Читать книгу Mami Classic 42 – Familienroman - Annette Mansdorf - Страница 3

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»Du sollst aber nicht weggehen, Mama…«, jammerte Julia und hielt ihre Mutter am Rock fest.

Katinka Berger setzte sich noch einmal ans Bett ihrer sechsjährigen Tochter. Julia hatte Fieber und Halsschmerzen, nicht schlimm, aber doch so, daß sie ihre Mama um sich haben wollte. Dabei wurde es für Katinka höchste Zeit, in die Versicherung zu fahren, in der sie arbeitete. Ihr Vater, der Julia betreuen sollte, war auch noch nicht da…

»Schätzchen, der Opa kommt zu dir und paßt auf. Er wird sicher wieder ein paar schöne Spiele wissen…«

»Aber Janosch drängelt sich immer vor…«

Janosch war der Zwillingsbruder. Plötzlich fiel Julia ein, daß der ja in der Schule war. Sie würde ihren geliebten Opa ganz für sich allein haben! Sofort klärte sich ihr Gesicht auf, sie lächelte.

»Ist gut, Mama, du kannst gehen…«

»Ich muß mich schnell ein bißchen schminken. Bis der Opa hier ist, warte ich.«

»Na gut. Aber du malst dich doch nicht für deinen Chef an, oder?«

Katinka seufzte. Sie kam einfach nicht dahinter, warum Julia Markus Leermann nicht mochte. Er war nett zu den Kindern. Katinka mochte im Moment nicht auf seine Aufmerksamkeit verzichten, obwohl sie keineswegs sicher war, daß ihre Gefühle über eine oberflächliche Verliebtheit hinausging. Außerdem war er noch nicht geschieden. Er lebte von seiner Frau getrennt, schon seit langem. Katinka war nicht der Grund dafür gewesen. Frau Leermann hatte sich einen Freund zugelegt und die Ehe beendet.

Im Badezimmer dachte sie daran, wie dankbar sie sein konnte, daß ihr Vater jederzeit bereit war, die Kinder zu betreuen. Als ehemaliger Kriminalbeamter war er schon mit achtundfünfzig Jahren in den Ruhestand gegangen, weil eine alte Schußverletzung ihm noch immer leichte Beschwerden machte. Seit dem Tod seiner Frau, Katinkas Mutter, beschäftigter er sich ausgiebig mit Julia und Janosch, die darüber begeistert waren. Er hatte immer sehr ungewöhnliche Ideen, die Katinka manchmal ziemlich suspekt waren. Oft kam es ihr so vor, als bilde der sie zu Mini-Kriminalisten aus.

Katinka kam also gut zurecht. Vor zweieinhalb Jahren, kurz nach dem Tod ihrer Mutter, war Carsten tödlich verunglückt. Sein unglaublicher Leichtsinn hatte ihn das Leben gekostet. Warum mußte er unbedingt als Stuntman arbeiten? Genauer gesagt, als Hobby-Stuntman, denn er hatte das neben seinem Beruf als Polizist gemacht. Sportlich war er gewesen, aber sich mehrmals mit einem Auto zu überschlagen, nur damit so ein dämlicher Film »echt« wirkte, war einfach sträflicher Leichtsinn. Sein Tod hatte sie für einige Zeit gelähmt, doch die Kinder und ihr Vater schafften es, ihr wieder Mut und Lebensfreude zu geben, zumal ihre Ehe nicht mehr sehr harmonisch gewesen war. Wie denn auch, wenn Carsten kaum zu Hause gewesen war?

Jetzt achtete sie bei den Bekannten, die sie hin und wieder einladen durften, sehr genau darauf, daß sie keine halsbrecherische Hobbys hatten. Einer von Carstens Kollegen, der sich sehr für Katinka interessiert hatte, kletterte in seiner Freizeit in Felswänden herum, nur mit den Fingerspitzen hing er an kaum wahrnehmbaren Vorsprüngen! Sie hatte ihm gleich erklärt, daß sie nichts mehr mit solchen Dingen zu tun haben wollte. Natürlich war er nicht bereit gewesen, auf sein Hobby zu verzichten.

Heiraten wollte Katinka sowieso nicht mehr. Jedenfalls redete sie sich das ein. Ihr Vater lächelte dann immer verschmitzt und bemerkte nur, daß dann der Richtige eben noch nicht gekommen sei.

Markus Leermann und er hatten sich auf Katinkas dreißigstem Geburtstag kennengelernt. Burghard Schöller fand ihn für seine Tochter zu langweilig, was zu einem ziemlich heftigen Wortwechsel zwischen ihr und ihm geführt hatte, bis sich die Wogen wieder geglättet, als ihr einfiel, daß Markus schließlich nicht als Ehemann auf dem Prüfstand gelangt war und sich eine Diskussion deswegen eigentlich von selbst verbot. Wenn es ihr Spaß machte, mit ihm essen oder ins Theater zu gehen, sollte man sie gefälligst lassen!

