Читать книгу Eine Frau und ihre intimen Bekenntnisse – Erotische Geschichten - Anna Bridgwater - Страница 5
ОглавлениеIch will die Geschichte meines Lebens erzählen. Jedenfalls von einem Teil meines Lebens. Einem Teil meines Lebens, der ich bin, der aber verborgen ist. Mein Sexleben. Dafür bin ich geschaffen. Das ist das, was ich kann.
Es ist Mittsommer in Kopenhagen. Ich bin fünfundzwanzig. In meiner Nachbarschaft ist die Luft dick von gelblichem Staub von den Fußwegen rund um die Seen. Die Firma, für die ich arbeite, veranstaltet ein Sommerfest. Ich ziehe ein enges, schwarzes Kleid mit großen Blumen an. Ich liebe dieses Kleid. Ich liebe es, wie ich darin aussehe. Ich bin schlank, habe lange, dunkle Haare, meine Brüste sind straff. Ich bin Kettenraucherin und innerlich unsicher wie eine Fünfzehnjährige, aber meine eigene Unsicherheit reizt mich. Ich fummle darin rum, fordere sie heraus, wie einen Mückenstich, den zu kratzen ich nicht lassen kann.
Ich gehe zu dem Fest. Ein gewöhnliches Fest mit Abendessen, Drinks, Bier, Zigaretten und danach in die Kneipe. Der Abend ist warm und trocken und ich stolziere in meinen hohen schwarzen Wildledersandalen und dem engen Kleid umher. Das, was ich erzählen will, ist, dass ich einen Kollegen mit nach Hause nehme. Er ist verheiratet, ich bin Single. Er ist groß, sehnig, hat ein Gesicht voller Sommersprossen und eine dunkle, weiche Stimme und ich bin scharf auf ihn. Er macht mich geil. Ich will, dass er auf mir liegt in meinem Doppelbett mit dem massivem Kopfende aus dunklem Holz. Ich will seine Hüften und seinen harten Brustkorb auf mir spüren und seine langen weißen Finger sollen meinen Körper berühren. Er soll mich küssen, meinen Hinterkopf umfassen und mich begehren. Er soll meine Knöchel und Kniekehlen und Achselhöhlen lecken.
Die Nacht ist hell und die Wände in meinem Zimmer sind grün gestrichen, so dass es ist, als ob man unter Wasser oder in einem Aquarium wäre. Er schmeckt salzig mit einer etwas bitteren Note. Ich zeige ihm meine hellbraunen Brustwarzen und biete ihm an, sie abzulecken. Mein eigener Duft wird stärker und übertönt seinen. Seine Oberschenkel sind genauso blass wie seine Hände und ganz fest. An seinem Hinterkopf ist ein kleiner, kahler Fleck, den ich sehen kann, wenn er sich auf mich legt. Dieser kahle Fleck weckt Fürsorge in mir, und ich ziehe seinen Kopf nach unten neben meinen eigenen, so dass wir Wange an Wange liegen und ich ihn sanft mit meinen Zähnen am Ohrläppchen ziehen kann. Die Sommersprossen in seinem Gesicht setzen sich über dem Brustkorb in einer dünnen Schicht fort. Ich habe nie einen so perfekten und hellen Körper wie seinen gesehen. Ich bin fasziniert und auch ein bisschen abgestoßen, weil es ist, als ob die helle Haut feucht wäre, als ob jemand Milch auf einem Tisch verschüttet hätte, ohne sie ganz aufzuwischen.
Ich finde, dass es mich nichts angeht, dass seine Haut feucht ist, und mache damit weiter, seinen Körper zu benutzen oder zu berühren, ihn zu spüren und mich an ihn zu pressen, bis er mich spürt. Ich will, dass er viele Stunden in meinem Bett bleibt, und hole Wasser und Wein und Zigaretten. Darin bin ich gut. Diese Art Mensch zu sein, das hab ich drauf.
Ich will keinen Anstoß erregen oder verurteilt werden, wenn ich das hier erzähle. Ich will erzählen, wie es ist, ich zu sein, aber ich fürchte zurückgewiesen oder wegerklärt zu werden. Ich weiß, was andere über solche wie mich sagen: „Sie war sicher auch als Teenager wild.“ Als ob mein heimliches Leben als Erwachsene damit abgetan werden könnte, dass ich die Pubertät nie hinter mir gelassen hätte. Oder: „Ja, bei der Erziehung ist es nicht verwunderlich, dass sie rastlos geworden ist.“ Diese vereinfachten Erklärungen taugen nichts, und in meiner Kindheit ist nicht besonders viel falsch gelaufen. Ich habe das Leben gewählt, das ich jetzt lebe, obwohl ich weiß, dass natürlich viel mehr als das Hier und Jetzt auf dem Spiel steht. Aber es ist das Hier und Jetzt, was wichtig ist. Das Heute ist es, was mich erfüllt, nicht Dinge, die vor vielen Jahren passiert sind oder in der Zukunft passieren werden.
Ich weiß, dass viele sofort anfangen, Vergleiche zu ihrem eigenen Leben anzustellen. Sie wollen mir gerne erzählen, dass sie nicht im Traum ihre Ehe für einen Abend Spaß aufs Spiel setzen würden. Aber ich weiß ja genau, dass andere nicht wie ich sind. Das müssen die mir nicht erzählen. „Ich könnte ja nicht beruflich eine Woche nach Hongkong fliegen, das würde den Kindern schaden“, sagt eine Freundin vielleicht. Jedes Mal, wenn das passiert, werde ich ein bisschen weniger. Ich verkrampfe innerlich. Es ist, als ob die anderen urteilen und ein bisschen von dem, was ich bin, ablehnen. Aber ich bin nicht wie sie. Ich bin nicht sie. Ich glaube nicht, dass es viele gibt, die wie ich sind. Aber ich weiß es nicht, denn darüber sprechen wir nicht. Deswegen will ich von meinem Leben erzählen. Es ist sonderbar einsam, ein heimliches Leben zu haben, das niemand kennt. Außerdem ist meine Erzählung eine Art Versicherung: Ich denke ab und zu darüber nach, was passiert, wenn es schief geht. Es gibt viele Stunden in meinem Leben, in denen niemand weiß, wo ich bin oder was ich tue. Manchmal habe ich Erlebnisse, die so flüchtig sind, dass sie beinahe anonym sind.
Aber vielleicht treffe ich eines Tages einen Mann, der nicht so ist, wie ich glaube. Vielleicht versagt meine Urteilsfähigkeit. Vielleicht passiert ein Unglück. Vielleicht bin eines Tages ich diejenige, die mit entblößtem Unterleib und zerrissener Kleidung in einer Dünenkuhle an einem Strand liegt. Wenn das passiert, ist es wichtig, dass es ein Zeugnis von dem verborgenen Teil meines Lebens gibt.
Heute bin ich vierzig, verheiratet und habe eine Karriere. Es gibt da einen Mann bei meiner Arbeit. Magnus. Ein bisschen jünger als ich. Auf eine konventionelle Art anziehend und sehr durchtrainiert. Fähig in seinem Job, ohne hervorragend zu sein. Führungskraft auf mittlerer Ebene, ein bisschen faul, aber angenehme Gesellschaft. Aufmerksam und unterhaltsam. Und er ist scharf auf mich. Das habe ich jedes Mal, wenn wir zusammen bei einem Seminar oder einer Messe oder einem Teambuilding waren, gemerkt. Er hilft mir in meinen Mantel und streift dabei meinen Nacken mit dem Daumen. Oder er legt seine Hand auf mein Kreuz, wenn wir am Mittagsbuffet stehen, als ob er mich galant zu den Schüsseln mit Presswurst und Tomatensalat geleitet. Aber seine Finger gleiten so weit mein Rückgrat hinunter, dass ich weiß, dass es eine Liebkosung ist. Ich antworte ihm, indem ich zu dicht bei ihm stehe und meine Hüfte gegen seine drücke. Ich kann spüren, dass er zurückdrückt und sein Fleisch unter der dunklen Hose fest ist. Einige Sekunden stehen wir völlig unbeweglich vor den Salatschüsseln, bis sich die Muskeln entspannen und die Berührung aufgehoben wird. Mir wurden die Augen für die Möglichkeiten geöffnet, die er enthält. Ich liebe es zu küssen, einen neuen Körper zu kosten, zu erforschen und zu spüren. Ich bin auf einer neuen Mission. Einer neuen Entdeckungsreise.
