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Kapitel 1

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Unsern Kindern

Junker Rowland.

Jung Rowland und seine Brüder,

Die warfen nach dem Ziel,

Jung Ellen, ihre Schwester,

Nahm theil an ihrem Spiel.

Sanft wurde der Ball geworfen

Und aufgefangen gemach,

Dann flog er, mächtig geschleudert,

Hoch übers Kirchendach.

Jung Ellen ist um die Ecke geeilt,

Den Ball sie sucht mit dem Blick.

Die Brüder warten und warten,

Doch sie kommt nicht zurück.

Sie suchen im Osten und Westen,

Sie rufen in Feld und Wald,

Doch von Ellen – wie groß ist ihr Jammer! –

Keine Antwort entgegenschallt.

Endlich gieng ihr ältester Bruder zu dem Zauberer

Merlin, erzählte ihm den Fall und fragte ihn, ob er

wüsste, wo Maid Ellen sei.

»Die holde Maid Ellen,« erwiderte der Zauberer,

»muss von den Elfen entführt worden sein, weil sie in

entgegengesetzter Richtung zur Sonne um die Kirche

gegangen ist. Sie ist nun im finsteren Thurm des Königs

vom Elfenland, und es gehört der kühnste Ritter

der Christenheit dazu, sie zurückzubringen.«

»Wenn es möglich ist, sie zurückzubringen,« sagte

ihr Bruder, »so werde ich es thun oder das Wagnis

mit dem Leben bezahlen.«

»Möglich ist es,« versetzte Merlin, »aber wehe

demjenigen, der es versucht, bevor er genau unterrichtet

ist, was er zu thun hat.«

Der älteste Bruder Maid Ellens hatte keine Angst

vor den Gefahren und ließ sich von dem Versuche

nicht abhalten. So bat er den Zauberer, ihm zu sagen,

was er thun und was er unterlassen müsse, wenn er

sich auf die Suche nach seiner Schwester begebe.

Nachdem ihn Merlin unterrichtet und er alles wiederholt

hatte, machte er sich auf den Weg ins Elfenland.

Sie harren in Kummer und Zweifel,

Und Tage und Wochen vergehen,

Doch wehe dem armen Bruder,

Denn er ist nicht wieder zu sehen.

Da wurde der zweite Bruder überdrüssig, noch länger

zu warten, und er gieng zum Zauberer Merlin und

fragte ihn um Rath, wie sein Bruder. Dann gieng er

fort, um Maid Ellen zu suchen.

Sie harren in Kummer und Zweifel,

Und Tage und Wochen vergehen,

Doch wehe dem armen Bruder,

Denn er ist nicht wieder zu sehen.

Und als sie lange, lange gewartet hatten, da wollte

Junker Rowland, der jüngste von Maid Ellens Brüdern,

fortgehen, um sie zu suchen. Und er bat seine

Mutter, die gute Königin, ihn fortzulassen. Sie wollte

zuerst nichts davon hören, denn er war das letzte und

liebste ihrer Kinder, und mit ihm hätte sie alles verloren.

Aber er bat und bat immer wieder, so lange, bis

die gute Königin es ihm erlaubte, und sie gab ihm seines

Vaters gutes Schwert, das traf mit jedem Streich.

Als sie es ihm umgürtete, da sprach sie den Zauberspruch,

der ihm Sieg verleihen sollte.

So nahm denn Junker Rowland von der guten Königin,

seiner Mutter, Abschied und gieng in die Höhle

des Zauberers Merlin.

»Noch einmal, nur noch ein einzigesmal,« bat er

den Zauberer, »sag' mir, wie ich Maid Ellen und ihre

beiden Brüder erlösen kann.«

»Mein Sohn,« erwiderte Merlin, »es sind nur zwei

Dinge zu merken, aber so einfach dies scheint, so

schwer ist es zu vollbringen. Eines ist zu thun, das

andere zu lassen. Zu thun ist Folgendes: Wenn du ins

Feenland gekommen bist, so musst du, wenn jemand

zu dir spricht, bevor du Maid Ellen siehst, das

Schwert deines Vaters ziehen und dem Betreffenden,

wer immer es auch sei, den Kopf abschlagen. Und

was du lassen musst, ist Folgendes: Iss keinen Bissen,

und trinke keinen Tropfen, und wärst du noch so

hungrig und durstig; denn trinkst du einen Tropfen

und issest du einen Bissen, so lange du im Elfenland

bist, so wirst du nie wieder die Mutter Erde sehen.«

Junker Rowland wiederholte die beiden Dinge wieder

und immer wieder, bis er sie auswendig wusste,

und er dankte dem Zauberer Merlin und gieng seines

Weges. Und er gieng weiter und weiter und immer

weiter, bis er zu dem Pferdehirten des Königs von Elfenland

kam; der fütterte seine Pferde. Diese erkannte

Junker Rowland an ihren feurigen Augen, und so

wusste er, dass er endlich im Elfenland war.

»Kannst du mir sagen,« fragte Junker Rowland den

Pferdehirten, »wo der finstere Thurm des Königs von

Elfenland ist?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Pferdehirt,

»aber gehe ein bischen weiter, bis du zum Kuhhirten

kommst, der wird es dir vielleicht sagen können.«

Da zog Junker Rowland, ohne ein Wort zu verlieren,

das gute Schwert, das mit jedem Streiche traf,

und der Kopf des Pferdehirten flog vom Rumpfe. Junker

Rowland gieng weiter, bis er zum Kuhhirten kam,

dem er dieselbe Frage vorlegte.

»Ich kann es dir nicht sagen,« antwortete dieser,

»aber gehe ein bischen weiter, bis du zur Hühnerfrau

kommst, die weiß es sicherlich.«

Da zog Junker Rowland sein gutes Schwert, das

mit jedem Streiche traf, und der Kopf des Kuhhirten

flog vom Rumpfe. Dann gieng er weiter, bis er zu

einer alten Frau in einem grauen Mantel kam, und er

fragte sie, ob sie wisse, wo der finstere Thurm des

Königs von Elfenland sei.

»Gehe ein wenig weiter,« sagte die Hühnerfrau,

»bis du zu einem runden, grünen Hügel kommst, der

vom Fuße bis zum Gipfel von Rasenbänken wie von

Ringen umgeben ist. Geh' dreimal in entgegengesetzter

Richtung zur Sonne herum und sage jedesmal:

Thüre, Thüre, öffne dich,

Thüre, Thüre, lass mich ein.

Und beim drittenmale wird sich die Thüre aufthun,

und du kannst hineingehen.«

Junker Rowland wollte gerade weitergehen, als er

sich erinnerte, was er zu thun hatte. So zog er denn

das gute Schwert aus der Scheide, das mit jedem

Streiche traf, und der Kopf der Hühnerfrau flog vom

Rumpfe. Dann zog er weiter und weiter und immer

weiter, bis er zu dem runden, grünen Hügel kam, und

er gieng dreimal in entgegengesetzter Richtung zur

Sonne herum und sagte jedesmal:

»Thüre, Thüre, thu' dich auf,

Thüre, Thüre, lass mich ein.«

Und beim drittenmale that sich die Thüre auf, er trat

ein, sie fiel klirrend ins Schloss, und Junker Rowland

stand im Dunkeln da.

Es war nicht ganz dunkel, sondern eine Art Zwielicht

oder Dämmerung. Es waren weder Fenster noch

Kerzen da, und er konnte nicht herausfinden, woher

das Zwielicht kam, wahrscheinlich durch die Mauern

und das Dach. Diese bestanden aus einem durchsichtigen

Felsen, der mit Glimmer und Feldspat und anderen

glänzenden Steinen bekleidet war. Trotz der Felsen

war die Luft ganz warm, wie immer im Elfenland.

Er gieng weiter, bis er zu zwei breiten Flügelthüren

kam, welche halb offen standen. Als er sie ganz aufriss,

bot sich seinen Blicken ein wundervoller, herrlicher

Anblick: eine große Halle, so groß, dass sie so

breit und lang zu sein schien wie der ganze grüne

Hügel. Das Dach war von schönen Säulen getragen,

die waren so hoch, dass die Säulen einer Kathedrale

nichts dagegen waren; sie bestanden ganz aus Gold

und waren über und über mit Silber in getriebener Arbeit

bedeckt. Um die Säulen schlangen sich Blumengewinde

aus Diamanten und Smaragden und anderen

Edelsteinen. Sogar die Schlusssteine der Bogen waren

mit Bouquets aus Diamanten und Rubinen und anderen

kostbaren Steinen verziert. Und alle diese Bogen

vereinigten sich in der Mitte des Daches, und dort

hieng an einer goldenen Kette eine ungeheure Lampe,

die aus einer einzigen ausgehöhlten, durchsichtigen

Perle bestand. In der Mitte dieser Perle aber befand

sich ein riesig großer Karfunkel, der sich immerfort

im Kreise drehte und die ganze Halle durch seine

Strahlen erleuchtete, so dass es den Eindruck machte,

als würde sie von der untergehenden Sonne beschie-

nen.

