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Perfektionismus kontra Nonchalance

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Ilona und Hendrik – möglicher Dialog:

Hendrik: Jetzt lass doch mal gut sein und setz dich zu mir!
Ilona: Tja, das wäre nicht schlecht, aber leider bin ich noch lange nicht fertig!
Hendrik: Ja, was denn noch? Was muss denn heute noch unbedingt erledigt werden?
Ilona: Ich muss die Wäsche noch aufhängen, die Spülmaschine ausräumen, mal kurz staubsaugen und die Bügelwäsche macht sich auch nicht von selbst; daneben gibt es noch einige E-Mails zu beantworten. Leider habe ich es nicht so gut wie du. Offensichtlich!
Hendrik: Doch, das hast du!
Du machst jetzt einfach Schluss und wir setzen uns noch ein wenig raus und genießen den schönen Sommerabend bei einem Glas Wein! Was sagst du dazu?
Ilona: Ach, Hendrik! Wenn wir beide so nonchalant sind, dann sieht es hier bald aus wie … Na, du weißt schon wie.
Morgen Abend kommen Liese und Berti und ich kann nicht früher weg von der Arbeit.
Hendrik: Ich kann doch morgen Abend noch staubsaugen …! Die Wäsche kann warten! Sei doch ein wenig gemütlicher! Du vermiest mir ja noch den ganzen schönen Abend mit deiner „Rumhüpferei“!
Ich möchte jetzt Feierabend haben und ein wenig Ruhe und Gemütlichkeit mit dir!
Ilona: Jetzt nerv’ mich nicht!
Du machst auf „leisure“ und ich halte die Ordnung aufrecht!
Hendrik: Du übertreibst es wieder mal und vertreibst so nach und nach deinen Mann!
Ilona: Jetzt lass aber bitte die Kirche im Dorf! Wenn du mich unterstützen würdest, dann hätte ich auch früher Freizeit!
Hendrik: Und das stimmt eben nicht!
Du kannst einfach keine Ruhe geben! Immer findest du noch etwas zu tun!
Ilona: Hört, hört! Ich finde etwas zu tun! Du suchst erst gar nicht danach und du siehst auch gar nichts! – Da können überall die Staubflocken herumfliegen und du lässt dich gemütlich auf dem Sofa nieder und liest deine Zeitung!
Hendrik: Ja, genau. Deshalb bekomme ich auch keinen „Burn-out“, du aber schon, wenn du so weitermachst …!
Du bist bestimmt eine harte Herausforderung für deine Kollegen und vor allem Kolleginnen in der Arbeit! Immer super gestylt! Fit bei allen Aufgaben – und dann noch eine Superhausfrau! Halleluja! Wem nützt denn das?
Deinen Beziehungen sicher nicht und deinem Inneren auch nicht!
Ganz zu schweigen von deinem lieben Mann!
Ilona: Och ja, du Opferlamm! Pack mal mit an! Dann können wir nachher noch kurz auf der Terrasse sitzen …!
Hendrik: Also ehrlich, du machst mich krank! Ich halte das nicht mehr lange aus! So warst du doch früher nicht! …

Die beiden kommen sich in ihrer Auseinandersetzung nicht viel näher.

Beide kennen eigentlich die Argumente und die Wünsche des Anderen, können sich aber nicht von der eigenen Perspektive befreien.

Und aus der eigenen Sicht ist alles ganz klar! Der Andere macht den Fehler!

Wenn wir einander verstehen wollen, wird es jedoch nötig sein, auch die Perspektive des „Prozessgegners“ mal ansatzweise in die eigene Beurteilung der Lage miteinzubeziehen.

Das ist eine alte Weisheit – um nicht zu sagen „Binsenweisheit“! Es scheint aber vielen Menschen (Menschengruppen, Nationen!) unendlich schwerzufallen, diese Erkenntnis in ihr Denken und Handeln miteinzubeziehen! Je stärker narzisstisch geprägt ein Mensch ist, umso schwerer fällt es ihm, von der eigenen Sichtweise nur mal kurz Abstand zu nehmen und sie nicht als „die einzig mögliche und für alle verbindliche“ zu betrachten. Ich muss gestehen, dass es auch mir früher über weite Strecken so ging.

Die Annahme war: Ich habe nur noch nicht die richtigen Worte gefunden, sonst müsste der Andere doch einsehen, dass ich recht habe!

Leider sind wir alle in gewisser Hinsicht narzisstisch geprägt. In meiner Arbeit mit Klienten ist mir dies schon seit Langem aufgefallen. Inzwischen habe ich auch eine Erklärung dafür, die ich jedoch hier nicht vertiefen möchte. Es hat etwas mit der grundsätzlichen Entfremdung von unserem eigentlichen Sein zu tun und der daraus entstehenden Notwendigkeit, unser mühsam gezimmertes und der Art nach sehr instabiles Selbstbild und Selbstwertgefühl von anderen immer wieder bestätigt zu sehen.

Je stärker narzisstisch jemand nun ist, umso schwerer fällt es ihm oder ihr, auch eine andere Sichtweise als die eigene als richtig einzuräumen.