Eine Woche vergeht, bis sich die Möglichkeit ergibt, dass wir weitermachen können. Meine Abteilung hat den anderen Abteilungen die Halbjahresresultate präsentiert. Die Ergebnisse sind gut und wir servieren Sekt und anschließend Obst. Nicht viel, aber es ist Spätnachmittag, alle sind müde und die meisten kriegen rote Wangen und einen verschleierten Blick. Aber ich bin konzentriert. Ich weiß, dass er mich beobachtet, während er sich mit seinem Chef über ein IT-Problem unterhält. Ich sehe ihn nicht an, während ich aufräume, die benutzten Plastikbecher staple und Papier einsammle. Ich halte meinen Blick mit Absicht auf den Tisch gerichtet. Aber dann, die Hände voller leerer Flaschen, schaue ich hoch und sage zu ihm: „Die hier müssen in die Küche. Nimmst du welche?“
Ich gehe mit nach unten in die Küche. Die Flaschen stelle ich auf den Boden, dann lehne ich die Hüfte gegen den Küchentisch und warte. Ich muss nicht lange warten. Er kommt in die Küche, in jeder Hand eine leere Flasche. Er stellt sie weg, wendet sich mir zu und kommt ganz dicht zu mir. Fährt mit der Hand durch mein Haar, liebkost meinen Nacken und öffnet den Reißverschluss meines Kleides. Er legt seine Hand auf meinen Rücken und seine Haut verbrennt meine. Ich kann seinen Atem an meiner Wange spüren und mit seiner freien Hand nimmt er mein Kinn und dreht mein Gesicht zu seinem. Ich hefte den Blick auf seine Lippen und dann küssen wir uns. Es ist ein guter Kuss, untersuchend und zärtlich mit einem humorvollen Unterton. Wir knabbern uns an den Lippen, küssen mehr, und die ganze Zeit arbeitet sich seine Hand meinen Rücken hinunter. Ich registriere, dass die Eingangstür zugeknallt wird. Und dann ist die Stille so total, wie sie es nur in ganz leeren Räumen sein kann.
Wir haben es eiliger, er zieht seine Hand von meinem Rücken weg und greift unter mein Kleid, um meine Strumpfhose runterzuschieben. Verschämt denke ich an die Fettrolle, die sich über dem Gummiband wölbt und automatisch schubse ich seine Hand weg, um die Strumpfhose selbst runterzuziehen. Aber er besteht darauf, streift meine Unterwäsche ab und greift zwischen meine Schenkel. Das Blut rauscht in meinem Körper, ich bin flammend heiß und lechze nach ihm. Mit der Hand hinter meinem Rücken fummle ich an seinem Gürtel und Reißverschluss, öffne seine Hose und spüre seinen harten Schwanz durch den Stoff der Unterhose.
Was soll ich sagen? Viele haben wohl an irgendeinem Arbeitsplatz probiert, Sex im Stehen zu haben: Eine sonderbare Kombination aus ungeschicktem Fummeln und einer begeisterten, gierigen Suche nach Freude beim anderen. Er nimmt mich von vorne, dann leckt er mich, bis ich komme, während ich auf der Kante des Küchentischs sitze, den einen Fuß gegen den Kühlschrank gestützt. Dann dreht er mich um und nimmt mich von hinten mit kurzen, heftigen Stößen gegen den Küchentisch, auf den ich mich stütze, mit dem Gesicht gegen die Spüle und meinen eigenen verschwitzten Haarsträhnen in den Augen.
Danach bleibt er ein bisschen mit den Händen an meiner Taille stehen. Dann macht er meinen Reißverschluss zu und zieht mein Kleid runter, bevor er seine eigenen Klamotten zurechtrückt. Es ist diese Handlung, dass er Fürsorge zeigt und mich zudeckt, die mich froh macht, und ich presse meinen Hintern gegen seinen Unterleib.
Wir müssen beide nach Hause, ich bin mit dem Fahrrad da, er mit dem Auto. Am Ausgang nimmt er meine Hand, drückt die Fingerspitzen und sagt: „Wir sehen uns, oder?“ Langsam ziehe ich meine Finger aus seiner Hand, so dass ich seine Handfläche kitzle. Dann radle ich heim. Heim zu meinem Mann und meinen Zwillingsjungen.
Ich kann dir ansehen, dass du denkst: „Wieso tut sie das? Was hat sie davon?“ Verstehst du, dass ich das tue, weil ich es kann? Weil ich von einer knisternden Energie erfüllt werde, wenn ich weiß, dass er, dieser Mann, den ich nicht kenne, mich haben will. Ich habe die Fähigkeit, ihn dazu zu kriegen, sich in Begierde zu entblößen. Ich tue das, weil ich es kann. Ich kann Ehefrau, Mitarbeiterin, Mutter und Freundin sein. Aber das sind nicht die Rollen, die ich am besten beherrsche. Ich bin am besten darin, Liebhaberin zu sein. Ich bin am besten in Sex. Andere können sich damit begnügen, eine Person zu verführen und sich ihr für lange Zeit zu verpflichten. Aber ich muss hunderte von Menschen verführen um zu spüren, dass ich am Leben bin. Die Anzahl beweist scheinbar, dass der Einzelne keinen Wert hat. Aber das stimmt nicht. Im Augenblick hat dieser Einzelne einen unendlich großen Wert. Was meine Lust weckt, ist nicht nur der Gedanke an die Verführung selbst, sondern die Möglichkeit zu sehen und zu schaffen. Möglichkeiten, wo keine zu sein scheinen, spornen mich am allermeisten an.
Als ich an diesem Abend heimkomme, ist es kurz vor sechs. Die Jungs sehen im Wohnzimmer fern, Rune brät in der Küche Hähnchenfilet und checkt Mails. Das ist mein Leben. Es gibt so viele Dinge in meinem Leben, die mit meinem Mann funktionieren: Unsere Freundschaft, unsere Kinder, zeitweise unser Sexleben, obwohl ich nicht mehr so oft scharf auf ihn bin. Erotisch geht es mir mit ihm am besten, wenn es einen anderen in meinem Leben gibt, mit dem ich guten Sex habe. Dann bin ich zu Hause schärfer und werde nicht deprimiert bei dem Gedanken, dass ich für den Rest des Lebens nur mit meinem Mann Sex haben soll. Denn das kann ich wahnsinnig deprimierend finden: Keinen unbekannten Mund zu küssen, nie mehr Sex mit einem neuen Mann zu haben. Ich sehe es vor mir wie eine lange, gerade Autobahn. Effizient und praktisch, aber ohne Spannung.
Der Fick mit Magnus ist weder der erste noch der letzte meiner Seitensprünge. Es ist auch nicht der abenteuerlichste, schönste oder gleichgültigste. Aber ich habe Lust auf mehr von ihm, auf seine hungrigen Küsse, den rohen Sex und seine beinahe galante Berührung. Ich weiß, dass ich wieder mit ihm zusammen sein werde.
An dem Abend, nachdem wir das erste Mal zusammen waren, hänge ich den Mantel in den Eingangsbereich, rufe Rune ein Hi zu und gehe ins Wohnzimmer. Ich lasse mich aufs Sofa fallen und küsse meine Jungs in den Nacken und atme ihren süßen, etwas salzigen Jungenduft ein, bis sie mich rausschmeißen, weil ich störe. Dann gehe ich in die Küche zu Rune. Er fragt, ob ich einen guten Tag hatte, und sagt, dass es gleich Essen gebe. Ich lege meine Wange an seine Schulter und er drückt mich leicht mit dem einen Arm und dem Handy in der Hand. Er ist mein bester Freund und wir sind gute Partner. Ich decke den Tisch, rufe die Jungs und dann essen wir Hähnchenbrust mit Nudeln und Salat.
Das, was so viel füllt, soll geheim bleiben, denn es würde andere verletzen, wenn sie wüssten, was ich mache. Ich lasse es nicht darauf ankommen. Mein Telefon liegt immer in meiner Tasche, mein Computer ist immer aus, und niemand kennt meine Zugangsdaten für Facebook oder etwas anderes. Ich will nicht das Risiko eingehen, dass die Jungs oder Rune neugierig werden und meine Nachrichten oder Mails lesen.
Ich weiß nicht, ob Rune einen Verdacht hat, dass ich ihm untreu bin. Ich weiß auch nicht, ob er eifersüchtig werden würde, wenn er je Verdacht schöpfen sollte. Selbstverständlich habe ich darüber nachgedacht und ich glaube, die Antwort ist: Er entscheidet, nicht misstrauisch zu sein. Er verschließt bewusst Augen und Ohren vor dieser Möglichkeit.