An einem Ende der herrlichen Halle befand sich ein

wunderschönes Ruhebett, das ganz aus Sammt und

Seide und Gold bestand, und darauf saß Maid Ellen

und kämmte ihr goldenes Haar mit einem silbernen

Kamme. Als sie Junker Rowland sah, stand sie auf

und sagte:

»O Thor, auch du vom Hause fort!

Was willst du an diesem Ort?

Mein armer jüngster Bruder,

Schier bricht mir mein Herz um dich!

Und hättest du hundert Schwerter,

Dich rettet nicht Hieb noch Stich.

Ruh' aus! Doch wehe, wehe!

Dass jemals du wardst geboren,

Denn sieht dich der König von Elfenland,

So bist du ganz verloren.«

Dann setzten sie sich zusammen hin, und Junker

Rowland erzählte seiner Schwester alles, was er gethan

hatte, und sie erzählte ihm, wie ihre beiden Brüder

den finsteren Thurm erreicht hatten, wie der

König von Elfenland sie verzaubert hatte, so dass sie

nun da eingesargt lägen, als wären sie todt. Nach einiger

Zeit verspürte Junker Rowland großen Hunger

und bat seine Schwester, ihm etwas zu essen zu

geben; er hatte die Warnung des Zauberers Merlin

ganz vergessen.

Maid Ellen blickte ihn traurig an und schüttelte den

Kopf, aber sie war verzaubert und konnte ihn nicht

warnen. Sie stand auf und gieng hinaus und kam bald

mit einer goldenen Schale zurück, die mit Milch und

Brot gefüllt war. Und schon war Junker Rowland im

Begriff, die Schale an die Lippen zu führen; da sah er

seine Schwester an und erinnerte sich, warum er hergekommen

sei. Er schleuderte die Schale zu Boden

und sagte: »Keinen Bissen will ich essen, keinen

Tropfen will ich trinken, bevor Ellen frei ist.«

In diesem Augenblicke hörten sie jemand näher

kommen, und eine laute Stimme rief:

»Feh, fei, foh, fum,

Einen Christen wittere ich hier herum!

Er sei jung, er sei alt,

Mit diesem Schwert mach' ich ihn kalt.«

Die Flügelthüren wurden aufgerissen, und der König

von Elfenland stürzte herein.

»Thue es, wenn du es wagst,« rief Junker Rowland

und stürzte ihm mit seinem guten Schwerte entgegen,

das noch nie versagt hatte. Sie kämpften und kämpften

und kämpften, bis Junker Rowland den König von

Elfenland schlug, dass er auf die Knie sank und um

Erbarmen flehte.

Junker Rowland sagte: »Erlöse meine Schwester

von deinem Zauber, gib meinen Brüdern das Leben

wieder und lass uns alle frei fortziehen, so schenk' ich

dir dein Leben.«

»Ich willige ein,« sagte der König von Elfenland.

Er erhob sich und gieng zu einem Schranke, dem er

ein Fläschchen entnahm; das war mit einer blutrothen

Flüssigkeit gefüllt. Damit bestrich er die Ohren, Augenlider,

Nasenlöcher, Lippen und Fingerspitzen der

beiden Brüder, die sofort ins Leben zurückkehrten.

Sie sagten, ihre Seelen wären aus ihrem Leibe entschwunden

gewesen, seien aber nun wiedergekehrt.

Dann sprach der König der Elfen einige Worte zu

Maid Ellen, und sie war erlöst, und sie giengen alle

fort aus der Halle und kehrten dem finsteren Thurm

den Rücken, um nie wieder zurückzukehren. So

kamen sie nach Hause zu der guten Königin, ihrer

Mutter. Aber Maid Ellen gieng nie wieder in entgegengesetzter

Richtung zur Sonne um eine Kirche

herum.

Herr und Knecht.

Billy Mac Daniel, ein gutmüthiger, aber leichtsinniger

Geselle, gieng in einer klaren, frostigen Winternacht,

nicht lange nach Weihnachten, heim.

Der Vollmond schien hell, und es war die herrlichste

Nacht, die man sich nur wünschen konnte, aber es

war bitter kalt.

»Meiner Treu,« sagte Billy zähneklappernd, »ein

guter Tropfen wäre jetzt nicht ohne. Es friert zum Erbarmen.

Ich wollt', ich hätt' ein volles Glas vom Besten.

«

»Du brauchst den Wunsch nicht zweimal auszusprechen,

« sagte plötzlich ein Männlein. Das hatte

einen goldverschnürten Dreispitz auf dem Kopfe und

solche große silberne Schnallen auf den Schuhen,

dass es ein Wunder war, wie es sie ertragen konnte.

Es hielt ein Glas in der Hand, das war so groß wie

das Männlein selbst und bis zum Rande mit einem

Tranke gefüllt, wie ihn besser noch kein Auge gesehen,

kein Gaumen gekostet hatte.

Billy Mac Daniel erkannte sehr wohl, dass das

Männlein ein Kobold war, trotzdem sagte er furchtlos:

»Auf deine Gesundheit, Kleiner! Danke schön.

Ich frage nicht, wer die Zeche bezahlt.«

Und er ergriff das Glas und leerte es auf einen Zug.

»Wohl bekomm's!« sagte das Männlein, »gern geschehen,

Billy. Glaub' aber nicht, dass du mich betrügen

wirst, wie du Andere betrogen hast – heraus mit

dem Beutel und zahle, wie es einem Ehrenmanne

ziemt!«

»Ich dir bezahlen?« sagte Billy, »ich kann dich ja

in meine Tasche stecken wie eine Brombeere!«

Aber da wurde das Männlein sehr böse.

»Billy Mac Daniel,« sagte es, »sieben Jahre und

einen Tag wirst du mein Knecht sein, auf diese Art

werde ich mich bezahlt machen. Folge mir.«

Als Billy dies hörte, da bedauerte er sehr, so keck

gegen das Männlein gewesen zu sein. Er wusste

selbst nicht, wie es zugieng, musste aber dem Kobold

auf seiner Wanderung folgen, bergauf, bergab, über

Hecke und Graben, über Stock und Stein, ohne Ruh'

und Rast.

Als der Morgen graute, wandte sich das Männlein

zu ihm um und sagte: »Jetzt kannst du nach Hause

gehen, Billy, aber heute nachts kommst du zum Festungsgraben,

sonst geht's dir an den Kragen. Wenn

du dich aber als guter Knecht bewährst, dann wirst du

an mir einen nachsichtigen Herrn haben.«

Billy Mac Daniel ging heim, aber trotzdem er sehr

müde war, schlief er doch keinen Augenblick, so sehr

musste er an das Männlein denken. Er fürchtete sich,

ihm ungehorsam zu sein, und so stand er denn am

Abend auf und gieng zum Festungsgraben.

Er war noch nicht lange dort, als der Kobold auf

ihn zukam und zu ihm sprach: »Billy ich will heute

eine große Reise unternehmen, sattle ein Pferd für

mich und eines für dich, denn du sollst mich begleiten

und dürftest von deiner gestrigen Wanderung her

noch müde sein.«

Billy gestand sich, dass sein Herr sehr rücksichtsvoll

sei, und dankte ihm.

»Gestattet mir, Herr,« fügte er hinzu, »Euch zu fragen,

wo der Stall ist. Ich sehe nämlich nichts als die

Festung und den Dornbusch dort drüben, den Bach

am Fuße des Hügels und das Stück Sumpfland uns

gegenüber.«

»Frag' nicht viel, Billy,« sagte das Männlein, »sondern

geh' zu dem Sumpfe hinüber und bringe mir zwei

von den stärksten Binsen.«

Billy that, wie ihm geheißen ward, und wunderte

sich, was der Kobold wohl vorhabe.

Er schnitt zwei der stärksten Binsen ab, die er nur

finden konnte und brachte sie seinem Herrn.

»Steig' auf,« sagte das Männlein; es nahm eine der

Binsen und setzte sich rittlings darauf.

»Wo soll ich aufsteigen, Euer Gnaden?« fragte

Billy.

»Wo? Nun, auf das Pferd doch natürlicherweise, so

wie ich«, antwortete das Männlein.

