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Neuland

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Alles war so anders und neu geworden, die Menschen im Land rieben sich verwundert und teilweise auch verwundet die Augen, denn es hatte eine Revolution stattgefunden, die sie selbst in die Wege geleitet hatten. Na gut, man sollte vielleicht hinzufügen, daß es eigentlich nur eine laute Minderheit gewesen war, welche für den Umsturz verantwortlich zeichnete, aber was spielte das im Grunde genommen schon für eine Rolle? Doch um verstehen zu können, was da eigentlich geschehen war, sollte man ein Stück zurückblenden. Der Aufstieg der Partei Die Grünen hatte sich über Jahre fortgesetzt, vorläufiger Höhepunkt waren die Landtagswahlen in Baden-Württemberg gewesen, bei denen die Grünen die SPD überholt hatten und fortan mit jener zusammen regierten, nachdem dort über 50 Jahre lang die CDU, meistens allein, manchmal mit der FDP, an der Macht gewesen war. Warnfried Quetschmann war dann wenige Wochen nach der Wahl zum allerersten Grünen Ministerpräsidenten gewählt worden und der Siegeszug der Ökologisten setzte sich fort. Bei der Bundestagswahl im September 2013 hatten die Grünen die SPD sogar im Bund überflügelt und das hatte dazu geführt, daß mit Oskar Sischer erstmals ein Grüner Bundeskanzler im Kanzleramt saß und von dort aus das Land regierte. Der Zauberer OS, wie er mittlerweile überall genannt wurde, hatte nicht lange gefackelt, sondern die neuen Möglichkeiten dazu genutzt, den Konservativen, insbesondere den konventionellen Landwirten, den Kampf anzusagen und das hatte dazu geführt, daß es überall eigentlich nur noch Bioessen zu kaufen gab. Allen schien es besser zu gehen, selbst den Schlechterverdienenden, denn OS kümmerte sich um jede Kleinigkeit und ließ sich nichts sagen, mit anderen Worten, er war ein Diktator und das war aus seiner Sicht auch gut und notwendig so, denn in seinen sieben Jahren als deutscher Außenminister hatte er gelernt gehabt, daß das ganze Verhandeln und Diskutieren im Endeffekt nichts brachte. Man brauchte einen Mann, der sagte wo es langgeht und der war nun er. Die Deutschen hatten sich recht schnell an ihren neuen Führer gewöhnt, denn nach acht Jahren Serkel hatten die meisten Leute die Schnauze voll gehabt von der Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen und vom Schlingerkurs einer Frau, die scheinbar überhaupt nicht wußte, was sie eigentlich wollte. Die Grünen im Land frohlockten, endlich konnten sie ihre Träume und Visionen umsetzen, sie waren am Ziel angekommen, doch wenn man sich vor Augen führte, daß genau betrachtet nur jeder sechste Wahlberechtigte die Partei gewählt hatte, dann kam man schon ins Grübeln, denn das bedeutete im Umkehrschluß, daß 83 Prozent der Wähler von 17 Prozent der Grünenwähler und deren Vertretern regiert wurden. Gut, man konnte nun einwerfen, daß die Grünen ja immerhin von 25 Prozent der zur Wahl Gegangenen gewählt worden waren, doch da lediglich 70 Prozent der Wahlberechtigten an der Bundestagswahl teilgenommen hatten, relativierte sich das Ganze umgehend. Auch die Tatsache, daß die SPD mitregierte und es sich deswegen angeblich eben nicht um eine Diktatur handelte, fiel nicht wirklich ins Gewicht, denn OS bestimmte die Leitlinien und erwies sich als ungeheuer beratungsresistent. In Bremen hatte es für Rot-Grün zu einer Zweidrittelmehrheit gereicht und die hatte dafür gesorgt, daß die Grünen auf den Geschmack gekommen waren, was dazu geführt hatte, daß sie alles durchsetzten, was sie für richtig hielten und die SPD verkam zu einem Steigbügelhalter, einem Lakaien, den niemand mehr ernst nehmen konnte und wollte. Das waren also die Ausgangs- und Rahmenbedingungen der schönen neuen Welt, nur damit Du verstehen kannst, worum es eigentlich geht und wieso alles so geworden war, wie wir es uns nun genauer anschauen.

