Читать книгу Bloody Marys - das Leben birgt ein tödliches Risiko - Anne-Kathrin Koppetsch - Страница 8
ОглавлениеVerschwunden im Westfalenpark
Anne-Kathrin Koppetsch
Der Name unter dem schwarzen Kreuz fiel mir ins Auge. „Udo Straub“, stand in der Todesanzeige, „1954 bis 2010“. Es annoncierte die trauernde Witwe. Daneben eine Anzeige der Mitarbeiter, die um ihren Chef trauerten.
Ich griff zum Hörer und drückte auf Kurzwahl.
„Tanja!“, kam ich ohne Umschweife zur Sache, „diesmal hast du es übertrieben!“
„Was?“, fragte meine Freundin zurück. Ihre Überraschung wirkte echt.
„Schau mal in die Zeitung!“
Rascheln am anderen Ende. „Straub ist tot!“, stellte sie fest. Dann, ironisch: „Das tut mir aber leid!“ Kurz darauf: „Doch ich habe nichts damit zu tun“.
Sollte ich ihr glauben?
Jedenfalls kam der Tod von Udo Straub, 56, Gartencenter-Besitzer, recht plötzlich. An einen Zufall mochte ich nicht glauben.
Mein detektivischer Spürsinn war geweckt.
Ich drückte auf den Wiedergabeknopf meines Aufnahmegeräts, das an das Telefon angeschlossen ist.
„Kaminski“, vernahm ich eine helle Frauenstimme.
Der Name hatte mir damals auf Anhieb nichts gesagt.
Zwei Wochen war dieses Telefonat nun her.
„Sie haben sich am Samstagabend mit meinem Mann getroffen“, fuhr die Stimme fort.
Nun erinnerte ich mich an das Date mit Udo Straub. Mit dem Kleinen, Kompakten, für den ich die Condoleezza-Rice-Perücke aufgesetzt hatte. Mit dem Inhaber einer Kette von Gartencentern, der mich noch zu vorgerückter Stunde mit Details über Tannenbäume und Tulpenzucht gelangweilt hatte. Mich, die ich mit meinem sagenhaften Gärtnertalent noch jeden Gummibaum und jede Geranie innerhalb kürzester Zeit zur Strecke gebracht hatte. Mein Ficus Benjamini, ein Geschenk zum Einzug in meine neue Wohnung, hatte schon nach einem Monat alle Blätter von sich geworfen.
Die Frau hieß anders als der Mann.
Deshalb die anfängliche Irritation.
Ein Tastenklick brachte die Kundendatei auf den Bildschirm.
„Den Bericht habe ich Ihnen zugemailt“, informierte ich Frau Kaminski. „Gleich am Sonntag.“
Die Zeiten waren hart, in Dortmund nicht weniger als anderswo. Deshalb hatte ich neben meiner Tätigkeit als freie Journalistin eine florierende Seitensprung-Agentur aufgezogen. Allerdings keine, die sexwillige Gefährtinnen an ehemüde Männer vermittelt, sondern eine Art Treuetest-Agentur. Ich wurde von den Frauen dafür bezahlt, dass ich ihre Gatten in Versuchung führte, in der Hoffnung, dass diese ihr dann widerstanden.
Dieser hatte nicht.
„Ich möchte, dass Sie sich noch einmal mit ihm treffen.“
„Frau Kaminski. Die Situation war eindeutig.“
So eindeutig, dass ich zu vorgerückter Stunde nur mit knapper Müh’ und Not seinen eifrigen Händen entkommen war. Natürlich hatte ich ihm eine falsche Telefonnummer gegeben.
Meine Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung ließ nicht locker. „Trotzdem würde ich mich freuen, wenn Sie sich noch einmal mit meinem Mann treffen“, sagte Frau Kaminski.
Ich hatte keine Lust dazu.
Andererseits brauchte ich das Geld.
„Wenn Sie wünschen“, erwiderte ich unmotiviert. „Meinen Stundensatz kennen Sie ja.“
„Es wäre gut, wenn Sie sich dieses Mal tagsüber mit ihm treffen könnten.“
„Sicher.“
Ich fragte nicht nach, warum.