»Wollt' Ihr mich zum Narren halten? Die Binse

soll ich besteigen?« fragte Billy, »wollt' Ihr mir vielleicht

gar einreden, dass die Binse, die ich vor einem

Weilchen aus dem Sumpfe gezogen habe, ein Pferd

ist?«

»Steig' auf und red' nicht so viel,« sagte das Männlein

und sah dabei sehr böse aus; »das beste Pferd,

das du je geritten hast, ist nichts im Vergleiche

damit.«

Billy glaubte, er scherze, wollte ihn aber nicht erzürnen

und nahm die Binse zwischen die Beine.

»Borram! Borram! Borram!« – das bedeutet so viel

wie: »wachse!« – rief das Männlein, und Billy folgte

seinem Beispiel. Sofort verwandelten sich die Binsen

in schöne Rosse und galoppierten davon. Billy aber,

welcher, ohne weiter darauf zu achten, die Binse zwischen

die Beine genommen hatte, saß mit dem Gesichte

dem Schweife zugekehrt auf dem Pferde. So unangenehm

das auch war, er war nicht im Stande, sich

umzudrehen, denn das Pferd galoppierte zu schnell.

Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als sich am

Schweife festzuhalten.

Endlich erreichten sie das Ziel ihrer Reise. Vor

dem Thore eines schönen Hauses machten sie Halt.

»Jetzt, Billy,« sagte das Männlein, »folge mir und

thue genau, was ich thue. Da du aber nicht einmal im

Stande bist, den Kopf eines Pferdes von seinem

Schweife zu unterscheiden, so nimm' dich inacht,

sonst wirst du am Ende gar bald nicht mehr wissen,

ob du auf deinem Kopfe oder auf deinen Beinen

stehst. Bedenke, dass alter Wein zwar eine Katze zum

Reden bringen, aber auch einen Menschen stumm machen

kann.«

Das Männlein machte noch einige solcher seltsamer

Bemerkungen, die Billy nicht verstehen konnte.

Dann giengen sie durch das Schlüsselloch ins Haus

und immer weiter durch andere Schlüssellöcher, bis

sie in den Weinkeller gelangten; in dem waren alle

Arten von Wein zu finden. Das Männlein begann nun

zu trinken und trank, so viel es vermochte, und Billy,

dem es durchaus nicht unangenehm war, das Gleiche

zu thun, folgte seinem Beispiele.

»Ihr seid wirklich der beste Herr,« sagte Billy,

»den es gibt, wer immer auch mein nächster Herr sein

mag. Wenn Ihr fortfahrt, mir so reichlich zu trinken

zu geben, dann wird mich mein Dienst bei Euch sehr

freuen.«

»Ich lass mich nicht auf Bedingungen ein,« erwiderte

das Männlein, »komm' jetzt.«

Wieder giengen sie durch viele Schlüssellöcher, bestiegen

die Binsen, die sie vor dem Hausthor zurückgelassen

hatten, und fort gieng's, nachdem sie »Borram,

Borram, Borram« gerufen hatten, dass die Wolken

vor ihnen wie Schneeflocken herflogen.

Als sie zu dem Festungsgraben zurückkehrten, entließ

das Männlein Billy und befahl ihm, sich am folgenden

Abend um dieselbe Zeit wieder an demselben

Orte einzufinden. So lebten sie Nacht um Nacht, nahmen

einmal ihren Weg dahin, dann dorthin, bald

nördlich, bald östlich, manchmal südlich, bis es in

ganz Irland keinen Weinkeller mehr gab, den sie nicht

besucht hatten. Sie kannten jede einzelne Sorte ebensogut,

ja sogar besser als der Kellermeister selbst.

Eines Nachts, als Billy Mac Daniel seinen Herrn

wie gewöhnlich beim Festungsgraben traf und zum

Sumpf hinübergieng, um die Pferde zu ihrer Reise zu

holen, sagte das Männlein zu ihm: »Billy, heute

werde ich noch ein drittes Pferd brauchen, denn wir

kommen vielleicht zu Dreien zurück.«

Billy, der schon wusste, dass es nicht gut sei, seinen

Herrn viel zu fragen, brachte also eine dritte

Binse und sann darüber nach, wer wohl mit ihnen zurückkommen

würde, vielleicht ein zweiter Knecht.

»Wenn das der Fall ist,« dachte er, »dann muss e r

jeden Abend die Pferde aus dem Sumpfe holen. Denn

ich bin gerade so vornehm wie mein Herr.«

Sie ritten fort, und Billy führte das dritte Pferd. Sie

hielten erst, als sie das schmucke Häuschen eines

Pächters in der Grafschaft Limerick erreicht hatten.

Das stand in der Nähe des alten Schlosses von Carrigogunniel,

welches der große Brian Boru erbaut

haben soll. Drinnen gieng es hoch her, und das Männlein

blieb einige Zeit draußen stehen und lauschte.

Plötzlich wendete es sich zu Billy um und sagte:

»Billy, morgen bin ich tausend Jahre alt!«

»Gott behüte und bewahre uns, Herr,« sagte Billy,

»wirklich?«

»Sag' das Wort nicht wieder, Billy,« sagte das alte

Männlein, »sonst ist's um mich geschehen. Da ich nun

morgen tausend Jahre alt werde, so denk' ich, Billy, es

ist hohe Zeit für mich, zu heiraten.«

»Das denk' ich auch,« erwiderte Billy, »wenn Ihr

überhaupt heiraten wollt.«

»Und zu dem Zwecke,« sagte der Kobold, »bin ich

den weiten Weg nach Carrigogunniel hergekommen,

denn hier in diesem Hause sollen noch heute abends

Darby Riley und Bridget Rooney getraut werden. Und

da sie ein hübsches, schlankes Mädchen und aus anständiger

Familie ist, so gedenke ich sie selbst zu heiraten

und sie gleich mitzunehmen.«

»Was wird aber Darby Riley dazu sagen?« fragte

Billy.

»Schweig'!« rief das Männlein mit strengem Blick,

»ich hab' dich nicht mitgebracht, damit du müßige

Fragen stellst.«

Ohne sich in weitere Erörterungen einzulassen, begann

er die seltsamen Worte zu sprechen, welche ihm

die Macht verliehen, durch Schlüssellöcher zu gelan-

gen. Billy, der sich für ungeheuer klug hielt, weil er

diese Worte nachsprechen konnte, folgte ihm.

Sie gingen Beide hinein. Das Männlein setzte sich,

um die Gesellschaft besser überblicken zu können,

wie ein Spatz auf einen der großen Balken, welche die

Decke entlang liefen, und Billy setzte sich auf einen

anderen Balken, ihm gegenüber. Aber er war an eine

solche Sitzart nicht gewöhnt, und ihm schlenkerten

die Beine herunter; hätte er sich seinen Herrn zum

Muster genommen, so wäre es besser gegangen, der

saß so gemüthlich mit gekreuzten Beinen da, als wäre

er sein Leben lang ein Schneider gewesen.

Herr und Knecht betrachteten nun von oben das lustige

Treiben. Unter ihnen saßen der Pfarrer und der

Pfeifer und Darby Riley's Vater, seine beiden Brüder

und sein Vetter, die Eltern Bridget Rooney's, die

heute abends ganz besonders stolz waren auf ihre

Tochter und mit gutem Rechte, dann ihre vier Schwestern

mit nagelneuen Bändern auf ihren Häubchen

und ihre drei Brüder, die so sauber und klug dreinblickten,

und dann waren Onkel und Tanten, Vettern

und Basen genug da. Die Speisen und Getränke auf

dem Tische hätten für doppelt so viel Leute gereicht.

Mrs. Rooney hatte gerade Seiner Ehrwürden das

erste Stück von dem mit Wälschkohl schön aufgeputzten

Schweinskopfe vorgelegt, als die Braut plötzlich

nieste. Alle Gäste fuhren zusammen, aber kein

einziger sagte: »Helf' Gott!«

Alle glaubten nämlich, dass der Pfarrer dies thun

würde, und niemand wollte ihm das Wort aus dem

Munde nehmen, der war aber leider mit dem

Schweinskopf und dem Gemüse beschäftigt. Nach

einer kleinen Pause gieng die Lustbarkeit weiter, und

niemand dachte daran, den frommen Wunsch zu sprechen.

Herr und Knecht hatten von ihrer Höhe den

Umstand wohl bemerkt.

»Ha!« rief das Männlein aus und streckte in seiner

Freude ein Bein vor sich hin; seine Augen leuchteten,

und er zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ha!« wiederholte

er, und dabei grinste er nach der Braut hin

und dann zu Billy hinüber. »Nun ist sie zur Hälfte

mein! Wenn sie noch zweimal niest, dann gehört sie

mir, trotz Priester, Messbuch und Darby Riley!«

Wieder nieste die holde Bridget, aber so leise, und

sie erröthete dabei so sehr, dass niemand außer dem

Kobold es bemerkte oder zu bemerken schien, und

niemand dachte daran, »Helf' Gott!« zu sagen.

