar, dass auch Julius’ Protegé Palestrina hier als Musiker und Komponist weltlicher Musik beteiligt war.

Vom Quirinal aus führt die Via della Dataria zu einem weiteren Ort, an dem Palestrina tätig war: das Oratorio del Crocifisso an der Via dell’Umiltà bzw. die nahe gelegene Kirche S. Marcello al Corso. Der Vorgängerbau der heutigen Kirche San Marcello war 1519 von einem verheerenden Brand zerstört worden. Zwischen Asche und Ruinen fand man einzig ein hölzernes Kreuz aus dem 14. Jahrhundert unversehrt. Das Volk erkannte darin ein göttliches Zeichen, es bildete sich eine Gruppe von Gläubigen, die sich regelmäßig zur Andacht vor dem Kreuz traf und sich Compagnia bzw. Confraternità del SS. Crocifisso, Bruderschaft vom Heiligen Kreuz, nannte. Kurz darauf ebbte eine Pestepidemie ab, nachdem man mit dem Kreuz durch die Stadt gezogen war. Im Andenken daran veranstaltete die Bruderschaft eine jährliche Prozession, die sich mit den Jahren zu einem grandiosen Spektakel mit geschmückten Prunkwagen und unter Beteiligung der berühmtesten römischen Musiker ausweitete. 1552 nahm die Cappella Giulia unter Palestrinas Leitung daran teil.

Im Herbst 1551 betrat eine große Musikerpersönlichkeit die Stadt: der „belgische Orpheus“ Orlando di Lasso. Palestrina und Lasso, die sich wohl auch persönlich kannten, waren die letzten großen Vertreter des sogenannten A-cappella-Stils. Palestrinas Werken werden Begriffe wie Mäßigkeit, erhabene Gelassenheit, natürliche, makellose, überirdische Schönheit oder himmlische Lyrismen zugeordnet, während die Kompositionen Lassos als kontrastreich, genial, inspiriert und ausdrucksintensiv beschrieben werden. Von ihren Zeitgenossen wurden beide hoch geschätzt. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal ihrer Werke ist möglicherweise die Tatsache, dass Palestrina immer von einer gesungenen Aufführung ausging und seine Werke von der Sprache leben, während Lasso meist die Möglichkeit einer instrumentalen oder vokalen Darbietung offen ließ.

Anders als der „heimatverbundene“ Palestrina lernte Lasso schon früh verschiedene Regionen Europas kennen. 1532 in Mons in den Burgundischen Niederlanden geboren, trat er als Knabensopran in die Dienste Ferrante Gonzagas, des Vizekönigs von Sizilien. Mit ihm ging er im Alter von 12 Jahren nach Palermo und lernte auf der langen Reise die Volksmusik und Traditionen ganz Italiens kennen. Die umfassende Bildung seiner Umgebung sog er begierig auf und sprach schließlich fließend Deutsch, Italienisch, Französisch und Latein. 1553 wurde er Kapellmeister in S. Giovanni in Laterano, verließ Rom aber im Jahr darauf, um zu seinen sterbenden Eltern zurückzukehren. Durch Drucke seiner Werke wurde Herzog Albrecht V. von Bayern auf ihn aufmerksam. 1556 trat Lasso in die Dienste des bayerischen Hofes in München und blieb dort bis zu seinem Tod im Jahr 1594. Rom hatte er nochmals 1574 besucht. Im Jahr seines Todes widmete er Papst Clemens VIII. den Zyklus Lagrime di San Pietro mit 20 geistlichen Madrigalen und einer lateinischen Motette, der als sein bedeutendstes Werk und Höhepunkt der gesamten Madrigaltradition gilt. Eine durchgehende Rolle spielt die Zahl 7: Die einundzwanzig Stücke sind in drei Abschnitte zu je sieben Madrigalen geordnet, die gesamte Komposition ist – ungewöhnlich – siebenstimmig gehalten. Von den acht Kirchentonarten verwendet Lasso nur sieben. Die Zahl 7 steht für die Verbindung von Himmel (Dreieinigkeit) und Erde (Elemente), für die Vollkommenheit. Mit den Lagrime di San Pietro schuf Lasso vielleicht das Paradestück römischer Kirchenmusik der Gegenreformation, denn allein schon das geistliche Madrigal war typisches musikalisches Ausdrucksmittel dieser Bewegung. Der deutliche Petrus- und Papstbezug im Zusammenhang mit der Zahlensymbolik unterstützt diesen Eindruck.