Der Mann, der da im Gefängnis saß, war ziemlich prominent, auch wenn die meisten Deutschen längst nichts mehr von ihm wissen wollten. Nein, es handelte sich dabei nicht um Jürgen Hechelmann, der ein zweites Mal verhaftet worden war, sondern um Dr. Ingo Testerzelle, den unbeliebtesten Außenminister, den die Bundesrepublik jemals gehabt hatte. Im Knast war er gelandet, weil er den großen Führer OS viele Male kritisiert, beleidigt sowie verhöhnt hatte und da der Diktator über das Gedächtnis eines Elefanten verfügte, ähnlich wie sein großes Vorbild, der Dicke aus Oggersheim, die Birne, Dr. Schwermut Wohl, hatte man den ehemaligen FDP-Parteivorsitzenden in den Knast gesteckt, wo es jener nicht leicht hatte, denn die Homosexuellen waren dort zwar nicht ganz so verhaßt wie die Kinderschänder, aber auch nicht wirklich wesentlich beliebter. "Das werde ich Oski nie verzeihen", ließ Ingo verlauten. "Wer ist Oski?" erkundigte sich ein Mithäftling, ein warmer Bruder, welcher Testerzelle auch nicht sonderlich mochte, aber im Knast mußten die Schwulen zusammenhalten, sonst wäre es ihnen noch dreckiger gegangen. "Unser Führer. Es war im Sommer 1996. Wir trafen uns zufällig in der Nähe von Bonn und waren sofort ineinander verliebt. Was folgte, waren die schönsten drei Wochen meines Lebens." "Du willst jetzt aber damit nicht andeuten, daß Du etwas mit OS gehabt hast, oder?" "Aber selbstverständlich! Danach hat er mich einfach fallen lassen, ich war schwer enttäuscht und fühlte mich gedemütigt. Später tat er dann immer so, als könne er mich nicht leiden und ich attackierte ihn so heftig wie ich konnte, er aber ignorierte mich fortan nur noch." "Du meine Güte, wenn das rauskommt, dann ist es um den Führer geschehen." "Meinst Du? Das würde erklären, warum ich hier nicht rauskomme. Aber wir leben doch im 3.Jahrtausend: Es gibt schwule Oberbürgermeister, schwule Fußballspieler und schwule Mädchen." "Das tut nichts zur Sache, aber ein schwuler Führer, das geht ja nun mal gar nicht!" "Das sagst Du als Homo?" "Das sage ich als Homo und als Mensch. Jetzt weiß ich endlich, warum unser Diktator so oft geheiratet und andauernd die Frau gewechselt hat." "Ich war seine einzige wahre und große Liebe." "Das glaubst Du doch wohl selber nicht. Du warst billig und willig, der brauchte damals bestimmt einfach nur einen blöden Arsch, in den er seinen Schwanz reinstecken konnte." "Ich will so etwas nicht hören! Was bist Du nur für ein Unromatiker! Wir haben uns geliebt!" "Sonst noch Wünsche? Wieso holt er Dich dann nicht raus, der Führer? Du hast ihn damals bestimmt einfach nur verführt, obwohl ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen kann." Auf einmal kam einer der Gefängniswärter auf sie zu, schlug ihnen ins Gesicht und rief: "An die Zwangsarbeit, Ihr Drecksschwuchteln!" "Oh ja, noch mal! Schlag mich fester!" verlangte Ingo. "Das würde Dir so passen, Du Schwesterzelle mit Deinem zu Unrecht erworbenen Doktortitel." "Ich habe nicht plagiiert." "Das sagen sie alle, aber nur solange, bis sie erwischt werden. Ihr in der FDP seid doch die Allerschlimmsten. Alles nur geklaut. Und jetzt an die Arbeit!" Danach mußten sie mit in die Fabrik, wo sie Kondome zu kontrollieren hatten, damit die nicht mit Qualitätsmängeln in die Geschäfte geliefert wurden. "Ich hasse diese Bio-Präservative", gestand Ingo. "Ich auch. Die sind ökologisch abbaubar und man kann sie mehrmals benutzen. Wie widerlich", stimmte ihm sein schwuler Leidensgenosse zu. Auf einmal kam der Gefängnisdirektor in den Raum und wurde natürlich sofort vom Gefängniswärter begrüßt: "Petri Heil, aber Sischer, Herr Direktor!" tönte jener. "Petri Heil aber Sischer. Na, wie macht sich denn unser ehemaliger Kanzlerkandidat?" wollte jener wissen. "Der ist ein fauler Hund, aber dem werde ich schon noch Beine machen." "Das will ich hoffen. Und wenn er frech wird, dann sollen ihn sich einfach mal die Schlesischen Jungs vorknöpfen." Testerzelle schluckte.

"Oh großer Führer, es gibt vorzügliche Nachrichten!" flötete einer der Diener von OS entzückt. Jener saß gemütlich auf seinem Thron und schaute sich im Sportfernsehen einen Marathonlauf an. Früher war er bei so etwas oft selber mitgelaufen, aber die Zeiten waren natürlich vorbei, denn welcher Diktator konnte sich schon solche Exzentrizitäten leisten? "Ich höre", bemerkte er mit der gespannten Erwartung eines Zweijährigen. "Die Solar- und Windkraftfirmen haben ihren Umsatz verdoppelt und den Gewinn verdreifacht." "Das freut mich für die, aber was bringt mir das?" "Aber großer Führer, Ihnen gehören doch die ganzen Firmen." "Ach ja, stimmt, ich hatte ja schon wieder ganz vergessen, daß ich den Öko-Kapitalismus eingeführt habe, mit mir als Manipulator und Monopolisten. Was für eine Karriere! Vom linksradikalen, staatsfeindlichen Steinewerfer zum größenwahnsinnigsten Diktator seit Adolf Hitler. Nicht schlecht für einen Taxifahrer, oder?" "In der Tat. Was sollen wir jetzt eigentlich mit dem Kerl machen, der Sie vor einem Monat mit einem Stein beworfen hat?" "Ans Kreuz mit ihm!" "Aber, mein Führer, bei uns Ökofaschisten gibt es doch keine Todesstrafe, wir sind doch keine Nazis." "Das weiß ich selbst, dann hätte ich ja auch gesagt: Ans Hakenkreuz mit ihm. Keine Todesstrafe, so ein Mist. Ja soll ich etwa darauf warten, daß meine Gegner alle verfaulen und vermodern, damit ich sie dann kompostieren kann? 20 Jahre Knast für den Spinner!" "Aber lieber OS, der Mann ist doch geistig verwirrt und außerdem war das ja nur ein kleiner Stein, den er auf Sie geworfen hat." "Ja, aber doch nur, weil er so ein Schwächling ist. Nein, man darf keine Gnade kennen mit diesen Terroristen, man muß da einen Präzedenzfall kreieren, sonst tanzen einem diese Untertanen irgendwann alle auf der Nase herum. Und jetzt möchte ich etwas essen." "Sofort, mein Führer." Eine Minute später kehrte der Diener zurück und servierte dem großen Sischerman seine Mahlzeit. "Was ist denn das heute wieder für ein schrecklicher Fraß?" empörte sich jener. "Alles Bio, mein Führer, alles aus ökologischer Landwirtschaft." "Pfui Teufel! Vielleicht hätte ich doch nicht alle anderen Nahrungsmittel, die nicht Bio sind, verbieten sollen", kam OS in den Sinn. Mißmutig kaute er weiter, aber das Essen wurde einfach nicht besser.

