Читать книгу Das Erbe der Macht - Band 23: Engelsfall - Andreas Suchanek - Страница 11
ОглавлениеIch erinnere mich.« Rakun schritt zwischen den Trümmerstücken umher.
Kenon saß auf einem Stein und überblickte die Ebene. Die Ausläufer der Stadt waren zerstört, der Rest jedoch erhalten.
»Erzähl es uns«, bat Shairi.
Die anderen waren in den Höhlen zurückgeblieben.
»Die Kinder des Himmels«, erläuterte Rakun, wobei er seinen beachtlichen Bart zwirbelte, »waren eines der zuverlässigsten Völker im Kampf gegen den Anbeginn. Vermutlich war das der Grund, weshalb die Horden einen Weg in dieses Reich fanden, angezogen von der Reinheit des Essenzkerns.«
Der Rest der Welt hatte den Anbeginn durch den Wall längst vergessen, lediglich die dunklen Artefakte waren noch überall verstreut und erinnerten an den vergangenen Schrecken. Obgleich ohne Details.
Nur wenige Magier in Iria Kon besaßen das Wissen über jene Zeit. Rakun als einer der Wissenswahrer gehörte ebenso dazu wie Shairi als Grenzgängerin zwischen den Reichen und Kenon, der als Springer grundsätzlich über alles informiert war, musste er doch in jeder Situation einen kühlen Kopf bewahren.
»Die Kinder des Himmels rechneten nicht damit, in ihrem eigenen Reich attackiert zu werden. Ihre fliegenden Städte boten weite Angriffsflächen.«
Bei den Worten des Weisen überfiel Shairi ein Schauer. Wie schrecklich musste es sein, wenn die Stadt, in der man sich gerade aufhielt, zu Boden krachte.
»Wie viele davon gab es?«, fragte Kenon
»Die sieben Städte der El-O-Hym«, erwiderte Rakun. »Zahlreiche Kämpfer sprachen von Hybris, als sie die Magie verankerten und mit dem Kern des Reiches verbanden.«
»Sie besaßen Flügel.« Shairi erinnerte sich an einen der Texte, den sie kurz überflogen hatte. Das Volk der Lüfte hatte auf einer Zeichnung wie Engel aus den religiösen Schriften der Nimags gewirkt.
»Die Strahlung des Essenzkerns hat sie verändert. Ich fürchte, auch uns wird das passieren.« Rakun schüttelte betrübt den Kopf.
»Warum ist das schlimm?«, fragte Kenon. »Wäre es nicht toll, wenn wir über den Boden dieser Welt gleiten könnten?«
Der Berater und Freund warf dem jüngeren Mann einen mitleidigen Blick zu. »Reicht es nicht, diesen Ort des Todes zu betrachten?« Er machte eine allumfassende Geste, die die Trümmerstadt mit einschloss. »Der Mensch – ob Magier oder Nimag – ist nicht dazu bestimmt, sich über den Erdboden zu erheben. Zumindest nicht über kurze Zauber hinaus.«
»Sollen wir stattdessen in den Höhlen hausen und brachliegenden Boden bewirtschaften?«
»Einstweilen ist es uns nicht gegeben, eine Entscheidung zu treffen.« Shairi versuchte, zwischen den beiden zu schlichten, wie sie es immer tat. »Das hier sind Trümmer, nicht mehr.«
»Aber es gab sieben.« Kenon war nicht bereit, aufzugeben. »Und ich werde jede von ihnen finden.«
Mit einem Plopp strömte die Luft an jene Stelle, an der er eben noch gestanden hatte.
»Ihr solltet nicht immer wieder streiten«, bat Shairi. »Wir sind aufeinander angewiesen, wenn wir überleben wollen.«
»Dein junger Freund sieht die kommende Zeit in leuchtenden Farben, will sich in die Lüfte erheben und die gleiche Hybris begehen, wie es die El-O-Hym taten.«
»Und was willst du? Das Siegel brechen? Der einzige Weg zurück würde das fragile Gleichgewicht ins Wanken bringen. Der Wall mag den Anbeginn ins Vergessen getrieben haben, doch wir alle müssen dafür kämpfen, dass es so bleibt. Falls irgendwo auf dieser Welt Reste vom Anbeginn zurückgeblieben sind, dürfen sie niemals wiederkehren.«
»Und genau deshalb sollten wir die Höhlen ausbauen.« Rakun nahm Shairis Hand in seine eigene. »Du hast uns alle gerettet, dein Wort hat Gewicht. Überzeuge die anderen mit mir.«
Sie zog ihre Hand zurück. »Erst, wenn wir uns einen Überblick verschafft haben.«
»Dann bleibt mir nur zu hoffen, dass Kenon seinen lächerlichen Plan aufgibt. Dieses Reich mag nicht allzu groß sein, doch die Städte waren weit im Himmel verteilt.«
Sie nickte nur, zweifelte jedoch. Shairi kannte Kenon zu gut. Wenn sich der Springer einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, hielt er unabänderlich an seinem Plan fest. Das würde auch dieses Mal nicht anders sein.