Billy betrachtete das arme Mädchen die ganze Zeit

über mit schmerzlichen Blicken. Er musste immerfort

daran denken, wie schrecklich es sei, daß ein schönes

Mädchen von neunzehn Jahren mit großen, blauen

Augen, Grübchenwangen und blendender Hautfarbe,

strahlend von Gesundheit und Glück, die Frau eines

hässlichen, kleinen Kerlchens werden sollte, dem zu

tausend Jahren nur ein Tag fehlte.

Als der entscheidende Augenblick kam und Bridget

zum drittenmal nieste, da brüllte Billy aus Leibeskräften:

»Helf' Gott!«

Aber kaum waren diese Worte heraus, da sprang

das Männlein von dem Balken, auf dem es gehockt

hatte, sein Gesicht glühte vor Wuth und Enttäuschung,

und mit schriller, kreischender Stimme, die

wie ein geborstener Dudelsack klang, rief er: »Du bist

aus meinen Diensten entlassen, Billy Mac Daniel –

hier, das ist dein Lohn!«

Mit diesen Worten versetzte er Billy einen wüthenden

Stoß in den Rücken, und der unglückliche Knecht

fiel mitten auf den festlichen Tisch.

Wenn Billy erstaunt war, wie viel mehr waren es

erst die Gäste, in deren Mitte er so mir nichts dir

nichts hineingerathen war!

Aber als sie seine Geschichte hörten, da legte Pater

Rooney Gabel und Messer hin und traute das junge

Paar auf der Stelle. Billy Mac Daniel tanzte die Rika

und trank fleißig; ein guter Tropfen war ihm doch

noch lieber als der schönste Tanz.

Die kluge Kate.

Es war einmal ein König und eine Königin. Der

König hatte aus erster Ehe eine Tochter, Anne, und

die Königin eine namens Kate, aber Anne war viel

schöner, als die Tochter der Königin, doch liebten die

Beiden einander wie wirkliche Schwestern. Die Königin

war eifersüchtig darauf, dass die Tochter des Königs

schöner war, als ihre eigene, und sann darüber

nach, wie sie ihre Schönheit verderben könnte. Sie berieth

sich mit der Hühnerfrau, und die sagte, sie möge

ihr das Mädchen am folgenden Morgen schicken, aber

bevor sie etwas gegessen hätte.

Früh am folgenden Morgen sagte die Königin zu

Anne: »Geh', liebes Kind, zur Hühnerfrau und bringe

mir einige Eier.«

Anne gieng, aber als sie durch die Küche kam, sah

sie eine Brotkruste liegen, die nahm sie mit und knusperte

unterwegs daran.

Als sie zur Hühnerfrau kam, bat sie sie um Eier,

wie ihr geheißen ward; die Hühnerfrau sagte ihr:

»Hebe den Deckel von jenem Topfe auf und schau'

hinein.« Das Mädchen that es, aber es ereignete sich

nichts.

»Geh' nach Hause zu Deiner Mutter und sag' ihr,

sie möge die Thür zur Speisekammer besser schlie-

ßen,« sagte die Hühnerfrau.

Anne gieng nach Hause und bestellte der Königin,

was ihr die Hühnerfrau aufgetragen hatte. Daraus

ersah die Königin, dass das Mädchen, bevor es zur

Hühnerfrau kam, etwas gegessen haben müsse; sie

gab also am folgenden Morgen acht und schickte sie

fort, ohne daß sie einen Bissen genossen hatte. Aber

die Prinzessin sah unterwegs einige Landleute Erbsen

abpflücken, und da sie sehr freundlich war, sprach sie

zu den Leuten und nahm eine Hand voll Erbsen, die

sie unterwegs aß.

Als sie zur Hühnerfrau kam, sagte diese: »Hebe

den Deckel von jenem Topf auf und schau' hinein.«

Wieder hob Anne den Deckel auf, aber es ereignete

sich nichts.

Da wurde die Hühnerfrau sehr böse und sagte:

»Sag' Deiner Mutter, ohne Feuer siedet kein Topf.«

Anne ging heim und sagte es der Königin.

Am folgenden Tage begleitete die Königin das

Mädchen zur Hühnerfrau. Als Anne diesmal den Dekkel

vom Topf abhob, fiel ihr hübscher Kopf ab, und

statt dessen saß der Kopf eines Schafes auf ihren

Schultern. Die Königin war nun zufrieden und gieng

nach Hause.

Ihre Tochter Kate aber nahm ein feines Linnentuch

und hüllte den Kopf ihrer Schwester darein, dann ergriff

sie ihre Hand, und sie giengen zusammen fort,

um ihr Glück zu suchen. Sie wanderten weiter und

immer weiter, bis sie zu einem Schlosse kamen. Kate

klopfte an und bat um ein Nachtlager für sich und

eine kranke Schwester. Sie traten ein und sahen, dass

sie sich in einem königlichen Schlosse befanden. Der

König hatte zwei Söhne, von denen der eine todtkrank

war, aber Keiner wusste, was ihm fehlte.

Seltsam war, dass, wer immer eine Nacht bei ihm

wachte, für immer verschwand. So bot denn der

König jedem, der bei ihm aufbleiben wollte, eine

Metze Silber an. Kate war ein sehr tapferes Mädchen,

sie erbot sich also, bei ihm zu wachen.

Bis Mitternacht gieng alles gut. Als die Uhr zwölf

schlug, da stand der kranke Prinz auf, kleidete sich an

und schlüpfte die Treppe hinunter. Kate folgte ihm,

aber er schien sie nicht zu bemerken. Er gieng in den

Stall, sattelte sein Pferd, rief seinen Jagdhund und

sprang in den Sattel; Kate saß hinter ihm auf. So ritten

die Beiden durch den grünen Wald, und Kate

pflückte im Vorbeireiten Nüsse von den Bäumen und

that sie in ihre Schürze. Sie ritten immer weiter, bis

sie zu einem grünen Hügel kamen. Da zog der Prinz

die Zügel an und sagte: »Thu' dich auf, thu' dich auf,

grüner Hügel, und laß den jungen Prinzen ein und

sein Pferd und seinen Hund.« Da fügte Kate hinzu:

»Und das Mädchen hinter ihm.«

Sofort that sich der grüne Hügel auf, und sie gin-

gen hinein. Der Prinz trat in eine hellbeleuchtete,

prächtige Halle ein, da umringten ihn viele Elfen und

führten ihn zum Tanze. Kate hatte sich unbemerkt

hinter der Thür versteckt. Da sah sie wie der Prinz

tanzte und immerfort tanzte und tanzte, bis er nicht

mehr weiter konnte und auf ein Ruhebett niedersank.

Dann fächelten ihn die Elfen, bis er sich wieder erheben

und weitertanzen konnte. Endlich krähte der

Hahn, da beeilte sich der Prinz, wieder aufzusitzen,

Kate sprang hinter ihm auf das Pferd, und sie ritten

heim.

Als die Morgensonne aufstieg, fand man Kate beim

Kaminfeuer sitzen, wo sie ihre Nüsse knackte. Sie

sagte, der Prinz hätte eine gute Nacht gehabt, sie

würde aber nur dann auch die folgende Nacht bei ihm

aufbleiben, wenn sie dafür eine Metze Gold erhielte.

Die zweite Nacht verging wie die erste. Um Mitternacht

erhob sich der Prinz und ritt zu dem grünen

Hügel zum Feenball, und Kate begleitete ihn und

pflückte Nüsse, als sie durch den Wald ritten. Diesmal

bewachte sie den Prinzen nicht, denn sie wußte,

er würde tanzen und immerfort tanzen. Sie sah ein Elfenkind

mit einem Stabe spielen und hörte, wie eine

der Elfen sagte: »Drei Schläge mit diesem Stabe würden

Kate's kranker Schwester ihre Schönheit wieder

geben.«

Da rollte Kate Nüsse zu dem Elfenkinde hinüber,

und das that sie so lange, bis das Kind zu den Nüssen

hintorkelte und den Stab fallen ließ. Kate hob ihn auf

und steckte ihn in ihre Schürze. Beim ersten Hahnenschrei

ritten sie wie früher nach Hause, und kaum

waren sie ins Schloß gekommen, so eilte sie zu Anne

und berührte sie drei Mal mit dem Stabe, da fiel der

häßliche Schafskopf ab, und ihre Schwester war wieder

die alte schöne Anne. Die dritte Nacht wollte Kate

nur unter der Bedingung beim kranken Prinzen wachen,

daß sie ihn zum Manne bekomme.

Alles verlief wie in den beiden ersten Nächten.

