Читать книгу Die letzte aus dem Hause Wulfenberg - Anny von Panhuys - Страница 4

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Die Fürstin Alexandra von Wulffenberg sah sehr ernst und feierlich aus, als sie, sich kerzengerade aufrichtend in ihrem Armstuhl, die rechte Hand ihrer fünfzehnjährigen Enkelin, Prinzessin Margarete, erfasste.

In ihren halb unter schweren Lidern versteckten grauen Augen entglomm ein matter Schein von Wärme.

„Liebes Kind, du bist heute fünfzehn Jahre alt geworden und vernünftig genug, um mich schon zu verstehen, wenn ich dir von wichtigen, bedeutungsvollen Dingen rede.“ Sie liess die kleine Hand frei. „Setze dich auf den Hocker hier zu meinen Füssen, Margarete. So! Und nun höre zu, was ich dir mitteilen will.“ Sie sah auf das überschlanke Geschöpf nieder. „Schau mich an, Margarete!“ gebot sie.

Die Enkelin hob den Blick.

Tiefblaue Augen hatte das Mädchen, von unwahrscheinlich langen und dichten Wimpern umrahmt, und von kühn geschwungenen dunklen Brauen überspannt. Das Haar war glatt und schwarz, glänzend wie Rabenfittig, doch war es kurz und unschön verschnitten. Die feinen Züge waren unregelmässig und von gelblicher Blässe, der kleine Mund sehr rot, wie eine reife, blutfarbene Frucht.

Fürstin Alexandra, geborene Prinzessin Winterstein, war einmal berühmt gewesen wegen ihrer blonden, kühlen Schönheit. Sie fand die Enkelin hässlich.

Aber ihr Sohn hatte ja nicht auf sie hören wollen, hatte die braune, arme ungarische Komtesse geheiratet, eine Waise, die bei nicht allzu wohlhabenden Verwandten auf einem Gutshof weit draussen auf der Pussta untergekrochen war, bis er sie gelegentlich eines Jagdbesuches dort kennenlernte und schnell entschlossen zur Fürstin von Wulffenberg machte.

Bei der Geburt des kleinen schwarzhaarigen Töchterchens war sie gestorben.

Ihr Mann folgte ihr bald. Ein Wilderer sollte ihn erschossen haben.

Doch ward der Mörder nie aufgespürt.

Schade auch um das Suchen! hatte seine Mutter oft gedacht, denn sie wusste genau, ihr Sohn Ulrich hatte seinem Leben freiwillig ein Ende gemacht, weil seine angebetete Frau Aglaé ihn für immer verlassen hatte.

Da dachte er nicht mehr an seine Mutter, nicht mehr an sein erst wenige Tage altes Kind, da dachte er nur an sich und erlag der Versuchung, richtete die Waffe gegen sich selbst, weit draussen im Wald.

Doch sie trat dem Gerücht, dass ihr Sohn Selbstmord verübt, heftig entgegen, sie erzwang ihm eine so christliche Bestattung, wie sie dem letzten Fürsten Wulffenberg gebührte.

Die erwartungsvollen dunkelblauen Augen Margaretes rissen die alte Dame aus ihren in die Vergangenheit rückwandernden Gedanken. Das Schreckliche, das Schrecklichste, als man ihr den toten Sohn heimbrachte, war ja lange her, fast fünfzehn Jahre.

Ein paar Tage nach Margaretes Geburt geschah es.

Sie nickte der Enkelin zu in der Art, wie vielleicht eine unnahbare Herrscherin, die leutselig zu sein beabsichtigt, früher eine Audienz eröffnete.

Ihre schmalen Hände, durch deren zarte Blumenblatthaut die Adern bläulich schimmerten, lagen lässig im Schosse, das herbe, hochmütige Gesicht, um das sich schneeweiss das einst goldblonde Haar bauschte, zeigte einen Anflug von Farbe.

„Liebe Margarete, du weisst, dass du eine Prinzessin von Wulffenberg bist, die Tochter des letzten Fürsten Wulffenberg, dass du also keine beliebige Person bist, die tun und lassen kann, was sie mag, wie etwa die Töchter der Bauern.“

Margarete unterdrückte nur mühsam den Seufzer, der sich ihrer Brust entringen wollte.

Fürstin Alexandra aber war eine gute Beobachterin.

„Tut es dir etwa leid, dass ich dir nicht erlauben konnte, mit Bauer Dinges seinen Kindern herumspringen oder mit Müller Krauses frecher Liesel?“

Margarete wollte nicht lügen, denn sie hätte wer weiss was dafür gegeben, wenn sie sich ab und zu mit den Dorfkindern hätte unterhalten dürfen.

Sie schwieg.

Fürstin Alexandra dachte, da rührt sich das Blut der wilden Pusstakomtesse, die des Kindes Mutter gewesen.

Sie sagte hart: „Du heisst nicht Dinges und heisst nicht Krause, auch nicht Müller und Schulze. Menschen mit solchen Namen mögen tun, was sie wollen, niemand fragt danach und sie brauchen auf niemand Rücksicht nehmen. Wir aber müssen stets unseres Namens eingedenk sein.“

Das Mädchen sagte hastig: „Du erzähltest mir doch immer, Grossmama, wir haben keine nahen Verwandten mehr, nur wir beide brauchten noch zusammenzuhalten. Auf wen muss ich denn eigentlich noch Rücksicht nehmen?“

Die alte Dame sah unendlich hochmütig aus bei der Antwort.

