Читать книгу Lagerkoller: Sechs erotische Novellen - Ane-Marie Kjeldberg - Страница 5

Sommer 1968

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Solbjørg schlüpfte in das neue, weiße Asani-Höschen und zog das ebenso neue, türkisblaue Negligé über. Es war leicht wie ein Windhauch und legte sich schmeichelnd über ihre kleinen Brüste und die schmale Hüften. Die kurzen, luftigen Ärmel verbargen ihre kräftigen Schultern leicht. Sie betrachtete sich im Spiegel. Sie hatte die Figur einer Balletttänzerin, das konnte sie nicht leugnen. Noch ein paar Spritzer von Elizabeth Ardens Blue Grass an strategisch wichtigen Stellen. Ulf hatte ihr das Parfüm geschenkt, im Mai, nach ihrer letzten Vorstellung.

Ulf hatte sich bereits ins Bett gelegt. Er las in Geschichte einer Seele der katholischen Nonnen Thérèse de Lisieux.

Mit einem Seufzer legte Solbjørg sich zu ihm ins Doppelbett. Sie waren am selben Abend im Ferienhaus angekommen, und sie freute sich auf den gemeinsamen Urlaub, der Startschuss eines ganz neuen Kapitels in ihrem Leben sein sollte. Ulf sah sie an und lächelte. Dann blätterte er um und las weiter.

Sie schob eine Hand unter seine Decke, fand den Spalt zwischen zwei Knöpfen seiner Pyjamajacke und strich über seine glatte Brust.

Ulf legte das Buch auf den Nachttisch, nahm die Brille ab und schaltete das Licht aus.

„Ich bin einfach nur müde.“ Er küsste sie auf die Stirn. „Gute Nacht, meine Liebste.“ Er drehte sich auf die Seite und in der hellen Nacht konnte sie nur noch die Silhouette seines Rückens erahnen, die sich vor den weißen Gardinen abzeichnete.

Am nächsten Morgen war die Luft frisch und duftete nach feuchtem Sand. Am Strand lagen große, klare Fischrogen, um die sich in der ablaufenden Flut v-förmige Trichter gebildet hatten. Ulf schlief noch, als sie das Haus verließ. In der Ferne bemerkte Solbjørg ein paar andere morgenfrische Wanderer, die langsam näherkamen, ansonsten war der Strand menschenleer.

Sie atmete tief ein und ihre Füße und ihr ganzer Körper verspürten mit einem Mal die Lust zu tanzen. Ach, die ersten Lektionen am Barren. Es war eine einzige Freude gewesen, die in jeden Winkel ihres Körpers gedrungen war. Erste Position, zweite, dritte. Und dann: plié, changement, grande battements. Es war so lange her, aber jetzt gerade war es lebendig, spürte sie es mit jeder Faser, genau wie damals, als sie sechs Jahre alt gewesen war. Sie konnte nicht anders und nahm die vierte Position ein, ganz kurz nur und ohne den Arm en haute, was zu einem Balanceproblem führte und ihr unwillkürlich ein leises, kicherndes Lachen entlockte.

Als sie wieder nach unten blickte, lag er da, einer der vom Wasser geschliffenen Feuersteine, die sie sammelte. Dieser hier trug eine Kalkablagerung in Form eines J in sich.

Jetzt bemerkte sie, dass oben in den Dünen vor Havstuen jemand stand. Es schien Doktor Svart zu sein, ihr Arzt und Ferienhausnachbar. Sie erkannte seine hochgewachsene Statur und das dichte, kräftige Haar, das weder Kamm noch Brylcreem zähmen konnten. Solbjørg hob die Hand und winkte, aber er sah sie nicht, starrte nur über die graublaue Nordsee.

„Schau mal, was ich gefunden habe“, sagte sie, als sie zurück im Ferienhaus war, wo Ulf in seinem blaugestreiften Pyjama saß und Zeitung las.

„Mm“, brummte er und blickte kurz auf. „Wie schön. Wie viele hast du eigentlich inzwischen?“

„Keine Ahnung. Die meisten haben Buchstaben, ein paar auch Zahlen. Davon gibt's nicht viele, glaube ich, oder vielleicht habe ich nur keinen Blick dafür.“

„Hm. Ich habe Tee gemacht.“ Er deutete auf den orangefarbenen Teewärmer, den sie ins Haus geschmuggelt hatte. Die Teekanne hingegen stammte noch aus der Zeit von Ulfs Großeltern mütterlicherseits, und das gleiche galt für das weiße Porzellan mit dem hellblauen Blumenmotiv.

„Danke, Ulf“, sagte sie, ging zu ihm und beugte sich vor, um ihn auf die Wange zu küssen.

Er wandte den Kopf ab, nur ein paar Millimeter, aber sie hatte sein Manöver bemerkt. Sie schnitt ein paar Scheiben Baguette und nahm Käse und Milch aus dem kleinen Kühlschrank. Dann setzte sie sich an den Esstisch und tat so, als würde sie die Politiken lesen.

Schließlich legte sie die Zeitung beiseite.

„Ulf, was ist eigentlich los?“

Er sah auf. Seine Gesichtszüge waren angespannt.

„Nichts“, antwortete er. „Warum denkst du andauernd, es sei irgendetwas los?“

„Du weist mich ab“, sagte sie leise.

„Und wann soll ich das getan haben?“

„Gestern Abend. Und gerade eben.“

Er seufzte, faltete das Kristeligt Dagblad zusammen und legte die Zeitung auf den Tisch. „Du weißt, dass ich in letzter Zeit sehr viel gebetet habe. Und Gott hat zu mir gesprochen.“ Er schwieg.

„Und?“, fragte sie.

„Ich werde die nächsten zwei Jahre enthaltsam sein.“

„Enthaltsam? Aber du trinkst doch sowieso so gut wie nie Alkohol.“

„Es geht nicht um Alkohol, Solbjørg. Ich werde im Zölibat leben.“

„Im Zölibat? Aber warum denn? Deine Gemeinde ist ja nicht mal katholisch. Das können sie doch nicht von dir verlangen.“

„Es hat auch nichts mit der Gemeinde zu tun. Es geht um die Pläne, die Gott mit mir hat“, antwortete Ulf.

„Und was ist mit unseren Plänen?“

„Ich kann mich Gott nicht widersetzen“, entgegnete er.

„Und wie sollen wir dann …?“ Sie konnte den Satz nicht beenden.

„Das müssen wir auf später verschieben.“

„Ich bin fast vierzig.“ Sie spürte, wie ihre Augen zu brennen begannen.

„Nein, Solbjørg, fang jetzt bitte nicht wieder an zu heulen“, sagte er mit unverändert milder Stimme. Nur seine Worte waren schärfer geworden. „Gott kommt zuerst. Und das wusstest du auch ganz genau, als du mich geheiratet hast.“

Nach dem Frühstück ging sie wieder an den Strand. Ulf wollte nicht mitkommen, er zog sich zum Gebet zurück. Ein paar Badende und Spaziergänger waren unterwegs. Unterhalb der Dünen legte sie das grüne Badetuch ab und zog das Strandkleid aus. Darunter trug sie ihren weißen Badeanzug. Ohne zu zögern lief sie zum Wasser, streifte die Sandalen ab und sprang in die Brandung. Das Wasser war kalt, aber sie biss die Zähne zusammen und stürzte sich in die Wellen.

