Читать книгу Kurzgeschichten Band I - Anna Katharina Bodenbach - Страница 4
Urlaubsfund
ОглавлениеEine Abenteuergeschichte für Kinder und Jugendliche
»Wann sind wir endlich da?«, fragte Jan seinen Vater Daniel, der am Steuer des Wagens saß. Es war ein schöner, alter Mercedes mit einem Wohnwagen im Schlepptau.
»Gleich, es ist nicht mehr weit«, antwortete seine Mutter Jenny vom Beifahrersitz aus. Sie klang ein wenig genervt.
»Aber das habt ihr schon vor Stunden gesagt!«, protestierte Jans Zwillingsbruder Eric, der hinter seiner Mutter saß.
Daniel rollte mit den Augen und sprach leise zu seiner Frau: »Wenn wir da sind, dann brauche ich erst einmal meine Ruhe. Wir sind jetzt seit vierzehn Stunden unterwegs, und ich mag mich ausruhen. In fünf Minuten kommen
wir am Campingplatz im Drautal an, dann kann der Urlaub beginnen.«
»Ja, Schatz. Kein Problem. Du bist die ganze Nacht gefahren. Ruh dich aus, und ich gehe in der Zeit mit den Jungs die Gegend erkunden.«
Jan und Eric hatten gerade die siebte Klasse beendet und freuten sich auf die Sommerferien. Es war das erste Mal, dass sie mit ihren Eltern einen Campingurlaub in Österreich machten, und beide waren mächtig aufgeregt.
Den Wohnwagen hatten sie für drei Wochen gemietet. Nun stand den Sommerferien nichts mehr im Weg.
Der Campingplatz, den Daniel ausgesucht hatte, war perfekt. Ein Badesee lag direkt daneben, und man konnte alle möglichen Abenteuer erleben – vom Klettergarten bis hin zum Gleitschirmfliegen. Drei Wochen hatten sie nun
Zeit, die Gegend zu erkunden. Das passte gut, da die Zwillinge immer alles ausprobieren mussten.
Endlich kamen die vier Reisenden an. Als der Wohnwagen schließlich an seinem Platz stand, legte sich Daniel zum Schlafen, und Jenny meldete sie an der Anmeldung an. Danach war Zeit, um mit den zwei Jungs die Umgebung zu erkunden. Jenny nahm einen großen Stapel Prospekte mit, die in dem Anmelderaum auslagen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Jan aufgeregt.
»Gehen wir an den See?«, fragte Eric hoffnungsvoll.
»Nein, erst einmal setzen wir uns in das Restaurant
hier am Campingplatz und essen eine Kleinigkeit. Dabei können wir uns die Prospekte anschauen.« Jenny wedelte mit dem Prospektstapel, und das Lachen verschwand aus den Gesichtern der abenteuerlustigen Zwillinge.
Beim Essen hatten sie ausgemacht, den sogenannten Wasserweg auszuprobieren. Es gab drei verschieden lange Wege, wobei jeder davon durch eine Klamm und die Berge führte. Die Jungs freuten sich. Aufgeregt holten sie ihre Ausrüstung aus dem Wohnwagen und weckten dabei ihren Vater Daniel, der undeutliches Gebrabbel von sich gab.
»Warum müsst ihr denn immer den ganzen Kram mitschleppen?«, fragte ihre Mutter Jenny die beiden Jungs, die gerade dabei waren, ihre sogenannten »Survival Rucksäcke« auf Vollständigkeit zu überprüfen.
»Man kann nie wissen, was passiert, Mama«, antwortete Jan.
»Und wir wollen für alles ausgerüstet sein«, fügte Eric hinzu.
Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Ihr müsst das aber alles selbst den Berg rauftragen. Ich nehme euch nicht das Gepäck auf halbem Wege ab. In meinen Rucksack kommt nur die Wanderkarte und eine Flasche Wasser.
Mehr nicht.«
»Ja, schon klar«, sagten die Jungs im Chor. Jan und Eric war es wichtig, immer bestens ausgerüstet zu sein. In den Rucksäcken hatten sie Decken, ein Taschenmesser, einen Kompass, Streichhölzer, Taschenlampen
und einiges mehr verstaut, was sie bei einem Abenteuer gebrauchen könnten.
