Читать книгу Bulbus - Anja Hilling - Страница 5
„for you I waited all these years“
(Coldplay) du und ich: das Gewitter
ОглавлениеManuel
Wir sind hier unten. Echt weit unten.
Und es ist kalt. Arschkalt.
Um uns in uns über uns Eis.
Schön dass du da bist. Wirklich.
ICH LIEBE DICH
Amalthea
- - -
Manuel
Wenn man jemand liebt ist es schön auch mal eine Antwort zu kriegen.
Oder nicht.
Oder bin ich da zu anspruchsvoll zu egoistisch.
Sag was. Los. Irgendwas.
Amalthea
- - -
Manuel
ICH LIEBE DICH.
Bin ich so schwer zu verstehen.
Wenn du nicht zuhörst macht das keinen Sinn das alles.
Wir kennen uns doch noch gar nicht richtig.
Du bist so kühl.
Kalte Haut sagt man wärmt man am besten mit warmer Haut.
Weil es ist nicht so dass die warme Haut kalt wird es ist umgekehrt wart s ab.
Ich bin übrigens Manuel.
Ich liebe dich das hat mit deinem Rücken zu tun.
Ich erzähl dir was. Was von früher. Was Frühlingshaftes.
Ich erzähl dir das von den Kronzeugen.
Nicht abschalten ja. Mach jetzt nicht auf ich bin gar nicht da.
Ich spür das doch. Deine Aufmerksamkeit.
Dein Rücken.
Amalthea
- - -
Manuel
Gut.
Es ist Frühling. Mai. Der siebte Mai neunzehnhundertdreiundachtzig.
Ein Mann sitzt in Untersuchungshaft.
Der Mann gehört einem Zirkel an einer Vereinigung einer kleinen Gruppe.
Links wohl und etwas radikal.
Die radikalste Äußerung des Zirkels war ein Mord. Der Mord an einem Richter.
Der Mann in Untersuchungshaft hat einen Richter erschossen.
Drei Schuss. Einer ins Bein aus Versehen eher. Einer in den Hals. Einer ins Herz.
Etwas wahllos.
Die Waffe wurde nie gefunden.
Aber zwei Menschen können alles bezeugen. Wenn sie es tun. Alles bezeugen. Sind sie frei.
Kronzeugen.
Ein Mann und eine Frau. Sie haben ein Kind. Einen Sohn. Eine Familie sozusagen.
Der Sohn wird sechs in diesem Frühling.
Unten auf der Straße steht ein Streifenwagen. Kronzeugenschutz. Zum Wohl der Familie.
Die Kronzeugen sollen gegen den Mann aussagen. Den Mann. Der den Richter erschossen hat.
Die Kronzeugen wollen nichts sagen. Sie werden nicht. Wollen nicht.
Der Richter hat ihn sich verdient. Seinen Tod.
Die Kronzeugen gehören dem Zirkel an. Der kleinen Gruppe. Sie sind zu dritt. Mehr nicht.
Die Gruppe die Vereinigung der drei Personen heißt Glaukom.
Sie haben von dem Vorfall in der Zeitung gelesen.
Vier Männer haben einen griechischen Busfahrer angegriffen.
Der Busfahrer stand an der Endhaltestelle mit einer Camel im Mund.
Die Männer haben erst auf die Zigarette gezielt dann auf die Zähne.
Sie haben ihm vier Finger an jeder Hand gebrochen.
Seine Daumen haben sie mit einem Rosenkranz aus seiner Tasche zusammengebunden.
Irgendwann sagt einer von ihnen Adios Arschlochos.
Sie haben die Polizei gerufen. Und gewartet.
Die Polizei fand den griechischen Busfahrer in seinen Rosenkranz gebunden an der Endhaltestelle.
In seiner Tasche waren ein Messer und vier Reisepässe.
Es waren die Pässe der vier Männer.
Die Männer erzählten er hat sie bedroht dieser Grieche. Mit dem Messer.
Er wollte ihre Reisepässe ihre Identität könnte man sagen.
Sie. Die vier Männer hätten einen Betrüger erlegt.
Der Richter hat sich bei ihnen bedankt.
In der Verhandlung spürte der Grieche mit der Zunge das zarte Fleisch zwischen zwei Zähnen.
Seine Stimme wurde von einem Pfeifen begleitet.
Warum sollten sie mir acht Finger brechen und nicht die Rippen.
Einer der sich bedroht fühlt nimmt sich nicht die Zeit für einzelne Finger.
Einer der sich bedroht fühlt schlägt in die Vollen.
Das war die Logik des Griechen.
Der Richter ermahnte ihn. Na na da glaubt wohl einer er wär Sokrates.
Der griechische Busfahrer wurde des Landes verwiesen.