Ging mich schließlich nichts an.
Hauptsache, sie zahlte.
Ich hörte das nächste Telefonat ab.
„Wollte er dir an die Wäsche?“, vernahm ich meine eigene Stimme.
„Natürlich nicht!“, antwortete Tanja. Manchmal lief das Aufnahmegerät sogar, wenn ich mit Freundinnen telefonierte.
„Was war dann das Problem?“, wollte ich wissen, obwohl ich es mir denken konnte. Wir führten dieses Gespräch nicht zum ersten Mal. Tanja hatte ich im Club der Großen Frauen kennen gelernt. Ich mit meinen 1,79 Metern Körpergröße lag im Grenzbereich, doch Tanja mit 1,85 war ein klarer Fall von Riesin. Auch für die Chefs, die meistens kleiner waren als sie und auf sie – schön, unerschrocken und groß – oft reagierten wie die Wadenbeißer. Dass Tanja stets ohne Rücksicht auf Verluste ihre Meinung herausposaunte, erschwerte die Angelegenheit. Ich ging diesem Problem aus dem Weg, indem ich mich selbstständig machte. Aber auch dort war man vor Giftzwergen nicht gefeit, wie das Beispiel von Udo Straub zeigte.
Mit halbem Ohr lauschte ich, wie Tanja sich über ihren Ex-Chef beklagte. Miese Arbeitsbedingungen, zu wenig Geld. Sowie Tanja die Homepage für das Gartencenter fertiggestellt hatte, durfte sie gehen. Gedankenverloren rief ich die Adresse der Website, www.gartencenter-do.de, auf
Tanja schimpfte weiter. „Hat mich einfach entlassen!“
„Warte!“, rief ich dazwischen. „Den kenne ich doch!“ Auf dem Bildschirm erschien jener Mann mit Gärtnerschürze, mit dem ich mich, auf Geheiß der Ehefrau, noch einmal treffen sollte.
„Das soll er mir büßen, der Straub …“
Ich klickte die Gartenland-Homepage weg und rief meine Kundendatei auf. „Udo Straub, 1,65 Meter groß, Jahrgang 54, leichter Bauchansatz, gelichtetes Haar, verheiratet in zweiter Ehe mit Brigitte Kaminski? In der Gartenbranche tätig? Könnte mit Schürze und Schubkarre selbst für einen Gartenzwerg Modell stehen?“, fragte ich.
„Haarscharf“, sagte Tanja verblüfft. „Und du glaubst es nicht: er trägt tatsächlich eine Schürze bei der Arbeit. Sieht echt lächerlich aus. Woher kennst du ihn?“
Auf der anderen Leitung klingelte es schon wieder.
„Sorry. Mein Diensttelefon.“
Das nächste Gespräch. „Tanja, du spinnst. Ich missbrauche keine Kundenkontakte.“
„Nur dieses eine Mal“, bettelte sie. „Ich hab die Route genau geplant: Du triffst dich mit Udo doch am Eingang Florianturm.“
„Jep!“, beschied ich und bereute, dass ich Tanja von meiner Verabredung zu einem Spaziergang im Westfalenpark erzählt hatte. Datepartner: Udo Straub. Auftraggeberin: Brigitte Kaminski, die Ehefrau. Ziel: Beweis der Untreue. Brigitte wollte sich scheiden lassen, möglichst lukrativ.
„Dann nimmst du Kurs auf das Sonnensegel“, fuhr Tanja fort, „ziehst die Schleife am Torfhaus vorbei. Da kommen ja dann die Blumenbeete, hat der alte Grünfinger was zu gucken.“
„Tanja, ich mache das nicht!“
„Und schließlich lockst du ihn zum Buschmühlenteich, mit der Aussicht, dass dort ein Gewächshaus steht.“
„Tanja, du verwechselst da was. Botanik gibt‘s im Gewächshaus im Rombergpark. Im Westfalenpark sind nur die Shonafiguren.“
„Aber das weiß Straub doch nicht.“
Nächstes Telefonat.
