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1 Weihnachten wird abgeschafft

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Ich bin aufgewacht und denke nach. Was ist gestern passiert? Mann, tut mir mein Kopf weh. Wie sieht es denn hier aus? Ach ja richtig. Die Party. Die war echt der Hammer. Macht bloß das Licht aus ... ist das grell. Also jetzt mal langsam. Angefangen hat es vor zwei Tagen:

Es regnet. Wie immer zu dieser Jahreszeit. Eigentlich sollte es doch schneien. Passend zur besinnlichen Stimmung und der „ach so stillen Zeit“. Aber es regnet in Strömen und der Matsch versaut meine neuen Lederschuhe. Ich lasse mich durch die übervollen Straßen von der Menschenmasse schieben. Vorbei an den unzähligen Weihnachtsbuden, die wie jedes Jahr hochwertige handgefertigte Soldatennussknacker aus dem Erzgebirge oder Räucherstäbchen anbietet. Mal ehrlich: Wer kauft so etwas? Und vor allem: Wer möchte so etwas geschenkt bekommen? An den Glühweinständen tummeln sich die üblichen kleinen Grüppchen. Früher machte man um solche Versammlungen einen großen Bogen, vor lauter Angst um einen Euro angebettelt zu werden. Heutzutage nennt sich diese Anhäufung von Betrunkenen, die kaum die Finger von der Dame neben sich lassen können, schlichtweg Weihnachtsfeier im Kreise der lieben Arbeitskollegen. Aus den Lautsprechern des Kinderkarussells tönt leiernd in Endlosschleife das Lied von der Weihnachtsbäckerei, während Eltern mit verzückter Mine ihren Kindern beim Fahren im Feuerwehrauto oder Reiten auf den Pferdchen zujubeln. In jeder Runde, in welcher der Spross wieder in das Blickfeld der Mamas und Papas rückt, wird dem Spross auf´s Neue derart zugewunken, dass man meinen könnte, die stolzen Eltern hätten mit der Rückkehr ihres tapferen Feuerwehrmanns oder des wilden Reiters nicht mehr gerechnet.

Ich bin genervt. Lauter hektische Leute um mich herum und die flackernde Weihnachtsbeleuchtung erinnert mich eher an den letzten Discobesuch. Als mich dann noch ein als Nikolaus verkleideter Zirkusmitarbeiter mit einem traurig dreinschauenden Minipony in der einen Hand und einer großen Spendendose in der anderen Hand von der Seite mit einem inbrünstigen „Hohoho“ anquatscht, stellt sich für mich nur noch die eine Frage:

Was geschieht eigentlich, wenn ich beschließe Weihnachten einfach ausfallen zu lassen? Wird sich die Welt tatsächlich weiterdrehen, wenn ich auf den ganzen Hype verzichte? Ich bin schließlich 25 Jahre alt und bin bereit Weihnachten ausfallen zu lassen. Wisst ihr, an den Weihnachtsmann glaube ich nicht mehr. Ich habe meine eigene Wohnung, verdiene mein eigenes Geld. Ich bin Postbote von Beruf. Jedes Jahr bringe ich den Menschen tonnenweise Glückwünsche zu Weihnachten per Post. Wohlgemerkt, nur an Weihnachten. Aber den Weihnachtsmann, den - ja, den habe ich noch nie gesehen.

Ach übrigens, mein Name ist Klaus Rudolf und ich wohne in Frankfurt.

Meine Eltern wohnen weit weg in Hamburg, so dass ich nicht mit Ihnen feiern werde. Dazu bin ich auch zu alt, oder? Natürlich feiere ich gerne mit Freunden. Wir treffen uns oft und gehen zu dem Italiener nebenan. Der macht sehr gute Nudeln mit italienischer Soße. Aber ich schweife ab.

Also was ist, wenn ich Weihnachten ausfallen lasse?

Weihnachten besteht doch eh nur aus Geschenken und Essen. Die Hektik in den Geschäften und die Masse an Post, die ich austragen muss, lässt mich sowieso nicht feierlich gestimmt sein. Ich kaufe einfach keine Geschenke und lasse Weihnachten weg! Revolution im Kleinen! Weg mit der Tradition! Genau. Mal sehen was meine Freunde dazu sagen?

