Читать книгу Detektiv Gryce-Krimis - Anna Katherine Green - Страница 15
Zwölftes Kapitel.
ОглавлениеDraußen schlug uns der Regen ins Gesicht und rieselte an unseren Kleidern herab. Als das Mädchen meine Hand ergriff, um mich durch Sturm und Nacht zu geleiten, zuckte es mir bei der Berührung wie ein elektrischer Schlag durch die Glieder. Mächtiger noch als ihre Schönheit war ihre Willenskraft und Entschlossenheit, selbst die entfesselten Elemente schienen sich vor ihr zu beugen und ihrem Mut noch Flügel zu verleihen. Auf der Straße angelangt, stand sie still und schaute zurück. In diesem Augenblick erschienen die beiden Männer an der Türe des Gasthauses und kamen in wildem Laufe hinter uns her. Mit einem Sprung hatte das Mädchen den nächsten Baum erreicht, an welchem ich zu meinem größten Erstaunen mein gesatteltes Pferd angebunden stehen sah. Sie hing die brennende Laterne an den Sattelknopf, band das Pferd los, und versetzte ihm einen derben Schlag in die Weichen. Das erschreckte Tier schnaubte laut, dann rannte es in wilder Flucht von uns fort, die Straße hinunter.
Bald darauf sahen wir auch ihren Vater und Bruder an uns vorbeistürmen.
Sie werden in der Richtung folgen, wo sie das Licht sehen, flüsterte Luttra, faßte wieder meine Hand und zog mich nach der entgegengesetzten Seite mit sich fort. Vertrauen Sie sich mir an, ich führe Sie zu einem sicheren Obdach.
Warum setzen Sie sich nur um eines Fremden willen solchen Gefahren aus? Wie soll ich Ihnen für so viele Güte danken?
Sie erwiderte nichts, doch hielt sie meine Hand noch fester und stemmte sich mit aller Gewalt dem Winde entgegen. Dabei eilten wir immer ohne Aufenthalt vorwärts, so schnell wir konnten.
Plötzlich stand sie still. Wir gehen hier am Rande eines gefährlichen Abgrunds hin, der sich wohl eine Viertelmeile weit erstreckt und jäh in die Tiefe abfällt, sagte sie. Es kam schon mehrmals vor, daß in einer Nacht, wie diese, Pferd und Reiter dort hinabstürzten.
So sind wir also, ohne daß ich es ahnte, einem drohenden Verhängnis entronnen, murmelte ich zusammenschauernd und drängte mich dichter an meine Führerin.
Lange noch kämpften wir weiter mit Sturm und Regen auf der fast unwegsamen Straße. Jetzt sind wir in Sicherheit, sagte sie endlich. Ich sah auf, und vor uns lag eine kleine, dunkle Hütte; niemals ist wohl einem erschöpften Wanderer ein Obdach willkommener gewesen. Durchnäßt bis auf die Haut und atemlos standen wir einen Augenblick vor dem Eingang, um wieder Kräfte zu sammeln. Dann klopfte Luttra ohne Zaudern an die Türe, so laut sie konnte.
Das würdige Paar, das wir aus dem Schlummer aufgeschreckt hatten, gewährte uns freundlich Einlaß, bald brannte ein helles Feuer im Kamin, und wohlige Wärme durchströmte meine erstarrten Glieder, In das frohe Gefühl der Sicherheit mischte sich inniger Dank gegen das heldenmütige Mädchen, das soviel für meine Rettung getan hatte. Voll Bewunderung flog mein Blick zu ihr hin, während sie ihre langen Flechten löste, sie schüttelte und an der Glut des Feuers trocknete. Wie jung sie noch war! Sie konnte kaum sechzehn Jahre zählen, aber aus ihren dunklen Augen sprach ein starker, unbeugsamer Wille.
Als ich ihr mit wenigen, herzlichen Worten für ihren Beistand dankte, sah sie mich ruhig an. Ich habe nur meine Pflicht erfüllt, aber wollen Sie sich wirklich erkenntlich zeigen, so versprechen Sie mir, nichts von dem zu verraten, was sich diese Nacht im Gasthause zugetragen hat.