Ich weiß auch nicht, ob er Sex mit anderen Frauen hat. Das wäre ja möglich. Er fährt zu Konferenzen und Verkaufsgesprächen und allem möglichen anderen, wo er irgendwo anders übernachten muss als zu Hause. Manchmal kommt er spät von der Arbeit, in gehobener Stimmung und mit Farbe in den Wangen. Dann kann ich an seinen Schritten draußen im Treppenhaus hören, dass er voller Energie und Lebensfreude ist, und manchmal streift mich der Gedanke, dass er gerade dicht neben dem Körper einer anderen Frau gelegen hat. Aber ich weiß es nicht. Ich habe beschlossen, den Gedanken nicht zu verfolgen, wenn er mich streift. Ich bremse den Gedanken, das Leben geht weiter und ich fülle das Gehirn mit Arbeitsaufgaben, Fußballspielen der Kinder, Sommerurlaubsplänen.
Das erste Mal war ich meinem Mann untreu, bevor wir verheiratet waren. Wir waren seit ein paar Monaten zusammen und dabei, uns in kleinen Schritten aufeinander einzuspielen. Wir hatten zusammen gekocht, Abende gemeinsam vor dem Fernseher verbracht und uns gegenseitig von Jugendsünden, Siegen, Ambitionen und Enttäuschungen erzählt. Aber wir hatten nicht gesagt, dass wir uns liebten, und wenn wir über die Zukunft sprachen, dann nur über Träume, nicht über gemeinsame Pläne.
Ich war nach Hause zu meinen Eltern gefahren, um Weihnachten zu feiern und Hausarbeiten zu schreiben. Meine Mutter erzählte, dass einer meiner Schulflirts vorübergehend zurück in die Stadt gezogen war, weil er in einer Scheidung steckte. Ich hatte die Information ganz hinten im Gedächtnis archiviert, aber nicht vergessen, drehte und wendete dieses Wissen gedanklich, wie ein Bonbon, das ich im Mund versteckte. Am ersten Weihnachtsfeiertag kam Rune. Wir aßen mit meiner Familie zu Mittag, gingen in den grauen und geschlossenen Straßen spazieren und hatten lautlosen, ungeschickten Sex in meinem schmalen Bett in meinem alten Zimmer. Am Tag darauf fuhr Rune, weil er arbeiten musste.
Als Rune abgereist war, ging ich zu meiner alten Flamme hinüber. Und wir waren vierundzwanzig Stunden zusammen. Wir lagen im Bett seiner Eltern, während sie bei einem Familienessen waren. Ich habe es getan, weil etwas Unterdrücktes in unserem Verhältnis lag, weil er in der Stadt war, weil wir nicht miteinander fertig gewesen waren. Und weil ich die Möglichkeit bekommen hatte. Er war der, den wir alle begehrt hatten, als ich ein Teenager war. Es war ein Sieg, als er und ich ein paar Nächte für eine kurze Zeit zusammen waren und eine Niederlage, als er aufhörte anzurufen oder bei Partys meine Hand zu halten. Es war ein neuer, aber geringerer Sieg, ihn wieder zu bekommen. Und er ist ein gut aussehender Mann. Damals, ich war siebzehn und er neunzehn, sagte er nie, dass er mich liebte. Von meiner Seite aus war es damals Liebe. Oder jedenfalls Verliebtheit. Aber ich wusste, dass ich das von ihm nie zu hören bekommen würde. Er würde diese Worte nie aussprechen, daher tat ich so, als ob es okay für mich wäre, seine Sex-Freundin zu sein. Bis er mich lieber als Freundin statt als Sex-Freundin haben wollte.
Über diese Dinge sprachen wir an jenem Weihnachten nicht. Als wir nach all den Jahren wieder zusammen waren, erkannte ich seinen Körper wieder, aber irgendwie auch nicht. Er hatte etwas von dem unbeschwerten Körperbau des Teenagerjungen verloren und war sehniger geworden. Seine Bartstoppeln waren dunkler geworden, seine Wangenknochen markanter. Es war, wie einen neuen Körper zu spüren und ich liebe es, einen unbekannten Körper zu küssen, zu erforschen und zu spüren. Ich selbst war weicher geworden und hatte mehr Kurven und einen großen Hintern bekommen. Er stand auf meinen neuen Körper, besonders auf meinen Po. Er hielt ihn fest in seinen Händen und formte ihn, drückte ihn, hielt sich an meinen Hüften fest und stöhnte laut, als er kam.
Danach tranken wir in Bettdecken eingepackt in der Küche Earl-Grey-Tee. Wir redeten über unser Leben in leichten Tönen. Ich war rastlos und dachte die ganze Zeit daran, dass ich gleich gehen würde. Aber ich wollte ihn auch wieder erobern, ich wollte ihn dazu bringen alles zu erzählen, ich wollte ihm schmeicheln, ihn erfreuen, ihn mit Begierde erfüllen. Er war dabei, von einer französischen Frau geschieden zu werden, die heim nach Lyon gereist war, und ihre Wohnung war verkauft worden. Er war wehrlos und trug die Scheidung wie einen Speer durch die Brust.
Im Laufe des Abends kamen seine Eltern nach Hause, während wir auf dem Sofa lagen und einen alten Film im Fernsehen ansahen. Sie sagten bloß „Hallo“, „lange her“ und „Gute Nacht“. Dann gingen sie ins Bett. Ich dachte daran, dass ich in ihrer Bettwäsche gelegen hatte. Aber dann spürte ich eine Hand unter die Decke kriechen, die über mir lag. Die Hand fand meine Taille, strich weiter nach oben und legte sich wie eine Schale um meine Brust. Ich schloss die Augen und legte den Kopf zurück.
Am nächsten Morgen schlich ich mich durch die Waschküche hinaus und lief durch die Villenwege nach Hause zu meinen eigenen Eltern. Sie frühstückten und lasen Zeitung in ihren Morgenmänteln. Meine Mutter holte einen Becher für mich und sagte:
„Wie schön, dass deine alten Freundinnen in den Weihnachtsferien auch zu Hause sind.“ Ich nickte. Das war es. Am nächsten Tag fuhr ich zurück nach Kopenhagen und im Laufe des Frühlings wurden Rune und ich uns einig, dass wir zusammenziehen wollten. Aber ich kam nicht zur Ruhe.
Rune und ich wohnten zusammen in meiner kleinen Zweizimmerwohnung, wir stritten über die Sofafarbe und darüber, wo man in der Wohnung seine Schuhe hinstellen sollte und wie oft wir abwaschen sollten und wie viele Freunde Rune zum Handballgucken einladen konnte. Und wir hatten Sex. Viel Sex. Wir lagen auf dem Sofa und schauten DVDs und berührten uns, so dass ich nie den Schluss von „American History X“ mitbekam, obwohl wir ihn zweimal sahen. Wir hatten Sex in der Dusche, die in einer Ecke des Schlafzimmers eingerichtet war und deren Fugen knirschten, wenn Rune mich gegen die mattierte Plastikwand presste. Natürlich hatten wir auch Sex im Doppelbett, fast jede Nacht. Von vorne und von hinten, unter meiner weißen Bettwäsche, plain vanilla, aber schön. Ich ließ ihn mich unter seinem Körper begraben und einfach machen. Falls mich das passiv klingen lässt: Das stimmt nicht. Ich war gierig, ich verschlang ihn und nahm alles entgegen, was Rune zu bieten hatte. Er trieb es mit mir, mit seinem ganzen hellen, festen Körper, seine Hände gingen überall auf Entdeckungsreise, meine Lust war sein Projekt, sein Hobby, seine Mission. Aber dennoch, trotz all des Sex’, gab es eine Ecke von mir, die nie satt wurde. Ich war immer noch offen für die Umwelt und all ihre Möglichkeiten.
Ich hatte einen gut aussehenden Mann mit einer starken Antriebskraft und Optimismus gefunden, die ihn jeden Tag aufstehen und raus und hinaus in die Welt gehen ließ und der Gesellschaft und Feste und mich liebte. Und trotzdem war ich nicht zufrieden. Es fühlte sich an, als ob ich mir eine Schublade in einem Archivschrank ausgesucht hätte und hineingesprungen wäre, woraufhin der Schrank geschlossen worden war. Ergibt das einen Sinn? Vielleicht nicht. Aber so geht es mir. Genau wie damals, als ich meine Schwerpunktfächer im Gymnasium wählen sollte. Meine Lehrer empfahlen, dass ich mich auf Sprachen konzentrieren sollte, wie es damals hieß. Und ich nickte und füllte den Zettel aus. Aber in mir gab es eine Stimme, die rief: „Ich könnte auch Biologin werden! Oder Ärztin! Ich könnte in die dritte Welt reisen und ein Heilmittel gegen Malaria finden!“ Ich konnte einen Zug von all den Türen spüren, die sich schlossen, als ich mich für den sprachlichen Zweig entschied. Das gleiche Gefühl stellte sich ein, als ich mich entschied mit Rune zusammenzuziehen.