Auch diejenigen, welche die Weisheit mit Löffeln gefressen hatten, konnten daran ersticken, denn die Gier der Nimmersatten machte sie skrupellos und nicht umsonst steckte im Wort Ehrgeiz der überall bekannte und aggressiv beworbene Geiz, der angeblich so geil war, daß man ihn auf einem Altar anzubeten hatte. Wie auch immer, die Innenstädte der Citys wurden sich immer ähnlicher, überall Einkaufszentren, Konsumtempel und darin die obligatorischen Modegeschäfte, weshalb man sich irgendwann völlig verwundert fragte, wer die ganzen Klamotten denn eigentlich kaufen, geschweige denn tragen sollte, die da in rauhen Mengen angeboten wurden. Der Konsumismus zeigte sich von seiner verführerischsten Seite, überall Schnäppchen und für die Alkoholiker immer wieder mal ein Schnäpschen, damit die auch zufrieden waren und nicht auf die völlig absurde Idee kamen, zu rebellieren. Es ging bergab und alle wußten es, das riesige Schiff steuerte auf den Eisberg zu, doch die Stimmung war ausgezeichnet, denn die Finanz- und Wirtschaftskrise waren vorbei. Nicht Viele erkannten, daß man sich im Auge eines Taifuns befand, der alles durcheinander wirbeln und zerstören konnte. Alle dachten nur an sich, denn damit war an alle gedacht und wer einwarf, daß es schon zu allen Zeiten so gewesen wäre, dem mußte natürlich Recht gegeben werden, doch genauso wie die Dummheit der Menschheit immer mehr zugenommen hatte, so zeigte sich auch, daß die fetten Jahre endgültig vorbei waren und das konnten und wollten die Fetten verständlicherweise nicht begreifen.

"Du kannst Dich nicht dagegen wehren. Es gibt kein richtiges Leben im falschen", behauptete Vivian, doch Jean erwiderte: "Es gibt immer einen anderen Weg. Wir haben die Wahl, wofür wir uns entscheiden. Die Wahrscheinlichkeit, daß wir jemals in einer Welt leben, die so ist, wie wir sie uns selbst vorstellen, ist dermaßen verschwindend gering, daß wir erst gar nicht darauf zu hoffen oder zu warten brauchen. Es gilt, aus dem eigenen Leben das Beste zu machen und genau das habe ich vor." "Indem Du Scheiben zersplitterst?" "Das ist erst der Anfang und nichts weiter als ein Zeichen des Widerstandes. Wir werden nicht eher ruhen, bis wir wahrgenommen werden und man sich mit uns und unseren Ideen auseinandersetzt." "Welche Ideen denn? Ihr wollt doch eh nur zerstören und plündern, Euch geht es auch nur um die eigenen Interessen, die restliche Menschheit interessiert Euch einen Scheißdreck!" "Das ist nicht wahr! Wir sind auf dem besten Weg, ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln, das nicht nur so besserwisserische Kritiker wie Dich mundtot machen wird." "Genau das ist der springende Punkt: Ihr wollt nicht diskutieren, sondern nur manipulieren. Euch geht es genauso um die Macht wie allen Anderen auch. Ihr seid keinen Deut besser als diese Biofaschisten, die gerade an der Macht sind." Das saß. Jean schluckte und überlegte, aber ihm fiel kein passender Konter ein, weshalb er lieber in einem der Bücher weiterlas, die der Bio-Staat verboten hatte, da sie seiner Ideologie widersprachen; wenigstens hatte man sie aus ökologischen Gründen nicht verbrannt, sondern lediglich zensiert oder aus den Buchregalen entfernt.