Ein Verdacht, den ich schon früher gehegt hatte, kam mir jetzt wieder in den Sinn; unwillkürlich fuhr ich mit der Hand in die Brusttasche – und zog sie leer zurück. Die Banknoten waren verschwunden.
Haben Sie etwas verloren? fragte sie; wollen Sie nicht in Ihrem Ueberrock suchen?
Das tat ich, und diesmal mit besserem Erfolg, die Banknoten waren da. Nun gab ich das Versprechen, welches sie verlangte.
Es fehlt eine Banknote, ich weiß nicht, wieviel sie betrug, murmelte sie, ein Opfer mußte gebracht werden, das war unvermeidlich.
Ich kann nur die Besonnenheit und Tapferkeit bewundern, die Sie bewiesen haben, sagte ich voll Anerkennung. Sie sind ein edles Mädchen.
Das Lob schien sie fast zu verletzen. Es ist das erstemal, daß sie solchen Anschlag gemacht haben, rief sie mit Scham und Schmerz. Nach Geld sind sie schon öfters lüstern gewesen, aber noch nie haben sie ein Menschenleben bedroht. Das Ihrige war heute in großer Gefahr. Durch ein Loch in der Zimmerwand hatten die Männer gesehen, wie Sie Ihr Geld herausnahmen, und das brachte sie von Sinnen. Ihr Plan war, Sie zu berauben, und dann samt Ihrem Pferde in den Abgrund zu stürzen. Ich hatte alles gehört und konnte Sie noch rechtzeitig wecken. Die Banknoten mußte ich an mich nehmen, denn so lange sie sich In Ihrem Besitz befanden, war Ihr Leben nicht sicher. Ich hoffte, Sie retten zu können, ohne Vater und Bruder zu verraten, aber das ist mir mißlungen. Vergessen Sie Ihr Versprechen nicht.
Ich werde es halten, beteuerte ich.
Ein schmerzliches Lächeln flog über ihre Züge, die es sanft verklärte. Ich empfand die innigste Teilnahme für sie.
Ihr Los ist schwer, und Sie müssen ein trauriges Leben führen, sagte ich mitleidig.
Sie sah mich mit großen, dunklen Augen an. Ich bin für ein hartes Leben geboren, versetzte sie, aber nicht für Schandtat und Verbrechen.
Gerechter Himmel, rief ich, und Sie müßten –
Nein, klang es wie befreit aus ihrem Munde, es gibt Dinge, welche auch die Bande der Natur zerreißen. Ich kehre nie mehr in jenes Haus zurück.
Aber wohin wollen Sie gehen? fragte ich, einen Blick auf ihre dürftige Kleidung werfend. Sie sind jung –
Und sehr stark, unterbrach sie mich mit zuversichtlichem Tone; ich kann arbeiten, seien Sie meinetwegen ohne Furcht.
An jenem Abend sprachen wir nicht weiter über ihre Zukunft, aber als ich im Laufe unseres Gesprächs am andern Morgen ihr klares Urteil und ihren scharfen Verstand erkannte, fragte ich sie, ob sie wohl gern etwas Tüchtiges lernen möchte. Da strahlte ihr ganzes Gesicht und drückte die freudigste Zustimmung aus, auch ohne ihr leise gemurmeltes Ja.
Mit Freuden ergriff ich die Gelegenheit, ihr den unschätzbaren Dienst, den sie mir geleistet hatte, wenigstens einigermaßen zu vergelten, doch gelang es mir nur mit vieler Mühe, sie zu bewegen, die Kosten ihrer Erziehung als Lohn für meine Rettung von mir anzunehmen. Sie sah wohl ein, wie sehr eine gründliche Bildung ihr den Kampf mit der Welt erleichtern würde, aber ihr schien das Opfer meinerseits zu groß. Erst als ich ihr begreiflich machte, daß es mir weder Mühe noch unerschwingliche Ausgaben verursachen würde, überwand sie ihre Bedenken und weigerte sich nicht länger, auf mein Anerbieten einzugehen. Bevor ich sie in der kleinen Hütte zurückließ, machte ich mit ihr aus, daß sie sobald als möglich in eine Schule in Troy eintreten sollte, deren Vorsteherin ich kannte.
