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Einleitung

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»Preußen ist die größte kolonisatorische Tat

des Deutschtums, wie Deutschland die größte

politische Tat des Preußentums sein wird.«

Arthur Moeller van den Bruck1

Dieses Buch beschäftigt sich mit Preußens Wesen als einer Idee, die in den historischen Persönlichkeiten lebendig geworden ist, sich durch deren Schaffen entwickelte, fortpflanzte und zuletzt in vollendeter Organisation den preußischen Staat schuf. Die preußische Idee lässt sich abstrakt nicht greifen und muss daher ausschließlich in ihrer Veräußerlichung durch Gedanke, Tat, Dekret gedeutet und in Analogien verstanden werden. »Wesentlich ist es nun die Natur der Idee, sich zu entwickeln und nur durch die Entwicklung sich zu erfassen, zu werden, was sie ist.« So Hegel.2 Am deutlichsten tritt ihr Charakter in den großen Figuren der Geschichte und deren Wirken im Felde, auf dem Thron, am Katheder, in der Schreibstube und dem Atelier zutage. Die Idee schafft sich die Form, der Geist den Körper, der Staatsmann den Staat.

Der preußische Staat, als der potenteste aller deutschen Staaten und durch die Person Bismarcks Schöpfer eines Deutschlands, das sich geeint entfalten konnte, wurde wie alle anderen Staaten und gleichzeitig wie kein zweiter, durch seine herausragenden Persönlichkeiten geprägt. Sie schufen ihn, er pflanzte sich fort; musste sich fortpflanzen, um bestehen zu können.

Der Staatsmann als Garant, Träger und Ausdruck der Staatsidee fand im preußischen Modell seine vollendete Form; das Preußentum ist schlechthin als Grundlage und Antrieb, als Sonne und Nährboden für die besten staatstragenden Persönlichkeiten zu verstehen. Persönlichkeiten, die sich dem Pflichtgefühl unterwarfen, die Loyalität und Treue nicht aus Gewohnheit, sondern aus Überzeugung lebten, die ihre inneren Spannungen bis zum tragischen Fatalismus behielten und in den Dienst der höheren Idee stellten, ohne zu kriechen, ohne sich zu verleugnen, ohne sich selbst genügsam werden zu können, ohne Ruhe, ohne auch nur einen Schritt zu gehen, der sich aus diesem Verständnis hinaus bewegt hätte. Persönlichkeit meint hierbei sowohl Person, als auch Charakter.

Charakter ist die gelebte Idee, die innere Uhr und der schicksalhafte Bauplan des Menschen, durch welchen er sich in seiner Form entwickelt. Charakter ist Form und Takt des Lebens; Charakter ist das ideelle Wesen, das sich materiell ergießt; Charakter ist schlechterdings die innere Bestimmung, gleich dem Samen, der bereits das vollständige Wesen der Pflanze enthält und ihr Leben bestimmen wird, noch ehe er keimt.

Man wird hieraus billig entnehmen, dass entgegen der inneren Bestimmung und des eigenen Schicksals zu leben, bedeutete, wesensfremd, selbstentrückt und selbstschädigend zu handeln; »charakterlos« ist in diesem Falle synonym mit »leblos«. Hingegen bedeutet charakterhaft zu leben in diesem Sinne, sein inneres Wesen auch in dessen eigenen Widersprüchen auszuhalten, zu leben und zu fördern, da es schlechterdings kein anderes gibt. »Sturheit«, »Eigenwilligkeit«, oder »Unbeugsamkeit« sind unzureichende Begriffe für ein Selbstverständnis, welches ehrlich ist und auf die höchste Ausbildung des eigenen Selbst innerhalb der eigenen Gesetze zielt.

Der tiefste, innere Wesenskonflikt und die mögliche Inkompatibilität des wahren eigenen Ichs mit den anderen kann nie schmerzhafter sein, als die Selbstentfremdung, die entsteht, wenn das eigene Wesen verdrängt, chloroformiert oder innere Konflikte »befriedet« werden. Dazu tritt die als schicksalhaft erlebte Existenz, die die Protagonisten stolz, zäh und ergeben durchs Leben führte und diese so resistent gegen Niederschläge, Kränkungen und Schäume der Zeit machte. In Anlehnung an Fichte ließe sich die Formel dergestalt ausdrücken: Sei du selbst, sei schicksalhaft – oder sei gar nicht.