Geduld ist eine Tugend, dachte sie, während sie parallel zur Küste schwamm. Und Ulf war geduldig mit ihr gewesen. Das hatte ihre Schwiegermutter stets betont, und Solbjørgs Mutter hatte ihr beigepflichtet. Die meisten Frauen ihrer Generation, ob Balletttänzerin oder nicht, hatten Arbeit und Karriere aufgegeben und sich um ihr Zuhause und ihre Familie gekümmert, sobald sie verheiratet waren. Doch Ulf hatte sich großmütig gezeigt, als Solbjørg ihren Wunsch äußerte, nach der Trauung ihre Laufbahn als Solotänzerin fortsetzen zu wollen. In diesem Punkt war er außergewöhnlich. Vielleicht musste sie jetzt geduldig mit ihm sein.

Vielleicht machte es auch gar keinen großen Unterschied.

Ihr Liebesleben war nie besonders ereignisreich gewesen.

Sie schwamm zum Ufer, watete an Land.

Jetzt gerade war sie alles andere als geduldig. Sie bückte sich, raffte die Sandalen an sich und lief in Richtung ihres Badetuchs. Sie spürte, wie Wut auf Ulf in ihr hochstieg. Sie würde sie sich aus dem Körper laufen. Volle Fahrt voraus.

Sie kannte die Gegend in- und auswendig und hätte eigentlich auf der Hut sein sollen, aber ihre Gedanken drehten sich im Kreise und sie hatte den unter dem verwehten Sand fast vollständig begrabenen Bunker der Deutschen, um den man besser einen Bogen machte, völlig vergessen. Mit dem großen Zeh des rechten Fußes stieß sie gegen den Beton, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Solbjørg schrie kurz auf, als sich ein Stück von einer zerbrochenen Muschel in ihre linke Handfläche bohrte.

Blitzschnell war sie wieder auf den Beinen, etwas, das eine Balletttänzerin beherrschte, und lief weiter in der Hoffnung, niemand habe ihr kleines Missgeschick bemerkt. Dann sah sie das Blut, das in den Sand tropfte. Es tat nicht besonders weh, aber das Blut lief, als entspringe es einer kleinen Quelle. Wie sollte sie zu ihrem Handtuch kommen, ohne eine dramatisch rote Spur hinter sich herzuziehen? Sie presste die blutende Hand auf den geriffelten Stoff ihres Badeanzugs. Nach ein paar Schritten sah sie aus, als habe jemand sie mit einem Messer verletzt.

„Warten Sie, ich helfe Ihnen“, erklang eine tiefe Stimme dicht neben ihr.

Sie blickte auf und sah in die Augen von Jens Svart.

„Das nenne ich mal einen Arzt zur rechten Zeit am rechten Ort“, sagte sie und versuchte zu lächeln.

Rasch knöpfte er sein kurzärmeliges, weißes Hemd auf, zog es aus und wickelte es um ihre verletzte Hand:

„Das Hemd kann gewaschen werden. Ihre Hand ist wichtiger. Kommen Sie mit, dann bringen wir das in Ordnung.“

„Nein, ich möchte Ihnen und Ihrer Frau so früh am Morgen keine Umstände machen. Ich komme schon zurecht.“

„Meine Frau ist für ein paar Tage in Århus, Sie machen also keine Umstände, Frau Viig. Kommen Sie. Ist das Ihr Handtuch dort drüben?“

Sie nickte, zögerte aber immer noch. Er fasste sie sanft am Ellbogen und führte sie mit ruhiger ärztlicher Autorität den Strand hinauf.

Sie spürte die Wärme seiner nackten Arme und seines Oberkörpers. Sie war Ärzte mit so viel nackter, von der Sonne hellbraun gebrannter Haut mit starken Muskeln und Sehnen darunter nicht gewohnt. Doktor Svart war so ganz anders als Ulf mit seinem hellen, sommersprossigen Teint und dem zerbrechlichen Körperbau. Und Svart war größer als Ulf – und viel größer als ihre Kollegen aus dem Ballettensemble.

Sie war noch nie in Svarts Ferienhaus Havstuen gewesen. Lange hatte es leer gestanden, bis Jens Svarts junge Frau das Haus vor ein paar Jahren von ihren Großeltern geerbt hatte, etwa zu der Zeit, als sie heirateten.

Es war eines der kleinsten Ferienhäuser in der Gegend und bestand nur aus einem Raum mit einem kleinen Anbau für Küche und Windfang, aber es war hell und freundlich eingerichtet mit weißen Wänden, leichten Möbeln und feinen Spitzengardinen.

„Setzen Sie sich doch bitte, Frau Viig“, sagte Svart und deutete auf einen weißen Korbstuhl.

Er ging in die Küche, und sie hörte, wie er sich lange und gründlich die Hände wusch. Sie sah sich um. Auf der Fensterbank stand eine kleine Sammlung Briefbeschwerer aus Glas, alle blau. Dazwischen lagen ein paar kleine Steine, die Solbjørg gerne genauer betrachtet hätte, aber man konnte ja nicht einfach in einem fremden Haus herumschleichen, erst recht nicht, wenn man als Patient gekommen war. An einer der Wände stand ein breites Regal, vom Boden bis zu Decke voller Bücher. Werke von Emil Aarestrup, Henrik Pontoppidan und Johannes Jørgensen, aber auch moderne Autoren wie Leif Panduro und Klaus Rifbjerg waren zu finden. Auf dem Tisch lag Frank Jægers neueste Gedichtsammlung Idylia, die auch auf ihrem Nachttisch Platz gefunden hatte.

Svart holte seine Arzttasche, zog sich einen Stuhl vom Esstisch heran und setzte sich neben sie. Er nahm ihre Hand, wickelte den provisorischen Hemdverband ab und hielt die Wunde in das Licht, das durchs Fenster hereinfiel. Mit ruhigen Bewegungen reinigte er die Wunde mit Wasser, untersuchte sie genau, griff nach einer Pinzette und setzte seine Arbeit fort. Sie biss die Zähne zusammen und sog die Luft ein. Es tat weh.

„Stillhalten!“ Er presste ihre Hand auf seinen Bauch, stellte sie ruhig.

Normalerweise war sein Dänisch perfekt, aber jetzt konnte sie seine norwegische Herkunft erahnen. Es hatte etwas mit dem t und der Aussprache der Vokale zu tun. Seine Brust war immer noch nackt, und ihr Daumen und ihr Unterarm lagen auf der glatten, warmen Haut. Sie spürte seinen Herzschlag. Schwitzte. Wandte den Blick ab, ließ ihn durchs Zimmer schweifen, sah den Mann wieder an, seine Beine. Er trug khakifarbene Shorts. Eine feine, goldbraune Behaarung überzog Schenkel und Waden, ganz ähnlich den Härchen auf dem oberen Teil seiner Brust.

Ulf hatte keine Brustbehaarung, und die Härchen auf seinen Armen und Beinen waren spärlich und sehr hell.

Sie musste weg. Nach Hause.

„Das ist wohl wieder in Ordnung“, sagte sie. „Ich sollte jetzt besser …“ Ihr wurde schwindelig. Ihre Hand hinterließ Schweißtröpfchen auf Svarts Brust und Bauch. Die Hand blutete wieder, und das Blut lief an ihm herunter, noch bevor er es mit einem Wattebausch auffangen konnte. Ihr Blut war an ihm, lief an seinem Nabel vorbei bis zur Hose, als sauge sie die rote Flüssigkeit förmlich an.

„Ist Ihnen nicht gut?“, fragte er nachdrücklich. „Sie müssen sich hinlegen.“ Er legte ihren gesunden Arm um seinen Nacken, fasste sie um die Hüfte und half ihr aufzustehen. Er stützte sie und bugsierte sie auf die andere Seite des Zimmers, wo ein Sofa stand, wie sie zunächst angenommen hatte, doch jetzt bemerkte sie, dass es das Ehebett der Svarts war, bezogen mit graugestreifter Bettwäsche und großen, weißen Kissen.

