Читать книгу Tara - Die Reise zum Ich - Anjana Gill - Страница 8

Оглавление

Kapitel II

Was war das? Wo war ich?

Das hier war nicht die Fähre. Diesen Ort hatte ich noch nie gesehen. Was war geschehen?

Da sagte ein warme, herzliche Stimme: „Komm herein, Tara, komm nur herein! Schön, dass du da bist. Ich habe dich bereits erwartet.“

Jetzt war es also doch so weit. Ich war verrückt geworden. Oder war ich etwa tot?

„Nein, Tara, du bist nicht tot. Du bist sehr lebendig“, antwortete die Stimme.

Das Licht blendete mich so sehr, dass ich nicht erkennen konnte, wer oder was um mich herum war.

Hatte ich laut gedacht? Nein, ich hatte nicht gesprochen – ganz sicher nicht. Aber woher wusste die Stimme dann, was ich dachte, und von wo kam diese Stimme überhaupt?

„Komm, Tara! Komm herein und setz dich einen Moment zu mir!“

Erst jetzt schaute ich mich um. Welch ein merkwürdiger Ort!

Offenbar befand ich mich auf einer Art Floß, dessen Boden mit einem weichen, hellen Teppich bedeckt war; mir gegenüber wehte ein weißer fließender Stoff, ein wunderschönes, gelbliches Licht hüllte diesen sonnigen Ort ein, und dann sah ich IHN: einen älteren Mann auf einem gelben Kissen im Lotussitz auf dem Boden. Er trug weiße Kleidung, einen Turban und einen langen weißen Bart. Er lächelte mich an und bedeutete mir mit einer Handbewegung, gegenüber von ihm Platz zu nehmen. Ich war wie verzaubert. Ich folgte seiner Anweisung und setzte mich auf ein zweites gelbes Kissen, das schon auf mich zu warten schien. Nun konnte ich den Mann genauer betrachten. Solche Augen hatte ich noch nie gesehen! Und ich starrte ihn an wie gebannt.

Wahnsinn! Braune, warm leuchtende Augen sahen mich liebevoll an. Sein Antlitz strahlte wie die Sonne selbst. Er sah aus wie ein Heiliger.

Eine Welle der Wärme durchströmte mich. Es war ein Gefühl, wie nach Hause zu kommen: unbeschreiblich schön! Ich war überwältigt von dieser Ausstrahlung.

Ich weiß nicht, wie lange ich so dagesessen und aus seinen Augen Liebe und Zuneigung getrunken habe.

Nachdem ich mich jedoch halbwegs gefangen hatte, übernahmen meine weltlichen Gedanken wieder die Oberhand.

Was machte ich hier eigentlich? Was soll ich an diesem seltsamen Ort?, überlegte ich.

„Du bist hier, um etwas zu lernen“, sagte der Inder freundlich. Es ist bestimmt ein Inder, dachte ich.

Schon wieder! Ich denke etwas, und er antwortet! Er kann Gedanken lesen! Das schien alles nicht von dieser Welt zu sein. Ich kam mir vor wie in einem Film. Nur wusste ich im Moment nicht, welche Rolle ich darin spielte.

„Mein liebes Kind“, unterbrach der Inder die Stille, „heute morgen bist du zusammengebrochen und hast innerlich um Hilfe gerufen. Und hier bin ich. Ich bin für dich da.

Ich werde dir helfen, wenn du es möchtest.“

„Wer bist du?“, fragte ich wie versteinert.

„Nenn mich Gurudschi“.

„Gurudschi? Ist das dein Name?“

„Ja, im Moment ist das mein Name. Ich werde dir erklären, was er bedeutet: ‚Gu’ bedeutet: Dunkelheit, und ‚ru’ bedeutet: das, was vertreibt. Ein Guru ist also jemand, der die Dunkelheit vertreibt. Und was passiert, wenn die Dunkelheit weg ist, Tara?“

„Es wird hell?“

„Genau, es wird hell und das Licht kann strahlen. Das wollen wir hier lernen. Die Dunkelheit aus deinem Leben zu vertreiben, damit das Licht über dir und aus dir erstrahlen kann. Das Wort Guru stammt übrigens aus dem Sanskrit, der ältesten Sprache der Welt. Das tibetische Wort für Lehrer ist Lama, eine Übersetzung des Wortes Guru aus dem Sanskrit.

Und ein vorübergehender Lehrer möchte ich für dich sein. Ich werde dir helfen, wieder mehr Licht in dein Leben zu lassen.

Ich war sehr ergriffen von seinen Worten.

„Woher kommst du?“, meine Neugierde war nun vollständig geweckt.

„Das ist im Moment nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass du den Weg zu mir gefunden hast. Du bist gekommen und das ist gut so... Geht es dir wieder besser, Tara?“

Er betrachtete mich mit unendlichem Wohlwollen, und für einen Moment spürte ich eine reine, bedingungslose Liebe. Es gab ein Gefühl tiefer Vertrautheit zwischen uns, beinahe so, als ob wir uns schon ewig kennen würden.

Ja, inzwischen ging es mir viel besser.

„Nun, dann können wir heute mit einer kleinen Einführungslektion beginnen.“ Er reichte mir eine Tasse wunderbar duftenden Ingwertee. Ich wickelte ein Stück Zucker aus dem Papier und tat es in meinen Tee.