Der preußische Charakter basiert auf einem tiefen Dualismus, einer Art Wesensspaltung oder besser einem Doppeltemperament. Dieses Phänomen besteht bereits seit dem Deutschen Orden, der bezeichnenderweise schon mit den Farben Schwarz und Weiß den Komplementärkontrast in seinem Wappen trug. Dieser Deutsche Orden trat als ursprünglich germanische Schöpfung seine organische Vermischung mit den heimischen wendischen und baltischen Völkern an. Hier ist die germanische, dort die slawisch-baltische Komponente, aus welchen das Preußentum als Steigerung von Ordensgeist und Ritterideal erwuchs und seinen vielseitigen Charakter herausbildete. Es ist der zum Prinzip entwickelte innere Dualismus, den jeder echte Preuße, egal wo dieser geboren sein mag, in sich trägt: Macht und Verantwortung, Pflichtgefühl und Stolz, Leidenschaft und Zurückhaltung, selbstlose Aufopferung und sturer Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Gerechtigkeit, Vernunft und Glaube, Ernst und Spiellust – zuletzt: Preußentum und Deutschtum. Der Dualismus ist der Hauptwesenszug des preußischen Charakters – alle in diesem Werke aufgeführten Persönlichkeiten, Feldherren wie Philosophen, sind seelische Träger dieses Prinzips. Der Charakter ist Ausdruck einer tiefen inneren Erkenntnis und der meisterhaften Begabung, die in verschiedene Richtungen greifenden Triebe im Sinne des des höheren Zweckes zu koordinieren.

In dieses junge seelische Preußentum drang später Luthers Arbeitsethos, namentlich der Pietismus, der keine nach außen gerichtete religiöse Frömmelei, sondern eine Frömmigkeit der Tat schuf und die Pflicht ins Zentrum allen Handelns stellte. Nicht Calvin, sondern Luther wirkte auf das Preußentum, indem er der bereits vorher empfundenen Lebensauffassung ihre Formel gab. Die daraus entstandene tiefe Selbstzucht ausdrücklich aller Stände, führte zur Ausbildung eines staatsmännischen Typus, der mustergültig und bewundernswert war. So erwuchs organisch das preußische système mérite, welches nicht schnellen Gewinn und Ruhm verspricht, sondern ein hartes, entbehrungsreiches Leben für den Staat verlangt, das nur bei vorzüglichsten Leistungen am Lebensende belohnt wird und vor allem den Nachfahren zugutekommt. Auf dieser Grundlage wurden die Hyänen und Speichellecker verscheucht und die Löwen herangezüchtet. Die für den organischen Prozess des heranwachsenden seelischen Preußentums erforderlichen Lebensbedingungen, die Härte, Fleiß, Disziplin, Anspruchslosigkeit und Genügsamkeit verlangen, entsprechen unmittelbar den Lebensbedingungen des kargen, sandigen bis sumpfigen Bodens der Mark Brandenburg bis zum Memelland. Hoch bis zur Ostsee ist es das Land von Kiefer, Birke und Wacholder. Bis ins 19. Jahrhundert wird die Mark regelmäßig von Sandstürmen heimgesucht, die Ernte ist schmal, Flora und Fauna sind zwar lieblich, jedoch übersichtlich. Bis zur Erbeutung Schlesiens und der fast vollständigen Kontrolle über die Oder ist der Handel auf ein Minimum beschränkt, Wege und wertvolle Handelsgüter fehlen. Wo schließlich kein äußerer Reichtum in der Natur vorhanden ist, dort muss er innerlich entwickelt werden; wo die Lebensbedingungen widrig sind, dort wird der Lebenswille (eigentlich: Lebensgeist) stärker, oder er erlischt. Von all diesen organischen Zusammenhängen weiß der echte Preuße indes nicht; er fühlt sie tief im Inneren und würde den Versuch einer rationalen Ergründung seines Wesens verwerfen, er braucht keine Gründe, denn wie Oswald Spengler als echter Preuße schrieb:

»Die Natur kennt keine Gründe. Überall, wo es wirkliches Leben gibt, herrscht eine innere organische Logik, ein ›es‹, ein Trieb, die vom Wachsein und dessen kausalen Verkettungen durchaus unabhängig sind und von ihm gar nicht bemerkt werden.«3

