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Edinburgh, Schottland


„Noch so ein Tag“, seufzte Robin Barnes, „und ich kündige und beschäftige mich für den Rest meines Lebens mit der Rosenzucht einer reichen Witwe.“

Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und stieß geräuschvoll die Luft aus. Sein Gesicht wirkte blass und eingefallen. Unter seinen Augen lagen tiefe, dunkle Ringe, die von den überstandenen Anstrengungen des Tages kündigten.

Ich sah meinen Partner von der Seite an, runzelte die Stirn und lächelte dann wortlos. Barnes war ein Genie im Einsatz als Agent, jedoch weniger als Bodyguard geeignet. Aber ich wusste, dass seine Worte nicht allzu ernst gemeint waren. Er hatte damit lediglich seiner Erschöpfung Ausdruck verleihen wollen.

Seine tiefe Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

„Ich hoffe, der dämliche Kongress ist morgen beendet“, sagte er.

Ich seufzte. „Hoffentlich. Noch so einen Tag ...“

„Als wenn ich es mit meinen Fähigkeiten nötig hätte, einen bescheuerten Wissenschaftler zu bewachen!“

Ich lächelte und warf einen Blick in den Rückspiegel des Cadillacs, setzte den Blinker und bog von der Hauptstraße in den Waterloo Place ab. Der Cadillac war ein plumpes, schwerfälliges Fahrzeug, aber ich war eine geübte Fahrerin, die auch mit dem ungewohnt großen Straßenkreuzer zurechtkam. Trotzdem sehnte ich mich nach meinem weißen Porsche zurück, der sich in meiner Garage langweilte.

Der wuchtige, altmodisch wirkende Bau des Apex Waterloo Place Hotel tauchte vor uns auf. Ich verringerte das Tempo und hielt nach einer Parklücke Ausschau.

„Hinter uns fährt einer raus“, sagte Robin.

Ich hielt an und sah in den Spiegel. Wenige Meter hinter uns scherte ein Wagen aus der Parklücke aus. Ich legte den Rückwärtsgang ein und fuhr vorsichtig zurück, ohne mich umzudrehen. Der übergroße Innenspiegel des Cadillacs genügte vollkommen.

Ein dumpfer Schlag traf den Wagen!

Ich trat instinktiv auf die Bremse, hörte einen dumpfen Aufprall, dann das schmerzerfüllte Seufzen eines Menschen.

Mist! Was war nun geschehen? Ich riss die Tür auf und sprang aus dem Wagen.

Eine sehr schlanke junge Frau mit auffallend langen tiefschwarzen Haaren lag direkt hinter dem Reifen des Cadillacs. Sie stöhnte. Auf ihrem Gesicht lag ein schmerzerfüllter Ausdruck. Die rechte Hand presste sie fest gegen das Knie, wo sie die Stoßstange des Wagens getroffen hatte. Die Frau musste direkt in das Auto gelaufen sein.

Ich kniete neben der Verletzten nieder. Ich war absolut sicher, dass die Straße leer gewesen war, den Rückspiegel hatte ich nicht eine Sekunde aus dem Auge gelassen!

„Es ... es tut mir leid“, sagte ich unbeholfen. „Ich habe Sie übersehen.“

„Übersehen?“, keifte eine Stimme hinter mir.

Ich sah auf und blickte in das Gesicht eines alten, glatzköpfigen Mannes. Er trug einen schäbigen Freizeitanzug, ein billiges, seit Jahrzehnten aus der Mode gekommenes Nylonhemd und schwang drohend seinen Spazierstock.

„Übersehen?“, wiederholte er aggressiv. „Die junge Frau hat die ganze Zeit dort gestanden. Sie sind direkt in sie hineingefahren!"

Robin Barnes fuhr auf. „Rufen Sie lieber einen Krankenwagen, statt Volksreden zu halten“, sagte er gereizt. „Die Frau ist verletzt.“

Der Alte grinste boshaft. „Damit ihr inzwischen die Fliege machen könnt, wie?“, fragte er. „Ich habe es genau gesehen. Sie haben die arme Frau ja fast mit Absicht über den Haufen gefahren. Es ist immer dasselbe mit euch. Nur, weil ihr euch dicke Schlitten leisten könnt, denkt ihr, die Straßen gehören euch!“

Er wandte sich an die Verletzte. „Wenn Sie mich als Zeuge brauche, dann ...“

Die Frau schüttelte mühsam den Kopf und versuchte aufzustehen. Ich half ihr, zuckte jedoch erschrocken zurück, als ich den Arm der Verletzten berührte. Die Haut fühlte sich kalt und tot an, wie bei einer Leiche, die auf dem Tisch der Pathologie lag. Außerdem könnte ich die schwarzmagische Aura der Frau spüren, sie strahlte eine ungewöhnlich starke Macht aus. Als ich erschrocken zurücksprang, glommen die Augen der verletzten Schwarzhaarigen schadenfroh auf und nahmen einen rötlichen Farbton an.

