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... und Klaus ist ein Schwein.

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Mein letzter Abend in Leverkusen. Endlich. Der Schlussstrich unter einer durch und durch unerfreulichen Geschichte. Während ich ein letztes Mal auf meinem Balkon sitze und den Blick über den Rhein streifen lasse, gehen mir die letzten Monate noch einmal durch den Kopf. Ob ich diesen Mist je überwinden werde?

„Du willst dich von mir trennen? Das schaffst du niemals. Du brauchst mich.“

Mit vorgeschobener Hüfte kommt Klaus auf mich zu. Er verkörpert Lässigkeit, Überlegenheit.

„Babe“, jetzt klingt seine Stimme schmeichelnd dunkel. Genau diese Stimme war es, auf die ich reagiert hatte vor zwei Jahren. Dieser Samt, der mich umhüllte, eine Gänsehaut erzeugte. Sanft legt er seine Hand an meine Wange und streichelt über meine Haut. „Ich spüre doch, wie sehr du mich willst. Du bist doch meine Kleine.“

Er versucht, mir einen Kuss zu geben. Das hätte er nicht tun sollen. Wenn er zärtlich gewesen wäre, einmal ohne zu fordern, einmal nur der Gebende, der hält, in den Arm nimmt, ich wäre wieder schwach geworden.

„Geh.“ Meine Stimme ist leise, aber fest.

Noch einmal versucht er, Blickkontakt zu mir aufzubauen. Sanft hebt er mein Kinn an, sein Daumen streicht langsam zum Ohr, seine Finger liegen in meinem Nacken. Wie oft hat er mich genau so in sein Bett gelockt, Zärtlichkeiten vorgespielt und hinterher nur an sich gedacht. Auch jetzt reagiert mein Körper auf die sanfte Berührung, hat immer noch nicht begriffen, dass diesem kurzen Vorgeplänkel immer nur eines gefolgt ist. Eine kurze, schmerzhafte Vereinigung, gekrönt mit der Frage, ob er es mir gut besorgt hätte. Ich verfluche meinen verräterischen Körper und strecke mich, ziehe die Schultern kämpferisch nach hinten.

„Lass’ mich in Ruhe und geh!“

„Du meinst es also wirklich ernst?“Abschätzend lässt er seinen Blick über mein Gesicht gleiten. „Du wirst es bereuen. Auf den Knien wirst du angekrochen kommen.“Als ich nicht reagiere, bröckelt seine überhebliche Fassade.

„Also gut, ich gebe dir eine Woche, dann wirst du so weit sein. Wir sehen uns ... du weißt ja, wo ich wohne.“ Sein Kuss geht ins Leere, weil ich mich abwende.

„Geh.“ Normale Lautstärke, kalt im Ton. Unbewegt schaue ich ihn an, blinzle nicht.

„Bis dann“, er streicht mir mit den Fingerknöcheln über die Wange und endlich, endlich geht er.Als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, atme ich zitternd aus. Ich fühle mich, als hätte ich einen Halbmarathon hinter mir. Mit geschlossenen Augen sinke ich in mich zusammen, lege die Hände vor mein Gesicht.

Ich fühle - nichts. Weder Erleichterung, noch Trauer, zum Glück, scheinbar bin ich zu erschöpft, um noch etwas zu empfinden. Schleppend gehe ich zur Tür und lege den Riegel vor. Nachdem ich zweimal abgeschlossen habe, lehne ich mich einen Augenblick mit dem Rücken dagegen.

Nach einer unruhigen Nacht verlasse ich am Morgen das Haus. Bis zur Hitdorfer Straße sind es einige Meter, die ich frierend zurücklege. Es weht ein kalter Wind und ich ziehe meinen Schal fester.

Neben meinem Wagen steht ein älterer Herr mit seinem Dackel. Kopfschüttelnd beschaut er sich mein Auto und ich folge irritiert seinem Blick. Ein platter Reifen, nein, zwei.

„Frollein, is dat etwa Ihr Wagen?“ Sein rheinischer Singsang lässt mich aufschauen.

„Ja.“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Entsetzt starre ich nun wieder auf die Reifen.