Es klingelte, dann wurde die Tür aufgeschlossen. Ihr Vater war gekommen. Er war immer sehr rücksichtsvoll, wie er glaubte. Das Klingeln hieß »Ich komme jetzt rein« und würde ihr im Notfall nicht mal die Zeit lassen, sich schnell einen Bademantel anzuziehen und den »Liebhaber« im Schrank zu verstecken, weil er kaum eine Minute verstreichen ließ, bis er die Tür aufschloß. Sie mußte jedesmal darüber lächeln.

»Hallo, niemand zu Hause?« rief er mit seiner tiefen, angenehmen Stimme.

»Ich komme schon. Guten Morgen, Papa. Oh, eine neue Krawatte?«

Seit er nicht mehr im Dienst war, hatte er sein Faible für bunte, ziemlich abenteuerliche Krawatten entdeckt. Er war sehr stolz darauf, die absonderlichsten Exemplare zu finden. In der Weihnachtszeit trug er solche mit lauter Nikoläusen, zu Ostern tummelten sich Osterhasen oder bunte Eier darauf. Heute waren es vom Wind gepeitschte Palmwedel. Es war Frühsommer.

»Ka, ich habe eine neue Quelle entdeckt. Die Frau bemalt sie alle selbst. Man kann auch Motive bestellen.«

»Das hast du doch nicht etwa vor?« fragte Katinka ahnungsvoll.

»Ich dachte, wenn ich zu unserer jährlichen Zusammenkunft gehe, könnte ich mir eine mit lauter Revolvern machen lassen. Wäre doch lustig. Und wenn ich meinen ehemaligen Bereichsleiter ­ärgern will, schenke ich ihm eine.«

Er grinste von einem Ohr zum anderen und sah keinen Tag älter als fünfzig aus. Katinka fragte sich manchmal , ob sie eines Tages mit einer Stiefmutter rechnen müßte. Eigentlich war er noch zu jung und agil, um immer allein zu bleiben. Aber dazu äußerte er sich nie.

»Wo ist denn mein krankes Hühnchen? Ich habe ihr etwas mitgebracht…«

»Ich bin im Bett, Opa!« rief Julia fröhlich.

»Ich muß los, Papa. Wenn etwas ist, kannst du ja anrufen.«

»Wir kommen schon klar. Geh nur. Viel Spaß, mein Deern.«

Er küßte sie auf die Wange. Katinka freute sich immer wieder darüber, daß er mit Zärtlichkeiten so freimütig umging. Viele Väter waren da gehemmter, wie sie noch von ihren Freundinnen aus der Kinderzeit wußte.

»Tschüß, Julchen!«

»Tschüß, Mama«, rief Julia zurück.

Sie hatte ihre Schmerzen vergessen. Erleichtert verließ Katinka das Haus.

Auf dem Weg zur Versicherung kaufte sie noch schnell ein paar Blumen für ihren Schreibtisch. Sie mochte solche Kleinigkeiten, die die Arbeit versüßten. Noch lieber wäre es ihr, wenn sie ihre neue Kollegin endlich dazu bewegen könnte, nicht immer so ein sauertöpfisches Gesicht zu machen. Aber sie saß ihr erst seit vier Wochen gegenüber, man sollte die Hoffnung nicht aufgeben.

»Guten Morgen!« wünschte sie dann auch möglichst heiter, als sie das Büro betrat.

Die Umgestaltung zum Großraumbüro war Gott sei Dank verhindert worden. Katinka stellte es sich gräßlich vor, in solchen Sälen zu arbeiten, wo einer den anderen störte.

»Morgen«, kam es dumpf zurück.

Birgit Mühlgraf litt unter chronisch verstopfter Nase, wofür sie natürlich nichts konnte. Vielleicht machte sie das so mürrisch.

Katinka stellte die Blumen in eine schöne leuchtendblaue Glasvase. Unter den mißbilligenden Augen ihrer Kollegin plazierte sie sie dann auf dem Schreibtisch.

»Ich bin gegen Narzissen allergisch.«

»Wie? Oh, tut mir leid. Dann stelle ich sie auf die Fensterbank.«

»Die Pollen fliegen trotzdem her.«

»Das glaube ich kaum. Hier ist es ja absolut windstill. Ich hatte letzte Woche doch schon einmal Narzissen. Warum haben Sie denn da nichts gesagt?«

Nur schön ruhig bleiben, Katinka, ermahnte sie sich.

»Ich wollte nicht gleich Ärger machen«, gab die andere mit gequälter Miene zurück, die deutlich ausdrückte, wie schwer ihr diese Zurückhaltung gefallen war.

Wie konnte Markus ihr nur diese Frau ins Zimmer setzen? Er war wohl nur nach dem Äußeren gegangen…, wenn man nämlich von dem verkniffenen Gesichtsausdruck absah, war Birgit Mühlgraf recht hübsch. Sobald ein Mann das Büro betrat, lächelte sie, und alle Beschwerden schienen wunderbarerweise wie weggeblasen.

»Na ja, länger als vier Tage halten sie sich ja nicht. Versuchen wir es.«

Katinka hatte keine Lust, diese Diskussion fortzusetzen. Sie sah die Akten durch, die auf ihrem Schreibtisch lagen, las das Fax eines Kunden und schaltete ihren Computer an. Kurz darauf war sie in ihre Arbeit vertieft, die ihr heute schnell von der Hand gehen mußte, denn sie hatte viel zu

tun.

