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Arbeit im Amt
ОглавлениеHi, ich bin der Manfred. Manfred Hai, um genau zu sein. Ich laufe gerade mal wieder sinnlos durch die Gegend und zwar durch die Flure der Bundesagentur für Arbeit. Nein, nicht was Du schon wieder denkst, ich gehöre nicht zu diesem Arbeitslosenpack, das unser Land noch in den Ruin treiben wird. Ich bin Jobvermittler. Ja, da staunst Du, was? Früher hieß ich Sachbearbeiter, später Fallmanager und jetzt das. Eigentlich müßte ich ja froh darüber sein, daß es Arbeitslose gibt, denn ohne die wäre ich arbeitslos. Aber daß es gar so viele sein müssen! Wie Ratten kommen sie aus ihren Löchern gekrochen und machen uns das Leben schwer. Wie um alles in der Welt soll ich einen alkoholabhängigen Analphabeten ohne Schulabschluß in Lohn und Brot bringen? Früher war das alles einfacher. Ich bin dafür, die gute alte Zwangsarbeit wieder einzuführen, die hat noch niemandem geschadet. Schön langsam nähern wir uns der guten alten Zeit ja wieder an, man hat die ganze Sache schon um einiges verschärft und das finde ich toll. Wir machen jedem Sozialschmarotzer ein Job- oder Umschulungsangebot und zwar nur, um auszutesten, ob derjenige kooperationswillig ist. Wenn er nicht kollaborieren will, dann kürzen wir ihm das Taschengeld. Butterbrot und Peitsche, so gefällt mir das. Ich für meinen Teil habe ganz andere Probleme: Zwar bin ich Beamter auf Lebenszeit, aber ich trage eine Krankheit in mir herum, denn ich bin manisch-depressiv. Gerade habe ich eine kleine Manie hinter mir und fühle mich relativ stabil. Aber das kann sich wahnsinnig schnell ändern. Wie jetzt zum Beispiel, da gerade dieses Arbeitsagenturluder an mir vorbei läuft. Diese blöde Schnepfe. „Hallo Andrea!“ rufe ich ihr hinterher, sie dreht sich um und lächelt schüchtern. Blöde Kuh! Hält mich bestimmt auch für einen Verrückten, so wie alle Anderen hier. Ich werde den ganzen Tag nur diskriminiert und gemobbt. Und warum? Weil ich in einer meiner Manien angeblich jede Menge Leute hier angerufen und beschimpft habe, woran ich mich allerdings leider nicht mehr erinnern kann. Diese Ignoranten! Das gehört doch alles zum Krankheitsbild, aber die Wahrheit hat die Säcke noch nie interessiert. Da kommt gerade mein Vorgesetzter angestapft, die fette Sau. Wenn ich den schon sehe, dann bekomme ich Zustände. „Guten Morgen, Chef! Na, alles klar daheim?“ frage ich ihn schleimig, denn ich weiß, daß er das gar nicht mag. „Hay, Ihre Zahlen sind grottenschlecht. Was machen Sie eigentlich den ganzen Tag?“ hält er mir vor. „Dasselbe wie Sie. Nichts.“ „Sehr witzig. Sie müssen mehr Arbeitslosen Jobs vermitteln, Manfred, sonst liegen uns die ganzen Penner noch jahrelang auf der Tasche.“ „Sie reden sich leicht, großer Meister. Meine Arbeitslosen sind asoziale Schmarotzer der schlimmsten Sorte.“ „Mit denen Sie immer wieder beim Saufen gesehen werden.“ „Ich muß weg.“ Schnell mache ich mich vom Acker, denn der Volltrottel hat versehentlich einen wunden Punkt getroffen. Ja, ich habe eine kleine Schwäche und die wird mir irgendwann bestimmt mal Probleme bereiten. Ich gehöre einer Organisation an, die etwas unbekannter als der ADAC, der Allgemeine Deutsche Alkoholiker Club, ist, die aber dennoch ihren Reiz hat. Ich bin nämlich Mitglied bei den Antianonymen Alkoholikern und sitze fast jeden Abend mit meinen verwahrlosten Saufbrüdern im Park und gebe mir die Kante, bis ich meinen Pegel erreicht habe. Nur gut, daß ich Beamter auf Lebenszeit bin, denn dann darf man sowas. So, dann werde