„Zuerst einmal rufen wir einen Krankenwagen“, sagte ich entschieden, um diesen Moment zu überspielen. „Wir besprechen alles andere später. Natürlich werde ich sie entschädigen. Ich habe den Unfall schließlich verschuldet.“

„Wenn es ein Unfall war“, murmelte Barnes.

Ich sah meinen Partner verwirrt an. „Wie meint du das?“

Sein rechter Zeigefinger richtete sich drohend auf den Alten, der noch immer dastand und mich streitlustig musterte.

„Ist doch recht praktisch, gleich einen Zeugen bei der Hand zu haben, nicht wahr?“, erklärte er.

„Was soll das heißen?“

Barnes fuhr unbeirrt fort. „Nichts“, sagte er ruhig. „Noch nicht, jedenfalls. Aber weder du noch ich haben die Frau gesehen. Und sie behaupten, dass sie die ganze Zeit über dagestanden hat.“

„Hat sie auch!“, brüllte der Alte. Er schnaufte, bedachte Barnes mit einem vernichtenden Blick, den dieser mit einem gleichgültigen Lächeln quittierte, und wandte sich dann an das Unfallopfer.

„Lassen Sie sich bloß nicht einschüchtern. Wir sollten die Polizei rufen. Die wird dann die Sache schon klären.“

Die Frau schüttelte mühsam den Kopf. „Keine Polizei“, sagte sie. Ihre Stimme klang seltsam fremd, irgendwie eingeübt, so, als hätte sie selten die Gelegenheit, sie zu benutzen.

Etwas an der Verletzten störte mich. Es war nichts ungewöhnlich in einer Großstadt schwarzmagische Wesen anzutreffen. Sie existierten neben den Menschen und lebten unauffällig. Aber diese Schwarzhaarige strahlte etwas Ungewöhnliches und extrem Mächtiges aus.

„Du solltest einen Krankenwagen rufen, Robin.“

Barnes nickte, ging zurück zum Auto, um sein Handy aus dem Aktenkoffer zu holen.

„Bitte keinen Krankenwagen. Mir geht es gut. Ich bin nicht verletzt“, beharrte die Schwarzhaarige.

„Gleich wird sie Ihnen Geld anbieten“, keifte der Alte, durch die Abwesenheit meines Partners merklich mutiger geworden. „Gehen Sie nicht darauf ein. Diese reichen jungen Gören glauben, sich alles erlauben zu können. Aber das Recht können Sie mit Ihrem Geld nicht kaufen. Noch nicht, jedenfalls.“

Ich fuhr erbost herum, meine dunklen Augen blitzten wütend auf.

„Es reicht“, sagte ich mit mühsam beherrschter Stimme. „Ich weiß, dass ich an dem Unfall schuld bin. Es tut mir aufrichtig leid, und ich werde die Verletzte entschädigen. Aber zuerst kümmern wir uns darum, dass sie in ärztliche Behandlung kommt.“

Normalerweise gehörte einiges mehr dazu, mich aus der Fassung zu bringen. Aber ich war nach dem Unfall nervös, und die vollkommen unbegründete Aggressivität des Alten reizte mich noch mehr.

„Vielleicht sparen Sie sich Ihre schlauen Sprüche auf, bis die Polizei hier ist“, zischte ich.

Das Selbstvertrauen des Alten schien merklich angeknackst. Augenscheinlich hatte er sich in mir getäuscht – wie schon viele vor ihm. Trotz meines jugendlichen Aussehens war ich eine Frau, die durch ein paar böse Worte allein nicht einzuschüchtern war.

Ich spürte eine zaghafte Berührung an der Schulter und drehte mich um.

„Hören Sie, Miss“, sagte die verletzte Frau, „es ... es geht mir schon viel besser. Ich glaube nicht, dass wir den Krankenwagen benötigen.“

Ich runzelte unwillig die Stirn. Die Frau wirkte blass und verstört, und in ihren Augen stand ein seltsames Flackern. Ganz offensichtlich stand sie unter einem Schock.