"Hee Hans, hör mal! Ich lasse Weihnachten ausfallen," rufe ich meinem Kumpel von der Strecke "Hasengasse - Rhönstraße" zu. Hans hat dieses Jahr die Looserkarte gezogen, da er die längste Strecke in Frankfurt erwischt hat. Er ist in letzter Zeit deswegen ziemlich sauer. Naja, wir foppen ihn ja auch und nennen ihn den "langsamen" Hans. Er muss zweimal in die Zentrale fahren um die Post abzuholen, da sein Karren die ganze Weihnachtspost nicht auf einmal fassen kann.

"Super, Idee“, antwortet Hans," dann fang direkt mal an, und zaubere die Weihnachtspost weg! Ich bin heute schon das zweite mal unterwegs." "Nee, im Ernst. Ich lasse Weihnachten ausfallen." "So ein Quatsch. Weihnachten kann man nicht ausfallen lassen. Sonst wird doch der Weihnachtsmann arbeitslos, hehe." "Ich werde Weihnachten dieses Jahr nicht feiern. Keine Geschenke, keine Glückwünsche, keine Feier. Ich bin ja alleine und wozu dann Weihnachten." "Du musst es ja wissen" sagt Hans und macht sich auf seine zweite Runde. Komisch eigentlich. Gerade er sollte doch Weihnachten wegen der langen Runde als Erster ausfallen lassen wollen.

Ja, wenn ich Weihnachten ausfallen lasse, was soll ich denn sonst machen? Zum Glück habe ich ja frei und kann etwas unternehmen.

Ich lade einfach Freunde ein und wir machen uns einen gemütlichen Abend. Das ist es! Kein Geschenkezwang, kein Tannenbaum, einfach nur eine gemütliche Runde. Spieleabend bei mir. Das ist es!

Nun gut. Gedacht, getan. Gut, dass ich mir die kostenfreie Software "Partyplanung" besorgt habe.

Software aufrufen und los gehts:

Partygrund/ Partyname:

Mmmmmh.

Ja genau:

PartyGrund: Kein Weihnachten

Teilnehmer: Susi, Evi und Paul, Clara und Hans, die haben zugesagt.

Zeitpunkt: Klar - 24.12.2011

Uhrzeit: 17.30 Uhr

Ort: bei mir zu Hause

Essen: Mmmmmh,

Ente mit Rotkraut und Knödeln

- Susi isst die Ente so gerne.

Partyschmuck: Susi hat gesagt, dass ich ein bisschen Tannengrün und Kerzen nehmen soll. Frauen ... . Naja, sieht ja auch ganz nett aus.

Getränke: Wein, Bier und Fanta. Dass muss reichen. Ach ja für Clara noch den Tomatensaft, die macht ja die seltsame Diät. Und Hans trinkt nach dem Essen so gerne einen Schnaps. Ach, der Killepitsch aus Düsseldorf muss weg. Hans trinkt alles.

Gut, wie geht’s weiter.

Partystimmung: Für die Partystimmung ist Musik und Spaß angesagt. Musik macht das Radio und den Spaß werden wir schon kriegen. Wir sind schließlich die "keine-weihnachten-feiern-fraktion". Ich sollte eine Webseite einrichten. Bestimmt hätte ich sofort eine Menge Freunde auf facebook.

17.00 Uhr gleich werden die Ersten kommen. Susi ist meist die Erste. Schauen wir mal. Die Party kann steigen. Ich mache mal direkt das Radio an, die Ente brät im Ofen. Es kann losgehen.

Während aus dem Radio "Last Chrismas" erschallt, erscheinen meine Freunde. "Hallo, Klaus - Danke für die Einladung. Hier wir haben zusammengelegt. Das ist für dich."

Das Buch "1001 Weihnachtsgeschichten" ist wirklich witzig. Kann ich sicher als Briefbeschwerer nutzen. Die Idee stammt bestimmt von Hans, der hat immer so wahnsinnig witzige Ideen. -

Ja, dann haben wir gegessen - war echt lecker, und getrunken und getrunken. Man tut mir der Kopf weh. Was war dann noch? Spaß, ja Spaß hatten wir ne Menge. War da nicht auch die Polizei ... oder habe ich das nur geträumt. Mist. Was haben wir dann gemacht?

