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Glühwürmchen und Liebe

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Manche Menschen werden nie erwachsen, sagt der Volksmund und bei manchen, wie bei mir, geschieht es in einer einzigen Nacht. Letzte Nacht.

Der Pfiff der Trillerpfeife des Schaffners reißt mich aus meinen Gedanken. Abschiede haben etwas Endgültiges, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen. Die Türen des Kurswagens nach München schnappen zu und der Zug setzt sich ruckelnd in Bewegung. Er rollt gemächlich aus dem Bahnhof von Meran, quert die Passer Brücke und folgt dem Lauf der Etsch. Über der Stadt leuchten die auch im Juni noch schneebedeckten Gipfel der Texel-Gruppe, davor thronen die stolzen Türme von Schloss Tirol im Morgenlicht. Der Blick weitet sich und wir schnaufen hinaus ins weite Tal des Flusses, vorbei an Obsthainen und kleinen Dörfern. Die Sonne lacht vom lichtblauen Himmel, die Luft reingewaschen vom gestrigen Gewitter, so klar, dass sich jede Felsspalte der drei Zinnen scharf abzeichnet. Doch mein bedrücktes Herz kann all die Pracht nicht fassen. Der Zug kriecht prustend und schnaubend an Lana vorbei mit dem berühmten, geschnitzten Schnatterpeck-Altar in der Pfarrkirche. Tisens grüßt herüber und dann Nals. Dort oberhalb liegt sie die Burg, auf der ich die drei glücklichsten Wochen meines noch jungen Lebens verbringen durfte. Weiter an einer Reihe von Weilern vorbei, deren bloße Namen einen Weinkenner wie meinen Vater mit der Zunge schnalzen lassen. Herrliches, gottbegnadetes Fleckchen Erde. Hier lässt sich die Luft freier atmen, scheint die Sonne heller, schmeckt der Wein süßer als zu Hause in der behäbigen Welthauptstadt des Bieres. Heute habe ich für all die Schönheit keinen Sinn. Tränen umfloren meinen Blick. Wehmütig denke ich an die glückliche, wundersame Zeit meiner ersten Liebe. Dabei ist es nicht einmal vier Stunden her, dass wir uns trennen mussten. Wir hatten uns geschworen, uns bald wieder zu treffen, doch tief in unseren Herzen wussten wir, die Entfernung und die Zeit würden unbarmherzig an unserer Liebe nagen, wie die Würmer am fauligen Apfel. Meine Augen blicken zurück, suchen den Gampenpass, das Dörflein unterhalb, versteckt in der Senke umragt von lichten Wäldern und die Burg. Ich sauge das Bild mit den Augen auf, schließe es in mein Herz, um es nie wieder loszulassen. Jetzt zischt der Zug unterhalb der Wehrburg vorbei. Der dicke und der schlanke Turm beherrschen die Anhöhe über dem Tal. Ich sehe dich vor mir, wie du auf dem Söller lehnst, vorgebeugt zwischen den Zinnen, wie du herunter winkst. Der Wind zaust dein blondes Haar und ich stelle mir vor, Tränen rinnen über deine Wangen.

Mit einem Ruck schiebe ich das Zugfenster herunter. Der Fahrtwind fährt ins Abteil, zerrt an den flatternden staubigen Vorhängen. Die ältere Dame mir gegenüber im grünen Lederkostüm umklammert krampfhaft ihren Meraner Boten und mustert mich mit einem strafenden Blick über die dicken Brillengläser. Ich tue als bemerke ich ihre Rüge nicht. Ich winke hinauf, wohl wissend, dass du mich nicht sehen kannst, ebenso wenig wie ich dich. Dazu ist die Entfernung zu groß. Aber was tut’s. Ich denke an dich und ich fühle wie meine Kehle trocken wird, sich plötzlich zuschnürt. Wäre ich alleine im Abteil, ich hätte meinen Tränen freien Lauf gelassen. Aber ich beherrsche mich. Lediglich ein kurzer abgehackter Schluchzer entringt sich mir. Weinen, zumal in meinem Alter, ist in der Öffentlichkeit peinlich.

„Ich komm wieder“, flüstere ich. „Ich komm wieder. Wart auf mich.“

Viel zu rasch wandern die beiden Türme, das langgestreckte Haupthaus aus meinem Blickfeld. Der Zug schlängelt sich in eine weite Kurve und das liebliche Bild verschwindet hinter einem grün bewaldeten Hügel. Die ältere Dame mir gegenüber räuspert sich und ich schließe gehorsam das Fenster. Ich lehne mich zurück, die roten Kunstlederpolster fühlen sich hart und kühl an. Meine Gedanken sind bei dir. Ich schließe die Augen und versuche mich an jede einzelne Sekunde der vergangenen Tage zu erinnern. An die Zeit meiner ersten zärtlichen, kaum erblühten Liebe, die ihr Ende nur aus einem einzigen Grund fand. Am Montag ist Semesterbeginn.


Glühwürmchen und Liebe

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