„Nein, nein, es geht schon, ich muss mich nicht hinlegen“, sagte sie. „Mein Badeanzug ist auch immer noch feucht. Ich ruiniere nur ihr Bett.“

„Ich kann nicht zulassen, dass Sie am Ende noch auf den Boden knallen. Bewusstlose fallen hart“, antwortete er, hob ihre Beine aufs Bett und legte sie zurecht. Sie spürte seinen festen Griff an Beinen und Schultern.

Er holte Arzttasche und Stuhl herüber und nahm die Behandlung ihrer Wunde wieder auf.

Er roch nach Pfeifentabak, Fichtenharz und irgendetwas Undefinierbarem, aber sehr Behaglichem. Er hatte Fältchen am Mund, kräftige Brauen und sowohl ein markantes Kinn als auch eine prägnante Nase. Die Augenpartie verriet, dass er viel gelächelt hatte, aber die Ränder darunter bezeugten, dass es auch Kummer und Sorgen gegeben haben musste. So ein Unsinn, hätte Ulf gesagt. Du kannst doch nicht wissen, warum die Leute Ränder unter den Augen haben. Aber Solbjørg wusste es.

Und dann waren da Jens Svarts Augen. Sie hatte bisher nie auf ihre Farbe geachtet. Sie waren grün, grün wie die Scherben, die sie zusammen mit ihrem ersten Freund auf dem Boden eines Waldstücks gefunden hatte, wo im 16. Jahrhundert eine Glashütte gestanden hatte. Der Tag im Wald bei Rye hatte etwas an sich gehabt, das sie nie vergessen würde, obwohl sie die Scherben längst nicht mehr besaß. Eine Verbundenheit mit der Vergangenheit, aber noch mehr als das, einen Zusammenhang im gesamten Dasein, den sie nicht erklären konnte, aber klar und deutlich fühlte, während sie das grüne Glas unter den großen Buchen aufgehoben hatte. Jetzt sah sie diese Farbe wieder, changierend und doch rein, in den Augen eines Mannes, der ihre verletzte Hand betrachtete.

Und sie lag hier, im Badeanzug, auf seinem Bett, während er nur mit Shorts bekleidet neben ihr saß und ihre Hand untersuchte, einen Teil ihres Körpers berührte. Er hatte große, kräftige Hände, durchzogen von einem Netzwerk schwachgrüner Adern unter der sonnengebräunten Haut.

Plötzlich drehte er den Kopf und sah ihr direkt in die Augen, hielt ihren Blick fest. Seine Augen hatten tatsächlich eine ganz ungewöhnliche Farbe, und es war, als wüssten sie etwas über sie, dessen sie sich nicht einmal selbst bewusst war.

„So, fertig.“ Er drehte ihre Hand, sodass sie das Pflaster darauf sehen konnte. „Dann können wir ja jetzt zum angenehmen Teil unserer Begegnung übergehen.“ Er lächelte, hatte schöne, schneeweiße Zähne.

„Zum angenehmen Teil?“ Sie stolperte über die Worte.

„Ich mache uns eine Tasse Tee.“

„Ah.“ Sie lächelte nervös. „Nein, Doktor Svart, ich sollte jetzt wirklich zusehen, dass ich nach Hause komme.“

„Nein, Sie müssen sich noch ein wenig ausruhen. Sie sind immer noch sehr blass“, sagte er entschieden. Er verschwand, und sie hörte, wie er sich in der winzigen Küche zu schaffen machte.

Sie blieb liegen. Über dem Fußende des Bettes hing ein Regal, darauf standen ein großer Flakon Chanel No. 5 und ein Fläschchen tiefroter Nagellack. Und eine Flasche Old Spice Rasierwasser. Vielleicht war es der Duft, den sie an Svart wahrgenommen hatte?

Der Tee, den Svart in großen, rustikalen Bechern hereintrug, verbreitete ein verführerisches Aroma im Zimmer. Svart stellte ihn auf dem Sofatisch ab und trat wieder an Solbjørg heran. Er beugte sich über sie und strich mit der Hand über ihre rechte Schulter. Sein Gesicht kam näher, und sie hielt den Atem an.

„Sie haben da noch eine verletzte Stelle“, sagte Svart.

Mit einem leisen Keuchen atmete sie aus.

Er sah sie an. Lange.

Dann öffnete er die Arzttasche, beugte sich erneut über sie, reinigte die Wunde und klebte ein Pflaster darüber.

Er duftete tatsächlich nach Old Spice.

Sein Atem streichelte ihr Gesicht und ihren Hals, duftete nach kühler Pfefferminze, aber auch nach warmem, pulsierendem Leben. Nach Mann.

Ruckartig setzte sie sich auf, als er die Wunde versorgt hatte. Sprang beinahe hinüber zum Sofatisch, griff nach einem der Becher und trank einen Schluck.

„Danke für den Kaffee“, sagte sie, nahm ihr Strandkleid vom Stummen Diener und schlüpfte in ihre Sandalen, während sie das Kleid auf die Schultern gleiten ließ.

Gerade als die Tür hinter ihr zufiel, hörte sie Jens Svarts Stimme: „Mache ich so schlechten Tee?“

„Ich bin gefallen, unten am Strand“, sagte sie, als sie zurück im Ferienhaus war.

Ulf drehte sich in seinem Sessel zu ihr um. Sie zeigte auf die Pflaster an Hand und Schulter.

„Doktor Svart kam vorbei und hat mir geholfen“, fügte sie hinzu.

„Gütiger“, sagte Ulf. „Du gehst zum Strand und fällst einfach so hin?“

„Ich bin gelaufen.“

„Wieso das denn? Du musst auf dich aufpassen.“ Mit besorgtem Blick sah er sie an.

Seine rotbraunen Haare hatten die gleiche Farbe wie die Sommersprossen auf seiner Nase. Sie lächelte, ging um den Sessel herum und trat hinter ihn, legte die Arme auf seine Brust und küsste sein Haar, dann seine Wange und ließ die Hände weiter nach unter wandern.

Er erstarrte, wandte den Kopf ab und nahm ihre Hände weg.

„Du weißt doch, Solbjørg, das Zölibat hat begonnen.“ Er hob die Zeitung, blätterte eine Seite um.

„Das geht mir ganz schön auf die Nerven“, sagte Ulf, als sie am nächsten Tag von ihrem Morgenspaziergang den Strand entlang zurückkam. „Irgendjemand ruft ständig hier an, und wenn ich rangehe, wird einfach aufgelegt.“

„Kannst du nicht einfach den Stecker rausziehen?“, fragte Solbjørg.

„Nein, es könnte ja sein, dass jemand aus der Gemeinde mich braucht.“ Er verschwand im Arbeitszimmer und schloss die Tür hinter sich. Ein gemeinsames Frühstück sollte es heute anscheinend nicht geben.

Ihr Ferienhaus hatte einen Telefonanschluss bekommen, damit die Gemeinde Ulf erreichen konnte. Solbjørg wäre es anders lieber gewesen, Ferienhäuser und Telefone gehörten nicht zusammen. Aber die Gemeinde tat sich schwer, ohne ihren charismatischen Gründer zurechtzukommen, also war nichts zu machen gewesen.

Solbjørg machte sich ein Frühstück, stellte alles auf ein Tablett und ließ sich mit ein paar alten Wochenzeitschriften bewaffnet draußen auf der Terrasse nieder.

Dann klingelte das Telefon im Flur, und als Ulf nicht reagierte, ging sie ran.

„Jens Svart hier“, drang eine tiefe Stimme in ihr Ohr. „Ich wollte hören, wie es Ihnen geht.“

„Ich wusste gar nicht, dass Sie einen Telefonanschluss im Ferienhaus haben“, sagte sie.

