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Wie die Psyche tickt

Die Psyche – das ist das nebulöse Themenfeld, mit dem sich die Geisteswissenschaftler befassen. Emotionen, Reaktionen, Strategien, Reflexe, kurzum: alles menschliche Verhalten ist auf sie zurückzuführen. Andere Namen für Psyche wären Seele, Geist, Prana oder auch, wenn man sie naturwissenschaftlich benennen will, morphogenetisches Feld. Die Psyche kann man nicht unter das Mikroskop legen, um sie zu analysieren. Man kann nur die Auswirkungen beobachten und daraus Schlussfolgerungen ziehen. Allein das Wort Psyche bereitet Menschen oft Unbehagen, zu unberechenbar erscheint sie uns. Dabei ist sie das gar nicht. Man muss nur wissen, wie sie arbeitet.

Der Algorithmus der Psyche – Formel für den Sinn des Lebens?

Der Begriff Algorithmus kommt zwar aus der Mathematik, aber er passt hier ganz gut, denn es geht um eine Berechnungsvorschrift zur Lösung eines Problems. Die menschliche Psyche ist zwar sehr vielschichtig (komplex), aber gar nicht so kompliziert, wie man immer denkt. Im Gegenteil: Das Wetter für eine Woche im Voraus zu berechnen ist wahrscheinlich schwieriger, als abzuschätzen, wie ein erstgeborener Teenager im Sternzeichen Widder, der mit einem cholerischen Vater und einer sehr maskulinen Mutter aufgewachsen ist, auf bevormundende Ernahnungen des Lehrers aufgrund seiner dritten Schulhofschlägerei reagieren wird. Na wie wohl? Mit Einsicht und Reue? Wohl eher nicht. Ich behaupte, dass die menschliche Psyche nach berechenbaren Gesetzmäßigkeiten Problemlösungen sucht. Dumm ist nur, dass solch komplexe Informationen sowohl über das Problem als auch über die zur Lösung notwendigen Strategien noch längst nicht bekannt, wohl aber fassbar sind. Da wir hier jedoch von einem geisteswissenschaftlichen Thema sprechen, ist der Algorithmus der Psyche auch für Nichtmathematiker ganz einfach zu verstehen.

Algorithmus der Psyche

Das primäre Ziel der Psyche ist die Manifestation in der Realität bei minimalem Widerstand und maximaler Entfaltung. Oder einfacher: … ist die leidfreie Verwirklichung der eigenen Absicht.

Danach streben alle. Das bedeutet zugleich, dass wir unglaubliches Leid in Kauf nehmen, nur weil wir den leichteren Weg nicht kennen. Wenn ein Raucher wüsste, dass er auch ohne Zigaretten das Gefühl von Erleichterung bekommen kann, dann würde er weder Krankheiten noch die fünf Euro pro Packung, geschweige denn die Erniedrigungen durch Rauchverbote in Kauf nehmen. Aber er weiß es nicht, deswegen raucht er beim Auslöser Bevormundung.

Wenn eine Brustkrebspatientin wüsste, dass ihre Tumorbildung mit einer Reihe von Konditionierungen, falschen Glaubenssätzen in Bezug auf ihre weibliche Geschlechtsrolle und bisher nie geklärten Missverständnissen in Verbindung steht und leicht zu korrigieren wäre, dann würde sie nicht zu einem Mediziner gehen, sondern zu jemandem, der ihr hilft, die Krebsursache aufzulösen.

Aber Sie sehen: Ganz so einfach ist es nicht, denn es regen sich bestimmt selbst bei Ihnen Widerstände aufgrund Ihres Glaubens. Die meisten Menschen glauben, Krebs wäre eine Krankheit. Die meisten glauben, bei Krankheiten bräuchte man einen Arzt. Die meisten denken, an Krebs kann man sterben. All das stimmt aber nicht. Man braucht also zunächst einmal fundierte Sachkenntnis, damit man sich (und anderen) nicht mit seinem falschen Glauben im Weg steht. Man braucht Informationen.

Wenn ein Problemschüler wüsste, dass die Berufsmotivation eines Lehrers nicht im Quälen und Bestrafen von Schülern, sondern ursprünglich im Gewinnen von Anerkennung durch Wissensvermittlung besteht, und er sich diese Anerkennung von den Schülern erhofft, dann würde der Schüler ihm genau diese Chance geben und mühelos gute Noten gewinnen. Er weiß es aber nicht, und so sitzt er angestrengt und unfrei in der Schule und quält sich von einem Schuljahr zum nächsten. Wenn Menschen wüssten, wie einfach alles sein kann, würden sie kein Leid mehr in Kauf nehmen. Diese psychologische Regel basiert auf einem physikalischen Gesetz. Nach dem Ohmschen Gesetz fließt mehr Strom, wo der Widerstand geringer ist, und weniger Strom, wo der Widerstand höher ist. Genauso verhält es sich mit Wasser, welches nur dann bergauf fließt, wenn bei steigendem Druck der Weg talwärts versperrt ist (etwa bei einer Staumauer). Der Widerstand gegen die Entfaltung der Absicht erzeugt Stress.

Zusammenfassung: Der Eigenschutz der Psyche erfolgt durch konsequentes Vermeiden einer Stresssituation, wie etwa:

→ Machtlosigkeit/Kontrollverlust (Symptome sind: Flugangst, Fahrstuhlangst, schlechter Beifahrer sein, viele Krebsarten)

→ Ablehnung/Schuldgefühl (führt zu: Helfersyndrom, devotem Verhalten, Magengeschwür und Nägelkauen)

→ Misserfolg/Versagen (Symptome sind etwa: Prüfungsangst, Analphabetismus, Migräne)

Ein Symptom, das nicht äußeren Ursachen entspringt, ist folglich ein installierter Schutz gegen chronischen Stress und keine Krankheit. Die Ursachen von Krankheiten wären damit rein somatisch, also das Überschreiten der subjektiven Belastungsgrenze, verbunden mit akutem Stress:

→ Physikalisch (etwa durch Druck, Hitze oder Unfall)

→ Viral (z. B. bei Malaria, Grippe oder Hepatitis)

→ Bakteriell (z. B. durch Salmonellen im Kühlschrank)

→ Parasitär (etwa durch Würmer, Flöhe und Amöben)

→ Chemisch (durch Vergiftungen)

→ Radiologisch (durch Strahlenbelastungen)

→ Kausal erblich bedingt (wie etwa Diabetes Typ I oder Phenylketonurie)

Alle Störungen nicht-somatischer Ursache sind somit psychisch motiviert. Daher sind auch nur deren Symptome mit somatischen Therapien zum Verschwinden zu bringen, nicht aber deren Ursache.