Eine der Schubladen, die ich in meinem Leben geschlossen habe, ist die mit dem Traum zu schreiben. Heute schreibe ich Newsletter und Kundenmails und ich lese Bücher. Alle möglichen Bücher. Eine Strophe eines Emily Dickinson-Gedichts hat sich in meinem Kopf festgesetzt, denn genauso ging es mir in der ersten Zeit, nachdem ich mit Rune zusammengezogen war:
The soul has moments of Escape –
When bursting all the doors –
She dances like a Bomb, abroad,
And swings upon the Hours
Ich war eine verirrte Rakete, außer Kontrolle, die die Landschaft verwüstete und riskierte, Zerstörung mit sich zu bringen.
Als wir ungefähr ein Jahr zusammengewohnt hatten, waren Rune und ich bei einer Hochzeit. Einer von Runes Freunden würde heiraten, ein handballspielender ehemaliger Klassenkamerad mit perfekten Zähnen. Er würde eine große, blonde Frau heiraten, die irgendwas mit Marketing und Fluggesellschaften machte. Das erwähne ich um zu sagen, dass dieses Paar immer so aussah, als ob es gerade aus einem Sommerurlaub zurückgekommen wäre, die Koffer voller zollfreier Kosmetik. Bei dieser Hochzeit hatte ich einen sehr aufmerksamen Tischherrn. Er rückte mir den Stuhl zurecht, betrieb Konversation und schenkte Wein ein, viel zu viel Wein. Er war dunkelhäutig, er sah aus wie ein Zigeuner aus einem Kinderbuch von damals, als man noch problemlos Zigeuner sagen durfte und Zigeuner mit etwas exotischem, einzigartigem und echtem verbunden waren. Er sah aus wie ein Mann, der auf die Idee kommen könnte meine Hand zu nehmen und mich zu überreden durchzubrennen und zusammen mit ihm in einem Zirkuswagen zu wohnen.
Es wurden Reden gehalten. Nach dem Hauptgericht hatten drei der Freundinnen der Braut eine Power Point-Präsentation mit Fotos ihrer gemeinsamen Jugendurlaube zusammengestellt. Es waren fröhliche, blonde Teenager mit Drinks, im Bikini, hinten auf Mofas, am Strand, im Liegestuhl, in Hotelbetten. Die Vorhänge im Gesellschaftsraum waren zugezogen, damit wir die Bilder sehen konnten, und die Luft war warm und stand. Die Tische standen ein wenig zu dicht, die Akustik war schlecht, die kichernden Stimmen der Freundinnen undeutlich. Ich wurde dösig. Meine Lider waren schwer, mein Körper warm und schwer. Mein Tischherr rückte seinen Stuhl ein bisschen näher an meinen und ließ die Rückseite seines Zeigefingers langsam die nackte Haut auf meinem Unterarm hinuntergleiten. Ich legte die steife, weiße Stoffserviette über meine Oberschenkel, so dass sie auch einen Teil seines Schoßes bedeckte. Meine Hand kroch unter die Serviette. Ich kratze mit einem Nagel an dem warmen, strammen Stoff der Hose, dort, wo sie seinen Schritt bedeckte. Vor und zurück bewegte ich den Nagel, als ob ich ganz vorsichtig einen Fleck wegkratzte. Die Reibung des Stoffes gegen meinen Finger kitzelte und summte. Mein Mund war gesättigt von dem Rotwein, den ich getrunken hatte. Der schwere Klang meines eigenen Atems füllte meine Ohren. Die drei redenden Freundinnen und alle Hochzeitsgäste verschwanden. Die Braut verschwand, der Bräutigam verschwand, Rune verschwand. Mein Tischherr schob seine Hand runter zu meiner und öffnete ganz still und langsam seine Hose. Er flüsterte etwas, das ich nicht hören konnte, und meine Hand kroch unter die Stoffserviette. Ich konnte spüren, dass er steif und warm und seine Haut glatt wie Seide war. Vor meinem inneren Auge sah ich etwas Solides und Dunkles, das danach strebte, von dem Stoff befreit zu werden, der es unten hielt. Es gab nicht besonders viel Platz um meine Hand zu bewegen, daher streichelte ich ihn leicht mit drei Fingern, während ich mein Gesicht auf die Redner gerichtet hielt. Ich wurde davon erregt, ihn zu erregen, es pochte in meinem Schoss, mein Atem ging schneller und meine Lippen öffneten sich. Aber dann flüsterte mir mein Tischherr etwas zu und sein Atem war heiß an meinem Ohr:
„Willst du ficken?“ Seine Worte waren ein Ausweg. Meine Hand hielt inne. Wenn er auf eine andere Art gefragt hätte, wenn er vorgeschlagen hätte, dass wir zusammen auf Toilette gingen, dann hätte er eine Tür geöffnet. Stattdessen hatte er sie geschlossen. Ich ärgerte mich und war gleichzeitig erleichtert. Als die Reden und das Dessert überstanden waren, fand ich Rune. Wir waren beide voll, ich mehr als er. Ich zog ihn nach draußen auf Toilette, zog meine Unterhose aus und spürte kalte Luft an meiner Muschi. Es war eine der Toiletten, bei der das Waschbecken mit in der Kabine ist. Er schloss die Tür, beugte sich über das Waschbecken und presste seine Hand gegen meinen Scheitel, so dass ich in die Knie ging. Er öffnete die Hose und zog meinen Kopf zu seinem Schritt. Mir gefällt es, Männern einen zu blasen. Der Geschmack ist salzig mit einer organischen Note, die von Mann zu Mann verschieden ist. Rune schmeckt ein bisschen nach Wald, seine Schamhaare sind wildwüchsig und dicht und gekräuselt. Er streichelte meinen Hinterkopf und fuhr mit den Händen durch meine Haare, und bevor er kam, zog er mich hoch und drehte mich um, so dass er mich von hinten nehmen konnte. Ich konnte mich selbst mit ihm im Spiegel hinter mir sehen, als er in mich eindrang mit einer Bewegung, die uns beide ein Hohlkreuz machen ließ. Das Spiegelbild von ihm und mir, mit roten Wangen, halboffenen Mündern und zerzausten Haaren machte mich heiß. Ich schob den Arsch nach hinten, um so viel wie möglich von ihm zu spüren.
Wir kamen beide. Ich knüllte meine Unterhose zusammen, schmiss sie in den Papierkorb und ging hinaus zu der Feier mit von Sperma klebendem Schamhaar, und die Luft war kalt an meinen nassen Schenkeln.
Zwei Jahre nachdem ich mit der Ausbildung fertig war, kauften Rune ich die Wohnung, in der wir immer noch wohnen, und dann begannen wir, über Kinder zu reden. Aber bevor wir es zu Kindern brachten, reisten wir zusammen mit Freunden, Peter und Karin, nach Thailand. Wir wollten ein paar Tage in Bangkok bleiben und dann zu einigen Inseln rausfahren und dort ein bisschen schnorcheln gehen und am Strand liegen. Die feuchte Wärme und der Jetlag drangen in meinen Körper ein, machten mich benommen und seltsam manisch. Ich konnte nicht genug von den bunten Lichtern der Nacht bekommen, von dem Geruch gebratenen Fleisches, Staub und Benzin, dem Menschengewimmel und eiskaltem Bier, winzig kleinen Frühlingsrollen und dem Geschmack von Chili, der so stark war, dass mir Tränen in die Augen stiegen.
In einer Bar in der Gegend, in der alle Rucksacktouristen zusammenströmen, erfanden Rune und Peter einen Drink gemixt aus Mekong Whiskey, Mineralwasser, Limettensaft und Zucker. Rune und Peter waren stolz auf ihren Cocktail, sie mixten Drinks, schenkten Karin und mir ein, servierten anderen Bargästen Drinks, kauften eine weitere Flasche Mekong Whisky und noch mehr Mineralwasser. Karin lächelte still, sie war eine ruhige Person mit langsamen Bewegungen. In meinem Whiskyrausch fand ich alles an ihr hübsch. Ihre Stupsnase, ihren leichten, säuerlichen Schweißgeruch, ihre grauen Augen. Ihre Haut, die in dem Licht der bunten Lichterketten über der Bar feucht schimmerte. Mein Gesicht näherte sich ihrem, ich beugte den Nacken und leckte den Schweiß von ihrem Schlüsselbein. Sie schmeckte verblüffend gut, süßer als Rune. Ich biss leicht in ihren Hals und zog sie an mich. Das Gefühl eines anderen Frauenkörpers war merkwürdig. Sie war größer und weicher und plumper anzufassen, als ich mir vorgestellt hatte. Wenn Rune zu berühren war wie einen Greyhound anzufassen, war Karin wie ein Golden Retriever.