Alles war Bio. Nicht nur die Ökowindel, auch der Bio-Staubsauger und der Öko-Luftentfeuchter, von den Energiesparlampen ganz zu schweigen, die oft so schwach brannten, daß man sein Gegenüber kaum erkennen konnte, doch das war ja vielleicht auch der Sinn der Sache. Die Grünen hatten gesiegt, so viel stand ohne Frage fest und sie begannen damit, die Geschichte zu ihren Gunsten umzuschreiben, was sich in den Schulbüchern, welche den Kindern zugemutet wurden, folgendermaßen las: "1980 wurde die großartigste Partei gegründet, die es auf dem Grünen Planeten je gegeben hat. Die Grünen erblickten das Licht der Welt und genauso wie Jesus Christus wurden sie nach 33 Jahren unsterblich, als sie zum ersten Mal in ihrer glorreichen Geschichte den Bundeskanzler stellten. Viele Jahre hatten sie in der Opposition verbringen müssen, waren ausgegrenzt, verspottet, beschimpft und verhöhnt worden; selbst als sie von 1998 bis 2005 mit an der Regierung waren, wurden sie von den viel stärkeren Sozialdemokraten gedemütigt und getriezt, doch das hat nun ein Ende, denn nicht nur im Film gewinnen am Ende immer die Guten, sondern auch in der Politik." Ja, man konnte sich also ungefähr vorstellen, was da im Land alles geboten war und so verwunderte es nicht, daß viele Deutsche ihrer Republik bereits den Rücken gekehrt hatten. Auswanderersendungen waren im Fernsehen schon länger beliebt gewesen, doch seit die Ökofaschisten an der Macht waren, hatte sich die Zahl der Ausreisewilligen vervielfacht und dabei handelte es sich keineswegs nur um Konservative, Rechtsradikale und Spießer. Ganz im Gegenteil, die Spießer zum Beispiel fühlten sich in der schönen neuen Welt der Grünen ziemlich wohl, denn die neuen Herrscher waren nicht wirklich radikal, sondern genossen ihr dolce Vita in vollen Zügen. Geld, Macht und Ruhm hatten auch die Grünen Machthaber korrumpiert und so ging das altbekannte Spiel weiter wie bisher, es war so typisch und vorhersehbar, daß man sich darob fast schon langweilte.

Enrico Sukto war einer von Milliarden und damit hatte er sich Zeit seines Lebens mehr schlecht als recht abgefunden. Er wäre gerne mehr gewesen, irgendwie wichtig, bekannt, berühmt oder wenigstens angesehen. Klar, hin und wieder schaute ihn schon jemand an, die oder der ihm auf der Straße begegnete, aber letzten Endes hatte niemand wirklich ein Interesse an ihm. Aufmerksamkeit bekommen war ein Ziel, das viele Menschen erreichen wollten und Enrico versuchte es, indem er auf offener Straße, mitten in der Fußgängerzone, eine leere Trinkflasche auf den Boden warf. Sofort waren die Ökopolizisten, ausgewiesene Biospezialisten, zur Stelle und nahmen ihn fest. "Ihr seid die wahren Schweine! Ihr verpestet unsere Umwelt doch dauernd mit Euren hirnrissigen Verordnungen und Paragraphen!" brüllte Sukto, bevor sie ihn weg sperrten. Auf der Polizeiwache nahm ihn ein nachdenklicher Kommissar in Empfang und meinte entnervt: "Der schon wieder! Irgendwie scheint das mit der Umerziehung nicht richtig zu funktionieren." "Euch müßte man umerziehen, Euch schwanzlutschende Drecksäcke!" erwiderte Enrico und Sekunden später quoll Blut aus seiner Nase. Klar, da kämen jetzt wieder die ganz zart Besaiteten daher und würden sich über die sinnlose Gewalt beschweren, die da eben beschrieben wurde, aber so sah die Realität halt mal aus und wer sich über die brutale Willkür der Ordnungshüter echauffiert, sollte auch mal einen Zahn ablegen, denn hätte Sukto den Kommissar nicht beleidigt und damit heftig provoziert, dann würde er nun keinen biologisch abbaubaren Tampon in der Nase tragen. Es war eben alles Interaktion im Leben und das sollten endlich auch die begreifen, die sich nur zu gerne als Opfer hin- und darstellen, die Unschuldslämmer in Person kommen da auf uns zugestürzt, doch bei genauerem Hinschauen erkennt man, daß auch viele Opfer Täter sind, von daher sollte man Vorverurteilungen vermeiden und den ganzen Sachverhalt so differenziert wie möglich betrachten. Was für ein Geschwafel! Im Verhörzimmer ging es mal wieder drunter und drüber, überall biologisch abbaubare Blätter, auf denen die Geständnisse der Schuldigen standen, welche sich mit den Jahren in Luft auflösten, also die Geständnisse, nicht die Schuldigen, zumindest war das in den meisten Fällen so. "Was soll denn nur aus Ihnen werden?" fragte Kommissar Bärlauch kopfschüttelnd. "Ich bin doch schon jemand, also muß ich auch nicht erst noch jemand werden", entgegnete Enrico. "Das sehen wir hier anders. Ich glaube, in Ihrem Fall habe ich jämmerlich versagt, deshalb sollte ich Sie wohl lieber meinem Kollegen, Kommissar Rosenkohl, überlassen." "Wieso habt Ihr alle so komische Namen? Rosenkohl klingt mir verdächtig jüdisch." "Quatsch mit Knoblauchsauce! Seit der biologischen Revolution mußten wir uns als Staatsdiener alle umbenennen und deshalb heißt inzwischen jede und jeder von uns wie ein Gemüse." Daraufhin verließ Bärlauch das Zimmer und wenige Sekunden später betrat Rosenkohl die Bildfläche. "Dafür, daß Sie angeblich kein Jude sein sollen, haben Sie aber einen ganz schönen Zinken", fand Sukto. "Schön, daß Ihnen meine Nase gefällt. Guter Mann, was haben Sie eigentlich für ein Problem? Seit Monaten gehen Sie uns mit Ihren sinn- und hirnlosen Aktionen auf die Nerven. Was bezwecken Sie damit?" "Ich will wahrgenommen werden." "Ich glaube, mit Ihnen hat schon im Kindergarten niemand spielen wollen." "Nein, das ist nicht wahr, denn der Praktikant mußte immer mit mir spielen." "Wir sind hier bei der ökologischen Biopolizei, verdammt! Wir können dabei zusehen, wie Ihre Gedanken in Ihrem Hirn verschimmeln." "Das freut mich ja außerordentlich für Sie, aber was soll ich mit so einer Information anfangen?" Rosenkohl spürte, daß Enrico eine harte Nuß war, deshalb machte er sich erst einmal einen schwarzen Tee, um auf Touren zu kommen.