„Es ist wirklich nichts passiert“, fuhr sie eindringlich fort. „Mein Bein ist vollkommen in Ordnung. Hier – sehen Sie selbst.“

Um ihre Worte zu untermauern, hüpfte sie auf dem verletzten Bein auf und ab. Aber offensichtlich hatte sie sich unterschätzt. Sie stieß einen schmerzhaften Seufzer aus, taumelte und wäre gestürzt, wenn ich nicht blitzschnell zugegriffen und sie am Arm gehalten hätte.

Und in diesem Moment geschah es!

Die Schwarzhaarige krallte sich an mir fest, so als müsste sie gestützt werden. Aber das war nicht der Grund ihrer Aktion. Sie ritzte mit ihrem Fingernagel die Haut meines Unterarms auf. Ich spürte, wie die Wunde heiß wurde, wie mein Blut ungewöhnlich zirkulierte, als müsste es gegen einen eindringenden Fremdkörper anzukämpfen.

Ich sprang einen Schritt von der Schwarzhaarigen zurück, die sich gegen den Wagen lehnte und mich hochmütig anlächelte. Was sollte das bedeuten?

„Sehen Sie!“, keifte der Alte. „Ich habe ja gesagt, die Frau ist verletzt! Und Sie sind schuld!“

Ich verstand nicht, was der Auftritt des Alten bedeutete. Aber er ging entschieden zu weit. In mir wallte plötzlich Zorn auf. Dem Alten sollte eine kleine Lektion erteilt werden. Ich beschloss, ihn mit einem bösen Zauberspruch für sein unverschämtes Verhalten zu bestrafen.

Die Straße hinter mir war leer, als ich mich umdrehte!

Ich runzelte verblüfft die Stirn, sah hastig nach rechts und links und hielt nach dem alten Mann Ausschau.

Er war verschwunden!

„Aber das ist doch unmöglich“, flüsterte ich fassungslos. Die wenigen Sekunden, die ich den Alten aus den Augen gelassen hatte, waren viel zu kurz gewesen, als dass ein Mensch spurlos verschwinden konnte.

Plötzlich spürte ich eine seltsame, unerklärliche Kälte, so, als würde ich von einem eisigen Windstoß getroffen. Ich schauderte.

Ich drehte mich erneut um, um nach der Schwarzhaarigen zu sehen.

Aber die Frau war ebenfalls verschwunden!

Ich hatte allerhöchstens vier, fünf Sekunden nach dem Alten Ausschau gehalten. Mit dem verletzten Bein konnte sie in dieser Zeit unmöglich weiter als ein paar Schritte gekommen sein. Aber die Straße zu beiden Seiten war leer. Und das einzige Gebäude, das er in den wenigen Augenblicken erreicht haben konnte, war das Hotel.

Ich eilte mit raschen Schritten um den Wagen. Robin saß auf dem Beifahrersitz und telefonierte mit seinem Handy. Ich riss die Tür auf.

„Wo ist sie?“, fragte ich übergangslos.

„Wer?“

„Die junge Frau, die ich angefahren habe“, entgegnete ich ungeduldig. „Sie ist verschwunden.“

„Verschwunden?“, echote Robin. „Was heißt das?“

„Verschwunden wie verschwunden“, erklärte ich gereizt. „Weg. Nicht mehr da. Fort. Ich hatte mich einen Augenblick umgedreht, um mit diesem komischen Alten zu reden. Als ich wieder hinsah, war die Frau weg. Aber sie kann mit ihrem verletzten Bein unmöglich weiter als ein paar Schritte gelaufen sein. Ich dachte, sie wäre vielleicht um das Auto gegangen.“

Robin schüttelte den Kopf. „Ich habe niemanden gesehen, Anne. Die werden sich aus dem Staub gemacht haben. Wahrscheinlich haben sie gemerkt, dass sie mit ihrem Trick an die falschen geraten sind.“

„Was für ein Trick?“

„Er ist nicht gerade neu, aber sie versuchen es immer wieder. Und es gibt noch genügend Dumme, die darauf hereinfallen. Diese Gauner arbeiten meist zu zweit. Einer springt vor einen Wagen und mimt den Verletzten, der andere tritt als zufällig anwesender Zeuge auf und beschwört, dass das Opfer wirklich unschuldig an dem Unfall ist.“ Er grinste. „Die beiden konnten es sich nicht leisten, auf die Polizei zu warten.“

Ich winkte widerwillig ab. Robins Worte klangen logisch und überzeugend. Aber irgendwie sträubte ich mich dagegen, die Erklärung zu akzeptieren. Mit den beiden hatte etwas nicht gestimmt. Die schwarzmagische Aura der Frau hatte ich eindeutig gespürt, daher glaubte ich einfach nicht daran, dass es sich nur um zwei geschickte Trickbetrüger gehandelt hatte. Außerdem begann die Wunde an meinem Unterarm zu brennen, die Stelle, die der Fingernagel aufgeritzt hatte.