Die Logik des Griechen und die Antwort des Richters.
Das hat unseren Zirkel wachgerüttelt zur Tat schreiten lassen.
Der einzigen.
Sieben Stunden nach den drei Schüssen erfuhr das Ehepaar dass sie aufgeflogen waren.
Es ist der Tag vor der Vernehmung.
Morgen sollen sie aussagen. Die Kronzeugen. Gegen den Mörder des Richters. Gegen ihren wie sagt man.
Amalthea
- - -
Manuel
Gegen ihren Kompagnon. Sie wollen nicht aussagen. Werden nicht.
Sie überlegen.
Sie haben einen Sohn. Der Sohn wird sechs in diesem Frühling.
Am Tag vor der Vernehmung ist er fünf.
Der Sohn ist nebenan in seinem Zimmer über einem Buch eingeschlafen.
Ein Comic aus Russland.
Sie überlegen. Sie wollen eher sterben als aussagen. Eher sterben als. Eher sterben.
Sie beschließen sich zu töten. Und zwar gegenseitig.
Sie haben einen letzten Streit.
Der alte Markidis
Wir müssen es tun.
Jutta Schratz
Nein.
Der alte Markidis
Doch.
Jutta Schratz
Nein.
Der alte Markidis
Der Kleine wird stolz auf uns sein.
Jutta Schratz
Gut.
Der alte Markidis
Was. Gut.
Jutta Schratz
Ich mach s.
Der alte Markidis
Ach.
Manuel
Dann die Schüsse. Das Blutbad. Erst sie ihn dann sie sich.
Die Pistole hat einen Schalldämpfer. Keiner wacht auf. Auch der Sohn schläft weiter.
Als er aufwacht und zu ihnen geht. Zu seinen Eltern. Hat er eine Falte vom Comic im Gesicht.
Und Durst. Er ist aufgewacht mit einer Art Kratzen im Hals.
Er wird sechs in diesem Frühling. Er ist der Erste der seine Eltern sieht. Die Kronzeugen.
Er macht Licht. Es ist zwei Uhr. Nachts.
Wie jetzt. Zwei Uhr.
Merkst du was. Wie gut das tut mit der Haut.
Amalthea
- - -
Manuel
Dieser Moment.
Die Stille der Körper.
Das trockene Blut. Das die Körper in einer dunklen Brücke über den Holzboden verbindet.
Das alles schärft seinen Blick. Und zwar für immer.
Sein Blick wird detailliert zersetzend und kühl.
Photographisch könnte man sagen.
Der Junge ist in einer netten Pflegefamilie mit zwei Huskys aufgewachsen.
Der Mann der den Richter getötet hat im Auftrag des linksorientierten Zirkels wurde freigesprochen.
Aus Mangel und im Zweifel für.
Der Mörder des Richters zog sich aus dem politischen Leben zurück.
Man sagt er hätte eine Frau kennen gelernt.
Rosa Landen
Willkommen.
Albert Ross
Es ist mir eine Ehre hier in Bulbus.
Rosa Landen
Keine Höflichkeiten bitte.
Albert Ross
Ich bin.
Rosa Landen
Ja ja lass uns über was anderes reden.
Albert Ross
Was riecht hier so.
Rosa Landen
Himbeeren.
Manuel
Die Lebensdauer des Zirkels mit dem Namen Glaukom betrug vier Monate.
Die radikalste Äußerung des Zirkels war ein Mord.
Und später ein tödliches Schweigegelöbnis.
Der Sohn der toten Kronzeugen war fünf in diesem Frühling.
In der Nacht. Der Nacht.
In der er seine schweigenden Eltern fand. Ist der Junge in ein Gewitter gekommen.
Ein Gewitter. Hörst du. Blitz und Donner. Das Bäumen des Himmels.
Da muss doch was zittern in dir.
Amalthea
- - -
Manuel
Wie kann man so sein. So schlapp so kalt.
Darf ich meinen Arm so. Ja. Das ist gut glaub ich.
Der Junge hat eine Erkältung bekommen. Sie hatte sich schon angekündigt. In der Nacht.
Der Nacht. Im Hals.
Das war s. Aus. Mehr ist nicht.
Das Gewitter war Höhepunkt und Schluss der Geschichte.
Jetzt wär der Moment wo du mich küssen müsstest.
Geschichtenerzähler werden am Ende immer geküsst.
Warum sollten sie sonst Geschichten erzählen.
Küss mich. Los.
ICH LIEBE DICH.
Eigentlich schon immer.
Werd warm komm schon komm schon. Warm. Weiter. Los. Weiter.
Es ist Frühling. Derselbe Frühling derselbe Tag. Der siebte Mai. Neunzehnhundertdreiundachtzig.
Eine Frau fährt in einem metallicblauen Opel Corsa auf den Parkplatz eines Möbelkaufhauses.
