Читать книгу Vermächtnis der Sünder Trilogie - Angelika Merkel - Страница 5
Kapitel 3
Оглавление»Sind sie noch am Leben?« Ihre Stimme klang eisig und entrückt gleichwohl nachhallend und unirdisch.
»Sie sind am Leben«, bestätigte ihr der Mann.
»So soll es sein! Sie sollen erleben, was sie erwartet.«
Dieser Narr hinter ihr würde sie töten, wenn er könnte. Sie durfte die Leine nicht zu locker lassen. Nötigenfalls musste sie diese fester anziehen, falls er dennoch das tat, was ihm sein Ehrgeiz befahl. Sie betrachtete es als Ehrgeiz. Zumindest zog sie diesem den Wahnsinn vor. Beides machte blind und taub. Und doch … die San-Hüter waren nützlich, hielten sie den Feind in Schach. Nützliche Narren!
Ihr hämisches Grinsen konnte der hinter ihr stehende nicht sehen.
»Die Ordnung aber muss erhalten bleiben, sonst setzen wir alles, was wir bisher gewonnen haben, aufs Spiel«, ertönte die knurrende Stimme des Mannes.
Und was wäre das? Beinahe hätte sie diese Frage laut ausgesprochen. Wie dem auch sei, sie war auf den nächsten Zug gespannt.
»Gut! Wenn nichts weiter vorliegt, werde ich mich aufmachen, um sie abzufangen«, bellte ihr Bluthund nach kurzem Schweigen.
Die Frau hörte das Klacken der schweren Stiefel, als er sich umdrehte. Erst als die Geräusche verhallt waren, drehte auch sie sich um.
Seine Schritte hatten kaum Spuren hinterlassen, stellte sie fest. Ebenso würden seine Taten ohne Spuren sein und in den Geschichten verschwinden und vergessen. Niemand würde sich seiner erinnern.
Nun, bis auf einige wenige. Sie lächelte angesichts dieser Tatsache.
* * *
Celena eilte dem liebreizenden Meuchelmörder entgegen. Hinter ihr, im Schlepptau, Lutek.
»Was gibt es neues, Kelthran?«, wollte sie von dem Neuankömmling schon von Weitem wissen. »Ihr seht aus, als wäre eure Laune … oben auf«, fügte sie mit einem Nicken zu der zeternden Begleitung hinzu, als sie sich gegenüberstanden.
Kelthran fügte seinem schalkhaften Antlitz ein Lächeln hinzu.
»Ach, ich ziehe es vor, wenn ihr oben aufsäßet. Oder vielleicht ihr, Lutek. Aber ich fürchte zu meinem persönlichen Bedauern, dass dies wohl niemals der Fall sein wird. Weder das eine noch das andere oder gar beides. Natürlich nacheinander versteht sich.«
»Kelthran«, kam es zischend von Lutek, indes Celena leise in sich hineinlachte.
»Was denn? Es gäbe so viel zu lernen. Jeder Körper, jedes Liebesspiel ist eine völlig neue Erfahrung von Wonnen und gottgegebener Lustbarkeiten.« Er brach kurzerhand ab, da er die finstere Miene des Rotfuchses bemerkte. »Poesie«, erklärte er.
»Poesie?«, knurrte fragend Lutek.
Celena grinste von einem Ohr zum anderen. Ihre Gedanken waren jedoch weniger auf den Elfen gerichtet denn mehr auf die osgosainische Erscheinung neben ihr. »Die Poesie der Lust«, sprach sie. »Das hat etwas an sich … irgendwie.«
Lutek erwiderte darauf nichts. Erst als er an ihr vorbeigehen wollte, flüsterte er ihr ins Ohr: »Mitnichten - Ein Gedenk deines Könnens. Ich werde ein Gedichtszyklus darüber verfassen, meine Liebe.«
»Tatsächlich?« erstaunte sich der Elf, dessen spitze Ohren offensichtlich jedes der flüsternden Worte vernommen hatte.
»Nun, das …« Lutek breitete die Arme aus und verneigte sich leicht, als wolle er eine Ankündigung unterbreiten. »Verehrter Elf … das wäre rein privater Natur.«
»Zu dumm aber auch! Wie sollte man das schöne Werk benennen?«
Nachdenklich stülpte Lutek die Lippen. »Oh! Wie wäre es mit "die Verse des Verlangens"?«
»Welch ein Titel eines großartigen Werkes. Ein Buch, das man jedem Buchhändler in Arvelis regelrecht aus den Händen reißen wird«, feixte Kelthran.
»Beim Schöpfer!« Lutek, zwischen Abscheu und Anflug von lustgetränkter Neugier, wandte sich ab. »Oder "die göttlichen Hymnen der …"«, murmelte er gedankenverloren. »Wie hieß nur jene Dichterin? Wenn ich mich bloß an ihren Namen erinnern könnte. Verdammt, ich lasse nach. Ich werde alt.«
Kopfschüttelnd und lächelnd blickte Celena dem einstigen osgosainischen Spion hinterher. Sie war nicht älter als fünfundzwanzig Sommer, doch mochte sie für manch einen älter wirken. Auch Lutek wirkte älter als er war, aber alt? Erneut schüttelte sie ihr Haupt, diesmal jedoch um sich von den vorhergehenden Gedanken freizumachen. Sie wollte sich endlich den Neuigkeiten widmen, die Kelthran mitgebracht hatte.
Dessen abwesende Miene und tiefsinniges Grinsen in seinem Gesicht erinnerte Celena an einen Kater, dem die Katze nicht aus dem Sinn ging.
»Wenn ihr fertiggegrinst habt, könntet ihr eure Gedanken dann auf das Wesentliche richten?«
»Was?« Er schaute sie dümmlich an.
»Euer Auftrag! Nun, was hat Tacio gesagt?«
»Ach das! Er lässt ausrichten, dass er einverstanden sei. Möchte euch jedoch zuvor treffen und das so schnell wie möglich. Er sprach von irgendeiner Befragung?«
»Gut! Je eher um so besser.«
»Das kann niemals gut sein«, mahnte Kelthran. Die feinen Züge des Elfs wurden ernst. »Er hat seinen eigenen Namen unter der flüsternden Bruderschaft. Einen gefürchteten Namen, den selbst die jüngsten in der Gilde nicht auszusprechen wagen.«
»Werde ich endlich von diesem Teufelsvieh heruntergeholt?«, zeterte es von dem Pferd herab, welches erschrocken zu tänzeln anfing. »Beim letzten Furz meines Onkels. Schlimm genug das ich den ganzen Spaß verpasst habe.«
»Oh! Ho!«, zischte Kelthran. »Und ich war der Meinung, diesem Zwerg gefällt es da oben, so ruhig er eben war.«
Nicht ohne die Nase dabei zu rümpfen, half Kelthran Thorgrim aus dem Sattel. »Und Thorgrim«, brummte der Elf. »Dass alles war mit Sicherheit kein Spaß. Fragt die Bewohner des Dorfes.« Kelthran blickte zu Celena. »Wobei, es gibt weitaus elegantere Arten, dem Schöpfer gegenüber zutreten. Das hier war ungehobelt, stillos und ohne jede Freude am Töten.«
»Welch ein Glück, dass ihr euren guten Geschmack für das Töten nicht eingebüßt habt, Kelthran«, meinte Celena zynisch.
Den zynischen Unterton überhörend, strahlte der Elf sie an. Denn obschon er das Leben liebte, stand er dem Tod mit gewissem Gleichmut gegenüber. »Würdet ihr solch einen Tod dem eines angenehmeren vorziehen?«
»Im Vertrauen?«
Die Spitzohren des Elfs wurden sogleich noch spitzer. Erwartungsvoll schaute er sie an.
»Ich ziehe es vor, im Bett zu sterben.«
»Ein wenig langweilig. Findet ihr nicht?« Mit Bedauern verzog Kelthran seine elfischen Züge zu einer Maske von Frustration.
»Oh! Wo denkt ihr hin. Nicht schlafend! Wenn, durch … seine Hand.«
Die Augen Kelthrans weiteten sich. In ihnen blitzte romantisches Entzücken, beigemengt mit beinahe krankhafter Lust.
»Entzückend! Auf dem Gipfel der Lust, den Tod durch die Hand des Geliebten. Welch anmutiger Gedanke. Womöglich mit dankbarer Beihilfe und gegenseitiger Bezeugung von Wonne.«
»Allerdings, einzig die Sauerei danach, vermiest mir den Gedanken«, wähnte Celena mit spitzem Unterton in ihrer Stimme.
Bestätigend nickte Kelthran. »In der Tat, eine unschöne Angelegenheit, wenn sich der Todgeweihte in seinem letzten Akt des Lebens entleert.«
»Genau! Und aus diesem Grund ist am Tod nichts Schönes zu finden.« Mit diesen Worten entfernte sich Celena. Kelthran, sowie auch der zerknautscht dreinblickende Zwerg sahen ihr irritiert nach.
»Eine Frau mit Widersprüchen«, meinte der zurückbleibende Elf.
»Dann geht einfach euren Pflichten als Mann nach«, knurrte Thorgrim in seinem zwergischen rollenden Akzent. »Rute entpacken, die Beine auseinander und …«
»Lasst gut sein, Thorgrim. Es ist nicht jeder ein ungehobelter Holzklotz wie ihr.«
In den Augen Kelthrans glomm ein Hauch von Verliebtheit, erkannte Celena mit einem Blick zurück zu dem Elfen.