Um halb zehn erschien Markus im Büro. Er hatte vormittags oft Besprechungen, sonst saß er oft schon um acht an seinem Schreibtisch. Ein Lächeln erblühte auf Birgit Mühlgrafs Gesicht, wäh­rend sie hoffnungsvoll zu ihm aufsah.

»Guten Morgen, die Damen. Ich hoffe, es läuft alles wie es soll?«

Er bevorzugte Katinka weder mit Blicken noch mit Worten. Das war ihr auch ganz recht so.

»Ja, an sich schon…«, begann Birgit Mühlgraf und stieß einen filmreifen Seufzer aus.

»Aber?«

»Ach, ich reagiere ein wenig empfindlich auf Narzissen. Aber ich hoffe, daß ich durchhalte…«

Katinka hätte sie würgen können. Diese falsche Schlange!

Prompt sah Markus sie an.

»Sind die Blumen von Ihnen, Frau Berger? Könnten Sie sie nicht vielleicht in mein Zimmer stellen? Ich kaufe Ihnen mittags Tulpen oder Rosen, wenn Sie wollen. Einverstanden?«

Was blieb ihr anderes übrig, als dem zuzustimmen? Aber das würde sie ihrer Kollegin noch heimzahlen! Glaubte die etwa, sie könne hier böses Blut schaffen?

»Kommen Sie dann gleich mal zu mir herein?« bat Markus und strebte schon seinem Büro zu.

»Sofort.«

Birgit Mühlgraf sah sie triumphierend an, als Katinka die Vase von der Fensterbank nahm. Katinka hätte ihr am liebsten gesagt, daß sie sich sehr unklug verhielt, wenn sie sich mit ihr anlegte. Aber das hätte die andere vielleicht noch als Sieg empfunden. Also schwieg sie und betrat das Büro ihres Vorgesetzten.

*

Markus Leermann betrachtete Katinka wohlgefällig. Sie war wirklich ein richtiger Lichtblick im täglichen Arbeitsalltag. Ihre halblangen dunklen Haare glänzten seidig und waren makellos geschnitten. Das rote Kostüm mit dem schwarzen Leinentop war ein Hingucker, ohne aufdringlich zu wirken. Katinka trug nie kurze Röcke und keine tiefen Ausschnitte und wirkte dadurch fast noch verführerischer. Eine unterkühlte Erotik fand er viel anregender als prall zur Schau gestelltes Fleisch.

Sie setzte sich, nachdem sie ihm die blaue Vase ziemlich unsanft auf den Schreibtisch gestellt hatte.

»Tut mir leid, aber ich konnte kaum etwas anderes tun.«

»Schon gut, Markus. Worum geht es?« fragte sie recht kühl, weil sie noch immer wütend war.

»Nun sei doch nicht so, Katinka. Sie ist doch neu und wahrscheinlich noch ein bißchen verkrampft.«

»Wenn die erst auftaut, kann es nur schlimmer werden«, schnaubte Katinka und ärgerte sich gleich darauf über ihre Spontanität.

»Sie gibt sich doch alle Mühe. Übrigens ist sie ein Protegé vom Alten. Sei also lieber ein bißchen vorsichtig, bevor du ihr den Kopf abreißt.«

»Auch das noch! Aber deswegen kann sie sich trotzdem nicht alles mit mir erlauben. Sorry, aber das könnte noch Streß geben. Kann sie nicht in einem anderen Büro arbeiten?«

»Bitte, Katinka, diese Entscheidungen mußt du schon der Geschäftsleitung überlassen. Aber nun etwas anderes. Ich habe für Freitag zwei Theaterkarten. Wie wäre es?«

Katinka hatte manchmal durchaus trotzige Züge. Jetzt war so ein Moment. Obwohl sie sich um ein Vergnügen brachte, verneinte sie.

»Da habe ich schon etwas vor. Mein Vater hat uns zum Essen eingeladen.«

Sie wußte genau, daß sie Markus damit am meisten ärgern konnte, daß sie ihren Vater ihm vorzog…

»Oh…, dann also nicht. Gut. Hast du den Vorgang Krause abgeschlossen?«

»Selbstverständlich. Soll ich ihn holen?«

»Später. Ja das war dann schon alles.«

»Gut.«

Sie war schon an der Tür, als Markus sie noch einmal ansprach.

»Katinka, sei nicht so. Ich kann nicht arbeiten, wenn du da draußen sitzt und böse auf mich bist.«

Das fand Katinka nun wieder nett von ihm. Sie lächelte.

»Ich bin nicht böse. Und wegen Freitag schaue ich noch mal, was ich machen kann.«

Schmunzelnd warf er ihr eine Kußhand zu. Katinka spitzte die Lippen und öffnete die Tür.

Frau Mühlgraf stand an Katinkas Schreibtisch und schaute in die oberste Schublade. Als sie Katinka hörte, fuhr sie herum, wurde aber nicht einmal rot.