Diesmal spielte das Elfenkind mit einem Vogel, und

Kate hörte, wie eine der Elfen sagte: »Drei Bissen

dieses Vogels würden den kranken Prinzen wieder so

gesund machen, wie er einst war.« Da rollte Kate alle

Nüsse, die sie besaß, dem Elfenkinde hinüber, bis es

den Vogel fallen ließ. Auch diesen that Kate in ihre

Schürze.

Beim ersten Hahnenschrei ritten sie wieder heim,

aber dieses Mal knackte Kate keine Nüsse, sondern

rupfte den Vogel ab und kochte ihn. Ein köstlicher

Duft drang durch das Zimmer. »Ach!«, sagte der

Prinz, »ich möchte so gern' ein Stückchen von diesem

Vogel essen!«

Da gab ihm Kate einen Bissen, und er stützte sich

auf den Ellbogen. Dann rief er wieder: »Ach, wenn

ich doch noch einen Bissen von dem Vogel bekäme!«

Da gab ihm Kate wieder ein Stückchen, und er

setzte sich im Bette auf. Dann sagte er wieder: »Ach,

ich möchte so gern noch ein einziges Stückchen von

dem Vogel!«

Da gab ihm Kate den dritten Bissen, und er war gesund

und stark und stand auf und kleidete sich an und

setzte sich an das Kaminfeuer. Und als die Leute am

nächsten Morgen eintraten, fanden sie Kate und den

jungen Prinzen damit beschäftigt, Nüsse zu knacken.

Inzwischen hatte sein Bruder Anne gesehen und

sich in sie verliebt, wie Jeder, der ihr schönes, süßes

Gesicht sah. So heirathete der kranke Königssohn die

gesunde Schwester, und der gesunde Sohn heiratete

die kranke Schwester, und sie lebten alle glücklich bis

an ihr seliges Ende.

Jack, der Riesentödter.

Zur Zeit, als König Arthur regierte, da lebte in der

Grafschaft Cornwall, dort, wo England im Westen zu

Ende geht, ein reicher Bauer. Dieser hatte einen einzigen

Sohn namens Jack, der war gewandt, klug und

schlagfertig, und was er nicht durch Kraft und Stärke

ausrichten konnte, das erreichte er durch Schlauheit

und List. Es gab keinen Menschen, der ihm je über

gewesen wäre, und sehr oft kamen selbst die Gelehrtesten

gegen seinen Witz und seine Geistesgegenwart

nicht auf.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

In jenen Tagen lebte auf einer Insel, Berg von

Cornwall genannt, ein ungeheurer Riese von wildem,

grimmigem Aussehen, achtzehn Fuß hoch und drei

Ellen im Umfang, der war der Schrecken aller umliegenden

Städte und Dörfer. Er wohnte in einer Höhle

inmitten des Berges, und niemand durfte sich in seine

Nähe wagen. Seine Nahrung bestand in anderer Leute

Vieh, das ihm oft zur Beute fiel, denn so oft er hungrig

war, watete er zum Festland hinüber und eignete

sich an, was ihm in den Weg kam. Sobald die guten

Leute ihn von ferne erblickten, verließen sie ihre

Wohnungen, er aber plünderte ihre Ställe. Es war ihm

gar nichts, ein halbes Dutzend Ochsen auf einmal auf

dem Rücken zu tragen, und Schafe und Schweine

band er sich wie ein Schwertgehänge um den Leib.

Diese Lebensweise führte er viele Jahre hindurch, so

dass ganz Cornwall infolge dieser Plünderungen verarmte.

Eines Tages war Jack zufällig bei der Sitzung anwesend,

welche die Stadträthe nach einem neuen

Raubzuge des Riesen auf dem Rathhause abhielten,

und fragte, welche Belohnung derjenige erhalten

würde, der den Riesen tödtete. »Den Schatz des Riesen,

« lautete die Antwort.

»Dann wag' ich's,« sagte Jack.

Er rüstete sich mit einem Horn, einer Schaufel und

einer Axt aus und fuhr bei Anbruch einer dunklen

Winternacht zu der Berginsel hinüber. Dort machte er

sich an die Arbeit, und bevor der Morgen graute, hatte

er eine Grube gegraben, die war zweiundzwanzig Fuß

tief und fast ebenso breit. Er deckte sie mit langen

Stecken und Stroh zu und streute dann ein wenig Erde

darüber, so dass der Boden aussah wie zuvor. Als er

damit fertig war, stellte er sich an die Seite der Grube,

die am weitesten von der Höhle des Riesen entfernt

war, und gerade bei Tagesanbruch setzte er das Horn

an den Mund und blies: »Trara! Trara!«

Das unerwartete Geräusch weckte den Riesen auf.

Er stürzte aus seiner Höhle hervor und schrie: »Du

elender Kerl, bist du hieher gekommen, um meine

Ruhe zu stören? Das wird dir theuer zu stehen kommen.

Ich muss Genugthuung haben, und zwar werde

ich dich, wie du stehst und gehst, zum Frühstück braten.

«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als er auch

schon in die Grube stürzte und mit seinem Falle den

Berg in seinen Grundfesten erschütterte.

»Nun, Herr Riese,« fragte Jack, »wo sind Sie denn?

Wahrhaftig jetzt sitzen Sie in der Klemme, und ich

werd' Ihnen Ihre Drohung tüchtig heimzahlen. Wie

denken Sie nun darüber, mich zum Frühstück zu braten?

Muss es denn gerade der arme Jack sein?«

Nachdem er den Riesen so eine Zeitlang gequält

hatte, versetzte er ihm mit der Axt einen tüchtigen

Hieb mitten auf den Kopf, so dass er auf der Stelle

todt war.

Darauf füllte Jack die Grube mit Erde aus und

gieng in die Höhle, in welcher er viele Schätze fand.

Als der Stadtrath die frohe Kunde vernahm, beschloss

er, dass Jack fortab den Beinamen Riesentödter

führen solle, und beschenkte ihn mit einem

Schwert und einem Gurt, auf welchem folgende Worte

in Gold gestickt waren:

»Das ist aus Cornwall der tapfere Mann,

Der erschlug den Riesen Cormelian.«

Die Nachricht von Jacks Heldenthat verbreitete sich

bald über den ganzen Westen von England, und als

ein anderer Riese, Blunderbore mit Namen, davon

hörte, schwur er, an dem kleinen Helden Rache zu

nehmen, wenn er je das Glück haben sollte, auf ihn zu

stoßen. Dieser Riese war der Besitzer eines verwunschenen

Schlosses, das mitten in einem einsamen

Walde stand. Ungefähr vier Monate später kam Jack,

der auf der Reise nach Wales begriffen war, durch

diesen Wald. Er war müde und setzte sich bei einer

frischen Quelle hin, um auszuruhen; bald war er fest

eingeschlafen. Da entdeckte ihn der Riese, der gerade

daher kam, um sich Wasser zu holen; an der Inschrift

auf seinem Gurt erkannte er sofort, dass dies der weit

und breit berühmte Jack war. Ohne viele Umstände

lud er ihn auf seine Schultern und trug ihn in sein verwunschenes

Schloss. Als sie durch ein Dickicht

kamen, erwachte Jack von dem Knacken der Zweige,

und er war sehr überrascht, sich in den Klauen des

Riesen zu finden. Aber wie erschrack er erst, als er

beim Eintritt in das Schloss den Boden mit menschlichen

Gebeinen bedeckt sah, welche bald, sagte ihm

der Riese, um die seinigen vermehrt werden würden.

Darauf schloss er den armen Jack in ein ungeheures

Zimmer ein und gieng fort, um einen anderen Riesen

zu holen, der in demselben Walde lebte; der sollte

ihm helfen, Jack ums Leben zu bringen. In seiner Abwesenheit

wurde Jack durch fürchterliches Kreischen

und Wehgeheul in Schrecken versetzt. Er trat ans

Fenster und sah von Weitem die beiden Riesen kommen.

»Jetzt,« sagte Jack zu sich, »steht mir der Tod

oder meine Erlösung bevor.«

In einer Ecke des Zimmers lagen dicke Seile. Er

nahm zwei davon und machte am Ende eine starke

Schlinge, und während die Riesen das eiserne Thor

des Schlosses aufsperrten, warf er ihnen die Schlingen

über den Kopf. Die anderen Enden legte er um einen

Balken, dann zog er mit aller Macht und erdrosselte

sie auf diese Weise. Als sie schon ganz schwarz im

Gesicht waren, ließ er sich an dem Seil zu ihnen

herab, bis er auf ihren Köpfen stand. Da zog er sein

Schwert und erschlug sie beide. Nun nahm er dem

Riesen die Schlüssel ab und öffnete die anderen Zimmer,

da fand er drei schöne Jungfrauen, die der Riese

an ihrem Haar festgebunden hatte. Sie waren fast verhungert.