ich mich mal in mein Büro begeben und so tun als würde ich arbeiten. Beamte sind die vollkommensten aller Lebewesen, denn sie beherrschen die schwer zu erlernende Kunst des Nichtstuns. Allerdings ist immer noch eine Steigerung möglich und je höher man in der Hierarchie aufsteigt, desto weniger braucht man arbeiten. Dafür, daß ich ziemlich weit unten stehe, mache ich erstaunlich wenig. Früher waren wir ja eine Anstalt, bis einer unserer Kurzzeitchefs auf die Idee kam, uns in Bundesagentur umzubenennen. Man könnte uns auch „Arbeitslosenverwahranstalt“ nennen, ganz egal, Hauptsache, das Kind hat einen Namen. Jedenfalls ist die Bundesagentur für Arbeit, bei der ich seit ein paar Jahren „arbeite“, der beste Beweis für die Überflüssig- und Sinnlosigkeit jeglicher Bürokratie. Bei uns herrschen paradiesische Zustände, denn 80 Prozent von uns sind damit beschäftigt, uns selbst zu verwalten. Geil, oder? Ich aber gehöre zur Elite, ich bin Jobvermittler und das ist eine durchaus anspruchsvolle Arbeit, wenn man mal davon absieht, mit was für Abschaum man es dabei zu tun hat. Da lungern sie schon wieder in den Gängen herum, diese Arbeitslosen, die Aussätzigen des dritten Jahrtausends. „Na, Ihr müßt ja jede Menge Zeit haben. Habt wohl nichts zu tun“, provoziere ich sie frech grinsend. Einige schauen mich böse an, Andere senken niedergeschlagen den Kopf. Was für ein lausiges Pack! Keinen Mumm in den Knochen. Vor meinem Büro sitzen auch schon wieder ein paar von diesen Leuten, die es beim Führer schlicht und einfach nicht gegeben hätte. „Vielleicht sollte ich doch meine Idee in die Tat umsetzen und eine Partei gründen, die mal aufräumt in diesem Land“, schießt es mir durch den Kopf. „Na, wer von Euch faulen Säcken hat die erste Nummer gezogen?“ will ich scheinbar interessiert wissen und lasse den ersten Versager ins Büro.
„Na, mein lieber Herr, äh, Müller? Schmidt? Meier? Helfen Sie mir doch bitte!“ beginne ich und er schaut mich traurig an. Am liebsten würde ich ihm in die Fresse schlagen, denn solche Leute regen mich am meisten auf. Diese geborenen Versager hätten lieber ungeboren bleiben sollen. „Schulz“, läßt er leise von sich hören und ich nehme sein Zuspiel gekonnt an. „Natürlich. Na, mein lieber Herr Schulz, wie läuft es denn in Ihrem unbedeutenden Leben?“ „Beschissen. So sehr ich mich auch bemühe, ich finde einfach keinen Arbeitsplatz.“ „Weil Sie ein Loser sind, Herr Schulz. Leute wie Sie wären früher vergast worden, das klingt jetzt hart, aber es ist nun mal so. Wissen Sie, ich rackere hier Tag für Tag, damit Kreaturen Ihrer Art zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden und Sie vermasseln dann alles. Schön langsam bin ich es leid. Was soll ich denn noch alles für Sie tun?“ frage ich ihn und schaue ihm direkt in die Augen, woraufhin er seinen Blick beschämt zu Boden sinken läßt. „Tut mir leid, Herr Hay, ich weiß ja wie viel ich Ihnen verdanke, aber irgendwie scheint das Glück nicht auf meiner Seite zu sein“, entschuldigt sich Schulz mit leiser Stimme und meine Ungeduld ist inzwischen so groß, daß ich ausflippe und brülle: „Es liegt einzig und allein an Ihnen, Sie Depp! Wie Sie schon herumlaufen und wie Sie aussehen! Ich würde Sie auch nicht einstellen, wenn ich ein Arbeitgeber wäre. Selbstbewußte Leute sind gefragt, schauen Sie mich an! Aber vielleicht gibt es da noch eine passende Lösung für uns Beide“, fällt mir plötzlich ein und ich überreiche ihm feierlich eine Zyankalikapsel. „Was ist das?