„Isch will se ja nit beunruhijen, äwwer die sehen alle vier so aus.“

„Wie bitte?“

„Die Reifen, alle vier sauber zerstochen. Da scheint Sie jemand nicht zu mögen.“ Er bemüht sich nun, hochdeutsch zu sprechen.Nach einer Schrecksekunde haste ich auf die andere Seite, zum Glück ist um diese Zeit wenig Verkehr, aber das fällt mir nur am Rande auf. Tatsächlich, alle Reifen sind platt und bei näherem Hinsehen entdecke auch ich jetzt die Schnitte. Verdammt!

Entnervt krame ich nach meinem Handy. Ob mein Schutzbrief auch in dieser Situation hilft?

Kurze Zeit später habe ich mit der freundlichen Stimme am anderen Ende vereinbart, dass mein Auto abgeholt und in der nahegelegenen Vertragswerkstatt mit neuen Reifen ausgestattet wird.

„Wollen Sie nicht die Polizei verständigen? Dat is doch Sachbeschädigung.“ Der freundliche Herr steht immer noch da, sein Dackel schnüffelt neugierig an einem Reifen.

„Was sollen die denn machen? Sicher werde ich Anzeige erstatten, aber wer auch immer das war, der hat sich wohl kaum dabei beobachten lassen.“

Sicherheitshalber schieße ich aus mehreren Perspektiven Fotos. Mist, ich müsste längst im Büro sein.

Während der Arbeit erhalte ich von meiner Werkstatt die Nachricht, dass ich den Wagen um halb sechs abholen kann. Der Preis der vier Reifen lässt mich tief durchatmen. Das wäre der Urlaub gewesen. Im Geiste nehme ich Abschied von der Woche Spanien.

Abends klingelt mein Telefon. Als ich rangehe, meldet sich niemand. Nach fünf weiteren Anrufen schalte ich das Gerät aus. Auch das Handy meldet sich, aber dieses Mal hab ich weniger Geduld. Gleich nach dem ersten Mal schalte ich es ab.

Ob Klaus dahintersteckt? Zwei Jahre waren wir zusammen. Sicher, er hatte seine Fehler, aber Telefonterror? Das war eigentlich nicht sein Stil. Müde kontrolliere ich die Wohnungstür und falle erschöpft ins Bett.

Dieses Mal habe ich meinen Wagen in einer Querstraße der Hitdorfer geparkt. So muss ich noch ein Stück weiter laufen. In der Concordiastraße angekommen, traue ich meinen Augen nicht. Der erste Reifen, den ich zu Gesicht bekomme, ist zerstochen. Alarmiert lege ich die letzten Schritte zum Fahrzeug zurück und umrunde es langsam. Das kann doch nicht sein. Zwei Tage nacheinander, in verschiedenen Straßen. Ein Blick auf die Wagen vor und hinter meinem zeigt, dass deren Reifen intakt sind.

Ich schlucke die Tränen, die mir in die Augen steigen wollen, mühsam hinunter und atme kontrolliert einige Male. Ein - eins, zwei, drei - aus - eins, zwei, drei. Dann habe ich mich so weit gefasst, dass ich bei meinem Automobilclub anrufen kann. Wieder vereinbare ich, wohin mein Auto zur Reparatur gebracht werden soll, und nehme den Bus zur Arbeit, sobald der Abschleppwagen da ist. Gestern war mein Abteilungsleiter nicht begeistert, daher rufe ich an, um mitzuteilen, dass ich wieder etwas später komme, und schlucke zähneknirschend die Mitteilung, dass dies dann ja wohl einem halben Tag Urlaub entspreche. Geld zum Verreisen habe ich ohnehin keins mehr, also wozu Urlaub, schießt es mir durch den Kopf.

Abends geht das Telefon. Als ich rangehe, meldet sich wieder niemand. Als ich kurz darauf selbst anrufen will, ist kein Freizeichen zu hören. Zum Glück habe ich ja noch das Handy, das kurz darauf klingelt.

Weil ich keine Nummer auf dem Display sehe, nehme ich sicherheitshalber nicht ab. Stattdessen schalte ich es aus, und versuche zu schlafen.

Die Türglocke schreckt mich auf, es ist, wie mir ein Blick auf den Wecker mitteilt, gerade zwei Uhr. Wer klingelt denn um diese Zeit?

Als es noch einmal schellt, tappe ich zur Wohnungstür und nehme leise den Hörer der Gegensprechanlage in die Hand. Ist das leises Atmen? Ich bin mir nicht sicher und hänge ebenso vorsichtig wieder ein, um kein Geräusch zu verursachen. Leider habe ich kein Fenster zur Straße, nur meinen Balkon zum Garten, zum Glück in der zweiten Etage. Vom Schlafzimmerfenster spähe ich hinunter, erkläre mich gleichzeitig für verrückt, da der Garten von einer hohen Mauer umgeben ist. Ich selbst hatte mich einmal ausgesperrt und war an der Mauer gescheitert bei dem Versuch, durch die Kellertür ins Haus zu kommen.