Ich war damals zwar ein leichtsinniger, junger Mensch, aber doch hielt ich dem Mädchen mein Versprechen. Nicht nur, daß ich sie auf meine Kosten drei Jahre lang die Schule besuchen ließ, ich versorgte sie auch durch die Vorsteherin, welche sie lieb gewonnen hatte, mit allem, was sie in ihrer Stellung bedurfte. Ich hatte dabei nichts zu tun, als von Zeit zu Zeit einen Wechsel auszustellen; wäre irgendeine Arbeit oder Anstrengung meinerseits erforderlich gewesen, ich hätte es gewiß unterlassen, denn bei meiner Rückkehr nach der Stadt lebte die Neigung zu meiner Cousine von neuem in mir auf und nahm mich so völlig in Anspruch, daß alles, was nicht in Beziehung zu ihr stand, ohne Reiz für mich war.
So vergingen zwei Jahre. Ich stand völlig unter Eveline Blakes Einfluß, aber es kam zu keiner Verlobung zwischen uns. Immer noch gab ich die Hoffnung nicht auf, daß sie eines Tages die Meine werden könne, aber bald sollte ich erfahren, wie sehr ich mich getäuscht hatte. Mein Vater war ein kranker Mann, er litt schon damals an dem Uebel, das ihn wenige Monate später ins Grab brachte, dennoch wußte er um jeden meiner Schritte und durchschaute mich ganz.
Eines Tages ließ er mich zu sich rufen und eröffnete mir, daß er mich, seinen einzigen Sohn, zwar reich und unabhängig zurückzulassen wünsche, doch werde er das nur tun, wenn ich bereit sei, einer Neigung zu entsagen, die er im höchsten Grade mißbillige. Er habe gegen Heiraten unter nahen Verwandten ein ausgesprochenes Vorurteil, da sie gefährlich und frevelhaft seien und meist die unglücklichsten Folgen nach sich zögen. Wenn ich meinen Willen durchsetzen wolle, müsse er sich einen andern Erben suchen; denn das große Vermögen der Blake solle, solange er es hindern könne, nie einer Rasse von blödsinnigen Schwächlingen zufallen.
Allein nicht genug, daß er mich von der Frau trennte, welche ich liebte – in sicherem Vorausblick in die Zukunft bestand er auch darauf, ich solle noch vor seinem Tode eine würdige, verständige Wahl treffen und mich verheiraten.
Deine Braut braucht nicht reich zu sein, auch nicht aus vornehmer Familie, fügte er hinzu. Ist sie nur gut und tugendhaft, nicht mit uns verwandt und von angenehmem Aeußern, so soll mein letzter Atemzug noch ein Segen für meine Kinder sein.
Der Gedanke hatte sich seiner so völlig bemächtigt, daß ihn nichts davon abzubringen vermochte, auf alle meine Einwendungen hatte er nur die eine Antwort:
Du sollst ganz frei wählen dürfen, und ich lasse dir einen Monat Zeit. Führst du mir nach Ablauf dieser Frist nicht deine Braut zu, so werde ich das Vermögen einem Erben vermachen, der bereit ist, meinen letzen Wunsch zu erfüllen.
Einen Monat! – Ich musterte die vornehmen Schönen, die ich allabendlich in den Empfangssälen meiner Bekannten traf, und mir verging aller Mut. Sollte ich eine von ihnen zum Weibe nehmen, mit der Liebe zu einer andern Frau im Herzen? Unmöglich. Eine Gattin aus solchem Stande hätte auch ihrerseits Ansprüche erhoben, wenn sie einem Manne die Ehre erwies, ihm die Hand zu reichen. Was hatte ich aber jenen Damen zu bieten? Reichtum besaßen sie schon, eine hohe Stellung in der Gesellschaft gleichfalls. Liebevolle Hingebung? – das überstieg meine Kräfte. Unwillig gab ich den Gedanken auf.