Aus dem Radio kommt Musik. Ein Lied der neuen deutschen Welle. Nena.
Die Frau singt mit.
ICH GEH MIT DIR WOHIN DU WILLST. AUCH BIS ANS ENDE DIESER WELT.
Hinten auf dem Rücksitz sitzt ein Kind.
Ihre Tochter.
Die Tochter ist gut verpackt in einem Kindersitz. Sie singt nicht.
Die Tochter ist fünf geworden vor zwei Tagen in diesem Frühling.
Die Frau stellt das Radio ab. Sie singt weiter.
AM MEER AM STRAND WO SONNE SCHEINT. WILL ICH MIT DIR ALLEINE SEIN.
Sie steigt aus. Holt ihre Tochter aus dem Sitz.
Die Tochter ist zu alt für diesen Sitz und zu groß.
Draußen scheint die Sonne.
Die Frau ist hier um eine silberne Hängevorrichtung für ihre Einbauküche zu kaufen.
Sie hat ein Eselsohr in den Katalog geknickt.
Auf dem Bild sind silberne Haken.
An den Haken hängen Schöpfkellen Schneebesen Kochlöffel.
Diese Dinge.
Rosa Landen
Also wir sprechen hier über Küchenutensilien da mach ich mir nix vor.
Gegenstände. Leblos. Kalt.
Aber tatsächlich geht doch damit alles los.
Im Silber der Schöpfkelle plötzlich dein Gesicht.
Manuel
Die Frau stellt sich das bewegt vor. Lebendig. Dieses Schaukeln über dem Herd.
Sie setzt ihre Tochter in das Bälleparadies.
Ein blonder Mann mit blauroten Stulpen über den Waden fragt sie nach ihrem Namen.
Die Frau spürt das Lied aus dem Radio auf den Lippen. Sie sagt. Am Meer.
Der Mann mit den Stulpen schreibt Ammer in ein braunes Buch.
Die Frau sieht ihre Tochter in den bunten Bällen sitzen. Zwischen ihnen ist eine Glasscheibe.
Die Tochter schiebt einen Arm unter die Bälle.
Sie hält einen einzigen Ball in der Hand.
Der Ball ist gelb
Das ist Nena. Sagt die Frau zum Stulpenmann. Ich hol sie gleich wieder ab.
Verstehst du. Nena Am Meer.
Amalthea
- - -
Manuel
Die Sache mit dem Namen war ein spontaner Einfall.
Ein Spaß.
Die Frau fragt sich durch zur Küchenabteilung.
Sie erkennt die Hängevorrichtung nicht wieder.
Sie ist nicht silbern sondern grau. Das Holz heller.
Die Frau wird traurig.
Sie liest einen schwedischen Namen hebt die Verpackung auf ihren Wagen und wird traurig.
Sie geht zur Kasse.
Sie zahlt bar.
Die Kassiererin heißt Ute Treiber und sieht ihr ins Gesicht.
Ute Treiber sieht dass sie weint die Frau mit der Hängevorrichtung für die Küche.
Albert Ross
Nur manchmal ganz selten werd ich aus der Ruhe gerissen.
Ein Muttermal auf einer Hand ein Geruch eine Frau die weint an meiner Kasse.
An meiner Kasse.
Das ist doch mal was.
Manuel
Die Frau schiebt den Wagen zum Ausgang.
Sie schiebt den Wagen vorbei am Bälleparadies.
Im Augenwinkel zählt sie neun bis zwölf Kinder zwischen den Bällen.
Sie weiß. Das ist reine Spekulation.
Sie geht an der Glasscheibe vorbei. Nicht schnell nicht langsam.
Die Tür öffnet sich automatisch.
Draußen sucht sie den metallicblauen Opel Corsa.
Sie sucht in der falschen Reihe.
Als sie ihn findet verschwindet die Sonne hinter dem Lager vom Möbelhaus.
Die Frau legt die Hängevorrichtung in den Kofferraum.
Sie hört ihre Stimme.
KOMM GEH MIT MIR DEN LEUCHTTURM RAUF. WIR KÖNNEN DIE WELT VON OBEN SEHEN.
Die Luft ist dick schwer und feucht. Etwas fliegt ihr ins Auge.
Gewitterfliegen.
Sie holt etwas Schwarzes aus dem Augenwinkel steigt ein startet den Motor schaltet das Radio an.
Die Fünf Uhr Nachrichten.
Sie stellt das Radio ab.
Fährt los.
EIN U-BOOT HOLT UNS DANN HIER RAUS. UND DU BIST DER KAPITÄN
Im Rückspiegel kann sie den Kindersitz nicht sehen.
Aber das mag am Winkel liegen.
Es ist Frühling. Die Luft ist schwer.