Da bemerkte ich, dass auf dem Papier etwas geschrieben stand:

Nur wenige Menschen auf dieser Welt

vermögen, normal nachzudenken.

Es gibt eine schreckliche Neigung,

alles zu akzeptieren, was gesagt wird,

was zu lesen ist. Alles zu akzeptieren,

ohne es in Frage zu stellen.

Nur derjenige, der bereit ist,

etwas in Frage zu stellen und selbst zu denken,

wird die Wahrheit finden.

(Nisargadatta Maharaj)

Verwundert schaute ich den Inder an. Und Gurudschi begann zu erzählen:

„Ihr lebt in einer sehr hektischen und turbulenten Zeit. Die Menschheit hat sich den materiellen Werten verschrieben und ist pausenlos tätig, um ihren äußeren Komfort zu erhöhen. Die westlichen Länder sind nie zufrieden. Sie haben alles und wollen noch mehr. Ihr seid dem puren Materialismus verfallen. Der Preis, den ihr dafür bezahlt, ist hoch: Ihr vergesst eure Seele. Und genauso geht es auch dir. Du rennst durch dein Leben als sei es ein Wettlauf mit der Zeit. Du jagst von Termin zu Termin und auch in deiner Freizeit ist alles fest geregelt. Fitnessstudio, Theater, Kino und, und, und. Du bist eine erfolgreiche Geschäftsfrau, die geschätzt und anerkannt wird, aber bist du auch glücklich – richtig glücklich?“

Ich dachte einen Augenblick nach und antwortete darauf. „Was ist schon Glück? Ich habe einen Job, um den mich viele Menschen beneiden. Ich wohne in einer tollen Wohnung, habe schicke Klamotten und ein cooles Auto, fahre zweimal im Jahr in Urlaub. Was will man mehr?“

„Du hast meine Frage nicht richtig verstanden, Tara. Ich habe dich nicht gefragt, was du alles hast und besitzt. Ich habe gefragt, ob du glücklich bist.“

„Wie meinst du das, Gurudschi?“

„Ich meine das Glück, das aus dem tiefsten Inneren kommt. Ich meine das Glück, das deinen ganzen Körper durchströmt, nicht nur für einen kurzen Moment, sondern als Lebenseinstellung. Ich meine das göttliche Glück.“

Ich dachte einen Moment lang nach. War ich glücklich?

Nicht immer, aber unglücklich fühlte ich mich auch nicht. „Manchmal bin ich auch richtig glücklich. Aber dieses Glücksgefühl hält meistens nicht lange an. Oft dauert es nur sehr kurze Zeit. So geht es doch den meisten Menschen in unserer Gesellschaft. Ich dachte, das sei normal.“

„Bei euch ist das heute normal, da hast du Recht. Das liegt daran, dass ihr, spirituell gesehen, Anfänger oder, besser gesagt, Waisenkinder seid. Niemand hat euch beigebracht, dass zu einem wirklich erfüllten Leben auch eine spirituelle Seite gehört. Niemand hat euch beigebracht, wie wichtig es, ist auf euer Herz zu hören.

Ihr könnt Computer bedienen, zum Mars fliegen, und so weiter, aber ihr habt keine Ahnung von eurer Seele. Das wahre Glück kann aber nur aus der Seele kommen. Materielle Dinge machen kurzzeitig Freude, sie beruhigen euch auch sehr. Aber das wahre, tief empfundene Glück kann immer nur aus deiner Seele kommen.

Ihr habt gelernt, durch Geschäftigkeit Selbstwertgefühl zu entwickeln. Aber ständig aktiv sein, weil man bestimmte Dinge machen soll, dient keinem höheren Zweck.

Doch Dinge zu tun, weil sie aus der Seele kommen, dient einem höheren Ziel, und diese Aktivität macht dich, macht jeden Menschen dauerhaft glücklich. Spirituelles Wachstum bedeutet, das Herz zu öffnen. Du musst nichts dafür anschaffen oder lernen. Alles ist bereits in dir vorhanden. Du musst dich nur erinnern; lass es einfach zu!

Es gibt noch viele Dinge auf dieser Erde, wunderbare, für euch manchmal geheimnisvolle Dinge. Sobald du den Schleier vor deinen Augen ein wenig zur Seite schiebst, wirst du sie entdecken. Dein Leben ist eine wunderschöne Reise, auf der es die herrlichsten Dinge zu entdecken gibt. Dein Leben kann prächtig sein!“

Bei diesen Worten Gurudschis erfasste mich ein tiefer Frieden, wie ich ihn zuvor nie gekannt hatte.

„Nimm ein wenig die Geschwindigkeit aus deinem Alltag, Tara, und gönne dir Zeiten der Muße! Halte inne und erfreue dich auch an den einfachen Dingen – den Blumen, dem Lächeln eines Menschen...!

Wie geht es dir, Tara? Du siehst ein wenig müde aus.

Für heute beenden wir unsere kleine Sitzung. Ich glaube es ist gut für dich, nun nach Hause zu gehen und mit einer Zeit der Stille zu beginnen.