Als alles kontrolliert war, brachen die drei in der schönen Morgensonne auf. Die Berge der Alpen ragten vor ihnen wie Riesen aus dem Boden hervor, auf den Gipfeln wuchsen keine Bäume mehr. Es waren felsige Giganten,
und sie standen wie winzige Ameisen davor. Schnell kamen sie aus dem Ort heraus und betraten den kühlen Wald. Moos wucherte an den Bäumen, und
die Jungs hatten einiges zu entdecken – von umgestürzten Bäumen bis hin zu Pilzen, die womöglich essbar wären. Allerdings hatte ihnen ihre Mutter verboten, diese zu sammeln.
Sie folgten dem Weg auf der Karte, bis mitten im Wald eine Hütte auftauchte. Vor der Holzhütte gab es eine Grillstelle, dort machten sie Rast.
»Wo sollen wir denn gleich lang gehen?«, fragte Jan seine Mutter. »Ich sehe nirgendwo einen Weg. Hier sind nur der Bach, die Hütte und die Felsen.«
»Nach dem Essen folgen wir dem Bachlauf, dann kommen wir in die Klamm«, antwortete Jenny.
»Was ist eine Klamm?«, wollte Eric wissen.
»Eine Klamm, das ist eine besonders enge Schlucht im Gebirge. Viele wurden durch Stege und Brücken für Wanderer begehbar gemacht. Am Grund fließt meistens ein Bach oder ein Fluss«, erklärte ihre Mutter.
»Wir hätten lieber Gummistiefel mitnehmen sollen«, stellte Jan fest.
»Nein, im Prospekt steht, dass wir nur etwa zweihundert Meter am Bachufer entlanggehen müssen, dann wird die Schlucht breiter, es gibt einen Weg hinauf, und unsere Füße bleiben trocken.«
»Gibst du mir den Prospekt, bitte?«, fragte Jan seine Mutter, und sie händigte ihn ihm aus. »Boah, cool. Eric, schau mal!«, rief er aus und zeigte auf ein Bild.
Sein Bruder Eric sprang sofort auf und stellte sich hinter ihn. »Sieh mal, da steht, dass man auf der Brücke einhundertsiebzig Meter über dem Bach ist. Wahnsinn, das müssen wir sehen!«, stieß Eric aus.
»Aber wehe, ihr macht Unsinn und bringt die Hängebrücke zum Schaukeln oder so was!«, ermahnte sie ihre Mutter schon im Vorhinein.
»Wir doch nicht«, gab Eric zurück, und Jan zuckte nur mit den Schultern.
Als sie die Engstelle am Bach passiert hatten, wurde die Schlucht wirklich breiter. Ein ausgebauter Weg führte an der Felswand vorbei. Der Abstand zum Boden der Klamm wurde immer größer. Bald gab es sogar Geländer,
damit man nicht mehr so leicht abstürzen konnte. Nach etwa einer Stunde Fußmarsch erreichten sie die Hängebrücke, doch der Ausblick war viel besser als auf dem Foto, denn darauf war der riesige Wasserfall gar nicht zu
sehen gewesen.
Lautlos standen Jan und Eric auf der Brücke.
»Dass es euch beiden mal die Sprache verschlägt, hätte ich nicht gedacht«, sagte Jenny und setzte sich auf eine Bank, die auf der anderen Seite der Hängebrücke stand.
»Siehst du das?«, fragte Eric seinen Bruder Jan leise in einem Flüsterton.
»Nein, was denn?«, antwortete Jan mit einer Gegenfrage in seiner normalen Lautstärke.
»Psst, nicht so laut«, zischte Eric.
»Also, was siehst du denn da?«, fragte Jan nun etwas leiser.
»Da ganz unten in der Schlucht rechts vom Wasserfall ist eine Höhle.«
»Wo?«, fragte Jan.
Eric deutete unauffällig in die Richtung, und dann sah Jan, was sein Bruder meinte. Rechts neben dem Wasserfall war einige Meter unter ihnen ein Höhleneingang zu erahnen.
»Da müssen wir unbedingt runter«, nuschelte Jan.
»Ich habe ein Kletterseil dabei, doch vergiss es! Mum würde und das nie erlauben. Wir müssen noch einmal hierherkommen, aber alleine, und dann steigen wir hinab. Vielleicht finden wir ja einen Schatz oder so was?«, sagte Eric.