“ erkundigt er sich mißtrauisch, der blöde Wichser, doch ich lächle ihn vertrauensselig an und antworte überzeugend: „Das ist die Lösung für all ihre Probleme, Herr Schulz. Ein neues Wundermedikament aus den USA, wo die Arbeitslosigkeit, wie Sie sicherlich wissen, ein Schattendasein fristet. Gehen Sie nach Hause, zerbeißen Sie diese Kapsel und alles wird gut.“ Er schaut mich an und erst als ich ihm bedeute zu verschwinden, erhebt er seinen Loserarsch und trottelt davon. „So, jetzt sieht meine Statistik schon besser aus, den Schwachkopf hätte ich doch niemals vermittelt“, denke ich mir zufrieden und lösche seinen Namen aus meinem Computer. Es klopft und die nächste ästhetische Zumutung tritt herein. Ich brauche unbedingt mehr Zyankali.
Nach einem wieder einmal äußerst erschöpfenden Arbeitstag kehre ich nach Hause zurück. Meine Nachbarn grüßen mich freundlich, da ihnen gar nichts Anderes übrigbleibt, weil mir das Haus gehört. Als Miet-Hai habe ich mir in meinem Viertel schon einen Namen gemacht und deswegen haben alle Respekt vor mir. Als Jobvermittler bist Du genauso erledigt wie ein Psychiater, denn sowohl der als auch ich haben den ganzen Tag mit Verrückten, Idioten und Unfähigen zu tun. Immer wenn so ein arbeitsloser Assi mein Büro betritt, weiß ich sofort, warum der keine Arbeit findet und wenn ich einen manischen Anflug habe, dann sage ich es ihm auch gleich ins Gesicht. Gut, das führt hin und wieder zu Dienstaufsichtsbeschwerden, aber die meisten Alos haben eh keinen Mumm und dem Rest brechen wir mit unserer schikanösen Bürokratie das Rückgrat. Außerdem bin ich verbeamtet, mir kann keiner was und so führe ich mich auch auf. Ich betrete meine Wohnung und betrachte liebevoll meine Freundin, die gerade den Boden wischt. „Schön, endlich mal jemanden arbeiten zu sehen“, meine ich erfreut. Judith steht auf und entgegnet wütend: „Du Arschloch! Den ganzen Tag bin ich am putzen und nicht mal daheim habe ich davor meine Ruhe.“ Vielleicht sollte ich erwähnen, daß Judith als Raumpflegerin arbeitet; ein Job, den sie übrigens mir verdankt und so haben wir uns damals auch kennengelernt. Sie gehört zu den wenigen Arbeitslosen, denen ich eine Stelle vermittelt habe. Das heißt nicht, daß ich ein schlechter Arbeitsvermittler wäre, ganz im Gegenteil. Ich bin halt wahnsinnig gut im Selektieren und fast alle Arbeitslosen sind eine unglaubliche Zumutung, so daß ich die Unternehmen vor ihnen schütze. Judith dagegen hat echt was drauf, im Putzen ist sie weltklasse, sogar im Zähneputzen. Deshalb lasse ich das hin und wieder auch von ihr erledigen und wenn sie sich weigert, dann erinnere ich sie an unseren Beziehungsvertrag und sie pariert. Ja, Du hast richtig gelesen, wir haben vor dem Beginn unserer Partnerschaft einen Beziehungsvertrag geschlossen, in dem steht, wer wofür verantwortlich ist. Sie hat den Haushalt zu führen und ich führe das große Wort. Eine gerechte Verteilung wie ich finde. Sie ist hübsch, meine Freundin, aber um einen Besuch beim Schönheitschirurgen wird wohl auch sie nicht herumkommen. Ich lege mich auf die Couch und schaue ihr beim Putzen zu. Es gibt wahrlich nichts Schöneres, als andere Leute beim Arbeiten zu beobachten. Genau aus diesem Grund zermürbt mich mein Job dermaßen, denn da ist es genau umgekehrt. Was war das wieder für ein anstrengender Tag! Immer diese depressive Stimmung in der Bundesagentur, was aber nicht nur an den Arbeitslosen liegt. Meine Arbeitskollegen sind auch nicht gerade Partylöwen und wenn ich nicht wäre, dann wäre dort überhaupt nichts geboten. Jetzt kommt Judith auf mich zu und ich zucke zusammen. Jedes Mal, wenn ich sie aus der Nähe sehe, bekomme ich einen Schreck, denn ich bin kurzsichtig und trage zu meinem großen Glück keine Brille. „Wo ist mein Essen?