Wir sprechen hier also wieder von Steuerungsbefehlen, aufgrund derer ein Körper krank, aber auch gesund werden kann. Traumatisierungen müssen somit weder lang dauern noch über Jahre wiederholt werden, um ein Symptom zu erzeugen. Ein einziger Eindruck kann reichen, um auf körperlicher Ebene etwas zu bewirken, was sich immer deutlicher ausprägt. Je größer die emotionale Eindruckstiefe (der emotionale Impact, wie ich es nenne) auf den Menschen ist, desto reichhaltiger sind die daraus resultierenden neuronalen Verschaltungen und desto größer ist die Verhaltensänderung.

Wenn es uns also in der Praxis gelingt, eine Erkenntnis hervorzurufen, die den gleichen emotionalen Impact hat wie das Ursprungstrauma, und sich hieraus eine einfache Verhaltensalternative ergibt, verändert sich schlagartig das pathologische Verhaltensmuster. Der Effekt: Psychosomatische Krankheiten heilen, psychische Störungen verschwinden – nachhaltig, ohne Nebenwirkungen und Rückfall.

Dass ein psychisch motiviertes Symptom keine Krankheit oder gar Dummheit ist, sondern ein intelligenter, selbst erzeugter Schutz vor Machtlosigkeit, wird sehr deutlich, wenn man sich etwas eingehender mit unserer Fähigkeit der Datenverarbeitung und -speicherung beschäftigt.

Unser Gehirn – ein Großrechner aus Wasser

Ich habe mich oft gefragt: Warum sind Symptomerzeugung und ihr Gegenteil, die Heilung, überhaupt durch bloße Informationsverarbeitung möglich? Was steckt hinter Reiki, Hypnose, Schamanismus, Geistheilung, Placeboeffekt, Homöopathie und Radionik? Wie bitte schön soll das gehen, Heilen durch Suggestionen, Informationen oder rituelle Handlungen? Und warum geht das bei Schmerzen, Krämpfen, Stottern, Schwerhörigkeit, Ängsten sogar in Sekunden – im Gegensatz zu der Heilung von Knochenbrüchen, Verbrennungen, Infektionen oder angeborener Blindheit?

Die Antwort: Weil unser Gehirn die entsprechenden Informationen an den Körper sendet. Unser Gehirn ist das am meisten unterschätzte Organ. Es besteht zwar zu etwa 75 Prozent aus Wasser, ist aber unvorstellbar lern-, speicher- und rechenfähig. Es verfügt über etwa eine Billion Nervenzellen mit je 1.000 Verbindungen zu anderen Neuronen. Diese Verbindungen können simultan 200 Operationen pro Sekunde ausführen, was einer maximalen Rechenleistung von bis zu zehn Teraflops (eine Million Gigabyte pro Sekunde) entspricht. Dies wäre die Datenmenge von mehr als 2.100 Kinofilmen auf DVD pro Sekunde! In einem Bericht der Süddeutschen Zeitung, Wissen (Heft 15/2007) heißt es: „Etwa elf Millionen Sinneswahrnehmungen in der Sekunde bombardieren den Menschen, selbst dann, wenn er bloß abends auf dem Sofa herumlümmelt: Das fahl werdende Sonnenlicht, das Brutzeln und der Duft des Abendessens aus der Küche, der Druck des Sofakissens im Rücken und vieles mehr verarbeitet das Gehirn, ohne dass das Bewusstsein davon etwas mitbekäme.“

Höchstens drei Prozent dieser Datenmenge können überhaupt vom Bewusstsein wahrgenommen und verarbeitet werden – der Rest ist unter- und unbewusst. Unterbewusst sind beispielsweise Mimik und Gestik, unbewusst sind Vorgänge wie das Wachstum und die Zellerneuerung. Unbewusst nehmen wir aber auch Luftdruck, Bedrohung, Pheromone (bestimmte Duftstoffe), Allergene oder die Informationen aus homöopathischen Mitteln wahr.

Der bewusste Verstand kann Datenmengen vereinfachend reduzieren und somit dem sofortigen Zugriff verfügbar machen. Die Begriffe dafür sind reflektieren, abstrahieren und rationalisieren. Eines meiner Lieblingsbeispiele hierfür: Wenn ich Sie fragen würde, wo genau sich bei Ihrem Auto der Rückwärtsgang befindet, dann würden etwa 75 Prozent aller Befragten den Arm oder die Hand bewegen, um den Schaltweg nachzuzeichnen. Die restlichen 25 Prozent würden nur mit dem Kopf wackeln und mit den Augen rollen, um so zu versuchen, an die Koordinaten der Schalthebelposition heranzukommen. Damit erleben sie etwas Unterbewusstes nach und können die wichtigsten Daten dem Verstand übergeben. Angenommen, die Antwort lautet: „Hinten, links“, dann wären einige, für die Antwort auf meine Frage unwichtige Daten weiterhin unterbewusst. Dies wäre etwa, wie lang der Schaltweg ist, wie sich der Knauf in der Hand anfühlt und welche Muskeln Sie beim Schalten benutzen müssen. Doch wenn Sie sich die rationalisierte Antwort „hinten, links“ merken, werden Sie, wenn Sie in ein paar Monaten noch einmal von jemandem nach dem Rückwärtsgang gefragt werden, wie aus der Pistole geschossen und ohne mit der Wimper zu zucken antworten können „hinten, links“, ohne sich erneut in die Lage versetzen zu müssen. Das genau beschreibt den methodischen Hintergrund meines Ansatzes. Die Frankfurter Diplompsychologin Manuela Pietza beschrieb 2014 in ihrer Doktorarbeit über die Wirksamkeit von Quantenheilung, dass Patienten aufgefordert werden, sich an irgendeine problematische Situation – ein Trauma, ein Gefühl, das ihnen Schwierigkeiten bereitet, eine körperliche Beeinträchtigung – zu erinnern, diese Erinnerung als körperliches Gefühl im Körper zu spüren und dann die Erinnerung durch eine imaginäre Lösung des Problems zu ersetzen. Interessanterweise konnte Dr. Pietza damit belegen, dass Verankerungsrituale wie Klopftechnik, 2-Punkt-Methode oder Punktierungen beliebig, quasi überflüssig sind. Allein das Bewusstmachen der körperlichen Verortung, versehen mit der Idee einer Lösung, entkoppelte den Auslöser vom Symptom. Genau darum geht es mir: keine Rituale, sondern ganz bewusstes rationales Entkoppeln. Je weiter wir in der Erinnerung zurück zum ursprünglichen Stressereignis gehen, desto fundamentaler werden Generalisierungen entkoppelt!