»Holde Jungfrauen,« sagte Jack, »ich habe das Ungeheuer

und seinen scheußlichen Bruder getödtet und

so Eure Freiheit erwirkt.«

Mit diesen Worten überreichte er ihnen die Schlüssel

und setzte seine Reise so schnell als möglich fort.

Aber er verirrte sich, die Nacht überfiel ihn, und er

konnte kein Obdach finden, bis er endlich in ein enges

Thal kam, wo ein großes Haus stand. In seiner Noth

klopfte er an das Thor, aber wie groß war sein Schrek-

ken, als ein ungeheurer Riese mit zwei Köpfen erschien!

Doch hatte er kein so wildes Aussehen wie die

früheren Riesen, denn er war ein Wälscher, und er

verübte seine Greuelthaten auf geheime und listige

Weise. Jack schilderte dem Riesen seine Lage und

dieser wies ihm ein Schlafzimmer an. In der Stille der

Nacht hörte nun Jack seinen Wirt im anstoßenden Gemach

folgende Worte murmeln:

»Er schlafe ruhig diese Nacht,

Doch morgen früh er nicht erwacht;

Denn dann ist längst er umgebracht.«

»Steht die Geschichte so,« sagte Jack, »du hast einen

deiner wälschen Streiche im Sinn; aber da bist du an

den Rechten gerathen.«

Er stieg aus dem Bett, legte ein Scheit Holz hinein

und versteckte sich in einer Ecke des Zimmers. Mitten

in der Nacht kam der wälsche Riese herein und hob

mit seiner Keule auf das Bett los; natürlich glaubte er,

dass er Jack jeden Knochen im Leibe gebrochen hätte.

Am nächsten Morgen dankte Jack, der sich heimlich

ins Fäustchen lachte, dem Riesen herzlich für das

Nachtlager.

»Wie hast du geruht?« fragte ihn der Riese, »hast

du in der Nacht nichts gespürt?«

»Nichts,« erwiderte Jack, »nur hat mir eine Ratte

einen und den anderen Klaps mit ihrem Schwanze

versetzt.«

Höchlich erstaunt führte der Riese Jack zum Frühstück

und brachte ihm eine Schüssel, die vier Maß

dicke Mehlsuppe enthielt. Da Jack den Riesen nicht

merken lassen wollte, dass dies zu viel für ihn sei, so

that er einen großen Lederbeutel unter seinen weiten

Rock und schüttete, ohne dass der Riese es sah, den

größten Theil der Suppe hinein. Dann sagte er seinem

Wirt, er wolle ihm ein Kunststück zeigen. Er nahm

ein Messer und schlitzte damit den Lederbeutel auf,

so dass die ganze Mehlsuppe herauslief.

Darauf versetzte das Ungeheuer: »Potz tausend,

das Kunststück kann ich auch,« ergriff das Messer,

schlitzte sich den Bauch auf und fiel todt zu Boden.

Um diese Zeit geschah es, dass der einzige Sohn

König Arthurs seinen Vater um eine große Summe

Geldes bat. Er wollte sein Glück im Fürstenthum

Wales versuchen; dort lebte eine schöne Jungfrau, die

von sieben bösen Geistern besessen war. Vergebens

suchte der König seinen Sohn von seinem Vorhaben

abzubringen, endlich kam er seinem Wunsche nach,

und der Prinz machte sich mit zwei Pferden auf den

Weg. Das eine war mit Gold beladen, das andere ritt

er. Nach einigen Tagreisen kam er in einen Marktflekken

in Wales, wo er eine große Menschenmenge versammelt

sah. Als der Prinz nach der Ursache dieser

Ansammlung fragte, erhielt er die Antwort, dass die

Leute einen Leichnam mit Beschlag belegt hatten,

weil ihnen der Verstorbene zu seinen Lebzeiten eine

große Geldsumme schuldete. Der Prinz sprach sein

Bedauern darüber aus, dass Gläubiger so grausam

sein konnten, und sagte: »Geht, begrabt den Todten

und schickt seine Gläubiger in meine Wohnung, ich

werde die Schulden bezahlen.«

Die Gläubiger kamen, aber in solcher Anzahl, dass

dem Prinzen vor Einbruch der Nacht fast nichts von

seinem Gelde übrig geblieben war.

Jack, der Riesentödter, der gerade des Weges kam,

war so hingerissen von der Großmuth des Prinzen,

dass er den Wunsch aussprach, in seine Dienste zu

treten. Nachdem sie sich geeinigt hatten, setzten sie

am nächsten Morgen gemeinsam die Reise fort. Als

sie aus der Stadt ritten, rief ein altes Weib den Prinzen

an und sagte: »Er ist mir sieben Jahre lang zwei

Pence schuldig geblieben, bitte, zahlt mir die Schuld,

so gut wie Ihr sie den andern bezahlt habt.«

Der Prinz griff in die Tasche und gab der Frau

alles, was er noch besaß, so dass am Abend, nachdem

Jack für ihren Imbiss all sein Geld ausgegeben hatte,

beiden zusammen kein Heller mehr übrig geblieben

war. Als die Sonne unterzugehen begann, sagte der

Königssohn: »Wo werden wir heute nachts schlafen,

Jack, da wir kein Geld mehr haben?«

Aber Jack erwiderte: »Es wird uns ganz wohl ergehen,

Herr, denn ich habe einen Onkel, der zwei Meilen

von hier wohnt. Er ist ein ungeheurer Riese mit

drei Köpfen, der es mit fünfhundert bewaffneten Männern

aufnimmt und sie in die Flucht schlägt.«

»Ach,« seufzte der Prinz, »was sollen wir dort? Er

wird uns sicherlich auf einen Bissen verzehren; nein,

wir werden ihm nicht einmal einen hohlen Zahn ausfüllen!

«

»Davon ist nicht die Rede,« antwortete Jack, »ich

will vorausgehen und Euch die Wege ebnen, verzieht

hier und wartet, bis ich zurückkehre.«

Jack ritt nun im schnellsten Galopp davon, und als

er bei dem Schloss angelangt war, klopfte er so laut

an das Thor, dass die umliegenden Hügel erdröhnten.

Der Riese brüllte, dass es wie das Rollen des Donners

klang: »Wer da?«

»Nur Dein armer Vetter Jack,« war die Antwort.

Da frug er wieder: »Was bringt mein armer Vetter

Jack für Nachrichten?«

Jack erwiderte: »Böse Nachrichten, weiß Gott, lieber

Onkel.«

»Ich bitte dich,« sagte der Riese, »wie kann es für

mich böse Nachrichten geben? Du weißt, dass ich es

mit fünfhundert bewaffneten Männern aufnehme, und

dass sie wie Spreu im Winde vor mir zerstieben.«

»Jawohl, aber der Sohn des Königs ist mit tausend

bewaffneten Männern im Anzuge, um dich zu tödten

und alle deine Besitzungen zu verwüsten.«

»Ach, Vetter Jack,« rief der Riese aus, »das sind

wirklich böse Nachrichten! Ich will mich schnell verstecken,

schließe und riegle du fest hinter mir zu und

behalte die Schlüssel, bis der Prinz wieder fort ist.«

Nachdem Jack sich so vor dem Riesen geschützt

hatte, holte er seinen Herrn, und sie ließen sich's

beide wohlgehen, während der arme Riese zitternd in

einem unterirdischen Gewölbe lag. Am nächsten Morgen

versah Jack den Prinzen reichlich mit Gold und

Silber und ließ ihn drei Meilen vorausreiten. Als er

längst aus der Spurweite des Riesen war, ließ Jack

den Riesen aus dem Gewölbe heraus, und sein Onkel

fragte ihn, was er ihm dafür geben sollte, dass er das

Schloss vor der Zerstörung bewahrt hatte.

»Ich verlange nichts,« sagte Jack, »als den alten

Rock, die Kappe, das alte rostige Schwert und die

Pantoffeln, die sich zu Häupten deines Bettes befinden.

«

»Du sollst sie haben,« erwiderte der Riese. »Behalte

sie zur Erinnerung an mich, sie werden dir von außerordentlichem

Nutzen sein. Der Rock wird dich unsichtbar

machen, die Mütze wird dir Allwissenheit

verleihen, das Schwert schneidet entzwei, was immer

du auch damit berührst, und die Schuhe verleihen ungewöhnliche

Schnelligkeit. Sie können dir nützlich

sein, vom Herzen gern geb' ich sie dir.«

Jack nahm sie und dankte seinem Onkel. Dann

holte er rasch seinen Herrn ein, und bald erreichten

sie das Haus der Jungfrau, welche der Prinz suchte.