„Auf deine Ahnen musst du Rücksicht nehmen, auf alle die Fürsten und Fürstinnen Wulffenberg, die vor uns gelebt haben, deren Bilder in der Bibliothek hängen. Die Fürsten Wulffenberg hatten früher viel mitzureden in Deutschland und sie waren Herren über weites Land. Sie regierten sogar, Gewalt über Leben und Tod ihrer Untertanen war ihnen gegeben. Und nun, Kind, will ich dir davon sprechen, was mir heute am Herzen liegt.“

Sie lächelte jetzt ein wenig.

„Das Fürstentum Wulffenberg existiert längst nicht mehr, nur der Titel erinnert noch an die Macht, die unsere Vorfahren einst besassen. Nur der Titel und die Krone der früheren Frauen unseres stolzen Hauses. Seit Generationen vererbt sie sich von Frau zu Frau in unserer Familie, und wenn auch seit mehr als hundertfünfzig Jahren keine Fürstin Wulffenberg mehr offiziell die Krone trug, so schmückten sie sich doch bei ganz besonderen Gelegenheiten mit dem Symbol ihrer Würde. Zum Beispiel trug sie jede Braut, die vor den Altar trat, um Fürstin Wulffenberg zu werden, über dem Brautschleier. Zuletzt zierte sie das Haupt deiner Mutter, vor ihr trug ich sie. Diese Krone ist das Heiligste und Wertvollste, was uns von allem ehemaligen Glanz geblieben ist. Und weil ich nicht weiss, wie lange ich noch lebe — es kann mir ja auch unerwartet etwas zustossen — will ich dir die Krone und ihren Aufbewahrungsort zeigen, will von dir schon heute das Versprechen, dass du, was dir auch die Zukunft bringen mag, die Krone ehren wirst, wie es sich gebührt. Du wirst hoffentlich einmal einen Mann heiraten, dessen Namen dem unseren ebenbürtig ist, dann mag das alte Erbstück in der Familie der letzten Wulffenberg pietätvoll aufgehoben werden, durch neue Generationen.“

Margarete schwirrte der Kopf, sie wusste nichts zu sagen. Alles, was die Grossmama gesprochen, klang so schwer und wichtig, legte sich wie eine drückende Last auf ihre schmalen Schultern.

Fürstin Alexandra erhob sich, ihr schwarzes, kreppbesetztes Kleid fiel an ihrer aufrechten Gestalt weitfaltig nieder. Sie trug seit dem Tode des Sohnes ständig Trauergewänder, und wenn sie ausfuhr mit der alten Kalesche, wogten langfallende düstere Schleier um das hochmütige, blasse Frauengesicht.

Sie verriegelte erst die Zimmertür, trat dann an die eine Seitenwand des von meterhohem Holzpaneel eingefassten Gemaches.

Das Paneel zeigte, in köstlicher alter Arbeit von peinlichster Sorgfalt, hochgeschnitztes Blumengerank und Früchte, wie Trauben und Aepfel.

Sie rief Margarete an ihre Seite, unterwies sie, wie man eine etwas kräftiger geschnitzte Weintraube in der Mitte teilen konnte, worauf eine Feder frei ward, auf die man drücken musste, um eine schmale Tür zu öffnen, die sich unauffällig in das Paneel einfügte.

„Komm!“ Sie nahm von ihrem Schreibtisch eine wohl vorher schon zurechtgelegte elektrische Taschenlaterne und führte, das Licht aufblitzen lassend, die Enkelin eine zehn Stufen zählende Treppe hinunter.

Beklommen folgte Margarete.

Sie vermochte sich gegen den unheimlichen Schauder nicht zu wehren, der ihr über den Körper lief, als sie den engen, von feuchten Kellerwänden begrenzten Gang betrat, auf dem ihr die alte Dame stolz und aufrecht voranschritt.

Der kleine Lichtkegel der Taschenlaterne schob voraus und Margarete musste unwillkürlich an den alten Märchenvers denken: Hinter mir Nacht und vor mir Tag, dass mich niemand sehen mag!

Der Gang hatte ein Ende, erweiterte sich plötzlich zu einem kaum drei Meter im Durchschnitt breiten Raum, der wie eine kleine Kapelle eingerichtet war.

Ein Tisch mit einem grossen Kruzifix, das auf schön gestickter Decke stand, fiel zuerst in die Augen. Die Wände waren mit Teppichen bekleidet und neben dem Kruzifix stand ein nicht allzugrosser antiker Kasten mit gehämmerten Eisenbeschlägen. Zwei schwere, silberne Leuchter mit nur wenig niedergebrannten Kerzen flankierten den Kasten.

Fürstin Alexandra holte unter der gestickten Decke Streichhölzer hervor, gleich darauf erstarb das elektrische Licht, die Kerzen flackerten auf.

Die alte Dame zog aus ihrem winzigen Halsausschnitt ein Kettchen hervor, an dem ein Schlüssel hing, und öffnete damit den Kasten, dessen Deckel sich plump hob und ein mit rotem, verschabten und brüchigem Samt ausgepolstertes Innere sehen liess.

Die schmalen, blaugeäderten Altfrauenhände langten in den Kasten, holten etwas Dunkelgoldenes, gross wie eine Männerfaust, daraus hervor, das mit einer Reihe von kleinen weissen und grünen Steinen umrandet war, die sich nach vorn vergrösserten und ganz vorn in vier kreuzförmig geordneten, daumennagelgrossen Steinen ihren Abschluss fanden.