Über die Piazza Venezia hinüber führt an der rechten Seite des Nationaldenkmals für Viktor Emanuel II. die Cordonata, die große Freitreppe, hinauf auf das Kapitol. Dieser Ort atmet ganz den Geist des 16. Jahrhunderts: War der Platz bisher gegen das Forum und damit das Zentrum des antiken Rom gewandt, so geht der Blick seit 1568 hinüber zum Vatikan, dem Zentrum der uneingeschränkten kirchlichen Macht der Renaissancepäpste.

Der Anblick des Petersdoms, der sich Palestrina in den 1550er Jahren von hier aus bot, war neu. Wie der Ausschnitt aus dem Stadtplan Roms von 1577 des französischen Künstlers Etienne Dupérac zeigt, war inzwischen die Südapsis der Kirche geschlossen worden und die Trommel, die später die große Kuppel tragen würde, ragte über den Pinien des Gianicolo ständig wachsend empor – Michelangelo hatte gegen alle Widerstände seinen eigenen Plan durchgesetzt. Allerdings wurde ihm für teures Geld minderwertiges Baumaterial geliefert, das dann nachts auch noch von der Baustelle gestohlen wurde. Um dies zu verhindern, blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als aus eigener Tasche Nachtwachen zu bezahlen.


Abb. 3: Etienne Dupérac: Plan der Stadt Rom von 1577. Kupferstich (Ausschnitt).

Der Senatorenpalast in unserem Rücken zeigte sich Palestrina noch als ein typisch mittelalterliches Gebäude, bei dem nur eine Freit reppe von der neuen Pracht kündete. Michelangelos Pläne für eine Neugestaltung wurden erst ab 1568 umgesetzt. Einzig das Reiterstandbild Marc Aurels hatte zu Palestrinas Zeit hier bereits seinen Platz gefunden, es war 1535 vom Lateran auf das Kapitol gebracht worden.

Von der kirchlichen Macht konnte Palestrina 1555 zum wiederholten Mal profitieren. Er hatte ein Jahr zuvor sein erstes selbstständiges Werk publiziert, eine Sammlung von Messvertonungen, die er seinem Gönner Papst Julius III. widmete. Auf dem Titelblatt ließ er sich kniend vor dem Papst abbilden, dem er gerade ein Exemplar seines Werkes überreicht. Die Huldigung blieb nicht ohne Wirkung: Julius III. ernannte ihn am 13. Januar 1555 zum Mitglied des päpstlichen Chores, ohne die vorgeschriebene Prüfung seiner musikalischen Fähigkeiten wenigstens pro forma durchführen zu lassen, und obwohl es keine Vakanz gab – ein Affront gegenüber den Mitgliedern der Kapelle. Was für Palestrina ein enormer beruflicher Erfolg war, brachte Nachteile mit sich: Die Sänger fühlten sich übergangen und es kam in den Folgejahren immer wieder zu Querelen und Unstimmigkeiten.

Was die Qualität des Chores angeht, so sind die Meinungen allerdings gespalten: Manche Romreisende berichteten ganz euphorisch über dessen Auftritte, es existieren aber auch interne Listen, in denen über ein Drittel der Sänger als unqualifiziert und ihre Stimme als hässlich bezeichnet wird. Dass man – wie Palestrina – durch Protektion in den Chor kam, war eben keine Seltenheit.

Nach dem Tod Julius III. wurde Marcello Cervini als Marcellus II. zum Papst gewählt. Er hatte sich vorgenommen, größeres Augenmerk auf den Zustand der Kirchenmusik zu legen, starb jedoch bereits nach wenigen Wochen. Paul IV. Caraffa folgte ihm auf den Thron. Er versuchte, strenge Reformen in der Kirche durchzusetzen. Unter anderem erließ er ein Dekret, das vorschrieb, dass in der päpstlichen Kapelle nur unverheiratete Sänger tätig sein dürften, die dann auch die niedrigen Weihen empfangen und liturgische Funktionen übernehmen könnten. Drei Sänger, unter ihnen Palestrina, mussten deshalb die päpstliche Kapelle verlassen – mit immerhin zwei Dritteln ihres bisherigen Verdienstes als Pension. Palestrina nahm bald danach eine Anstellung als Kapellmeister in S. Giovanni in Laterano an. Diese extra für ihn neu geschaffene Position bei dem erst 1535 gegründeten Chor war zwar nicht so renommiert wie die bisherige Stellung, sie sicherte ihm und seiner Familie aber weiter ein gutes Auskommen.

Vom Kapitolinischen Hügel aus führt unser Weg durch das heute sehr malerische ehemalige Ghetto, das bis 1870 Bestand hatte. Lassen wir uns durch die verwinkelten Gassen im Norden der Synagoge ein wenig treiben. Die Errichtung des Ghettos in Rom geht ebenfalls auf Papst Paul IV. zurück. Er erließ 1555 diskriminierende und restriktive Vorschriften gegen die jüdische Bevölkerung und errichtete das Ghetto mit nur einer Zugangsmöglichkeit in einer stark von Überschwemmungen des Tiber bedrohten Gegend. Außerdem befahl er den Juden in Rom, stets eine gelbe Kopfbedeckung zu tragen.