Als sie sah, dass der Prinz ein Freier war, bereitete sie

ein glänzendes Mahl für ihn. Am Schlusse desselben

wischte sie sich die Lippen mit einem Taschentuch ab

und sagte: »Morgen früh müsst Ihr mir dieses Taschentuch

zeigen, sonst kostet's Euch den Hals.« Bei

diesen Worten steckte sie das Taschentuch in ihren

Busen.

Kummervollen Herzens gieng der Prinz zu Bette,

aber Jacks Kappe der Allwissenheit lehrte ihn, wie er

in den Besitz des Taschentuches gelangen konnte. Um

Mitternacht berief die Jungfrau ihren vertrauten Geist,

dass er sie zu Lucifer trage. Aber Jack zog den Rock

an, der ihn unsichtbar machte, und fuhr in die Siebenmeilenschuhe,

und so kam er mit ihr zugleich an. Als

sie das Haus des Bösen betrat, gab sie dem alten Lucifer

das Taschentuch, das that er auf ein Sims. Aber

Jack nahm es von dort und brachte es seinem Herrn,

und der zeigte es am folgenden Tage der Jungfrau,

und so entgieng er dem Tode.

An diesem Tage küsste sie den Prinzen und sagte

ihm, morgen früh müsse er ihr die Lippen zeigen, die

sie den Abend zuvor geküsst, sonst verliere er seinen

Kopf.

»Gewiss werd' ich das, wenn Ihr keine anderen

Lippen küsst, als die meinigen,« erwiderte er.

»Das ist ganz gleich,« sagte sie, »könnt' Ihr's nicht,

dann ist Euch der Tod gewiss!«

Um Mitternacht gieng sie wie nachts zuvor zu Lucifer

und war böse auf ihn, dass er sich das Taschen-

tuch hatte entwenden lassen. »Nun aber,« sagte sie,

»wird es dem Königssohn schon schwerer werden,

denn ich werde dich küssen, und er muss mir deine

Lippen zeigen.«

Gesagt, gethan. Aber Jack, der daneben stand, hieb

dem Teufel den Kopf ab und brachte ihn unter seinem

unsichtbaren Rock seinem Herrn, der ihn am nächsten

Morgen in Gegenwart der Jungfrau bei den Hörnern

hervorzog.

Da war der böse Zauber gebrochen, und sie erstrahlte

in ihrer ganzen Schönheit. Am folgenden

Morgen heirateten sie und begaben sich bald darauf

an den Hof König Arthurs, wo Jack für seine Heldenthaten

zum Ritter der Tafelrunde geschlagen wurde.

Nachdem Jack so alle seine Unternehmungen geglückt

waren, beschloss er, nicht müßig auf seinen

Lorbeeren auszuruhen, sondern alles, was in seiner

Kraft stand, zur Ehre seines Königs und seines Vaterlandes

zu thun. Und so bat er den König Arthur, ihn

mit einem Pferde und dem nöthigen Gelde auszurüsten,

damit er sich auf die Suche nach neuen, seltsamen

Abenteuern begeben könne. »Denn, Majestät,«

sagte er zum Könige, »es gibt noch viele Riesen in

den entfernten Theilen von Wales, die zum unaussprechlichen

Schaden Eurer Unterthanen ihr Wesen

treiben. Wenn es also Euerer Majestät gefällt, mich

darin zu unterstützen, so zweifle ich nicht daran, dass

es mir in kurzer Zeit gelingen wird, sie mit Stumpf

und Stiel auszurotten und so das ganze Königreich

von den Riesen und Ungeheuern zu befreien.«

Als der König von Jacks edlem Vorhaben hörte,

rüstete er ihn mit allem Nöthigen aus, und Jack machte

sich auf den Weg. Er nahm die Kappe der Allwissenheit,

das Schwert der Schnelligkeit, die Siebenmeilenschuhe

und den unsichtbaren Rock mit, damit er

sein gefährliches Vorhaben leichter ausführen könne.

Jack kam über hohe, wunderbare Berge, und als er

am dritten Tage einen großen Wald betrat, drang ihm

furchtbares Kreischen und Schreien entgegen.

Er ließ seine Blicke umherschweifen und gewahrte

mit Schrecken einen ungeheuren Riesen, der eine

schöne Frau und einen Ritter so gemächlich an ihrem

Haare hinter sich herzog, wie man ein Paar Handschuhe

trägt. Bei diesem Anblick vergoß Jack Thränen

des Mitleids. Er sprang vom Pferde, zog seinen

unsichtbaren Rock an und hieb mit einem Schwung

seines scharfen Schwertes dem Riesen beide Beine

unter dem Knie ab, so dass bei seinem Fall die Bäume

zitterten. Darauf dankten der höfliche Ritter und seine

holde Dame ihm herzlich und luden ihn in ihr Haus

ein, damit er sich nach der furchtbaren Anstrengung

erfrische und für seinen großen Dienst eine reiche Belohnung

erhalte. Aber Jack schwur, nicht eher zu

ruhen, als bis er die Höhle des Riesen gefunden. Als

der Ritter dies hörte, versetzte er sehr betrübt: »Edler

Fremdling, es wäre zu viel, sich noch einmal in Gefahr

zu begeben. Das Ungeheuer wohnt zusammen

mit einem noch wilderen und scheußlicheren Bruder

in einer Höhle in dem Berge dort drüben. Es wäre

herzbrechend für mich und meine Dame, wenn Ihr

dorthin gienget und den Tod fändet. Ich bitt' Euch

also, kommt mit uns und steht von weiterer Verfolgung

ab.«

»Nein,« erwiderte Jack, »und wären ihrer zwanzig,

so sollte keiner meinem Zorn entgehen. Aber wenn

ich mein Vorhaben ausgeführt habe, dann will ich

kommen und Euch meine Aufwartung machen.«

Jack war kaum ein und eine halbe Meile weiter geritten,

als er der von dem Ritter erwähnten Höhle ansichtig

wurde. Vor derselben saß auf einem Holzblock

der Riese, an der Seite hatte er eine knorrige Eisenkeule;

Jack vermuthete, daß er die Rückkehr seines

grausamen Bruders und dessen Beute erwartete. Seine

Glotzaugen waren wie feurige Flammen, seine Zunge

grimmig und scheußlich, seine Backen wie zwei

große Speckseiten, die Borsten an seinem Kinn wie

Eisenruthen und die Locken, die auf seine fleischigen

Schultern niederfielen, wie Schlangen oder zischende

Nattern. Jack sprang vom Pferde, zog seinen unsichtbaren

Rock an, näherte sich dem Riesen und sagte

leise: »Ah, bist du da? Es wird nicht lange dauern, so

werde ich dich fest beim Bart zausen.«

Da der Riese ihn nicht sehen konnte, so kam Jack

ganz nahe heran und versetzte ihm mit seinem

Schwert einen Hieb auf den Kopf, verfehlte aber sein

Ziel und schnitt ihm die Nase ab. Da begann das Ungeheuer

zu brüllen, dass es wie das Rollen des Donners

klang, und schwang seine Eisenkeule wie ein

Wahnsinniger.

Aber Jack rannte nach hinten und trieb sein

Schwert bis zum Heft dem Riesen in den Rücken,

dass er todt niedersank. Darauf hieb ihm Jack den

Kopf ab und sandte diesen sammt dem Kopf seines

Bruders durch einen Fuhrmann, den er zu diesem

Zwecke mietete, an König Arthur.

Nun beschloss Jack, in der Höhle des Riesen nach

Schätzen zu suchen. Durch viele Windungen und

Krümmungen kam er endlich in ein großes Zimmer,

das mit Sandstein gepflastert war. An dem oberen

Ende desselben befand sich ein siedender Kessel und

rechts davon ein großer Tisch, an welchem die Riesen

zu essen pflegten. Als er ein eisenvergittertes Fenster

sah, blickte er durch dasselbe und gewahrte ein großes,

ödes Feld voll unglücklicher Gefangener, welche,

als sie ihn erblickten, ausriefen: »Ach, du Armer, bist

du ein Leidensgenosse?«

»Jawohl,« versetzte Jack, »aber bitte, sagt mir, zu

welchem Zwecke seid ihr hier gefangen?«

»So oft die Riesen Lust verspüren zu einer

Schmauserei,« versetzte einer von ihnen, »wird der

fetteste von uns getödtet! Und ach, wie oft überkommt

sie die Lust dazu!«

»Steht es so«, sagte Jack, und auf der Stelle schloss

er das Thor auf und setzte sie in Freiheit. Sie freuten

sich alle über Maßen.

