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2. Kokain
ОглавлениеSamy und ich - wir sind das coolste Team der Republik. Deshalb steht es außer Frage, dass ich Samy auf dem Weg ins verschneite Hamburg begleiten werde.
Samstagvormittag. Der schwarze Honda liegt tief auf dem grauen Asphalt. Unser Raumschiff fast ausnahmslos auf der linken Spur. Blaue Autobahnschilder wischen an uns vorbei. Neben uns zombiehafte Wesen, denen der Normalzustand die Gesichtszüge verhärtet. Unsere hingegen sind entspannt. Wir sind geradezu die Sonne dieser Autobahn, schwarz und wie ein Blitz erobern wir aus dem Untergrund die Welt, immer mit einem siegesgewissen Lächeln auf dem Gesicht, cool, unschlagbar, unaufhaltbar.
„Wenn die Pole schmelzen, dann ist hier Land unter, davon kannst du ausgehen.“
Samy zündet sich eine Zigarette an. Er liegt tief unten im Sitz, raucht.
„Hey, du Vollidiot!“
Samy hätte beim Einscheren in die mittlere Spur fast einen plötzlich abbremsenden Lieferwagen mit der Stoßstange massiert, weicht aber noch rechtzeitig auf die Überholspur zurück, wo hinter uns ein eisgrauer Audi TT ruckartig abbremsen muss. Samy tritt durch, wir ziehen fett vorbei.
Eine ganze Zeit lang nur die schmale Überholspur vor uns, Gas bis zum Anschlag, 240, die anderen Autos kriechen wie Schnecken.
„Alter, weißt du, wenn wir erstmal aus Hamburg raus sind mit dem Zeug, dann feiern wir ne richtig fette Schneeparty, so mit kreisendem Spiegel und Lametta von der Decke…“
„Ja Mann, ich freu mich schon.“
Samy ruft Dani an, erzählt ihr einen Text über Party am nächsten Wochenende. Dani freut sich schon wahnsinnig, wittert vielleicht schon das Koks.
„Ich werd´ auch Ronald Bescheid sagen. Wir besorgen das Koks und er besorgt die heißesten Frauen der Stadt.“
Das klingt wie Musik in meinen Ohren. Wir grinsen, wir rauchen Kette.
Der Verkehr wird dicht, noch fünf Kilometer bis zum Elbtunnel. Stau. Unsere Fenster sind runtergekurbelt, die Musik hämmert durch die Kajüte. Immer wieder wird das leichte Grau licht, brechen Strahlen wie Himmelspfeiler durch die Wolkendecke und stoßen auf die hohen stillstehenden Frachtkräne. Containertürme bis zum Horizont in schmutzigem meeresverwaschenem Rot.
„Atme ein bisschen Meeresluft! Wird dir gut tun, min Jung! Das lüftet dir mal ordentlich den Schädel!“
Trancige Beats fließen mit der Elbe auf die tiefblaue Nordsee zu, münden in den Weltozean, erreichen die Pole, strömen von den Polen wieder zurück nach Hamburg. Die Luft hat eine erfrischende Ingredienz, ein Etwas für das es keine Worte gibt.
Und die Kähne haben die Bäuche vollgetankt mit dieser Freiheit. Die Farben schleusen sich kräftig in unsere Augäpfel. Ein gewaltiger Anblick! Ich atme tief ein. Spitzenmäßige Seeluft, ätherisches Öl aus dem hohen Norden mitten auf diesem grauen Asphalt, neben den brodelnden Dieselmotoren der LKWs, neben Mädels, die sich entnervten Blickes im Rückspiegel ihre Wimpern betuschen. Große Freiheit, hier ist deine Heimat!
Der Stau löst sich und wir erreichen die City. Einkaufsstraßen. Ob die Jungs damals schon Drogen konsumiert haben? Als ich die Frage denke, wiederholt Samy sie laut und ich antworte:
“Sicherlich haben sie gekifft, zumindest gesoffen!“
„Die waren schon genauso stoned wie wir!“
Die Hanse – eine Handelsbruderschaft. Mit Samy verbindet mich eine Bruderschaft gleicher Art. In diesen Augenblicken sind wir Brüder. Und schließlich sind wir hier, um Koks zu beschaffen.