Vier Jahre später starb Paul IV. unter großem Beifall der gesamten römischen Bevölkerung, die sein Standbild zerkratzte, köpfte und im Tiber „ertränkte“. Sein Nachfolger Pius IV. Medici nahm die seit zehn Jahren unterbrochenen Konzilsverhandlungen in Trient wieder auf und ernannte seinen Neffen Carlo Borromeo zum Geheimsekretär, der eine treibende Kraft bei der Weiterentwicklung des Konzils und wichtiger Vertreter der Gegenreformation wurde.

Am 17. Juli 1560 erschien Palestrina „völlig unvermittelt“ – wie in den Akten vermerkt ist – vor dem Kapitel von S. Maria Maggiore und bat um ein musikalisches Amt. Seine Stellung als Kapellmeister der Lateransbasilika hatte er im Streit um die für die Kirchenmusik zur Verfügung stehenden Mittel nach viereinhalb Jahren entnervt aufgegeben. Er übernahm die Leitung der Cappella Liberiana, in der er als Knabe selbst gesungen hatte, und zog in eine Dienstwohnung an der Piazza S. Maria Maggiore. Diese Begebenheit unterstreicht Palestrinas Wertschätzung und unangefochtene Stellung im Musikleben Roms – jede Institution schien ihm offenzustehen.

Beim Bummeln durch die kleinen Gassen des Ghettos stößt man fast unweigerlich auf die Via dei Funari. Sie endet an der kleinen Piazza Mattei, auf der einer der reizendsten Renaissancebrunnen Roms steht: die kleine Fontana delle Tartarughe, der Schildkrötenbrunnen. Im Zuge der Erneuerung der antiken Wasserversorgung wurde er bis 1588 gebaut, die namensgebenden Schildkröten von Gianlorenzo Bernini kamen erst 1658 hinzu. Er ist so schön, dass man in Rom zu berichten weiß: Graf Mattei ließ den Brunnen in einer einzigen Nacht vor dem Fenster seines Palastes erbauen, um seinen Schwiegervater in spe zu beeindrucken und die Hand von dessen Tochter zu gewinnen. Der Plan hatte Erfolg, der Schwiegervater war nach dem Aufstehen überwältigt und die Hochzeit fand statt. Damit aber niemals mehr ein anderer Mensch diesen Anblick ausnutzen konnte, ließ der Graf das entsprechende Fenster zumauern. So ist es heute noch zu sehen. Und der Römer kommentiert diese Geschichte dann augenzwinkernd mit einem Se non è vero, è ben trovato – „Wenn’s nicht wahr ist, so ist es zumindest gut erfunden“.

1562 wurde zum Entscheidungsjahr für die Geschichte der katholischen Kirchenmusik. Die Kirche musste sich mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die Kompositionen und Aufführungsbedingungen mehr und mehr an Natürlichkeit verloren hatten. Zu sehr war die Selbstdarstellung der Künstler und Komponisten in den Vordergrund getreten, liturgische Texte gingen in einem kunstvollen und künstlichen Gewebe der Stimmen fast völlig unter. Dies wurde verstärkt durch die Improvisationen bei der Ausführung der Stücke. Die Sänger konnten frei über die vorgegebenen Stimmen verfügen, und zwar ein jeder für sich. Manchen kirchlichen Würdenträgern bereitete noch eine weitere Praxis Unbehagen. Sie sorgten sich um das geistliche Wohl und die Moral der Gläubigen, denn ein überaus beliebtes Kompositionsschema war es, ein Stück über eine bekannte Chanson zu schreiben. Dabei wob man die Melodien dieser weltlichen Lieder, oft Liebeslieder, als sogenannten Cantus Firmus kunstvoll in die Komposition mit ein. So entstanden zahlreiche Messvertonungen mit Titeln wie In der schattigen Kühle des Haines, Seit ich meine Geliebte verlor oder Der Rittersmann.

Ursprünglich hatte das Konzil geplant, die Musik völlig zurückzuführen und ausschließlich den gregorianischen Gesang als der Liturgie würdig zu erlauben. Einige Kardinäle wollten allerdings nicht ganz auf die kunstvollen mehrstimmigen Werke im Gottesdienst verzichten. Sie bemühten sich nachzuweisen, dass diese sehr wohl für den liturgischen Gebrauch geeignet, der Würde des Geschehens angemessen, deren Text verständlich und die Musik den Worten entsprechend seien. Auf der Suche nach einem mustergültigen Beispiel geriet Palestrinas Messe Benedicta es in den Blick. Man gab bei ihm eine weitere Komposition in Auftrag, die den Konzilsvätern zur Prüfung vorgelegt werden sollte. Es entstand die sogenannte Missa Papae Marcelli, die durch ihren geschickten Umgang mit der Sprache und ihre Sanglichkeit auf große Zustimmung stieß und zum Prüfstein jeder weiteren Kirchenmusik werden sollte.