„Tanja, du bist unmöglich. Wie konntest du nur …!“
„Straub mit einem Tennisschläger auflauern? Beim Gewächshaus?“
„Zum Beispiel.“
„Ich wollte ihm nichts tun. Ihm nur einen Schrecken einjagen.“
„Mach das nie wieder. Mich in so eine Sache reinziehen.“
„Hab ich doch gar nicht. Du bist ja weg gelaufen.“
„Soll ich Zeugin einer Gewalttat werden? Noch dazu ausgeübt von meiner besten Freundin?“
Tanja lachte nur und zündete sich eine Zigarette an.
„Kaminski.“
„Frau Kaminski, ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten.“
„Ja, das glaube ich auch!“ Ihre Stimme klang bitter.
„Ihr Mann …“
„Ist nicht nach Hause gekommen heute Nacht!“, fiel sie mir ins Wort. „Das war so nicht vereinbart.“
„Wie bitte?“
„Ich verlange eine Erklärung!“
„Ich fürchte … ich fürchte, die kann ich Ihnen nicht geben!“
„Tanja! Erzähl mir genau, was passiert ist, nachdem ich weg war.“
Tanja druckste herum. „Nichts weiter.“
„So. Und warum ist Straub dann nicht nach Hause gekommen?“
„Ist er nicht?“
„Stell dich nicht blöder, als du bist. Schieß los.“
„Also. Ich wollte ihm einen Schrecken einjagen.“
„Soweit klar.“
„Und als ich dann mit dem Schläger um die Ecke kam …“
„Ja?“
„Da hat er sich zu mir umgedreht und gesagt: ‚Hallo, Frau Klein. Gibt es hier auch Tennisplätze, oder warum haben Sie einen Schläger dabei?‘“
Ich unterdrückte ein Lachen. „Und da ist dein schöner Plan nicht aufgegangen.“
„Noch schlimmer: Straub hat mich bis zum Ausgang am Florianturm begleitet und mir noch einen schönen Tag gewünscht.“
Tanja klang glaubwürdig. Hätte sie mir sonst freiwillig von ihrer Blamage erzählt?
„Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Frau Kaminski. Ihr Mann hat den Westfalenpark gegen 18.30 Uhr verlassen und ist in sein Auto gestiegen. Wenn er nicht zu Hause angekommen ist, hat das Gründe, die mit der Erfüllung Ihres Auftrags nichts zu tun haben.“
„So weit waren wir schon gestern.“
„Ich hätte dann gerne mein Honorar überwiesen. Schließlich habe ich mit dem Verschwinden Ihres Mannes nichts zu tun.“
„Ach nee. Und was ist mit Ihrer verrückten Freundin, die mit dem Tennisschläger?“
Ich schaltete das Aufnahmegerät aus, schnappte mir die Aktentasche und setzte mich in das Auto. Auf dem Parkplatz vor Straubs Gartencenter hielt ich an. Die trauernde Witwe empfing mich mit einem kundenorientierten Lächeln im Verkaufsraum.
„Ich suche nach einer robusten Zimmerpflanze“, trug ich meinen Wunsch vor.
Brigitte Kaminski überlegte. „Drachenbaum? Yucca-Palme?“ Sie zeigte mir einige Pflanzen. Sie konnte nicht wissen, wer ich war, denn sie hatte mich nie gesehen. Auf meiner Homepage war – aus Diskretionsgründen – kein Foto von mir.
„Nicht exotisch genug“, lehnte ich ab und besah mir die Dame genauer. Sie war groß – nicht ganz so groß wie Tanja, aber größer als ich. Elegant gekleidet, mit Kaschmirpulli, Designerrock und High Heels. Höchstens 35 und kalte Augen. Keine Spur von Witwentrauer.
„Wie hoch war die Lebensversicherung Ihres verstorbenen Mannes?“, fragte ich unvermittelt.
Ihr Gesicht blieb regungslos, doch der Blick veränderte sich. „Was meinen Sie? Wer sind Sie?“
„Sie haben einen entscheidenden Fehler gemacht“, sagte ich, und meine Stimme klang fischig-kalt, wie der Ausdruck ihrer Augen. „Sie hätten meine Freundin mit dem Tennisschläger nicht erwähnen dürfen, wenn Sie ihr das Verschwinden Ihres Gatten in die Schuhe schieben wollten.“