Auf die Schwierigkeiten, die sich beim Versuch einer genauen ethno-kulturellen Bestimmung der Ausgangsvölker Preußens ergeben, muss hier nicht hingewiesen werden. Man tut sich bis zum heutigen Tage schwer, auf Grundlage von sprachlichen Relikten und deren Querverbindungen exakte ethnische Unterscheidungen in der Historie vorzunehmen, gerade weil Sprache ein organisches und daher höchst dynamisches Phänomen ist, das dem Gelehrten Haken zu schlagen weiß. Da der Verfasser kein Vertreter einer wie auch immer konzipierten materialistischen Schule ist, orientiert er sich ebenso wenig an einem materialistischen Verständnis von Völkern oder Rassen: Wesen, Geist, Zucht und Kunst verraten weit mehr über ein Volk, als es etwa die Genetik vermag. Es ist in jedem Falle kennzeichnend für den preußischen Charakter, dass er wesentlich im Deutschtum wurzelt, aber nicht ohne die weiteren (wahrscheinlich) wendischen und baltischen (nach Treitschke: finnischen) Zugaben erscheinen konnte. Es hat schließlich eine fulminante kulturelle Verschmelzung und Überschichtung stattgefunden: Die germanischen Siedler brachten die Disziplin, den Ordnungs- und Ordensgeist, die Prußen als Fischer und Jäger die Geschicklichkeit und Zähigkeit aus den Urzeiten, zuletzt die Slawen Genügsamkeit und Leichtsinn bis hin zum Fatalismus.

Das seelische Preußentum blieb nicht bei den Masuren, entlang der Ostsee oder der Mark Brandenburg stehen, es breitete sich als wesentlich im übrigen deutschen Norden, in Mitteldeutschland und anderen protestantisch geprägten Landesteilen aus. Alle vier hier zu behandelnden preußischen Persönlichkeiten sind keine gebürtigen preußischen Staatsbürger: Fichte ist im Kurfürstentum Sachsen geboren, Blücher und Moltke im Herzogtum Mecklenburg­Schwerin, Hegel schließlich im Herzogtum Württemberg. Unabhängig von ihrer Herkunft wurden sie Preußen; als Preußen wurden sie schließlich Deutsche aus Verantwortung. Bismarck sah bereits die Bedeutung und Aufgabe des Preußentums für Deutschland klar und deutlich:

»Wir züchteten schon damals das Offiziermaterial bis zum Regiments-Kommandeur in einer Vollkommenheit wie kein anderer Staat, aber darüber hinaus war das eingeborne preußische Blut nicht mehr fruchtbar an Begabungen wie zur Zeit Friedrichs des Großen selbst. Unsre erfolgreichsten Feldherren, Blücher, Moltke, Gneisenau, Goeben, waren keine preußischen Urprodukte, so im Zivildienste Stein, Hardenberg, Motz und Grolman. Es ist, als ob unsre Staatsmänner wie die Bäume in den Baumschulen zu voller Wurzelbildung der Versetzung bedürften.«4

Diese Liste ließe sich beliebig fortführen. Alle diese Persönlichkeiten gingen in Preußen auf und stehen maßgeblich für Preußen, wenn auch ihr Bekanntheitsgrad hinter dem »Soldatenkönig«, dem »Altem Fritz« oder dem »Eisernen Kanzler« zurücksteht. Gerade weil sie in der allgemeinen Wahrnehmung die »zweite Garde preußischer Prominenz« bilden mögen, ist es umso bedeutender für das Preußentum, dass es ebenfalls in den »hinteren« Abteilungen so stark ausgeprägt war. Alle großen Preußen stehen gleichzeitig für Deutschland und sind tief in seine Geschichte verwoben, sofern sie diese nicht selbst mitgeschrieben haben; sie trugen zur Entstehung eines gesamtdeutschen Verantwortungsgefühls und später Beamtentums bei, das im Verlaufe seiner Entwicklung ein Deutschland ermöglichte, das sich von einem Objekt der europäischen Politik zu einem handelnden Subjekt erhob.

Blücher steht als »Marschall Vorwärts« für die Befreiungskriege und den kriegerischen Genius Preußens, wie für dessen Rettung und die Herstellung deutscher Souveränität; Fichte steht mit seiner Philosophie für den deutschen Geist in seiner eigenen idealistischen Gestalt, der mit seinen Reden an die deutsche Nation vom Katheder aus die sittliche Erneuerung Preußens und Deutschlands in Bewegung setzte und sich für Nationalgefühl, Volkserhebung und die Pflicht zu einer damals nicht vorhandenen Nationalerziehung einsetzte; der »Große Schweiger« Moltke steht mit seinen Siegen von Königgrätz und Sedan für den militärstrategischen Genius Preußens und für die deutsche Reichseinigung unter Preußens Führung; Hegel vollendet die deutsche Transzendentalphilosophie, wird preußischer Staatslehrer und stellt mit seinem Denken, welches auf der Dynamik der dialektischen Spannung allen Seins beruht, eine bleibende Herausforderung für die kommenden Jahrhunderte dar. Alle verkörpern so das innere Spannungsverhältnis zwischen Preußentum und Deutschtum, das sich in ihnen staute und mit ihnen Geschichte machte.