Denke in Ruhe über unser erstes Gespräch nach und komme wieder zu Kräften! Meine Gedanken werden dich begleiten. Du kannst wiederkommen, wann immer du möchtest, meine liebe Tara!“

Gurudschi faltete die Hände, legte sie in Brusthöhe aneinander und verneigte sich ein wenig.

Offensichtlich war meine erste Einweisung bei ihm zu Ende. Zuerst war ich ein bisschen traurig, denn eigentlich wollte ich hier gar nicht mehr weg. Lange hatte ich mich nicht mehr so wohl gefühlt wie hier bei Gurudschi. Aber wenigstens hatte ich ja jetzt viel Stoff zum Nachdenken! Ich verabschiedete mich, indem auch ich die Hände faltete und mich leicht verneigte. Noch einmal sah ich in dieses liebevolle Antlitz. Gurudschi lächelte mich an, und dann trat ich auf den Steg hinaus.

Nach einigen Schritten drehte ich mich herum, um Gurudschi zum Abschied zu winken. Aber was sah ich! Am Ende des Stegs lag das Fährboot und nicht das Floß! Ich rieb mir die Augen. Das musste eine Fata Morgana sein. Mir schwirrte der Kopf. Ich konnte die Augen öffnen, schließen und wieder öffnen, aber es blieb dabei: Das Floß war weg!

Ich schaute auf meine Uhr. Das konnte doch gar nicht sein: Es war 16 Uhr. Genau zu dieser Zeit hatte ich die Fähre beziehungsweise das Floß betreten. Wo war die Zeit mit Gurudschi geblieben? Hatte ich das alles nur geträumt? Das konnte nicht sein. Gurudschi, das sonnige Licht, das aufregende Gespräch. Ich wusste, dass ich nicht geträumt hatte. Die ganze Sache war mehr als merkwürdig: Wo war das Floß, und wo war die Zeit? Fragen über Fragen. Zuerst war ich bestürzt; doch dann fielen mir wieder die liebevollen Worte des weisen Inders ein: „Ich bin für dich da. Du kannst wiederkommen, wann immer du es möchtest.“ Als ich an diese Sätze dachte, durchströmte mich erneut dieses friedliche, warme Gefühl. Da wusste ich, ich konnte Gurudschi vertrauen, ich brauchte keine Angst zu haben.

Sofort fühlte ich mich leicht und beschwingt. Gurudschis Worte schwirrten in meinem Kopf herum und ich wollte nur noch eins: nach Hause und in Ruhe über alles nachdenken.

Die nächsten Tage waren sehr anstrengend. In der Firma ging es drunter und drüber, und mir blieb wenig Zeit, über das spannende Gespräch nachzudenken. Die Probleme bei der Kollektionsentwicklung wollten nicht aufhören. Es lief einfach nicht rund. Anna wollte mir helfen, wo immer es möglich war, aber das meiste musste ich schon selbst erledigen. Schließlich trug ich die Verantwortung für den ganzen Laden.

Nach und nach verblassten die Gefühle und Gedanken, und die gewohnte Hektik und die gewohnten Gedankenmuster eroberten ihren alten Stammplatz in meinem Hirn zurück. Zeit zum Nachdenken – ja, wann denn? Innehalten, mich an einfachen Dingen erfreuen. Hört sich ja grundsätzlich alles gut an, aber die Realität sieht anders aus. Ganz anders. Ich kann mir keine Fehler erlauben. Das Geschäftsleben heutzutage gleicht einem Haifischbecken. Du wirst schneller gefressen als du gucken kannst.

Nun ja: „Alltag fressen Seele auf!“ So ist das eben.

Schade eigentlich, dieser Frieden hatte mir gut getan. Für einen Moment fühlte ich mich wieder glücklich, richtig glücklich.

Gurudschi hatte mich gefragt, was mich glücklich mache. Ehrlich gesagt, ich wusste es nicht. Nicht wirklich.

Ich mag meinen Job. Ich mag meine Wohnung. Ich mag meine Freunde. Eigentlich ist mein Leben okay.

Wenn da nicht öfter dieses Gefühl der Leere wäre. Das Gefühl, das kann’s doch nicht gewesen sein, war das etwa schon alles? Dann bin ich immer auf der Suche, auf der Suche nach dem Sinn. Ja, das war’s. Das hatte Gurudschi gemeint. Es tat gut, wieder einen Schritt aus meinem hektischen Leben zu treten und einen Moment innezuhalten. Nun waren schon sieben Tage seit dieser magischen Begegnung vergangen. Ich hatte Sehnsucht. Sehnsucht nach Gurudschis Wärme. Sehnsucht nach seiner Weisheit.

Ich nahm eine Modezeitschrift, um mich abzulenken und meine Gedanken wieder auf die neue Kollektion zu richten. Träumereien konnte ich mir im Moment wirklich nicht leisten. Dazu gab es zurzeit, weiß Gott, genug zu tun. Aber ich konnte machen, was ich wollte, meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Wann war ich glücklich? Als ich mir neulich das tolle Kostüm gekauft hatte, da war ich glücklich. Oder als ich im letzten Urlaub am Strand in diesem urigen Strandrestaurant gegrillt hatte, da war ich auch richtig glücklich. Es waren eigentlich immer nur Momente. Aber immerhin, es gab solche Glücksmomente in meinem Leben, und sie waren wahre Kraftquellen für mich. Aus solchen Momenten zieht man doch die Kraft und Energie für die nächste Zeit.