Und da war noch ein Gedanke, der sich in mein Bewusstsein einnistete: Ich war absolut sicher, dass die Straße hinter dem Wagen leer gewesen war, als ich in den Spiegel gesehen hatte.


Constable Macbain kritzelte etwas in seinen Block, schüttelte den Kopf und steckte seinen Kugelschreiber zurück.

„Ich glaube“, sagte er nach kurzem Überlegen, „dass Mister Barnes Recht hat.“

Er klappte seinen Notizblock zu und schenkte mir ein scheues Lächeln.

„Wahrscheinlich haben die beiden wirklich versucht, Sie hereinzulegen. Ein uralter Trick. Ich bin froh, dass Sie nicht darauf hereingefallen sind.“

Ich erwiderte den Blick des Polizisten gelassen. Robin hatte trotz meines Protestes darauf bestanden, die Polizei einzuschalten. Ich gab mir Mühe, meine Verärgerung darüber nicht an dem jungen Beamten auszulassen.

„Wenn ich ehrlich sein soll“, sagte ich nach einer Weile, „wäre es mir am liebsten, wenn wir die ganze Angelegenheit so schnell wie möglich vergessen würden.“

„Sie wollen keine Strafanzeige stellen?“

Ich lächelte flüchtig. „Gegen wen? Ich wüsste kein Gesetz, nach dem sich ein Unfallopfer strafbar macht, wenn es sich weigert, eine Entschädigung anzunehmen.“

Macbain überlegte sichtlich. Auf der einen Seite mochte er froh sein, die Angelegenheit so schnell erledigen zu können. Aber ich war sicher, dass ihm seine Vorgesetzten eingeschärft hatten, die Sache mit aller Aufmerksamkeit zu verfolgen. Schließlich zuckte er mit den Achseln und stand auf.

„Wie Sie wünschen, Miss Pallas.“

„Trotzdem vielen Dank für Ihre Hilfe, Constable“, sagte ich.

Der Polizist nickte nochmals und schritt zu seinem Streifenwagen zurück. Robin starrte ihm stirnrunzelnd nach. Dann drehte er den Kopf und musterte mich durchdringend.

„Was ist eigentlich mit dir los?“, fragte er unverblümt.

Ich zuckte unwillig mit den Achseln. „Nichts. Ich ...“

Ich brach ab, schüttelte den Kopf und ging zum Auto zurück, um meine Handtasche zu holen, in der sich meine Glock-17 Dienstwaffe befand. Normalerweise brauchte ich keine Pistole, um mich zu verteidigen oder um meinen Willen durchzusetzen. Mit einem gut gesetzten Zauberspruch würde es auch gehen. Aber meine Chefin von der CEDIS, Julie Waldenfels, bestand auf diese lächerliche Waffe. Sie meinte, ich solle in Schottland nicht als Hexe auffallen, sondern als normale Sicherheitsbeamtin durchgehen.

„Ich fühle mich nicht wohl“, flüsterte ich. Mein Blut wurde immer heißer, ich konnte den Temperaturanstieg genau spüren.

„Der Unfall“, meinte Robin nickend. „Vergiss ihn. Die junge Frau kann nicht schwer verletzt gewesen sein. Sonst wäre sie wohl kaum so schnell verschwunden. Vielleicht war sie wirklich ein Betrüger.“

Ich starrte schweigend die Straße entlang. Ich wusste, dass er Recht hatte, aber die seltsame unerklärliche Unruhe, die von mir Besitz ergriffen hatte, schien sich eher noch zu verstärken. Irgendetwas war mit dieser Frau nicht in Ordnung gewesen. Ich war mir vollkommen sicher, dass sie im Rückspiegel des Autos nicht sichtbar gewesen war.

Eigentlich war das vollkommen unmöglich. Jeder Mensch, jeder materielle Gegenstand, hatte ein Spiegelbild. Nein, das Geheimnis, das diese junge Frau umgab, musste anderer Natur sein. Erneut dachte ich an die schwarzmagische Aura der Frau. War es eine Hexe, ein Dämon oder eine Vampirin gewesen?

Ich stieß mich vom Auto ab und ging auf Robin zu. Es hatte keinen Sinn, sich den Kopf über etwas zu zerbrechen, das ich im Moment sowieso nicht lösen konnte.

„Du hast Recht“, flüsterte ich. „Es wird Zeit, dass wir wieder unseren Posten einnehmen.“


Lust auf Sex, Blut und Rache

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