Gemeinsam mit Rakun machte sie sich auf den Rückweg. Die Trümmer der Stadt lagen in erreichbarer Fußweite. Kenon suchte längst den Himmel ab, sprang über weite Strecken und verband dies mit Flugzaubern.
Sie erreichten die Höhlen, wo ein Teil der Magier bereits in Rakuns Sinne tätig war und Stollen in den Untergrund trieb. Wasser wurde umgeleitet, aus abgestorbenem Holz wurden Brücken auf Pfählen errichtet. Elementtransformationen erzeugten fehlende Materialien.
Die Stadt unter der Erde wuchs bereits.
Kenon blieb verschwunden.
Aus einem Tag wurden zwei und schließlich drei. Shairi wollte eine Suchmannschaft zusammenstellen, da sie sich zunehmend Sorgen machte.
Mitten im Schlaf wurde sie von einem Plopp geweckt.
»Pst«, zischte Kenon.
»Wo warst du?!« Shairi richtete sich auf.
Die leuchtenden Wangen verrieten den Springer. »Ich habe sie gefunden.« Er konnte sich kaum zurückhalten. »Shairi, eine der Städte schwebt noch immer.«
Sie musste nicht lange überlegen. »Bring mich dorthin.«
Die Umgebung verschwand.
Kenon brachte sie an den Rand einer fliegenden Stadt. Ihr wurde schwindelig, als sie von oben hinabblickte, auf eine dunkle Fläche.
»Schau«, sagte er nur.
Shairi wandte sich um.
Die Stadt war gewaltig. Türme aus Glas und Gold wuchsen in die Höhe, Bäche plätscherten fröhlich zwischen weißem Gestein hindurch.
»Ich habe noch nie etwas so Schönes gesehen.« Kenon hüpfte freudig umher. »Jetzt können wir diese elenden Höhlen endlich verlassen.«
Ja, das konnten sie. Selbst Rakun musste beim Anblick dieser Stadt alle Vorbehalte vergessen. Hier fanden sie stabile Häuser, das Licht fiel auf sie herab und streichelte die Haut, das Wasser war rein und klar.
Kenon griff in sein Gewand und zog etwas hervor. »Schau nur, was ich gefunden habe.«
»Ein Mentiglobus.«
»Ich habe bereits die Erinnerung hineingelegt. So können die anderen an dieser Entdeckung teilhaben.« Die Freude schien in sein Gesicht gemeißelt. »Wir werden überleben!«
Ein Sprung brachte sie zurück in die Höhlen, wo sie die freudige Nachricht mit den Übrigen teilten. Erst an diesem Punkt begriff Shairi, dass Rakun seine Zeit genutzt hatte. Wieder und wieder hatte er davon gepredigt, dass die Städte vom Himmel gefallen waren. Der Verlust von Iria Kon und vielen geliebten Menschen hatte nicht wenige der Freunde erschüttert. Sie wollten nicht nach oben in die Lüfte, stattdessen boten die Höhlen Platz und Sicherheit, sollten ausgebaut werden.
Shairi machte einen Versuch, den Mentiglobus zu übergeben, doch Rakun zückte seinen neu geschnitzten Stab und schlug den Erinnerungsspeicher beiseite.
»Mit meinen eigenen Händen habe ich ihn geschnitzt, aus dem Holz dieser Erde.« Wütend funkelte er sie an. »Die Hybris darf sich nicht wiederholen, uns ist die Tiefe bestimmt, nicht der Himmel. Wenn ihr aufsteigt in die Höhe, bringt ihr uns alle in Gefahr.«
»Ich werde gehen«, stellte Shairi klar. »Und wer möchte, kann sich uns anschließen.«
Sie konnte sehen, dass Rakuns Finger zuckten. Wahn glitzerte in seinem Blick. Würde er sie tatsächlich angreifen? Erste Männer und Frauen eilten zum Ausgang der Höhle. Ein stetiger Strom an Halbwüchsigen und Kindern, Älteren und Jüngeren folgte. Doch es waren weniger, als sie vermutet hatte.
»Rakun, komm mit uns, ich bitte dich.«
»Ich werde euch folgen«, flüsterte er. »Um die letzte Stadt zu Fall zu bringen.«
Sie verstand ihn nicht, verstand seinen neu erwachten Hass nicht. Doch sie würde sich dem keinesfalls unterwerfen.
»Leb wohl, alter Freund.«
Sie wandte sich ab.
»Potesta Maxima!«, brüllte er hinter ihr.
»Shairi«, erklang die panische Stimme von Kenon.
Ein Schlag, dann folgte Dunkelheit.