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Ohne Gottheit geht gar nichts

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Im Mythos kann die unzureichende Beachtung einer Gottheit seitens eines Heros oder einer Heroine als schweres Vergehen geahndet werden, das schicksalhafte Bestrafung erfordert. Hier vorangehende einleitende Informationen und unten folgende Passagen in den Kapiteln zu den einzelnen Helden – unter der Zwischenüberschrift „Vorprogrammiertes Heldenschicksal“ mit spektakulären Highlights gottgewollter Manipulation – heben besonders hervor, dass die mächtigen Gottheiten nachhaltig ihren Willen durchsetzen. Das folgende Fazit bezüglich all dieser göttlichen Einmischungen sei zusätzlich angeboten. Unter der Ägide des ‚Olympischen Diktators‘ Zeus werden die Helden wie Marionetten bewegt im troianischen Gesamtgeschehen. Höchst eindrucksvoll ist die sogenannte Seelenwägung (Ilias 22, 209–213): „Richtete Vater Zeus die goldenen Schalen der Waage,/Warf zwei Lose hinein des trauerbringenden Todes,/Das des Achilleus und das des Rossebändigers Hektor,/Faßte die Mitte und wog. Da sank des Hektor Verhängnis,/Lastend zum Hades herab, es verließ ihn Phoibos Apollon.“ Sogar die Praxis des Entrückens – eine Gestalt wird problemlos, lebendig oder tot, von einem Ort zu einem anderen bewegt – beherrschen die Gottheiten perfekt. Die göttlichen Damen und Herren versammeln sich, sind unterschiedlicher Meinungen, kämpfen sogar untereinander, weil ihr egoistisches Interesse am Ausgang der Streitigkeiten beachtlich ist. Als Schutzgottheiten treten sie wiederholt in Aktion. Athene unterstützt die Griechen Achilleus, Agamemnon, Diomedes, Neoptolemos und Odysseus. Apollon, der unversöhnliche Gegner des griechischen Haupthelden Achilleus, schützt den troianischen Haupthelden Hektor solange, bis sich die Schicksalswaage des Zeus zu Hektors Ungunsten neigt, wie das einbezogene Zitat (s.o.) veranschaulicht. Dass es zu einem derartig parteiischen Verhalten der Gottheiten kommt, liegt an bestimmten Voraussetzungen. Einst plant Zeus selbst den Untergang bestimmter Heroengeschlechter und initiiert deshalb den Troianischen Krieg auf höchst raffinierte Art. Er zeugt die Schöne Helena (s.u. Frauen für die Helden – Der Sonderfall Helena). Mit ihr schafft er die Kampfvoraussetzung. Da Aphrodite dem Troianischen Prinzen Paris die Schöne Helena verspricht, wenn er Aphrodite zur Schönsten erklärt, sind ihre Rivalinnen Athene und Hera fortan auf Seiten der Griechen, ist Aphrodite fortan auf Seiten der Troianer. Da Aphrodites Liebhaber Ares ebenfalls für die Troianer agiert, unterstützt ihr betrogener Ehemann Hephaistos selbstverständlich die Griechen. Da der griechische Hauptheld Achilleus einen Sohn des Priamos, Troilos, im Heiligtum des Apollon tötet, setzt sich der dadurch beleidigte Apollon – so lange Zeus nicht widerspricht – für den troianischen Haupthelden Hektor ein und arrangiert durch einen umgelenkten Pfeil den Tod des Achilleus. Da Artemis die Schwester des Apollon ist, schützt sie Troia im Gleichklang mit ihrem Bruder. Da Laomedon – der Vater des troianischen Königs Priamos – im Ersten Troianischen Krieg dem Poseidon nicht zahlt, was ihm zusteht, handelt Poseidon, abgesehen von einer Ausnahme, eindeutig für die Griechen. Derartige, exemplarisch herausgegriffene, vielfältige Vernetzungen machen klar, dass Udo Reinhardt in seinem systematischen Handbuch über den antiken Mythos bezüglich des Troianischen Sagenkreises zu dem überzeugenden, hier im Folgenden zusammengefassten Ergebnis kommt: Der Verlauf des Troianischen Krieges hängt ab vom bereits fertig gefügten Olympischen Pantheon, jener nach Funktionen und Zuständigkeiten von Göttern und Göttinnen geordneten Gesamtheit. Und dieses verbindliche Olympische Pantheon wird mittels frühgriechischer Epen (s.o. Schriftliche Quellen, lesefreundlich aufgearbeitet) bekannt im Kulturraum von den ionischen Küstengebieten Kleinasiens im Osten bis nach Großgriechenland im Westen. Als man in Athen um 520 v. Chr. einen Altar für die zwölf Olympischen Gottheiten einrichtet, besitzen sie längst ihre panhellenische Präsenz. Von den frühgriechischen Gesellschaften werden die im Olympischen Pantheon personal exakt bestimmten göttlichen Wesen voll akzeptiert. Und eben diesen Gottheiten haben sich auch die Helden des Troianischen Mythenkreises zu unterwerfen. Sie müssen dem Schicksalsplan folgen, den Zeus und zwei den Olympischen Gottheiten übergeordnete göttliche Instanzen, Themis und Nemesis, verantworten. Themis lässt sich als Personifikation der Gerechtigkeit erklären. Nemesis steht für die göttliche Macht, ist zuständig für gerechte und rachevolle Vergeltung, bestraft allerdings keine kleinen Missetaten, sondern die Hybris, jenen Übermut der Menschen, durch den sie sowohl göttliche als auch menschliche Sittengesetze missachten. Man kann verallgemeinern, dass Nemesis die ins Wanken geratene Weltordnung wiederherstellt. Und jener von Nemesis, Themis und Zeus konzipierte Schicksalsplan beinhaltet, dass Griechen gegen Troianer bzw. Troianer gegen Griechen kämpfen, damit sie einander hinschlachten, weil die Gottheiten meinen, dieses oder jenes Heldengeschlecht könne zu mächtig werden. Und damit die Helden motiviert aufeinander losgehen, hat die Schöne Helena (s.u. Frauen für die Helden – Der Sonderfall Helena) also die Bühne betreten müssen. Einer Leserschaft, die zuvor Ausgeführtes durch eine anders differenzierende Sichtweise ergänzen möchte, sei der Beitrag „Gott und Mensch bei Homer“ von Abrogast Schmitt empfohlen (Ausstellungskatalog, Homer, Der Mythos von Troia, Gesamtredaktion Joachim Latacz 2008, 164–170).


Über dem Genius des Olymp, mittig im Vordergrund, thront Zeus. Beidseitig seines göttlichen Strahlenkranzes schweben weibliche Wesen. Dominierend im Vordergrund sind wiedergegeben: links Juno, Poseidon, Athena und rechts Hebe, Ares, Hermes, Aphrodite.


Apollon schwebt über dem toten Hektor und schützt ihn vor Abschürfungen des Körpers, die Achilleus ihm zufügt, als er Hektor – mit den Beinen am Wagen festgebunden – über den Erdboden schleift.

Helden, ihre Frauen und Troja

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