»Ja, das ist eine gute Idee, dann lass uns heute Mittag oder am Abend nochmal hierher gehen! Wir sind ja schon lange alt genug, um alleine was zu unternehmen.«
Eric pflichtete seinem Bruder durch ein Nicken bei, dass er damit absolut recht hatte.
»Wollen wir weitergehen?«, fragte Jenny.
»Nein, Mum, wir wollen jetzt lieber runter und uns den Campingplatz anschauen«, antwortete Jan.
»Ja, ich habe auch keine Lust mehr zu wandern und will mir den Badesee anschauen. Vielleicht gibt es da ein paar Jungs in unserem Alter«, fügte Eric hinzu.
»Gut, dann lasst uns umdrehen!«, sagte Jenny und stand auf. »Ach, und seht ihr, ihr habt nichts von eurem schweren Gepäck gebraucht und habt es ganz umsonst hier hochgeschleppt.«
Am Wohnwagen angekommen saß Daniel unter der Markise und nippte an seinem Kaffee.
»Du wolltest doch schlafen, Papa?«, rief ihm Eric von Weitem entgegen.
»Ja, wollte ich auch, nur mir ist das irgendwie zu laut, und ich bin noch zu aufgekratzt von der Fahrt. Heute Abend, da werde ich früh schlafen gehen«, antwortete ihr Vater Daniel lächelnd, als die beiden Jungs vor ihm zum
Stehen kamen. »Wie war eure Tour?«
»Richtig super. Wir wollen auch gleich wieder los.«
»Gut, aber bis zum Essen seid ihr bitte wieder da!«, sagte ihre Mutter streng.
»Wann soll das sein?«
»Um vier.«
Die Jungs liefen los. Vor lauter Aufregung liefen sie viel schneller als bei der Wandertour mit ihrer Mutter. So kamen sie schon nach der Hälfte der Zeit bei der Hängebrücke an.
»Wo seilen wir uns am besten ab?«, fragte Jan.
»Am besten wir gehen den Weg weiter. Siehst du da hinten die Bank, da können wir das Seil befestigen und kommen genau bei der Höhle unten an«, antwortete Eric.
»Das ist so cool. Ich bin echt gespannt, was wir da unten
finden!«
Nach weiteren zwanzig Minuten Fußmarsch hatten die beiden das Ziel erreicht. Jan, der bessere Knoten machen konnte als Eric, befestigte das Kletterseil an der einbetonierten Bank.
Der Weg hinab war mühselig, doch beide Jungen schafften es, unversehrt unten anzukommen.
»Davon muss ich unbedingt Jana erzählen, wenn wir wieder am Wohnwagen sind«, berichtete Jan aufgeregt.
»Wer ist Jana?«, hakte Eric nach.
»Ein Mädchen, sie ist eine Klasse über uns. Eine echte Schönheit. Sie hat mir vor dem Urlaub ihre E-Mail-Adresse gegeben«, erzählte Jan stolz.
»Wer sollte schon auf dich stehen?«, hänselte ihn Eric.
»Halt die Klappe, Zwillingsbruder. Du siehst genau so doof aus wie ich. Lass uns lieber in die Höhle gehen!«
»Okay, aber du gehst voraus.«
Jan kramte seine Taschenlampe aus dem Rucksack und ging voraus. Nach nur zehn Schritten standen sie vor einer Engstelle.
Jan zwängte sich vorsichtig in den Spalt und leuchtete die Höhle ab.
»Und? Was siehst du?«, fragte Eric aufgeregt.
Plötzlich schrie Jan schmerzerfüllt auf, und Eric stolperte zurück. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, fing Jan an zu lachen. »Verarscht!«, sagte Jan triumphierend.
»Mach das nie wieder! Mir wäre das Herz fast stehen geblieben. Mit so einen Bruder ist man echt gestraft«, schimpfte Eric.
»Hinter dem schmalen Durchlass ist eine kleine Kammer.
Dort ist wieder mehr Platz, doch wir müssen unsere Rucksäcke vorausschmeißen und hinterherkriechen.«
Gesagt, getan. Jan passierte mit Leichtigkeit das Loch. Eric hingegen brauchte etwas länger, was Jan nur recht war, so konnte er als Erster die Kammer durchsuchen. Auf dem Boden waren außer Dreck und ein paar alten Tierknochen, vermutlich von Mäusen oder Ratten, dachte
Jan, nichts zu sehen. An den Wänden hingegen befanden sich Zeichnungen.