»Darf ich fragen, was Sie an meinem Schreibtisch zu tun haben?«

»Ich wollte nur nachsehen, ob Sie noch Büroklammern haben. Meine sind alle.«

»Es wäre mir lieb, wenn Sie in Zukunft warten, bis Sie mich selbst fragen können. Es ist hier nicht üblich, in den Schubladen herumzuschnüffeln.«

Das war ein Sieg nach Punkten. Birgit Mühlgraf merkte wohl, daß sie zu weit gegangen war und kniff die Lippen noch ein wenig mehr zusammen. Natürlich würde diese Episode das weitere Arbeitsklima nicht besser machen.

Der Tag verlief mit den üblichen kleinen Unannehmlichkeiten, zum Beispiel dann, wenn Katinka den Kunden die Regulierung eines Schadens ablehnen mußte, weil diese schon seit langem auf der roten Liste standen. War es zu glauben, daß die Familie Bremer schon den fünften Wasserschaden in diesem Jahr hatte, immer wieder durch einen platzenden Waschmaschinenschlauch hervorgerufen? Solche Fälle landeten bei Katinka auf dem Schreibtisch. Manchmal ließ sie sich jedoch überzeugen, zum Beispiel, wenn alte Leute im Spiel waren. Katinka war schon zweimal ermahnt worden, nicht zu großzügig zu sein. Doch die Rentnerin, die mit neunhundert Mark im Monat auskommen mußte, sollte doch davon nicht noch dreihundert Mark zahlen müssen, weil der Fall so oder so ausgelegt werden könnte! Markus stellte sich dann meistens schützend vor sie, was sie ihm auch hoch anrechnete. Oft ging es bei den Kunden nach dem Motto »Frechheit siegt«, und sie hatte die undankbare Aufgabe, herauszufinden, ob die Schadensregulierung berechtigt war oder nicht. Doch inzwischen kannte man seine Pappenheimer.

Frau Mühlgraf hielt sich für den restlichen Tag zurück. Ihr Quantum Gift hatte sie für heute offenbar versprüht. Katinka wußte nicht, wie lange, sie die Kollegin noch ertragen konnte, ob sie nun unter dem Schutz des Chefs stand oder nicht.

Um fünf raffte die andere ihre Siebensachen zusammen und ging ohne Abschiedsgruß. Statt dessen schniefte sie noch einmal vernehmbar. Vielleicht hatte doch noch eine Polle den Weg in ihre Nasennebenhöhlen gefunden…

Katinka atmete auf. Sie wollte heute etwas länger arbeiten, um am Freitag um zwei gehen zu können. Julia ging es schon besser, davon hatte sie sich durch zwei Telefonate überzeugt. Ihr Vater hatte mittags Eierkuchen gebacken, eines der Lieblingsgerichte ihrer Kinder. Er war wirklich ein Schatz, da verzieh sie ihm auch die peinlichen Krawatten.

»Na, noch immer da, meine Liebe?«

Markus stand plötzlich hinter Katinka und legte ihr die Arme um die Schultern. Dabei paßte er auf, empfindlichen Körperpartien nicht zu nahe zu kommen. Er wußte, daß er damit ihre Freundschaft riskierte, denn soweit war ihre Beziehung nicht gediehen.

»Ja, ich möchte Freitag mittag nach Hause. Und mein Vater ist ja bei den Kindern.«

»Hat er eigentlich kein eigenes Leben?«

Das hätte er lieber nicht fragen sollen. Es wurde ihm sofort bewußt, als Katinka sich losmachte und wieder auf die Tasten ihres Computers einhämmerte.

»Entschuldige, ich weiß, wie wichtig er für dich ist. Es sollte ja auch keine Kritik sein.«

»Sondern?«

»Wirklich nur eine harmlose Frage. Er ist doch noch im besten Alter.«

»Über sein Liebesleben sprechen wir nicht, falls du das meinst.«

»Katinka, verzeih mir«, bat er mit übertrieben schuldbewußtem Gesicht.«

»Schon gut. Laß mich das hier noch fertigschreiben. Ich muß das vom Tisch bekommen.«

»Wollen wir noch etwas zusammen trinken?«

»Nein, heute nicht. Julia ist krank. Ich möchte zum Abendessen dort sein.«

»Ach so. Verstehe. Schlimm?«

»Halsentzündung und etwas Fieber. Es geht ihr schon wieder ganz gut.«

»Du hast das alles gut im Griff.«

»Muß ich doch, oder? Wie sollte ich sonst arbeiten gehen.«

»Du könntest beispielsweise wieder heiraten und zu Hause bleiben.«

Sie hielt die Luft an. Würde er sich jetzt gleich als Ehemann anbieten? Und was sollte sie dazu sagen?

»Ich glaube nicht, daß ich das wollte. Meine Arbeit macht mir Spaß. Jedenfalls bisher«, fügte sie hinzu und warf einen bezeichnenden Blick auf den sauber aufgeräumten Schreibtisch ihrer Kollegin.