Bestimmten bis in die Mitte des 16. Jahrhunderts noch eher progressive niederländische Komponisten das Repertoire der Kapellen Roms, so strebte man nun mehr und mehr danach, „eigene“, in der Tradition der Kirche und des Papsttums stehende römische Komponisten zu fördern. Palestrina war gerade der römischste unter ihnen, da er die Stadt und ihr Umland nie verlassen hatte. Er schrieb zwar prinzipiell in der Tradition seiner frankoflämischen Vorgänger wie Guillaume du Fay (1428–1433 in Rom) oder Josquin des Prez (1489–1498 in Rom) und verschloss sich aktuellen Einflüssen nicht, vermied aber Manierismen sowie avantgardistische und extrovertierte Elemente. Durch seine „italienische“ Art der vocalità und seine an der Sprache orientierte Kompositionsweise kam er von Anfang an den Konzilsforderungen nach Klarheit und Textverständlichkeit entgegen, sodass es nicht verwundert, dass seine Werke auf so große Zustimmung stießen.

Gegner und Befürworter konnten sich beim Konzil auf keinen gemeinsamen Beschluss zur Praxis der Kirchenmusik einigen. Es wurde als Endergebnis der Verhandlungen nur die Empfehlung ausgesprochen, dass in jedem Bistum ein Gremium dem Bischof einen Vorschlag zur musikalischen Gestaltung der Gottesdienste vorzulegen habe. Pius IV. beauftragte daraufhin Carlo Borromeo, in Rom dafür zu sorgen, dass im Gottesdienst keine Musik mit liturgiefremden Worten zur Aufführung komme.

Ebenfalls im Zuge der Konzilsbeschlüsse wurde 1565 das Seminario Romano eröffnet, um eine bessere und einheitliche Ausbildung der Priester zu ermöglichen, neben dem bereits seit 1551 bestehenden Collegio Romano, das die Ausbildung der Jesuiten sicherstellte. Die beiden Institute in der Via del Gesù, gegenüber der gleichnamigen Kirche gelegen, standen in regem Austausch. Palestrina, der als der berühmteste Musiker der Region galt, gab sein Amt in S. Maria Maggiore wieder auf und wurde im Seminario Romano als Kapellmeister zur musikalischen Ausbildung junger Priester engagiert.

Am 6. Juni 1565 verlieh Papst Pius IV. Palestrina schließlich den Titel ‚Modulator Pontificus‘, Komponist der päpstlichen Kapelle, mit den entsprechenden Bezügen. Im Jahr darauf wurden die beiden älteren Söhne Palestrinas, Rodolfo und Angelo, in das Seminario Romano aufgenommen und erhielten eine fünfjährige grundlegende Ausbildung in Logik, Philosophie, Latein, Griechisch und Musik.

Ein Jahr danach zog Palestrina in ein Haus in der Via dei Giubbonari, in der die Seidenhändler und die Westen- und Miederschneider (giubbonari) ansässig waren. Sie verlängert von der Piazza Mattei aus die Via dei Falegnami. Er wohnte gegenüber der kleinen Kirche S. Barbara dei Librai oder alla Regola mit dem schönen Triptichon von 1453, die sich heute im Gewand des 17. Jahrhunderts präsentiert.

1571 wurde die Stelle des Kapellmeisters der Cappella Giulia frei und Palestrina konnte endlich wieder im Petersdom arbeiten, in der höchsten Position, die ein verheirateter Musiker in Rom erreichen konnte.

1572 bestieg Gregor XIII. den Papstthron. Mit seinen 70 Jahren traute man ihm keine großen Taten mehr zu, doch er wurde zu einem der wichtigsten Päpste der Neuzeit, nicht nur wegen der Einführung des nach ihm benannten Gregorianischen Kalenders, sondern insbesondere durch seine Leistungen zur Erneuerung der Kirche gemäß den Entscheidungen des Konzils von Trient. Er beauftragte in diesem Zusammenhang Palestrina, dem er sehr gewogen war, mit der Überarbeitung und Vereinheitlichung des gregorianischen Chorals.

Am 20. November 1572 starb Palestrinas erstgeborener Sohn Rodolfo im Alter von 23 Jahren. Sein zweiter Sohn Angelo heiratete im Jahr darauf die Nachbarstochter aus der Via dei Giubbonari, verstarb aber ebenfalls früh im Jahr 1575 während einer Grippeepidemie und wurde in der Cappella Nova des Petersdoms an der Seite seines Bruders beigesetzt.