Endlich hatte es Eric zu seinem Bruder geschafft. Jan leuchtete auf die bemalte Wand. »Was hältst du davon?«
»Ich weiß nicht?«, antwortete Eric und trat näher an die Wand heran, bevor er weitersprach: »Es sieht so aus, als wäre es eine Geschichte oder ein Rätsel.«
»Und was soll es bedeuten?«, fragte Jan.
»Hier, das ist auf jeden Fall ein Vogel«, begann Eric und deutete auf das erste Bild, »und auf der letzten Zeichnung, na ja, ich würde sagen, es ist ein Schatz. In der Mitte, das könnte Feuer sein. Was meinst du dazu,
Jan?«
»Also, wenn ich das zusammenfasse, Bruderherz: Man nehme einen Vogel, verbrenne ihn und bekommt dann einen Schatz«, sagte Jan.
»Du bist doof.«
Beide Jungen mussten lachen, bevor sie durch ein unheimliches Rascheln unterbrochen wurden.
»Psst. Sei leise!«, forderte Jan seinen Bruder auf. »Lass uns lieber nachschauen, wohin der Gang dort führt!«
Eric nickte und folgte seinem Bruder. Beide gingen durch einen Gang, in dem sie gerade so aufrecht stehen konnten, allerdings war er zu schmal, um die Arme auszustrecken.
An der ersten Kreuzung bogen sie links ab und markierten den Weg mit einem kleinen Kreuz, was Eric mit seinem Taschenmesser in den Stein ritzte. Der Stein war porös, und das Zeichnen darauf war einfach. An der darauffolgenden Kreuzung bogen sie rechts ab. Auch dieses Mal markierte Eric den Weg.
Die Jungs folgten eine gefühlte Ewigkeit dem Tunnel, bis sie in eine kleine, runde Kammer kamen. Es war eine Sackgasse, doch ein kleiner Lichtstrahl fiel auf den Boden. Sie mussten ganz nah an der Oberfläche
sein.
»Siehst du das? Der Lichtstrahl fällt genau auf einen Hügel angehäufter Erde«, sagte Jan.
Eric kniete vorsichtig neben dem Häuflein nieder und begann, es vorsichtig mit den Händen abzutragen. Er stieß auf etwas Hartes und wischte vorsichtig über die Oberfläche. Ein schwarzer Stein kam zum Vorschein,
durch den sich rote und gelbe Adern zogen.
»Was ist das?«, fragte Jan und kam näher.
»Ich glaube ein Stein«, antwortete Eric unsicher.
Jan, der die Taschenlampe genau auf ihr Fundstück hielt, kniete nieder und zog es vorsichtig aus dem Dreck. Dann reichte er die Taschenlampe seinem Bruder und säuberte mit seinem T-Shirt ihren Fund.
»Ich glaube, das ist kein Stein«, sagte Jan mehr zu sich selbst als zu seinem Bruder.
»Was denn sonst?«, fragte Eric und ließ seine Hand über die Oberfläche des hühnereigroßen, fremden Dinges gleiten.
»Ich glaube, das ist ein Ei«, hauchte Jan.
»Lass es mich auch mal halten!«, bat Eric.
»Einen Moment noch.« Jan nahm die Taschenlampe und leuchtete das Ei von unten an. Kein Licht schimmerte durch das Schwarz. Einzig und allein ein paar der rotgelben Adern schienen zu flimmern. »Man kann nicht sehen,
ob etwas drin ist.«
Er gab das Ei Eric, der es vorsichtig von allen Seiten untersuchte.
Plötzlich hörten sie ein unheimliches Heulen.
»Wir sollten lieber verschwinden. Wer weiß, welchem Tier dieses Ei gehört.« Eric öffnete seinen Rucksack und wickelte das Ei in eine Decke ein, bevor er es verstaute.
Beide Jungs versuchten, so schnell wie möglich, wieder an das Tageslicht zu kommen, doch schon an der ersten Kreuzung fanden sie keine Markierung.
»Wie kann das sein?«, fragte Jan. »Hast du das Zeichen nicht richtig eingeritzt?«
»Doch, das habe ich bestimmt!«, gab Eric empört zurück.
»Und wo ist es dann?«, schnippte Jan.
Die beiden Jungs suchten mit der Taschenlampe alle Ecken ab, doch das Zeichen blieb unauffindbar.