“ frage ich, um auch etwas zu sagen. „Mach’s Dir selbst!“ lautet ihre Antwort. Komisch, das hat sie gestern im Bett auch gesagt. Soll das der Anfang eines Zwergenaufstands sein, oder was? Vielleicht muß ich die Zügel wieder etwas anziehen, doch statt dessen ziehe ich mir viel lieber ihre Strumpfhose an und streichle mich zärtlich. Ich liebe es, ich Strumpfhosenfetischist.
Strumpf ist Trumpf. Aber Judith schaut mich schon wieder so komisch an. Ich bin nicht verrückt, nur ein bißchen wunderlich. Nein, das genügt. Ich muß hier raus, denn die Eiszeit in meiner Wohnung ist unerträglich. Freundin - es geht nicht ohne. Von wegen! Ich wäre heilfroh, wenn ich wieder Single wäre, doch so einfach ist das leider nicht, denn ich habe noch zwei Jahre Vertrag. Deshalb verziehe ich mich und gehe zu meinen Freunden von den Antianonymen Alkoholikern. Sie begrüßen mich fröhlich und in bester bierseliger Laune und wir stoßen gemeinsam an. „Auf die Arbeitslosigkeit!“ rufen sie freude- und volltrunken und ich kann es ihnen nicht verübeln. „Ihr habt es gut! Ihr bekommt Geld fürs Nichtstun, wohingegen ich 40 Stunden in der Woche in meinem Büro rumsitzen und mich mit asozialem Gesocks wie Euch rumschlagen muß“, beschwere ich mich. „Bist schon ein armes Schwein“, pflichtet mir der stark übergewichtige Günther bei. „Und Du bist eine fette Sau“, kontere ich und sorge so für Gelächter. „Was ist faul bei Euch im Staate Deutschland? Warum wollt Ihr uns Langzeitarbeitslose so kraß schikanieren?“ will Rudi wissen, der alte Schwerenöter. „Weil andere Leute in die Arbeit gehen und von den Steuern, die die zahlen, lebt Ihr. Das ist eh nur wieder so eine symbolische Hau Zruck-Aktion, ein Sturmtrupp im Wasserglas“, beruhige ich sie. Mein Nazijargon gefällt ihnen und das, obwohl sie die Ersten gewesen wären, die man in einem Lager konzentriert und, ich vergaß, vergast hätte. Warum gerade die meine Freunde sind? Weil jeder Prophet Jünger braucht, ganz einfach, und ich habe dieser Scheißwelt noch jede Menge zu prophezeien. Wir rülpsen um die Wette und wieder einmal gewinnt Günther, was uns allmählich tierisch auf die Eier geht. „Was macht Ihr eigentlich den ganzen Tag?“ frage ich in die Runde und ernte erstaunte Blicke. „Aber Manni, das weißt Du doch: Wir sitzen hier und trinken Bier und dabei reden wir über die Probleme in der Welt“, berichtet Rudi. „Ales klar. Ihr redet also über Euch selbst“, gebe ich zu verstehen und beginne mein zweites Bier. Leute gehen an uns vorbei, mustern uns angewidert, schauen weg und eilen schnell weiter, noch bevor wir sie anpöbeln und beschimpfen können. Manche kennen mich und die glauben dann, ich würde mich sogar in meiner Freizeit um die Arbeitslosen kümmern, was dazu führt, daß ich grundsätzlich für einen guten Menschen gehalten werde, der ich natürlich nicht bin. „Na, Leute, wie sehen Eure Zukunftspläne aus?“ erkundige ich mich und Erwin legt sofort los: „Ich werde ein großer Künstler werden und in ein paar Monaten meine erste Ausstellung präsentieren.“ Wir lachen uns kaputt und Erwin schaut betreten auf die von ihm vollgepißte Erde. „Nicht lachen, Freunde“, beginne ich und hebe beschwichtigend meine Hände. „Unser Erwin ist schließlich als großartiger Aktionskünstler bekannt und ich freue mich schon darauf, seine in die Büsche geschissenen Haufen in einer Galerie ausgestellt zu sehen.