In der City scheint alles unverändert, so wie ich es von jeher kenne. Doch hier am Hafen steigt einem der seelenlose Geruch des Geldes mitsamt einer frischen Seebrise ganz erheblich in die Nase.
Gedanken in die Tonne – ich bin hier, um Koks zu besorgen!
Wir stellen das Auto ab und stoßen auf die Reeperbahn. Es wird schon dämmrig, am Horizont ziehen die ersten nächtlichen Schleier auf. Festlich, taghell ist es hier beleuchtet, gleißendes Licht aus den Geschäften. Ein junges hübsches Mädchen mit hautengen Kleidern fordert uns auf, stehenzubleiben. Sie trägt eine rote, chemisch schimmernde Perücke. Ihre Augen blitzen verführerisch. In gebrochenem Deutsch sagt sie: „Fünfzig.“
Samy sagt: „Wir kommen vielleicht später wieder.“
Gerade schlendern wir an einem Thai-Schuppen vorbei, da klingelt Samys Handy. Es ist Brinkholm. Samy hat plötzlich seine kühle geschäftliche Miene aufgelegt, er bekommt jetzt genaue Anweisungen über den Standort des Kokains. Denn Brinkholm weiß die Nummer des Containers, der am Nachmittag von einem Frachter abgeladen worden ist.
Wir trinken einen Jägermeister in einer Bar, dann ein Bier.
„Immer ruhig Blut, min Jung!“ Samy schlägt mir auf die Schulter.
„Nichts läuft uns davon, lass uns lieber noch einige Blicke auf diese süßen Häschen werfen.“
Vor dem Laden haben sich einige Prostituierte versammelt. Mit Kussmund und aufreizenden Kleidern warten sie auf einen Freier. Einige von ihnen scheinen abgenutzt, stehen schon zu lang auf dieser Straße. Einige haben klirrende Schnapsfläschchen in ihren Taschen.
„Du schaust sie an, als würdest du sie bedauern. Grins ihnen zu, dann macht ihnen die Sache Spaß!“ Ich grinse ihnen zu.
Samy zündet sich eine Zigarette an. Wir trinken noch einige Biere und gehen zurück zum Auto, machen uns auf zum beschriebenen Ort.
Mittlerweile ist es stockdunkel und wir parken vor dem Gelände. Wir hören Musik und warten. Durch die Heckscheibe beobachten wir die Straße. Sie ist leer. Das Grundstück auf das wir gelangen müssen ist von einem hohen Zaun umgeben. Vielleicht ist das Grundstück mit Alarmanlagen gesichert.
„Scheiße! Wie sollen wir denn auf dieses beschissene Gelände kommen?“
Stille. Als Samy aussteigen möchte, um die Lage abzuchecken, kommt plötzlich ein Polizeiauto aus der Dunkelheit. Samy schließt schnell wieder die Tür. Der Wagen rollt langsam vorbei, wird noch langsamer und hält vor dem Bürgersteig.
„Mach dich mal ein bisschen klein!“
Wir ducken uns in den Fußraum. Wir schielen nach oben und sehen, wie ein Polizist mit langem Halogenstrahler das Gelände ausleuchtet. Es dauert eine Ewigkeit. Jetzt driftet der Strahl zu uns herüber und sticht genau in unseren Rückspiegel.
„Scheiße, halt´ mal die Luft an!“
„Die können uns doch sowieso nichts!“ Noch immer schwenkt der Strahler hin und her.
„Hast du eine Ahnung? Die brauchen hier nur mal kurz den Wagen durchstöbern!“
Jetzt schwenkt der Scheinwerfer ab und nach einer Weile klappt eine Tür. Noch wagen wir es nicht aufzublicken, erst später schauen wir erleichtert auf. Sie sind weg.
Jetzt machen wir uns auf den Weg. An einer unbeleuchteten Stelle klettern wir über den Zaun. Containertürme so weit das Auge reicht.