»Und nun?«, fragte Jan. Eric zuckte nur mit den Schultern. Da hörte man wieder dieses komische Heulen, was der Wind hervorbrachte, und Eric bekam eine Idee. Er setzte seinen Rucksack ab und fing an, nach etwas
Bestimmtem zu suchen.
»Was machst du da?«
»Ich suche Streichhölzer«, gab Eric knapp zurück.
»Und wozu?«
»Wenn ich eins anzünde, dann wird uns der Windhauch
sagen, welchen Weg wir gehen sollen.«
»Ach so. Gute Idee!«, rief Jan so laut, dass von allen Seiten ein Echo zurückhallte.
Vorsichtig zündete Eric das Streichholz an und hielt es hoch. Die Flamme zog eindeutig in Richtung eines Ganges, den sie daraufhin nahmen.
An der zweiten Kreuzung war das hinterlassene Zeichen klar und deutlich zu erkennen, und kurze Zeit später standen sie vor dem Engpass, der ins Freie führte.
Erleichtert schauten die Jungs an ihrem Seil auf. Allerdings schauten von oben drei Unbekannte über die Absperrung. Die Zwillinge tauschten einen Blick aus, der alles, was getan werden musste, ohne Worte sagte: so schnell wie möglich raufklettern und verschwinden. Oben angekommen, sahen sie in drei verärgerte Gesichter, die ihnen völlig unbekannt waren.
»Seid ihr verrückt geworden?«, fragte eine junge Dame besorgt.
Eric stand einfach nur da und blickte unschuldig drein. Jan hingegen holte das Seil ein, gab seinem Bruder ein Zeichen, und sie rannten davon. Damit hatte keiner gerechnet, und sie wurden nicht verfolgt.
Als sie an der Hütte, an der sie mit ihrer Mutter Rast gemacht hatten, ankamen, blieben sie stehen, um zu verschnaufen.
»Wie viel Uhr haben wir?«, fragte Eric seinen Bruder atemlos.
»Kurz nach vier.«
»Nicht gut. Wir müssen uns beeilen.«
Als sie bei ihren Eltern ankamen, war es bereits halb fünf.
Ihre Mutter war sauer, doch ihrem Vater war es egal, er wollte einfach nur einen ruhigen Urlaub haben.
»Lass die Jungs doch in Ruhe, Jenny! Sie sind alt genug, um auch mal einen Tag alleine zu verbringen. Das nächste Mal müssen wir ja nicht für sie mitkochen, dann kannst du dich nicht über kalt gewordenes Essen ärgern.«
Jenny schnaubte, und die Jungs schlangen die kalten Nudeln mit Tomatensauce hinunter.
Kurze Zeit später saßen Jan und Eric vor dem Laptop ihres Vaters und versuchten, im Internet herauszufinden, von welchem Tier das Ei war. Doch egal, auf welcher Seite sie suchten, auf den Bildern war keines wie ihres abgebildet.
»So, noch fünf Minuten, dann macht ihr das Ding aus!«, riss ihre Mutter sie aus der Suche.
»Warum?«
»Das Wetter ist zu schön, um vor dem Ding zu hocken, außerdem ist es der erste Tag, und wir gehen alle früh schlafen.«
Die Jungs rollten mit den Augen und klappten den Laptop zu.
Am nächsten Morgen frühstückten alle zusammen.
»Können wir nach dem Frühstück an deinen Laptop, Papa?«, fragte Jan.
»Warum denn?«, wollte Daniel wissen.
»Wir müssten etwas herausfinden«, sagte Jan knapp und sprach nicht weiter, als ihm Eric unterm Tisch gegen das Schienbein trat.
»Okay, aber nur kurz. Wir wollen heute einen Ausflug mit euch machen.«
»Wohin denn?«
»Bogenschießen im Nachbartal. Ihr habt doch beide schon so oft davon geschwärmt.«
Beide nickten, doch sie wollten lieber herausfinden, was das für ein seltsames Ei war, anstatt irgendetwas anderes zu unternehmen.
Nach einer halben Stunde waren sie immer noch nicht fündig geworden, und die Zeit wurde knapp, denn ihre Mutter fing schon an, einen Rucksack zu packen.
»Gib am besten bei Google Bildlexikon Eier ein«, flüsterte Eric.
»Nein, das hatten wir schon«, sagte Jan.
»Wie wäre es mit: schwarzes Ei mit gelb-roten Adern?«, fragte Eric.