»Katinka, du mußt nicht so streng sein. Mir sind auch die Hände gebunden.«

»Ich hasse so etwas. Nur weil der Chef sie kennt, muß doch nicht jeder nach ihrer Pfeife tanzen!«

»Sicher nicht, aber wir sollten uns bemühen, Frieden zu halten.«

»Dazu bin ich bereit. Aber sie tanzt schon hart an der Grenze herum.«

Dieses Thema war ihm offenbar zu heiß, er verschwand wieder in seinem Büro. Katinka beendete ihre Arbeit und fuhr um sechs Uhr nach Hause.

Julia lag auf dem Sofa. Ihre Wangen schimmerten rosig, die Augen waren schon wieder klar. Janosch fiel seiner Mutter um den Hals, um Julia zuvorzukommen. Zwischen den beiden herrschte manchmal eine erbitterte Rivalität, wohingegen sie sich einig waren, wenn es gegen Katinka ging.

»Mama! Wir haben heute in der Schule neue Buchstaben gelernt. Soll ich dir mal zeigen?«

»Natürlich, mein Schatz. Laß mich nur erst die Julia und den Opa begrüßen und mich umziehen, ja?«

»Na gut…«, murrte er und gab sich geschlagen.

Julia bestätigte, daß es schon wieder viel besser war. Morgen wollte sie wieder in die Schule gehen und ebenfalls neue Buchstaben lernen.

»Morgen bleibst du noch zu Hause, Mäuschen. Du kannst die neuen Buchstaben von Janosch abschreiben und mit dem Opa üben.«

»Das haben wir heute schon gemacht«, bestätigte ihr Vater.

»Und was habt ihr noch so angestellt?«

»Opa hat uns erklärt, was eine Fangschaltung ist«, erzählte Janosch unbefangen.

Von seinen Freunden wurde er immer sehr bewundert, weil er soviel ungewöhnliche Ausdrücke kannte und sogar erklären konnte, was das war – jedenfalls meistens.

»Also wirklich, Papa«, protestierte Katinka, mußte dabei aber lachen.

»Man kann heute gar nicht genug lernen, Kind. Und in dem Alter geht das ja noch ganz spielerisch. Die beiden haben es sofort verstanden, wohingegen unsere Bürschchen von der Polizeischule damit manchmal Mühe hatten.«

Er blinzelte den Zwillingen zu.

»Na gut, dann könnt ihr hier ja so etwas installieren, falls es nötig sein sollte. Wie beruhigend. Ich ziehe mich eben um, und dann mache ich das Abendessen.«

»Steht schon im Backofen. Ich habe uns eine Lasagne gemacht. Nur mit Gemüse gefüllt.«

»Oh, Papa, wie kann ich das nur gutmachen? Du bist wirklich einsame Spitze. Schade, daß du mein Vater bist, sonst würde ich dich glatt um deine Hand bitten.«

Er lachte. Kochen war eines seiner Lieblingshobbys, neben den Krawatten und den kriminalistischen Kniffen, die er seinen Enkelkindern beibrachte. Und weil er sehr gründlich war mit allem, was er tat, hatte er mehrere Kochkurse absolviert. Katinka kochte auch nicht schlecht, aber an ihn reichte sie nicht heran.

»Soll ich dir einen Mann wie mich suchen?«

»Nein, nein, so war das nicht gemeint. Außerdem glaube ich nicht, daß es so ein Exemplar wie dich noch einmal gibt«, wehrte Katinka schnell ab.

Sie zog sich um und ging dann in die Küche hinüber, um den Tisch zu decken. Janosch schleppte seinen Schulranzen heran und ließ sie seine Buchstaben bewundern. Julia sang mit dem Sandmännchen im Fernsehen, und ihr Vater brummte die Melodie mit. Es war ein richtig harmonischer Familienabend, der Katinka den Ärger über ihre Kollegin vergessen ließ.

*

Susanne von Bordin hatte auch Ärger, aber bei ihr war der Anlaß ein Mann. Er meinte, nur weil er gut aussah und nicht gerade unvermögend war, müsse sie so beeindruckt sein, daß sie auf einen Teil ihrer Maklerprovision verzichtete.

»Aber meine Liebe, wir können uns doch sicher entgegenkommen. Wir regeln das bei einem schönen Essen.«

»Tut mir leid, aber ich habe noch reichlich zu tun, Herr Malzahn. Sie kannten die Konditionen. Bis morgen früh haben Sie Zeit, sich das Angebot zu überlegen. Dann zeige ich das Objekt dem nächsten Kunden.«

Es handelte sich um ein großes Büro in sehr schöner Lage. Susanne wußte, daß sie nicht zu arrogant auftreten durfte, denn jeder konnte sich dieses Büro nicht leisten. Sie wollte nicht auf diesem Objekt sitzenbleiben. Aber andererseits war sie auch nicht bereit, sich von einem solchen Macho drängen zu lassen.

»Sie sind aber unerbittlich, was? Eine so schöne Frau…«

»Das hat damit nun aber gar nichts zu tun, nicht wahr? Oder wickeln Sie Ihre Exportgeschäfte auf diese Weise ab?«

»Das ist ja wohl etwas anderes, Frau von Bordin!«

Jetzt war sie ihm auf die Füße getreten. Na wunderbar, diesen Kunden konnte sie abschreiben. Dann sollte sie aber auch nicht noch mehr Zeit verschwenden.