Sie hat die Autobahn Richtung Süden genommen.
An einer Raststätte nimmt sie eine kleine Mahlzeit zu sich.
Der alte Markidis
Sie hat zweimal Salzkartoffeln mit Fischstäbchen bestellt.
Zwei Teller.
Und mir wurde ganz merkwürdig zumute.
Manuel
Die Frau fährt weiter.
Sie nimmt ihre Brille aus dem Handschuhfach.
Sie kurbelt das Fenster runter.
Die Tochter der Frau sollte nächsten Freitag eine Brille bekommen.
Eine mit blauem Rand und rotem Steg.
Wie die Stulpen des Mannes vom Bälleparadies.
Das war eine Überleitung mein Schatz eine ziemlich gute sogar.
Amalthea
- - -
Manuel
Der Mann wartet zwei Stunden und vierzehn Minuten auf die Mutter von Nena.
Das Mädchen wartet nicht. Sie gräbt in den Bällen.
Als der Mann mit den Stulpen zu ihr kommt sagt er. Kino.
Nach zwei Stunden und vierzehn Minuten sagt er Kino zu dem Mädchen
Und setzt sie ins Kinderkino in die letzte Reihe.
Auf der Leinwand läuft ein Zeichentrickfilm.
Das letzte Einhorn.
Das Einhorn öffnet mit dem Horn ein Käfigschloss. Das Horn ist weiß.
Über Lautsprecher wird die Mutter der kleinen Nena Ammer gesucht.
Auf der Leinwand taucht ein Zauberer auf.
Das Mädchen sieht den Film bis zum Ende.
Dann beginnt er von vorne.
Nach zwanzig Minuten erlischt die Leinwand.
Die letzten Kunden haben das Möbelkaufhaus verlassen.
Der Mann mit den rotblauen Stulpen bringt sie auf seinem Fahrrad zum Polizeirevier.
Das Mädchen sitzt auf dem Gepäckträger.
Sie hält sich fest an den Schlaufen der Jeans des Stulpenmanns.
Ihre Beine baumeln in der Luft.
Die Polizei war ratlos.
Der Name war falsch. Nena. Ein Spaß. Mehr nicht.
Die Identität der Mutter konnte erst nach sechzehn Tagen geklärt werden.
Als sie geklärt war. Die Identität. Fuhr man zur Wohnung.
Die Wohnung war seit sechzehn Tagen unbewohnt.
In dieser Nacht. Der Nacht.
Wartet der Mann mit den Stulpen vier Stunden und zwanzig Minuten auf dem Polizeirevier.
Dann nimmt er das Mädchen mit zu sich.
Für diese Nacht.
Ab morgen sollte sie in einem Heim unterkommen.
Vorübergehend.
Bis die Identität der Mutter geklärt war.
Ein Jahr und sieben Monate später bekam der Mann einen Brief.
Das Mädchen schrieb drei Zeilen in Schreibschrift.
Sie bat den Mann einen Adoptionsantrag zu stellen.
Vor einem halben Jahr hatte sie schreiben gelernt.
Das Wort Adoptionsantrag hatte sie einer Sekretärin entlockt.
Der blonde Mann las das Wort.
Er dachte ein Jahr und sieben Monate zurück und dachte. Ja.
Inzwischen trug er keine Stulpen mehr.
Er stellte den Antrag.
Irgendwas fehlt. Das Beste.
Amalthea
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Manuel
Das Gewitter.
Das Gewitter liegt in der Luft.
Als die beiden nach draußen kommen nach zwei in der Nacht. Das Mädchen und der Stulpenmann.
Draußen vorm Polizeirevier können sie den Regen riechen.
Das Mädchen sitzt auf dem Gepäckträger die Hände in den Schlaufen dieser Jeans.
Das Gewitter hat sie auf offener Straße erwischt.
Dasselbe Gewitter
Amalthea
- - -
Manuel
Das Gewitter.
Amalthea
- - -
Manuel
Du glaubst mir nicht.
Egal.
Die Geschichten sind gut.
Alles drin. Vertrauen Idealismus Verrat Mut.
Angst.
Angst und Schuld. Die ganz großen Themen.
Was brauchst du noch.
Willkür
Die Willkür der Handlung. Die Verkettung der Umstände.
Das Lied zum Beispiel. Der falsche Name. Die Enttäuschung beim Anblick der Hängevorrichtung.
Und das Gewitter.
Blitz und Donner. Die Gemeinsamkeit der Hauptfiguren. Der Junge das Mädchen.
Also auch Liebe.
Später. Viel später. Aber irgendwann. Ja.
Werd warm jetzt. Los.
ICH LIEBE DICH.
Du glaubst mir nicht.
Egal.
Küss mich und ich nehm alles zurück.