„Habe ich auch nicht“, entgegnete er. „Ich bin mit dem Rad zur Telefonzelle unten beim Einkaufsladen gefahren.“

Die Tür zum Arbeitszimmer ging auf. Ulf streckte den Kopf heraus. „Wer ist es denn?“, rief er mit stirnrunzelnd.

„Ich melde mich wieder“, sagte Svart, dann war ein Klicken zu hören.

„Falsch verbunden“, sagte sie zu Ulf und legte auf.

Ulf verschwand einmal mehr in seinem Arbeitszimmer.

Sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

Später an diesem Tag schlenderte sie am Eiscafé vorbei und entdeckte zufällig eine Postkarte mit dem Motiv eines Bernhardiners im Arztkittel. Sie kaufte die Karte und eine Briefmarke dazu, borgte sich einen grünen Bic-Kugelschreiber und schrieb: „Ich habe mich noch gar nicht für Ihre Hilfe neulich bedankt. Also hiermit: Danke.“ Dann noch Jens Svarts Name und Adresse, keine Unterschrift und ab in den Briefkasten, bevor sie es bereute.

Am nächsten Vormittag klingelte erneut das Telefon.

„Jederzeit gerne wieder“, sagte Jens Svart und legte auf.

Sie lachte leise.

Nach dem Kaffee machten Solbjørg und Ulf einen Spaziergang am Strand. Sie blieben stehen und blickten über das lilaweiße Meer, beobachteten die lilafarbenen Wolken, hinter denen sich die Sonne verbarg, wie ein purpurroter Ball aus Seide, den ein kindlicher chinesischer Kaiser dort hingeworfen hatte. Ulf gefiel es nicht, wenn Solbjørg so redete. Das göttliche Schöpfungswerk verglich man nicht mir nichts dir nichts mit einem Kinderspielzeug, hätte er gesagt. Also behielt sie es für sich und versuchte, sich darüber zu freuen, dass er mit ihr einen Abendspaziergang unternahm. Aber seine Zurückweisungen und diese ganze Sache mit dem Zölibat formten sich zu einer kleinen, harten, eisigen Kugel in ihrer Magengegend.

„Ich denke in letzter Zeit immer öfter an ein Kind“, setzte sie an. „Wir hatten doch besprochen, dass wir versuchen wollen, Eltern zu werden, wenn ich als Balletttänzerin aufhöre.“

„Das ist ein paar Jahre her, dass wir darüber gesprochen haben“, entgegnete Ulf. „Und du willst doch jetzt unterrichten, oder? Das Theater hat dir doch die Stelle an der Ballettschule angeboten, und für mich hörte es sich so an, als wolltest du sie annehmen.“

„Ich könnte ja unterrichten, bis das Kind da ist. Und dann wieder anfangen, wenn es ein halbes Jahr oder so alt ist.“

„Und wer soll auf das Kleine aufpassen? Erwartest du etwa, dass ich mich darum kümmere?“ Er lachte.

„Nein, natürlich nicht, aber wir könnten doch ein Kindermädchen einstellen.“

Er seufzte tief. „Das passt ganz einfach alles nicht zusammen, Solbjørg. Erst opferst du deine besten Jahre der Tanzerei, dann willst du ein Kind, willst dich aber nicht darum kümmern, weil du anderen das Tanzen beibringen willst. Ich bin überzeugt, wir sollten nicht versuchen, ein Kind zu bekommen, wenn du gar kein Interesse daran hast, es großzuziehen. Weder jetzt noch in zwei Jahren.“

Diese Nacht schlief sie im Gästezimmer. Es war, als hätte sie nicht nur einen Messerstich in den Rücken bekommen, sondern gleich mehrere, als Ulf plötzlich sie und ihre Vergangenheit angriff und all ihre gemeinsamen Pläne kaputt machte. Sie lag da und starrte ins Halbdunkel, während die Dünung des Meeres und die Schreie der Möwen den Klangteppich für ihre Gedanken bildeten, die sich kraftlos im Kreis drehten.

Oben im Schlafzimmer stand Ulf am Fenster und schaute über das Wasser. Er ging zum Bett, wieder zurück zum Fenster, dann zur Kommode.

Schließlich ließ er sich in den Schaukelstuhl sinken und rieb sich mit den Händen übers Gesicht. War er ungerecht zu ihr gewesen? Er konnte doch nicht anders. Er wagte es nicht, ein Kind zu bekommen, erst recht nicht, wenn Solbjørg sich dem Kleinen nicht mit Leib und Seele widmete. Seiner eigenen Einstellung gegenüber einem Kind war er sich genauso wenig sicher. Er hatte keine Ahnung, was nicht mit ihm stimmte. Zurzeit ging es ihm nicht gut. Er suchte Gott auf jede nur erdenkliche Weise, las in der Bibel, betete, studierte sogar Texte über katholische Heilige und andere, die mit dem Herrn in Kontakt gekommen waren. Aber nichts schien zu helfen.

Er stand wieder auf und betrachtete sich im Spiegel, der über dem alten Waschtisch hing. Solbjørg hatte immer gesagt, er sei so ein hübscher Mann, aber wenn er sein Gesicht anschaute, sah er nichts Hübsches. Nur eine Maske, die alle zum Narren hielt, aber er konnte sie nicht abnehmen um zu sehen, was darunter war. Er hatte keine Ahnung, wie er das tun sollte.

Am nächsten Vormittag fand Solbjørg eine Karte aus weißem Büttenpapier in einer der Schubladen im Wohnzimmer. Sie wagte es nicht, noch eine offene Postkarte zu schicken, Svarts Frau würde sich sicher wundern. Obwohl sie und Svart nichts zu verbergen hatten, steckte sie die Karte in einen Umschlag und klebte ihn sorgfältig zu, nachdem sie geschrieben hatte: „Wollen wir uns nicht duzen?“

Zwei Tage später lag ein Umschlag mit Svarts Handschrift darauf – sie kannte sie von den Rezepten – in ihrem roten Briefkasten. Auf einem linierten Stück Papier standen nur ein paar Worte: „Gerne, du. Willst du übermorgen mitkommen nach Skagen? Ich brauche mal etwas Abwechslung. Ich warte auf dich unten an dem gelben Haus direkt hinter der Bäckerei, um acht Uhr.“

„Guten Tag, du“, sagte Jens, als sie in seinem grauen Cabrio Platz nahm. Keine einladenden Armbewegungen, keine Andeutung, es sei etwas Ungewöhnliches daran, dass sie zusammen einen Ausflug nach Skagen unternahmen.

Zum ersten Mal hörte sie ihn du zu ihr sagen, und die Aussprache des U klang ein wenig nach einem Y und etwas norwegisch. Sie spürte es auf ihrer Haut, so physisch, als habe er ihr mit dem Zeigefinger über die Wange gestrichen und sie weit unten um die Taille gefasst.

Ihr wurde heiß im Gesicht. Sie musste damit aufhören, jetzt.

Sie nahmen sich nur beide frei. Sie waren Freunde. Nichts weiter.

Aber vielleicht hätte sie nicht mitkommen sollen. Andere konnten die Situation missverstehen. Und sie hatte Ulf nicht die Wahrheit gesagt. Sie hatte ihm erzählt, sie wolle den Bus nach Ålborg nehmen und sich ein paar schöne Sachen kaufen und dann eventuell noch ins Kino gehen.

Ohne etwas zu sagen, zeigte Jens auf ein Feld, an dem sie vorbeifuhren und auf dem drei Rehe grasten. Sein Blick war offen und warm.