Bei meiner Cousine fand ich keine Hilfe. Sie war von stolzem Charakter und liebte mein Vermögen und meine Stellung nicht minder, als meine Person.
Müssen Sie eine andere heiraten, um Ihr Erbe nicht zu verlieren, so wählen Sie Ihre Gattin nicht aus unserem Kreise, sagte sie, ich dulde keine Nebenbuhlerin in meinem Reich. Ihre Frau muß einfacheren Sinnes und weniger ehrgeizig sein als ich. – Aber beflecken Sie Ihren guten Namen nicht, denn er ist auch der meinige, pflegte sie stets hinzuzufügen.
Inzwischen verging ein Tag nach dem andern. Hätte ich mir die Sache auch aus dem Sinn schlagen können, der strenge, fragende Blick, mit dem mein Vater mich allabendlich empfing, wenn ich an sein Lager trat, würde sie mir schnell genug ins Gedächtnis zurückgerufen haben. Mir war, als wälze sich ein ungeheures Schicksal näher und näher zu mir heran, um mich zu zermalmen.
Wie oder wann der Gedanke an Luttra zum erstenmal in mir aufstieg, kann ich nicht sagen. Anfangs schreckte ich davor zurück und wies ihn verächtlich von mir; aber er kehrte immer wieder, und es sprach so vieles zu ihren Gunsten, daß ich eine Heirat mit ihr bald als rettende Zuflucht zu betrachten begann. Wohl war sie eine Heimatlose, Flüchtige, aber mein Vater wollte ja keine Familienbeziehungen. Daß Bande des Blutes sie an Schurken und Verbrecher knüpften, wußte ich, doch hatte sie sich seit Jahren von jeder Verbindung mit ihnen losgesagt und ein neues Leben unter ganz anderen Verhältnissen geführt. Ich machte mich immer mehr mit dem Gedanken vertraut: welche dankbare, anspruchslose Frau würde mir meine junge Schutzbefohlene sein! Ich wäre so wenig wie möglich gebunden; sie würde nichts verlangen, und ich brauchte ihr nichts zu gewähren, als eine Heimat und die gewöhnlichste höfliche Rücksicht. Die Hauptsache aber war, daß ihre Erscheinung mich in keiner Weise an die der stolzen, vornehmen Dame erinnerte, deren leisester Wink für mich ein Befehl gewesen war. Eine anmutige, bescheidene, gehorsame Gattin würde ich an ihr haben, um derentwillen ich mir keinerlei Zwang aufzulegen brauchte.
Nachdem ich dies alles wohl bedacht, beschloß ich Luttra aufzusuchen. Ich hatte sie nicht wiedergesehen, seit wir uns an jenem Morgen vor der Türe der kleinen Hütte in Vermont Lebewohl gesagt, um so mehr war ich von ihrem Aussehen überrascht. War dies schlanke, hochgewachsene Mädchen mit dem Kranz goldig schimmernden Haares und dem Antlitz, das man unwillkürlich mit Ehrfurcht betrachtete, die Flüchtige, Heimatlose? – Ein fast zorniges Gefühl überkam mich; mir war, als sei ich getäuscht und betrogen worden – statt der Rebe, die ich gepflanzt hatte, sah ich eine hohe Palme vor mir. Ich war so verwirrt, daß meine Begrüßung nicht ganz so gütig und herablassend ausfiel, als ich beabsichtigt hatte. Sie schien meine Verlegenheit zu bemerken, und ein flüchtiges Lächeln zuckte um ihren Mund. Dies holde, freundliche Lächeln bestimmte meinen Entschluß.
Wie es mir gelang, sie zu bewegen, mich nach Ablauf von zehn Tagen zu heiraten, ist mir selbst ein Rätsel. Weder Rang noch Reichtum hat sie bestochen, denn erkaufen wollte ich das Mädchen nicht, und dies ist vielleicht das einzige, was meiner damaligen Handlungsweise einigermaßen zur Entschuldigung dient. Ich versprach ihr keine goldenen Berge in der Zukunft, malte ihr auch nicht die Vorzüge aus, welche mir meine Stellung bot, und dennoch gewann ich sie.