* * *
Die knarzende Stimme seines Bruders echote noch immer in seinen Ohren. »Das Gift des Bösen ist ein Todesurteil.« Diese Worte hatte ihm Terzios an den Kopf geschmissen. Wie recht dieser damit hatte. Selbst wenn er, Morco, sich die Frage gestellt hatte, wie nützlich es möglicherweise sein könnte. Dann aber hatte er abgelehnt, als er erfuhr, was es bedeutete. Sie waren verdammt dazu auf den Tod zu warten, der ihr Leben deutlich verkürzte. Dieser Schrecken war kaum zu ertragen. Unvorstellbar für jeden anderen.
Es war unvorstellbar. Hatte er deshalb das Recht Folter zu genehmigen oder zu dulden?
Er dachte an die erbarmungswürdigen Seelen, die im unterirdischen Teil seines Landhauses verweilten. Sie gingen nicht auf sein persönliches Konto. Denn wenn er jemanden tötete, so hatte er nie wirklich gequält.
Trotzdem plagte ihn die Schuld. Sich dessen bewusst, wandte sich der San-Hüter dem einzigartigen Objekt zu, welches ihm gestattete die Sterne zu erforschen. Es erlaubte einen kleinen, flüchtigen Blick in das Universum zu werfen.
Es war Folter für Geist und Körper. Es griff in der Tat das Recht auf Leben an. Es konnte weder gegeben noch entzogen werden. Und doch nahmen sie, die sie sich San-Hüter nannten, einfach das Recht dazu.
Morco schüttelte sein Haupt. Wollten sie wirklich denen folgen, die sie als grausame Herrscher ansahen? Wollten sie wirklich wie jene werden, die mordeten, brandschatzten und sogar vergewaltigten? Sie, die San-Hüter, waren nicht besser. Sie waren schlimmer.
Nachdenklich legte Morco sich einen Zeigefinger auf die Lippen.
Wollten sie tatsächlich so sein?
Manche Taten, manche Schritte mochten unverzichtbar sein zum Wohle aller. Das sagte der Orden. Doch war es tatsächlich so? Gab es tatsächlich stets nur einen Weg? Ein Ziel? Eine Wahl?
Es trat einst jemand in seinem Leben. Sie hatte wahrlich jeden geschulmeistert, der ihr über den Weg gelaufen war. Wilna, die alte Magierin. Sie war bereits alt, zumindest in den Augen eines jungen Mannes, wie er es damals war. Seine Einheit, wie es der Zufall wollte, wurde nach Hadaiman beordert. In den kleinen Hafenstädten Küstenbruchs liefen sie sich über den Weg. Wie jedem, hatte auch sie ihm versucht klar zu machen, dass er sicherlich die Wahl gehabt hatte. Entweder wollte er ein San-Hüter werden oder er drehte dem Ganzen den Rücken zu.
Nein, er hatte diese Wahl nicht gehabt. Denn obschon keine unvermittelbare Bedrohung der Anderen vorhanden war, hatten sich einige von ihnen für Raubzüge zusammengetan. Einer der Hüterkommandanten fand es nötig, seine Einheit aufzustocken. Mit jenem Recht der Einberufung hatte er ihn rekrutiert.
Welch ein Hohn die Worte der weisen Alten waren. Ihre gut gemeinte Absicht der Ratschläge und gütigen Worte waren unbedacht gesprochen. Sie kannte die Realität nicht. Gerne hätte er sie wieder getroffen und ihr alles erzählt.
Morco fragte sich unwillkürlich in seine Gedanken hinein, ob diese alte, mütterlich wirkende Magierin noch lebte.
»Wenn wir weiterhin zulassen, dass dieses Recht der Einberufung missbraucht wird. Wenn wir Gesetze annehmen und sie ohne zu hinterfragen benutzen, weil wir zu fett und zu faul wurden, nach einem anderen, besseren Weg zu suchen. Dann greifen wir letztendlich jedes einzelne Individuum dort draußen an. Gleich, was sie getan hatten, was sie waren oder ob sie Familie hatten. Haben wir das Recht ihnen ihr Leben zu nehmen, nur weil wir selbst Opfer wurden?«
Worte aus dem Mund Terzios. Und sein Bruder hatte recht, wie so oft.
Seitdem sich er, Morco, von all dem losgesagt hatte, fragte er sich immer öfter, ob seine Schritte die richtigen waren. Im Gegensatz zu vielen seiner Ordensbrüder folgte er nicht blind seinem aufgebürdeten Schicksal.
Alle, die San-Hüter waren selbst Gehängte. Todgeweihte die langsam ihr Leben an einem Strick aushauchten. Und das Schlimme daran, diese zum Tode verurteilten waren ebenfalls zu Henkern geworden. Es war ersichtlich, das sich etwas ändern musste.
Morco berichtigte sich gedanklich. Alles musste sich ändern.
Eine Wendung konnte sich nicht über Nacht einstellen. Es bedurfte ein darauf gerichteter Gedanke. Eine Idee, die in einen Kopf geimpft werden musste, welcher in der Lage war, andere damit zu infizieren. Nacud hatte, ohne es zu ahnen, damals die Saat des Sturmes dazu gesetzt.
Das Spiel hatte begonnen.
Der Kommandant, gerettet aus den Klauen des Todes, musste bald einsehen, dass seine einstige Wahl zur Vernichtung der San-Hüter führen sollte. Der Orden würde vergehen. Sie würden von einem unbeugsamen Sturm aus der Geschichte getilgt. Dieser Sturm hieß Celena, Tochter aus dem Adelshaus der Tousards.
Morco seufzte laut auf.
Wie dem auch sei. Es war nötig Adelus zu töten und das Heilmittel zu stehlen. Ebenso war Nacud ein notwendiges Übel. Alles dafür, sie anzulocken. Es mochte falsch sein. Unumgänglich? Nein, edelmütig konnte er deshalb nicht sein, zumal er es nicht lernte. Die San-Hüter, die ihn in ihre Reihen einberufen hatten, waren allzu gute Lehrmeister in ihrem bestehenden Zustand. Zu gut in dem Sinne, dass er ihren Gesetzen folgte. Jedoch nicht gut genug, um jenen widerspenstigen Gedanken aus seinem Geiste zu verbannen. Ein Gedanke, den Terzios in Worte fasste: Das Recht auf Leben ist eine klare Linie zwischen Richtig und Falsch.
Morco musterte nachdenklich das Heilmittel, welches wohlverwahrt in dem Gefäß auf dem Tisch vor ihm stand. Die Zeit war gekommen.
* * *
»Es waren dereinst vier Geschwister«, begann Lutek eine seiner Geschichten, indes er sanft durch die Haare seiner Geliebten strich.
Sie saßen an einem der Lagerfeuer zusammen. Celena hatte sich an ihren Liebsten geschmiegt, während Belothar ihnen gegenüber hockte.
»Sie lebten in einem weit entfernten Land«, fuhr Lutek fort. »Es war ihnen von ihrem Ziehvater aufgetragen worden, sich um Land und Leute zu kümmern, bis er wiederkam. Einem jeden der Geschwisterkinder ward eine Waffe gegeben. Es waren heilige Artefakte, von göttlicher Hand selbst erschaffen - ein Stab, ein Bogen und zwei Schwerter. Eine Klinge, dessen Träger die eine Tochter wurde, war aus Stein. Die andere Klinge, eine der Söhne übergeben, war aus Wasser. Die zweite Tochter den Stab bekam und dem vierten Kind der Bogen genügen musste. Daraufhin ging der Ziehvater in die Lande hinaus und wurde nie mehr gesehen. Die Geschwister wurden die Erben und Hüter der mächtigen Festung und sie dienten allein dem Wohl des Volkes. Dieses war jedoch in sich zerrissen, denn sie mussten zwei Seiten ihrer Vorfahren gehorchen. Zum einen bedrohte der Schatten und das Chaos das Volk. Zum anderen bevormundete das Wesen des Lichts und der Ordnung diejenigen. Und doch ehrte und fürchtete das Volk beide Seiten gleichermaßen. Eines Tages standen die Vier Kinder einer großen Entscheidung gegenüber.«
Die erzählende Stimme Luteks klang beruhigend. Celena kuschelte sich näher an ihn heran. Noch lieber wäre es ihr gewesen, ihren Kopf auf seinen Schoß zu legen. Doch in diesem Moment genügte es ihr von ihm, den sie liebte , umarmt und liebkost zu werden.
»Die Schatten hatten sich erhoben« hörte sie Lutek weitersprechen. »Sie beanspruchten all die Ländereien und suchten es mit ihrem Einfluss zu infizieren. Mit der Asche, die aus Kampf und Krieg hervorging, versprachen sie eine neue und bessere Welt. Und die Wesen des Lichts verhielten sich nicht anders. Sie wollten mit aller Macht die Ordnung der Dinge erhalten und alle sollten sich ihrem Willen beugen. Es war genug. Die Geschwister entschlossen sich daher, ihr Land, ihr Volk und selbst ihr eigenes Leben zu riskieren. So wandten sie sich gegen den Schatten und gegen das Lichtwesen. Sie wollten weder dem einen noch dem anderen dienen.«
Luteks Stimme wurde plötzlich zu einem leisen Flüstern. Dennoch war es derart eindringlich, das sowohl Belothar als auch Celena wie gebannt den weiteren Worten lauschten.
