Читать книгу Faszination Camino - Gesund werden und gesund bleiben auf dem Jakobsweg - Anna Malou - Страница 16

6. Tag: 29.5.2012, Azambuja – Santarém (31,5 km)

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Heute Morgen bin ich nicht ganz ausgeruht, aber dafür sehr aufgeregt, da ich nicht weiß, ob ich die Anforderungen des heutigen Tages bewältigen kann und werde.

Als ich kurz nach 6 Uhr auf die Straße trete, stelle ich beim Blick auf die Straße fest, dass die Reste der Fiesta der letzten Nacht bereits fast vollständig verschwunden sind: Fast alles ist wieder aufgefegt und aufgeräumt, nur die Sicherheitszäune, die die Menschen und Häuser vor den Stieren schützen sollten, stehen noch da. Für mich ist es erstaunlich, dass die Normalität offensichtlich sehr schnell wieder Einzug in diesen Ort nimmt.

Nach einem Kaffee in der Bar nebenan begebe ich mich um 7 Uhr auf meinen heutigen Weg. Jedoch habe ich Mühe, die Ausschilderung zu finden. Es gibt dreimal gelbe Pfeile in der Innenstadt, aber dann geht es nicht weiter. So irre ich hin und her, frage mehrmals, kann aber wegen der Sprachbarrieren keine zufrieden stellende Antwort bekommen. Und schließlich – nach fast vierzig Minuten – verstehe ich, was los ist: Der Weg geht auf der anderen Seite der Bahngleise und nicht auf der Seite, wo Azambuja liegt, weiter. Ich überquere demnach die Gleise des Bahnhofes, die mit lang gezogenen Treppen und auch schrägen Ebenen das Bahnhofsgelände umspannen. Und wirklich, ich bin wieder auf dem richtigen Weg, die Ausschilderung mit den gelben Pfeilen geht weiter!

Mein Weg führt mich nun auf geteerten Nebenstraßen durch Gebiete entlang des Flusses Tejo, wo rund um die Seitenarme des Flusses drei Meter hohe Schilfgürtel wachsen. Schön – ich genieße den grünen Dschungel!

Plötzlich treffe ich unversehens auf einen anderen Pilger. Wir machen uns bekannt, wir versuchen es wenigstens, aber bald stellt sich heraus, dass der andere Pilger aus Italien kommt und nur italienisch spricht. Wir reden demnach mit Händen und Füßen, verstehen uns aber nicht so recht. Und so laufen wir einzeln weiter, jeder in seinem Rhythmus.

Es folgen Sandwege durch Felder von Tomatenpflanzen, die in unterschiedlichen Größen wie Zinnsoldaten aufgereiht stehen und alle durch Bewässerungsschläuche mit Wasser versorgt werden. Auch Felder mit riesengroßen Zucchinipflanzen und anderen Feldfrüchten finde ich hier. Immer wieder entdecke ich wundervolle Felder mit Mohnblumen und einzelne, am Straßenrand hingeworfene Blumen, die mit ihren gelben und blauen Farben eine Augenweide sind. Dieses ist eine schöne, freundliche, friedliche Natur, die mein Herz und meine Seele erfreut.

Während ich hier entlanglaufe, merke ich, dass meine Seele Flügel bekommt, dass so allmählich meine Loslösung von Zuhause gelungen ist und dass ich genießen kann, mich freuen kann, mich glücklich und zufrieden fühle. Laufen ist für mich wie eine Meditation, wie ein Versenken der eigenen Gedanken in das Innere, und oft bin ich selbst erstaunt, was dieses Laufen in Einsamkeit mit mir macht, wohin meine Gedanken wandern, wenn sie all das abwerfen, was im Alltag Ballast oder immer wieder auch Routine ist.

Kleine Orte mit weiß gestrichenen Häusern liegen auf dem Weg, der entlang der Deiche zum Schutz vor dem Hochwasser des Flusses Tejo gebaut wurde. Es scheint demnach, dass der Tejo zu anderen Jahreszeiten viel mehr Wasser führen kann und somit die Dörfer gefährden könnte. Hier bieten sich mir, als ich oben auf dem Deich entlanglaufe, immer wieder reizvolle Ausblicke auf den Fluss, der im starken Sonnenlicht glitzert und funkelt wie viele Diamanten.