Ich blätterte weiter in meiner Modezeitschrift, und plötzlich stieß ich auf einen Bericht über Indien und den Satz:

Der höchste Sinn des Lebens besteht

darin, sich als Seele anzuerkennen und

die Vereinigung mit der göttlichen

Quelle anzustreben

(Swami Vivekananda)

Das war ein Zeichen! Das konnte nur ein Zeichen sein!

Einen Moment lang hatte ich das Gefühl, Gurudschi wäre hier im Raum.

Ich musste zu ihm. Unbedingt!

Und zwar sofort!

Zum ersten Mal in meinem Leben ließ ich alles stehen und liegen. Verantwortung hin, Verantwortung her.

Sollte sich mein ausgeprägtes Pflichtbewusstsein jetzt eben mal hinten anstellen. Ich wollte und musste Gurudschi wiedersehen.

Schnell fuhr ich zum Fluss und lief am Ufer entlang bis zum Fähranleger. Aber dort war nichts. Keine Fähre und erst recht kein Floß. Unendliche Traurigkeit überfiel mich. Wo konnte ich Gurudschi finden. Wo sollte ich nach ihm suchen? Eine Weile starrte ich vor mich hin und überlegte, was ich tun sollte. Da bemerkte ich plötzlich die Fähre, die am Steg anlegte. Wie in Trance, ohne nachzudenken, ging ich den Steg hinab und betrat die Fähre und jauchzte vor Freude auf: Gurudschi war da! Ich befand mich wieder auf dem Floß. Was war das? War das Zauberei?

Aber es war mir in diesem Moment total egal. Hauptsache, mein weiser Inder war wieder da.

Gurudschi lächelte mich voller Liebe an, und dieses Mal fühlte ich, dass der ganze Raum von seinem Frieden und seiner Liebe durchdrungen war.

Ich setzte mich wieder auf das freie gelbe Kissen, mein Kissen, und Gurudschi reichte mir eine Tasse von dem duftenden Ingwertee:

„Schön, dass du da bist, Tara.“

Ich schaute in seine Lotusaugen, und mein Herz hüpfte vor Freude.


„Nun“, begann Gurudschi unser Gespräch, „wir werden gemeinsam eine Reise machen, eine Entdeckungsreise in die verborgensten Ecken und Winkel deines Geistes. Du wirst dich befreien von Meinungen, Vorurteilen und gedanklichen Festlegungen, mit denen du dich im Laufe deines Lebens belastet hast. Der alte Hausrat kommt weg. Wir werden beginnen, als ob wir nichts wüssten.“

„Gurudschi, du hast mich doch gefragt, wann ich richtig glücklich bin. Ich weiß es jetzt. Wenn ich hier bin. Ja, wenn ich hier auf deinem Floß bei dir bin, dann bin ich richtig glücklich.“ Ich schaute ihn liebevoll an.

„Das ist schön. Nun hast du schon eine Vorstellung davon bekommen, was tiefes Glück ist.

Dieses Glück kannst du immer in dir tragen. Dieses Glück kommt aus deiner Seele, Tara. Alles, was du tun musst, ist, dich auf deine Seele einzustimmen!“

„Was ist denn die Seele eigentlich genau?“, fragte ich vorsichtig, denn, ehrlich gesagt, wusste ich es in letzter Konsequenz nicht.

„Im Abendland herrscht die Meinung vor, dass der Mensch sein Körper ist und er einen Geist hat. Das ist so nicht ganz richtig. Im Gegenteil: Es ist genau umgekehrt:

Der Mensch ist eine Seele, und er hat einen Körper.

Die Essenz von uns Menschen ist unsere Seele. Unser Körper ist nur unser Werkzeug. Unser Körper ist quasi das Vehikel, das uns durch das Leben fährt.

Ein Kind wird geboren – es ist eins mit seiner Seele. Aber dann kommen die Menschen. Die materiellen Dinge beginnen, an Bedeutung zu gewinnen. Wie die Schalen einer Zwiebel wickeln sie sich um den Menschen und nehmen seinen bewussten Geist, seinen Verstand, in Anspruch – Haus, Besitz, Reichtum. Die Seele, der unbewusste Geist, droht von diesen Hüllen erstickt zu werden.

Der Mensch lebt wie ein Gefangener in seinem Körper. Wer nur seinen Körper liebt, der liebt sein eigenes Gefängnis. Aber wir sind nicht nur unser Körper. Wir sind grenzenlos. Das Geheimnis des Glücks ist, sich nicht zu begrenzen und sich seiner Seele bewusst zu werden.“

Ich hing wie gebannt an seinen Lippen und wollte jedes Wort aus seinem Mund aufnehmen.

All’ unsere egoistischen Triebfedern,

all unsere persönlichen Wünsche verdunkeln

die wahre Sicht auf unsere Seele,

weil sie nur auf unser eigenes erbärmliches

Ich hinweisen.

Wenn wir uns unserer Seele bewusst sind,

nehmen wir das innere Wesen wahr, das über

unser Ego hinausgeht und die tiefsten

Verbindungen zum Ganzen besitzt.