Oben in unserem Hotelzimmer ging Peter auf Toilette und Karin und ich legten uns aufs Bett und küssten uns weiter. Rune legte sich neben uns, aber am Anfang berührte er uns nicht. Er guckte zu, während er sich selbst anfasste. Ich lag auf den Knien zwischen Karins Beinen, ich hatte ihre Schenkel mit meinen Händen gespreizt und war dabei sie zu lecken. Ihre Schamhaare waren dicht und feucht und ich vergrub mein Gesicht in diesem sicheren Gebüsch. Aber es gab nichts Festes und Greifbares wie bei einem Mann und das fehlte mir. Vorsichtig grub ich die Zähne in ihre Schenkel und knabberte an dem Fleisch. Das mochte sie sehr, sie seufzte und ich spürte ihre Hand, die nach unten zwischen ihre eigenen Beine wanderte. Während ich sie auseinander drückte und die weiche Haut auf der Innenseite ihrer Schenkel biss und küsste, berührte sie ihre eigene Muschi. Hinter mir spürte ich Rune, der meine Hüften umfasst hatte, mein Kreuz nach unten gegen das Bett drückte und in mich eindrang. Er bumste mich von hinten und kam schnell mit einem Brüllen, das beinah wütend klang. Karins Körper zitterte und bebte, sie griff nach mir und zog mich zu sich hoch. Wir küssten uns und sie berührte mich zwischen den Beinen, während Peter ihr übers Haar strich und Rune meinen Hintern liebkoste.
So verbrachten wir den Großteil der Nacht. Es war lustig und verrückt. Und das Beste war, dass Rune dabei war. Ein kleines Siegesgefühl tauchte auf: Rune hatte gezeigt, dass auch in ihm eine Bombe steckte. Das machte mich glücklich.
Meinen ersten Orgasmus hatte ich mit zwölf. Oder vielleicht dreizehn. Ich hatte das Buch ‚Frau, kenn deinen Körper‘ von meiner Mutter bekommen, die sich in einer Mischung aus forcierter Freizügigkeit und persönlicher Schamhaftigkeit wünschte, dass ich mit meinem Körper vertraut sein sollte, aber die Aufgabe, mir etwas über Sexualität oder Gefühle zu erzählen, nicht selbst bewältigen konnte.
‚Frau, kenn deinen Körper‘ ist nicht gerade eine erotische Bibel, aber darin steht etwas über Sex, darüber, was ein Körper kann und was nicht, und das Buch inspirierte mich dazu, mich zum ersten Mal selbst zu befriedigen. Ich lag in der Badewanne, die Brause in der einen Hand, die andere damit beschäftigt, mich anzufassen. Das war eine Offenbarung, ich war völlig unvorbereitet auf die Schockwellen, die der Orgasmus durch meinen Körper jagte. Nach diesem Erlebnis war Sex in meinem Bewusstsein stets präsent.
Ich verbrachte lange, faule Teenage-Sommer in meinem Bett, mit einem Roman in einer Hand, die andere in meinem Schritt vergraben. Ich wurde von allem geil. Davon, mich selbst anzufassen, zu lesen, die angedeuteten Küsse in Jugend-TV-Serien, Liebespaare auf der Straße. Ich blieb nachts auf und schaute Leichtathletik im Fernsehen, weil ich die Bilder pumpender Schenkel und muskulöser, verschwitzter Rücken nicht abstellen konnte.
Ich hatte entdeckt, dass ich auf Sex stehe. Und auf Männer. Ich begehre alle Männer, und meine Begierde verwandelt die Männer, die ich sehe. Verschönert sie. Meine Begierde erschafft ein Kraftfeld, dem nur wenige entkommen können. Gewöhnliche Männer werden hübscher, stärker, attraktiver, lebendiger. Die älteren werden jünger, die jüngeren reifer, alle Details verschwimmen und sie werden in reine Männer verwandelt.
Ich stehe auf die Männer um mich herum, Bilder von Männern, fantasiere über Männer. Ich stehe auf ihre Ärsche, ihren Duft nach Leder und salzigem Schweiß und Körper. Ich stehe auf die Haare auf ihren Unterarmen und die nackte Haut auf der Innenseite des Handgelenks. Ich stehe auf starke Waden und auch auf große, gerade Füße, die fest auf der Erde stehen. Auf Schultern und Unterarme.
Ich stehe auf Hüften, besonders auf das Stückchen Haut zwischen dem Beckenknochen und der Bauchhaut, wo die Muskeln vom Schritt bis zur Hüfte ein V bilden. Dieses Stück Haut fällt mir bei einem Mann ins Auge. Am Strand und auf der Straße im Sommer, wenn die jungen Männer ohne T-Shirt herumlaufen. Am Islandskai, wo ich am Wasser sitze, während meine Jungs baden, starre ich Teenager auf Skateboards an und ihre flachen Bäuche, wo die sichtbaren Muskeln sich unter der Haut abzeichnen und in ihren Shorts verschwinden.
Es sind nicht nur die jungen und schlanken Männer, von denen ich scharf werde. Der Anblick eines kräftigen Mannes mit guten Händen kann Stöße direkt in mein Zwerchfell schicken. Ich liebe einen Bauch mit einer Rundung, die von Genuss und gutem Essen zeugt. Ein solider Brustkorb und starke Arme und Oberschenkel machen einen Mann unerschütterlich anzusehen und die Schwere in diesen Männern macht mir Lust die Augen zu schließen und mein Gesicht in ihrem Brusthaar zu vergraben. Die Welt ist eine lange Vorführung von Männerkörpern, und ich bin in allen Details auf dem Laufenden.
Magnus und ich spielen ein Spiel, wenn wir arbeiten. Wir wissen die ganze Zeit, wo der andere ist. Wenn er an der Rezeption mit dem Rücken zu mir steht und mit ein paar anderen aus seiner Abteilung redet, dreht er den Kopf ein bisschen und ich weiß, dass er mich aus den Augenwinkeln gesehen hat, aber er dreht sich nicht um und er grüßt nicht. Wenn ich auf dem Weg zu einem Mittwochsmeeting mit meiner Abteilung an ihm vorbeigehe, nicke ich und setze meine Unterhaltung mit meinem Praktikanten fort, als ob es sehr wichtig wäre, obwohl wir nur über die Vorteile verschiedener Espressomaschinen sprechen.
Er will gerne ein dominierender Mann sein. Er ist derjenige, der die Initiative ergreift. Er, der bei Präsentationen nach dem Stift greift und Diagramme an die Tafel zeichnet. Er entscheidet, ob über einen Witz gelacht wird oder nicht. Er, der nicht im Traum daran denken würde, einem Kollegen eine Tasse Kaffee aus der Kantine mitzubringen. Er, der andere ein Taxi rufen lässt, wenn er für ein Meeting außer Haus muss.
Ein Teil des Spiels läuft darauf hinaus zu zeigen, dass wir uns über Arbeit, Projekte und andere Mitarbeiter unterhalten können. Das ist bloß nicht das, was ich will. Ich will mit ihm alleine sein, seine Lippen fressen, ihn küssen, meine Hand zwischen seine Hemdknöpfe stecken. Aber ich muss warten. Magnus ist damit dran, ein Zeichen zu geben. Er streicht mir mit einem Zeigefinger über den Nacken, wenn ich auf den Aufzug warte, aber lässt mich alleine in den Aufzug gehen. Ich weiß, dass das Zeichen wohl kommen wird. Aber ich muss geduldig sein. Ich habe angefangen. Ich habe ihm den Ball zugespielt, als ich ihm die Champagnerflasche zu halten gab. Jetzt ist er dran.
Nach ein paar Wochen bekomme ich ein Zeichen. Während ich mit den Jungs Hausaufgaben mache, schickt Magnus mir eine SMS mit einem Nacktfoto von sich. Oder, um genau zu sein, ist es ein Foto vom Brustkorb abwärts bis zur Mitte der Oberschenkel. Er ist hübsch mit einem dunklen Pfad aus Haaren vom Nabel runter bis zum Schritt, ein gerader und halbsteifer Penis und gestutzte, aber sichtbare Schamhaare. Die Begierde durchströmt mich.