War das die Welt, von der all die Realos und Fundis einst geträumt hatten, als sie sich auf den Weg machten, ein System zu unterwandern oder von innen zu zerstören, das sie zutiefst verachteten? Nun ja, wäre es so gewesen, dann hätte man das Triumphgeheul der Wölfe vernehmen können, doch die Realität sprach eine viel extremere Sprache. Wieder einmal nämlich hatte das System gewonnen, wie schon so oft in den vorangegangenen Jahrzehnten und auch die vermeintlichen Gutmenschen waren dem Geld, der Macht und der eigenen Wichtigkeit erlegen. Ja, sie hatten es ganz nach oben geschafft, die ehemaligen Steinewerfer und früheren Kommunisten, nun saßen sie da im feinen Zwirn und ließen sich die Blaue Tonne auf den Bauch scheinen. Umweltschutz war im Grunde eine sinnvolle und feine Sache, aber zum Dogma mutiert erwies er sich als bürokratische Schikane, mit der man ein ganzes Volk mundtot machen konnte. Wer war schuld an der Misere? Der Supergau von Fukushima? Nicht nur, sondern auch. Nach dem Machtverlust 2005 hatten sich die Grünen in der Opposition regenerieren können und da sie viele Jahre lang nichts mehr zu sagen gehabt hatten, konnten sie auch nichts falsch machen, was dazu geführt hatte, daß sie in den Umfragen wie Pilze nach einem Regenschauer nach oben schossen. Nun saß der Obermufti namens OS auf dem Thron und er erwies sich als das Arschloch, als das man ihn bereits in früheren Jahren kennengelernt hatte. "Diese Pilzsuppe schmeckt wie frisch Erbrochenes", beschwerte er sich bei seinem Diener. "Donnerwetter, was Sie schon alles gegessen haben!" entfuhr es jenem. "Schnauze! Wenn mir so ein Fraß noch einmal an den Gaumen kommt, dann überfallen wir Österreich!" "Nein, bitte bloß nicht, gegen die haben wir uns schon in der EM-Qualifikation so schwer getan." "Also gut, dann müssen wir halt Nerdi Hogts tätlich angreifen." "Tätlich oder täglich?" "Beides." "Wie es Ihnen beliebt, gnädiger Führer." "Ich bin ungnädig und das weißt Du auch." So kam es, daß der ehemalige deutsche Fußballnationaltrainer Franz Schubert Hogts als Hofnarr verpflichtet wurde, was sich relativ schwierig gestaltete, da er leider kein bißchen komisch war. "Gut, wenn das so ist, dann muß das halt der Oli Schein machen, der hat immerhin den Leckendauer mal einen Suppenkasper genannt, das fand ich damals ziemlich komisch", erinnerte sich OS. Doch als der Schein ins Rollen kam und Oli den falschen davon auf Sischermans Friend warf, da paßte es dem Diktator auch wieder nicht, denn wenn schon schlechte Witze, dann bitte wenigstens auf Kosten Anderer, so war es schon immer Brauch gewesen.

Die Kinder liefen in ihren Grünhemden herum und fühlten sich darin richtig wohl, denn Uniformen hatten schon immer einen bleibenden Eindruck auf viele Menschen hinterlassen; sowohl auf die Leute, die sie trugen als auch auf diejenigen, welche Andere in einer Uniform herumlaufen sahen. An der Uni gab es Studiengänge wie Ökologie, Biolebensart, Umweltschutz und so weiter, alles war reglementiert und wer die Natur nicht ausreichend würdigte oder gar verschmutzte, landete im Ökoknast, wo man umerzogen wurde. Ja, Grün war mal die Farbe der Hoffnung gewesen, so wie Giftgrün als Farbe der Verzweiflung gegolten hatte, aber die Zeiten hatten sich geändert und das bedeutete, daß der Traum vom Grünen Paradies auf Erden längst ausgeträumt war. Aber davon ließen sich die Kleinen nicht beeindrucken. Sie liebten ihre Grüne Deutsche Jugend, in der sie Waldwanderungen veranstalteten, Kröten über die Straße trugen und Solaranlagen bewachten; auch die Fackelmärsche erfreuten sich allergrößter Beliebtheit. In was für einer Welt würden die Kinder also leben? In einer, in der die Umweltpolizei das Sagen hatte und die jagte gnadenlos alle Umweltsünder, die ihr in die Quere kamen. Wehret den Anfängen, hatte es mal geheißen, doch dazu war es schon längst zu spät.