»Das hatten wir auch schon«, gab Jan resigniert zurück.
»Gib es noch mal ein, was hatten wir da gefunden?«
»Nur Bilder und Texte über Raupeneier.«
Für einen kurzen Moment sah es so aus, als seien die beiden Jungs vor dem Laptop eingefroren.
»Dann probiere mal: Ei schwarz rote Adern in Höhle«, sagte Eric.
»Das bringt doch nichts.«
»Mach es trotzdem.«
Jan tippte die Suchanfrage bei Google mit seinem Zwei-Finger-Such-System ein und drückte auf Enter. Der zweite Link sah vielversprechend aus.
»Öffne den da mal!«, forderte Eric ganz aufgeregt und zeigte auf den Bildschirm. Und tatsächlich, dort war ein Bild von ihrem Ei abgebildet.
Die Augen der Jungs weiteten sich, als sie den Text lasen.
… Es handelt sich um ein versteinertes Ei, das 1830 in Zentralasien entdeckt worden ist. Dieses Ei wurde in einer Höhle mit Malereien entdeckt. Die Höhle ist heute nicht mehr aufzufinden, doch die Bilder wurden auf Papyrus übertragen. Sie erzählen die Geschichte des Phoenix. Seltsamerweise wurde der Fund nicht ernst genommen, weil die Gesellschaft bis heute noch glaubt, dieser Vogel sei nur eine ägyptische Mythologie
und habe in Asien nichts verloren. Doch glauben Sie mir: Es gab ihn wirklich. Viele meiner Kollegen halten mich oder meine Theorien für verrückt, doch sie sind wahr. Er steht heute noch für die Unsterblichkeit, und meiner Meinung nach steckt in jedem Mythos ein Funken Wahrheit…
Einen Großteil des Textes überflogen die Zwillinge.
Doch an einer Stelle wurden sie wieder aufmerksamer:
… Das Ei muss in ein Feuer von 600 - 800°C gelegt werden. So hoch geschichtet, dass das Ei komplett verdeckt wird. Mindestens für sechs Stunden. Ein normales Lagerfeuer ist ausreichend, um das Leben in den ersten Zyklus zu schicken …
»Kommt jetzt, wir wollen los!« Wieder einmal war es ihre Mutter, die sie unterbrach.
»Sollen wir es ausprobieren?«, fragte Eric.
»Ja, warum denn nicht? Lass uns zur Hütte gehen und ein Lagerfeuer mit dem Ei veranstalten! Wer weiß, was passiert«, antwortete Eric.
»Sicher, dass wir es nicht einfach nur zerstören? Dafür ist es zu schön.«
»Jan, Eric, kommt jetzt!«, forderte ihr Vater energisch.
»Ja, wie kommen ja schon«, antworteten beide gleichzeitig.
»Lass es uns probieren, wenn wir zurück sind!«
»Okay.« Jan gab der Bitte seines Bruders nach.
Ihr Vater rief erneut.
»Müssen wir unbedingt mit?«, rief Jan zurück. Daniel streckte den Kopf zum Wohnwagen herein und schaute entgeistert.
»Ihr beide liegt mir doch seit der Urlaubsplanung schon in den Ohren, dass ihr unbedingt Bogenschießen wollt, also kommt ihr nun auch gefälligst mit!«
Gerade als Jan den Mund öffnen wollte, schnitt ihm sein Vater das Wort ab: »Keine Widerrede!«
So verbrachten sie den halben Tag beim Bogenschießen, doch die beiden Jungs konnten nur an eins denken: das Ei. Immer wenn ihre Eltern vorrausgingen, planten sie, wie sie das mit dem Lagerfeuer am besten anstellten. Je später es wurde, desto unruhiger wurden die Jungs. Am liebsten hätten sie ihren Fund sofort in ein Lagerfeuer gebettet. Von sechs Stunden war auf der Internetseite die Rede. Wenn sie wie geplant um sechzehn Uhr am Wohnwagen ankämen, loszogen und ein Feuer machten,
wäre die Zeit frühestens um dreiundzwanzig Uhr vorbei. Das würde Überredungsarbeit bei ihren Eltern kosten, doch beide beschlossen, dass es ihnen das wert war. Denn die beiden waren sich einig, bis zum nächsten Tag wollte keiner warten. Es musste eine Lösung her.