Wir wurden in einer Kirche von Troy in aller Stille getraut. Warum die Welt nie etwas davon erfahren hat, weiß ich nicht; jedenfalls gab ich mir damals keine besondere Mühe, unsere Verbindung geheimzuhalten. Später, nachdem wir uns getrennt hatten, ergriff ich freilich alle Maßregeln, die mir zu Gebote standen, damit von der bittern Kränkung, welche mein Stolz erfahren hatte, nichts in die Öffentlichkeit gelangte.
Nach der Hochzeit reisten wir sogleich nach Neuyork, doch hatte ich von meinen Absichten nichts vorher verlauten lassen, was bei meinem damaligen Gemütszustande vielleicht verzeihlich war. Wir kamen ganz überraschend an, nichts war zu unserem Empfang vorbereitet; wie Fremde traten wir über die Schwelle des Hauses und begaben uns sogleich nach meines Vaters Zimmer.
Wir können kein Hochzeitsfest und keine Flitterwochen feiern, hatte ich ihr gesagt. Mein Vater liegt im Sterben und bedarf meiner Pflege. Ich muß dich vom Altar gleich an ein Totenbett führen, das ist traurig für dich, aber unvermeidlich. Und sie fügte sich in ihr Schicksal mit einem innigen, unbeschreiblichen Lächeln, das ich erst nach langen, einsamen und leidensvollen Monaten verstehen lernte.
Vater, hier bringe ich dir meine junge Frau, das waren meine ersten Worte, als sich die Türe hinter uns schloß.
Nie werde ich vergessen, wie er sich im Bette aufrichtete und mit begierigen Blicken ihr jugendliches Antlitz und ihre hohe Gestalt betrachtete, die sich zu dem Kranken niederbeugte. Noch sehe ich es deutlich vor mir, wie er ihr freudig bewegt die Arme entgegenstreckte, und sie sich liebevoll an seine Brust schmiegte. Mich hatte er niemals, selbst nicht in meiner frühesten Kindheit, so innig ans Herz gedrückt. Denn mein Vater war stets ein strenger Mann gewesen, der jede Liebkosung von sich wies und den Grad der Zuneigung nur nach der Ehrerbietung maß, mit welcher man ihm begegnete.
Meine Tochter! rief er. Wer sie sei, und woher sie komme, darnach fragte er nicht, auch dann nicht, als sie sich nach kurzem Schweigen aufrichtete, ihm beglückt ins Auge sah und wehmütig flüsterte:
Ich habe noch nie einen Vater besessen.
Der Auftritt rührte mich nicht, er verhärtete mein Gefühl. Hätte er Enttäuschung über meine Wahl geäußert, sie mißbilligt oder sich einfach über meinen Gehorsam gefreut, so würde ich mich vielleicht in mein Geschick ergeben haben; aber daß er glücklich über sie war, sie liebte und bewunderte, während er sich über Eveline Blake nie anders als mit Mißfallen geäußert hatte, war mehr, als ich ertragen konnte. Mein ganzes Inneres lehnte sich dagegen auf, und eine Art Haß bemächtigte sich meiner.
Ich bat meine Frau, mich mit dem Vater allein zu lassen, und noch ehe sich die Türe hinter dem armen jungen Geschöpf geschlossen hatte, brach meine tiefe Kränkung, aller Gram, den ich seit Monaten in meiner Brust verborgen hatte, gewaltsam hervor.
Ich habe dir eine Tochter gebracht, wie du befohlen hast, rief ich. Nun gib mir den Segen, den du mir versprachst, und laß mich ziehen, denn mit einer Frau, die ich nicht liebe, kann ich nicht leben!
Mein Vater hatte noch kein Wort der Erwiderung gefunden, da öffnete sich die Türe wieder, und die Frau, welche ich so im ersten Morgendämmern ihres jungen Glücks von mir gestoßen, stand vor uns.
Großer Gott, wie sah sie aus! – Wenn ich jetzt oft nachts aus schweren Träumen aufschrecke – die doch noch köstlich sind gegen die Gedanken, die mich im Wachen quälen – dann taucht vor mir, aus den düstern Schatten, das jugendliche Haupt auf im Strahlenglanz seines Goldhaares und mit dem vor Entsetzen versteinerten Ausdruck.