Solbjørg legte den Kopf in den Nacken und genoss den Wind und das Zwitschern der Lerchen, das immer wieder kurz zu ihnen drang. Alles war so wunderbar leicht.

Natürlich mussten sie einen Abstecher zum Grenen machen. Das gehörte einfach dazu, wenn man nach Skagen kam, da waren sie sich einig. Uneinig waren sie sich hingegen darüber, ob es 'zum Grenen' oder 'nach Grenen' hieß.

„Nach!“, sagte er.

„Zum!“, sagte sie.

„Kopenhagener Snob!“, sagte er und lächelte, sodass die grünen Augen blitzten und einen anderen Farbton anzunehmen schienen, beinahe wie der Opal, den sie einmal bei ihrer Kollegin Margot Fonteyn, einer englischen Balletttänzerin, an einem Armkettchen gesehen hatte, das sie von Rudolf Nureyev bekommen haben sollte, wie hartnäckige Gerüchte behaupteten.

„Sonnenanbeter!“, war das einzige, was ihr einfiel.

Er hielt an und lachte, bis er beinahe keine Luft mehr bekam. „Etwas so Schlimmes hat noch niemand zu mir gesagt“, japste er. Sie gab ihm einen Klaps auf den Unterarm. Und lachte.

Sie hatten die Spitze der Landzunge fast erreicht. Sie zog die Sandalen aus und trabte ein paar Schritte weiter ins Wasser. Jens folgte ihrem Beispiel und stellte sich mit hochgekrempelten Hosenbeinen neben sie. Nordsee und Ostsee umspülten ihre Füße.

Ein paar Augenblicke später schob er sich hinter sie. Er berührte sie nicht. Dennoch konnte sie die Wärme seines Körpers deutlich spüren.

„Hier stehen wir, mit einem Bein auf jeder Seite“, sagte er.

„Ja“, sagte sie. „So sieht's aus.“

„Warum brauchst du etwas Abwechslung“, fragte Solbjørg, als sie zurückgingen.

„Tove wünscht sich, dass ich anders wäre“, sagte er. „Mehr Partylöwe, lebenslustiger, ein Großstadtmensch eben. Und du, warum bist du mit mir hierhergekommen?“

„Ulf hätte es wohl auch am liebsten, wenn ich anders wäre. Oder gar nicht da wäre. Ich störe ihn immer nur, wenn ich mich ihm nähere.“

Jens sah sie mit einem so aufmerksamen und direkten Blick an, dass sie wusste, er verstand auch das Meiste von dem, was sie nicht zu sagen imstande war.

Nach einer Brotzeit bei Brøndums fuhren sie hinaus zum Strand bei Gamle Skagen und schlenderten am Wasser entlang. Das Bewusstsein, dass sie bald zurückfahren mussten, war wie die von Tautropfen behangenen Spinnennetze an einem frühen Augustmorgen, die ankündigen, dass die Sommerferien bald vorbei sein werden.

Jens erzählte von seiner Kindheit in Oslo und der Lust auf Skiausflüge in die Nordmarka, die er immer noch verspürte. Solbjørg erzählte von damals, als sie in New York aufgetreten war – und davon, dass sie unterrichten würde – vielleicht. Und sie erwähnte ihre Sehnsucht, ein Kind zu haben.

Jens nickte. „Kann ich gut verstehen, diese Sehnsucht.“ Er sagte nichts darüber, dass ein Kind und Ballettunterricht nicht vereinbar wären.

Stattdessen zog er seine Brieftasche hervor und nahm ein Foto heraus. Auf dem Bild war er mit einem Kind in den Armen zu sehen. Es wirkte winzig klein vor seiner breiten Brust, und sein Blick war voller Zärtlichkeit. „Das ist die kleine Tochter meiner Schwester.“

Solbjørg verspürte mit einem Mal den unbändigen Drang, ihr Kind in seine Arme zu legen.

Verrückt, dachte sie einen Moment später. Sie hatte ja kein Kind, und wenn sie eins hätte, warum sollte Jens es dann halten?

„Wollen wir schwimmen?“, fragte er, nachdem sie ein Stück weiter gegangen waren. „Oder hast du etwa deine Badesachen nicht dabei?“

Ohne ein Wort knöpfte sie ihr Blusenkleid auf und deutete auf das, was sie darunter trug.

Sein Gesicht wurde mit einem Mal feuerrot, aber dann lächelte er, als er den weißen Badeanzug bemerkte, der anstatt ihrer Unterwäsche zum Vorschein kam. „Du bist eine auf alles vorbereitete Frau. Das gefällt mir.“

Sie lachte.

Die Nordsee war kühl, aber die Wellen waren angenehm sanft zu Haut und Körper. Jens und sie schwammen ein Stück parallel zum Strand, seine Züge waren lang und ruhig.

Keiner von ihnen hatte ein Handtuch dabei, und so setzten sie sich in den Sand und ließen sich von der Sonne trocknen. Ihre rechte Hand lag neben seiner linken. Es waren nicht mehr als eineinhalb Zentimeter zwischen ihnen. Sie spürte die Wärme seiner Haut. Sie schwiegen. Vielleicht konnten sie auf diese Weise die Zeit zum Narren halten, sie stillstehen lassen.

Schließlich stand Jens doch auf und sagte, dass sie sich wohl auf den Rückweg machen mussten. Er zog sein Poloshirt über, drehte ihr halb den Rücken zu und streifte seine Badehose ab. Sie konnte einen dunklen, schweren Schatten zwischen seinen Beinen erahnen, bevor sie sich abwandte. Ihr Puls wurde unruhig, und sie befürchtete, er könne es ihr ansehen, also suchte sie rasch ihre Sachen zusammen, verschwand hinter ein paar Hagebuttensträuchern und zog sich um.

Auf dem Weg zurück zum Wagen hob er einen kleinen Stein auf. Ein Stück roter Granit mit einem verschnörkelten Streifen, der einem S glich. Er hielt ihn ihr hin: „S für Solbjørg.“

„Ich sammle Buchstabensteine“, sagte sie.

„Tatsächlich? Ich auch.“ Er lächelte.

Als sie durch Gamle Skagen fuhren, entdeckten sie beide gleichzeitig ein Zu-verkaufen-Schild im Fenster eines der kleinen Häuser. Jens hielt an, und sie schauten hinüber zu den winzig kleinen Fenstern. In diesem Moment öffnete sich die Haustür und ein Mann kam heraus, der Immobilienmakler, der Aktentasche nach zu urteilen. Der Mann bemerkte sie und ergriff seine Chance:

„Wollen Sie sich das Haus vielleicht einmal ansehen, meine Dame?“, fragte er und hob kurz seinen leichten Hut an. „Und ihr Mann selbstverständlich ebenfalls“, fügte er hinzu.

Solbjørg und Jens sahen sich an. „Ihr Mann auf jeden Fall gerne“, antwortete er. „Und was ist mit meiner Frau?“, wandte er sich ihr zu. Sie lachte.

Der Makler hielt sie für Mann und Frau, und sie ließen ihn in dem Glauben. Jens klopfte an Wände und inspizierte Türangeln, während Solbjørg die Wasserhähne auf- und wieder zudrehte und die Herdplatten in Augenschein nahm. Kurz darauf legte Jens ihr den Arm um die Schultern und zeigte ihr die Aussicht aus einer der Kammern im oberen Stock. Hoffentlich bemerkte der Immobilienmakler ihr leises Stöhnen und Jens' hämmernden Pulsschlag nicht, den sie in seiner Hand und seinem Arm wahrnahm.

Mit der Visitenkarte des Maklers in Jens' Tasche gingen sie dicht nebeneinander den schmalen Bürgersteig entlang.

Dann spürte sie Jens' kleinen Finger der linken Hand an ihrer rechten.

