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Vorwort des Herausgebers

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Hätte Anne Frank die Nazizeit überlebt, wäre wahrscheinlich eine große Schriftstellerin aus ihr geworden. In ihrem Tagebucheintrag vom 5. April 1944 schreibt sie: »Ich will fortleben, auch nach meinem Tod. Und darum bin ich Gott so dankbar, dass er mir mit meiner Geburt schon einen Weg mitgegeben hat, mich zu entwickeln und zu schreiben, also alles auszudrücken, was in mir ist. Durch Schreiben werde ich alles los. Mein Kummer vergeht, mein Mut kommt zurück.« – Leider war es Anne nicht vergönnt, ihren Weg als Schriftstellerin durchs Leben zu gehen. Aber dieser Satz: »Ich will fortleben, auch nach meinem Tod« – er hätte sich nicht eindrucksvoller bewahrheiten können.

Die Zeit im ›Hinterhaus‹, im Versteck der dort verborgenen Juden, dauerte von 6. Juli 1942 bis zum 4. August 1944 – etwas mehr als zwei Jahre. Anne schrieb hier ihr berühmtes Tagebuch, und auf losen Blättern belletristische Kurzgeschichten und Textentwürfe, die nach der Verhaftung der Versteckten von Hermine ›Miep‹ Gies1, einer früheren Mitarbeiterin von Annes Vater Otto Frank im Hinterhaus aufgesammelt und verwahrt wurden. Anne Franks Tagebuch und ihre ›Erzählungen aus dem Hinterhaus‹ gelten heute als bedeutendste schriftliche Zeugnisse aus der Zeit der Nazi-Diktatur.

*

Am 12. Juni 1942 – kurz vor dem ›Untertauchen‹ mit ihrer Familie im Hinterhaus des Handelsbetriebes Opekta, dessen Leiter ihr Vater Otto zuvor gewesen war, beginnt Anne, ihr Tagebuch zu schreiben, zunächst ganz privat und für sich alleine.

Aber im Frühjahr 1944 – sie waren nun schon fast eineinhalb Jahre im Versteck – hört Anne im englischen Rundfunk eine Ansprache des niederländischen Erziehungsministers im Exil, der davon sprach, man müsse nach dem Krieg alle schriftlichen Quellen über das Leiden und die Unterdrückung des niederländischen Volkes sammeln und veröffentlichen – besonders Tagebüchern und Briefe.

Für Anne war das der Auslöser, ihr Tagebuch nun mit der Absicht der Veröffentlichung weiterzuführen, während sie gleichzeitig begann, die bis dahin entstandenen Einträge zu überarbeiten und zu korrigieren, um sie für ein breites Publikum besser lesbar zu machen. Dieses planvolle Vorgehen zeigt den Weitblick und die schon beinahe professionelle Vorgehensweise der 14jährigen.

Und nicht nur was die Methodik betrifft, viel mehr noch zeigen der Schreibstil, die abwechslungsreiche Thematik der Texte, die Ironie und Selbstironie, abwechselnd mit tiefsinnigen und unglaublich anrührenden Einträgen, das Talent der jungen Autorin. Sogar eine kleine Liebesgeschichte gibt es in dem Buch. – Eine Mischung, die selbst der routinierteste Schriftsteller nicht besser hinbekommen hätte.

Das Leben im Hinterhaus war in jeder Hinsicht limitiert: Fenster durften nur ab und zu geöffnet, die Vorhänge nur gelegentlich zur Seite gezogen werden. Nachts konnte nur schwaches Licht die Räume beleuchten. Um wenigstens ab und zu die Sonne und die Sterne zu sehen, ging Anne auf den Dachboden, von wo aus das möglich war. Lebensmittel besorgten die Helferinnen Miep Hermine ›Miep‹ Gies und Elisabeth ›Bep‹ (Elisabeth) Voskuijl – früher Mitarbeiterinnen in Otto Franks Büro der Firma Opekta.

Die acht Bewohner2 des Hinterhauses, die beiden Familien Frank und van Daan (dies ist ein Pseudonym, siehe unten) sowie der Zahnarzt Albert Dussel (Pseudonym) lebten zwischen Hoffen und Bangen. – Hoffen auf eine baldige Invasion der Engländer an der Küste Frankreichs, Bangen vor der Entdeckung durch die Nazis, oder durch niederländische Mitläufer und Denunzianten.

Trotz aller Bedrücktheit und Eingeschränktheit versuchten die Hausbewohner ein möglichst normales Leben zu führen. Der Tagesablauf war geregelt, man kochte und aß zusammen, Bücher gaben Abwechslung und Trost, und jeder versuchte, die Zeit zu nutzen, um sich weiterzubilden oder sonstwie produktiv zu sein. Die Kinder arbeiteten diszipliniert, um später, wenn die Nazis besiegt und wieder Normalität eingekehrt wäre, nahtlos den Schulbesuch aufnehmen zu können.

Der größte Trost in dieser schlimmen Zeit war für Anne ihr Tagebuch, das sie mit Kitty* ansprach. Der Kunstgriff, das Tagebuch zu personalisieren und direkt anzusprechen, zeigt auch hier das literarische Talent der jungen Autorin. Diese Methode motivierte sie zum Schreiben und führte zu Tagebucheinträgen, wie sie berührender und herzergreifender nicht sein könnten. Den letzten Eintrag schrieb Anne am 1. August 1944, drei Tage vor der Festnahme durch die Nazis.

(* Am Samstag, den 20. Juni 1942, schreibt Anne: »Um mir die ersehnte Freundin in meiner Phantasie besser vorstellen zu können, werde ich nicht einfach Erlebtes in mein Tagebuch schreiben, wie das andere tun, sondern ich will dieses Tagebuch selbst die Freundin sein lassen, und diese Freundin heißt Kitty.«)

Link: Ausführliche Darstellung zur Urheberrechtslage bei Anne Franks Tagebuch

Das Tagebuch der Anne Frank

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