»Sie hatten beschlossen, sich für keine der Seiten zu entscheiden. Sie wollten die Tradition brechen und ihren eigenen Weg gehen. Also zogen die Geschwister los, einen hoffnungslosen Kampf gegen Licht und Dunkelheit zu führen.«
»Und?« fragte Celena spannungsgeladen. Lutek lächelte sie herzenswarm an.
»Mit ihren Waffen zogen sie eine Schneise der Verwüstung durch beide Seiten. Sie waren nie wieder gesehen worden. Aber … mit ihnen verschwand auch der Schatten und das Licht. Das Volk alleine und ohne Führung zurückgelassen, mussten nun selbst herauszufinden, wie es zu leben und eigene Entscheidungen zu treffen hatte. Manch einer von ihnen behauptete sogar, die Geschwister würden von der Ferne aus ihr Land beobachten und eines Tages wiederkehren.«
In die darauffolgende Stille hinein knackte unerwartet brennendes Holz. Celena schreckte auf, lächelte über sich und beobachtete die auffliegenden gelb glühenden Funken, die daraufhin aus dem Lagerfeuer hinauf in die Nacht entstiegen.
* * *
Deirdre hatte sich ein Feuer abseits des Lagerlebens geschürt. Neben ihr hockte der struppige kleine Hund, der vor nicht allzu langer Zeit sich in einen riesigen Schattenwolf verwandelt hatte. Tapfer hatte er gegen die Ungeheuer gekämpft. Sie ahnte, wer oder was es wirklich war, behielt jedoch das Geheimnis für sich. Falls es stimmte, was sie vermutete, hatte es einen Grund, dass dieses Wesen als kleine Fellnase unter ihnen weilte. Genüsslich ließ sich das Struppelfell von ihr hinter den Ohren kraueln, während sie gedankenverloren in die flackernden Flammen starrte und ihres Bruders gedachte. Ihre Gedanken flogen weit zurück in die Vergangenheit, als sie beide am Hofe des damaligen Königs von Hadaiman verweilten.
»Was ist es nun? Ist es mein Kind oder das Seine?« Deirdres Vater, Lord Jester von Sterk heftete seine Augen fest auf den Fragenden. Seine Stimme klang ruhig, während sein Blick für einen Moment auf die junge Frau neben sich abwich. »Das zu entscheiden, liegt nicht in eurem Ermessen, euer Majestät.« »In wessen Ermessen dann? Darf ich also nur Kinder zeugen und nicht deren Vater sein?« Zornig spie König Damion die Worte über den runden Tisch durch den Raum. Hochlord Tarm Lorin, treuster Freund, Berater und Kriegsherr des König, stand lässig neben dem Fenster an der Wand gelehnt. Seine Miene zuckte nicht einmal, als er sich Damion zuwandte. »Nicht bei diesem Bastard, Damion. Niemand darf jemals davon erfahren. Das Kind muss vom Hof. Lasst es zu eurem Onkel auf Burg Rotstein bringen. Er soll anstatt euer, das Kind als seinen Sohn aufziehen.« Mit einer gewissen Resignation in den Gesichtszügen drehte sich Damion von dem Hochlord ab. Leise befahl er, untermalt von einer wegwerfenden Handbewegung, den Vorschlag seines Beraters in die Tat umzusetzen. Die Anwesenden verstanden den Wink des Monarchen. Mit der jungen Frau an der Seite verließ Lord Jester den königlichen Raum. Tarm Lorin schloss sich ihnen nach anfänglichen Zaudern an. »Dieses Kind ist eine Gefahr. Es ist und bleibt ein Bastard und darf niemals König werden«, murmelte Lorin wie beiläufig, blickte jedoch lauernd zu seinen Begleitern. Sehr wohl ahnend, was der Hochlord zu bezwecken versuchte, drehte sich Deirdre zu diesem um. »Eines Tages, wenn dieser Knabe sein Schicksal anzunehmen vermag, möge dieser Knabe auch der König sein.« »Richtig, wenn er denn vermag. Das wird jedoch nie der Fall sein. Welcher windige Zauber sollte genau das bewirken?«, spöttelte Lorin. Augenblicklich wurzelten sich Deirdres Füße auf den Treppenabsatz fest. Einige Stufen unter ihr stehend bleibend, wandten sich ihr Vater und der weiterhin spöttisch dreinschauende General und Hochlord zu ihr um. »Die Zukunft wird es zeigen und auch ihr werdet euren Platz in dieser Geschichte einnehmen. Wir werden sehen, ob zum Guten oder Schlechtem, Kriegsherr.« In den Augen des Hochlords flackerte es kurzweilig auf, bevor er missmutig in seiner klirrenden Rüstung davon stapfte. Er hatte nichts übrig für solche Art von Diskussion. Besonders war er nicht Willens auf den Rat anderer zu hören. Er zog es vor, selbst Ratschläge zu erteilen. Es wurde sogar gemunkelt, das er in diesem Bezug einen erheblichen Einfluss auf seinen Freund, den König, hatte. Genau das war das Gefährliche an diesem Mann. Er war eine Bedrohung für den Frieden, denn die Gedanken des Kriegsherrn waren mit unerschütterlichem Hass auf das Nachbarreich getränkt. »Wir gehen ein erhebliches Risiko ein«, ließ Lord Jester verlauten. Seine stechenden Augen fixierten die Magierin, die seine Tochter war. Deirdre lächelt schwach. »Mag sein! Doch gehört Risiko nicht zum Spiel des Lebens dazu?« Beinahe verlegen strich sie sich eine Falte ihres schwarzen langen Gewandes glatt. »Der Name meiner Mutter bringt mir diese Verantwortung ein, liebster Vater.« »Ich muss etwas verpasst haben. Wann kam es dazu, dass Kinder ihre Väter in Weisheit überflügeln?« Der Lord fuhr sich über seinen kahlen Schädel und in seinem bärtigen Gesicht zeigte sich eine Spur Wehmut. »Überlass die Nachforschungen deinem Bruder. Deine Zeit wird kommen, wenn in ferner Zukunft ein Bastardprinz den Thron besteigen wird.« »Es ist Vaters Wille, dass du dich zurückhältst«, beharrte Merthed wenige Tage später. Seine Jungenhaftigkeit irritierte sie stets. Deirdre mochte die ältere sein, aber Merthed war es zugetragen worden die Forschungen voranzutreiben. Sie sollte sich genügsam geben und sich den alten Schriften zuwenden. Aufzeichnungen über längst vergangene Zeiten, Orte und Taten, an die sich niemand mehr erinnerte. »Ich habe Verpflichtungen gegenüber den Namen meiner Mutter«, beschwerte sie sich. Unwirsch winkte Merthed ab. »Pflicht! Sie wird allenthalber hochgeschätzt und ebenso missbraucht. Und was den Namen deiner geschätzten Mutter betrifft, solltest du allein aus diesem Grund im Hintergrund bleiben.« »Ich habe Angst um dich. Wenn …« »Ich werde aufpassen. Sollten mich die Krieger der Schöpferhäuser erwischen, ist es eine Sache. Bekommen sie dich in ihre Hände, stirbt der Name Nilrem endgültig mit dir.« Er schlug den schweren Folianten mit Wucht zu, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Feine Staubkörnchen wirbelten aufgescheucht durch die Luft. »Lerne und bereite dich vor. Eines Tages wird auch deine Zeit kommen, dann werde ich dich in meine Forschungen einweihen.« Daraufhin tat Deirdre wie ihr geheißen. Sie las und studierte. Sie blickte ihrem Bruder, der mit jedem Tag älter wurde, während sich bei ihr die Frische der Jugend hielt, über die Schulter. Sie lernte von den fernen Orten und anderen Welten. Sie erfuhr die Geheimnisse und Wunder der altvorderen Zeit, in der Panera ein Paradies hatte sein sollen. Gegründet von Göttern, Menschen, Elfen und Zwergen gleichermaßen. Sie las von den Menschen, allen voran den Magiern von Nemibistar, die es zu der Macht des Einen, den obersten aller Götter, zog. Sie erlangte Kenntnis von dem Zorn des Schöpfergottes, der daraufhin die Stadt des Lichts zerstörte und den Sturm der Anderen entfachte. Auf das sie alle nur ein Schatten ihrer selbst wurden. Die Menschen wanden sich in ihrer Verzweiflung ob des Fluches dem Gottesoberhaupt zu. Er erhörte ihr Flehen nicht. Einzig seiner geliebten Karmaste schenkte er Beachtung. Ein Fehler folgte dem anderen. Während die Elfen ihre Wurzeln in der Tiefe der Vergessenheit ruhen ließen, wurden sie von den Menschen bekämpft und unterdrückt. So wurden sie mehr und mehr wie sie. Die Zwerge hatten lange alles hinter sich gelassen und wandten sich dem Glauben ihrer Ahnen zu. Sie rühmten sich der Bewahrung allen Wissens und doch vergaßen sie, dass ihr Weg einst derselbe von Mensch und Elf war. Alles war vergessen. Entschwunden im Nichts. Genau dort, im Nichts, im Jenseits befand sich eine letzte Hoffnung, um den Hauch der alten Zeit erneut über die Welt wehen zu lassen. Nicht um Altes neu aufleben zu lassen, sondern um die Menschen daran zu erinnern, was war. Deirdre begriff in ihren Studien: Es war des Menschen Verhängnis, das er vergaß. Der Drachen war die Weisheit der Sterne und die Sterne waren der Sitz des Einen und seinen Göttern. Etwas Kaltes berührte die Hand der Zauberin. Kluge rehbraune Augen blickten sie an, als sie aufschaute. »Mich würde es nicht wundern, wenn du Gedanken lesen könntest«, raunte sie dem Struppeltier zu. Wie zur Bestätigung winselte der Hund auf. Ihr Gegenüber regte sich Es war Sebyll, die sich an ihrem Feuer bequem gemacht hatte. Mit unergründlichem Blick schaute die Gryposfrau die Zauberin an.