Sie zog die Hand nicht zurück.

Und seine Finger schoben sich zwischen ihre und hielten fest.

Sie schauten geradeaus, sagten kein Wort, gingen einfach weiter bis zu seinem Citroën.

Auch auf der Rückfahrt sprachen sie kaum miteinander. Das Leben war prickelnde Lust und gleichzeitig schwarz wie eine wolkenverhangene Dezembernacht.

Hinter der Bäckerei brachte er den Wagen zum Stehen, sodass Solbjørg diskret den Heimweg antreten konnte.

Sie brachte ein leises „Auf Wiedersehen“ hervor und war schon dabei, die Autotür zu öffnen, als er ihr linkes Handgelenk ergriff und sie sanft zurückhielt. Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf den Mund, leicht nur und ganz kurz. Lebendige, gebende Lippen, die mit aller Kraft ihr Verlangen nach den ihren zügelten.

Sie mussten aufhören, jetzt und hier. Solbjørg wusste es. Sie waren beide verheiratet, und das Gelübde einer Ehe brach man nicht einfach.

In der Nacht wachte sie auf, als Ulf an ihrer Schulter rüttelte. Verwirrt fuhr sie hoch.

„Was ist denn?“

„Bist du krank?“, fragte er. „Du stöhnst die ganze Zeit.“

„Ich habe wohl schlecht geträumt“, sagte sie und ließ sich wieder in die Kissen sinken.

„Ein Albtraum?“, fragte Ulf.

„Ja, ja vielleicht“, sagte sie.

Ulf antwortete nicht. Er schlief schon wieder.

Sie lag noch eine Weile wach und schaute hinaus ins Licht der Sommernacht. Es war kein Albtraum gewesen. Sie hatte von einem Mann geträumt, der auf ihr lag. Einem Mann, der in sie eindrang und in sie stieß, bis sie kurz vor einem Orgasmus war. Er war groß gewesen, und sie meinte, ihn noch immer in sich zu spüren.

Ulf schnarchte.

Sie musste raus. Schlug leise die Bettdecke zurück, stand auf und öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür, schlich die Treppe hinunter und zur Hintertür hinaus. Eine leichte Brise spielte mit ihrem Nachthemd. Irgendwo oben auf der Landstraße klapperte und quietschte ein schlecht geöltes Fahrrad. Ein Fischer auf dem Weg zu seinem Boot oder ein Ferienhausbewohner, der keinen Schlaf finden konnte und umherstreifte? Sie wollte niemandem begegnen und ging rasch zum Gartenhäuschen. Drinnen zwischen Werkzeug und alten Möbeln war es nach dem sommerlichen Tag immer noch angenehm warm. Sie setzte sich auf eine wacklige Gartenbank.

Es roch nach Harz, und sie sah Jens Svarts grüne Augen vor sich. Sie griff nach einer alten Polsterauflage, rollte sie zusammen und setzte sich rittlings darauf. Dann streckte sie den Rücken durch, drückte sich auf die Rolle, sank zusammen und richtete sich wieder auf. Sie wiederholte die wellenartige Bewegung, die sie zuletzt als Teenagerin angewendet hatte. Und im fahlen Licht der Sommernacht, umhüllt vom Duft nach Harz, kam sie stöhnend zum Höhepunkt und stieß dabei immer wieder seinen Namen aus. Jens.

Ulf wäre entsetzt gewesen über die Art, wie sie sich bewegte, und über ihre Worte. Der Gedanke daran verlängerte ihren Orgasmus nur.

In den nächsten Tagen erinnerte sie sich an die eisenharte Disziplin des Balletts und konzentrierte sich darauf, alte Gartenmöbel und ein altes Bett anzustreichen, ohne zu wissen, wozu sie noch gut sein sollten.

Ihre Spaziergänge am Strand unternahm sie spät abends, wenn die Dunkelheit hereinbrach und die Menschen sich in ihre Häuser zurückzogen. Sie wollte es um alles in der Welt vermeiden, Jens zu begegnen.

Eines Abends sah sie ihn auf der Bank in den Dünen direkt unterhalb Havstuen sitzen. Wieder und wieder fuhr er sich mit den Fingern über die Stirn und durch das dichte Haar. Schnell duckte sie sich in den Schatten einer der Dünen und machte sich leise auf den Rückweg.

Es war ein drückend heißer Tag, und als sie die Bäckerei mit zwei Napoleonshüten verließ, stand er da, mit seinem Rad, mitten auf dem Schotterweg. Er wirkte wie vom Blitz getroffen, und ihr ging es ebenso. Ich muss hier weg, dachte sie, blieb aber doch stehen. Er kam näher, und sie sah seinen Blick, so grün und blendend, und dann liefen sie beide los, nicht voneinander weg, sondern zueinander hin.

Die Leute sahen ihnen nach. Er hatte so breite Schultern in dem weißen Hemd, und die Arme unter den aufgekrempelten Ärmeln waren sonnengebräunt und sehnig, genauso wie die Beine in den beigefarbenen Shorts, und er lächelte mit seinen weißen Zähnen. Sie sagte „Jens“, und er streckte die Hand aus und strich ihr über die Wange und tat es doch nicht, und jetzt schauten die Leute zu ihnen herüber.

„Komm, gehen wir“, sagte er, nahm ihr die Schachtel mit den Teilchen aus der Hand und legte sie in den Gepäckträger des Fahrrads. Das Rad lehnte er gegen die Wand der Bäckerei, während sie die Sonnenbrille von ihrem angestammten Platz oberhalb der Stirn nahm und aufsetzte, damit die Leute ihre Augen nicht sehen konnten. Er hob den Kopf und blickte offen geradeaus. Sie gingen Richtung Dünen, bis der Weg zu Ende war, und stapften weiter vorwärts.

Sie blickten sich gleichzeitig um, und als sie sicher waren, dass die Leute sie nicht mehr sehen konnte, schauten sie sich an, lachten und sie sagte „Du –“ im selben Moment, in dem er „Ich –“ sagte, und sie sah den Schweiß in seinem Haar, und er legte den Arm um sie und war so groß. Dann war sein Gesicht ganz nah, und seine Lippen liebkosten die ihren. Sie konnte seinen Schweiß schmecken und legte die Arme um seinen Hals, und er zog sie an sich, sodass der Schweiß ihr Marimekko-Kleid durchdrang. Seine Zunge war da, und er schmeckte nach Salz und Erde, und sie konnte nicht genug bekommen.

„Wir dürfen das nicht, wir sind schon zu weit gegangen“, sagte sie dennoch und stieß ihn weg.

„Du hast Recht“, sagte er und starrte sie mit wildem Blick aus tiefen Augenhöhlen an.

Sie folgten einem schmalen Pfad oberhalb der Dünen, und sie erzählte von den frisch gestrichenen Gartenmöbeln und er von dem Kind seiner Schwester. Solbjørgs Magen zog sich vor Traurigkeit zusammen, gleichzeitig fühlte sie eine überschäumende Freude, weil Jens neben ihr ging.

„Sieh mal, die Kumuluswolken da drüben. Es wird ein Gewitter geben“, unterbrach er sich und zeigte auf ein sich auftürmendes grauweißes Wolkengebilde. Im nächsten Augenblick krachte ein Donnerschlag über ihren Köpfen, und nicht weit entfernt traf ein Blitz auf die Wasseroberfläche des Meeres.

„Wir müssen uns unterstellen!“, rief er, ergriff ihre Hand und zog sie mit sich zu einer alten Fischerhütte, die versteckt in einer Senke zwischen den Dünen lag.