Alles, was wir vereinfachen, kann unser Gehirn direkt abrufen. Der Verstand verarbeitet zwar nicht so große Datenmengen wie das verborgene Bewusstsein, kann sich aber leider über fast den gesamten Rest der Wahrnehmung und Koordination hinwegsetzen, indem er die Aufmerksamkeit bewusst kon-zentriert, also zusammen- und dadurch von anderen Dingen abzieht. Der Zugriff auf das Einfache wird dabei dem Komplexen vorgezogen. Deswegen sind Gefühle auch so schwer in Worte zu fassen – die Datenmenge ist oft zu groß, um sie zu vereinfachen.

Und genau hier offenbart sich ein weiterer ideologischer Kraftakt: Wir müssen nicht nur akzeptieren, dass wir ein Unterbewusstsein haben, das mit weit über 90 Prozent den größten Anteil der Datenverarbeitung einnimmt, sondern dass die unterbewussten Gedanken zudem logisch und präzise sind. Wir sind uns unserer Gedanken nicht bewusst, diese steuern aber unseren Körper und unser Verhalten, und das auch noch intelligent und nachvollziehbar. Doch genau damit tun wir uns fast alle so unglaublich schwer. Lieber schlagen wir uns dreimal am Tag mit der flachen Hand vor den Kopf und schimpfen, wie dumm wir doch wären, weil wir mal wieder den Haustürschlüssel vergessen haben, uns die Suppe angebrannt ist oder wir beim Einparken das Auto beschädigt haben. Wir fluchen über unsere unzuverlässige Verdauung, jammern über Kopfschmerzen und rennen wegen einer Katzenhaarallergie zum Arzt, obwohl Katzenhaare an sich keinen Menschen der Welt krank machen können. Wir, das Wunderwerk der Evolution, die Krone der Schöpfung, fühlen uns hilflos wie Kleinkinder, obwohl wir das handlungsfähigste Wesen der Erde sind.

In den ersten 36 Monaten des Lebens (ab Zeugung) verfügt der Mensch über keinerlei rationales und zeitliches Erfassungsvermögen. Weder Zukunft noch Vergangenheit fließen in die kontextuelle Orientierung des Kindes mit ein. Begriffe wie morgen, gleich oder vorhin sind noch bedeutungslos. Bis die zeitlich-kontextuelle Wahrnehmung sich zu entwickeln beginnt, werden beispielsweise auch momentane Gefahren als absolute und andauernde Gefahren empfunden. Emotionales Erleben wird stets als Gegenwart eingeordnet. Was es nicht wahrnimmt, existiert für das Kind nicht. Untermauert wird diese Beobachtung durch die Forschung verschiedener Entwicklungstheoretiker. Sicher einer der bekanntesten ist der Pionier der Entwicklungspsychologie, der Schweizer Psychologe Jean Piaget (1896 – 1980). In seinem theoretischen Modell der kognitiven Entwicklung beschreibt er, dass ein Kind vor dem zweiten Lebensjahr (ab Geburt) noch nicht in der Lage ist, Gegenstände außerhalb seines Sichtfeldes zu vermuten. Es hat keine sogenannte Objektpermanenz, das bedeutet: aus den Augen, aus dem Sinn.

Im Umkehrschluss heißt das aber: Was erlebt wird, ist permanent präsent. Zur Erinnerung: Ein Kind hat kein teleologisches (zeitlich nach vorn gerichtetes und absichtlich aufrufbares) Bewusstsein. Alles Erlebte wird im verborgenen Unterbewusstsein abgespeichert. Deshalb werden genau in dieser Zeit unterbewusst Verhaltensmuster aufgrund von Erlebnissen und Erfahrungen gebildet, die ein Leben lang aufrechterhalten bleiben können. Ein Kleinstkind nimmt seine Umwelt rein emotional wahr – nicht rational. Da Gefühle stets als gegenwärtig empfunden werden, glaubt ein Kleinkind, seine Erlebnisse dauerten ewig – es kennt noch keine Zukunft, kein Vergehen, kein Abwarten. Deshalb weinen Kinder auch oftmals so herzzerreißend, wenn ihnen etwas Angst macht oder wehtut. Sie glauben, dieser Zustand würde ewig bestehen.