* * *
Lutek hatte sich mit Kelthran, Thorgrim und zwei Hütern am darauffolgenden Tag zur Nahrungssuche verabredet und waren früh abmarschiert. Celena schlenderte derweil gelangweilt alleine durch die Ruinen. Ihre Augen blieben auf eine Truhe haften, die durch äußere Gewalteinwirkung ein wenig lädiert schien.
Die Kiste, welche sich ohne große Einwende öffnen ließ, barg einen wahrlich alten Tropfen und einige wenige Silberstücke. Ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, steckte sie sich die Münzen pfeifend in ihren kleinen Beutel.
Der Inhalt des geborgenen Schatzes, welches sie wenig später vor sich hertrug, sah durchaus noch trinkbar aus. Allerdings war die Schrift auf den Gefäßen bereits verblasst und kaum noch zu entziffern. Schalk stand ihr regelrecht ins Gesicht geschrieben, als sie an jenen dachte, den sie mit ihrer Errungenschaft beehren wollte.
Er saß entfernt von den anderen an einem kleinen Feuerchen. Nach seiner mürrischen Miene zu urteilen, schien er es vorzuziehen, alleine zu bleiben. Celena war das in diesem Moment egal. Sie war zwar nicht in Feierlaune, doch ein Schlückchen in Ehren … Thorgrim wusste mit Sicherheit Derartiges zu schätzen. Also, warum nicht auch dieser vor sich hinbrütende Kerl.
Tatsächlich waren Belothars Gedanken mehr als verworren. Auf nichts konnte er sich lange konzentrieren. Eine Sache lag ihm auf den Magen. Immer und immer wieder, einem sich unaufhörlich drehendem Mühlrad gleich, schwirrte der eine Name in seinem Bewusstsein herum. Nacud. Es war jedoch nicht sein alter Mentor, welcher überraschend vor ihm stand. Es war seine Waffenschwester. Voll beladen mit Gefäßen, grinste sie ihn schelmisch an.
»Wie wäre es mit ein paar Schluck geistvoller Erfrischung?«
Ohne eine Einladung seinerseits abzuwarten, ließ sich Celena neben ihn in auf den Boden fallen. Grinsend reichte sie eine der bauchigen Gefäße vollen rot trüben Mostes weiter.
Die festsitzenden Verschlüsse sträubten sich nicht lange dagegen, das kostbare Tröpfchen gefangen zu halten. Ein lauter Blubb und die Stopfen landeten im Schnee. Herzhaft stießen die beiden Freunde an.
Der erste Schluck breitete sich mit süßer Aufdringlichkeit in der Mundhöhle aus. Vergorener Traubensaft kitzelte den Gaumen. Man mochte die Flüssigkeit nicht die Kehle hinunterrutschen lassen.
»Auf was trinken wir, Verehrteste?« wollte Belothar in Erfahrung bringen.
Allzu oft kam es nicht vor, dass sie gemeinsam rauschträchtige Behältnisse leerten.
Celena stülpte spitzbübisch die Lippen vor. »Ich weiß nicht!«
Sie zuckte leicht mit den Schultern. »Vielleicht, weil ihr …« Sie stupste, ihn mit dem Finger der freien Hand auf seine Brust. »Ihr saht so einsam aus«, feixte sie.
»Ach?«, murmelte er mehr oder weniger zwischen den Lippen hervor. Nicht weil ihm dazu nichts weiter einfiel, sondern weil die junge Frau neben ihm sehr nahe herangerückt war. So nahe, das er ihre pochende Halsader bewundern konnte, während ihr Geruch seine Nase umströmte. In seinem Brustkasten liefen urplötzlich Pferde im Galopp, obschon sie ihm früher einige Male nähergekommen war. Celena war unerreichbar für ihn, das wusste er. Er begehrte sie jedoch weiterhin und das vermochte er nicht abstellen. Er versuchte daher, die aufkommende Erregung von sich zu stoßen. Es musste der Wein sein, erklärte er sich selbst.
»Außerdem«, fuhr sie mit leiser, rauchiger Stimme fort, während sie die Riemen an ihrer Rüstung aus den Schnallen befreite. »Ich werde durchaus lockerer. Und ihr seht aus, als könntet ihr ein wenig Spaß vertragen.«
Schneller als ihm lieb war, hatte sich Celena aus ihrem Panzerkleid geschält. Mit einem weiteren Schluck begutachtete sie die Brustrüstung von innen. Abermals rückte sie näher zu Belothar, dessen Augen nicht von der zarten Haut des bloßen Halses lassen konnte. Kurz rutschte sein Blick in niedere Gefilde. Enttäuscht gewahrte er, dass die kettenumwobenen Brustwehr keinen weiteren Ausblick gestattete.
Krampfhaft schluckte er ebenfalls aus seinem Gefäß einen lang anhaltenden Schluck des sinnesberauschenden Inhalts.
»Seht mal!« Celena zeigte auf die glatte Innenfläche ihres Harnischs. »Von außen wirkt es flach und ohne Ausbeulung. Aber innen, diese Mulden sind erstklassig gearbeitet. Man hat guten Halt darin.«
»Hm! Guten Halt!« echote Belothar. Er wiederholte die Worte murmelnd ein zweites Mal vor sich hin. Angesichts des aufsteigenden Weinnebels, der in sein wacheres Gehirn vorzudringen schien, ahnte er dennoch, was gemeint war.
»Sicherlich. Sehr gut angepasst. Es stützt hervorragend und scheuert nicht bei der kleinsten Bewegung«, gab sie Auskunft und verdeutlichte ihre Worte, indem sie mit ihrer freien Hand ihr weiblichen Vorbau stützte.
Belothar wurde es infolge ihrer Verdeutlichung recht warm.
»Halt! Ich denke nicht das ich für diese Art von Gespräch geeignet bin«, stotterte er. »Außerdem wurde mir eingebläut, Frauen mit Respekt zu behandeln«, polterten die Worte über seine Zunge hinweg, die sich nicht mehr als sein eigenes Organ anfühlte.
»Ich glaube, das sagtet ihr mir früher schon mehrmals«, blubberte Celena zwischen zwei weiteren Schlucken. Kaum gesprochen stellte sie ihr Gefäß neben sich in den Schnee und hockte urplötzlich auf seinem Schoß. Nicht einen mahnenden Finger, der sie zum Einhalt aufforderte, konnte der Regent erheben. Einzig die Temperatur in seinem Gesicht hob sich zusehend hervor.
»Ihr meint sicherlich den Respekt, den man den Damen zollt, bis man die holde Weiblichkeit auf seinem Lager unter sich hat.«
Aus Belothars Kehle entrang sich ein unverständliches Murmeln. Die Süße ihres Geruchs übermannte ihn förmlich. Es war ihm unmöglich sich zu bewegen, geschweige ein vernünftiges Wort herauszubringen.
»Das … das ist nicht richtig!«, knurrte er leise, sich kaum der Sinne erwehrend, die ihn überrumpelten. »Ich kann … kann das nicht.«
»Was könnt ihr nicht?« Celenas Atem kitzelte ihn, da sie sich nahe zu ihm hinabbeugte, während sie ihr feingliedriges Kettenhemd abstreifte. Die Schnüre ihres Hemdes lockerten sich, welches sie darunter trug. Langsam glitt es über ihre Schultern hinab, sodass dem Jungkönig ein tieferer Einblick auf die Erhebungen erlaubt wurde.
Sein Hirn musste inzwischen komplett aus Wein bestehen. Oder war es das Abbild der dunkelhaarigen Frau, welche über ihm thronte und verführerisch die Lippen spitzte? Er hatte ein unersättliches Verlangen nach ihr. Mochte ihm der Schöpfergott oder welcher der Götter es sonst gab,vergeben sinnierte er.
Sofort machten sich vor seinen inneren Augen mit Anstandslitaneien bewaffnete Sittenberater bemerkbar. Mit ihren Pergamenten in den Händen versuchten sie, eine Wertebrücke zu seinem Ego zu schlagen. Ihnen gegenüber jedoch schossen Bogenschützen mit Sorglos-Pfeilen, die mittels Leichtfertigkeit die Brücke zu entzünden suchten.
»Nein! Nicht!« keuchte Belothar halbwegs entrückt, als einer der Vertreter vornehmen Gebarens ihn mithilfe des Manierkatapults zu erreichen drohte. Sofort stellten sich die Leidenschaftsritter dazwischen, um den Boten der Tugend niederzustrecken. Etwas ließ in ihm nach, als auch der letzte Sittenwächter endgültig von den mit Begehren legierten Schwertern niedergeschlagen wurde.