Margaretes Auge blickte ehrfürchtig, als die alte Dame langsam und betont sagte: „Das ist die Krone der Fürstinnen von Wulffenberg. Unser alter Name ist mit deinem Vater im Mannesstamm erloschen, es wird nie mehr eine Fürstin Wulffenberg geben.“

Sie blickte hochmütig und zugleich wie verzückt auf die kleine geschlossene Krone.

„Schwöre mir auf das Kruzifix, dass du das Wertvollste, was unserem Hause geblieben ist, stets achten und ehren wirst, dass du die Krone beschützen willst vor Schimpf und Missbrauch, und sie nie verändern wirst. Ich meine, dass du nie daran denken sollst, etwa die Smaragden und Brillanten für irgendwelche moderne Schmucksachen umarbeiten zu lassen, dass du nie die Echtheit der uralten, köstlichen Steine antasten willst, die den Wert eines anständigen Vermögens repräsentieren, wenn nicht alleräusserste Not, die mit deiner Ehre verknüpft ist, dich dazu zwingt.“

Die fünfzehnjährige Prinzessin sah erschreckend bleich aus.

Die ganze Szenerie wirkte auf ihr noch kindliches Gemüt beunruhigend. Sie zitterte.

Die Fürstin legte mitleidig einen Arm um die sehr schmale Gestalt der Enkelin.

„Bist du dir der Wichtigkeit dessen, was du beschwören sollst, voll und ganz bewusst, Margarete?“

Das Mädchen erwiderte ernst den Blick der alten Dame.

„Willst du beschwören, was ich von dir forderte?“

„Jawohl, Grossmama!“

„Dann hebe die Schwurfinger auf und lege sie auf das Kruzifix, sage: ‚So wahr mir Gott in meiner letzten Stunde helfen möge, ich will in jeder Beziehung die Tradition der Krone unseres Hauses achten und ehren, soweit es in meinen Kräften steht, im Sinne meiner einzigen Verwandten, der Fürstin Alexandra von Wulffenberg!‘“

Fest und klar sprach die helle Mädchenstimme die Worte nach

Die weisshaarige Dame schien zufrieden, ihre Züge lösten sich ein wenig, wurden gütiger.

Sie schloss den Kasten wieder, reichte Margarete einen Schlüssel.

„Es gibt zwei Schlüssel zu dem Kasten, den einen davon sollst du von heute an bewahren, den andern hebe ich weiter auf bis zu meinem Tode, dann gib den meinen jemand, dem du voll vertraust.“

Das junge Mädchen nahm mit einem Gefühl von Stolz den Schlüssel entgegen.

Die Fürstin sagte leise: „Jetzt sollst du noch ein Geheimnis kennen lernen, das du wohl nie brauchen wirst. Aber es schadet dir auch nichts, wenn du es erfährst.“

Sie schob den Tisch von der Wand ab, hob den Teppich dahinter, und eine Oeffnung zeigte sich, knapp hoch und breit genug, um einen nicht allzu dicken Menschen gebückt hindurch zu lassen.

„Folge mir!“

Die elektrische Taschenlaterne trat wieder in Tätigkeit, der Lichtkegel erhellte einen neuen schmalen Gang, ähnlich dem, durch den man hierhergekommen. Doch ward dieser immer niedriger, nur tief gebeugt kam man vorwärts, um dann Halt zu machen vor einer glatten Steinplatte.

Die alte Dame flüsterte sehr leise, als fürchte sie, irgendwer könne sie hören: „Jenseits dieser Platte befindet sich der Dorffriedhof, und wenn man diese Platte stark nach rechts drückt, öffnet sie sich wie eine Schiebetür.“

Schon zeigten die alten und doch noch kraftvollen Hände der Fürstin, was ihr Mund eben erklärt.

Margarete, halb von kindlicher Neugier, halb von der Spannung getrieben, die diese ganze geheimnisvolle Sache in ihr erweckt, kletterte durch die Oeffnung und stand dann in der Gruft der Wulffenbergs, die sie genau kannte.

Nur war sie bisher stets vom Dorffriedhof hier eingetreten, hatte nicht geahnt, dass die Tafel in der Wand, auf der das Wappen der Familie, zwei Wölfe auf einer Erhöhung, eingraviert war, die Stelle einer Tür vertrat.

„Wir müssen auf demselben Weg zurück,“ flüsterte die Fürstin, „für den Notfall liegt dort drüben in der Urne ein Schlüssel der Grufttür, man kann sie von innen aufschliessen und ist dann auf dem Friedhof. Vor viel über hundert Jahren, als feindliche Kriegsbanden unserer Gegend nahten, hat ein Wulffenberg ein altes Schlossgeheimnis, das ihm die Sage überlieferte, wieder erweckt aus langer Vergessenheit.

Ehe die feindlichen Soldaten brandschatzend nahten, lagen schon alle Werte im Kellergange und die Herrschaft floh bei Nacht durch die Gruft und über den Friedhof zu Nachbarn. Die Teppichbekleidung der Wände, die Decke auf dem Tisch, die silbernen Leuchter sind von deinen Eltern arrangiert worden.“

Margarete atmete gepresst. Dass das ruinenhafte Schloss Wulffenberg so ein romantisches Geheimnis barg, war eigentlich wundervoll.

Durch den niedrigen Gang kehrten die beiden zurück in den kleinen Raum, wo noch immer die Kerzen flackerten, die von der alten Dame gelöscht wurden.