Macht ein Kind innerhalb genau dieser drei Jahre traumatische Erfahrungen – dazu gehören bereits Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen genauso wie frühkindliche Krankenhausaufenthalte oder schmerzhafte Erlebnisse –, so bildet sich hierdurch beim Kind eine besonders hohe Sensibilität für potenzielle Gefahrensituationen aus. Hier liegt der Ursprung von Traumatisierungen. Nicht später! Die Wochen um die Geburt herum scheinen der Zeitraum zu sein, in welchem die Schwelle für empfundene Lebensgefahr am niedrigsten ist. Gefahren oder schlechte Nachrichten haben deshalb generell in unserer Wahrnehmung einen höheren Stellenwert als gute Nachrichten, weil ein Mensch ohne Positivmeldungen zumindest überleben kann – in Gefahr ist dies jedoch fraglich. Bis ins dritte Lebensjahr hinein verfügt ein Kind noch nicht im Geringsten über die kognitiven Fähigkeiten, die uns Menschen so erfolgreich Erlebtes verarbeiten lassen, aber dennoch – und das ist das Tragische – merkt sich das kindliche Gehirn alles, was es erlebt, und es vergisst nichts – schon gar nicht Angst machende Dinge. Im Zeitraum von rund drei Monaten ab der Geburt scheint die Sensitivität für Traumatisierungen sogar am höchsten zu sein.

Doch bereits in der dritten Schwangerschaftswoche – zu dieser Zeit weiß eine Mutter meist noch gar nicht, dass sie schwanger ist – beginnt das Herz zu schlagen, und die ersten Nervenzellen entwickeln sich. Mit Letzteren sind wir in der Lage, chemische Unterschiede aus dem mütterlichen Blut in unserer Umgebung zu registrieren. Allerdings gibt es in der Gebärmutter noch nicht allzu viele spürbare Unterschiede – es ist für den Follikel immer einigermaßen gleich warm und gleich dunkel. Doch ab diesem Zeitpunkt ist der kleine Zellknubbel, der zweieinhalb Wochen später unser Nervenzentrum ist, bereits in der Lage zu spüren, ob sich Stresshormone, Glückshormone, Schlafhormone oder etwa Drogen in seiner Umgebung befinden. Das Kind tritt in Interaktion mit dem mütterlichen Körper. Es beginnt – im weitesten Sinne – zu denken. Nach weiteren sechs Wochen etwa nennt man diesen kleinen Haufen von Nervenzellen, der sich stetig weiterentwickelt, bereits Gehirn.

Im Alter von etwa fünf Monaten bekommt das Kind sogar eine ganz genaue Vorstellung davon, ob es im Bauch willkommen oder etwa ungewollt ist. Es braucht sich lediglich beim mütterlichen Organismus bemerkbar zu machen, beispielsweise indem es sich herumdreht oder von innen gegen die Bauchdecke der Mutter tritt. Das tut es ab diesem Zeitraum für gewöhnlich und bekommt darauf die Antwort seiner Mutter in Form von Neurotransmittern, die durch die Nabelschnur direkt zum embryonalen Gehirn rasen und ihm die gleichen Gefühle ermöglichen, die seine Mutter empfindet. Entweder sie freut sich, ihr Kind zu spüren, dann bekommt dieses einen Endorphinstoß, der als Glücksgefühl wahrgenommen wird, oder sie ist verzweifelt, weil sie gar kein Kind will, dann spürt der Embryo einen Adrenalinstoß. Dieses Stresshormon wird von einem Ungeborenen fast wie ein Stromschlag empfunden. Wenn das Kind diese Erfahrung ein paar Mal gemacht hat, schlussfolgert es, dass es offenbar eine ganz schlechte Idee ist, sich allzu deutlich bemerkbar zu machen. In der Zeit vor der Geburt ist Stress nicht subjektiv interpretierbar und wird daher vom Embryo als absolut wahrgenommen! Die Ursache aller stressbedingten Symptome ist folglich hier zu finden.

Konditionierung

Damit sind wir im Bereich der Reiz-Reaktions-Verknüpfungen oder auch Konditionierungen. Das Prinzip der Konditionierung lässt sich recht einfach beschreiben: Sie spüren etwas (etwa einen kleinen Stromschlag), worauf Sie mit dem unbeschreiblichen Gefühl eines Elektroschocks (starkes Unwohlsein und Erregtheit) reagieren, und zeitgleich nehmen Sie etwas Bestimmtes wahr, das Ihnen bislang völlig gleichgültig war (vielleicht die an sich bedeutungslose Lautfolge Zick). Je öfter das geschieht, desto eher glauben Sie, dass das bislang Gleichgültige Ihr Gefühl erzeugte: Das heißt, Sie zucken bereits zusammen, wenn Sie nur das Wort Zick hören. Durch das ständige Zusammentreffen beider Reize wird die emotionale Bedeutung des ersten Reizes einfach auf einen weiteren Reiz ausgeweitet. So kommt es, dass Menschen tatsächlich glauben, Zigarettenrauch würde das Ausschütten von Glückshormonen erzeugen, obwohl ihnen jeder Nichtraucher beim Einatmen von Qualm etwas husten und somit bestätigen würde, dass der Qualm keineswegs glücklich macht. Der Raucher ist darauf konditioniert, dass Rauchen offenbar nur Erwachsenen erlaubt ist und in kleinen Pausen stattfindet: Er fühlt sich, sobald er qualmt, frei von Erwartungsdruck.

Dabei zeigt sich, dass wir voller Konditionierungen sind. Beispielsweise bekommen fast alle Menschen einen Adrenalinstoß, wenn man sie anschreit – dabei ist eine laute Stimme keinesfalls bedrohlich, wie jeder bestätigen kann, der schon einmal einen Operntenor live singen hörte. Das eigentlich Bedrohliche an einer lauten Stimme haben Menschen oftmals bereits im Mutterleib erfahren, wenn die eigene Mutter von Eltern, Partnern oder jemand anderem angeschrien wurde oder selbst Grund zum erregten Schreien hatte. Mütterliche Stresshormone werden zeitgleich mit der lauten Stimme, die das Kind im Bauch ja deutlich vernimmt, ausgestoßen – und das auch nur, weil früher bei der Kindeserziehung nicht nur geschrien, sondern auch geschlagen und verletzt wurde. So differenziert und nachhaltig können sich Konditionierungen auswirken.