»Ich muß jetzt gehen, Herr Malzahn. Ich erwarte Ihren Bescheid.«

»Kann ich Sie auch im Internet erreichen?« wollte er wissen. Sein Blick wurde arrogant.

»Selbstverständlich. Sie finden meine Nummer auf der Visitenkarte in den Unterlagen.«

Über sein leicht enttäuschtes Gesicht mußte Susanne fast lachen. Sie konnte es sich gerade noch verkneifen. Hatte er vielleicht geglaubt, sie wickele ihre Büroarbeit mit einer alten Reisemaschine ab?

Er verließ das Büro, Susanne ging hinterher und strich in Gedanken diesen Kunden von ihrer Liste. Na ja, macht nichts. Es käme bestimmt ein anderer – irgendwann.

Ihre Uhr zeigte ihr, daß es bereits halb sieben war. Um Viertel nach wollte Katinka kommen. Sie mußte auf dem Nachhauseweg noch schnell Pizzas besorgen. Rotwein war im Haus.

Susanne freute sich auf den gemütlichen Klönabend mit ihrer besten Freundin. Katinka und sie kannten sich noch vom Gymnasium, und ihre Freundschaft war nie gefährdet gewesen, auch wenn sie sich fast zwei Jahre nicht gesehen hatten, weil Susanne im Ausland lebte. Jetzt, da sie die Maklerfirma ihres Vaters übernommen hatte, trafen sie sich regelmäßig.

»Also gut. Ich nehme es«, sagte Herr Malzahn überraschend und reichte ihr die Hand.

Es lag fast so etwas wie Anerkennung in seinem Blick, auf die Susanne in diesem Fall auch gern verzichtet hätte, weil er sie richtig nervte.

»In Ordnung. Dann schicke ich den Vertrag morgen los.«

»Sie können ihn mir faxen.«

»Wie Sie wünschen.«

Jetzt könnte sie sich zur Belohnung eigentlich das traumhaft schöne Kostüm kaufen, das sie im Einkaufszentrum gesehen hatte…

Halt, nicht bevor das Geld auf dem Konto war, stoppte sie ihre hochfliegenden Pläne. Susanne neigte immer ein bißchen zum Leichtsinn, hatte aber noch nie Schiffbruch erlitten. Irgendwie klappte es letztendlich doch immer.

Als Katinka eintraf, umarmte Susanne sie vergnügt.

»Du hättest heute deine wahre Freude an mir gehabt, Kati. Ich habe einen Kunden, der ein richtiges Ekelpaket ist, abfahren lassen und trotzdem noch den Sieg davongetragen.«

»Das tust du doch immer!«

»Na, so sehe ich das nicht. Aber diesmal hätte ich nicht geglaubt, daß es klappt. Er wollte mich um meine sauer verdiente Provision bringen.«

»Arme Susanne. Aber es ist ihm nicht gelungen, und das ist doch die Hauptsache. Und was hast du dir Schönes gekauft?«

»Gar nichts! Ich lerne nämlich auch dazu. Noch hat er nicht unterschrieben.«

»Wirst du jetzt vernünftig? Dann bist du nicht mehr ›du‹.«

»Ich dachte, du lobst mich jetzt!«

Katinka lachte. Sie mochte die Spontanität ihrer Freundin, die ihre noch bei weitem übertraf. Aber Susanne konnte sich das auch eher leisten. Erstens verdiente sie mehr, und zweitens mußte sie nicht bedenken, welche Auswirkungen das auf Kinder haben könnte. Sie lebte ja allein.

»Ich mag dich, egal, was du tust.«

»Bist du sicher? Ich habe nämlich etwas vor mit dir.«

»Was denn?« fragte Katinka etwas mißtrauisch.

»Laß uns mal ein bißchen im Computer herumsurfen. Das macht Spaß.«

»O nein, bitte nicht. Ich sitze schon den ganzen Tag vor so einem Ding.«

»Aber du redest nicht mit anderen dabei. Ehrlich, schau es dir doch mal an.«

Susanne war nicht davon abzuhalten. Sie ging abends oft »online« und unterhielt sich mit völlig Unbekannten, die wahrscheinlich das Blaue vom Himmel herunterlogen. Einmal hatte sie sich sogar mit einem Geschäftspartner getroffen, der sich als groß, breitschultrig und im besten Alter bezeichnet hatte. Von Beruf wäre er Jurist, hatte er Susanne erzählt. Katinka war sicher gewesen, daß diese Begegnung ihre Freundin geheilt hätte. Er entpuppte sich nämlich als ziemlich verschrumpelt, war eher klein und arbeitete in einer Anwaltskanzlei als Bote. Na ja… Männer neigten bekanntermaßen ein wenig zur Selbst­überschätzung.

Doch Susanne saß bereits vor ihrem Computer, verkabelte ihn mit dem Telefon und drückte wild irgendwelche Knöpfe. Katinka trank einen Schluck Wein und harrte der Dinge, die nun kommen sollten.