Zu gerne wollte er sich der warmen Umarmung ergeben. Er lechzte regelrecht nach zärtlicher Berührung, zumal seine sich aufrichtende Manneskraft kaum noch zu bändigen war. Erst recht, da Celenas Wölbungen sich inzwischen dicht vor seiner Nase aufbaute und ihre Hitze ihn zu wärmen begann. Nicht genug dessen fuhr ihre Hand über seine sich schnell hebende und senkende Brust hinab, tiefer und tiefer.
»Möglicherweise hatte ich damals ein wenig übertrieben reagiert, als ihr plötzlich in mein Gemach geplatzt seid«, schnurrte sie dem schwer atmenden Monarchen ins Ohr.
»Und Lutek?« brachte Belothar angestrengt die Worte des sterbenden Sittenratgebers heraus.
»Vergesst ihn einfach für diesen Moment«, konterte Celena. Sie küsste seinen Halsansatz, während ihre Nase gegen sein Kinn rieb. Ihre Finger erreichten das Zentrum der Erregung.
»Richtet euren Gedanken nur darauf, wie ihr mich vereinnahmen könnt. Spürt meine Haut auf eurer und fühlt, wie ihr in die Wärme zwischen meinen Schenkeln eintauchen könntet.«
Ruckartig fuhr sie plötzlich hoch. »Obwohl … es ist, vielleicht tatsächlich eine schlechte Idee«, sprach sie lauter werdend mit Schalk in den Augen. Zähne blitzend drehte sie sich von Belothar ab, der vollkommen verdattert schien, nach Atem rang und sie ungläubig anblinzelte.
»Was? Was sollte das?«, grunzte er verstört angesichts der Wendung.
»Hattet ihr wirklich geglaubt, ich setzte mich einfach mir nichts dir nichts auf euch, damit ihr euren Stiel in Angriffsposition aufstellen könnt?« Ein Bittersüßes Grinsen umspielte ihre Mundwinkel.
Belothar rappelte sich entgeistert auf, indes seine Anspannung zum absoluten Tiefpunkt absank. Die Moralisten in seinem Innern ballten mit letzter Kraft das Taktgefühl zur Faust. Anstandsärzte kümmerten sich um die verletzten Tugendwächter, die sogleich aufstanden und sich freudig in die Arme fielen.
Mochten andere diese weiblichen Wesen verstehen. Er tat es nicht. Mal hofierten sie um einen, dann wiederum ließen sie den Auserwählten im Regen stehen. In seinem Fall, im eisigen Schnee sitzen. Mit Unverständnis in den Augen zogen sich die Brauen in die Höhe.
»Könnt ihr mir erklären, wieso beim Schöpfer, dann dieses Spielchen?«
»Erinnert ihr euch. Ich sagte vor einigen Tagen: Vergessen wir es. Vorerst.« Sie kicherte. »Das hier war die Quittung dafür, mein König.«
Da dämmerte es Belothar endlich. In ihm entflammten sämtliche Kerzen in den Oberstübchen der königlichen Denkhallen.
Er kam sich in diesem Moment erbärmlich vor. Die kümmerlichen Reste seiner Würde zusammenkratzend, räusperte er sich vernehmlich. »Das habe ich dann wohl verdient«, gab er zerknirscht zu.
»Ja, das habt ihr in der Tat«, bestätigte das dunkelhaarige, biestige Prachtstück von einer Frau neben ihm. Sie zwinkerte belustigt. »Und jetzt lasst uns trinken!«
* * *
Das erlegte Reh über Dagos Schulter und mehrerer Hasen in Kelthrans Händen, trat die Jagdtruppe aus dem Wald heraus.
Der alte Haudegen hatte es sich nicht nehmen lassen an der Jagd teilzunehmen. Mit einigen Kniffen der Schießkunst im Gepäck profitierte Lutek von der Anwesenheit des alten Hüters. Dagos war in seinen Reihen bekannt für die perfekte Handhabung mit Pfeil und Bogen.
Gelächter drang an des Osgosaianers Ohren. Irritiert schaute er nach der Quelle des Frohsinns. In einiger Entfernung erblickte er Belothar und Celena in trauter Runde.
»Kommt! Wir sollten zusehen, das magere Fleisch von unserer Beute zu schaben«, grummelte der Hüter den anderen zu und stapfte auf die Feuer der zurückgebliebenen zu.
Lutek zog es zu den beiden lustigen Zechern, neben denen bereits zwei leere Gefäße lagen. Gerade nahm seine Celena einen kräftigen Schluck aus einem dritten Gefäß und übergab es danach Belothar.
Schmunzelnd hörte er den lallenden Worten zu, die sie von sich gab.
»Stellt euch vor«, kicherte die Tousard. »Da rennt der Diener tatsächlich seinem Herrn hinterher, erwischt ihn, bevor der das Tor durchquert und sagt zu ihm:mein Herr! Verzeiht mir, ihr habt mir den falschen Schlüssel in meine Obhut gegeben. Dieser hier schließt den Keuschheitsgürtel eurer Gemahlin nicht auf.«
Lachend schlug sich Celena mit den Händen auf ihre Schenkel.
Belothar gackerte angesäuselt. »Wirklich, das ist der schlechteste Witz aller Zeiten«, gab er mit nicht annähernd artikulierten Worten von sich. »Und ihr, liebe Freundin seid in Witzeerzählen die schlechteste von ganz Panera.«
Celena starrte Belothar verdutzt an, bevor beide erneut hell auflachten.
»Oh! Mir fällt noch ein Witz ein, der stammt jedoch von mir«, prustete die Kriegerin aus sich heraus. »Ihr wisst, ständig werde ich gefragt, was ich will. Tatsächlich will ich eine Menge. Eins davon verrate ich euch. Ich will …« Sie kicherte erneut. »Rache! Rache an den San-Hütern.«
»Das ist nicht euer Ernst!«Verunsichert runzelte der Monarch die Stirn.
»Nein! Sonst wäre es ja kein Witz«, gab seine Kameradin bekannt. »Ich räche mich, in dem ich sie alle heile.« Wieder schüttelte sie sich vor Lachen. »Das … das ist der Witz des Zeitalters«, stammelte Celena prustend. »Sich rächen, indem man jemand das Leben rettet.«
Die junge Frau konnte nicht mehr an sich vor Lachen und auch Belothar verkniff sich nicht ein feines Auflachen.
»Ihr seid regelrecht verrückt. Ich bin mit einer Verrückten unterwegs!«
Sie schlug sich die Hände vor das Gesicht und rieb die Lachtränen fort. »Oh weh! Beim Schöpfer! Ich glaube, das war ein wenig zu viel von dem Gesöff.« Währenddessen versuchte sie, Kraft ihren Willens den Rausch aus ihrem Kopf zu verbannen. »Meine Güte, das hält der stärkste Zwerg nicht aus«, brummte sie.
»Ihr sagtet, ihr wollt eine Menge. Was ist das andere?« fragte Belothar dazwischen.
Das Lachen Celenas erstarb ruckartig. Ihr Rausch schien augenblicklich verflogen. Sie sah zu Lutek hinüber, der einige Schritte entfernt von ihnen stand und jedes Wort vernahm.
»Bislang hattet ihr mich das nicht gefragt«, meinte Celena ernst werdend. »Seit jener Zeit als meine Familie abgeschlachtet wurde, hat mich niemand gefragt, was ich will. Nur, Nacud. Letztendlich machte er es zu seiner Bedingung und wählen konnte ich daher nicht.« Sie seufzte auf. »Ich bin ehrlich! Ich bin froh, dass er überlebte. Er gibt mir die Möglichkeit, ihm seine Worte zurück in seinen Mund zu stopfen.«
Eine lange Pause folgte. Gequält lachte sie auf. »Ja« nickte Celena, »ich werde ihm dafür danken. Mit der Faust in seinem Gesicht.«
Belothar versagte die Gesichtskontrolle .
»Ich vergesse natürlich nicht, dass ich dadurch Lutek traf«, versuchte sie beschwichtigend zu erklären, als sie Belothars verständnislosen Gesichtsausdruck sah. »Eure Frage, was ich will«, kehrte sie umgehend zum Thema zurück. »Wer ich bin das weiß ich nun. Was ich will - ich will leben. Für ihn und mit ihm. Ich will mit Lutek alt werden, wie lange es auch dauern mag. Und ich will auf meine Weise sterben. Ich möchte selbst entscheiden, ob durch Krankheit oder dem Schwert. Versteht ihr?«
Ihre Zähne kneteten die Unterlippe, als ob sie sich nicht sicher war, weiter zu reden. Sie räusperte sich, um den Kloß aus ihrem Hals zu lösen. »Wer weiß, wie auch immer es passieren soll, möchte ich Kinder haben. Wenn das nicht funktioniert, dann können wir uns Waisen annehmen.«
Zerknirscht über die letzten Worte wanderten Belothars Augen zwischen Lutek und Celena hin und her, wagte jedoch nichts anzumerken. Celena nickte nachdenklich. »Warum auch nicht, es gibt viele Waisen in Hadaiman«, fügte sie hinzu.
»Wieder muss ich mich entschuldigen«, bemerkte schließlich Belothar mit zusammengepressten Lippen.
»Wofür?« Celena drehte ihren Kopf zu dem Jungkönig neben sich.
»Ich habe in all der Zeit, vieles von mir vor euch verborgen gehalten. Ich habe mich vielmehr mit der bevorstehenden Mission beschäftigt und nicht abseits des Weges geschaut. Ständig stand ich stumm daneben, wenn ihr jemanden am Wegesrand geholfen hattet.«
Schwer atmend starrte der Regent in das Feuer vor sich.