Nun wissen Sie, dass Sie im Umgang mit lernfähigen Kindern sehr behutsam sein müssen, da diese nach kurzer Zeit automatisch davon ausgehen, dass A und B zusammengehören. Die Konditionierung ist leider ein unglaublich mächtiger Faktor beim Erlernen von Verhaltensweisen – sie begleiten einen Menschen oft ein Leben lang. Daraus resultierende Verhaltensmuster nehmen ihren Ursprung in der Kindheit und werden durch Wiederholung, Bestätigung und tiefe emotionale

Eindrücke verstärkt und unterbewusst auf weitere Reize generalisiert. In Zusammenhang mit Stress lassen sich Konditionierungen übrigens wesentlich effektiver, nachhaltiger und schneller schaffen als mit Glücksgefühlen – das korrespondiert mit dem, was ich weiter oben bereits erwähnte: Stress hat eine höhere Relevanz für uns (→ Seite 30). Solche unterbewussten Verknüpfungen lassen sich jedoch dank der hier beschriebenen Coachingtechniken gut und schnell wieder auflösen.

Beispiele: Erlernte Reiz-Reaktions-Paare

Orale Stimulation und Mutterliebe werden so lang verknüpft, bis das Kind tatsächlich glaubt, ein Schnuller im Mund würde beruhigen, und womöglich bis zum Lebensende das Gefühl hat, bei Stress durch Einsamkeit oder Hilflosigkeit etwas essen zu müssen – selbst wenn der Körper bereits übergewichtig ist. Eine Wespe oder Biene braucht uns nur einmal zu stechen oder überbesorgte Eltern wedeln aufgeregt rufend mit einer Zeitung herum und warnen das nichtsahnende Kind – schon werden wir bereits beim Anblick einer völlig harmlosen gelb-schwarzen Schwebfliege oder Hummel ängstlich. Das sogenannte Fremdeln bei Babys, die beim Anblick eines bärtigen Mannes anfangen zu weinen, lässt sich oft darauf zurückführen, dass der Mundschutz der Geburtshelfer, die vom Kind als stressauslösend empfunden werden, an einen Bart erinnert. Wenn dann also Wochen später ein bärtiges Gesicht auftaucht, befürchtet das Baby erneut nachgeburtliche Untersuchungen mit schmerzhaften Blutentnahmen und unkomfortablen Prozeduren.

Erforscht wurde die immense Verknüpfungsfähigkeit des Gehirns übrigens bereits Anfang des letzten Jahrhunderts vom russischen Naturforscher und Nobelpreisträger Iwan Pawlow (1849 – 1936). Dieser stellte fest, dass immer dann, wenn er seine Laborhunde füttern wollte, die Tiere in freudiger Erwartung aufsprangen, noch bevor er die Näpfe gefüllt hatte. Er untersuchte diese Beobachtung wissenschaftlich. Dazu schlug er ein kleines Glöckchen an, kurz bevor er den Tieren etwas zu fressen gab. Dies setzte er drei Wochen lang täglich fort und kontrollierte dabei, wie die körperliche Reaktion der Hunde auf das Glöckchen ausfiel. Dazu maß er in einem kleinen Röhrchen den Speichelfluss des Tieres, eine Reaktion auf das zu erwartende Futter. Anfangs reagierten die Hunde auf den Ton noch nicht mit Speichelfluss. Mit dem Glockenton wurde noch nichts Weiteres verknüpft. Doch bereits nach drei Wochen konnte er beobachten, dass die Hunde schon allein auf den Glockenton mit Speichelfluss reagierten. Der Körper des Hundes zeigte eine Reaktion. Pawlow hatte nur das Glöckchen angeschlagen und gar kein Futter ausgeteilt, trotzdem bekamen die Hunde Speichelfluss – eine Verknüpfung zwischen Glöckchen und Futter hatte stattgefunden. Den Tieren lief das Wasser im Mund zusammen, weil sie erwarteten, es gäbe gleich etwas zu fressen.

Die Wissenschaft nennt dies eine bedingte (konditionierte) Reaktion. Mit anderen Worten: Ein Verhalten wurde durch den zweiten Reiz einer nicht kausal begründeten Wenn-dann-Beziehung ausgelöst. Für die Hunde wurde durch das stetige Zusammentreffen zweier Reize (Futter und Glockenton) ein Symbol erzeugt. Nicht wegen des Tons, sondern aufgrund der damit verknüpften Erwartung des Futters reagierten sie mit Speichelfluss.

Ist es nicht schon fast eine Frechheit? Das Wissen über Konditionierungen ist bereits seit den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts bekannt und wurde sogar mit einem Nobelpreis bedacht. Und trotzdem werden klassische Reiz-Reaktions-Muster wie Rauchen, Allergien und Naschzwang von der WHO als Krankheiten oder Süchte bezeichnet – mit der Konsequenz, dass sie eine langwierige medikamentöse Behandlung erfordern. Das ist meines Erachtens vorsätzliche Volksverdummung unter Inkaufnahme von Todesfällen. Die Praxis zeigt ganz eindeutig: Konditionierungen spielen eine zentrale Rolle bei der Psychosomatik. Allerdings muss man in der Patientenbiografie sehr weit zurückgehen, wenn man den Ursprung aufdecken will.