Immer wieder raste ich in den Orten, trinke jeweils einen Liter Mineralwasser und nehme den Rest der 1,5 Literflasche für unterwegs mit. Und mittags leiste ich mir ein Bocadillo mit Käse, also ein Baguette, etwas Verpflegung muss sein, um bei Kräften zu bleiben.

Gegen Mittag wird es fast unerträglich heiß, ich muss immer wieder trinken, um mich weiterhin wohl zu fühlen. Trotz Käppi und Sonnenbrille quält mich die Sonne, brennt trotz der Sonnenkrem auf meinen Armen und Beinen. So sehr ich von dieser Wärme im kalten November und im Winter in Deutschland geträumt habe, dieses hier ist mir nun doch fast zu viel.

So ziehen sich die letzten Stunden in sengender Sonne endlos dahin, bis ich gegen 17 Uhr mit letzter Kraft Santarem erreiche. Ich frage mich zu der im Pilgerführer genannten Unterkunft durch, muss jedoch feststellen, dass diese seit gut einem Jahr geschlossen ist, wie mir andere in der Straße bereitwillig mitteilen. Nun gilt es, nicht mutlos zu werden! Ich bin völlig erschlagen, erschöpft, müde und hungrig und finde keine Bleibe – das ist keine so erfreuliche Situation. In meiner Verzweiflung frage ich nebenan im Blumenladen nach einem Quartier für eine Nacht und etwas Unglaubliches geschieht: Im 1. Stock gibt es ein Apartment, sauber und schön, offensichtlich neu eingerichtet. Zwar ist dieses nicht ganz billig, aber heute – nach gut einunddreißig Kilometern – ist mir alles egal. Ich nehme dieses freie Apartment und habe sofort alles, was ich benötige: Ich kann duschen, Wäsche waschen, und als ich meine Füße für heute aus ihrem Gefängnis entlasse, ich ziehe meine Wanderstiefel aus, da steigt so etwas wie Rauch aus meinen Stiefeln heraus, bei dieser Hitze ist dieses auch mit einem erheblichen Geruch verbunden. Nun kann ich Pause machen – mit letzter Kraft liege ich auf dem Bett, um dort für eine halbe Stunde einzuschlafen.

Später, etwas erholt, laufe ich noch durch die Stadt, um etwas zu trinken. In einer Bar erstehe ich ein Bier und dazu werden mir „Tremoco“ gereicht, eine Art von Bohnen, von denen man vor dem Essen die Schale abziehen muss. Dann schmecken diese wie frische Erbsen und ich esse heißhungrig fast alle auf. Danach will ich weiter zum Portes du Soleil, einem wundervollen Aussichtspunkt in einem Park, und dort treffe ich den italienischen Pilger wieder. Dieser ist offensichtlich auch noch immer allein, hier auf dieser Strecke zwischen Lissabon und Porto sind nur wenige Pilger unterwegs. Trotz der Sprachbarrieren essen wir zusammen im Restaurant im Park, genießen einen wundervollen Sonnenuntergang. Nachdem jedoch die Sonne keine Wärme mehr abgibt, wird es so kalt, dass ich sogar meine Fleecejacke benötige.

Nach dem Essen laufen wir gemeinsam zurück in das Zentrum, und ich habe eindeutig das Gefühl, für heute genug gesehen und erlebt zu haben und ausreichend gelaufen zu sein, denn meine Füße und Beine schmerzen, ich bin einfach kaputt und müde. Nahe dem Zentrum trennen sich unsere Wege, wir wünschen uns beide „Buen Camino“ und jeder geht zu seinem Quartier.

Trotz aller Anstrengung war dieser Tag für mich eine Offenbarung an die Schönheiten der Natur und an meine persönliche Leistungsfähigkeit. Glücklich und sehr zufrieden schlafe ich ganz schnell ein – neuen Abenteuern entgegen.

Faszination Camino - Gesund werden und gesund bleiben auf dem Jakobsweg

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