Als es ein drittes Mal klingelt, zucke ich zusammen. Fröstelnd stehe ich am Fenster, unbewegt, und starre in die Dunkelheit. Die Lichter auf dem Rhein ziehen meinen Blick an. Langsam werde ich wieder ruhiger und schließlich zieht es mich zurück ins Bett. Inzwischen sind zwei Stunden vergangen. Noch eine Weile grüble ich über die vergangenen Tage nach, bevor ich langsam in den Schlaf gleite.

Der Himmel scheint es nicht gut mit mir zu meinen. Als ich am nächsten Morgen aus dem Haus gehe, tröpfelt es langsam, aber stetig aus grauen Wolken. Ich verfluche meine Entscheidung, den Wagen auf der anderen Rheinseite geparkt zu haben, und mache mich auf den Weg zur Fähre. Den Schirm fest in der Hand, die Handtasche unter den anderen Arm geklemmt, schreite ich forsch aus und bin schweißgebadet, als ich an der Fähre ankomme. Zum Glück legt sie gerade an, so dass ich kurz darauf an Bord gehen kann.

Der Fahrpreis für Fußgänger ist gering, trotzdem hoffe ich, dass sich der ganze Aufwand gelohnt hat.

Auf der anderen Seite steht mein Auto, gänzlich unbeschadet.

Erleichtert steige ich ein. Insgesamt brauche ich dennoch die dreifache Zeit, um zur Arbeit nach Wiesdorf zu gelangen, was diese Lösung auf die Dauer unpraktikabel macht.

Freitagnachmittags gehen wir mit einigen Kollegen nach der Arbeit immer etwas trinken. Heute ist auch mein Abteilungsleiter Jens Odenthal dabei.

Kurz nach fünf sind wir in unserer Stammkneipe angekommen, unweit des Werks und für uns alle auf dem Heimweg gelegen.

Als wir unser Kölsch vor uns stehen haben, beteilige ich mich nicht am Gespräch der anderen. Ich bin der Gesellschaft wegen mitgegangen und um nicht allein zu Hause zu sitzen. Mein erstes Wochenende als Single.

„Was war denn in dieser Woche mit Ihnen los?“ Herr Odenthal schaut mich prüfend von der Seite an.

Was soll ich ihm erzählen?

„Es gab privat ... einige Veränderungen“, weiche ich schließlich aus.

„Trennung?“

Erst bin ich mir nicht sicher, dass ich ihn richtig verstanden habe, so leise hat er gesprochen. Ein Seitenblick zeigt mir jedoch, dass er mich immer noch mustert.

Ich nicke leicht. Da ich nichts sage, ist klar, dass ich nicht darüber sprechen möchte. Ich weiß zwar, dass er, gerade geschieden, ein verständnisvoller Gesprächspartner sein kann. Aber alles ist noch so frisch, dass ich erst einmal selbst Ordnung in meinen Gedanken und Gefühlen schaffen muss.

Als sich die Runde auflöst, ergibt es sich zufällig, dass Herr Odenthal und ich gemeinsam zu unseren Autos gehen. Ich will mich gerade verabschieden, als mein Blick auf den linken Vorderreifen meines Wagens fällt.

Oh nein, nicht schon wieder. Hektisch umrunde ich mein Auto, aber es ist nur ein platter Reifen. Zufall?

„Sie haben einen Plattfuß. Gibt es noch ein richtiges Reserverad, oder haben Sie dieses Pannenset, das in den neuen Fahrzeugen inzwischen zum Standard gehört?“

„Ein richtiges Reserverad.“

„Zum Glück.“ Er hat sich seine Hemdsärmel aufgekrempelt und hockt neben dem platten Reifen. „Mit dem Dichtungsset hätten Sie hier schlechte Karten. Der Reifen ist durchstochen.“

Ich stehe vollkommen konsterniert neben meinem Fahrzeug, nein, neben mir.

„Es ist nur ein Reifen, kein Weltuntergang. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich mich um den Reifenwechsel kümmern. Geben Sie mir die Schlüssel?“

Mühsam versuche ich mich zu fassen, wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Währenddessen wechselt mein Abteilungsleiter im weißen Hemd das Rad aus.

