Читать книгу Es lebe der Sportsgeist - Anita Lang - Страница 4

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3. Ein Keim von Leben

Auf dem Annahof sind alle auf den Beinen. Mägde tragen die Milchkannen zum Pferdewagen, der mitten im Hof zur Abfahrt bereit steht. Ein Kutscher bringt die frische Milch zum Verkauf in die Molkerei auf dem Dorfplatz. Zwei Knechte tragen Kübel voller Essensreste zum Schweinestall. Einer streut den Hühnern Körner auf den sandigen, kalten Boden. Der Kohlenhändler ist, auf seiner Lieferrunde in das Dorf, mit seinem Karren vorgefahren.

Otto geht geradewegs auf Toni zu und schüttelt ihm lachend die Hand.

„Komm mit, schlafen kannst du, wenn du tot bist!“ Rechts, Richtung Scheune, geht er voraus. Sein blondes Haar wippt bei jedem Schritt. Kurz dreht er sich um, winkt Toni mit der Hand weiter. „Am Dreschboden, den brauchen wir erst wieder im Herbst. Mein Herr Vater hat ja g'sagt.“

In der Tenne riecht es nach harzigem Holz und Stroh. Saubere Bretterwände duften nach trockenen Gräsern vom letzten Sommer. Der ebene Bretterboden, ideal auch zum Tanzen geeignet.

„Wir könnten hier eine Turnstange montieren, bis zur Zwischenwand“, sagt Otto.

„Als Reck - oder Hochreck.“

„Für die Ringe habe ich mir Holzringe vorgestellt, die mit Leder bezogen werden.“ „Da bräuchten wir einen Sattler.“

„Die Ringe hängen wir weiter zur linken Wand, weg vom Eingangstor.“

„Können wir das Stroh verwenden? Falls einer runter fällt. Es würde uns abfedern.“

„Machen wir. Das stopfen wir in Säcke und binden sie zu. Zum Auffangen, für uns patscherte Holzklötze.“

„Wir brauchen einen, der die Stangen aus Metall hinkriegt.“

„ Josi, der Schmied.“ Toni und Otto schauen sich an, sie haben es gleichzeitig ausgesprochen. „Eins, zwei, drei, mir ghört's Glück“, soll heißen, dass das ein gutes Omen wäre.

***

Tonis Lehrlinge sind inzwischen angekommen. Franz ist im dritten, Willi im vierten Lehrjahr. Willi zieht den kleinen Leiterwagen in die Einfahrt und Franz drückt dem Meister im Vorbeigehen die Arbeitskleider in die Hand. Im Haupthaus sind die Türe zur Küche und eine Kammertür im ersten Stock zu streichen. Sie heben sie aus den Angeln und legen sie auf zwei Holzschragen in der leer geräumten Einfahrt. An einigen Stellen ist der Lack abgeblättert. Der Grund muss abgeschmirgelt werden und staubfrei sein. Die Arbeitsvorbereitung, abschleifen und den Untergrund vorbereiten, beherrschen die Lehrlinge aus dem Effeff. Zu Mittag sieht man bereits eine Seite, in hellem Erbsengrün lackiert.

Mutter Schodt läutet rasch die Glocke an der Haustür. Alle sollen zum Essen kommen. Sie steht im Ruf, eine ausgezeichnete Köchin zu sein. Ihr Küchenpersonal besteht aus einer Magd und zwei Dienstmädchen. Das Gesinde isst traditionell gemeinsam in der Küche, in der sie auch mehr Platz haben. Die Maler sind zum Tisch der Schodts eingeladen. Es gibt faschierten Braten, Kartoffelpurre und Essiggurken. Auf dem Braten liegen knusprige Speckstreifen, drinnen kommt ein gekochtes Ei zum Vorschein. Toni lobt ausdrücklich die Extras. Die Männer hauen tüchtig rein. Die Frauen geben sich Mühe, nicht zu schmatzen und Benehmen vorzuzeigen. Otto hat zwei Schwestern, im Alter von fünfzehn und achtzehn Jahren, die ständig etwas zu flüstern haben. Annerl und Sigi sind fünf und sieben, die behüteten Nachzügler. Toni hat einen Einfall, wie man die Türen aufwerten kann. Er redet sich dem Mund fusselig, um Vater Schodt vom Aufmalen eines Ornaments im Türwinkel zu überzeugen. Es soll eine Efeuranke sein, die sich Ton in Ton vom Grund abhebt. Schließlich stimmt der Großbauer zu, niedergerungen durch die Überredungskünste der begeisterten Damen.