»Niemals hatte ich ein Wort verlauten lassen, weil es mich nicht interessierte. Lutek hatte es erfreut und ich … ich hatte nichts dabei empfunden. Was war ich ein Narr! Ich hatte mich der Tugendhaftigkeit verpflichtet. Dem Wohl aller wollte ich dienen und achtete nicht auf die kleinsten Dinge. Blind und taub war ich denen gegenüber, die Hilfe benötigten. Ein Stück vom Brot, eine Münze, Zuspruch und Hilfe. Ich bekämpfte nicht den Fluch in mir, sondern trieb euch und den Orden dazu an, die Anderen zu bekämpfen. Wir, die wir uns die San-Hüter nannten, hätten mit kleinen Taten helfen können. Ich kannte keinen Hüter, der solches leistete. Einzig ihr.«
Belothar stand aufgewühlt auf. Sein Antlitz verriet den Kampf, der in seinem Herze tobte. »Ich bin ein König, der sich nicht für seine Untertanen interessierte. Man musste mir erst eine Lehre erteilen, damit ich begriff, dass sich nicht alles um mich dreht. Ich widere mich selbst an.«
»Nein Belothar!« Celena schüttelte energisch den Kopf. »Sagt so etwas nicht! Ihr seid ein guter König und ihr könnt mehr sein. Ihr habt euch für den Thron entschieden. Warum sonst wolltet ihr nicht, dass die Gemahlin eures Bruders den Thron besteigt?«
»Die Wahrheit? Für mich selbst«, knurrte er verbittert.
»Ich war bei der Wahl anwesend. Das war es nicht alleine, denn ihr dachtet durchaus an das Volk. Ich … ich bin diejenige, die nur an sich dachte. Denn ich wollte die Heilung für mich und anschließend natürlich auch für euch.«
Belothar war es nicht möglich, darauf zu antworten. Er nahm das halb volle Gefäß an sich und ging den Trost des Weines mit sich führend, von dannen. Lutek löste sich mit einem traurigen Lächeln aus seiner Erstarrung und setzte sich neben Celena.
»Du bist nicht selbstgefällig«, sagte er zu seiner Liebsten.
»Doch! Das bin ich sehr wohl.«
»Wie du meinst! Es hatte trotzdem was Gutes, selbst für andere.
»Celena seufzte schwer. »Ich habe ihm wehgetan. Und das Schlimmste daran ist, ich wollte es.«
»Aus diesem Grund aber hast du …«
»Nein, ich wollte mich retten. Unsere Liebe wollte ich retten. Das waren meine Gedanken. Es galt nur mir allein und dir, denn ich wollte dir kein Schmerz zufügen. Belothar wollte ich einzig helfen, weil er uns oft genug den Hintern gerettet hatte.« Sie zuckte niedergeschlagen die Schultern.
»Kastei dich nicht selbst. Letztendlich hast du nicht nur an dich gedacht. Was glaubst du was ich in Gerit erfahren musste, bevor wir uns dort trafen. Nichts als Häme und Unehrlichkeit. Trotz das sie mich in dem Schöpferhaus aufnahmen, war es nicht zu meinem Wohl. Es galt ihrem Wohl. Nein, sie dachten dabei nicht an den Hilfebedürftigen. Zu sehr waren sie mit ihrem Ansehen beschäftigt. Anderes interessierte sie nicht. Es war und bleibt dumme, gedankenlose und bösartige Ignoranz.«
»Man kann nicht alle ändern«, murrte Celena.
»Sie können sich alle ändern. Nicht sofort und nicht alle auf einmal. Was ich eigentlich sagen will, du ignorierst die Menschen um dich herum nicht. Einen von ihnen hast du bereits verändert. Du zeigtest mir auf, das ich nicht so sein muss wie jene die mich ausbildete. Ich musste dir nicht beweisen das ich fromm und naiv wie ein Kind bin. Und einem Springteufel gleich hast du ebenso einem anderen diese Geschenk gemacht.« Zärtlich strich Lutek seiner Liebsten eine dunkle Strähne aus dem Gesicht. »Das muss vorerst genügen«, flüsterte er ihr zu.
Vom Wind und Schneeflocken verfolgt, tauchte Belothar nach einer Weile wieder auf. »Also dann«, verkündete er in ernsthaften Ton.
»Oh! Eine wichtige Ankündigung seiner Majestät. Ruhe in den vorderen Reihen.« Celena bleckte grinsend die Zähne.
»Abermals dieser schneidige Witz von euch«, knurrte der Regent und verzog säuerlich seine Miene. »Gut! Wenn ihr es so wollt, mach ich es zur Ankündigung. Nacud gehört mir! Ich werde mich ihm stellen und kämpfen. Was er auch vorhaben mag und welche Monstren er auf uns hetzt. Ich bin es, der den entscheidenden Schlag führen wird. Es ist meine Aufgabe. Und mir ist es völlig gleich, was ihr sagt. Ihr werdet euch nicht in die Gefahr begeben.«
Celena hob ihre Braue an. »Ich habe nichts gesagt!«
»Nein! Ihr hattet eben nichts gesagt. Damals jedoch ward ihr hocherfreut, mich als Opfer dem Erzalten vorzuwerfen. Oder irre ich mich?«
»Das war nicht so gemeint, Belothar. Ich war ein wenig spitzzüngig, das gebe ich zu. Wahrscheinlich hat Morenas Art abgefärbt.«
Belothar stand regelrecht sprachlos vor ihnen. Celena stand auf und fasste ihr Gegenüber scharf ins Auge. »Wenn ich euch damit damals verletzt habe, dann entschuldige ich mich dafür«, meinte sie ernst. »Ich wollte niemals, dass ihr euch für mich und alle anderen opfert. Niemand von uns wollte sterben. Ich hätte eigenhändig den Kommandanten gefesselt und geknebelt und zu der Bestie getragen, wenn Morena nicht gewesen wäre.«
Dem Gespräch der Beiden aufmerksam lauschend, beschlich Lutek eine ungute Ahnung. Er hatte schon lange den Verdacht, das Morenas damaliges Auftauchen kein Zufall war. Hatte seine Geliebte möglicherweise die vor Sarkasmus triefende Hexe benutzt? Und plötzlich begriff er mit Schaudern eine weitere Tatsache. Er war verwandt mit dieser Hexe. Natürlich. Jeamy musste ihre Mutter sein. Sie sah Morena sehr ähnlich. Doch was war mit Morco, seinem Onkel? Morco und Jeamy waren einst zusammen, das hatte er mitbekommen. Der alte Bastard war ihr Vater und somit war Morena mit ihm verwandt.
»Ich bin ein vollkommener Narr«, brummte er vernehmlich.
»Liebster, das ist mein Text«, zwinkerte Celena ihm zu. Augenblicklich schwand ihr Lächeln angesichts des ernsten Gesichts Luteks.
»Du siehst aus, als ob du einen Geist gesehen hast. Was ist?«
»So ähnlich! Morena … sie ist … sie ist meine Cousine«, murmelte Lutek erschüttert über diese Erkenntnis.
»Wie? Was bedeutet das?« Belothar entglitten zum wiederholten Male die Gesichtszüge.
»Das bedeutet unter anderem, wir sind Geschwister. Sie ist eines der Kinder des Schöpfergottes. Wie du, Celena. Wie ich und wie …«
Lutek stockte. Er wagte nicht, weiterzusprechen.
»Erzähl! Wie was?« hakte Celena nach, ihr forschenden Blick auf den noch immer am Boden sitzenden Osgosaianer gerichtet.
Doch Lutek schwieg sich aus. Vor seinen inneren Auge verdeutlichte sich ein Bild. Es war größer, als jeder von ihnen sich vorstellen konnte. Er fuhr sich mit den Händen über sein Gesicht. Er hatte eine Ahnung, eine Befürchtung. Nein, das was er gesehen hatte, konnte nicht sein. Und wenn, war es dazu zu früh, etwas zu sagen. Es war einzig ein Gefühl, nicht mehr.
Er legte die Hand auf seine Brust und spürte, dass er lebte. Sein Herz pochte. Dennoch versank er in völliger Stille. Er fühlte sich plötzlich so hilflos.
* * *
Ein heilloses Durcheinander herrschte am nächsten Morgen Die Zeit aufzubrechen war gekommen. Verwundete waren genesen und Schwerverletzte hatten sich dank Deirdre und den Hütermagiern soweit erholt, das sie unbeschadet reisen konnten. Dieser anbrechende neue Tag versprach nicht viel wärmer zu werden als die Tage und Nächte zuvor. Die verbliebenen Hüter legten mit Hilfe von Kelthran und Thorgrim die provisorischen Zeltgestänge um, packten die Stoffplanen ein und suchten ihre Ausrüstungen zusammen.
Lutek versuchte die beißende Kälte zu ignorieren, während er Feuerwind sattelte. Celena ließ sich von Sebyll, die sich offensichtlich von dem schweren Schlag erholt hatte, in ihre Rüstung helfen. Deirdre, plötzlich neben Lutek auftauchend, kontrollierte die Satteltaschen. Wie aus dem Nichts heraus hielt sie eine abgetrennte Klaue vor sich und inspizierte diese. Es war der krallenbewehrte Fuß eines Derkoys, den sie schlussendlich in einen Beutel packte und an eine der Taschen festzurrte. Zufrieden mit sich selbst, lächelte sie.