Depressionen und Introvertiertheit nehmen ihren Ursprung bereits vor der Geburt, bedingt durch die sich zunehmend ausbildende Verschaltungsfähigkeit, Intelligenz genannt. Wenn Sie also ein Kind empfangen haben, dann seien Sie als Mutter vorsichtig mit dem, was Sie dem Kind gegenüber empfinden, und dem, was Sie generell empfinden. Das Beste wäre, Sie vermeiden während der gesamten Schwangerschaft Angst machende Situationen. Allein die Besorgnis eines unerfahrenen Arztes kann eine junge Mutter derart unter Stress setzen, dass das Kind vorzeitig die Wehen auslöst. In den Kriegsjahren 1944/1945 sind oft nach Fliegeralarmen Kinder frühzeitig zur Welt gekommen. Zur Erklärung sollte man wissen, dass die Geburt tatsächlich mittels eines chemischen Signals vom Embryo veranlasst wird und nicht vom mütterlichen Organismus. Das Baby registriert, wann seine Entwicklungsmöglichkeiten in seiner bisherigen Umgebung erschöpft sind. Stellen Sie sich vor, es wird immer enger, das Baby braucht Bewegung und Sauerstoff. Irgendwann nimmt der Stress im Mutterleib enorm zu, und das Kind entscheidet, sein Dasein an einem anderen Ort fortzusetzen. Ich begreife das embryonale Auslösen der Geburt als eine Art Selbstmord. Der Embryo hat selbstverständlich keine Todesabsicht, aber die hat ein Suizidaler auch nicht. Er will lediglich die Bedingungen des Jetzt verändern und nimmt dafür alles in Kauf. Die Geburt ist damit, so zeigt sich in der täglichen Praxis durch Befragung in Hypnose, ein notwendiges Übel, das man nicht noch verschlimmern sollte. Doch genau das geschieht zumeist in den zivilisierten Ländern. Hier wird oft bereits den Neuankömmlingen in unserer Gesellschaft ein Trauma bereitet, welches man mit psychologischen Analyseverfahren noch bis ins hohe Alter nachweisen kann. Der Charakter mit all seinem Konfliktpotenzial entstammt gleichsam unserer frühesten Kindheit. Die meisten unserer Verhaltensmuster werden in dieser Zeit unterbewusst entworfen – und damit auch unsere potenziellen Symptome.

Viele Menschen sind überrascht, wenn ich ihnen erkläre, dass sie als Kind in den ersten drei Jahren des Lebens ab Zeugung Erlebtes rein emotional erfahren haben und sie daher keinerlei zeitliches Einordungsvermögen hatten. Die Konsequenz, dass Bedrohliches als Situation von ewiger Dauer abgespeichert wird und somit ein Angstmuster erzeugen kann, verblüfft viele, wenngleich dies den meisten Klienten einleuchtet. Da dieses Ur-Trauma vom Kind als existenzbedrohlich empfunden und völlig unterbewusst verschaltet wird, kann es ein Leben lang durch entsprechende Trigger, also Erinnerungen, die die gleiche körperliche Stresssituation auslösen wie während des Ursprungserlebnisses, aufgerufen werden. „Genau das ist ja der Grund, warum Angehörige immer so ratlos sind, wenn sie sehen, wie bei einem erwachsenen Menschen durch einen harmlosen Fahrstuhl, eine bevorstehende Flugreise oder einen Zahnarzttermin eine überschießende Panikreaktion ausgelöst wird“, erkläre ich dann. Ein Erwachsener empfindet Situationen mit einem ganz anderen kontextuellen Verständnis als ein Kleinkind – er weiß, dass Dinge einfach wieder vorbeigehen und man sie auch aushalten kann. Ein Kind weiß das nicht. Dinge, bei denen ein Erwachsener nur gelassen mit den Achseln zuckt, erscheinen einem Kind wie eine lebensbedrohliche Katastrophe – und umgekehrt: Dinge, bei denen ein Kind glaubt, sein Leben wäre nun zu Ende, empfindet ein Erwachsener als überschaubare Lappalie.

Da die Logik der Symptome aber auf der Reife und der Macht eines Säuglings oder Kleinkindes basiert, welches sich vor der Wiederholung einer Traumatisierung schützen will und dieses Schutzmuster folglich im Unterbewussten konzipiert, wird ein Symptom immer deutlicher und stärker, je öfter die zu vermeidende Befürchtung eintritt. Je öfter ein Mensch re-traumatisiert wird, desto schlimmer wird seine Krankheit. Wenn Sie einfach nur Symptome bekämpfen, fürchtet der Mensch unterbewusst den Verlust seines Schutzkonzeptes – und das Symptom verschlimmert sich.

Unser Denken beginnt also bereits weit vor der Geburt (was in unserer Gesellschaft noch völlig unterschätzt wird). Darüber hinaus kann unser Gehirn nichts vergessen und jederzeit alles Datenmaterial abrufen (erinnern), vorausgesetzt, wir nutzen es erlebend (passiv). Und was diese Fähigkeit unseres eigenen biologischen Supercomputers nun für unsere Lebensqualität bedeutet, sehen Sie an einem Phänomen, das bislang nur bei uns Menschen festgestellt wurde:

Albtraum der Medizin: der Placeboeffekt

„Alles nur Einbildung, Simulation und Aberglauben“, der Begriff Placeboeffekt ist Ihnen sicherlich unter solchen Vorbehalten bekannt. Doch was genau steckt eigentlich dahinter? Wenn Sie einem Menschen Morphium verabreichen, eines der stärksten und wirksamsten Schmerzmittel, das auch zur Analgesie bei Operationen verwendet wird, dem Probanden jedoch mitteilen, es handle sich um eine wirkungslose Lösung, wird er bei Schmerzreizen fast genauso reagieren wie ohne Morphium.

Als Placebos gelten Medikamente oder Maßnahmen wie Operationen ohne medizinisch nachgewiesenen Wirkstoff oder therapeutischen Effekt, die trotzdem eine Heilung hervorrufen können. Placebomedikamente enthalten nur Füllstoffe wie Milchzucker und Stärke, chirurgische Eingriffe bestehen aus oberflächlichen Schnitten. Der erzielte Effekt wird Placeboeffekt genannt (nach dem lateinischen Ausdruck placebo, wörtlich: „Ich werde gefällig sein“).

Was genau die Wirkung eines Placebos ist, kann die Schulmedizin nicht erklären. In der Regel ist die Rede von der Aktivierung der Selbstheilungskräfte, hervorgerufen durch den Glauben an das Medikament.