...

Mmmh, Filmriss. Was ist nur passiert? Mir dröhnt jetzt noch der Kopf von "Last Chrismas" und Co. Aber die Party die war schon klasse ... oder? Ich erinnere mich noch an eine super Stimmung ... wer war denn eigentlich alles dabei?

Na, egal. Ich habe bewiesen, einen Weihnachtsmann gibt es nicht, Weihnachten braucht kein Mensch und feiern kann man auch ohne Weihnachts- Tamtam.

Ich mach mir erstmal einen Kaffee zum Aufwachen. Aufstehen muss ich. Los. Langsam in die Küche. So. Erstmal hinsetzen. Prima. Das klappt ja gut. Nun, Kaffeepulver einfüllen, nein nicht daneben - man war das eine gute Party - so Maschine anstellen. Ja, die Freunde waren auch hellauf begeistert. Mist habe das Wasser vergessen. So, jetzt kann die Maschine loslegen.

Setzen und warten. Oh Gott, mein Kopf. Aspirin. Genau. Nun Wasser trinken. Nur ruhig. Und wieder setzen. Ja die Party war super. Eigentlich war das Buch von Hans sogar eine ganz witzige Idee. Vielleicht lese ich es ja doch mal. Man mein Kopf. So Kaffee in den Becher schenken. Laaaaangsam ... gut. Nun noch Milch. Kühlschrank. Zu weit weg. Schmeckt auch ohne.

Nanu, was ist das denn für ein Päckchen auf dem Tresen. Haben Susi oder die anderen mir noch etwas mitgebracht?

Auf der Karte steht: Für Klaus Rudolf

Lieber Klaus Rudolf,

du hast also Weihnachten abgeschafft! Wolltest mich arbeitslos machen!

Weihnachten ... ist dies wirklich nur Geschenke erhalten und Essen fassen? Wenn man also keine Geschenke kauft, gibt es dann kein Weihnachten mehr? Ist das so?

Alle Menschen feiern aus unterschiedlichen Gründen. Du hast dieses Jahr das "nicht Weihnachten" gefeiert. Aber überlege Dir, was ist dabei herausgekommen?

Eine Party mit Freunden, guter Musik, leckeres Essen und wie ich sehe hattest Du sogar eine Kerze mit Tannengrün. Aber genau das macht Weihnachten aus. Mit Freunden oder der Familie zusammen sein. Viele feiern Christi Geburt, manche feiern Wintersonnenwende, wiederum andere feiern nur um zu feiern.

Weihnachten bedeutet Geborgenheit - jeder sucht sich sein Nest selbst aus - und sogar dann, wenn es das "Nicht- Weihnachten-Nest" ist. Weihnachten ist der Brauch, sich Zeit zu nehmen. Sich Zeit zu nehmen, für Dinge die wir gerne tun und mit Menschen die wir gerne haben. Traditionen und Gebräuche wandeln sich. Durch die Technik glauben viele Menschen nicht mehr an mich. Aber das ist nicht schlimm.

Wichtig ist, dass die Menschen sich an Weihnachten auf das Besinnen, was wichtig ist. Lebe Dein Leben. Liebe Dein Leben.

Du magst nicht mehr an mich glauben. Aber ich bin ein Teil von Dir.

Schenke Deinen Freunden und deiner Familie das Wichtigste im Leben was Du hast:

Schenke ihnen Zeit - Zeit mit Dir und deinen interessanten Ideen.

Ich wünsche Dir fröhliche Weihnachten und das Du weiterhin so tolle Ideen hast. Ich habe selten so gelacht.

Der Weihnachtsmann

Ich packe das Geschenk aus. Es ist ein gerahmtes Bild von der gestrigen Party, auf dem all meine Freunde und ich Karaoke auf den Song "O Tannenbaum" singen. Ich habe dabei eine Weihnachtsmannmütze auf. Es ist eine Momentaufnahme meiner (Keine) - Weihnacht. Ein Bild meiner Zeit.

Frohe Weihnachten!

Das Glück beruht oft auf dem Entschluss,

glücklich zu sein.“

Lawrence Durrell

Sechs Kurzgeschichten zu Weihnachten

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