Diesen tiefsinnigen Spruch hat der indische Dichter und Denker Rabindranat Tagore geschaffen. Kannst du seine Bedeutung erahnen und erkennen?“

Ich nickte eifrig. Aber konnte ich das wirklich?

Gurudschi machte eine Pause. Er wirkte tief in sich versunken, aber auf einmal strahlte er mich wieder an.

„Vielleicht ist das alles ein wenig zu viel für dich, meine liebe Tara.“

„Nein, nein“, widersprach ich erschrocken. Ich wollte hier bleiben und eintauchen in diese neue Welt.

„So warst du schon als kleines Mädchen, Tara. Schon immer neigtest du zu Übertreibungen, egal, ob bei der Arbeit oder beim Lernen. Deine Mutter hatte immer ihre liebe Mühe, dich von dem, womit du gerade beschäftigt warst, loszureißen.“

Ja, das stimmte. Aber woher wusste Gurudschi nun auch noch Dinge aus meiner Kindheit?

Statt wie sonst auf meine Gedanken zu antworten, lächelte er mich nur geheimnisvoll an. Ich wollte ihn gerade danach fragen, als er sagte: „Später, Tara! Später.“

„Nun weihe ich dich erst einmal in die Geheimnisse der Stille und der Ruhe ein.

Das Wichtigste, was du lernen musst, ist, nicht ständig die Geschwindigkeit deines Lebens zu erhöhen.

Der erste Schritt dahin ist zu lernen, in die Stille und in die Ruhe zu gehen. Denn diese beiden sind deine Eintrittskarten in dein herrliches und glückliches Leben.“

Gurudschi reichte mir einen Zettel mit einem Spruch:

Stille ist ein großer Segen,

sie reinigt das Gehirn, gibt ihm Vitalität.

Und diese Stille erzeugt große Energie,

nicht nur Energie des Denkens oder die Energie

von Maschinen, sondern unverdorbene Energie,

die unermessliche Kräfte und Fähigkeiten hat.

Dies ist der Ort, wo das Gehirn, das sehr aktiv ist, still sein kann. Eben diese intensive Aktivität

des Gehirns hat die Eigenschaft und die Schönheit der Stille.

(Jiddu Krishnamurti)

Ich las den Spruch mehrere Male durch und dachte darüber nach.

„Kommt daher der Spruch: In der Ruhe liegt die Kraft?“

„Ja, auch. Die Welt ist laut geworden. Und um die Geheimnisse des Lebens zu erkennen, musst du leise sein, sonst kannst du sie nicht hören!

Es ist wichtig, dass du dir jeden Tag eine Auszeit nimmst. Gönne dir den Luxus von Stille, Zeithaben und einen Moment des Nichtstuns! Sei es dir wert! Du musst wieder lernen zu hören, was aus dir selbst kommt! In der Zeit der Stille machst du dich frei von den Ablenkungen dieser Welt und betrittst einen Bereich, der sehr, sehr spannend ist. Wenn alles schweigt, kannst du aktiv und schöpferisch sein. Dann kannst du das Flüstern der Götter hören.“

Ich bekam eine Gänsehaut. Das ‚Flüstern der Götter’ hörte sich wirklich spannend an. „Was muss ich denn tun, um dieses Flüstern zu hören?“

„Nimm dir jeden Tag eine gewisse Zeit zur Meditation, also eine Zeit für die Stille und die Ruhe. Setze dich entspannt hin, werde still und lausche. Lausche nach innen.“

Gurudschi schloss die Augen und wirkte im selben Moment schon tief versunken. Und dabei strahlte er eine ungeheure, absolut intensive Ruhe aus.

Ich tat es ihm nach und schloss meine Augen ebenfalls. Ich sehnte mich so nach Frieden und wollte unbedingt auch in diesen Zustand der Ruhe und Stille eintauchen.

Aber so leicht, wie ich mir das vorgestellt hatte, war das nicht. In meinem Kopf war es nämlich nicht still. Ständig kamen mir irgendwelche Ereignisse oder Aufgaben in den Sinn.

Ich muss mich bestimmt nur zusammennehmen und etwas mehr konzentrieren, dann wird es mir auch gelingen, meine Gedanken abzustellen, beruhigte ich mich selbst. Ich wollte unbedingt in den Zustand der Ruhe und der Stille. Schließlich hatte Gurudschi gesagt, sie seien die Eintrittskarten in die schöne, zauberhafte Welt des Glücklichseins.

Ich konnte machen, was ich wollte, es wollte mir einfach nicht gelingen. Verzweifelt versuchte ich, mich besser zu konzentrieren, aber je mehr ich mich konzentrierte, desto wirrer wurden meine Gedanken. Die verrücktesten und – vor allem – banalsten Dinge gingen mir durch den Kopf.

Langsam wurde ich frustriert. Scheinbar war ich zu dumm, ich schaffte es einfach nicht.

„Tara, bleib schön locker. Du verkrampfst dich zu sehr“, unterbrach Gurudschi die Stille.

„Ja, aber was soll ich denn tun! Meine Gedanken schweifen ständig ab. Ich kann mich einfach nicht konzentrieren“, antwortete ich mutlos und deprimiert.

