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Diagnose „Morbus Parkinson“ und die Frage

„warum ich?”

Ich habe Schwindel-Gefühle, ich habe einen Rechtsdrall, das rechte Bein zieh ich ab und zu hinterher, ich habe einen Schreibkrampf, ich fühl mich ausgepowert, ich habe Schlafstörungen, ich habe Gleichgewichtsstörungen, ich habe Sprechstörungen, ich habe…

Sie haben „Morbus Parkinson“.

Nahezu zwei Jahre hat es gedauert, bis die Diagnose feststand. Vorher war es Stress, Überarbeitung, Burn-out. Es war alles, was die Schulmediziner so kannten, alles was ins Schema passte, aber an „Morbus Parkinson“ hat niemand gedacht. Warum es so lange gedauert hat? Ich war nicht der „typische“ Parkinson – Patient. Ich war noch relativ jung für diese Krankheit (48 Jahre), ich hatte keine gebeugte Haltung, hatte kein Maskengesicht und war relativ frei von Schüttellähmung. Man sah es mir nicht unbedingt an.

Aber für mich war die Diagnose der Hammer. „Morbus Parkinson“ – ich hatte schon davon gehört, aber auf einmal hat es mich selbst erwischt. Eine Krankheit von der ich nicht die leiseste Ahnung habe, wie sie mich, mein Leben und mein Umfeld mit dem drum herum verändern wird.

Mein Neurologe, der mir diese Diagnose stellte, meinte zu mir, dass es eine schlechte und eine gute Nachricht gäbe. Zum einen sei die Krankheit bis jetzt unheilbar, aber auf der anderen Seite würde die medizinische Forschung mit immens großen Schritten ­voranschreiten.

Ich hatte also „Morbus Parkinson“. Laut Internet-Recherche ein Mangel an Dopamin, ein Ungleichgewicht der Botenstoffe, d.h. die Produktion des Botenstoffes Dopamin ist wesentlich eingeschränkt. Dadurch gewinnen andere Botenstoffe an Einfluss, werden dominanter. Es kommt dadurch zu Unter- und Überreaktionen. Da der Fehler, d.h. die eingeschränkte Produktion des Botenstoffes im Gehirn stattfindet, handelt es sich um eine neurologische Krankheit. Warum? Wieso? Weshalb? – auf diese Fragen weiß keiner so recht eine Antwort. Denn wäre das bekannt, könnte man die Krankheit auch aktiv behandeln und evtl. heilen. Aber da man den wahren Ursprung der Krankheit, also das warum, nicht kennt, kann man nur die Symptome verbessern, nicht aber die Krankheit selbst besiegen.

Deshalb die motorischen Störungen und deshalb meine Launen, denn Dopamin ist auch ein Glückshormon und somit verantwortlich für die gute Laune. Der Körper bzw. das Gehirn produziert dieses Dopamin nicht mehr in ausreichender Menge, so dass dem Körper das Dopamin künstlich zugeführt werden muss. Da sich die Krankheit aber schleichend verschlechtert und auch keine Heilung eintritt, werden dem Körper zu anfangs und auch bei relativ jungen Patienten, sogenannte Agonisten (Ersatz-Dopamin) zugespielt, die die gleiche Wirkung haben, wie das reine Dopamin. Mit zunehmender Verschlechterung der Symptome wird es dann leider irgendwann soweit sein, dass diese Agonisten nicht mehr ausreichend sind und die Dosis erhöht bzw. auf reines Dopamin umgestellt werden muss.

Alles war auf einmal anders. Warum gerade ich? Hab ich diese Krankheit geerbt? Wie groß ist meine Lebenserwartung? Muss ich sterben? Kann ich diese Krankheit weiter vererben? Was wollten meine Frau und ich noch alles erleben? Wollten wir nicht noch was von der Welt sehen? Was geschieht mit der Familie? Wie ist die Familie abgesichert? Wie ist der Verlauf der Krankheit? Werde ich mit der Zeit dement? Kann ich weiterarbeiten? Fragen über Fragen. Man glaubt nicht, was einem in solchen Momenten im Kopf umhergeht.

Meine Frau und auch die erwachsenen Kinder reagierten gewissermaßen gefasst – äußerlich zumindest. Meine Frau sagte mir auch, dass sie immer für mich da sein wird (in guten wie in schlechten Zeiten).

Die Diagnose – es war wie ein Schlag ins Gesicht, als wenn man gegen eine Betonmauer knallt und… Trotzdem ist es vielleicht auch eine zweite Chance.

Tagaus tagein dasselbe Dilemma: ständig den Konzern im Nacken, ständig die Vertriebsziele erreichen, ständig schauen dass das Team erfolgreich ist, ständig irgendwelche Meetings besuchen und ständig Prognosen über Verkaufszahlen und Kostenreduzierungen abgeben. Das alles natürlich zu Lasten der Familie und der Freizeit. Trotz allem war es eine schöne Zeit, ich habe gern gearbeitet und mir dabei wenig Freizeit gegönnt. Es war keine Last, es hat mir Spaß gemacht, es war mein Leben… Es war alles so stimmig – bis zur ­Diagnose.

Und dann kommen sie, die Selbstzweifel, die Ängste, die Sorgen. War das alles? Wollten wir nicht noch so viel erleben? Immer haben wir das Schöne vor uns her geschoben – das machen wir dann später, im Alter, im Ruhestand. War das, was ich erreicht habe, wirklich das, was ich wollte? War es das, nach dem ich mich gesehnt habe? Was wollte ich sonst so machen – ohne Rücksicht auf finanzielle Sicherheit? Es geht einem alles durch den Kopf. Und ich dachte und denke auch heute über den Sinn des Lebens nach. Über das noch nicht Getane. Man hat noch so viel vor und muss erkennen, dass einem die Zeit letztendlich davon läuft.

Zuerst fiel ich in ein tiefes, schwarzes Loch, war depressiv und bemitleidete mich selbst am meisten. Die Welt um mich herum und das Umfeld verstehen einen nicht, es läuft alles schief und ich bin sowieso der Ärmste auf der Welt. Diese Phase ist vermutlich wichtig, um für sich selbst wieder eine Orientierung und eine Struktur zu bekommen. Das eigene Leben wird erst mal auf den Kopf gestellt. Das geführte Leben wird in Frage gestellt. Man versucht alles in erdenklich kurzer Zeit nachzuholen, was man glaubt, versäumt zu haben. Aber nur die Ruhe. Diese depressive Phase geht vorbei, das Leben mit der Krankheit wird alltäglich, die Einstellung der Medikamente macht Fortschritte und das Licht am Ende des Tunnels wird auch wieder heller. Ich lernte auf mein Inneres zu hören.

Geh in Dich. Fühle Dich. Erlebe und erkenne Dich. Beachte dich. Liebe dich. Lerne, dass es um dich geht. Schau in dich rein. Spüre deinen Körper.

Höre auf dein Inneres.

Mut zum Leben mit der Krankheit

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