Am Ende des Bogenparcours kam beiden eine super Idee. Sie wollten ihre Eltern dazu überreden, an der Hütte zur Klamm hin übernachten zu dürfen. Dort war es perfekt. Sie hätten ihre Ruhe, und eine Feuerstelle war auch schon da. Genug Holz würden sie schnell im Wald sammeln können. Jetzt galt es nur noch, die Eltern von ihrer Idee zu überzeugen.
Kurz nach vier waren sie endlich wieder am Wohnwagen.
»Wann sollen wir fragen?«, fragte Eric.
»Lass uns kurz warten, bis Mama weg ist, denn bei Papa sind die Chancen größer, dass er uns die Übernachtung in der Hütte erlaubt«, antwortete Jan.
»Das ist eine sehr gute Idee. Frag du dann, ja?«
»Okay!«
»Ich werde jetzt anfangen zu kochen!«, verkündete Jenny und verschwand im Wohnwagen. Nun hatten die Jungs ihre Gelegenheit, denn sie saßen alleine mit ihrem Vater draußen unter der Markise.
»Du, Papa?«, fragte Jan.
»Ja, was ist denn?«, sagte Daniel.
»Ich wollte mit Eric zusammen heute mal draußen übernachten. Wir haben doch Schlafsäcke und Decken dabei, und es soll die Nacht über trocken bleiben. Dürfen wir? Bitte!« Seine Stimme überschlug sich fast beim Fragen,
und es war ein Wunder, dass sich Jan nicht verhaspelte.
Einen kurzen Augenblick herrschte Stille, und sein Vater zog die Stirn in Falten. »In Ordnung, ihr dürft, doch stellt mir keinen Unsinn an!«
»Wir?«, fragte Jan ungläubig. »Wir würden doch niemals etwas anstellen.«
Ihr Vater hob eine Augenbraue an und musste grinsen. Nach dem Essen bereiteten die Zwillinge alles für ihre Übernachtung vor. Kurze Zeit später standen sie mit gepackten Rucksäcken vor dem Wohnwagen.
»Wo wollt ihr denn noch hin?«, fragte Jenny, die von ihrem Buch aufblickte und ihre beiden Jungs in voller Survivalmontur sah.
»Hat dir Papa nichts davon erzählt?«, fragte Jan unschuldig.
Jennys Blick wanderte zu Daniel, und Eric musste ein Grinsen unterdrücken. Daniel hingegen zuckte nur mit den Schultern. »Die Jungs sind alt genug, um mal unter freiem Himmel zu übernachten, Jenny. Du machst dir immer viel zu viele Sorgen.«
»Und du weißt ganz genau warum. Da reden wir später noch mal drüber«, schnaubte Jenny und verschwand beleidigt im Wohnwagen. Doch das waren die Jungs schon gewöhnt, deshalb fragten die beiden nur noch ihren Vater, wenn sie etwas wollten, und ihre Mutter war beleidigt, weil sie nicht gefragt worden war. Doch meistens hatte sie sich nach einer halben Stunde wieder beruhigt.
Die Zwillinge verabschiedeten sich von ihrem Vater und zogen los. Bei der Hütte angekommen, legten sie ihr Gepäck neben die Feuerstelle und begannen, Feuerholz zu suchen. Die Sonne neigte sich schon dem Horizont zu, und bis zur Dämmerung wollten sie genug Holz zusammen haben, um das Feuer lange genug am Brennen zu halten.
Eine Stunde später lag ein riesiger Holzhaufen neben der Feuerstelle bereit. Eric begann, kleine, trockene Äste zu stapeln, und Jan entzündete das Feuer. Die Flammen züngelten an den morschen Stöcken empor, und es knackte ab und zu.
»Wollen wir das Ei sofort in das Feuer legen oder warten, bis es richtig brennt?«, fragte Eric.
»Meinst du wirklich, dass es überhaupt eine gute Idee ist, unseren Fund zu verbrennen?«, fragte Jan, der an Erics Idee zu zweifeln begann.