Hoch aufgerichtet, aber Verzweiflung im Blick, stand sie da. Habe ich recht gehört? stammelte sie.
Hast du mich nur geheiratet, weil man es dir befahl – mich, die ich viel zu gering für dich bin und deinen hohen Stand erst jetzt erkenne? Gabst du mir mit deiner Hand nicht auch dein Herz, wodurch allein die Ehe ihr Recht und ihre Weihe erhält? Mußt du, während dein Vater im Sterben liegt, dies Haus meiden, wenn ich darin bleibe?
Ich sah, wie sich die bleichen Lippen meines Vaters bewegten, als ob er für mich antworten wolle. Wie hartherzig und verstockt ich auch damals war, es erschütterte mich doch. Ich sagte ihr, ich hätte sie nicht kränken wollen und könne es nur beklagen, daß sie meine unbesonnene Rede gehört habe. Sie solle vergeben, daß mir in der Bitterkeit meines Herzens über meine grausam zerstörten Hoffnungen solche Worte entschlüpft seien. Wenn es ihr Kummer bereite, würde ich aus Rücksicht für sie mein Vaterhaus jetzt nicht verlassen.
Eine dunkle Röte färbte ihr die Wangen; sie schämte sich, daß ich so klein von ihr dachte. Also habe ich recht gehört, sagte sie mit tonloser Stimme.
Ich senkte stumm den Blick zu Boden.
Holman, Holman, klang es angstvoll vom Bette her, du wirst mir nicht jetzt meine Tochter rauben wollen.
Luttra hatte sich der Türe genähert; als ich ihr nacheilte, wandte sie sich um. Der Sohn soll sich nicht von seinem Vater trennen, sagte sie fest entschlossen; daher muß ich es sein, die aus diesem Hause geht. Seit unserer ersten Begegnung in jener denkwürdigen Nacht, fuhr sie in sanfterem Tone fort, habe ich dich hoch verehrt und dein Bild im Herzen getragen. Ich war überglücklich, als du mich fragtest, ob ich dein Weib sein wolle, und beachtete es kaum, daß du den Antrag nicht damit begannst, mir deine Liebe zu gestehen, denn sie ist es, die fester als der Trauring die Gatten vereint. Mich beseligte der Gedanke, dir angehören zu dürfen; damals glaubte ich, das sei genug. Auch jetzt liebe ich dich noch so sehr, daß ich dich verlassen will. Für dein Glück würde ich noch mehr tun, ich würde dir deine Freiheit zurückgeben; allein, da du eine Frau dem Namen nach brauchst, so will ich das bleiben, wozu du mich haben wolltest. Ich werde deinem Namen niemals Schande machen, und wenn dereinst vielleicht ein Tag kommt, an dem du der Hingebung meines Herzens oder meines Beistandes bedarfst, so soll mich keine Macht der Erde von dir fernhalten. Bis dahin werde ich, obgleich dein angetrautes Weib, mich aller Rechte begeben, die du mir am heutigen Morgen verliehen hast. Lebe wohl und sei glücklich!
Im nächsten Augenblick war sie, einem Traumbild gleich, geräuschlos aus dem Zimmer verschwunden.
Ich wollte ihr nacheilen, aber ein Schmerzensschrei, der vom Bette herkam, hielt mich zurück; mein Vater lag bleich und regungslos auf dem Kissen. So konnte ich ihn nicht verlassen. Ich befahl Frau Daniels, die stets in der Nähe des Kranken zu finden war, die Dame – ich glaube, ich sagte »meine Frau« – anzuhalten, dann kehrte ich zu meinem Vater zurück. Als es mir endlich gelang, ihn aus der Ohnmacht zu wecken, war seine erste Frage nach der Tochter, die ihm wie ein Lichtstrahl in seiner Dunkelheit erschienen war. Ich wollte gehen, um sie herbeizuholen, aber schon trat die Haushälterin ins Zimmer.
Frau Blake ist fort, sagte sie, ich konnte sie nicht mehr erreichen.