“ Daraufhin kennt das Gebrüll keine Grenzen mehr und wenig später tauchen Polizisten auf, um an unserer Freude Anteil zu nehmen. „Ja wen haben wir denn da? Die Penner von nebenan mit ihrem Guru. Herr Hai, Sie sollen den Arbeitslosen Jobs verschaffen und sich nicht mit ihnen zusammen vollaufen lassen“, meint einer der Zuchtbullen zu mir und ich erwidere, nachdem ich aufgestanden bin und in der Nase gebohrt habe: „Was ich in meiner Freibierzeit mache, ist meine Sache.“ „Morgen ist der 1.Mai, der Tag der Arbeit, aber sowas kennt Ihr ja eh nicht. Also, wenn die Nazis kommen und Euch verprügeln, dann werden wir Euch nicht helfen“, verspricht der andere Zuchtbulle und sie verschwinden. „Geil! Dann kann ich mich heute ja so richtig zusaufen!“ freue ich mich und spendiere die nächste Runde. Wir lachen und trinken, scherzen und reihern, doch irgendwann habe ich zuviel intus und dann werde ich immer politisch. Ich erhebe meine Stimme und verkünde im Duktus des Führers: „Das Deutsche Reich braucht eine durchdachte Arbeitsmarktpolitik. Wir müssen noch mehr Autobahnen bauen, damit die Leute mehr Autos kaufen und die Wirtschaft floriert. Deutsche, kauft nur deutsche Produkte, falls Ihr welche findet! Der ewige Jude treibt nach wie vor sein Unwesen und unterdrückt uns. Aber wir werden uns gegen seinen Raubtierkapitalismus wehren. Dieses Land ist zu schön, um von den Amerikanern unterjocht zu werden. Wir brauchen eine Rechtspartei, denn das, was diese Linkspartei kann, haben wir auch drauf. Laßt mich Euer Führer sein, denn ich lasse Euch nie allein!“ töne ich und meine Saufbrüder nicken mir anerkennend zu. Daraufhin kotze ich um die nächste Ecke und lasse mich dann von meinen Kumpanen feiern. „Tolle Rede! Aus Dir kann wirklich noch was werden“, lobt mich Günther und ich weiß nicht, ob ein Lob aus seinem vollen Munde ein Kompliment oder eine Beleidigung ist. Kurz überlege ich, ob ich den Hitlergruß machen soll, lasse es dann aber doch bleiben, weil man sich auch als Beamter nicht alles leisten kann, dazu ist das Gehalt einfach zu niedrig. Nun beginnt Rudi zu lamentieren: „Alles wird teurer, ich weiß bald nicht mehr, wo ich noch sparen soll. Diese Politiker bereichern sich auf unsere Kosten und lachen sich über uns kaputt. Denen müßte man mal gehörig die Meinung sagen.“ „Ach was, das bringt doch nichts. Ich würde als Erstes den Verteidigungsminister aufhängen und dazu „Nur die Besten sterben. Jung“ von den Behsön Enkolz spielen lassen. Dann würden diese Volkstreter schon merkeln, daß Ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Was ist los mit Dir, Erwin? Sieht fast so aus als hättest du einen Glos im Hals“, kalauere ich, doch er läßt mit ernster Stimme verlauten: „Manfred, ich hoffe, daß das, was Du soeben gesagt hast, nicht Dein Ernst war, denn sonst müssen wir Dich aus den Antianonymen Alkoholikern ausschließen. Über die Politiker schimpfen ist eine Sache, aber zur Gewalt gegen sie aufrufen, etwas ganz Anderes. Ich erwarte eine Klarstellung von Dir.“ Ich bin überrascht. „Mensch, Erwin, Du alter Spießer, so nüchtern kenne ich Dich ja gar nicht. Du weißt doch, daß ich manchmal versehentlich sage was ich denke. Tut mir leid, wird nicht wieder vorkommen“, entschuldige ich mich und komme mir richtig gedemütigt vor. Aber das werden diese stinkfaulen Halunken noch bereuen, das garantiere ich. Jetzt weiß ich endlich, wie tief Adolf damals in den Schmutz steigen mußte, als er sich mit Röhm und diesem SA-Haufen zusammentat. Aber wir wissen ja alle, wie das 1934 geendet hat. Das tröstet mich sehr.