Wenige Minuten danach befand sich Margarete wieder in dem Wohnzimmer der Fürstin im Erdgeschoss, darin sich diese tagsüber am liebsten aufzuhalten pflegte, und sie hätte gemeint, alles wäre nur ein Traum gewesen, wenn ihre Augen nicht deutlich erkannt hätten, dass die eine Weintraube viel stärker in der Form war, als die anderen Früchte in dem prachtvoll geschnitzten Paneel.

Fürstin Alexandra reichte der Enkelin die Hand, über die sich das schmale Mädchen zum Kusse neigte.

„Nun gehe zu deinen Geschenken und zu Fräulein von Stein, mich hat die Unterredung erregt, ich möchte bis zum Mittagessen allein und ungestört bleiben.“

Margarete verliess das Zimmer, suchte ihr Mädchenstübchen auf. Doch beachtete sie den Geschenktisch, den ihr die Grossmama heute früh aufgebaut, kaum. Sie sass am Fenster, starrte in das Geäst der Parkbäume und erschrak, als Fräulein von Stein eintrat.

„Sie haben mein Anklopfen überhört, Prinzessin,“ sagte sie wie entschuldigend.

Margarete wandte ihr blasses Gesicht der hübschen, rotwangigen Dame zu, die zugleich ihre Lehrerin und Gesellschafterin war und ungefähr sieben Jahre älter sein mochte als sie selbst.

Margarete lächelte.

„Grossmama hört es ja nicht, Else. Sage nur ruhig du zu mir wie sonst, wenn mich meine steife Würde langweilt.“

Else von Stein nickte.

„Ach, Gretel, eigentlich hätte ich nie so keck sein dürfen, wie du es gewünscht. Erwischt uns die Fürstin einmal bei den Vertraulichkeiten, dann fliege ich.“

Die Prinzessin stimmte zu.

„Das ist sicher, Else, aber wir nehmen uns ja in acht. Ich höre es so gern, wenn man zu mir ‚Gretel‘ sagt. Und jetzt muss ich in den Park. Hans Westfal will mir gratulieren. Um zwölf Uhr wird er kommen.“

Else von Stein fuhr sich über das hellbraune, leicht gelockte Haar, das sich in Schneckenform über die Ohren legte.

„Gretel, die heimlichen Zusammenkünfte mit dem Sohn des Dorfschmiedes müssen bald ein Ende nehmen. Ihr seid beide keine Kinder mehr. Du bist fünfzehn und er einundzwanzig. Ich bitte dich, das geht doch nicht.“

Die Prinzessin lächelte ganz sanft.

„Natürlich geht es. Ich habe dir doch erzählt, was Hans Westfal für ein Held ist. Er hat mich, als ich durchs Dorf spazierte, vor einem durchgehenden Pferd zurückgerissen. Ich war damals acht Jahre, er vierzehn, und er war auf Ferien hier vom Gymnasium. Jetzt hat er wieder Ferien, er ist doch nun auf der technischen Hochschule in Charlottenburg.“ Sie zog die feinen Brauen dicht zusammen. „Er ist riesig gescheit, und er sagt, er wird später mal ein ganz Grosser in seinem Fach werden. Ich glaube das auch bestimmt.“

„Aber, Gretel, es gehört sich nicht, dass eine Prinzessin Wulffenberg sich immer heimlich mit dem Sohn des Dorfschmiedes trifft, wenn er auf Ferien heimkommt. Als ihr jünger waret, mochte es ja noch angehen, aber jetzt musst du damit aufhören, ihn im entlegenen Teil des Parkes zu empfangen.“

„Liebe Else, ich begreife nicht, weshalb du mir die harmlose Freude vergällen willst. Ich habe Hans Westfal furchtbar gern, und wer weiss, wie oft ich ihn noch sehen kann. Denn wenn sein Studium abgeschlossen ist, will er ins Ausland, sich den Wind um die Nase wehen lassen, wie er sagt. Vielleicht kommt er dann überhaupt nicht mehr wieder, und heiraten wird er ja auch mal, dann ist’s doch vorbei mit unseren netten Plauderstündchen.“

Else von Stein dachte gerührt, sie durfte dem kindlichen Geschöpf die Harmlosigkeit nicht nehmen. Margarete ahnte nicht, dass Hans Westfals einundzwanzig Jahre vielleicht Hoffnungen und Träume hegten, die ihm das Leben nicht erfüllen würde, denn Margarete Wulffenberg war zum grossen Teil ein Erziehungsprodukt der hochmütigsten, adelsstolzesten Frau, die sie kannte.

Die Letzte aus dem Hause Wulffenberg würde niemals einem Unebenbürtigen die Hand zum Bund fürs Leben reichen.

„Du warst vorhin lange bei der Fürstin, Gretel,“ sagte Else von Stein.

Es klang ein wenig fragend.

Die Jüngere nickte.

„Grossmama besprach Familienangelegenheiten mit mir,“ erwiderte sie kurz.

Else von Stein kannte den Ton, in dem eine leichte Mischung von dem Hochmut der Fürstin war.

Sie lachte: „Nicht wahr, jetzt soll ich wieder ‚Prinzessin‘ und ‚Sie‘ sagen?“

„Verzeihung, Else, ich würde dir gern erzählen, was Grossmama mit mir redete, aber ich besitze kein Recht dazu.“

Else von Stein erwiderte ernst: „Du weisst, Gretel, ich bin nicht neugierig. Aber du solltest dich heute an deinem Geburtstag doch etwas eleganter anziehen.“

Margarete lachte fast übermütig.