Wir folgen auf unserem Weg weiteren wichtigen architektonischen Zeugen aus der Renaissancezeit. Gegenüber von S. Barbara dei Librai führen die Via dell’Arco del Monte und die Via dei Pettinari zum Tiber hinunter. Dort gibt die Piazza S. Vincenzo Pallotti den Blick in eine der wichtigsten Straßenachsen der Renaissance frei: die Via Giulia, die auf jeden Fall einen Abstecher lohnt. Sie wurde 1508 von Julius II. in Auftrag gegeben, der im Zuge der Neugestaltung der im Verfall begriffenen mittelalterlichen Stadt eine neue Straßenachse im Zentrum Roms anlegen wollte. Von Bramante geplant, aber nicht ganz fertiggestellt, wurde sie Anziehungspunkt für Geschäftsleute und Bankiers und ist heute eine der malerischen Straßen der Stadt. Der elegante Brückenbogen am Eingang der Straße ist Zeugnis eines gewagten Entwurfs Michelangelos, der 1540 den Palazzo Farnese mit den dazugehörigen Gärten auf der anderen Tiberseite verbinden wollte. Der Plan wurde nicht vollendet, sodass die Ponte Sisto von 1475 der einzige Brückenschlag über den Tiber zwischen dem Ende des römischen Reiches und dem 19. Jahrhundert blieb. Auf ihr überqueren wir nun den Fluss.

Die Villa Farnesina wurde ab 1506 von Baldassarre Peruzzi erbaut und stellt das Musterbeispiel einer Renaissancevilla dar. Ihr hufeisenförmiger Grundriss öffnet sich zum Garten und verbindet Natur und Architektur nach dem Idealbild des antiken Baumeisters Vitruv. Immer wieder wurden ihre Formen zitiert und kopiert. Ihr Inneres ist mit außergewöhnlich prächtigen Freskenzyklen der renommiertesten Maler der Zeit ausgestaltet. Kurz nach der Fertigstellung wüteten 1527 während des Sacco di Roma die Landsknechte in der Villa. Deren Vandalismus ist heute noch als Graffiti im Putz der Fresken zu sehen.

An der Villa Farnesina führt die Via della Lungara vorbei, das Pendant zur Via Giulia auf dieser Tiberseite, deren malerisches Straßenbild durch die Errichtung der Hochwasserverbauung des Lungotevere zum Teil zerstört wurde. Von hier aus steigen wir die Via Garibaldi hinauf auf den Gianicolo, der uns neue Ausblicke über die Stadt eröffnet. Der Weg führt vorbei am Tor des Bosco Parrasio, Treffpunkt der Accademia dell’Arcadia, und weiter zur Kirche S. Pietro in Montorio. In deren Innenhof steht das Musterstück aller Renaissancebaukunst: der Tempietto von Bramante, eine kleine Kapelle zu Ehren des Hl. Petrus, der der Legende nach an dieser Stelle gekreuzigt worden war.

Die Verehrung der klassischen antiken Architektur, die Natürlichkeit, ideale Proportionen und das Streben nach perfekter Harmonie sind in diesem kleinen Bauwerk vereint. Bramante entwarf es nach dem Modell eines kleinen Rundtempels, das Vitruv beschrieben hatte. Der Zentralbau wird von einer halbkugelförmigen Kuppel überwölbt – ganz so wie Bramante es für seinen Entwurf des Neubaus der Peterskirche vorgesehen hatte. Alle Teile des Baues stehen untereinander und zum gesamten Gebäude in geometrischen Verhältnissen. Die gleichmäßige Anordnung um ein Zentrum herum sollte die göttliche Wahrheit und den Kosmos symbolisieren. Durch die architektonische Übereinstimmung des Tempietto und Bramantes Entwurf zum Petersdom – Kuppelform und Zentralbau – war auch eine Beziehung von der Hinrichtungsstätte des Petrus zu seinem Grab mitangelegt.

Von der Passeggiata del Gianicolo aus geht der Blick wieder hinüber zum Vatikan und zur mächtigen Kuppel von St. Peter. Hier, wo der Lärm der Stadt nur gedämpft heraufdringt und täglich ein Kanonenschuss die Mittagszeit kündet, ist der geeignete Ort, Palestrinas Biografie weiter zu verfolgen.