In der Ecke der Bauernstube fällt Toni ein großes Bild unter Glas ins Auge. Ein Sinnspruch, zwischen Girlanden aus Wiesenblumen am oberen und unteren Ende: „Wo Glaube da Liebe, wo Liebe da Friede, wo Friede da Segen, wo Segen da Gott, wo Gott keine Not.“ Ottos Mutter muss eine gütige Frau sein, überlegt er bei sich. Frieden und Wohlstand, auf das wird sie hin arbeiten. Allerdings weiß man nicht, wie sich das mit der schallenden Ohrfeige verträgt, die sie dem Küchenmädchen unlängst gegeben hat. Ihrem glatten, lächelnden Gesicht ist nichts anzumerken. Das hellbraune Haar hat sie in einem Haarnetz gebändigt, damit beim Kochen kein Malheurchen passiert. So ein Haar in der Suppe, das will keiner.

Vater Weigl dagegen, redet, als müsse man sich für seinen Glauben genieren. Seine phrasenhafte Redewendung: „Hat Dir das der Pfaffe eing'redet?“ Die Gläubigen seien nichts ahnende Beutetiere der Mächtigen, erklärt er sich und der Familie, bei jeder Gelegenheit. Fast, als wollte er selbst Gott spielen, duldet er keinen, der ihm Vorschriften machen will. Toni folgt dem, was der Religionslehrer glaubt. Einige Gebete, die ihm beigebracht wurden, weiß er noch. Er verrichtet sie aus Sorge, es könnte ihn andernfalls ein Unglück ereilen. Den sonntäglichen Gottesdienst besucht er, der Mutter zuliebe. Später am Sonntag, wenn gesungen wird. Das lockert sie etwas auf, die ernste Angelegenheit.

Mutter Schodts Augen leuchten, als sie abends die neuen Türen sieht. Otto hängt sich bei ihr ein und zieht sie auf die Seite, um die Gunst der Stunde zu nützen.

„Ich möchte dir ein Geheimnis anvertrauen. Kannst du uns bitte mit einer Näharbeit helfen? Vielleicht ist es etwas kindisch, aber…“ Seine Mutter ist immer schon für eine Belustigung zu haben. Kurz entschlossen nickt sie ihm zu.

„Sicher!“ Otto holt die zwei Holzringe, die er tagsüber gefertigt hat und steckt sie ihr zu.

„Meister Weigl, dein Einfall mit der Verzierung, bravourös!“

Es ist eine Spur wärmer geworden. Das Thermometer an der Außenwand zeigt zwei Grad plus. Stellenweise ist der Schnee dahin geschmolzen. Schwarze Saatkrähen machen sich auf den Äckern zu schaffen. Die Maler bedanken sich für die Verköstigung und treten den Heimweg an.

***

Einige muntere Dorfkinder spielen Verstecken, an diesem sonnigen Morgen. Kichern und Trappeln kleiner Schuhe, wenn sie sich finden. Das Zunftzeichen mit dem Hammer, gekreuzt von einer Zange, darunter ein Hufeisen, ragt prächtig heraus, links ober dem Eingang. Die Flügel-Tore zur Schmiede sind weit offen, geben den Blick auf den lodernden Kamin frei. Josi Geppert schlägt den Hammer auf ein glühendes Stück Metall, das auf dem Amboss liegt. Grüßend und abwartend stehen Toni und Otto in der Tür.

„Was gibt’s Neues?“ Josi legt das Werkstück zur Seite. Breit aufgelegt auf einem Holzblock, Zangen und Hämmer, seine stummen Handlanger im Umgang mit Metall und Feuer. Josi trägt schwarzes, gewelltes Haar, das auf seine breiten Schultern fällt. Es braucht Mut dazu, Eisen zu formen in der Glut, wie Schmiede es tun. Es gibt jedoch eine andere Seite an diesem groß gewachsenen und respekteinflößenden Mann, in der Mitte der Dreißiger. Man munkelt, dass er heimlich Romanheftchen liest, die er, wenn Kunden kommen, oder gar seine schöne Frau, schnell hinter den Gerätschaften versteckt. Liebesromane mit Fortsetzungen. Sie kommen einmal in der Woche mit der Post an.

„Wir hätten einen Auftrag für dich.“

„Es ist allerdings was Ungewöhnliches“, fängt Toni an mit seiner Beschreibung.

„Raus damit! Is es ein Keuschheitsgürtel, eine Schandmaske für ein Schandmaul, was Verwegenes?“

„Ein Reck und ein Hochreck bräuchten wir.“

„Wollt ihr eine Schule aufmachen?“ Josi wird immer neugieriger.

Die beiden erzählen von ihrem ehrgeizigen Plan. Wie sie in Form kommen wollen, ein Training nach Art der Zirkusleute. Josi geht unverzüglich zur Umsetzung über.

„Die Wand zu Wand-Variante passt eher nicht. Ich bau euch ein verschiebbares Reck.“ Der Schmied geht ins Detail. Zwei Trägerstangen, eine verstellbare Querverbindung sollen es sein.

„Da wär'n noch die Sockel, die müssen stabil sein.“ Die Turngeräte sollen ein Vielfaches von einem Sportler aushalten, ihr Gewicht und die Wucht des Schwungs. Nach einigen Vorschlägen entscheiden sie sich für tellerförmige Metallhalterungen, in die Mörtel gegossen werden soll.