Am Tag darauf sitzen wir in einer Besprechung über nordische Verkaufsstrategien, es ist Spätnachmittag. Niemand sagt besonders viel, hauptsächlich wird mit Papieren geraschelt und an Handys herumgefummelt. Dann erwähnt Magnus ein kommendes Seminar über die digitalen Lösungen der Zukunft und schlägt vor, dass er und ich teilnehmen. Er sagt das mit der gleichen Stimme, die er benutzt hätte um zu sagen, dass kein Kaffee mehr in der Thermoskanne sei. „Super“, sage ich und checke demonstrativ meinen Kalender. Dann ist es abgemacht. Ich spüre meinen Puls, meine Wangen erröten. Ich weiß, was passieren wird. Es ist genau das gleiche Gefühl, wie wenn man im Tivoli in einem Achterbahnwagen sitzt und langsam die Schienen bis zum höchsten Punkt hochkriecht. Nach und nach wird es unheimlich spannend und man kann nichts tun, um es zu verhindern, obwohl man sowohl voller Lust als auch voller Schaudern ist. Und auch wenn man diese Achterbahn schon viele Male ausprobiert hat, kribbelt es immer noch im Bauch.
Aber nun müssen wir zu dem Seminar, Magnus und ich. Es ist ein Vormittag, es findet in einem Konferenzraum mit Croissants, Kaffee und Obst statt. Wir bekommen Namensschilder und Mappen mit der Teilnehmerliste und dem Programm ausgehändigt. Das Ganze ist sehr ernst, und ich habe das sichere Gefühl, dass ich bald als Schwindlerin enttarnt werde, die die Bedeutung der digitalen Zukunft für kleine und mittelständische Unternehmen nicht ernst nimmt.
Er spielt den Mann von Welt, ich spiele die Unschuld vom Lande, und das Seminar ist eine perfekte Inszenierung: Es ist anonym und hat eine Kulisse aus anderen Erwachsenen. Magnus hängt meinen Mantel an die Garderobe, hält mich unter dem Ellbogen und führt mich zu den beiden Plätzen, die er für uns ausgesucht hat.
Wir hören etwas über digitale Vertriebswege und die Lösungen des öffentlichen Sektors und den Servicebedarf. Währenddessen fahre ich mit dem Nagel meines kleinen Fingers den Saum seiner Hose hin und her. Wir sitzen beide unruhig. Danach stehe ich auf und gleite wortlos hinaus zur Garderobe. Er folgt mir, hilft mir in den Mantel und geleitet mich auf die Straße. Er schlägt ein Taxi vor, ich sage ja. Wir fahren in Richtung Flughafen, folgen dem Weg nach Osten und landen in einem Villenviertel bei Kastrup. Er hat Schlüssel für die Haustür, zerrt mich mit nach drinnen. Eine Backsteinvilla in Kastrup passt überhaupt nicht in mein Spiel und ich frage, wo seine Familie ist. „In Jütland, bei ihren Eltern.“ Er führt mich ins Schlafzimmer. Das Spiel geht weiter, er hält mein Kinn und hebt mein Gesicht zu seinem hoch, um mich zu küssen. Dann knöpft er meine Bluse auf, schubst mich aufs Bett und zieht meine Hose aus.
Der Fick ist nicht schlecht, nicht fantastisch, aber gut auf eine völlig gewöhnliche Art. Er benutzt eins von den Kondomen, die er in der Nachttischschublade bereit liegen hatte. Ich will nicht wissen, ob die da liegen, weil er sie mit seiner Frau benutzt. Mein Körper ist erhitzt, aber auf eine mechanische Art, ich bin mit den Gedanken woanders. Ich bemerke einen Fussel in der Ecke und lasse die Lider sinken.
Ich komme nicht zum Orgasmus. Er wird fertig, zieht sich weg und rollt selbst das Kondom ab. Wir liegen beide auf dem Bauch, ohne uns anzusehen. Ich weiß nicht, wie spät es ist und spüre, dass ich es eilig habe. Aber er streichelt meinen Rücken und meine Lenden und ich werde zurück in den Raum gezogen, in dem ich bin. Ich werde wieder scharf. Er küsst meine Lenden, meine Pobacken und meine Schenkel, dreht mich um und leckt mich. Er liegt zwischen meinen Beinen, hält meine Knie fest, drückt meine Schenkel auseinander und guckt aus meinem Schoß auf. Ich winde mich ein wenig unter seinem Blick, er lacht und schaut wieder runter und dann hoch in mein Gesicht. In seinen Augen ist es eine Herausforderung. Aber ich weigere mich, seinem Blick zu begegnen und drehe mich auf alle Viere. „Leck mich wieder, so rum“, sage ich. Das tut er. Er senkt den Kopf, spreizt meine Pobacken mit seinen Händen und leckt mich von hinten. Ich komme, geräuschvoll, und sabbere auf das Kopfkissen seiner Frau.
Ich kann am Licht sehen, dass Spätnachmittag ist, als er anbietet mich nach Hause zu fahren. Wir sitzen still nebeneinander im Auto auf dem Weg in Richtung Stadt. Jedes Mal, wenn er schalten muss, streift seine Hand meinen Schritt, nicht auf eine erotische Art, eher freundlich. Als ob man einem Hund leicht den Kopf tätscheln würde. Auf einer langen, langweiligen Straße mit einer Reihe von Autowerkstätten werden wir von der Polizei rausgewinkt.
Das eine Rücklicht des Autos leuchtet nicht und Magnus muss aussteigen und mit der Polizei sprechen. Ich denke daran, dass Rune und die Jungs nicht wissen, wo ich bin oder wann ich heim komme. Ich lasse Magnus stehen und nehme die Metro nach Hause.
In den folgenden Tagen bin ich unruhig. Der Fick mit Magnus hat mir etwas bedeutet. Zu viel. Ich habe einen Mann getroffen, der mir gefährlich werden kann. Ein Mann, der mehr als Sex bedeutet.
Ich weiß nicht genau, warum ausgerechnet er gefährlich ist. Warum er es ist, der aus dem Spiel gefallen und zu einer wirklichen Person geworden ist, die mich beeinflusst. Er ist nicht hübscher, klüger oder besser im Bett als so viele andere. Es waren einige Küsse und seine Berührung, die das bewirkt haben. Früher war ich sicher, dass es leichter wäre eine Affäre mit einem verheirateten Mann zu haben, weil es so vieles gibt, das eine Beziehung verhindert. Beide Parteien halten automatisch ihre Gefühle zurück. Jetzt ist die Herausforderung, dass ich dabei bin mich zu verlieben, obwohl ich versucht habe, das nicht zu tun. Aber für mich gibt es keinen Weg zurück, jedes Mal, wenn ich spüren kann, dass ein Mann mich nicht 100% haben will. Ich wünschte, es wäre genug für mich, Sex mit Magnus zu haben, aber jetzt bin ich verunsichert. Jetzt liegt die Wahl bei ihm. Wenn wir uns bei der Arbeit treffen, versteift sich mein Lächeln zu einer Grimasse mit einem Hauch von Verzweiflung in den Mundwinkeln. Ich verachte mich selbst dafür, weil ich weiß, das Verzweiflung stinkt und schlecht riecht, und verzweifelt wünsche ich mir, nicht abserviert zu werden. Aber ich spüre, dass Magnus eines Tages damit aufhören wird mich zu begehren, ausschließlich, weil seine Begierde nicht genug für mich ist.
Ich habe erzählt, dass ich auf Männer scharf bin, viele Männer. Und auf Frauen. Ich stehe auf ihre Weichheit, ihre Glätte und ihre freigiebigen Körper. Ich stehe auch auf mich selbst. Ich stehe auf meine Hüften, wenn ich auf dem Rücken liege und sie mit der Hand streife. Ich liebe es, wie die Haut die Hüftknochen umspannt und zwischen den Hüften ist die Weichheit des Bauches. Ich liebe das Gefühl meiner eigenen Haut unter meinen Fingerspitzen. Meine Haut ist glatt wie eine neue, teure Ledertasche oder eine Nektarine in einer Obstschale und warm, als ob die Nektarine in der Sonne gelegen hätte. Wenn ich an meinen Körper denke, denke ich an Obst. Meine Brustwarzen sind wie Himbeeren, die Farbe meiner Muschi ist wie eine rote Johannisbeere, der Flaum auf meinen Oberarmen ist wie der Flaum eines Pfirsichs. Ich liebe meine Oberarme mit den deutlichen Muskeln, ich liebe meine starken Oberschenkel und schmalen Füße, und wenn ich meine runden Brüste mit diesen festen Beeren, die meine Brustwarzen sind, berühre, spüre ich, wie es einen kleinen Stoß zwischen meinen Beinen gibt.