„Den finden wir doch nie!“
Samy sagt nur: „Fresse halten!“
Mit lautlosen Schritten schleichen wir zwischen den Türmen vorwärts, bis wir auf einen unübersichtlichen Platz mit tiefen Pfützen stoßen, in denen Fernsehbilder flimmern. Sie stammen aus einem Häuschen, das sich am Ende des Platzes befindet. Drinnen sitzt ein kahlgeschorener breitschultriger Wachmann an einer Cola–Flasche nippend.
„Wir müssen hier rüber, der Container ist ganz am Ende.“
Also. Der Wachmann scheint tief ins Programm versunken. Das Fernsehbild ist gut zu erkennen. Nackte Mädels, die sich gegenseitig die Brüste massieren, spiegeln sich verschwommen in den tiefen Pfützen.
Unbemerkt huschen wir über den Platz, tauchen schnell wieder in der Dunkelheit der gegenüberliegenden Seite ab.
Wären nicht so unzählige irdische Geräusche um uns – der Wind, die leisen Motoren der Autos, das tubahafte Tuten der Frachtkähne - ich würde mir gewiss sein, dass ich mich in einem Schacht aus grauen Stahlwänden befände. Übereinandergestapelte Särge aus Stahl.
Mond, du mit deiner bekoksten Bleichheit – ja Mond, du bist geil, du bist geil, Mond – wie viele Dichter haben zu dir emporgeschaut und sich unter deinen Fittichen einen runtergeholt? Dieser sprudelnde Leichtsinn, in tiefe Worte gefasst, hat dich bleich werden lassen, ja heute scheinst du nur noch verkokst, verwaiste Wolken strömen um dein Gesicht wie altes verwahrlostes Haar…
Wir gehen weiter.
„Irgendwo hier.“
Verirrt streichen wir durch die Gänge, mal nach links, mal nach rechts. Samys Nase spitzt sich.
„Pass mal auf, min Jung, eins ist sicher: irgendwo hier, gar nicht weit entfernt, befindet sich Koks. Ich rieche den Stoff auf zehn Meilen entfernt.“
Samy strotzt plötzlich vor Selbstbewusstsein und Tatendrang. Seine Augen leuchten. Samy setzt seine Sonnenbrille auf. Er schwenkt seinen Kopf, versucht Wellen zu empfangen wie ein swingender Stevie Wonder, schreitet mit ausgestreckten Händen vorwärts durch den dunklen Containerpark.
Samy meint die Sache Ernst. Auch wenn sein Erscheinungsbild nicht darauf schließen lässt. Samy besitzt ganz sicher ein großes Reservoir geistiger Kräfte und er gebraucht sie folgerichtig für seine selbst bestimmten, ihm nützlichen Zwecke.
Er schreitet also voran, biegt jetzt um einen Containerturm und ist für einen Moment meinem Blickfeld entzogen. Ungläubig stapfe ich ihm hinterher, schon ist er ein zweites Mal abgebogen.
„Yes, man!“
Was geht? Schnell bin ich bei Samy. Er steht vor dem Container mit der richtigen Nummer.
„Rein da!“
An der Seite befindet sich eine kleine Luke. Samy leuchtet mit der Taschenlampe ins Innere. Wir kriechen in den Container. Dort befinden sich ungefähr zwanzig übereinander gestapelte Kaffeesäcke.
„Und nun?“
„Aufschlitzen!“
Samy hat sein Klappmesser aus der Tasche gezogen. Es dauert keine zwei Minuten, dann sind alle Säcke geöffnet und überall rinnt Kaffee. Wir durchwühlen Fluten aus Kaffee.
Wir fluchen, scharren und schnaufen, dabei durchstöbern unsere Blicke die schwarze Masse.
„Die haben uns verarscht, wo soll das Zeug denn bitte schön sein?“
Doch plötzlich fühle ich einen runden Plastikbeutel in meiner Hand. Die Taschenlampe bestätigt den Fund: ein weißer Schimmer am Ende dieser Odyssee, ein weißer Glanz wie die Spitze eines Eisbergs auf einem gottverlassenen Ozean.
„Yes, Mann!“
Es sind fünfzehn Tüten. Wir packen die Beute in einen Kaffeesack und schon stehen wir wieder draußen in der kühlen Nacht im bekoksten Mondlicht. Der Wächter schaut weiter fern. Wir sind weg und mit uns fünfzehn Kilo Koks.