Heißt das nun, dass alle Krankheiten eingebildet sind? Sind das alles Hypochonder, bei denen der Placeboeffekt auftritt? Nein, es ist ganz anders. Erinnern Sie sich: Die Psyche reagiert zwar auf substanzielle Wirkungen, ist aber an sich völlig substanzunabhängig. Ein Beispiel: Es ist Ihrer Psyche absolut egal, ob Sie gerade nur denken, jemand ruft Ihren Namen oder ob das tatsächlich jemand tut. In beiden Fällen ist die subjektiv empfundene Wirkung gleich. Wenn Sie sich dabei erschrecken, stößt Ihr Körper Adrenalin aus, das Stresshormon. Der erhöhte Adrenalinspiegel ist nicht eingebildet, er ist im Blut labortechnisch nachweisbar. Ein Gedanke hat also Ihre Körperfunktionen gesteuert.

Um die Wirksamkeit eines neuen Medikaments bewerten zu können, wird seine Wirkung mit der bisherigen Standardtherapie verglichen. Wo es keine Standardtherapie gibt, wird das neue Präparat gegen Placebos getestet. Einer Patientengruppe wird das echte Medikament verabreicht, der anderen Gruppe das Scheinmedikament. Ein Medikament wird erst dann als wirksam eingestuft, wenn es die Wirkung des Placebos deutlich übertrifft. Das Placebo sollte in Form, Farbe und Geschmack dem richtigen Medikament gleichen.

Nun können Sie sich auch erklären, warum sehr kleine und sehr große Tabletten besser wirken als mittelgroße. Rote Tabletten helfen besser als weiße, teuere besser als billige, und Spritzen wirken sowieso besser als Tabletten. Wenn die Spritzen von Ärzten gegeben werden, zeigen sie zudem mehr Wirkung als diejenigen, die von Krankenschwestern verabreicht werden. Das liegt ganz einfach daran, dass viele Patienten die Darreichungsform des Medikamentes registrieren und bewerten und dass sie Ärzte für kompetenter halten als Krankenschwestern. Überdies spürt der Patient auch Tausende von unterbewussten Signalen, die der Arzt aussendet. Wissen die Ärzte nämlich, welche Patienten das Placebo erhalten, ist es in dieser Gruppe weniger wirksam. Daher werden Versuche meistens als Doppelblindstudien angelegt. Hier wissen weder Patienten noch Ärzte, wer das echte Medikament erhält. Dies wird gemacht, um eventuelle Suggestionswirkungen auszuschließen. Dabei übersieht die Placeboforschung glatt, dass der Placeboeffekt auf einer Suggestionswirkung basiert – aber eben auf einer Autosuggestion. Das, was der Patient für heilsam hält, sorgt für die Ausschüttung körpereigener Botenstoffe und wirkt dementsprechend auf den Körper. Dabei ist es dem Körper völlig egal, ob Sie hierfür Placebos oder Aspirin nehmen, ob Sie sich einer Hypnose unterziehen oder ob es sich um Voodoo handelt.

Um die rein pharmakologische Wirkung von Arzneimitteln zu untersuchen, müsste man folglich sämtliche Reize abschirmen, die ein Patient mit einer therapeutischen Handlung verknüpft. Übrigens können Patienten auch unter Placebos unerwünschte Nebenwirkungen entwickeln.

Ein wissenschaftlich dokumentierter amerikanischer Fall aus den Fünfzigerjahren berichtet von einem kalifornischen Krebspatienten, genannt Mr Wright (unter anderem beschrieben in Howard und Daralyn Brody: Der Placeboeffekt. Die Selbstheilungskräfte unseres Körpers. dtv-Verlag, München 2002, und in Bernie Siegel: Love, Medicine & Miracles. Harper & Row, New York 1986).

Mr Wright hatte Lymphknotenkrebs im Endstadium. Die Tumoren erreichten bereits die Größe von Orangen, und der behandelnde Arzt rechnete mit dem nahen Ende seines Patienten. Als Wright von sensationellen Testergebnissen eines aus Pferdeserum gewonnenen Krebsmedikaments namens Krebiozen erfuhr, bekniete er seinen Arzt, dieses Mittel sofort zu besorgen. Der Arzt kam dem Wunsch nach, und schon kurze Zeit später injizierte er Wright das experimentelle Pferdeserum. Als der Arzt nach dem Wochenende in die Klinik kam, fand er seinen Patienten im Gang, wo dieser prächtig gelaunt mit den Krankenschwestern scherzte. Seine Tumoren verschwanden binnen weniger Tage und „schmolzen wie Schneebälle in der Sonne“. Wright war nach nur zehn Wochen sogar in der Lage, mit seinem Privatflugzeug 4.000 Meter hoch zu fliegen, obwohl er zuvor noch künstlich beatmet worden war und als todkrank galt.

Nach einigen Wochen tauchten in den Zeitungen widersprüchliche Meldungen über die Wirksamkeit von Krebiozen auf. Fast augenblicklich verschlechterte sich Wrights Zustand, der Krebs brach wieder aus. Der Arzt erklärte ihm, er solle nicht an den Quatsch in den Medien glauben, und injizierte ihm eine, wie er es nannte, „extrapotente Neuversion“ des Mittels. Der Erfolg war diesmal noch erstaunlicher. Wright konnte sogar das Spital verlassen. Zwei Monate erfreute er sich bester Gesundheit. Bis er den vernichtenden Endbericht der American Medical Association über die Krebiozen-Studie las. Das Mittel wurde als völlig wirkungslos beurteilt und als glatter Fehlschlag abqualifiziert. Darauf erlitt Wright einen neuerlichen Rückfall und starb innerhalb von zwei Tagen.