Ich liebe meinen eigenen Geruch, ich sauge ihn ein, und er wärmt mich und schickt die Hitze nach unten in meinen Schoß. Wenn ich auf Toilette sitze, beuge ich schnell den Kopf, um meinen eigenen salzigen Meeresduft einzuatmen. Der Duft hat ein bisschen Erde und Stein in sich, ist ein bisschen mineralisch und kühl. Aber der Duft ist meist warm wie ein Heuboden oder ein Ofen, in dem gerade jemand Brot gebacken hat. Mein Duft riecht auch wie Obst im Sommer, eine Schale Erdbeeren mit der Schärfe von schwarzen Johannisbeeren oder Himbeeren, die durch die Süße schneidet.
Ich liebe es, an meinen eigenen Unterhosen zu schnuppern. Wenn ich mich berührt habe, rieche ich an meinen Fingern. Obwohl ich es hasse, wenn Männer das gleiche tun. Wenn Männer das machen, nachdem sie die Muschi einer Frau angefasst haben und danach vorgetäuscht diskret an ihren eigenen Fingern schnuppern, dann hat das etwas Angeberisches. Sie prahlen damit bei anderen Männern in einem Code, von dem sie so tun, als ob niemand ihn knacken könnte, den aber alle verstehen. Und ich bin niemandes Trophäe.
Um meine schleichende Abhängigkeit von Magnus abzuschütteln, bumse ich mit einem alten Freund. Ein ehemaliger Kollege, mit dem ich mich nach einer Abendsitzung in der Stadt verabrede.
Wir fahren zu einem Strand nördlich von Kopenhagen und finden eine Kuhle zwischen den Dünen, wo wir uns in den Sand legen. Wir haben nichts außer unserer Kleidung dabei und benutzen mein Umhängetuch als Unterlage. Danach muss ich unzählige Strandhafersamen aus dem Stoff zupfen. Ich mache mir Sorgen, dass die Stelle nicht abgelegen genug ist. Die graue Himmelsdecke liegt über unseren Köpfen und die stille Abendluft ist zähflüssig.
Wir ficken. Es ist ein guter, wiedererkennbarer Fick, genau wie ein Marsriegel jedes Mal gleich gut schmeckt. Aber als erotisches Reset wirkt der Fick nicht. Ich will Magnus immer noch.
In der darauffolgenden Woche bin ich bei einem Polterabend und lande in der Fischbar. Ich bin rastlos, rufe einen früheren Liebhaber an und überrede ihn vorbeizuschauen. Er kommt aus Spanien, ein schnellredender, aufgeschlossener Charmeur, aber zwischen uns ist nichts Sexuelles mehr. Wir treffen uns als Freunde und er kommt mit einer meiner Freundinnen ins Gespräch. Ich bin immer noch rastlos. Die anderen Frauen aus meiner Gesellschaft sind in einem albernen Kreis um die zukünftige Braut geschart und mein alter Freund unterhält sich mit einer anderen, also gehe ich in die Bar und treffe einen alten Bekannten, der gemeinsam mit einer Gruppe Männer von 40-45 Jahren bei einer Firmenfeier ist. Schön und schick. Ich ziehe das Interesse von zweien davon auf mich. Der eine ist ziemlich scharf, der andere anziehend, ohne klassisch hübsch zu sein. Ich glaube, sie verstehen mein Wesen ziemlich schnell. Der Scharfe hätte gern, dass ich mich für seinen Freund interessiere, aber das will ich nicht. Ich surfe auf unserem Gespräch, wir tauschen Wahrheiten und Erkenntnisse über ihre Ehefrauen und meinen Mann aus, wir strahlen und sind scharf und glatt und ehrlich auf einmal. Dann gehen wir weiter in die Homobar und nehmen noch einen Drink. Der weniger Hübsche wird sauer auf mich, ich weiß eigentlich gar nicht wieso. Vielleicht weil ich ihn nicht will. Aber der Scharfe ist nett und wir tanzen. Um vier muss ich heim. Dann folgen sie mir nach draußen und ich knutsche mit dem Scharfen. Ein schöner Kuss. Nicht mehr. Und ich bin immer noch rastlos.
Bei dem Geburtstag einer Freundin bin ich wieder mit Karin zusammen. Sie steht am Getränketisch und lächelt still. Ich habe sie seit der Thailandreise nicht mehr gesehen, aber ich erinnere mich, dass sie eine ruhige Person mit einem warmen Lächeln und einem weichen Körper ist. Ich ziehe sie raus auf die Toilette und wir küssen uns langsam, als ob wir unter Wasser wären. Sie wohnt mittlerweile allein, sie ist bei Peter ausgezogen, und wir gehen zu ihr nach Hause und verbringen die Nacht unter einer Decke, die nach Milch und geröstetem Brot duftet.
So versuche ich weiterhin, von Magnus weg zu kommen. Rune ist ganz hinten in meinem Hinterkopf versteckt. Ich mache weiter. Ich gehe mit einigen Kunden und Kollegen Abendessen. Wir waren bei einer Verkaufsmesse, keine große Aufgabe für mich, weil wir keinen Stand haben. In der Branche ist es einfach wichtig, da zu sein. Danach essen meine Chefin und ich mit einigen alten Kunden zu Abend. Wir essen bei Nam Nam in der Vesterbrostraße. Insgesamt sind wir zu acht oder neunt. Alles Männer, außer meiner Chefin und mir. In dem Raum ist es warm, meine Wangen werden rot und mein Körper vibriert.
Wir sitzen ganz hinten im Restaurant, wo der Raum wie eine dunkle Höhle mit roten Stühlen und dunklen Holztischen ist. Alles ist blank und lackiert, und meine Oberschenkel kleben an den glatten Sitzbezügen. Meine Finger sind glitschig und glänzen von dem Öl der Roti-Brote, die wir teilen. Der Mann gegenüber von mir fängt meinen Blick. Jetzt gibt es folgende Möglichkeiten: Ich kann mich entscheiden, meine Finger an der Serviette abzuwischen, mich zu entschuldigen, auf die Toilette gehen und nach fünf Minuten mit sauberen Fingern und frischem Lippenstift zurückkommen. Oder ich kann es lassen. Aber ich weiß, dass er mich will. In meinem Kopf bin ich eine Rakete, die über dem Himmel davon rast. Ich bin ein flammender Stern, eine Supernova, ein Kraftfeld, das alles festlich erleuchten und alles verschlingen kann. Ich bin unüberwindbar. Dann nehme ich das letzte Stückchen Brot, halte es in meiner Hand, halte es dem Mann gegenüber von mir hin und frage: „Wollen wir teilen?“
Nach dem Abendessen will meine Chefin heim. Sie hat bereits ihren Mantel an, legt eine Hand auf meine Schulter und sagt „Komm gut nach Hause, wir sehen uns morgen“, bevor sie geht. Einige der anderen gehen ebenfalls und wir sind nur noch zu viert. Vom Nam Nam ist es nur eine sehr kurze Taxifahrt bis zu den Bars des Meatpacking Districts. So kurz, dass der Taxifahrer sauer wird. In der Bar ist massig Platz und einer der anderen bestellt Wein. Wir reden über nichts Wichtiges, die Stimmung flaut ab und die Funken in meinem Kopf verblassen. Die beiden unterhalten sich eifrig, irgendwas über Laufuhren, und sind nicht im geringsten an mir interessiert. Aber der, der mir gegenüber saß, schaut mich unter seinen Lidern an. Wir stehen nebeneinander, zwischen uns ist nicht viel Abstand. Er hat die Grenze überschritten, wo man glauben könnte, dass es zufällig wäre. Sein Handrücken streift meinen, ich kann spüren, wie die kleinen Härchen auf meiner Haut kitzeln. Ich bin ungeduldig geworden. Ich will weiter. Der Wein verschwindet in meinem Hals. Die beiden, die über Laufuhren geredet haben, verabschieden sich und verschwinden, so dass ich mit dem Letzten allein bin. Es ist ungefähr ein Uhr. Es ist kühl, aber windstill, und die Luft riecht süßlich nach Frühling, überhaupt nicht nach Stadt oder Autos. Ich schlage vor, dass wir in Richtung Hafen gehen. Ich bin mir sicher, wir können einen Drink im Mariott Hotel bekommen. Das Fest darf nicht aufhören. Wir verlassen den Meatpacking District durch die Skelbækstraße. Er hat eine halbleere Flasche Weißwein in der Hand. Ich habe überhaupt nicht gesehen, dass er sie mitgenommen hat und greife danach. Er zieht seine Hand weg, so dass ich nicht drankomme. Wir gehen über die Straße, über die Dybbølsbrücke in Richtung Kalvebodkai. Ich habe es jetzt eilig, aber auf der Brücke stoppt er mich, indem er an meiner Hand zieht. Er presst mich gegen das Geländer und untersucht meinen Körper mit der freien Hand. Er küsst mich, aber es ist seine Hand, die gierig ist, nicht sein Mund. Ich spüre wie das Geländer gegen mein Kreuz drückt und denke darüber nach, ob ich jeden Moment rückwärts auf die Zugschienen herunterfalle. Aber der Gedanke ist gleichgültig. Seine Küsse und Berührungen lassen mich gleichgültig werden.