»Es ist nicht viel, doch wird es genügen müssen«, brummelte sie in sich hinein.
»Für was soll es genügen?«, fragte sie Lutek, der ihr naserümpfend und entgeistert in ihrem Tun zugeschaut hatte.
»Die Klaue! Nachdem sich das Tierchen jammernd ohne seine Gliedmaße zu seinem Meister begeben hatte, hatte ich mich dem Ding angenommen. Soweit mir möglich war, habe ich daraus Blut entnommen. Ihr wisst ja, Hüter spüren das krankhafte Gift des Bösen. Wir brauchen mit Sicherheit einen Beweis.«
»Und damit können wir sie überzeugen?« Der junge Osgosaianer deutete auf den Beutel. Deirdre stieß einen beinahe resigniertes Seufzer aus. »Nun, ein lebendes Exemplar wäre sicherlich überzeugender.«
Lutek stellte sich bildlich vor, wie sie einen in Ketten gelegten Derkoy hinter sich herschleiften. Zur Beruhigung warfen sie der Bestie regelmäßig frisch gebackenes Gebäck und ab und an Fleischhappen zu. Er schüttelte bei der Vorstellung sein fuchsrotes Haar.
»Keine gute Lösung. Könnten wir diese Drachenwesen nicht zu der Festung locken?«
Deirdre schloss für einen Moment ihre Lider. Sie suchte nach den richtigen Worten. »Wenn wir etwas versuchen wollen, erfordert es einen Preis. Es ist weder ein lebendes Opfer aus Fleisch und Blut noch der Tod. Es ist der Preis des Herzens. Schürt den Zorn, die Liebe oder den Glauben.«
»In unseren Fall frage ich mich, wie das gehen soll?«
»Es besteht stets ein Risiko, das sich das gewünschte Ergebnis umkehrt. In eurem Fall sage ich: Offenbart euch! Wobei es dadurch für euch, für Hadaiman und gar ganz Panera zur Gefahr wird.«
Ein grimmiges Lächeln umspielte ihre Lippen während sich Sorge in ihren Augen zeigte. »Kurz gesagt solltet ihr euch offenbaren, seid ihr nirgends mehr sicher. Ihr müsstet aus Panera fortgehen.«
Luteks Augen verschmälerten sich. Wohin sollten sie gehen?
Panera war die Welt. Alles andere dahinter war wildes unbekanntes Land und nicht erreichbar. Niemand wagte sich über den Rand Paneras hinaus. Legenden erzählten von einem Hundertarmigen Ungetüm, das kein anderes Wesen über den Rand hinweg durchließ. Die, die es versuchten, kehrten nie wieder zurück. Die Wasser endeten in Sturmdurchwütenden Chaos, in denen es von gigantischen Monstren wimmelte. Reptilienhafte Titanen, die selbst die Götter fürchteten. Das berichteten zumindest die Sagen aus alter Zeit.
Seine Gedanken erratend, zwinkerte Deirdre, deren dunkle Haare sie wie eine wogende Krone umspülten. »Die alten Zeiten? Wenn ihr wüsstet. Es ist die alte Welt, jene Welt, die Panera einstmals war …« Sie hielt inne und musterte Lutek. »Doch! Ihr müsstet davon gehört haben. Erzähltet ihr nicht selbst die Geschichte von Estrellia und ihrem Soldaten? Ist nicht darin die Rede von Göttern? Und was ist mit der Sage der vier Geschwister, die ihr in der Nacht zum Besten gabt?«
»Das sind Geschichten. Nicht mehr und nicht weniger«, erstaunte sich Lutek. Er erinnerte sich daran, das Deirdre nicht bei ihnen am Feuer saß. Nun, vielleicht hatten andere ihr davon erzählt, sinnierte er.
»Es gibt Wissen und es gibt das Wissen«, orakelte sie mystisch, während sich ein weiteres Lächeln auf ihre Lippen stahl. Ihren Zeigefinger auf ihren Mund legend, bedeutete sie Lutek zu schweigen. Sie sagte selbst nichts weiter, sondern wandte sich von ihm ab.
Richtig, was wusste er schon. Deshalb, welche Geheimnisse sollte er wahren? Oder meinte sie jenes Gefühl, das sich ähnlich einer Ahnung in ihm geschlichen hatte.
Noch während er gedanklich der Magierin nachschaute, trat Jeamy zwischen den Bäumen heran. Auch sie verfolgte mit den Augen Deirdre, die sich wieder daran machte, ihre anderen Habseligkeiten zusammenzusuchen.
»Keine Spur mehr von dem fliegenden Gezücht«, brummte sie Lutek zu. Der jedoch sah die alte Hüterin eher entgeistert an. Seine Gedanken schienen den Weg ihrer Worte zu blockieren.
»Oh, ich sehe schon, ihr tragt ein Geheimnis mit euch herum. Gebt gut darauf acht, lieber Neffe.«
Diesmal schafften es ihre Worte bis zu seinen Ohren. Er blickte sie mit seinen stahlblauen Augen an. »Es ist wahr! Ich bin euer Neffe?«
»Ja. Morco ist Morenas Vater. Ich traute ihm nicht über den Weg und ließ sie verstecken. Und was er auch vorhaben mag, er ist gefährlich.«
Sofort stellten sich bei Lutek die Nackenhaare als er die grausamen Bilder des Verlieses vor sich sah.
»Das habe ich bereits zu spüren bekommen«, meinte er verachtend.
»Es war verabscheuungswürdig«, bestätigte Jeamy. Ihre Miene wurde hart. »Ich kann nicht erkennen was er zu tun gedenkt oder was er tatsächlich bezwecken will. Wer ist der Feind? Je nach Sicht des Einzelnen ist es eine Frage des Standpunktes. Selbst der vermeintlich Gute kann sich zum Bösen wandeln, ohne das es ihm bewusst wird.«
»Für jemanden, für den Mord ein alltägliches Geschäft sein mochte, ist er zu weit gegangen«, knurrte Lutek. »Foltern, auf welche Weise auch immer, ist nichts Gutes abzugewinnen. Der Standpunkt spielt dabei keine Rolle.«
Ein wissendes Lächeln verbannte die harten Züge der alten Hüterin. »Niemand ist das, was er vorzugeben scheint«, philosophierte sie.
Damit hatte sie in der Tat recht. Er selbst hatte vorgegeben jemand zu sein, der er nicht war. Ein Bruder des Schöpferhauses. In Wirklichkeit hatte er nicht daran gedacht so jemand zu sein, sonst hätte er sich dem Gelübde von Keuschheit zugewandt. Selbst die Beteuerung einzig dem Schöpfer dienen zu wollen ist er ferngeblieben. Weshalb? Es war offensichtlich. Er hatte einen Grund gesucht, aus der Hölle von giftiger Bigotterie und Heuchelei auszubrechen. Der erste Grund war seine Vision, der Zweite war Celena, die ihn mit sich nahm. Beides war vom Schöpfergott gesandt. Celena, seine Geliebte, Gefährtin und … Schwester. Er sandte seine eigene Tochter aus, deren Seele aus Hoffnung und Trotz geschmiedet war. Und sie fand einen der Söhne, dessen Geist mit Tau und Wiesengras zu Tücke und Warmherzigkeit verwoben war. Sie waren Gottesgeschwister und mussten darüber Stille bewahren. Stumm sollten sie sich offenbaren, um das Schweigen zu brechen. Ein Schweigen, das in geheimer Gewissheit schlummerte, um eines Tages wie eine rot-weiße Blume zu erblühen.
* * *
Celena, die wieder und wieder die Riemen ihres Kürass prüfte, bemerkte Thorgrim in ihrer Nähe.
»Ihr habt bisher nicht über euren Besuch bei eurer Familie gesprochen. Wie geht es ihnen?« erkundigte sie sich.
»Was? Meint ihr mich?«, grunzte der Zwerg unwirsch. Es schien, als hätte man ihn aus einem langen traumlosen Schlaf gerissen.
»Sicherlich! Ich wüsste nicht, wer von uns noch seine Familie besucht hatte.« Celena lächelte dem Zwerg zu.
Thorgrim schnaubte in seinen langen Bart hinein. »Sie … sie waren nicht hier«, antwortete er kurz angebunden.
»Ihr ward ziemlich lange fortgeblieben, dafür, dass sie nicht da waren.«
Sie hielt in ihrer Neugier inne. Es war dumm zu fragen, wo er sich herumgetrieben hatte. Was sollte einem, dem jede Art von flüssigem Rausch zugetanen Zwerg in einer Taverne aufhalten wollen, wenn nicht das Bier. Es wunderte sie stets auf Neuem, wie der Zwerg in seinem Zustand eine Axt halten konnte. Allerdings, seit Kelthran den bärbeißigen Winzling aufgelesen hatte, griff Thorgrim zu keinem Krug mit berauschendem Inhalt. Dieser Umstand machte Celena mehr Sorge, als die Tatsache, im besoffenen Zustand eine Axt zu schwingen.
»Ihr seid nicht etwa nüchtern?«, fragte sie daher umgehend.
»Wisst ihr, ich hatte das Bedürfnis den Geschmack von Gänsewein zu kosten«, bestätigte Thorgrim brummend ihren Verdacht.
Gewitterwolken gleich zogen sich Celenas Augenbrauen zusammen.