»Ja, ich denke es ist das Beste, was wir mit diesem Ei machen können!«, gab Eric euphorisch zurück. »Wir sollten das Feuer schüren, bis wir richtig viel Glut haben. Dann legen wir das Ei hinein und schichten weiter auf. Das machen wir so lange bis die sechs Stunden rum sind.«
»Meinst du, wir schaffen es, die ganze Nacht wachzubleiben?«
»Klar, und wenn wir müde werden, können wir uns immer noch abwechseln. Jeder schläft immer eine halbe Stunde, und dann wechseln wir.«
Das Feuer loderte. In der Mitte hatte sich bereits ein großer Haufen Glut angesammelt. Vorsichtig packte Jan das Ei aus, und Eric nahm es so achtsam es ging mit der Grillzange ihres Vaters, um es danach mitten in den roten Haufen zu betten. Vorsichtig schichteten die Jungs weitere Äste darüber.
»Meinst du, es wird etwas passieren?«, fragte Jan.
»Woher soll ich das wissen?«
»Ich dachte nur, du hättest eine Vorstellung. Immerhin hattest du die Idee.«
»Nein, doch wir werden es morgen früh wissen«, antwortete Eric.
Eine Weile später hatten die Jungs ihr Lager am Feuer aufgeschlagen. Der Mond stand über ihnen am Himmel, und die Dunkelheit hatte das Land in Stille eingehüllt.
Rechts und links neben dem Feuer lagen die Schlafsäcke der Jungen. Darunter hatten sie die Decken ausgebreitet.
Jan lag schon, während Eric auf seinem Schlafsack saß.
»Wie lang muss es noch brennen?«, fragte Jan gähnend. Eric schaute auf seine Armbanduhr, bevor er Antwort gab: »Noch etwa vier Stunden. Plus minus zehn Minuten oder so.«
»So lange noch«, gab Jan gequält zurück.
»Schlaf du ruhig, ich übernehme die erste Wache. Wenn ich müde werde, dann wecke ich dich einfach.«
»Gut.« Jan drehte sich rum und schlief ein.
Sein Bruder Eric schichtete das Holz so hoch er konnte, ohne dass der Stapel umkippen würde. Danach legte er sich hin und starrte in die Flammen. Die Wärme rötete seine Wangen. Das Feuer knisterte, und es fraß sich immer höher. Nach einer Weile legte Eric noch einmal nach. Es war faszinierend und einschläfernd zugleich, das Geschehen zu beobachten, und noch bevor er seinen Bruder wecken konnte, schlief Eric ein.
Als Eric am nächsten Morgen die Augen öffnete, hörte er die Vögel zwitschern. Er sah auf, und die Sonne schien bereits durch das Blätterdach der Bäume. Schlagartig war er wach und sprang auf. Sein Blick huschte sofort zu der Feuerstelle. Nichts war von dem Feuer übriggeblieben.
Nur ein kümmerlicher, leicht qualmender Haufen Asche war dort. Er hielt seine Hand darüber. Die Asche strahlte noch immer Wärme ab, also musste die Glut im Inneren bis zum Morgen durchgehalten haben.
»Jan, wach auf!« Eric rüttelte seinen Bruder wach, der zerknautscht aufblickte.
»Es ist ja schon Morgen. Warst du die ganze Nacht wach?« Jan setzte sich auf und sah zu der leeren Feuerstelle.
»Wo ist das Ei?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Eric. »Ich bin auch eingeschlafen.«
Jan rappelte sich auf, suchte einen Stock und begann, in der Asche herumzustochern.
»Da ist nichts mehr«, sagte er betreten. »Du hast unser Ei verbrannt, Eric. Ich wusste von Anfang an, dass es keine gute Idee war.«
»Doch du hast mich nicht davon abgehalten, also bist du genauso schuld wie ich, Jan!«, schnaubte Eric und stieß seinen Bruder zur Seite, um selbst noch einmal den Aschehaufen zu inspizieren. Mit demselben Ergebnis:
nichts.
Die beiden Jungs begannen, immer heftiger miteinander zu streiten, bis beide plötzlich innehielten. Aus der Asche schnellte eine Stichflamme gen Himmel. Aus der Feuerstelle loderten plötzlich neue Flammen auf, obwohl
sie gar kein Holz mehr zum Zehren hatten. Jan und Eric traten sicherheitshalber einen Schritt zurück. Beide starrten mit offenen Mündern die gelben Flammen an. Grell wechselten sie ihre Farbe plötzlich ins Rote, sodass sie ihre Augen vor der Helligkeit schützen mussten. Als das Schauspiel vorüber war, trauten die beiden ihren Augen kaum. Mitten in der Feuerstelle saß ein kleiner, etwas zerrupft aussehender Vogel und schaute sie mit großen Augen an.