Jetzt brach das Gewitter los, und Solbjørg war erleichtert, als sich zeigte, dass die Hütte unverschlossen war. Jens warf die Tür hinter ihnen zu, und im nächsten Augenblick prasselte der Regen auf das Dach. Die Hütte wirkte verlassen, nur ein paar verschlissene Fischernetze hingen an den Wänden und leisteten einem Tisch ohne Stühle Gesellschaft. In der Ecke stand eine rostige Wasserpumpe.

„Das wird gleich vorbei sein“, sagte Jens und schaute nach draußen in das Chaos aus Blitz und Donner.

Er sollte sich irren. Zwar schien es einige Male so, als zöge das Unwetter weiter, aber dann kehrte es mit neuer Kraft zurück. Solbjørg stand am Fenster und bemühte sich, bei den Donnerschlägen nicht erschreckt zusammenzuzucken, aber als die elektrische Spannung sich direkt über der Hütte entlud, entfuhr ihr doch unwillkürlich ein kurzer Schrei.

Jens trat hinter sie und legte schützend seine Hände um ihre Taille.

Sie konnte seinen Körper an ihrem Rücken erahnen.

Dann lehnte sie sich leicht zurück, und seine Hände glitten langsam nach oben. Sie wagte nicht zu atmen.

Die Hände erreichten ihre Brüste, und sie wand sich lustvoll, suchend. Die Hände wölbten sich, packten zu, und laut aufstöhnend atmete sie aus. Er streichelte ihre Brustwarzen, die sich aufrichteten. Sie riss sich los und setzte sich auf die Kante des Tisches. Einen Moment lang stand er da und sah sie mit seinen grünen Augen , in denen die Blitze aufleuchteten, an.

Dann war er bei ihr, und seine großen Hände griffen nach unten und spreizten ihre Knie. Er hob ihr Kleid an, und mit einem Mal wurde sie von Angst gepackt. Er war so groß und stark, und sie war klein. Was konnte er ihr nicht alles antun?

Aber es war zu spät. Er zog das Kleid über ihren Kopf und riss ihr den BH herunter, sodass ihr Busen nackt und entblößt war: Jetzt war ihr völlig gleichgültig, was mit ihr geschehen würde. Er küsste ihre Brustwarzen, leckte sie mit langen Zügen, als wäre er ein Tier, das sie säubern wolle. Süße Lust durchfuhr ihren ganzen Körper, legte sich um ihren Unterleib und traf ihre Klitoris, und sie stöhnte und schob ihm ihre Vagina entgegen.

Er zog ihr den Slip aus, und dann tat er etwas, was Ulf bisher nie getan hatte. Er ließ sich auf die Knie sinken, und sein Gesicht näherte sich ihrem Schoß. Sie wand sich, wollte es nicht – sie war verheiratet, er war verheiratet – und wollte es doch, wollte es so sehr. Er küsste sie zwischen den Beinen, und sie stöhnte. Ein Blitz schlug dicht neben der Hütte ein, aber es war ihr egal, denn jetzt spürte sie seine Zunge, die sie leckte. Sie wollte sagen, er solle aufhören, aber seine Zunge arbeitete so wunderbar, kreiste, hielt kurz inne, war wieder da, jetzt direkt neben ihrem Zentrum, und sie hob sich ihm entgegen. Und dann traf er ihren Punkt, traf ganz genau. Sie streckte sich lustvoll, bildete eine Brücke und hob die Füße auf seine Schultern, während der Orgasmus durch ihren Körper rollte. Über ihnen entlud sich ein Donnerschlag, lang anhaltend und beängstigend, und sie schrie vor Schreck und vor Wollust.

Mit einer einzigen Bewegung entledigte er sich seiner Shorts und seiner Unterhose, und jetzt konnte sie sein Geschlecht zum ersten Mal wirklich sehen. Es war groß, hart und dunkel, mit deutlichen Adern. Ihr Körper sehnte sich so sehr, dass sie zitterte.

Dennoch sagte sie: „Das darfst du nicht mit mir tun.“

„Warum nicht?“ Er starrte sie an.

„Ich kann nicht“, sagte sie. „Ich will alles mit dir, aber das kann ich nicht.“ Verschwommene Gedanken an Ulf und seine Zurückweisungen, an ihre zerplatzten Pläne und Träume, wirbelten in ihrem Kopf.

„Alles?“, sagte er.

„Ich sehne mich so schrecklich nach dir“, antwortete sie.

Er zog sie auf die Füße, drehte sie herum, griff nach unten und tauchte seine Finger in ihre Vagina, verteilte die Feuchtigkeit auf ihrer hintersten Öffnung, und ein Schauer durchlief sie. Langsam drang er in sie ein, und es prickelte und schmerzte und prickelte wieder, sodass sie nicht mehr denken konnte.

„Nein, nicht“, stieß sie keuchend hervor. „Ich kann mich nicht zurückhalten.“

„Na und?“, stöhnte Jens und griff nach unten, rieb ihre Klitoris, bis sie wieder kam - diesmal zusammen mit ihm. Und sie lachte und weinte gleichzeitig.

Als das Gewitter endlich vorüber war, hatte sie noch einige Dinge zum ersten Mal erlebt. Sie hatte einen Mann geleckt und ihm einen geblasen, bis er ejakuliert und sie sein Sperma geschluckt hatte. Sie konnte nicht genug von Jens bekommen, seinem Duft, dem Geschmack nach ihm, seinen Bewegungen, seinem Stöhnen.

Langsam gingen sie zurück in Richtung der Bäckerei. Sie fühlte keine Reue, noch nicht, doch das änderte sich einige Augenblicke später, als ihnen ein Fischer aus dem Dorf entgegenlief und rief:

„Kommen Sie schnell, Frau Viig, Sie müssen ins Krankenhaus. Ihr Mann ist vor Ihrem Ferienhaus zusammengebrochen. Dieser Schriftsteller hat ihn gefunden.“

Ulf döste in seinem Krankenbett, ganz weiß im Gesicht. An seiner Seite saß Rudolf Nureyev. Solbjørg fasste sich an die Stirn. Das konnte nicht sein. Natürlich konnte das nicht sein, der Mann auf dem unbequemen Besucherstuhl sprach sie auf Dänisch an, und ihr wurde klar, dass sie den Schriftsteller Frederik Mørk vor sich hatte, der vor Kurzem das Ferienhaus in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft übernommen hatte. Sie hatte sein Bild in der Zeitung gesehen und gedacht, wie sehr er ihrem Starkollegen aus der Sowjetunion ähnelte. Und das tat er tatsächlich, allerdings war er größer und hatte außergewöhnlich azurblaue Augen.

„Er ist eben aufgewacht“, sagte Frederik Mørk, „ist aber noch etwas benommen.“

„Sie glauben … ein Hirntumor“, murmelte Ulf. Sein Blick wurde unklar.

Sie starrte Mørk an, der kaum merklich nickte.

„Alles wird gut werden“, sagte er und legte seine Hand auf die von Ulf. Wenig später tätschelte er ihren Unterarm. Sie spürte, dass er ihr Entsetzen wahrnahm.

In den folgenden Tagen wechselten sie und Frederik Mørk sich auf dem Stuhl neben Ulfs Bett ab.

„Sie müssen ja auch mal schlafen“, sagte Mørk zu ihr, und sie war ihm sehr dankbar für seine Hilfe.

Jens rief ein paar Mal an, als sie zu Hause im Ferienhaus war, und sie berichtete ihm voller Verwirrung und Sorge von Ulfs Befund und erzählte davon, wie sehr sie sich zurücksehnte nach dem Nachmittag, den sie während des Gewitters erlebt hatten.