„Es ist nicht der erste Reifen in dieser Woche.“

Überrascht unterbricht er seine Arbeit.

„Am Mittwoch und Donnerstag waren alle vier Reifen morgens durchstochen. Das ist der neunte.“ Ich verstecke das Zittern, das mich überkommt, indem ich nach einem Taschentuch krame und mir umständlich die Nase putze. Herr Odenthal arbeitet schweigend weiter, was ich ihm hoch anrechne.

Nachdem er den kaputten Reifen in meinem Kofferraum verstaut hat, schaut er sich suchend um.

„Dachte ich es mir doch. Sehen Sie die Überwachungskamera? Kommen Sie, wir werden nachfragen, ob wir uns den heutigen Abend anschauen können. Wie ich Jupp kenne, wird es auch in seinem Interesse sein, dass der Täter gefasst wird.“

Jupp ist der Wirt. Seinen Nachnamen kenne ich nicht, aber seit ich mit den Kollegen freitags hier einkehre, nenne auch ich ihn Jupp.

Nach dem Abschließen des Wagens bekomme ich meine Schlüssel zurück und wir gehen gemeinsam wieder hinein. Ich bin dankbar, einfach folgen zu können, zur Theke, wo Herr Odenthal ein kurzes Gespräch mit dem Wirt führt, dann in das Büro. Jupp hantiert einen Moment, was er macht, kann ich von der Tür aus nicht sehen, dann schiebt er uns sein Laptop herüber.

„Hier sind die Aufnahmen von heute. Ich muss wieder hinter den Tresen.“ Er wünscht uns noch Glück und lächelt mir aufmunternd zu.

Gemeinsam suchen wir die Zeit heraus, zu der wir hier angekommen waren. Ich bin irritiert, mich vom Parkplatz weg zum Gebäude gehen zu sehen.Die anderen kommen an und dann passiert eine Weile gar nichts. Schließlich schlendert ein Mann auf den Parkplatz und schaut sich unauffällig um. Er verschwindet neben meinem Auto. Als er sich aufrichtet, schaut er einen Moment genau in die Kamera. Klaus.

„Damit wird die Polizei ja wohl etwas anfangen können.“ Die Stimme meines Abteilungsleiters klingt hochzufrieden. Als er sich zu mir umdreht, stutzt er.„Sie kennen den Mann?“

Wie betäubt nicke ich langsam. Schließlich reiße ich mich von dem Bild auf dem Monitor los.

„Es ist mein Exfreund Klaus Weber.“

„Was wollen Sie jetzt tun? Wollen Sie ihn anzeigen?“

„Die Anzeige läuft. Ich war gestern und vorgestern bei der Polizei.“

„Das ist ja ein klasse Bild!“ Jupp war unbemerkt zu uns ins Büro gekommen. „Ich kann das auch ausdrucken, aber besser ist wohl eine Kopie.“ Wieder hantiert er und kurze Zeit später präsentiert er mir eine DVD.

„Mädchen, du siehst aus, als könntest du einen Schnaps gebrauchen. So blass, wie du bist.“

„Danke nein, ich muss ja noch fahren.“

„Dann einen Kaffee?“

„Es geht schon, danke.“

Zweifelnd mustert er mich. „Sie kennen den Mann?“ Er wechselt fließend zum „Sie“ über.

Dass mich beide Männer jetzt mitfühlend anschauen, ist kaum zu ertragen. Wieder schießen mir die Tränen in die Augen.

„Mein Ex“, bringe ich schließlich heraus. „Er hat mir angedroht, dass ich in einer Woche angekrochen käme. Ich hätte im Traum nicht damit gerechnet, dass er anfängt, Terror zu machen.“Wieder krame ich nach einem Taschentuch.

„Neun Reifen und ...?“ Herr Odenthal hat zwischen den Zeilen gelesen.

„Telefonanrufe, nächtliches Klingeln“, jetzt fügt sich alles zu einem Bild.

Dieses Schwein!

Mit der DVD in meiner Handtasche gehen wir wieder zu meinem Auto, als mein Handy sich meldet.

„Ja?“

„Hallo, was hältst du davon, wenn wir heute Abend ausgehen?“

„Ich werde nie mehr mit dir ausgehen, Klaus.“ Leise, aber mit Nachdruck spreche ich diesen Satz.