Wieder zurück in den Palast der Paläste, in dem ein sichtlich mürrischer Oskar Sischer einige unangenehme Fragen zu beantworten hatte, welche ihm der Gefängnisdirektor stellte, in dessen Knast der ehemalige FDP-Vorsitzende und deutsche Außenminister Testerzelle einsaß. "Der Ingo behauptet steif und fest, daß er mit Ihnen, oh großer Verführer, eine Affäre gehabt hat. Stimmt das?" forschte der Gefädi. "Ach, das ist doch alles Kokolores! Daß er einen Steifen hat, wenn er so etwas postuliert, das glaube ich sofort, aber wie immer produziert der Ingo viel heiße Luft. Es war 1996, ich hatte mal wieder eine meiner Lebenskrisen hinter mir, leider weiß ich gerade nicht, ob ich damals fett oder dürr war, jedenfalls lebte ich in dem irrigen Glauben, alle Menschen wären eins und so kam es zu jenem Missverständnis", berichtete Sischer. "Also stimmt es doch." "Nicht wirklich. Ich habe rein gar nichts dabei empfunden, es waren nur die Triebe vor dem ersten Fick, der Typ war halt jung und ich wollte die FDP schon immer mal in den Arsch ficken. Außerdem hat ihn der Spröder auch hart rangenommen." "Was! Altkanzler Spröder ist auch schwul!" "Natürlich nicht! Das war von dem nur ein One Night Ständer mit dem Testerzelle, der wollte einfach mal wissen wie das ist und herausfinden, ob der Testerzelle wirklich so ein großes Arschloch ist und hat, wie überall behauptet wurde." "Du meine Güte! Da tun sich ja Abgründe auf, mein Führer." "Papperlapapp! Alles ewig her und längst vergessen." "Anscheinend nicht, sonst würde der Homo nicht die ganze Zeit im Knast darüber reden." "Ach, der erinnert sich halt nur an seine schönsten Jahre und verklärt dabei seine traurige Vergangenheit." "Nichtsdestotrotz schädigt er damit Ihren Ruf." "In der Tat, da ist wirklich etwas dran. Was würden Sie an meiner Stelle tun?" "Aber großer Diktator, was für eine Frage! Ich bin doch nur ein einfacher Gefängnisdirektor, nie im Leben könnte ich einem Großmeister wie Ihnen einen Ratschlag erteilen." "Den hätte ich jetzt aber dringend nötig, oder soll ich erst noch ein Rad schlagen?" Für ein paar Sekunden war es still, danach erklärte der Gefädi: "Großer OS, ich schlage vor, daß wir dem Testerzelle das dreckige Maul stopfen." "Gute Idee. Aber wie?" "Wir verlegen ihn in den Frauenknast." "Ausgezeichnet!"