Dann durchsuchte Jack die Truhen der Riesen und

vertheilte das vorgefundene Gold und Silber gleichmäßig

unter ihnen.

Bei Sonnenaufgang am nächsten Morgen machten

sich die Gefangenen alle auf den Weg in ihre Heimat,

und Jack bestieg sein Pferd, um seine Reise fortzusetzen.

Dank der Anleitung des Ritters erreichte er dessen

Haus um die Mittagsstunde. Er wurde von dem

Ritter und seiner Gemahlin mit großen Freudenbezeugungen

empfangen, und es wurde ein Fest zu seinen

Ehren gegeben, das viele Tage dauerte, und an dem

der ganze Adel der Nachbarschaft theilnahm. Der

würdige Ritter beschenkte Jack mit einem schönen

Ringe, auf welchem im Bilde zu sehen war, wie der

Riese den unglücklichen Ritter und seine Gemahlin

fortschleppte.

Aber mitten in all dem Jubel brachte ein Bote die

traurige Mär, dass ein gewisser Thunderdell, ein

zweiköpfiger Riese, der von dem Tode seiner beiden

Verwandten gehört hatte, aus dem Norden des Landes

herbeigeeilt sei, um an Jack Rache zu nehmen. Er war

nur noch eine Meile von dem Schlosse des Ritters entfernt,

und die Leute flohen vor ihm wie Spreu. Aber

Jack erschrack nicht im geringsten, sondern sagte: »Er

mag nur kommen! Ich habe ein Hühnchen mit ihm zu

rupfen. Gehen Sie, meine Damen und Herren, nur

ruhig in den Garten, Sie können von dort den Fall und

Tod des Riesen Thunderdell mit ansehen.«

Das Haus des Ritters lag mitten auf einer kleinen

Insel, die von einem dreißig Fuß tiefen und zwanzig

Fuß breiten Wassergraben umgeben war, über welchen

eine Zugbrücke führte. Gegen die Mitte zu sägte

nun Jack mit Hilfe einiger Männer die Brücke an beiden

Seiten durch, dann zog er seinen unsichtbaren

Rock an und marschierte, das scharfe Schwert in der

Hand, auf den Riesen los. Obgleich der Riese Jack

nicht sehen konnte, so roch er doch seine Nähe und

begann zu schreien:

»Feh, fei, foh, fum!

Ich riech' einen Menschen hier herum;

Er sei lebendig, er sei todt,

Aus seinen Knochen mahl' ich Brot.«

»Nach deinen Worten zu schließen, bist du ja ein

fürchterlicher Müller,« sagte Jack.

Darauf schrie der Riese wieder: »Bist du der Elende,

der meine Vettern erschlug? Dann will ich dich

mit meinen Zähnen zerreißen, dein Blut aussaugen

und deine Knochen zu Pulver zermahlen.«

»Da musst du mich aber erst haben,« erwiderte

Jack. Mit diesen Worten warf er seinen unsichtbaren

Rock ab, damit ihn der Riese sehe, und nachdem er

seine Siebenmeilenschuhe angezogen hatte, rannte er

fort. Der Riese folgte ihm wie ein wanderndes Castell,

so dass die Erde bei jedem seiner Schritte in ihren

Grundfesten zu erzittern schien. Auf langen Umwegen,

damit die Herren und Damen im Garten es sähen,

führte Jack so den Riesen an der Nase herum; endlich

rannte er, um der Sache ein Ende zu machen, über die

Zugbrücke, der Riese, so schnell er konnte, mit seiner

Keule hinterdrein. Als aber der Riese in die Mitte der

Brücke gekommen war, brach dieselbe unter seiner

großen Schwere, und er plumpste kopfüber in das

Wasser, wo er sich wie ein Walfisch umherwälzte.

Jack stand am Graben und lachte ihn aus; aber obwohl

der Riese darob vor Wuth schäumte und in dem

Graben rathlos herumfuhr, so konnte er doch nicht

heraus, um sich zu rächen. Endlich nahm Jack ein

Wagenseil, warf es dem Riesen um seine beiden

Köpfe und zog ihn mit Hilfe von zwei Pferden heraus.

Darauf schnitt er ihm mit seinem scharfen Schwerte

beide Köpfe ab und schickte dieselben dem Könige

Arthur.

Nachdem Jack einige Zeit der Muße gepflegt hatte,

nahm er von den Damen und Rittern Abschied und

gieng auf neue Abenteuer aus. Durch viele Wälder

kam er und gelangte endlich an den Fuß eines Berges.

Dort stand ein einsames Haus, und da es spät in der

Nacht war, klopfte er an das Thor. Ein alter Mann mit

schneeweißem Haupthaar öffnete ihm.

»Vater,« sagte Jack, »könnt Ihr einem Reisenden,

den die Nacht überrascht hat, Unterkunft geben?«

»Jawohl,« erwiderte der alte Mann, »sei willkommen

in meiner armen Hütte.«

Darauf trat Jack ein, sie setzten sich zusammen nieder,

und der alte Mann begann folgendermaßen:

»Mein Sohn, ich merke, du bist der große Riesentödter.

Siehst du das verwunschene Schloss da oben auf

dem Gipfel des Berges, mein Sohn? Das bewohnt ein

Riese namens Galligantus, der lockt mit Hilfe eines

alten Zauberers viele Ritter und Damen in sein

Schloss, wo er sie durch magische Kunst in allerlei

Gestalten verwandelt. Vor allem aber beklage ich das

Unglück eines Herzogs, dessen Tochter sie aus seinem

Garten entführten.

In einem brennenden, von feurigen Drachen gezogenen

Wagen brachten sie sie durch die Lüfte in das

Schloss, wo sie sie in eine weiße Hirschkuh verwandelten.

Und trotzdem schon viele Ritter versucht

haben, den Zauber zu brechen und sie zu befreien, so

ist es doch noch keinem gelungen, denn am Thore des

Schlosses stehen zwei furchtbare Greife, welche jeden

tödten, der sich naht. Aber du, mein Sohn, besitzest ja

einen Rock, der dich unsichtbar macht, du kannst ungesehen

an ihnen vorbeikommen. Über den Thoren

des Schlosses steht in großen Lettern geschrieben, auf

welche Art der Zauber gebrochen werden kann.«

Als der alte Mann geendet hatte, reichte Jack ihm

die Hand und gab ihm das Versprechen, am folgenden

Morgen sein Leben zu wagen, um die Jungfrau zu befreien.

In der Früh stand Jack auf und bereitete sich zu seinem

Unternehmen vor, indem er seinen unsichtbaren

Rock und die Siebenmeilenschuhe anzog und die

Kappe der Allwissenheit aufsetzte. Als er den Gipfel

des Berges erreicht hatte, sah er sogleich die beiden

feurigen Greife, gieng aber, da er seinen unsichtbaren

Rock anhatte, ohne Furcht an ihnen vorüber. Über

dem Thore sah er an einer Silberkette eine goldene

Trompete hängen, und darunter waren folgende Zeilen

eingraviert:

In wessen Hand dies Horn erschallt,

Der schlägt den Riesen mit Gewalt;

Gen schwarze Kunst ist er gefeit,

Und alle werden durch ihn befreit.

Kaum hatte Jack dies gelesen, als er auch schon in die

Trompete stieß, worauf das Schloss in seinen Grund-

festen zu erzittern begann. Der Riese aber und der

Zauberer, die nun wussten, dass ihre Herrlichkeit zu

Ende war, bissen sich in ihrer Verzweiflung in die

Daumen und rissen sich das Haar aus dem Kopfe.

Endlich bückte sich der Riese, um seine Keule aufzuheben,

da trennte ihm Jack mit einem Hieb den Kopf

vom Rumpfe, worauf der Zauberer in die Luft flog

und von einem Wirbelwind davongetragen wurde.

Somit war der Zauber gebrochen, all die Damen und

Ritter, die so lange in Vögel und Thiere verwandelt

waren, nahmen ihre frühere Gestalt wieder an, und

das Schloss verschwand in einer Rauchwolke. In gewohnter

Weise sandte nun Jack den Kopf des Riesen

an den Hof König Arthurs; er selbst folgte mit den

Damen und Rittern, die er auf so ehrenvolle Weise erlöst

hatte, am folgenden Tage nach.

Zur Belohnung für seine treuen Dienste bewog der

König den erwähnten Herzog, dem biederen Jack

seine Tochter zur Frau zu geben. So feierten sie denn

ihre Hochzeit, und das ganze Königreich nahm an der

Freude theil. Der König verlieh Jack ein herrliches

Gut mit einem sehr schönen Schlosse, wo der Riesentödter

und seine Gemahlin sehr froh und glücklich bis

an ihr Ende lebten.


Englische Märchen in deutscher Sprache

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