»Wir gehen ins Gesundheitsforum. Oder zu den Grufties?«

»Lieber zu den Grufties. Ab dreißig gehört man heute doch schon dazu.«

»Dein Selbstbewußtsein ist phänomenal.«

»Ich bin nur ehrlich.«

»Das mußt du hier nicht sein. Du kannst behaupten, du siehst aus wie Madonna.«

»Wo liegt dann der Sinn? Ich dachte, man will sich kennenlernen und miteinander reden?«

»Warte ab. Du wirst gleich sehen. Es sind immer eine Menge Typen dabei, die nur ›Blablabla‹ reden.«

»Und dafür gibst du Geld aus, um dir das anzuhören? Dann schalt doch eine politische Diskussion im Fernsehen an! Da siehst du die Leute wenigstens.«

»Aber ich kann mich nicht einmischen«, triumphierte Susanne, und dagegen konnte Katinka nichts sagen.

»Warte mal, hier…, ich schau mir mal eben das Profil an…«

Wieder führte sie die Computer-Maus herum und drückte mehrmals. Katinka schaute ihr inzwischen neugierig über die Schulter.

»Klingt nicht schlecht. Sogar sein Alter gibt er an. 32, Beruf selbständig, Hobbys Lesen und Sport und weitere. Männlich, unverheiratet.«

»Das glaubst du? Du hast doch selbst gesagt, daß man dort alles eintragen kann. Vielleicht ist er Klomann und achtundsechzig.«

Susanne drehte sich kurz um und sah Katinka streng an.

»Hast du etwa Vorurteile?«

»Nein, natürlich nicht. Aber ob ich ein Rendezvous mit ihm haben will, ist eine andere Frage.«

»Aha, erwischt! Wer redet denn von Rendezvous? Ich wollte nur, daß wir ein bißchen talken.«

Katinka wurde rot. Wie kam sie nur darauf, daß sie zwangsläufig ein Rendezvous haben würde, wenn sie Susannes Spiel mitmachte? Hatte sie etwa doch Bedarf? Am Freitag, im Theater und beim anschließenden Glas Wein, hatte sie sich doch bestens mit Markus verstanden. Sollte das nicht genügen?

»Was geht in deinem Kopf vor?«

Katinka setzte ein Pokergesicht auf, aber Susanne kannte sie zu gut.

»Mich täuschst du nicht. Dieser Markus ist nichts für dich. Soll er erst mal geschieden sein! Vielleicht erzählt er dir nur, daß seine Frau und er getrennt sind, und in Wirklichkeit stimmt das gar nicht…«

»Susanne, jetzt hör aber auf!«

»Schon gut. Also, schicke diesem Unbekannten jetzt ein Telegramm von uns. Mal sehen, ob er mit uns redet.«

»Ein Telegramm? Aber du hast doch keine Anschrift.«

Susanne lachte, tippte hier und dort, und schon hatte sie ein Telegramm-Formular auf dem Bildschirm ihres Computers.

»Er hat den Code-Namen Danvo. Mal sehen, ob wir herausfinden, wer sich dahinter verbirgt.«

Katinka war jetzt gegen ihren Willen doch fasziniert. Schon hatte Susanne das Telegramm durch einen Maus-Klick abgeschickt. Den Text hatte Katinka gar nicht so schnell lesen können.

Es dauerte einen Moment, dann kam ein Telegramm zurück. Von Danvo.

»Hallo, Susa. Rede gern mit euch. Worüber?«

Susanne drehte sich mit breitem Lächeln um.

»Siehst du? Jetzt kannst du ihn alles mögliche fragen.«

»Aber ich will doch gar nicht…«

»Nun sei nicht so schüchtern. Was wollen wir wissen?«

»Frag ihn doch nach seinen weiteren Hobbys.«

»Das ist doch langweilig. Ich werde erst mal fragen, was er online macht. Ob er es beruflich braucht.«

Schon drückte sie wieder blitzschnell auf die Tastatur. Die Antwort kam umgehend.

»Ja, brauche ich beruflich. Aber es macht auch Spaß, mit euch zu sprechen. Was macht ihr denn so?«

»Nun sag doch auch mal etwas.«

Katinka fiel partout nichts ein. Dabei war sie sonst wirklich nicht auf den Mund gefallen.

Susanne begann eine Antwort zu tippen. Sie outete sich, indem sie erzählte, daß sie Maklerin sei und ihre Freundin das erste Mal vor so einem Talk säße und wie paralysiert auf den Bildschirm starrte. Bevor Katinka verhindern konnte, daß sie dieses verräterische Telegramm abschickte, war es schon geschehen.

»Also, wirklich, Susanne. Er wird mich für einfältig halten!«

»Das kann dir doch egal sein. Du willst ihn ja sowieso nicht kennenlernen«, neckte Susanne sie, während sie gespannt auf die Antwort wartete.

Es ging noch eine Weile so hin und her, dann verabschiedete sich Danvo, weil er wieder an die Arbeit müsse. Er teilte Susanne noch mit, daß er sie in seine »Buddy-Liste« aufgenommen habe und sich wieder melden würde.

Susanne schaltete den Computer hochzufrieden ab.