Enrico war in einer scheinbar obskuren Veranstaltung gelandet, denn das neue Regime pflegte seine Gegner nicht einfach nur einzusperren und umzuerziehen, sondern vielmehr umzuprogrammieren und völlig andere Menschen aus ihnen zu machen. Das geschah zum Beispiel mit der Hilfe von Grünen Gurus wie Thilo Hohn-Bandit, die Seminare abhielten, in denen die dazu Verdammten das Grüne Heil und die neue Ideologie näher kennenlernen durften, beziehungsweise mußten. Jede Ideologie nimmt nicht nur für sich in Anspruch, mehr als eine politische Weltanschauung zu vertreten, sondern fischt meist auch noch in religiösen Gewässern, um den darin vertretenen und herum schwimmenden Fischen das Wasser abzugraben. Und so verkündete der Grüne Thilo, den manche aus seiner Bewegung gar für einen Erleuchteten hielten, auch wenn man das, wenn man ihn einfach so traf, gar nicht bemerkte; was einerseits an der Ignoranz des Betrachters liegen konnte, andererseits vielleicht aber eben auch daran, daß Hohn-Bandit nur ein Schwafler war. Egal, das möge der geneigte Leser nunmehr für sich selbst entscheiden, denn er vernehme folgende Worte des großen Gurus, welche sich ungefähr 20 Strafgefangene, unter ihnen natürlich auch Enrico, anhören mußten: "Und jetzt hört ganz tief in Euch hinein! Fragt Eure Grüne Seele: Bist Du hier? Macht Euch keine Sorgen, wenn Ihr keine Antwort bekommt, denn die Grüne Seele antwortet mit Schweigen. Spürt Ihr Eure Grüne Seele? Wenn ja, dann zeigt mir bitte, wo sie sich befindet!" Ein paar der Zuhörenden deuteten auf einen Bereich oberhalb ihres Brustkorbs, Thilo lächelte zufrieden und nickte anerkennend. Enrico dagegen spürte überhaupt nichts, er glaubte nicht an die Existenz einer Seele und erst recht nicht an die einer Grünen. Er saß einfach nur da und starrte ins Leere. "Was ist mit Dir? Wo ist Deine Seele?" forschte Hohn-Bandit. Sukto starrte ihn hilflos an, stammelte irgend etwas Undefinierbares und deutete dann auf seinen Herzbereich. "Nein, in diesem Bereich befindet sich das Grüne Lebenschakra, aber keine Sorge, ich werde Dir schon noch zeigen, wo sich Deine Grüne Seele befindet", versprach der Grüne Thilo. Enrico zuckte zusammen. Handelte es sich dabei um eine Drohung oder um ein leeres Versprechen, er wußte nicht, was davon schlimmer gewesen wäre. Der Guru jedoch ließ sich nicht weiter beeindrucken und setzte danach seinen Vortrag ungerührt fort: "Ich werde Euch nun beibringen, wie Ihr Eure Emotionen auflösen könnt. Sehr viele von Euch sind verknöcherte Spießer, verbitterte Leute, die keinen Sinn für die schöne Grüne Welt besitzen, weil sie nur in der Vergangenheit leben und an den Dingen hängen, die nichts wert sind. Aber keine Sorge, ich werde Euch schon auf den linken Weg führen. Erst einmal müßt Ihr wissen, daß Ihr aus fünf verschiedenen Körpern besteht: Der erste Körper ist der Oralkörper, den benutzt Ihr, wenn Ihr eßt. Beim zweiten Körper handelt es sich um den Analkörper, den Ihr gebraucht, wenn Ihr scheißt. Der dritte Körper ist der genitale Körper, in den schlüpft Ihr, wenn Ihr Sex habt, natürlich nur mit Biokondomen und Öko-Reizwäsche. Den vierten Körper nennen wir den intellektuellen Körper, das ist der, in den Ihr viel zu selten schlüpft, denn wenn Ihr das tun würdet, dann hättet Ihr schon längst erkannt, daß the Green Heil das Tollste ist, was es überhaupt gibt. Der fünfte und letzte Körper ist der seelische Körper, der bei einigen von Euch, wie wir gerade gesehen haben, nicht sonderlich ausgeprägt zu sein scheint. Wir machen jetzt zehn Minuten Pause, denn mein oraler Körper verlangt nach Nahrung. Petri Heil, aber Sischer!" ließ der Grüne Bandit verlauten und die Strafgefangenen murmelten ein beinahe unhörbares Petri Heil aber Sischer zurück. "Das muß und wird auch noch besser werden", versicherte Thilo, bevor er mit erleuchteten Schritten den Raum verließ.

Es war schon des Öfteren vorgekommen, daß Angler, wenn sie den Führergruß aus alter Gewohnheit mit "Petri Dank" erwidert hatten, verhaftet worden waren, doch das nur so am Rande.

Der große Zauderer von OS dagegen ließ sich wieder einmal eine seiner unzähligen Gespielinnen bringen und nachdem er sich an jener verlustiert hatte, versuchte er sich noch in etwas Konversation, damit das bedauernswerte Geschöpf nicht glaubte, es wäre nur so eine Art Fickmatratze für ihn. "Wie heißt Du eigentlich?" "Ich bin Elena." "Ach, dann gehörst Du wahrscheinlich zu den unzähligen Prostituierten, die aufgrund meines damaligen Erlasses aus der Ukraine zu uns gekommen sind. Endlich mal werden die Folgen meiner damaligen segensreichen Politik auch im alltäglichen Leben sichtbar. Wie erfreulich! Nur blöd, daß ich mir Eure Namen so schwer merken kann, denn irgendwie seht Ihr alle gleich aus. Vielleicht solltet Ihr Euch Euren Namen auf die linke Arschbacke tätowieren lassen, dann wüßte ich wenigstens immer gleich, mit wem ich da herum vögle." "Was, großer Führer, Sie wollen Rum vögeln?" "Vielleicht später, jetzt noch nicht. Ich muß jetzt ein paar wichtige Gespräche führen, also verschwinde nun in meinen Harem!" befahl der Grüne Diktator und das Freudenmädchen machte sich vom Acker. "Ach ja, so ein Führerleben hat echt was für sich. Der Hitler wußte schon was gut ist", kam Fischer in den Sinn und dann traf er sich mit Üknast, Brittin, Coth sowie Dösemir zur Lagebesprechung. "Pöbele muß weg, der tanzt mir nach wie vor auf der Nase herum, obwohl wir ihn mehr als deutlich davor gewarnt haben. Das ist einfach ein Unverbesserlicher!" ereiferte sich der Führer. "Aber wir haben ihm viel zu verdanken. Er hat einst das erste Grüne Direktmandat errungen und ohne ihn wären wir deswegen 2002 sonst nicht an der Regierung geblieben", erinnerte Brittin. "Das ist doch Blödsinn! Der Pöbele war schon immer ein Querulant und Störenfried! Ohne mich wären wir 2002 nicht wieder an die Macht gekommen!" brüllte OS. "Das ist so leider nicht ganz richtig, oh großer Führer. Wenn wir Pöbele nicht gehabt hätten, dann wäre die Kandidatin von den Linken in den Bundestag gewählt worden, die Linke hätte dann drei Direktmandate gehabt, wäre mit Fraktionsstärke in den Reichstag eingezogen und wir wären in der Opposition gelandet", behauptete Üknast. "Ich dulde keine Opposition und keine Widerrede, denn ich bin Widder!" schrie der Diktator und alle verstummten. Er genoß die Stille, denn silence was golden. Was hatte er in früheren Jahren mit jenen Nasen herum debattieren und sich über sie schwarz ärgern müssen! Nun reichte ein lautes Gebrüll und alle hielten ihre blöde Klappe. So eine Diktatur war wirklich etwas Feines, jedenfalls wenn man selbst der Diktator war.