„Wenn man dich so hört, könnte man meinen, mir ständen mehrere reichgefüllte Kleiderschränke zur Verfügung. Und ausser dem grauen Leinenkittel verfüge ich doch nur noch über ein rosa und ein weisses Waschkleid. Drei Kleider für den Sommer, zwei für den Winter, das ist mein Toilettenarsenal, das weisst du.“

„Also entscheide dich für das weisse, ich stecke dir eine Rose an und dann siehst du festlich genug aus.“

Die Jüngere nickte vergnügt.

„Natürlich, was mir sonst noch an Glanz fehlt, ersetzt mein Titel.“

Sie ging an den lackierten schmalen Schrank, entnahm ihm ein sehr schlicht gearbeitetes weisses Stickereikleid, das sie, den grauen Hänger abstreifend, überwarf.

Else von Stein sah ihr dabei zu.

„Früher hätte ich mir nicht vorstellen können, dass sich eine leibhaftige, waschechte Prinzessin so ohne jede Hilfe anzuziehen versteht. Meine Urgrossmutter war Hofdame bei deiner Urgrossmutter, die aus russischem Fürstenhaus stammte. Meine selige Mutter erzählte mir noch von dem, was Urgrossmutter einst erzählte. Dass bei der Toilette der aus Russland gebürtigen Dame vier Zofen herumknicksen mussten und zwei Hofdamen.“

Margarete reckte die überschlanke, fast knabenhafte Gestalt, zupfte das Kleid zurecht.

„Wir Wulffenbergs sind arm, sehr arm, die russische Urgrossmutter soll sogar, weil sie so verschwenderisch gewesen, ein grosser Teil der Schuld treffen, dass wir so arm geworden sind.“

Sie musste an das Krönlein aus dunklem Golde denken, und an die glitzernden Steine daran. Sie verstand nichts von Juwelen, aber sie mussten grossen Wert besitzen, denn die Grossmama hatte gesagt, sie repräsentierten ein anständiges Vermögen.

Das Krönlein hatte noch kein Wulffenberg anzutasten gewagt, obwohl man dafür vielleicht so manches hätte anschaffen können, was den Wulffenbergs seit langem fehlte.

Else von Stein entnahm einer kleinen Vase, die auf dem Geburtstagstisch stand, eine mattgelbe Rose, befestigte sie am Halsausschnitt des weissen Kleides.

„Dein Haar müsste einmal unter die Hände eines geschickten Friseurs, der Barbier im Dorfe hat dich ganz verschandelt.“

Margarete machte eine gleichgültige Miene.

„Mir ist’s so schnuppe, wie ich aussehe, und Grossmama wird mich, was ich auch tue, immer hässlich finden. Als ich noch ganz klein war, hat sie mich manchmal verächtlich ‚Zigeunerbalg‘ genannt. Und eigentlich hat sie recht, denn ich bin zu dunkel und garstig. Alle Frauen unserer Familie sind blond oder gar goldblond gewesen, man kann sich ja davon in der Bibliothek, wo die Familienbilder hängen, überzeugen. Nur Mutter war dunkel, aber sie war doch sehr hübsch.“

Else von Stein dachte, dass die letzte Wulffenberg wahrscheinlich auch einmal so sehr hübsch werden würde, wie ihre Mutter gewesen, aber sie schwieg, Margarete glaubte ihr das doch nicht.

„Lernen brauche ich wohl heute nix,“ lächelte Margarete, „und nun ist’s auch Zeit, ich hörte es eben zwölf schlagen, Hans Westfal wartet.“

Sie verliess, ohne sich noch um eine Erwiderung zu kümmern, das kleine Zimmer, huschte über eine in den Park führende Wendeltreppe, die sehr selten benützt wurde, und wanderte dann durch einen von Strauchwerk fast verwachsenen Weg bis zur Mauer, die den rückseitigen Teil des Parkes begrenzte.

Ein niedriger, uralter Pavillon lehnte sich an die Mauer, eine Tür daneben führte direkt in den Wald, der noch zu Lebzeiten von Margaretes Vater Wulffenbergsches Eigentum gewesen, aber schon so stark verpfändet war, dass die Fürstin Alexandra ihn hatte abgeben müssen.

Herrlicher dichter Buchenwald war es, der jenseits der Mauer begann.

Nahe am Wald, nach rechts hinüber, lag der Dorffriedhof, unweit davon die Schmiede.

Margarete öffnete mit einem grossen Schlüssel, der in einer kleinen natürlichen Mauernische gut versteckt lag, die alte Eisentür. Doch Hans Westfal war noch nicht da.

Sie spähte aus.

O, da von rechts kam eilig eine kraftvolle Jungmännergestalt, ein Taschentüchlein flatterte ihr grüssend entgegen.

Margarete spürte ein Frohsein, dass sie dem Kommenden am liebsten laut entgegengejubelt hätte.

Schon hatte er sie erreicht.

Sie streckte ihm die Rechte entgegen, und das Frohsein in ihr ward stärker, als sie in die strahlenden Grauaugen sah, die etwas so Kraftvolles, Selbstbewusstes hatten, wie der ganze Mensch.

Sie zog Hans Westfal in den Park, in den Pavillon.