„Lass deine Gedanken einfach zu, Tara. Sobald ein Gedanke kommt, betrachte ihn in aller Seelenruhe, und dann lass ihn weiterziehen. Stell dir einfach vor, diese Gedanken seien Wolken oder Seifenblasen. Schau sie an, und lass sie ziehen. Gestatte dir ein wenig Leichtigkeit. Sobald ein Gedanke in deinem Kopf erscheint, egal wie absurd oder banal er auch sein mag, sieh ihn an, lächle ihm zu, hülle ihn in eine Seifenblase und lass ihn weiterziehen.

Wenn du dich darüber ärgerst, dass dich Gedanken stören, verleihst du ihnen nur unnötig Macht. Damit bindest du sie an dich. Die störenden Gedanken bekommen dann genug Aufmerksamkeit von dir und fühlen sich dadurch so richtig wohl bei dir und bleiben länger als nötig.

Du musst und sollst dich gar nicht konzentrieren, Tara! Konzentration ist eine Anstrengung, und das ist mit Meditation nicht gemeint.

Setz dich einfach hin, atme und beobachte, was geschieht.

Wenn du möchtest und es dir hilft, beobachte einfach deinen Atem – wie er kommt und wie er geht.

Du wirst von ganz alleine Ruhe und Stille entdecken.

Sei unangestrengt und leicht! Genieße beim Meditieren die Leichtigkeit des Seins!“

Ich schaute in sein friedliches Gesicht und entspannte mich augenblicklich.

Erneut schloss ich die Augen, atmete ein und wieder aus und wieder ein... Ich beobachtete meinen Atem, wie er kam und wie er ging – scheinbar von ganz alleine – und spürte, wie ich langsam ruhiger und ruhiger wurde. Sobald ein Gedanke kam, und glaubt mir, es waren viele, stellte ich ihn mir als Seifenblase vor und ließ ihn fröhlich fortschweben.

Sofort hatten diese uneingeladenen Gedanken, diese Störenfriede, ihren Schrecken für mich verloren.

„Wenn du möchtest und es dir dann leichter fällt, kannst du dir nun einen geistigen Meditationsort schaffen“, setzte Gurudschi seinen Unterricht fort.

„Halte deine Augen geschlossen, atme wieder tief ein und aus und stell dir nun einen Ort vor, an dem du dich richtig wohl fühlst! Das kann ein Ort am Meer, in den Bergen oder auf einer Wiese sein. Das kann ein Haus sein, oder ein Platz in freier Natur. Was immer du möchtest, wo immer du dich so richtig wohl fühlst. Deiner Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Welche Atmosphäre herrscht an deinem Ort? Versuche, sie mit all deinen Sinnen zu erfassen!

Spüre das Gras, den Wind, den Sand unter deinen Füßen. Höre die Vögel zwitschern, lausche den Klängen der Natur!“

Gurudschi machte eine Pause und fragte mich schließlich: „An welchem Platz bist du nun, Tara?“

Ich hatte einen wunderschönen Ort gefunden.

„Ich bin auf einer Lichtung. Es ist warm und sonnendurchflutet. Vor mir sprudelt ein Wasserfall, ungefähr drei Meter hoch. Das Wasser fließt am Boden in ein Bächlein, in dem hier und dort größere Steine liegen. Überall wachsen bunte, üppige Pflanzen. Die Vögel zwitschern und das Wasser plätschert. Rechts steht eine Schaukel mit zwei Sitzen.“

Ich hatte das Gefühl tatsächlich an diesem Platz zu sein.

„Geh hinüber zu der Schaukel und setz dich darauf, Tara, und genieße den Augenblick!“

Ich setzte mich auf die Schaukel und überließ mich ganz diesem beinahe himmlischen Ort.

Nach einer Weile forderte mich Gurudschi auf, wieder zurückzukommen: „Nun hast du deinen ganz persönlichen geistigen Meditationsort gefunden, deinen Rückzugsort. Hierhin kannst du kommen, wann immer du möchtest.“

Ich öffnete die Augen und fühlte mich sehr glücklich.


Es hatte geklappt. Ich hatte den ersten Schritt verstanden. Ich strahlte Gurudschi an, und er lächelte zufrieden.

„Du bist eine gute Schülerin, Tara.“

Wir saßen noch eine Weile schweigend, bis Gurudschi schließlich meinte:

„Es ist nun an der Zeit, nach Hause zu gehen, in dein Leben. Integriere die Ruhe und die Stille in deinen Alltag, Tara! Du wirst sehen, es wird dir sehr gut tun.“

Gurudschi faltete die Hände und verneigte sich leicht, so wie er es auch beim letzten Mal zum Abschied getan hatte. Es war also wirklich an der Zeit zu gehen.

Ich musste mich regelrecht losreißen von diesem herrlichen Fleckchen des Friedens.

„Komm wieder, wann immer du möchtest!“

Noch einmal trank ich aus Gurudschis Augen Liebe und Frieden, bevor ich das Floß verließ, trat hinaus auf den Anlegesteg, und es kam, wie es kommen musste: Wie beim letzten Mal drehte ich mich um und wollte Gurudschi zum Abschied winken, aber…

...das Floß war verschwunden. Ich schaute auf meine Uhr, und wieder war zwischen meiner Ankunft und jetzt nicht eine Sekunde vergangen.

Merkwürdig! Sehr seltsam, das Ganze.