Dann zieht er mich weiter über die Brücke und die Treppe hinunter in Richtung Wasser. „Wir sollten ins Mariott“, wiederhole ich, aber er zieht mich weiter über die nächste kleine Brücke, ein bisschen weiter und nach links. Wir landen auf einem Holzsteg bei einem hohen Gebäude aus schwarzem Metall und Glas, das isoliert am Wasser liegt. Ich lege mich hin, ziehe ihn über mich und wir haben Sex, wie man ihn halt hat, wenn man betrunken ist und Klamotten anhat und draußen ist.
Ich bin mit ihm fertig, setze mich auf und rücke meine Kleidung zurecht. Er bleibt liegen und guckt mich an, aber ich sehe ihn nicht an. Ich stemme mich von den Brettern hoch und sehe aus den Augenwinkeln, dass er sich nach mir streckt. Ich mache mich auf den Weg zurück zur Straße. Am Ende laufe ich fast den ganzen Weg bis zum Hauptbahnhof, bis ich ein Taxi finde. Ich bin weit betrunkener als ich dachte und als ich meinen Beleg unterschreiben soll, fällt mir der Kugelschreiber runter. Ich krame danach, bis der Taxifahrer „Bitte“ zischt und mir einen neuen reicht. Beim Anblick des wulstigen Nackens des Taxifahrers überkommt mich eine neue Woge der Übelkeit. Ich bin so müde, so müde. Ich klettre die Treppe hoch, aber ich kriege den Schlüssel nicht ins Schloss. Ich klingle, denn Rune muss ja zusammen mit den Kindern zu Hause sein. Nach einer Weile wird die Tür geöffnet und unser Nachbar von oben steht vor mir in Unterhose und T-Shirt. Ich kann nur seine Beine sehen, weil ich zu müde bin, um den Kopf zu heben, und ich bin zu müde, um eine Erklärung zu finden. Stattdessen sage ich bloß: „Können Sie mir meine Tür aufschließen?“
Ich habe immer noch meinen Schlüssel in der Hand, und der Nachbar von oben folgt mir die Treppe runter und öffnet mir meine eigene Wohnungstür. Ich schaffe es nicht, die Kleidung auszuziehen oder ins Bett zu gehen, sondern lege mich in voller Montur auf das Sofa im Wohnzimmer.
Am nächsten Morgen kommen Silas und Martin ins Wohnzimmer und wecken mich. Sie wirken nicht sonderlich überrascht darüber, mich dort auf dem Sofa zu finden. Sie haben ihre Decken aus ihrem Zimmer mitgenommen, krabbeln hoch zu mir und schalten den Fernseher an. Ich krame in der Jackentasche nach meinem Handy und sehe, dass es erst 6:30 Uhr ist und dass eine SMS von dem Mann von gestern Nacht gekommen ist. Es ist genug Zeit für ein Bad und um die Kinder in die Schule zu schicken. Dann kommt Rune rein. Er guckt mich an, sagt nur „Du brauchst bestimmt einen Kaffee“, bevor er in die Küche geht. Sonst sagen wir nichts zueinander. Ich hieve mich vom Sofa und gehe ins Bad. Aber ich lösche die SMS nicht. Ich klinge wie das schlimmste, gefühlskälteste Weib, ich weiß. Ich habe eine Menge destruktiver Dinge getan, die andere verletzen würden, wenn sie es wüssten.
Ich wünschte, ich könnte es besser machen. Dass ich meine Gelüste abstellen könnte. Aber es ist nicht der Abend, an dem ich die Haustür nicht aufbekomme, der mich so denken lässt. Auch nicht Magnus. Es ist Rune. Rune, der nicht mehr will. Rune, von dem ich glaubte, dass er froh über seinen Job und sein Zusammensein mit mir und den Jungs und unser sporadisches, aber existentes Sexleben wäre. Ich dachte, er würde sich über die erotischen Abenteuer freuen, die er, wie ich mir vorstellte, hatte. Aber er sagt: Dass er sich in der Beziehung nicht länger spüren kann. Dass er und ich uns auseinandergelebt haben. Dass er sich nicht als guter Vater für die Jungs fühlt. Dass die Arbeit ihn nicht zufrieden stellt. Und dass er sich in Florida beworben hat. Und in Amsterdam.
Er sagt nichts über mein Verhalten. Aber er sagt, dass er sich in unserer Paar-Beziehung nicht selbst finden kann. Er fühlt, er ist unsichtbar geworden, dass seine Bedürfnisse weniger wichtig seien als meine und die der Jungen. Dass ich ihn allein am Wegesrand habe sitzen lassen. Er will gerne weiter, einen besseren Job haben, in ein Haus ziehen, mehr Ruhe reinbringen. Vielleicht einen Nachzügler bekommen.
All das erzählt er an einem regennassen und kalten Abend, an dem ich glaubte, er und ich würden eine Folge einer Fernsehserie zusammen sehen und danach, je nach Stimmung, etwas Sex haben.
Es tut weh, aber es ist so banal. „Männer in der Krise“, sage ich höhnisch, wenn jemand in unserem Freundeskreis plötzlich eine junge Geliebte hat oder anfängt, Ultralauf zu betreiben oder sich sehr für Wein interessiert oder was es auch sein kann. Ich wünschte, Rune würde aus der Krise kommen. Wünschte, er würde wieder zusammen mit mir Dinge in Stücke sprengen. Weil ich weiß, dass das das Einzige ist, wozu ich etwas tauge. Deswegen kann ich nicht aufhören. Ich kann Rune nicht helfen. Ich muss weitermachen, um mich lebendig zu fühlen. Der Alltag mit seinen Banalitäten und nun auch seinen banalen Krisen kann mein Interesse nicht besonders lange fesseln.
Ohne diese gefährliche, erwartungsvolle Stimmung, in die ich kurz vor einer Verführung komme, kann ich nicht existieren. Ich kann mir ein Dasein ohne diese Ekstase, die ich nur zusammen mit einem neuen Liebhaber erlebe, nicht vorstellen. Ich kann nicht leben, wenn ich nur eine endlose Aneinanderreihung gleicher Tage zu erwarten habe. Nicht mal, wenn ich Runes Zweifel damit wegwischen könnte, indem ich akzeptiere, dass der Lebenszyklus meistens aus Wiederholung besteht. Deswegen sage ich nichts zu Rune. Ich weiß, ich könnte Worte finden, die ihn aufhalten würden. Aber ich könnte sie nicht sagen, ohne zu lügen.
Daher ist Rune nun dabei, einen Koffer zu packen, um zu einer Konferenz zu fahren und er sagt, er zieht bei einem Kumpel ein, wenn er zurück in die Stadt kommt. Ich sitze auf dem Bett, gucke ihn an, lese eine SMS von Magnus und denke darüber nach, was ich den Jungs sagen soll. Ich kann mich selbst nicht dazu bewegen, Rune zum Bleiben anzubetteln, obwohl ich glaube, dass er sich das wünscht. Ich weiß es nur nicht und ich weiß auch nicht, was ich mir wünsche. Dann schicke ich Magnus eine SMS. Und eine SMS an den Mann vom Steg. Das kann ich, ohne zu lügen.
Das ästhetische Stadium ist die Lebensphilosophie, bei der man sich entscheidet, zum Leben keine Stellung zu nehmen. Man lebt nach Stimmungen, Genuss und Unterhaltung. Der Ästhetiker wird währenddessen von Langweile eingeholt, wenn ihm aufgeht, dass die Wahl gleichgültig ist und die Wiederholung bedrohlich wird.
Denn ein Ästhetiker kann nicht in Wiederholung leben. Und um der Langweile zu entkommen, kann er entweder blasiert die Tristheit und Leere des Daseins mit einem nachsichtigen Lächeln erkennen. Oder der Ästhetiker landet in einer Verzweiflung, die sich nicht überwinden lässt.