Sie wusste, bis hierher kam Grossmama auf ihren seltenen Spaziergängen nie, sie liebte es, nur im oberen Teil des Parks ein wenig auf und ab zu wandeln.

Der Pavillon enthielt wenig Mobilar. Ein altes Sofa mit brüchigem, fast farblos gewordenem Damast, zwei dazu passende Sessel und das Bild eines Buckligen in Narrentracht, das aus Zeiten stammte, da die Wulffenbergs noch sehr mächtig waren und auch der Hofnarr zu ihrer Kurzweil nötig gewesen.

Es sollte ein Westfal gewesen sein, ein Vorfahre der seit Jahrhunderten im Dorfe ansässigen Schmiedsfamilie.

Hans Westfal stand mitten im Pavillon, lachte Margarete an.

„Mädel, was bist du so gross geworden. Mutter hat mich schon darauf vorbereitet. Sie sagte mir, dass sie dich vorgestern gesehen und dir, wie ich ihr geschrieben, bestellt hätte, ich würde heute um zwölf am alten Platze sein.“ Er ward ernster, musterte Margarete scharf. „Bist doch noch dieselbe, Mädel, ich hatte nach Mutters Reden schon Angst, du hättest dich sehr verändert.“

Er fuhr sich über die Stirn, die sorgfältig gescheiteltes dunkelblondes Haar umrahmte.

„Einmal wirst du ja doch wohl eine grosse Veränderung durchmachen müssen, Gretel, einmal, wenn in dir die Prinzessin durchbricht. Du, Mädelchen, davor fürchte ich mich, denn dann ist unsere Jugend, die frischeste Jugend vorbei.“

Margarete zeigte lächelnd die schneeweissen Zähne

„Die Prinzessin in dem Sinne, wie du meinst, wird bei mir wohl nie durchbrechen.“

„Ja, Gott bewahre dich davor, dass das wahnwitzig hochmütige Wulffenbergblut einmal in dir wach wird, Mädelchen. Zu schade wäre es um dich.“

Margarete klopfte auf das Sofa, es flog kein Staub auf. Sie staubte öfter hier ab, es war alles noch sauber.

„Komm, Hans, wollen uns setzen, erzähle mir von deinem Studium und dem Leben draussen.“

Sie sassen dann nebeneinander, der ziemlich breitschulterige Hans Westfal, dessen helle, klare Züge freimütig und kühn waren, und die schmale, dunkelhaarige Prinzessin, in deren gelblich blassem Gesicht der allzu rote Mund von Gier nach Genuss sprach.

Dieser brennend rote Mund, der zu den tiefen, fast ein wenig melancholischen Blauaugen nicht zu passen schien.

Hans Westfal lächelte.

„Weisst du noch, Gretel, so wie heute treffen wir uns schon seit sechs Jahren und ich muss dir also seit sechs Jahren erzählen, wie es draussen in der Welt aussieht, wenigstens in dem kleinen Ausschnitt, den ich davon schon kennen lernte Vierzehn Jahre war ich, als ich hier zum ersten Male neben dir sass. Du warst ein pudelnärrisches kleines Ding, verehrtest mich wie einen Heiligen, weil ich dich vor einem durchgegangenen Pferd zurückriss. Zur Belohnung liessest du mich heimlich in den Park, zeigtest mir hier im Pavillon das Bild.“

Seine eine Hand wies zu dem ziemlich grossen Gemälde empor, das an der sonst kahlen gegenüberliegenden Wand hing.

„Du wusstest damals schon, dass der arme Kerl in dem bunten Lappenkleid und der Schelmenmütze ein Westfal gewesen und glaubtest mir mit der Mitteilung eine besondere Freude zu bereiten.“

Margarete unterbrach ihn.

„Die Zeiten sind ja längst vorbei, dass ein Mensch durch einen anderen öffentlich zum Narren erniedrigt werden konnte. Es braucht dich heute nicht mehr kränken, Hans, die Wulffenbergs, die einmal mächtig waren, sind heute arm, während die Nachkommen ihres Hofnarren begütert und wohlhabend wurden.“

Hans Westfal wandte ihr voll das Gesicht zu.

„Das stimmt, Gretel, aber es wurmt mich doch noch, wenn ich denke, dass ein Westfal hat Narrendienste tun und hat kuschen müssen vor übermütigem, launischem Herrenvolk.“

Seine Stirn, die sich eben verdüstert hatte, ward hell unter dem ein wenig mitleidigen Blick der dunkelblauen Augen.

„Reden wir von anderen Dingen! Vor allem, Gretel, meinen herzlichsten Glückwunsch.“ Er nahm ihre Rechte, drückte sie fest und innig. „Gretel, ich wünsche dir viel Gutes und Schönes, wünsche dir alles, was du dir vom Leben ersehnst und erhoffst!“

Das junge Mädchen blickte ins Leere.

„Ich habe nur den Wunsch, bald einmal hier heraus zu kommen und etwas von dem zu sehen, wovon man in den Büchern und Zeitungen liest.“ Ihr Blick traf jetzt den seinen. „Etwas Blutwarmes möchte ich erleben. Hier ist alles so verzaubert und schattenhaft.“

Er langte in seine Tasche.

