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Vergangenheit

Der Neuberg bei Glattbach, 1780

DER STURM

Ein grauer, wolkiger Himmel, spannte sich über dem Neuberg bei Glattbach. Es war ein kalter Herbsttag. Die Sonne hatte sich schon seit Stunden hinter den Wolken verkrochen, als wollte sie nicht mit ansehen, was hier und heute geschehen sollte.

Auf dem Berg erhob sich das unheimliche Gerüst eines Galgens. Darunter stand leicht erhöht auf einem Podest, ein grob zusammen gezimmerter Holzkasten. Und in diesem Holzkasten, befand sich ein Mensch. Es war der Rhönpaulus.

Viele nannten ihn „Der Schwarze“, weil er immer dunkel gekleidet war, einen dunklen Schlapphut trug und einen schwarzen Bart hatte.

Sogar seine Augen waren schwarz wie Kohle. Begegnete man ihm des Nachts, konnte man schon mal leicht das Fürchten kriegen.

Fürchten allerdings, mussten ihn nur die Reichen und hohen Herren, jene, die von der Arbeit anderer lebten und das Volk auspressten bis aufs Blut. Die hasste Paulus und mehr als einmal bekamen sie diesen Hass zu spüren. Er bestahl die Reichen, wann immer er die Gelegenheit dazu hatte und verteilte es an die Armen. Dafür liebte ihn das einfache Volk. Doch nun war alles zu Ende. Heute sollte der Rhönpaulus hingerichtet werden. Seit Stunden schon harrte er in seinem engen Gefängnis aus. Dieser Kasten, in dem er steckte, war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Schon mehr als einmal war er seinen Häschern entkommen.

Ein scharfer Wind fegte über den Neuberg und ließ die Gewänder der Anwesenden flattern. Die Kälte, die er mitbrachte, drang den Leuten bis in die Knochen und ließ manchen unter ihnen erschauern.

Und während ein Richter die Anklage verlas, steigerte sich der Wind zu einem schaurigen Heulen. Der Himmel verdüsterte sich, lose Blätter und Äste wehten davon und plötzlich zuckten grelle Blitze am Himmel auf. Paulus, der regungslos in seinem Kasten hing, beobachtete dieses Schauspiel verwundert aus seinen dunklen Augen.

Die Menschen ringsum schrien ängstlich auf und bekreuzigten sich. Doch der Sturm ließ sich nicht besänftigen. Längst war der Richter verstummt, denn der Wind hatte ihm die Worte förmlich von den Lippen gerissen.

Plötzlich spaltete ein riesiger Blitz den Himmel, ein grelles Licht tauchte den Berg in gleißende Helligkeit. Ein ohrenbetäubendes Brausen und Zischen erfüllte die Luft. Was geschah hier? Vergeblich versuchte Paulus sich aus seinem Gefängnis zu befreien. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen die Bretter, die ihn umgaben. Schweiß rann ihm die Stirn herab, doch die Furcht vor dem unfassbaren Geschehen da draußen, verlieh ihm übermenschliche Kräfte.

Keiner achtete mehr auf ihn, die Menschen waren wie von Sinnen. Angstschreie erfüllten die Luft, jeder versuchte nur noch die eigene Haut zu retten. Schweiß überströmt warf sich Paulus (soweit es die Enge des Kastens zuließ), immer wieder gegen die Bretter. Seine Schulter schmerzte, doch er gab nicht auf. Mittlerweile war es so dunkel, als sei die Nacht hereingebrochen. Nur das ununterbrochene Zucken der Blitze, erhellte die Dunkelheit sekundenlang.

Mit einem lauten Schrei und letzter Kraft warf Paulus sich gegen die Wände. Ein lautes, berstendes Krachen ließ das Holz zersplittern und Paulus fiel kraftlos zu Boden. Geschafft! Er war frei! Nachdem er wieder zu Atem gekommen war, erhob er sich langsam und beobachtete fassungslos das Wüten der Natur. Nie zuvor in seinem Leben hatte er so etwas gesehen. Während er regungslos auf der Stelle verharrte, zuckte ein weiterer Blitz herab, so gewaltig das Paulus die Augen zusammenkniff. Der Himmel riss auf, ein unheimliches Leuchten umgab plötzlich den Berg und mit einem Schlag war es totenstill. Das Tosen des Windes legte sich, kein Blatt bewegte sich mehr und die Menschen erstarrten.

Ungläubig starrten sie auf das Licht, welches den Himmel in zwei Hälften teilte. War dies das Ende der Welt? Paulus war inzwischen wieder etwas zu Kräften gekommen.

So sehr ihm das Geschehen auch Furcht einflößte, so fühlte er sich gleichzeitig davon wie magisch angezogen. Langsam bewegte er sich auf das seltsame Licht zu. Ein merkwürdiges Gefühl hatte sich seiner bemächtigt.

Immer näher kam er dem Leuchten, da sah er es. Etwas wofür er keine Erklärung fand. Ein wirbelnder Strudel bewegte sich im inneren des Lichts auf das Paulus unaufhaltsam zuschritt. Er konnte nicht anders, es war als würde eine fremde Macht seinen Willen steuern. Seltsamerweise fühlte er keine Angst, alle Furcht war von ihm abgefallen, nur die unerklärliche Anziehungskraft blieb. Einige Leute die auf dem Berg geblieben waren, verfolgten dies alles mit vor Angst verzerrten Gesichtern. Ob es die Angst vor Paulus war, vor den Geschehnissen oder eine Mischung aus beiden, wusste niemand zu sagen.

Paulus war nur noch eine Armlänge von dem Licht entfernt, da geschah das Unglaubliche. Ein gewaltiger Sog erfasste ihn und riss ihn von den Füßen, mitten in den Strudel hinein. Ihm blieb nicht einmal Zeit für einen Schrei. Sekunden später war der Rhönpaulus verschwunden. Das unheimliche Licht hatte ihn verschlungen.

Zurück blieb eine Handvoll Menschen, die vor Entsetzten wie gelähmt waren. Ungläubig starrten sie auf die Stelle, an welcher Paulus noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatte. Doch er tauchte nicht wieder auf. Noch immer herrschte auf dem Berg eine unnatürliche Stille. Selbst das Rauschen der Bäume war verstummt.

Das Licht aber, in dem Paulus verschwunden war, war erloschen. Während die Menschen noch wie erstarrt auf der Stelle standen, riss plötzlich der Himmel auf und öffnete seine Schleusen.

Der Regen rauschte in einer wahren Sintflut herab, als wolle er die ganze Welt ertränken. Endlich kam Bewegung in die Leute. Schützend rafften sie ihre Umhänge über die Köpfe und rannten davon, weg von dem Grauen des Berges. Zurück blieben der Galgen und die geborstenen Überreste vom Kasten des Rhönpaulus. Die letzten stummen Zeugen in einem schaurigen Spektakel.

Erst Stunden später lebte die Natur wieder auf. Die Bäume begannen zu rauschen und die Tiere des Waldes begaben sich auf Nahrungssuche. Der Frieden des Berges war wieder hergestellt!

Finn und das Geheimnis des Rhönpaulus

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