Nach dem Tod von Giovanni Animuccia wurde er also wieder Kapellmeister der Cappella Giulia im Petersdom. Er verlegte seinen Wohnort in die Nähe der Kathedrale. Doch seine Arbeitsstelle war weiterhin eine Baustelle: Michelangelo war bereits 1564 gestorben, seine Nachfolger hatten weiter gebaut und dabei die Pläne wieder modifiziert. Das Querschiff war fertig gestellt, der trommelförmige Tambour der großen Kuppel ragte wie ein Stumpf in den Himmel – Michelangelos gewagter Entwurf einer Halbkugel als Kuppel konnte aus statischen Gründen nicht verwirklicht werden, die Umarbeitungen liefen auf Hochtouren. Sicherlich blieb niemand von den Dimensionen und der architektonischen Leistung selbst dieses unvollendeten Neubaus unbeeindruckt.

1580 und 1581 überschlugen sich die Ereignisse in Palestrinas Leben. Seine Handlungen und Entscheidungen erscheinen impulsiv und unüberlegt – sofern man ihm nicht ein kaltherziges Taktieren unterstellen möchte. Am 22. August 1580 verstarb seine Frau Lucrezia bei einer Grippeepidemie, der in Rom mehr als 10.000 Menschen zum Opfer fielen. Drei Monate später entschied er sich, nunmehr wieder unverheiratet, in den geistlichen Stand einzutreten. Er reichte bei Gregor XIII. ein Gesuch ein, als Kleriker die niederen Weihen zu empfangen. Die entsprechende Zeremonie fand am 7. Dezember in S. Silvestro auf dem Quirinal statt. Am 18. Januar 1581 wurde er zum Benefiziaten der Kathedrale von Ferentino, einer alten Bischofsstadt in Latium, ernannt – ein Amt, das ihm ohne jedwede Verpflichtung ein zusätzliches Gehalt einbrachte. Der geistliche Stand bot ihm außerdem den Vorteil, dass er nun prinzipiell wieder die Möglichkeit hatte, die Leitung des päpstlichen Chores zu übernehmen.

Doch es kam völlig anders. Am 24. Februar wurde überraschend ein Aufgebot bestellt, einen Monat später, am 28. März, heiratete er Virginia Dormoli, die sehr vermögende Witwe eines päpstlichen Pelzhändlers mit florierendem Unternehmen. Die Feier fand – dezent – in deren Privathaus am Immagine di Ponte in der Via dei Coronari statt. Hatte diese Heirat ihm mehr finanzielle Vorteile versprochen als das geistliche Amt und die Aussicht auf eine Stellung in der Cappella Pontificia oder hatte er die Liebe seines Lebens gefunden? Die Quellen schweigen sich darüber aus.

Wir steigen den Gianicolo hinab in Richtung Vatikan. Am Borgo Santo Spirito steht die Friesenkirche, der hochmittelalterliche Bau der Kirche Santi Michele e Magno oder San Michele de Palazzillo. Auch diese war ein Ort, an dem Palestrina mit der Cappella Giulia wirkte – nur ein Katzensprung von den Kolonnaden Berninis am Petersplatz entfernt.

In den 1580er Jahren erlebten die Bruderschaften der Stadt, die Confraternità, einen großen Aufschwung. Diese hatten zunächst einen religiösen Hintergrund und übernahmen ursprünglich soziale und karitative Aufgaben. Im Laufe der Zeit jedoch entwickelten sie sich zu Zusammenschlüssen, um berufsständische Interessen zu vertreten und junge Mitglieder auszubilden. 1584 schlossen sich die Musiker in der Vertuosa compagnia dei musici zusammen, aus der die heutige Accademia Nazionale di Santa Cecilia hervorging.

Um 1585 entstand im Kontext der Vertuosa compagnia ein Kuriosum der Musikgeschichte: die Missa Cantantibus Organis Caecilia, eine zwölfstimmige Messe zu Ehren Caecilias, der Patronin der Kirchenmusik, als Gemeinschaftsarbeit von sieben bedeutenden maestri, mit Palestrina, dem berühmtesten Komponisten der Stadt und des Erdkreises, im Zentrum. Die Messe gründet auf seiner gleichnamigen Motette, auf deren Themen sich die Komponisten beziehen und aus denen heraus sie ihre neuen Werke entwickeln. Palestrina selbst setzte den Beginn des Gloria in Musik, die anderen Teile stammen von seinen heute in Vergessenheit geratenen Schülern und Kollegen.

1585 starb Gregor XIII. und Sixtus V. bestieg den Stuhl Petri. Er hatte sich die Erneuerung von Stadt, Kirche und Gesellschaft in finanzieller und moralischer Hinsicht zum Ziel gesetzt. Während seines Pontifikats veränderte die Stadt nachhaltig ihr Gesicht. Neben der Anlage neuer Straßenzüge und zahlreichen Modernisierungsprojekten drängte er auf eine rasche Weiterführung der Arbeiten am Petersdom.