„Gretel, ich habe dir auch ein kleines Geschenk mitgebracht.“

Er zog ein Etui hervor. „Du wurdest Ostern konfirmiert, ich konnte Ostern nicht kommen. Die Eltern besuchten mich in Charlottenburg, wollten sich auch einmal Berlin ansehen. Und den Ring hatte ich dir zur Konfirmation gekauft.“

„O, wie wunderhübsch!“

Margarete hielt den schmalen Goldreif ein wenig hoch, dass sich das Licht in den bunten Steinchen brach, mit denen Kreuz, Herz und Anker besetzt waren, die sich zur Breitseite des Ringes zusammenfügten.

Das Kreuz war aus winzigen Brillanten, das Herz aus kleinen Rubinen und der Anker aus Smaragden. Klar und weiss war die Farbe des Glaubens, rot die Liebe und die Hoffnung grün

Hans Westfal bat leise: „Stecke den Ring auf, trage ihn und —“

Margarete fiel ihm hastig ins Wort: „Grossmama würde fragen, von wem ich das Schmuckstück habe, und ich mag nicht lügen, sonst fände ich vielleicht eine Ausrede.“

Hans Westfals Stimme war ein wenig erregt.

„Nein, die Fürstin würde es nicht leiden, dass ein Nachkomme des Wulffenbergschen Hofnarren einer Wulffenberg einen Ring schenkt.“

Margarete sann flüchtig nach.

„Ich freue mich doch so sehr über dein wunderhübsches Geschenk, Hans. Bitte, sei nicht traurig, ich werde den Ring um den Hals tragen und manchmal, wenn ich genau weiss, Grossmama kümmert sich nicht um mich, was doch meist der Fall ist, dann stecke ich ihn an.“

Hans Westfal lächelte schon wieder.

„Gretel, ich komme gut voran auf der technischen Hochschule. Professor Tauber lädt mich oft ein, bespricht so vieles mit mir, man beneidet mich, nennt mich Streber. Aber das kümmert mich nicht.“ Seine Augen hatten jetzt einen fast schwärmerischen Schimmer. „Ach du, Gretel, ich kann ja mit niemand, ausser mit Professor Tauber, so von dem reden, was mich manchmal fast wehtuend quält. Er sagt, das sei der Betätigungsdrang in mir. Weisst du, oft sehe ich im Geiste wolkenhohe Eisentürme, sehe ich aufbäumende riesige Brücken, die über gewaltige Ströme führen und die schwersten Lasten tragen, dann wieder sehe ich über schwindelnde Abgründe eiserne Stege und mein Stolz ruft laut: Das alles wirst du später schaffen!“

Margaretes gelblich blasses Gesicht war von einer leichten Röte überhaucht.

„Du musst sehr glücklich sein, Hans. O, du ahnst nicht, wie ich dich um deine Arbeit, mit der du dir deine Zukunft bereitest, beneide. Wäre ich ein Junge, weiss der Himmel, ich wäre hier schon aus der Eintönigkeit fortgelaufen, so weit mich meine Beine trügen.“

Hans Westfal sagte langsam: „Wenn du ein Junge wärest, dann würdest du mein Freund sein, aber die Fürstin versteckte dich dann auch sicher nicht in der Einsamkeit. Wahrscheinlich sässest du dann auf einem Gymnasium und müsstest später studieren. Für ein Mädchen hält die Fürstin keinen besonderen Unterricht vonnöten. Erst war der Dorflehrer an der Reihe, dann der Pfarrer und seit zwei Jahren übt Fräulein von Stein Sprachen mit dir, liest dir über Literatur vor, auch klimpert ihr auf dem Klavier zusammen herum. Damit glaubt deine Grossmutter genug an dir getan zu haben.“

Das Letzte klang fast zornig.

Margarete neigte den schmalen Kopf.

„Grossmama sagt, ein Mädchen unserer Kreise brauche nichts anderes zu lernen und zu wissen. Die Hauptsache wäre, dass man in jeder Beziehung eine vollendete Dame würde. Nur darauf käme es bei unsereins an.“

Hans Westfals Stirn zeigte eine tiefe Falte.

„Die Fürstin beweist durch derartige Reden, dass sie vollkommen an der neuen Zeit vorbeilebt. Dass sie es, weil ihr die neue Zeit nicht gefällt, verschmäht, Augen und Ohren aufzutun.“ Er sprach lebhafter. „Der Adel darf sich heutzutage auf Grund alter, längst vermoderter Privilegien nicht mehr Dinge erlauben, die der Auffassung von Recht und Gesetz ins Gesicht schlagen. Ein adliger Name berechtigt nicht mehr zum Faulenzertum, und niemand findet mehr etwas dabei, wenn der Träger eines hohen, klangvollen Namens sich sein Brot auf anständige Weise verdient. Ein Studiengenosse von mir ist zum Beispiel ein Prinz Pilgrim, seine Schwester ist Direktrice in einem grossen Berliner Modehaus.“

Margarete sah ihn lächelnd an.

„Jetzt willst du mir natürlich einen Bären aufbinden. Eine Prinzessin Pilgrim kann doch nicht in einem Kleidergeschäft so was wie erste Verkäuferin sein?“

Hans Westfal empfand ein leichtes Unbehagen.

Die Art und Weise, wie Margarete die beiden Worte ‚Kleidergeschäft‘ und ‚Verkäuferin‘ betonte, hatte etwas Verächtliches.