Herr Odenthal neben mir hebt den Kopf und verlangsamt synchron mit mir die Schritte.

„Lass mich in Ruhe!“

„Naja, ein paar Tage bleiben ja noch, bis die Woche herum ist.“ Die Stimme von Klaus klingt so selbstzufrieden, dass ich mein Vorhaben, ihm nichts von der DVD zu erzählen, fallen lasse.

„Damit du’s weißt, ich habe eine schöne Aufnahme von dir, von der Überwachungskamera.“

„Die was zeigt? Dass ich mir meinen Schuh zufällig neben deinem Auto zugebunden habe? Mach dich nicht lächerlich.“

Könnte er tatsächlich so einfach davonkommen?

„Ich werde dich heute Abend besuchen und dann sprechen wir noch einmal über alles.“

„Nein!“

Allein bei der Vorstellung, dass er zu mir kommt, in meine Wohnung, mich anfasst, beginne ich zu zittern.

Als ich einen Arm spüre, der sich um meine Schultern legt, zucke ich zusammen.

„Na, na, ich bin es nur, legen Sie auf.“ Herrn Odenthals Stimme klingt besorgt.

Als ich mich nicht rühre, nimmt er mir das Handy aus der Hand, lauscht kurz und unterbricht den Kontakt.

„Er will heute Abend zu mir kommen ...“ Panik klingt in meiner Stimme mit. Das Atmen fällt mir plötzlich schwer.

„Was halten Sie davon, wenn ich Sie jetzt nach Hause fahre? Ich möchte Sie nur ungern allein fahren lassen. Außerdem sähe ihr Ex, dass Sie in Begleitung sind und überlegt es sich zumindest für heute anders.“I

ch fühle mich außerstande, eine Entscheidung zu treffen. Der Arm, der feste Halt, den er mir gibt, fühlt sich so gut an, dass ich versucht bin, meinen Kopf an seine Schulter zu legen.

„Einverstanden. Wie man mit dem Bus hierherkommt, weiß ich ja inzwischen, dann werde ich meinen Wagen morgen abholen. Bis dahin steht er ja unter Bewachung.“

Ein lautloses Lachen lässt seinen Arm leicht beben.

„Sie haben Humor, das gefällt mir.“

Schweigend gehen wir zu seinem Auto und ich versinke im Sportsitz seines tiefergelegten BMW.

Während der Fahrt beschränkt sich die Kommunikation auf die Angabe, wo ich wohne. Schließlich stehen wir vor meiner Haustür.„Soll ich noch mit hochkommen?“

Es tut so gut, diese Sorge in seiner Stimme zu hören.

„Ehrlich gesagt, möchte ich jetzt nicht allein sein.“

„Dann“, forsch nimmt er meinen Schlüssel an sich und schließt auf. Nachdem ich das Licht im Treppenhaus angeschaltet habe, steigen wir schweigend die zwei Stockwerke hinauf, während ich insgeheim damit rechne, Klaus vor meiner Haustür vorzufinden. Unbehelligt erreichen wir meinen Flur und ich atme erleichtert auf.

„Möchten Sie etwas trinken?“

„Wenn ich darf, würde ich dir noch etwas Gesellschaft leisten.“

Auch die vertraute Anrede hört sich gut an.

„Magst du Wein?“

„Gern.“ Ich zeige ihm, hinter welcher Tür sich mein Wohnzimmer befindet und hole die Weinflasche und Gläser aus der Küche.

„Ich hoffe, Bordeaux ist in Ordnung?“

Er bejaht, und wir erzählen uns, erst stockend, später ausführlich von unseren gescheiterten Beziehungen.

Beim dritten Glas Wein streicht er vorsichtig mit seinen Fingerspitzen über meine Wange.

„Du bist schön.“

„Nach einem halben Liter Wein?“

Er lacht, seine Augen lachen, das habe ich bei Klaus nie gesehen. Ich mag braune Augen und wenn sie lachen, so wie diese ...

„Nein, du hast mir schon vor meiner Scheidung gefallen ... bevor auch du wieder frei warst ...“

Langsam kommt er mir näher, und als sei es das natürlichste auf der Welt, legt er seine Lippen auf meine. Sachte, fragend fühlt es sich an und einfach richtig.

Vorsichtig erwidere ich seinen Kuss, der intensiver wird.