Die verschiedenen Schachzüge, die Palestrina in den letzten Jahren auch zu Ungunsten seiner Kollegen unternommen hatte, um sich selbst den größtmöglichen beruflichen und finanziellen Erfolg zu sichern, rächten sich nun: Es kam zu einem offen ausgetragenen Kompetenzstreit zwischen ihm und dem Kapellmeister des päpstlichen Chores. Als Folge des sich aufschaukelnden Konflikts, bei dem Palestrina offen vorgeworfen wurde, zu intrigieren, mussten mehrere Sänger ihren Dienst quittieren. Der Papst selbst stellte die Ordnung im Chor wieder her. Zwar hätte er gerne Palestrina auf dem Posten des Chorleiters gesehen, konnte jedoch das Gebot, dass der Chorleiter Kleriker sein müsse, nicht umgehen. Dieser blieb also weiterhin Komponist der Cappella Pontificia und Leiter der Cappella Giulia.

Eine weitere Baugrube tat sich auf, diesmal direkt vor der Haustür Palestrinas an der Südseite der Peterskirche: Sixtus V. hatte den Architekten Domenico Fontana mit der Aufgabe betraut, den Obelisken aus dem Zirkus des Nero auf dem Petersplatz aufzurichten. Dieser stand, seit er 37 n. Chr. von Kaiser Caligula aus Ägypten nach Rom gebracht worden war, auf der Spina, der Trennmauer der Rennbahn im Zirkusstadion. Im Laufe der Geschichte waren um ihn herum über dem Zirkus die alte konstantinische Peterskirche und einige Häuser gebaut worden.

Sixtus V. wollte ihn nun im Zentrum des Platzes haben. Am 10. September 1586 wurde die festliche Aufstellung gefeiert, eine architektonische Meisterleistung, von der eine detaillierte Beschreibung durch Fontana existiert: Der über 25 Meter hohe und 500 Tonnen schwere Monolith wurde von 800 Männern und 140 Pferden – ohne zu zerbrechen – transportiert und aufgerichtet. Unter den vielen Einzelheiten der Feierlichkeit beschreibt Fontana auch die musikalischen Momente des Festes, mit dem Gesang von Hymnen und des Te Deum durch die Cappella Giulia. Zur Aufstellung des Obelisken, der als Zeichen des Sieges des Christentums gegen die Heiden mit einem Kreuz bekrönt worden war, erklang Palestrinas Komposition O crux ave.

Die Festgemeinde blickte vom Petersplatz aus immer noch auf eine Großbaustelle hinter dem Obelisken. Nach wie vor stand der zum Platz geöffnete Rohbau des neuen Petersdoms den Resten des Langhauses von Alt-St. Peter gegenüber, die Fassade der alten Kirche milderte den unfertigen Eindruck. Sixtus V. ließ nun die Zahl der Arbeiter vervierfachen und so wurde 1590 in einem ununterbrochenen Schichtdienst die Kuppel des Petersdoms unter der Leitung von Giacomo della Porta vollendet.

Das letzte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts war von einem schnellen Wechsel an der Spitze der Kurie gekennzeichnet. 1590 starb Sixtus V. Sein Nachfolger Urban VII. verschied schon nach dreizehn Tagen im Amt. Ihm folgte für wenige Monate Gregor XIV., den die Pest dahinraffte. Dessen Nachfolger Innozenz IX. regierte wiederum nur knapp zwei Monate und Clemens VIII., dem Lasso seine Lagrime di San Pietro gewidmet hatte, folgte ihm auf den Papstthron. Diese rasche Folge verschiedener Päpste brachte auch eine große Unsicherheit unter den Kulturschaffenden mit sich, da jeder Papst neue Akzente im Bereich der Politik, Verwaltung, Religion und Kunst setzte. Palestrina zog in Erwägung, seine Stellung in Rom aufzugeben und die Stadt seiner Kindheit zu seinem Alterssitz zu machen, blieb dann aber doch in Rom und widmete sich der Drucklegung seiner Werke, die viel Zeit und Geld verschlang. Am 18. November 1593, drei Monate vor seinem Tod, dirigierte er nochmals die Cappella Giulia zu einem besonderen Ereignis: der Aufrichtung des großen Bronzekreuzes über der Peterskuppel. Iginio, der letzte Sohn, der ihm geblieben war, ging ihm bei der Herausgabe seiner Werke zur Hand. Doch noch während dieser Arbeit starb Palestrina am 2. Februar 1594. Er hinterließ Iginio dieses unvollendete Projekt.

Auch die Fertigstellung des Petersdoms zog sich hin. Erst ab 1606 wurden die Reste der alten Basilika endgültig abgetragen und das Langhaus des neuen Doms hochgezogen. Bei diesen Arbeiten ging um 1615 im Zuge der Errichtung der Chorkapelle das Grab der Familie Palestrina verloren.