Dieser Bericht gilt als gesichert. Doch auch heute noch gibt es zahlreiche eindrucksvolle Schilderungen des Placeboeffekts, welcher übrigens nichts mit Spontanheilung zu tun hat, sondern die Wirkung von Informationen auf den Körper beschreibt. Der zeitgenössische Heidelberger Medizin-Ethnologe Dr. med. Gerhard Heller berichtete im Jahr 2000 von einem Fall im Klinikum Freiburg, wo ein Patient in Selbstmordabsicht Schlaftabletten hortete. Die Pfleger hatten wohl schon mit etwas Ähnlichem gerechnet und gaben ihm Zuckerpillen. Tatsächlich hat dieser Patient dann alle Placebos auf einmal geschluckt. Ärzte und Pfleger haben sich zwar insgeheim darüber lustig gemacht, aber am nächsten Tag war der Mann tot. Die russische Ärztin Tatjana Lackmann betreibt eine Klinik am Bodensee, in der sie innerhalb einer Woche schwer kranke Menschen allein mit angedeuteten chirurgischen Eingriffen erfolgreich und überprüfbar kuriert. Sie benutzt dabei keine Skalpelle, sondern sagt einfach nur, sie würde schneiden und Gewebe entfernen, derweil sie mit ihren Fingern an den zu behandelnden Körperstellen herumnestelt. Ich selbst habe während des Studiums in Dortmund einige Psychologievorlesungen besucht, in denen philippinische Wunderheiler mit ähnlichen Verfahren verblüffende Erfolge erzielten.

Der Placeboeffekt sollte daher nicht unterschätzt werden, er hat viele Gesichter:

Je bedeutsamer der Name des Präparats klingt und je komplizierter die Anweisungen sind, desto größer ist der Heilerfolg. Die Ansprechrate lässt sich dadurch von 20 Prozent bis auf 70 Prozent steigern. Grundsätzlich können Placebos bei allen Krankheiten eine Wirkung zeigen. Schon rein statistisch betrachtet zeigen die meisten Placebos dieselbe Wirksamkeit wie die substanziell orientierten Medikamente. Damit leuchtet auch ein, dass auch Nebenwirkungen unter der Einnahme von Placebos auftreten, darunter Kopfschmerzen, Müdigkeit, Benommenheit, Verstopfungen, Erbrechen und Hautausschläge.

Beunruhigend an der Placebodiskussion ist, dass wahrscheinlich die meisten Ärzte sich absolut im Klaren darüber sind, dass die Gedanken und Gefühle des Patienten einen Einfluss auf seine Biochemie, auf seinen Zellstoffwechsel, also letztlich auf seinen gesamten Organismus ausüben, doch scheint es, als sei dieses Wissen unzulässig. Ich frage mich allen Ernstes: Wenn doch die herkömmliche Chirurgie zum einen eine Menge tödlicher Risiken birgt, zum anderen enorme Kosten verursacht und den Ausgang einer Operation nicht vorhersagen geschweige denn garantieren kann, wieso wird die Placeboforschung dann nicht zur Selbstverständlichkeit? Wieso wird Psychologie nicht Schulfach in der Mittelstufe? Sollen wir etwa gar nicht wissen, wie einfach es ist, gesund zu sein?

Medikamente werden von den Pharmakonzernen mit einem ungeheuren finanziellen Aufwand getestet, bevor sie durch die Behörden zugelassen werden. Bevor ein Medikament durch klinische Testphasen geht, muss zunächst am Computer und in Tierversuchen der Nachweis erbracht werden, dass das Präparat für Menschen unbedenklich ist. Überlegen Sie bitte: Viele medizinische Probanden erhalten bis zu 1.000 Euro und durchlaufen in den Studien mehrere klinische Phasen. Hinzu kommen Personalkosten für Ärzte und Schwestern sowie Laboruntersuchungen. Das ergibt alles in allem zusammen Hunderttausende von Euros. Damit sich diese hohen Investitionen für einen Konzern überhaupt rechnen, muss er dafür sorgen, dass seine Vertriebspartner am besten gar nicht erst auf die Idee kommen, es gäbe eine für sie lohnenswerte Alternative zu Medikamenten. Ärzte könnten heilen, wenn sie wollten – allerdings bekämen sie wohl kein Geld dafür, denn den stressreduzierenden Einfluss, den ein Arzt hat, wenn er seinem Patienten Mut und Hoffnung macht, kann man nicht ICD10-verschlüsseln, also nicht im kassenärztlichen Abrechnungssystem unterbringen.

Der Placeboeffekt bedeutet also nichts anderes, als dass statt exogener (äußerer) Einflüsse endogene (innere) Einflüsse unseren Körper steuern, also Gedanken, die unser Gehirn zum Handeln veranlassen.

Auch unseren Muskeln ist es völlig egal, aus welchem Grund das Gehirn die Ausschüttung von Carnitin und den Bau von Muskelfasern veranlasst. Ob ich nun im Fitnessstudio Gewichte hebe oder mir nur bildlich und lebhaft vorstelle, ich stemme eine Hantel, ist für den Muskelaufbau absolut einerlei. Der Sportphysiologe Guang Yue von der Cleveland-Klinik im US-Bundesstaat Ohio bewies im Jahre 2001, dass allein der Gedanke an Sport das Muskelwachstum anregt. Zehn Probanden im Alter zwischen 25 und 35 Jahren mussten fünf mentale Trainingseinheiten pro Woche absolvieren. Die Probanden sollten sich dabei vorstellen, dass sie den Bizeps so stark wie möglich anspannen würden. Die Gehirnaktivität wurde mit Elektroden aufgezeichnet, zudem überwachten die Forscher, dass die Teilnehmer die Muskeln nicht wirklich anspannten. Bereits nach 14 Tagen waren die Muskeln um bis zu 13,5 Prozent gewachsen. Bereits in den späten 1970er Jahren trainierten russische Wintersportler zu 75 Prozent allein mental und erreichten mit 22 Medaillen, davon zehnmal Gold, den ersten Platz bei den Olympischen Winterspielen 1980 in Lake Placid.

Das können Sie auch: Sie legen sich schön bequem auf eine Liege und stellen sich 20 Minuten lang ganz intensiv und bildhaft vor, Sie würden eine bestimmte Muskelgruppe trainieren, etwa die Bauchmuskeln. Idealerweise machen Sie danach ein paar wenige entsprechende Gymnastikübungen. Sie werden sehen, was dieses Mentaltraining bewirkt. Falls Sie professionelle Unterstützung möchten: Meinem Buch Anti-Aging liegt eine CD bei, mit deren Hilfe Sie mittels Ihres bildhaften Vorstellungsvermögens Ihren Körper gezielt formen und aufbauen können.

Heilen ohne Medikamente

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