Aber wer nun geglaubt hätte, daß da einer ganz oben das Sagen hatte und die da unten notgedrungen nach dessen Pfeife tanzten, der täuschte sich gewaltig, denn the Green Heil war eine Massenbewegung, die auch vor den Supermärkten nicht Halt gemacht hatte. Überall gab es nur noch Bio und Öko, im Fernsehen lief nur noch qualitativ Hochwertiges, in den Kinos waren nur noch Programmkinofilme zu sehen; langweilige Streifen ohne Action, bei denen man sofort einschlief und das Leben der Masse war einerseits nachhaltiger, aber eben auch eintöniger geworden, denn man hatte keine Wahl mehr. Es gab nichts mehr zu entscheiden, denn die neuen Machthaber, an der Spitze natürlich OS, bestimmten was gut und schlecht für das deutsche Volk war und so konnte man sich bequem in den Rattansessel zurücklehnen und die Verantwortung weiterschieben, so ein fremdbestimmtes Leben hatte natürlich auch etwas für sich. Wenn alles prima lief, dann lobte man den Führer in den allergrünsten Tönen; gab es Probleme, dann schimpfte man über die unfähigen, korrupten Egoschweine an der Spitze des Staates und wenn man das zu laut oder zu oft machte, dann landete man in einem der Umerziehungslager, in denen auch Enrico Sukto nach wie vor vor sich hin veganierte, wie man in der neuen Sprache so sagte.

Bei Enrico handelte es sich keineswegs um einen Quertreiber oder Dauerkritiker und Besserwisser, sondern lediglich um einen ganz normalen Kerl, der sich halt nicht alles im Leben von anderen Leuten vorschreiben lassen, sondern statt dessen seinen eigenen Weg gehen wollte. Solche Zeitgenossen wurden schon immer argwöhnisch betrachtet, denn sie schwammen nicht mit im Strom, sondern drehten statt dessen ihre eigenen Pirouetten. Was war davon zu halten? Nun ja, man hatte eben dann doch immer die Wahl und genau deswegen regten sich die aus der Masse über die Individualisten so auf, da die halt den Mut hatten, ihren eigenen Weg zu gehen, oder in den allermeisten Fällen gar nicht anders konnten. Man hätte der Welt Unrecht getan, wenn man ihr vorgeworfen hätte, daß sie dafür sorgte, daß die Einzelkämpfer immer untergingen, doch meistens hatten die mit stärkerem Gegenwind zu kämpfen als der duckmäuserische Rest, was sie aber wiederum härter und noch unnachgiebiger machte. Wie auch immer, Enrico zwangsarbeitete so vor sich hin, was in jenem Fall aus nachvollziehbaren Gründen so aussah, daß er auf einem ökologischen Bauernhof mithelfen mußte, damit die glücklichen Kühe auch ganz viel Biomilch gaben und damit der Salat nicht wieder von irgendwelchen Ehec-Erregern befallen werden konnte. Es war keine schlimme Arbeit, erniedrigend daran war nur, daß man die ganze Zeit von Wächtern und dem Ökobauern überwacht sowie drangsaliert wurde. "Nr. 853! Stillgestanden! Was machen Sie da schon wieder für einen Scheiß?" erkundigte sich ein Aufseher schreiend. "Das, was man auf einem Misthaufen halt so macht", entgegnete Enrico. "Sie sollen den Mist abtransportieren und nicht darin meditieren!" "Aber Euer Guru, der Mohn-Bandit hat gesagt …" Weiter kam Enrico nicht, denn sofort setzte es Hiebe und danach schaute er, daß er den Mist so schnell wie möglich wegbrachte, denn sonst hätte der verrückte Gockel, der da so laut herum gekräht hatte, noch mehr auf ihn eingedroschen. Ja, das Regime kannte kein Erbarmen und die vermeintlichen Gutmenschen schienen noch schlimmere Menschenschinder zu sein als alle anderen Barbaren. Doch eigentlich hätte man das ahnen können, denn jene waren es schließlich einst gewesen, die dafür gesorgt hatten, daß der Arbeitsmarkt flexibilisiert worden war und die Zeitarbeit, die Sklaverei der Moderne, dort Einzug gehalten hatte und zu einem Siegeszug sondergleichen durchgestartet war. Gut 30 Jahre hatte die Grüne Bewegung gebraucht, um es bis ganz nach oben zu schaffen, andere Extremisten hatten es schneller geschafft, doch da sich die Grünen Heilsbringer als Spezialisten in Sachen Nachhaltigkeit betrachteten, blieb zu befürchten, daß sie noch eine lange Weile ihr Unwesen treiben würden.

The Green Heil

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