Palestrina auf seine Musik zu beschränken, würde zu kurz greifen. Mag es auch nur wenige schriftliche Zeugnisse über sein Privatleben geben, zu seinem Leben als Geschäftsmann finden sich einige Hinweise. Sie zeichnen das Bild eines Mannes, der sehr genau wusste, was er erreichen wollte und wie er dies zu seinem wirtschaftlichen Vorteil nutzen konnte. Er investierte nicht nur die Mitgift, die ihm die Heirat seiner Söhne brachte, in zahlreiche Immobilien in Rom und Palestrina, deren Überschüsse ihm eine willkommene Finanzierungsmöglichkeit kostspieliger Drucke seiner Werke brachte. Weitere Einkünfte erzielte er, indem er den Wein seiner Güter in Palestrina an die Geistlichkeit im Lateran verkaufte, später eine eigene Weinhandlung gründete und sich im gewinnbringenden Pelzwarengeschäft seiner zweiten Frau engagierte. Auch politisch war er tätig. 1584 wurden er und sein Sohn Iginio Stadträte und Vertreter des Stadtteils Trastevere am Kapitol.

Wegen der hohen finanziellen Gewinne neben seiner Arbeit als Musiker war es ihm nicht möglich, zu realistischen Konditionen Stellenangebote aus Wien oder Mantua anzunehmen – seine Nebeneinnahmen wären weggebrochen und hätten kompensiert werden müssen, Ortswechsel scheiterten daher an seinen unbezahlbaren Gehaltsforderungen.

Bis heute ist seine Musik geblieben. Sie wurde Teil eines Repertoires, das die Jahrhunderte hindurch immer wieder zur Aufführung kam. Dies geschah zum ersten Mal in der Musikgeschichte und hatte verschiedene Gründe: zum einen natürlich sein Talent, die Beherrschung des kompositorischen Handwerks und ein Schreibstil, der nicht ausschließlich der Mode der Zeit folgte, zum anderen schuf er Werke, die der Musizierpraxis entgegenkamen und auch außerhalb Roms aufführbar waren. Er wurde aber auch eine feste Größe in der Musik, weil er während des großen kulturellen und religiösen Umbruchs im Europa der Renaissance der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.

Viele Komponisten ließen sich in den folgenden Jahrhunderten von seinen Werken inspirieren, darunter Bach, der um 1740 in Leipzig die Missa sine nomine von 1590 in einer eigenen Bearbeitung aufführte, oder Beethoven, der das Et resurrexit seiner Missa solemnis im Stile Palestrinas schrieb. Anleihen nahmen auch Wagner in seinem Parsifal, Liszt im Oratorium Christus, Verdi im Stabat mater und Pfitzner, der mit Palestrina dem „Retter der Kirchenmusik“ eine abendfüllende Oper widmete. Victor Hugo dichtete eine überschwängliche Hymne auf ihn, in der es heißt:

„Gewalt’ger Palestrina, alter Meister,

Dich grüß’ ich, hoher Genius, du Vater

Der Harmonie! Denn wie ein großer Fluß,

Aus dem die Menschen trinken, ist all diese

Musik zu uns durch Deine Hand gerieselt.

Gluck und Beethoven, Bäume, unter denen

So schön sich’s träumt, sie sind an Deiner Quelle

Gewachsen und ihr Saft ist ihr entsprungen …

Wo hat der junge Mann, der Sohn der blonden

Italia, diesen großen, weiten Geist

Wohl her, gefüllt und reich zum Ueberschäumen?

Wie ist aus ihm, durch einen Zauberhauch,

Durch Arbeit oder Offenbarung, dieser

Titan geworden, dieser Gott, der Alles

Bewegt …

Auf den des Menschenherzens bess’re Hälfte

Sich stützt? – Wo kommt ihm diese Stimme her,

Die auf den Knie’n man hört? Woher der Strom

Des Geistes, den er über uns ergießt?“

Vielleicht waren gerade der Verzicht auf einen ausgeprägten „persönlichen Stil“ und die Befolgung aller kunsthandwerklichen Regeln der Komposition ohne Kompromisse das Erfolgsrezept Palestrinas: Seine Musik ist abstrakt, zeitlos, absolut – Musik der Renaissance in Vollendung.

Hörempfehlungen

Lasso: Lagrime di San Pietro. Capella Ducale Venetia, Picotti (CPO, 2000) Palestrina: Missa Papae Marcelli. The Tallis Scholars, Phillips (Gimell, 2001)

Palestrina u.a.: Missa Cantantibus Organis. The Cardinall’s Musick, Carwood (Hyperion, 2011)

Rom

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