Nach einer Weile löst sich Jens von mir, mustert mich prüfend. Ich erwidere seinen Blick ruhig, abwartend, als er sich wieder zu mir beugt.

So ausdauernd habe ich noch mit keinem Mann geknutscht. Seine Hand streicht von meiner Wange langsam über meinen Hals und bleibt sachte, fast fragend auf meiner Brust liegen. Mein Bauch reagiert auf die Berührung und zieht sich zusammen, ein Sehnen, das bisher unerfüllt blieb. Ob es auch anders sein kann?

Es kann anders sein. Als ich erwache, spüre ich mich gehalten, entspannt und wohlig verkatert. Das klingt selbst in meinen Gedanken merkwürdig, fühlt sich aber genau so an - sehr ungewohnt.

Neben mir liegt Jens, vollkommen entspannt. Die sonst immer wachen Augen geschlossen, der Mund leicht geöffnet. Die Lippen, die so weich und doch fordernd sein konnten. Ein wohliger Schauer durchrieselt mich, als ich an die vergangene Nacht denke.

Anscheinend habe ich mich bewegt, denn er schlägt die Augen auf und schaut mich an.

„Guten Morgen, wie spät ist es?“

Nach einem kurzen Blick in mein Gesicht schielt er an mir vorbei zum Wecker.

„Schon neun? Mist, ich habe gleich einen Termin. Machst du mir einen Kaffee?“

Das hatte ich mir anders vorgestellt.

Irgendwie zumindest noch ein Satz zu dieser fantastischen Nacht, nicht so etwas Banales. Ganz abgesehen von der Dienstleistung, die er erbittet, einfordert?

„Klar, ich mach’ dir ‘nen Kaffee. Handtücher sind im Bad.“

Plötzlich muss ich einen Moment allein sein, raus aus seiner Umarmung, die ihren Zauber verloren hat.

Kurze Zeit später steht er hinter mir, in seinem Büro-Outfit und sehr geschäftsmäßig.

„Die Nacht war klasse, aber im Büro sollte keiner etwas davon erfahren, meinst du nicht auch?“

War das jetzt eine einmalige Geschichte gewesen?

Anscheinend schaue ich sehr kritisch, denn er beeilt sich hinzuzufügen: „Du willst doch auch nicht, dass sich die anderen über uns das Maul zerreißen. Wir beide brauchen außerdem erst einmal Abstand. Dann sehen wir weiter.“

Er trinkt seinen Kaffee im Stehen und ist mit einem „man sieht sich“ zur Tür hinaus.

Nach einem ruhigen und nachdenklichen Wochenende sehe ich ihn am Montag im Büro wieder. Er lässt sich tatsächlich mit keiner Geste, keinem Wort anmerken, dass wir eine Nacht miteinander verbracht haben.

Zwei Wochen geht das so.

Tja, und dann muss ich ihn an unsere gemeinsame Nacht erinnern.Ich bitte ihn um ein kurzes Gespräch unter vier Augen. Ohne groß drumherum zu reden, eröffne ich ihm, dass die Untersuchung beim Gynäkologen ergeben hat, dass ich Chlamydien habe.

Zunächst sagt er gar nichts.

„Du solltest dich untersuchen lassen und keinen ungeschützten Verkehr haben.“ Mit einem schiefen Grinsen verpacke ich die Empfehlung meines Arztes.

Er schnaubt nur. „Und warum hast du dich nicht daran gehalten?“

„Weil ich es selbst nicht wusste? Vorher hatte ich zwei Jahre eine feste Beziehung. Ich hatte vorher oder währenddessen keine anderen Kontakte. Klaus habe ich eine SMS geschickt. Vermutlich hat er mich angesteckt.“

Acht Monate ist das nun her. Die Anzeige war dann doch erfolgreich - oder auch nicht. Da Klaus arbeitslos ist, habe ich bisher keinen Cent gesehen. Die Anrufe und die nächtlichen Klingeleien waren schlagartig vorbei. Trotzdem gab es noch einige unerfreuliche Begegnungen.

Mit Jens beschränkte sich die Kommunikation nach dem Gespräch unter vier Augen auf rein dienstliche Belange. Fast hatte ich das Gefühl, dass er mich schnitt, aber es war noch kein echtes Bossing. Trotzdem habe ich mir eine neue Stelle gesucht. Er wirft mir vor, gefühlskalt zu sein. Bin ich das wirklich?

Morgen kommt der Möbelwagen

Auf leisen Sohlen

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