In der Nacht kann ich wieder mal nicht schlafen, weil ich zuviel an Deutschland denke. Diese Weltmeisterschaft war ein Segen für unser Land, doch genausowenig wie der Führer Mussolini den Sieg gegönnt hätte, kann ich mich über den Titelgewinn der Itaker freuen. Trotzdem: Wir sind wieder wer und zwar die drittbeste Fußballmannschaft auf der ganzen Welt, nachdem wir vor vier Jahren gerade mal das zweitbeste Team gewesen waren. Auch über mich denke ich viel nach. Eine Menge berühmte Leute waren bipolar erkrankt so wie ich; große Künstler, beeindruckende Persönlichkeiten, faszinierende Menschen. Ich bin zu Höherem berufen und ob ich das jetzt glaube, weil meine Krankheit mal wieder ausgebrochen ist oder nicht, interessiert mich nicht, denn es geht mir gut. Ich glaube ja, daß Adolf Hitler ebenfalls manisch-depressiv war, wenn ich da so an den Zweiten Weltkrieg mit den deutschen Blitzsiegen in den Blitzkriegen und die daraus resultierende Manie denke. Jedenfalls stinke ich wie ein Tier und neben mir liegt Judith, diese Frau. Ich weiß auch nicht was ich mir dabei gedacht habe, mich mit dieser Frau zusammenzutun, wahrscheinlich war ich damals in einer depressiven Phase und wollte einfach nicht allein sein. Das hab ich nun davon. Ihr Geschnarche regt mich auf und ihr Körper stößt mich ab. Warum hat Gott nach der Erschaffung Adams nicht einfach aufgehört und Ruhe gegeben? Was für ein fataler Fehler! Na ja, wenn ich so richtig in einer Manie drin bin, dann glaube ich ja, daß ich selbst Gott bin und ich muß sagen, das hat was. Warum auch nicht? So, jetzt werde ich aber langsam wirklich sauer. Am liebsten würde ich diesem Geschöpf neben mir ein Kissen aufs Gesicht drücken, damit endlich Ruhe herrscht. Ich kann es einfach nicht fassen, daß ich mich mit diesem Wesen zusammengetan habe. Aber wenigstens putzt sie ordentlich.
Ich stehe auf und gehe schlaf- sowie betrunken ins Wohnzimmer. Der Fernseher grinst mich unverschämt an. Ich hasse es, wenn er mich auf diese Art und Weise provoziert. Er mißbraucht seine Macht, weil er weiß, daß ich von ihm abhängig bin. Was dieses Land braucht ist ein Führer und keine Füßikerin. Noch dazu aus dem Osten, die ist doch bolschewistisch verseucht, dieses CDU-Luder. Jeden Tag eine neue Steuer, da kann ich ja gleich mein Gehalt bei ihr abliefern, dieser machtgeilen Schnepfe. Und kaum schalte ich den Zauberkasten ein, schon grinst sie mir fröhlich ins Gesicht, die Atomeule. Ich könnte kotzen, denn diese Fratze wird mich wohl noch jahrelang verfolgen. Und dann erst ihr Ehemann, dieser Füntemering, der ja genau genommen irgendwie auch mein Chef ist. Was für ein Gruselkabinett! Wenn jedes Land die Politiker bekommt, die es verdient, dann müssen wir wirklich ein schreckliches Land sein. Ich schaue mir ein paar nackte Frauen an, doch das hilft mir auch nichts mehr, denn die Nacht ist schon versaut, nachdem ich Deutschlands eiskalte Kriegerin gesehen habe.