Natürlicherweise wird man einen Akteur ausschließlich in dessen jeweiligem Metier beurteilen können und so wird und muss daher bei den Militärs der Schwerpunkt auf ihren Handlungen und Entscheidungen, bei den Philosophen hingegen auf ihren Gedanken und Worten liegen, auch wenn Preußen, das Sparta (Friedrich Wilhelm) und Athen (Friedrich) zugleich ist, stets Hybride beider Disziplinen hervorbringen musste.


Diese Schrift erhebt keinerlei wissenschaftliche Ansprüche; sie unternimmt vielmehr den Versuch einer morphologischen Ausdeutung eines Wesens, einer Idee in ihren Erscheinungen und Formen, ohne diese zu sezieren, ohne sie als toten Gegenstand zu behandeln. Dort, wo Vereinfachungen auftreten, seien die Ausnahmen der großen Form untergeordnet. Es ist die Überzeugung des Verfassers, dass sich die Dinge auf diese Weise besser begreifen lassen, als mit den Methoden der analytischen Wissenschaften. Goethe hat diese Ansicht vertreten und aus diesem Grunde sticht er bis heute aus der Masse von bloßen Gelehrten oder dem Riesenheer jener Wissenschaftler hervor, die das Leben dem Fetisch der Objektivität geopfert haben. Leitfaden ist für den Verfasser deshalb einzig Goethes großes Wort:

»Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt

Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.«5

Es geht dem Verfasser ausdrücklich nicht darum, vollwertige Biographien vorzulegen; weder soll das militärische oder philosophische Wirken der Protagonisten en detail nachvollzogen werden, noch maßt sich der Verfasser an, dies vollumfänglich leisten zu können. Ziel soll der Nachweis des echt preußischen Charakters des Lebens und Werkes dieser Persönlichkeiten sein, den nicht nur die größten und bekanntesten Staatsmänner besaßen. Es soll gezeigt werden, wie sehr der Staat auf diesem Charakter beruhte und ihn weitertrug, Generation für Generation, spätestens seit Friedrich I. (1657–1713). Gleichzeitig soll die innere Logik des Preußentums in der Veräußerlichung durch seine Träger verstanden und die aufgeführten preußischen Charakterköpfe als organischer Bestandteil des Ganzen gesehen werden, denn sie stehen gleichermaßen für Preußen wie Schinkel, Menzels Flötenkonzert in Sanssouci, Michael Kohlhaas, Soldatenzopf, Schadow, Antimachiavell und Volksheer.

Natürlicherweise steckt in dieser Schrift ein persönliches Bekenntnis des Verfassers zu Preußen, welches seinem ewigen Fortbestehen dienen möge. Man konnte den preußischen Staat mit Schmutz und Lügen überziehen, ihn zuletzt abschaffen; man übersah jedoch auf der Gegenseite dadurch, dass man für das Lebendige in seiner Entwicklung keinen Blick hat, dass sich Ideen nicht abschaffen lassen. Gerade aus diesem Grunde ist der heutige Mangel an preußischem Geist eine zutiefst verdrießliche Tatsache, denn allein auf ihn kommt es an. Das Preußentum wird fortbestehen, solange es im Geiste fortbesteht und durch die Tat gelebt wird. Ohne Deutschtum kein Preußentum – ohne Preußentum kein Deutschland. Dieser Geist ist nach Überzeugung des Verfassers verschüttet, eingesperrt, wenigstens in tiefem Schlafe begriffen und es ist das Anliegen, dass dieser geborgen und zum Dienste hoher Sittlichkeit und Kraft entfesselt werde. In tiefer Demut und Bescheidenheit möchte sich der Verfasser am großen Fichte orientieren: »Ich habe zu einem Gelehrten von Metier so wenig Geschick als möglich. Ich will nicht bloß denken, ich will handeln.«6

Schwarz und Weiß

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