Und erneut war ich ziemlich verwirrt. Was war nur los? So etwas konnte es doch gar nicht geben.

Ich ging ans Ufer und blickte auf den Fluss. Immer noch durcheinander, steckte ich die Hände in die Hosentaschen, und dabei entdeckte ich den Spruch wieder, den Gurudschi mir vorhin gegeben hatte. Das war der Beweis: Es war also wirklich alles geschehen!

Und so war dieser Streifen Papier für mich ein wahrer Schatz. Aufgeregt lief ich nach Hause.

Ich zündete Kerzen an, setzte mich auf ein Kissen und faltete den Zettel auseinander:

Stille ist ein großer Segen, sie reinigt

das Gehirn, gibt ihm Vitalität.

Und diese Stille erzeugt große Energie,

nicht nur die Energie des Denkens

oder die Energie von Maschinen,

sondern unverdorbene Energie,

die unermessliche Kräfte und Fähigkeiten hat.

Dies ist der Ort, wo das Gehirn,

das sehr aktiv ist, still sein kann.

Eben diese intensive Aktivität des Gehirns

hat die Eigenschaft und die Schönheit der Stille.

(Jiddu Krishnamurti)

Immer und immer wieder las ich den Spruch.

Am nächsten Morgen wurde ich, auf dem Teppich liegend, wach. Ich war wohl irgendwann erschöpft, aber sehr glücklich eingeschlafen. An diesem Morgen jedenfalls ging es mir super. Ich fühlte mich voller Kraft und rundum glücklich!

Strahlend erreichte ich das Büro.

Heute fiel mir die Arbeit richtig leicht.

Anna, meine Assistentin, wunderte sich scheinbar sehr über mich und sah mich immer wieder merkwürdig von der Seite an. Man konnte richtig sehen, was in ihrem Kopf vorging: Sie wunderte sich über meine plötzlich ausgezeichnete Laune, wo ich doch in letzter Zeit wirklich nur noch frustriert und gereizt gewesen war. So, wie sie mich anschaute, dachte sie vermutlich, ich sei frisch verliebt.

Vorsichtshalber sprach Anna mich aber nicht darauf an. Erst einmal abwarten. Heute war jedenfalls ein toller und sogar erfolgreicher Arbeitstag.

Zur Belohnung ging ich mittags in mein Lieblingsbistro. Was für ein herrlicher Tag! – Ich bestellt mir eine Portion Spaghetti Mediterranea und eine Tasse Latte Macchiato.

Mir war irgendwie nach Feiern zu Mute.

Ich nahm mein Buch, das ich mir mitgebracht hatte, und begann darin zu lesen.

Doch plötzlich fiel ein Stück Papier heraus.

Ich hob es auf und las verwundert:

Je mehr ihr euch auf die innere Welt konzentriert, umso weniger Schwierigkeiten werdet ihr

äußerlich haben...

Noch seid ihr begrenzt, aber wenn es euch

durch tägliche Meditation gelingt,

euer Bewusstsein von der endlichen Welt in die

Unendlichkeit auszudehnen, seid ihr frei.

(Paramahansa Yogananda)

Mir blieb die Luft weg. Woher kam dieser Zettel? War Gurudschi etwa auch hier? Ich blickte mich in dem Bistro um, aber alles war wie immer. An den Tischen saßen einige Leute, von Gurudschi jedoch weit und breit keine Spur.

Langsam wurde mir klar, dass die Dinge, die mir im Moment passierten, mit „normalem Menschenverstand“ nicht nachzuvollziehen, geschweige denn zu verstehen waren.

Ich las den Spruch noch einmal. Eines war klar: Dieser Zettel war nicht zufällig hier. Da war ich mir absolut sicher. Dieser Zettel musste eine Botschaft für mich sein! Für mich ganz persönlich! Wahrscheinlich hatte Gurudschi wieder seine Finger im Spiel. Und sogleich erfüllte mich ein Gefühl der Zuneigung für ihn. Sorgfältig steckte ich den Zettel in meine Tasche.

Diese Zettel mit den Botschaften aus einer scheinbar anderen Welt waren für mich so wertvoll wie ein Schatz voller Diamanten. Ach, was rede ich. Ich begann zu begreifen, dass sie einmal viel, viel wertvoller sein würden als alles, was man kaufen kann.

Der Rest des Tages verging wie im Flug. Gemeinsam mit dem Team suchten Anna und ich das Material für die neuen Sommerkleider aus. Wir fanden wunderschöne, farbenfrohe Dessins und herrliche, weich fließende Stoffe. Die Stimmung im Büro war gelöst und fröhlich.

Als ich abends endlich zu Hause war, beschloss ich, mein Wohnzimmer umzugestalten, indem ich eine Ecke in eine Meditationsecke umwandelte. Dazu legte ich nur das neue safrangelbe Kissen, das ich mir in der Mittagspause besorgt hatte, auf den Boden, stellte ein Tischchen davor und hängte eine Magnettafel an der Wand auf, an der ich meine zwei Schatzzettel befestigte.

Gesagt, getan. Jetzt stellte ich noch einige Kerzen auf ‒ und das Werk war vollbracht.

Als ich fertig war, betrachtete ich das Ergebnis und war zufrieden:

Es sah feierlich aus, fast wie ein kleiner Altar.