Josi ist begierig, mehr davon zu hören. Sie erzählen von Ottos Dreschboden und den sonstigen Zutaten, die sie zum Turnen vorbereiten wollen. Für die Ringe brauchen sie Ketten und eine Winde, um die Höhe zu verstellen.

„Brr!“ Vor der Tür kommt der Wagen zum Stillstand. Der Geselle ist angekommen mit einer Lieferung Rohlinge, die er im Schuppen nebenan ablädt. Er spannt das sandfarbene Pferd mit der hellen Mähne aus und führt es in den Stall hinterm Haus. Es ist ein Haflinger, mit dichtem Fell, das sich über die Hufe legt. Selten in dieser Gegend.

„Da wär ich gern dabei!“ Josi schnippt mit den Fingern. Mit einem Fuß ist er schon in der Turnhalle. „Ich fertige euch das Reck umsonst.“

„Naja, wie kann man da nein sagen“, stimmt Otto ein. Ein fröhliches Lachen hebt an und erfüllt die Gesichter, die am Kaminfeuer beisammen stehen. Sie wissen, es geht eigentlich nicht ums Geld.

***

Toni sieht ein wenig älter aus, mit seinem noblen Schnurrbart, der an den Enden aufgedreht ist. Im Freien läuten Schneeglöckchen das wetteifernde Sprießen ein. Otto montiert mit einem Knecht die Winde am Querbalken und die Ketten. Die letzten Vorbereitungen, im Stadel am Annahof. Mit breiten Ledergürteln werden die Ringe angeschnallt. Josi rollt die neuen Sockel mit den Halterungen in Position und legt die Turnstange auf Brusthöhe. Zur hinteren Wand zu sind gefüllte Matten aufgelegt. Es ist ein später Nachmittag Anfang März, als sie beginnen. Toni streckt die Hände zur Decke, springt einen Salto vorwärts. Kommt zwischen den Strohmatten auf die Füße. Dreht einen Halbkreis im Stand. Salto rückwärts. Fast ein Flic Flac. Er landet kurz. Dann fällt er rücklings auf die flachen Säcke.

„Probe bestanden. Die könnten noch flacher sein.“ Sie legen Bretter auf und waten eine Weile darauf herum, bis die Füllung aufgehört hat, zu knistern.

Josi stemmt sich auf dem Reck in den Stand. Holt mit den gestreckten Füßen nach hinten aus. Dann zieht er sie, in der Beuge nahe an der Stange, nach vorne zum Umschwung über das Reck.

„Ich kann‘s noch. Meine Herren, das hätt ich nicht dacht.“

Otto reibt sich die Hände. „Alsdann.“ Auf beiden Armen schwingt er sich, an den Ringen, vor und zurück. Dann probiert er, sich mit den Füßen einzuhängen. Biegsam im Rücken, dreht er einen Purzelbaum nach dem anderen in der Luft. Sie stehen noch an Anfang. Etwas linkisch, hie und da eingerostet, in Gelenken und Muskeln. Doch sind sie sich sicher, dass daraus mehr werden könnte. So erkunden sie die Geräte, mit bekannten und erfundenen Übungen, bis die Dunkelheit hereinbricht.

In der rechten, hinteren Ecke der zu ihrer Turnhalle umfunktionierten Tenne, führt eine Leiter auf einen kurzen Heuboden. Sie haben große Becher mit Henkeln aufgetrieben. Josi und Toni schenken sich einen roten G'spritzten ein. Inzwischen hat sich Otto ein Bier aus dem Haupthaus geholt. Auf Strohballen sitzend, lassen sie sich ihre Schmalzbrote schmecken. Müde und geschafft, doch wie neu geboren. Jovial verabreden sie sich für die kommenden Dienstag-, Donnerstag- und Samstagnachmittage.

„Auf ein Neues.“

***

„Ihr seid im Gerede.“ Der Nachtwächter macht seine Laterne aus, in der Früh. „Bei uns am Dorf kannst du nichts geheim halten.“

Täglich, an Josi Gepperts Schmiede, endet seine nächtliche Tour. Da können sie noch eine Weile miteinander reden. Und wer wäre besser geeignet, um Klatsch auszutauschen, als sie beide. Er schiebt Josi ein Heftchen zu, das dieser unter seinem Lederschurz verschwinden lässt. Die neugierigen Nachbarn würden rätseln, was sie mit der Turnerei bezwecken, sagt er. Bei seinen Runden kann er allerhand aufschnappen.

„Besonders der Nekham-Wirt und der Lehrer Tauber haben so richtig die Lauscher aufgespannt.“ Das ist Wasser auf Josis Mühlen.

„Gut so. Dann kommen Neue dazu.“

Es lebe der Sportsgeist

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