„Ich habe recht (aus meiner Perspektive) und du hast auch recht (aus deiner Perspektive)!“

Im obigen Fall von Hendrik und Ilona bedeutet dies: Ilona erscheint etwas zwanghaft in der Erfüllung der von ihr gesehenen Aufgaben und vermeintlichen Pflichten. Sie scheint perfektionistisch, wahrscheinlich, um vermeintlich nicht angreifbar zu sein, für niemanden. Dadurch werden ihre To-do-Listen immer länger, auf jeden Fall länger, als es ihr möglich ist, sie irgendwie zu bewältigen. Übrig bleibt also täglich, wenn nicht sogar stündlich oder noch häufiger das Gefühl eines „Misserfolgs“ und die entsprechende Abwertung durch ihr Über-Ich/ oder ihren „inneren Kritiker“.

Diesen „Gesellen“ kennen Sie sicher!

Jeder von uns kennt ihn und ist ihm mehr oder weniger ausgeliefert mit seinen unbarmherzigen Forderungen und seinen Abwertungen und Urteilen über uns.

Er sitzt uns gewissermaßen auf der Schulter und kommentiert unsere Handlungen, Gedanken und Gefühle.

Als Symbol dafür hatte ich in meiner Praxis ein Krokodil als Handpuppe, das ständig sein großes Maul aufreißt und kommentiert. Die meisten meiner Klienten haben durch dieses ewig schnatternde „Krokodil“ auf unserer Schulter die Dynamik dahinter sehr schnell verstanden. Einige haben sich sogar selbst ein Über-Ich-Krokodil zur Erinnerung daran angeschafft.

Solange wir diesem Kritiker-Krokodil und seinen Urteilen ausgeliefert sind, können wir nicht gewinnen! Für viele hilft im Umgang mit diesem Gesellen nur ein sofortiges „Stopp!“, bevor er uns einmal wieder in Diskussionen verwickelt, die wir nicht gewinnen können.

Dies ist also Ilonas „strukturelles Erbe“ gewissermaßen, das sie mit in die Paarbeziehung bringt. Sie kann sich nicht so einfach davon befreien – meist nicht durch einmaliges bloßes Erkennen, aber dies ist der erste Schritt in einem langwierigen Prozess der Befreiung.

Für das Selbst-Verstehen und auch den annehmenden (bis hin zum liebevollen) Umgang mit dieser strukturellen Gegebenheit ist diese erste Klärung jedoch überaus wichtig.

Auch für das Verstehen durch den Partner! Auch der Partner wird noch weiterhin darunter leiden, aber jetzt ist immer auch ein wenig Mitgefühl für die strukturellen Schwierigkeiten des Anderen dabei. Das kann wachsen.

Schauen wir zu Hendrik:

Er scheint die Struktur eines „Genussmenschen“ zu haben, der über vieles hinwegsieht und manchmal zu wenig Struktur im eigenen Leben hat für eine optimierte Lebensgestaltung, die nicht auf Kosten anderer geht.

Viele Umstände in seinem Leben glätten sich tatsächlich dadurch, dass andere sein Chaos ordnen, sodass er letztendlich den Weg wiederfindet.

Ich glaube schon, dass ihm dieser „Gebrauch“ oder „Missbrauch“ von anderen Menschen irgendwo bewusst ist, aber in der Dynamik des „Kampfes“ gegen das jeweils Andere – also „Nicht-Eigene“ – scheint er in seiner Position auch gefangen. Er wehrt sich gegen zu viel Strukturierung … (was verständlich ist, weil es ihm auch nicht entspricht), versäumt es aber dadurch, selbst Struktur zu schaffen. Dies scheint ja auch nicht nötig, denn die Partnerin hat dies ja übernommen!

Eine Beziehung mit diesen beiden polaren strukturellen Gegebenheiten der Partner ist sicher nicht einfach! Dennoch haben beide einander gesucht, sich energetisch angezogen – wie man vielleicht auch sagen kann – und einander gefunden.

Wenn beide es – mit sehr viel Geduld und Wohlwollen für den Partner und für sich selbst – schaffen, hier schrittweise ihre eigenen strukturellen Gegebenheiten zu verändern oder wenigstens immer wieder bewusst wahrzunehmen, also weniger Perfektionismus und kürzere To-do-Listen für Ilona und mehr Anpacken und hilfreiche Unterstützung durch Hendrik …, dann haben sie nicht nur für ihre Beziehung sehr viel gewonnen, sondern auch für die jeweils eigene Weiterentwicklung und Befreiung aus weitgehend unbewussten Strukturmechanismen.

Sicher kann es hier sehr hilfreich sein, wenn beide Partner sich auch unabhängig voneinander in therapeutische Begleitung begeben, die sie – so bleibt zu hoffen – darin unterstützen wird, die eigene Struktur besser zu erkennen und mit wachsender Selbst-Akzeptanz damit umzugehen.

Wie das Leben zu zweit vielleicht besser gelingt

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