Genau, das hier war jetzt meine kleine Hauskapelle

Zufrieden setzte ich mich im Schneidersitz auf mein neues Kissen und weihte meine neue Ecke ein.

Ich nahm meine Eintrittskarten, die Ruhe, die Stille, das Nichtstun, und tauchte darin ein.

Zuerst erschienen wieder die abenteuerlichsten Gedanken, aber dieses Mal ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen. Immer wieder hüllte ich meine nervigen Ruhestörer liebevoll in Seifenblasen und ließ sie dann ziehen. Das ging eine ganze Weile so, doch schließlich hatte ich es geschafft: Ein wunderbares, tiefes Glücksgefühl, Tränen der Rührung stiegen mir in die Augen. Welch erhebender Augenblick!

Das musste es sein, wovon Gurudschi gesprochen hatte.

Ich fühlte mich einfach unbeschreiblich – so, als hätte ich einen Moment lang in reinem Glücke gebadet.

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Ich hatte ziemlich viel zu tun, aber die neue Kollektion war fast fertig und machte einen vielversprechenden Eindruck.

Wie man mir später erzählte, bemerkten wohl alle in meinem Team, ganz besonders Anna, dass ich mich zu verändern begann. Ja, eine neue Aura schien mich zu umgeben. Ich strahlte öfter, war auf einmal voller Verständnis und Rücksicht. Die Arbeit mit mir machte richtig Freude. Und das war, weiß Gott, nicht immer so gewesen. Den Stress, den ich offenbar noch vor kurzer Zeit verbreitet hatte, war auf einmal wie weggeblasen. Und das, obwohl wir in der hektischsten Phase der Kollektionsentwicklung steckten!

Zuerst waren meine Leute skeptisch, aber mit jedem Tag wurde die Atmosphäre besser und entspannter, und es entwickelte sich ein heiteres, und doch arbeitsames, kreatives Klima.

Eines Tages schließlich schaffte ich es, meine Mitarbeiter endgültig zu verblüffen. Ich verkündete, dass der Raum neben meinem Büro, der zurzeit sein Dasein als Stau- und Lagerraum fristete, ein Meditations- und Rückzugsraum werden sollte. Jeder, der wollte, könne sich dahin zurückziehen und in die Stille und die Ruhe gehen.

Mehr sagte ich dazu nicht.

Ich richtete den Raum liebevoll in Gelb- und Orangetönen ein und legte große Kissen auf den Boden.

Zu Hause bereitete ich ein kurzes Infoheftchen über die Stille und die Ruhe vor und legte es für jeden zur Ansicht in unser neues „Büro“, den Raum der Stille. Wer wollte, konnte darin lesen. Es war ein Angebot, und nichts weiter!

Ich hatte gemerkt, wie gut mir die Zeiten der Ruhe und Entspannung taten und spürte, welche Kraft und Energie diese Auszeiten freisetzten, und nun wollte ich, dass auch meine Mitarbeiter auf den Geschmack kamen und davon profitierten, denn ich hatte inzwischen erkannt, dass aus dem scheinbar passiven Zustand des Nichtstuns eine große konstruktive Aktivität hervorgehen kann.

Nach all diesen positiven Veränderungen, machte sich meine Sehnsucht nach Gurudschi bemerkbar und wurde stärker und stärker.

Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und ließ (mal wieder) alles stehen und liegen und machte mich auf den Weg zu ihm. Ich ging auf den Steg und...

The same procedure as every time.

Ich war wieder auf dem Floß bei Gurudschi, der mich freudig begrüßte, meine Hände in seine nahm und mich anstrahlte.

Wir nahmen Platz und tranken einen Schluck Tee. Und sogleich durchströmte mich wieder diese wohltuende Wärme, die von Gurudschi ausging.

Ja, ich war hier wirklich an dem schönsten Ort auf der ganzen Welt!

Gurudschi ließ sich im Lotussitz auf dem Boden nieder. Warmes, sanftes Sonnenlicht durchflutete das Floß und zauberte wieder eine märchenhafte Atmosphäre. Merkwürdig, als ich das Floß betreten hatte, war es draußen nebelig gewesen und die Sonne hatte sich auch nicht blicken lassen…

Egal! Wichtig war im Moment nur, hier zu sein.

Ich machte es mir bequem und wartete sehr gespannt auf das, was Gurudschi mir heute erzählen beziehungsweise beibringen würde. Erwartungsvoll schaute ich ihn an, doch Gurudschi hielt die Augen geschlossen und machte einen versunkenen Eindruck.

Na gut! Wahrscheinlich sollte ich meine Ungeduld etwas zügeln. Also schloss auch ich die Augen und versuchte, zur Ruhe zu kommen und still zu werden.

Es gelang mir mühelos, und bereits nach einigen Augenblicken war ich tief entspannt.

Nach einer Weile hörte ich Gurudschis Stimme: „Reich mir deine Hand, Tara, wir wollen heute einen kleinen Ausflug machen!“

Gurudschi streckte mir seine Hand entgegen. Ein wenig verwundert legte ich meine Hand in die seine.

Und abermals geschah etwas sehr, sehr Merkwürdiges.

Tara - Die Reise zum Ich

Подняться наверх