Eines Abends kam sie etwas früher als zur verabredeten Zeit ins Krankenhaus. Leise öffnete sie die Tür zu Ulfs Zimmer einen Spalt breit. Ulf schlief, und an seinem Bett stand Frederik und hatte ihr halb den Rücken zugewandt. Er streichelte Ulfs Wange. Sie starrte wie gebannt.

Die Scham traf sie wie ein Keulenschlag. Ulf brauchte Fürsorge, Zärtlichkeit, so sehr, dass selbst ein Fremder, obendrein ein Mann, es sehen konnte.

Am nächsten Tag rief sie Jens an und sagte ihm, dass sie sich niemals wiedersehen durften. Er sagte, er verstehe, und sie legte auf. Und weinte.

Kurz darauf sollte Ulf entlassen werden. Die Ärzte hatten keinen Tumor gefunden. Sein Zusammenbruch und die Krämpfe waren vermutlich auf Dehydrierung und Erschöpfung in Verbindung mit seinen exzessiven Gebetsphasen zurückzuführen.

Solbjørg war erleichtert, natürlich war sie das. Niemand wünscht einem anderen einen Tumor, und Ulf war ihr Mann, dem sie so viel verdankte. Das hatten alle ihr gegenüber immer betont.

Dennoch trieb die Unruhe sie ab und an zu Spaziergängen in den Dünen.

Und dann stand sie wieder vor der Fischerhütte, in der sie und Jens vor dem Gewitter Schutz gesucht hatten. Sie konnte nicht anders, öffnete die Tür und trat ein.

Ein Geruch nach geteerten Netzen, Holz und Rost schlug ihr entgegen, und mit ihm kehrten die Erinnerungen mit voller Wucht zurück, an sie und ihn. Jens.

Sie lehnte sich an die Tischkante und sagte seinen Namen in das Halbdunkel.

Und als sei es Magie, öffnete sich die Tür und er stand vor ihr.

Ihr Liebhaber, ihr Geliebter.

„Ulf will kein Kind mit mir haben, niemals!“ Der Satz kam wie ein dunkler Schrei. „Weil ich unterrichten will.“

„Was bildet er sich ein?“ Jens' grüne Augen blitzten giftig unter den dichten Brauen, und er war wie eine große Katze mit wildem Blick, als er sich ihr näherte.

Er hielt inne, starrte ihr in die Augen, und sie hielt seinen Blick fest.

Er drückte sie zu Boden, riss ihr den Slip herunter und knöpfte seine Hose auf.

„Sag es!“, kommandierte er.

„Tu es, mach's mir“, sagte sie.

„Was soll ich machen?“, sagte er mit dunkler Stimme.

„Gib mir deinen Schwanz“, antwortete sie.

Dann drang er in ihren schlanken Körper ein, und sie gab sich dem Schmerz hin.

Langsam und sanft bewegte er sich in ihr, kreiste und traf Punkte, die noch nie zuvor jemand berührt hatte. Plötzlich stieß er ein paar Mal hart zu, bevor er wieder zärtlich in ihr kreiste. Wieder gab sie sich hin, aber dieses Mal war es ein honigwarmes Zittern, das ihren Unterleib durchlief. Reflexartig zog sie sich um ihn zusammen, und er stöhnte laut auf.

Dann wurde sein Stöhnen so dunkel und tief, wie sie es noch nie gehört hatte, und er stieß so hart zu, dass sie aufschrie. Härter und härter stieß er in sie, und Schmerz und honigwarme Süße vermischten sich zu Freude und Lust, die sie sämtliche Kontrolle über jede einzelne Faser ihres Körpers verlieren ließen.

„Oh nein, ich muss pinkeln, wenn du weitermachst“, keuchte sie, aber da war es bereits zu spät, und er stöhnte „Ich liebe dich dafür“ und kam in ihr, während ein Orgasmus sie erschütterte, der anhielt und aus lauter Scham und Freude über die Gleichgültigkeit gegenüber der Scham in den nächsten überging. Bei Jens musste sie sich für nichts schämen. Für gar nichts.

Ulf kam nach Hause, war zwar noch nicht wieder ganz er selbst, meinte aber, Frederiks häufige Besuche täten ihm gut. Solbjørg war erleichtert.

Sie fühlte sich krank, bedrückt und körperlich ausgelaugt. Ihr Gewissen war schwarz, aber gleichzeitig spürte sie ein unbändiges Verlangen. Nach Jens und Sex und danach, die Kontrolle zu verlieren, nach Wildheit, Liebe und Zärtlichkeit.

An dem Nachmittag, als sie wegen anhaltender Erschöpfung einen Arzt aufsuchen wollte, berichtete Ulf ihr, er habe Frederik mitgeteilt, seine Besuche seien nicht mehr erwünscht. Er müsse sich wieder voll und ganz auf Gott und das Gnadengeschenk des Glaubens konzentrieren.

Im Bus auf dem Weg nach Fjerritslev setzte Solbjørg ihre Sonnenbrille auf und weinte still. Weinte über Ulf und sich selbst und ihr gemeinsames Leben, das sie nicht länger überschauen konnte.

Als sie einige Stunden später zurückkam und aus dem Bus stieg, ging sie auf direktem Weg zu Jens Svarts Haus. Sie hatte einen Entschluss gefasst.

Die Touristen, die auf dem Schotterweg vorbeischlenderten, sahen Jens, wie er aus seinem Haus kam, Solbjørg hinüber zur Garage zog und leise, aber intensiv mit ihr sprach.

Am Abend beichtete sie es Ulf.

Er reagierte nicht wie gewöhnlich mit seiner milden Stimme.

„Du – du Hure! Du Maria Magdalena!“, brüllte er.

„Ich bin keine Hure. Ich sehne mich nur danach, geliebt zu werden.“

„Krank und pervers!“, brüllte Ulf weiter.

„Das ist weder krank noch pervers.“

„Doch, ist es! Und es wird verdammt noch mal Folgen haben.“ Ulf griff nach seiner Bibel und schleuderte sie auf den Boden.

„Du sollst nicht fluchen.“

„Du bist eine entsetzliche Egoistin. Ich habe dir alles gegeben!“, brüllte Ulf und ergriff die Teekanne. Er warf sie durch das Küchenfenster, und Keramik und Glas zersplitterten auf dem gepflasterten Gartenweg darunter.

Solbjørg ging in den Flur, rief die Telefonzentrale an und bat darum, mit einem Taxiunternehmen verbunden zu werden. Sie bestellte einen Wagen, während Ulf einen Stuhl durch das Fenster neben ihr schleuderte. Dann packte er eine steinerne Vase und zielte auf Solbjørg.

Die Terrassentür wurde aufgerissen, und Frederik stand im Zimmer. Mit einem Satz war er bei Ulf und riss ihm die Vase aus der Hand.

„Sie verlässt mich“, rief Ulf. „Verfluchte Hure!“

„Ich kümmere mich um ihn“, sagte Frederik leise zu ihr.

Er legte beide Arme um Ulf, der zur Salzsäule erstarrt dastand. Frederik strich ihm beruhigend über den Rücken.

Schluchzend brach Ulf zusammen.

Solbjørg trat hinaus in die Sommernacht, um auf ihr Taxi zu warten.

Kurz darauf kam sie im Hotel in Fjerritslev an.

Sie klopfte an die Tür zu Zimmer sieben.

Jens öffnete.

„Meine Liebste“, sagte er. Sonst nichts.

Auf dem Nachttisch lagen drei kleine Steine. Auf dem einen war ein Muster zu erkennen, das einem S glich, auf dem zweiten ein J. Auf dem dritten Stein waren kleine Ablagerungen aus Kalk zu sehen. Zusammen ähnelten sie einem Baby. Jens legte alle drei Steine in ihre Hand. Er lächelte.

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