Den Tag der Arbeit habe ich, so wie es sich gehört, verschlafen und jetzt bin ich auf dem Weg zu meinem Psychologen, der mir meine Drogen verschreibt. Eine junge Frau kommt mir auf dem Gehsteig entgegen, lächelt mich an und sagt: „Hi!“ „Woher kennst Du meinen Namen?“ wundere ich mich, doch sie ist bereits weitergegangen. Lauter Verrückte in dieser Welt. Genauso wie mein Psychologe, Dr. Hunds. „Na, Herr Hai, was darf’s denn sein? Etwas für oder etwas gegen die Manie?“ fragt er mich gönnerhaft, doch ich weiß ganz genau, daß er nur so freundlich zu mir ist, weil ich Privatpatient bin. „Ach, wissen Sie, eigentlich möchte ich doch nur ein ganz normales Leben führen“, stelle ich klar. Er schaut mich verwundert an, bevor er erläutert: „Das sollen Sie auch, aber vergessen Sie bitte nicht, daß Manien und Depressionen ebenfalls ihren Reiz haben. Sie bringen Abwechslung und Farbe ins Leben. Außerdem finde ich Sie sehr unterhaltsam, wenn Sie manisch sind.“ „Aber ich bin doch nicht Ihr Hofnarr!“ empöre ich mich und schlage ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. „Was nicht ist kann ja noch werden“, hofft er lächelnd und hält mir die andere Wange hin. Ich widerstehe der Versuchung, ihm ordentlich die Fresse zu polieren, schnappe mir mein Rezept und besuche dann meinen Dealer, den Apotheker. Jener behandelt mich wie immer äußerst höflich und zuvorkommend, denn ich bin einer seiner besten Kunden. „Hi, Manfred, schön Sie zu sehen! Wie geht es denn so?“ will er mit geheucheltem Interesse wissen und beobachtet gierig, wie ich sein leicht verdientes Geld aus meiner Börse hole. „Könnte besser sein“, antworte ich lakonisch. Daraufhin steckt er mir ein paar Spezialpillen zu. „Ich bin doch nicht Ihr Drogentester!“ rufe ich mit gespielter Empörung und lasse die Pillen unauffällig verschwinden. Danach kehre ich in die Bundesagentur zurück und treffe dort auf Hartmut, den einzigen Kerl in der Agentur, mit dem ich mich halbwegs gut verstehe. „Na, wie viele Assis hast Du heute schon abgefertigt?“ erkundige ich mich und er lächelt gequält. „Manni, Du wirst es nicht glauben wollen, aber diese Kretins, die es niemals bis zum Proleten bringen werden, werden immer dümmer, übelriechender und unverschämter. Dieser menschliche Abschaum glaubt, der Staat wäre dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, daß diese menschenähnlichen Wesen überleben. Aber da muß ich dann schon mal fragen: Was hat der Staat davon?“ „Nichts und das wissen wir Beide. Radikale Lösungen sind vonnöten. Roland Wardawas wäre ein zu schillerndes Beispiel für den rechten Weg, aber ich, Manfred Hai, werde dafür sorgen, daß dieses Land von seinen asozialen Elementen befreit wird“, verspreche ich pathetisch und Hartmut lächelt vergnügt. Zwar glaube ich, daß er mich nicht ganz ernst nimmt und für einen Sprücheklopfer hält, doch andererseits imponiere ich ihm, weil ich doch hin und wieder sage was ich denke und das ist in diesem Land der Lügen schon etwas Besonderes.