»Gebt mir eine klare Antwort, Thorgrim. Was ist wirklich los?«
Der Gefragte schwieg. Thorgrim brach sich ein weiteres Stück vom Brot ab, an dem er sich seit einer Weile gütlich tat, und trank jenen flüssigen Feind aller Zwerge. Wasser.
»Angeblich ist sie … sind sie irgendwo in Ignaz …«
»Ihr meint Ithnamena? Dort reisen wir hin.«
»Wie auch immer das heißen mag«, knurrte Thorgrim. Er drehte sich schroff von der Kriegerin ab und stapfte davon.
Bevor sich Celena weitere Gedanken um den davonschreitenden Zwerg machen konnte, erschien vor ihr unerwartet eine ihr unbekannte Gestalt. Reaktionsschnell wollte sie ihr Schwert ergreifen, doch der Hüne hielt es bereits in Händen. Gehüllt in zerrissener Kleidung, die eines Bettlers würdig war, betrachtete der Mann gleichmütig die Klinge.
»Aus dem Metall eines gefallenen Sterns geschmiedetes schönes Stück«, sagte er bewundernd.
Celena spürte die Anwesenheit von unirdischem bis in ihre Knochen. Eine nicht in dieser Welt gehörende Wesenheit »Wer seid ihr?«, sprudelte ihr die Frage heraus, bevor der Hüne seine Kapuze zurückschlug.
Ihre Frage stellte sich als überflüssig heraus, nachdem blitzende, blaue Augen sie aus einem Gesicht musterten, das sie bereits kannte. Ernste, gleichwohl gütige Züge waren in dessen Antlitz zu finden und langes, mit dem bauschigen Bart vereintes Haar zierten sein Haupt.
»Das kommt darauf an, wie man mich zu sehen pflegt«, ertönte die tiefe Bassstimme vor ihr.
Sie ließ sich nicht einschüchtern. »Warum seid ihr hier? Was wollt ihr?«, forderte sie die göttliche Präsenz heraus.
Von dem Giganten kam keine Antwort. Er warf ihr lediglich das Schwert zu, welches sie aus dem Reflex heraus, auffing.
»Du wirst dich einem Gegner gegenübersehen, dem du noch nicht gewachsen bist. Sei deshalb vorsichtig«, sprach die Präsenz anstatt und stützte sich auf einen Stab.
»Ihr wollt, dass ich euren Krieg führe und das ist alles, was ihr zu sagen habt«, sagte sie in einem feindseligen Ton. »Gibt es sonst nichts weiter … Vater?« Celena zwang sich regelrecht dazu, ihrer Stimme einen ruhigeren Ton zu verleihen.
»Nun, ich wollte dich sehen.«
Der riesenhafte Mann verzog seine Mundwinkel zu einem Lächeln. Celenas Wut schien angesichts dessen hinweggespült. Ein Bedürfnis machte sich stattdessen in ihr breit, das sie lange nicht verspürt hatte. Nicht seitdem ihr leiblicher Vater den Tod gefunden hatte. Ihre Gedanken erhaschend wurde der Ausdruck in den Augen des Riesen gütiger, wobei sie dennoch nie dieses eisige Funkeln verloren.
»Du und er, ihr seid meine größte Hoffnung. Es ist alles was ich noch habe. Und du bist meine Tochter. Ein Teil von mir ist in dir und war es stets. Sieh her!« Mit einem Fingerzeig bedeutete er ihr, die Augen auf die Klinge des Himmelsschwerts zu richten. »Geschmiedet von einem Menschen aus dem Erz der Götter«, sprach er weiter und Celena sah in der Klinge wie sich blaue Augen reflektierten. Sie blickte auf und ließ das Schwert sinken. Als der göttliche Schöpfer mit seinen gigantischen Fingern durch ihr Haar strich, bebte ihr Kinn. Andächtig schloss sie ihre Augen, da sie seine Hand streichelnd auf ihrer Wange fühlte. In der Berührung versunken, schlang sie ihre Arme um den Hünen.
Gerührt davon schob er sie nach einer Weile sanft von sich. »Geh, meine Tochter. Geh und lass sie wissen, dass Götter und Menschen keine Gegensätze sind. Lass die Menschen wissen, dass allein sie das wahre Gift des Bösen sind.«
So wie er sich zeigte, so verschwand die Wesenheit. Wie hypnotisiert blieb die Kriegerin zurück. Ihr fiel nicht einmal auf, das Belothar sich zu ihr gesellte.
»War er das?«
Wie durch Nebel, der alles Geräusch verschluckte, klang seine Frage dumpf in ihre Ohren. Erst die Wiederholung seiner Worte rüttelte sie wach.
»Ja! Das war er«, bestätigte sie benommen.
Ungläubig über das Gesehene schüttelte der Jungkönig den Kopf.
»Bei allem, was wir bisher gesehen und erlebt haben. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sich solch eine Begegnung anfühlen mag. Mir schaudert es bei dem Gedanken.«
Schmunzelnd legte Celena ihrem Waffenbruder die Hand auf die plattengerüstete Schulter. »Aber König zu sein habt ihr wahrlich gut in den Griff bekommen.«
»Sicher, solange ich nicht regieren muss.« Er räusperte sich. »Eigentlich meinte ich, solange ich ... dem Volk dienen kann.«
Tatsächlich war Belothar nicht der, der sich auf politisches Geplänkel stürzte. Viel lieber überließ er anderen die Staatsgeschäfte, auch wenn er schlussendlich König sein wollte. Der Nachkomme eines Königs zu sein fühlte sich sicherlich anders an, als ein Nachkomme einer Gottheit.
Zwinkernd wandte sie sich, ob ihrer Gedanken Belothar zu, der unruhig wirkte, wie sie verwundert feststellte.
»Wie mir scheint, habt ihr etwas auf dem Herzen. Raus damit!«
Unsicherheit an ihm spürend, blickte sie ihn auffordernd an.
»Ja! Mitnichten. Ich … ich habe eine kleine Sache für euch«, meinte er stotternd, sich unklar darüber, ob es richtig war, was er tat.
In seiner Hand hielt er eine handtellergroße, schwarze Brosche, die er Celena ungelenkig hinhielt. Mitten auf dem Schmuckstück präsentierte sich ein eingelassener Edelstein. Blütenblattähnliche Spitzen, in alle vier Himmelsrichtungen zeigend, hoben sich ab. Vier in sich zusammengewobene Sterne schlossen den äußeren Kreis.
»Es war mir ein Bedürfnis, dies euch zu schenken. Seht es als kleine Entschuldigung für all meine Dummheit. Ein Geschenk … von einem … Freund«, sagte er zaghaft.
Ein schelmisches Grinsen huschte über Celenas Mundwinkel hinweg, als sie nach dem Kleinod griff. Erstaunt stellte sie fest, dass es keine Brosche war. Es war eher eine Art Haarklammer, denn auf der Hinterseite hatte man ein silbernes, verziertes Schild angebracht. Das Kinn absenkend, beäugte sie aus schalkfunkelnden Augen Belothar.
»Wie gesagt, eine kleine Aufmerksamkeit. Ich bemerkte, dass ihr euer Haar anders tragt.«
»Ihr habt es zum zweiten Mal bemerkt!«, lächelte sie. Mit ihren flinken Fingern tauschte sie währenddessen ihr Haarband durch das Kleinod aus.
»Danke. Danke für alles.« Celena hauchte dem Monarchen einen Kuss auf dessen Wange, bevor sie sich umwandte, um sich zu Feuerwind zu begeben. Belothar hielt sie zurück. »Bevor wir uns auf den Weg machen, habe ich eine Frage.«
»Und die wäre?« Sie drehte sich wieder zu ihm um.
»Wir hatten sicherlich darüber gesprochen, die Hüter auf Schwarzfels um Hilfe zu bitten. Wie gedenkt ihr, sie von unserem Vorhaben zu überzeugen?«
Dieser Frage hatte Celena sich bisher nicht gewidmet. Womöglich hatte sie sich damit nicht beschäftigt, weil sie es selbst nicht wusste, bedachte sie und ging in sich. Mochten sie sehen was auf sie zu kam. Oder mochten sie auf das, was kam warten und hoffen, das es nach ihrem Sinn war. Abwarten war vielleicht jener Fehler, der die Menschen und die Hüter vor langer Zeit in diese Lage gebracht hatten.
Belothars Frage war durchaus berechtigt. Sie brauchten einen Plan, um die San-Hüter, zumindest diejenigen aus Hadaiman zu überzeugen. Sich auf Jeamys Meute zu verlassen, war irrwitzig, zumal sich ihre Reihen gelichtet hatten. Allein deshalb benötigten sie alles an Waffenstärke und alles was sie an Kampfmagie besaßen. Wie also die Hüter für sich gewinnen? Augenblicklich begann die junge Kriegerin, zu grinsen.
»Ich hab die Antwort!« Für Belothar unerwartet donnerte sie mit ihrer Faust auf seine metallenen Brust. »Wir überzeugen sie nicht.«
Laut vor sich hinlachend, lenkte sie ihre Schritte endgültig dem Pferd entgegen, das mittlerweile gelangweilt im Schnee scharrte.
»Sicher doch!«, brummte Belothar, während er ihr entgeistert nachblickte. »Wir stimmen sie um, ohne sie zu bekehren. Das ist Wahnsinn. Völlig irre«, brummte er ihr hinterher.