»Was ist das? Eine Buddy-Liste?«

»Da trägt man die Gesprächspartner ein, die man wieder treffen möchte. Das habe ich auch eben gemacht. Wenn ich jetzt wieder online gehe, kann ich sofort sehen, ob ›Danvo‹ auch im Netz ist und auch wo und ihn anklicken.«

»Das ist irgendwie doch faszinierend«, mußte Katinka zugeben.

»Sag ich doch. Natürlich macht es manche Menschen noch einsamer, weil sie nur vor dem Computer sitzen, statt hinauszugehen. Aber stell dir mal vor, was das für solche Menschen bedeuten kann, die keine Ansprechpartner haben oder krank sind und sowieso immer zu Hause sitzen. Oder für alte Menschen.«

»Aber die kommen doch mit der Technik gar nicht zurecht, oder?«

»Warum nicht? Sie sind ja nicht zwangsläufig geistig träge. Außerdem werden diese Dinger immer leichter zu handhaben.«

»Da ist etwas dran…, aber trotzdem, ich möchte so etwas lieber nicht haben.«

»Man muß schon aufpassen, daß man das nicht zu oft macht. Aber jetzt unterhalte ich mich lieber wieder mit dir. Obwohl… dieser Danvo interessiert mich schon irgendwie. Er hat wenigstens richtige Antworten gegeben und nicht irgendeinen Quatsch geschrieben…«

»Dann weiß ich ja, was du die nächsten Abende unternimmst«, antwortete Katinka lachend.

Aber sie konnte nicht verhindern, daß sie Susanne auch ein bißchen beneidete.

*

Seit Susanne angedeutet hatte, daß Martin vielleicht doch nicht ganz ehrlich zu ihr war, was seine gescheiterte Ehe betraf, ließ sie dieser Gedanke nicht mehr los. Gleichzeitig ärgerte sie sich dar­über, denn was spielte es für eine Rolle? Sie wollte ihn doch sowieso nicht heiraten, sondern nur ein bißchen Abwechslung haben. Bisher konnte man ihr Verhältnis als Freundschaft bezeichnen, denn sie hatte seinem sanften Drängen nicht nachgegeben. Auf die Dauer würde er das aber sicher nicht mitmachen.

Tagsüber ärgerte Katinka sich weiter über Birgit Mühlgraf, die sich ständig neue kleine Bosheiten ausdachte. Was ihr daran soviel Spaß machte, war Katinka ein Rätsel. Sie nahm sich fest vor, sich nicht provozieren zu lassen. Das kostete sie allerdings eine Menge Kraft. Katinka hätte von Markus ein wenig mehr Rückenstärkung erwartet, denn es konnte ihm einfach nicht verborgen bleiben, daß die Atmosphäre im Büro ziemlich geladen war. War er vielleicht feige? Oder hatte Birgit Mühlgraf noch mehr Einfluß auf den Chef, als Katinka wußte? Hatte man ihr diese Frau vielleicht absichtlich ins Zimmer gesetzt, weil sie oft so unbequem war und sich für die Kunden und gegen die Versicherung entschied?

Ein Gedanke, der ihr Unbehagen bereitete. Trotzdem verkniff sich Katinka, es Markus gegen­über offen auszusprechen. Wenn es so wäre, und er wüßte es? Das wollte sie lieber nicht so genau erfahren.

Ihr Vater bemerkte zuerst, daß Katinka nicht mehr ganz so fröhlich war, wenn sie am Abend nach Hause kam. Sein Einfühlungsvermögen war wirklich beachtlich. Ein paar Tage wich sie seinen Fragen noch aus, aber dann ging es nicht mehr. An diesem Nachmittag hatte Birgit Mühlgraf einen »Fehler« Katinkas »aufgedeckt«, den diese unmöglich gemacht haben konnte. Sie kannte den Vorgang des Kunden nicht einmal. Markus war ziemlich sauer gewesen.

»Aber Sie müssen doch sehen, daß hier Ihr Zeichen steht, Frau Berger!«

Vor anderen gab er sich förmlich, was Katinka auch ganz recht war. Er hielt ihr die Akte unter die Nase.

Natürlich, ihr Zeichen stand auf dem Aktenordner. Aber sie war ganz sicher, daß sie es nicht daraufgeschrieben hatte.

»Das sehe ich. Aber ich habe die Akte nicht abgezeichnet. Der Vorgang ist auch ganz sicher nicht in meinem Computer.«

»Wirklich nicht?« fragte er.

»Nein, natürlich nicht. Wie sollte er? Ich habe das nicht bearbeitet.«

Ihr kam in diesem Moment der ungeheuerliche Verdacht, daß Birgit Mühlgraf, die so tat, als schriebe sie eifrig, etwas damit zu tun haben könnte. War das vorstellbar?

»Ich darf doch?«

Schon beugte er sich über die Tastatur ihres Computers und fragte sie nach ihrem Code-Wort, um es einzugeben. Katinka kochte vor Wut. Sie schob seine Hand beiseite und gab es selbst ein, um es nicht laut nennen zu müssen. Aber wenn ihre Kollegin irgend etwas mit dieser Sache zu tun hatte, wüßte sie es sowieso.

Mami Classic 42 – Familienroman

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