„Ich scherze nicht etwa,“ gab er zurück, „sondern es verhält sich so, und die Prinzessin Pilgrim hat Kolleginnen. Im selben Geschäftshause mit ihr tut eine Komtesse Widland Mannequindienste oder deutlicher, sie ist dort Probiermamsell. Ich hörte auch, eine junge Baronesse ernähre sich als Fremdenführerin, da sie flüssig mehrere Sprachen beherrscht, und ihre Schwester sei Bureauvorsteherin bei einem Notar. Du siehst, Gretel, die neue Zeit ist schon von vielen eures Blutes richtig verstanden worden. Und es ist auch nötig. Die Entwicklung aller Lebensverhältnisse geht plötzlich voran, verlangt schmiegsame, biegsame Menschen, die sich rasch in neue Lagen zu finden wissen. Der Wind ist von Amerika über das grosse Wasser zu uns nach Europa geflogen. Der Wind, der wohl nicht alle Menschen gleich machen kann — denn dem setzen Unbegabte und Faule ein natürliches Hindernis entgegen — der aber allen, die zu lange im Schatten gestanden haben, einen wärmenden Platz an der Sonne vergönnt, und der auch ein bischen mit dem Ahnenkultus aufräumt.“

Margarete dachte an die Worte der Grossmama: Auf deine Ahnen musst du Rücksicht nehmen, auf alle die Fürsten und Fürstinnen Wulffenberg, die vor uns gelebt haben!

Sie sass ganz still, aber es war etwas in ihrer Haltung, das wie Abwehr gegen Hans Westfals Rede schien.

Vielleicht merkte er es wieder, wollte es aber nicht bemerken.

„Höre, Gretel, ich bin keiner, der sich irgendwie in Parteidebatten und Parteigezänk mischt, aber in den Parteien brodelt es zur Zeit wie in einem Hexenkessel, es erstehen täglich mehr Unzufriedene, die behaupten, vielen Menschen ginge es zu schlecht, weil es vielen anderen zu gut geht. Gesetze, an deren Ewigkeitsdauer man geglaubt hat, stürzen, und neue erheben sich, die unsere Vorfahren für unmöglich gehalten hätten. Ich gönne dir den Frieden von Wulffenberg. Trotzdem du dich nach dem bunten Leben da draussen sehnst, möchte ich, du bliebest hier, aber du musst dir Mühe geben, Verständnis aufzubringen für Dinge, die alles umkrempeln, was dir die Fürstin beibringt und was im Ahnenkultus gipfelt.“

Margarete lächelte.

„Wenn du ein Wulffenberg wärst, würdest du anders sprechen!“

Hans Westfal seufzte. Die Lehren der Fürstin sassen scheinbar schon zu fest in dem jungen Geschöpf, das von je entzückend liebenswert gewesen, so lange er es kannte, wenn es nicht manchmal der Hochmutsteufel in den Krallen hielt.

Er entsann sich, dass Margarete stets lieb wie ein Schwesterchen zu ihm gewesen, bis sie dann, durch irgendein Wort von ihm ihr hochfahrendstes Prinzessingesicht aufgesetzt.

Er sah sie an, fühlte sich diesem schmalen blassen Geschöpfe unendlich überlegen

Wie ein Beschützer kam er sich ihr gegenüber vor.

„Warte nur, Gretel, die Standesunterschiede werden mehr und mehr in der Welt abgeschafft, eines Tages, wenn ich etwas ganz Bedeutendes geworden bin, dann —“

Er stockte. Er hatte sagen wollen: dann wirst du meine Frau! Halb scherzend war es ihm auf die Lippen getreten.

Und nun brachte er es nicht über sich, es auszusprechen.

Es schien ihm plötzlich furchtbar ernst und schwerwiegend. Denn plötzlich ward er sich darüber klar, dass sich diese seltsame Kinderfreundschaft bei ihm zur Liebe gewandelt. In diesem Augenblick erst begriff er das vollständig.

Mit scheuer Zärtlichkeit huschte sein Blick über das mattgetönte Antlitz Margaretes, und ihm war es, als müsse er sich neigen und den brennend roten Mund küssen, der ihn lockte wie eine reife Frucht.

Seine einundzwanzig Jahre, die noch nie an müssige Tändeleien mit hübschen Mädchen gedacht, erkannten jählings, weshalb er sich so sehr auf das Wiedersehen mit Margarete gefreut.

Das Mädchen fragte: „Wenn du etwas ganz Bedeutendes geworden bist, was ist dann, was wolltest du sagen?“

Er erhob sich.

„Ich bin jetzt immer so zerstreut, beginne Sätze und weiss nachher nicht mehr, was ich eigentlich zu sagen beabsichtigte, so war es eben. Und jetzt muss ich gehen, sonst schimpft Mutter, der Braten, den sie meinetwegen macht, sei ihr verdorben.“

„Wann darf ich dich wieder erwarten, Hans?“ fragte Margarete.

„Uebermorgen, Gretel, danach fahre ich acht Tage zu Mutters Bruder, und wenn ich zurückkomme, treffen wir uns öfter. Lass dich doch auch einmal bei uns sehen.“

Margarete nickte. „Auf Wiedersehen, Hans. Vorläufig erwarte ich dich übermorgen wie heute, und nochmals, nimm herzlichsten Dank für den Ring.“ Ihre schmalen Arme hoben sich, ihre Hände legten sich auf seine Schultern. „Du bist ein lieber Mensch, Hans, der liebste, den ich kenne.“

Das Mädchengesicht war dem seinen jetzt so nahe, dass er nicht widerstehen konnte, er strich ihr mit der Rechten über die zarte Wange.

Margarete lächelte. „Meinst wohl, ich sei noch acht Jahre, Hans, damals hast du mich oft gestreichelt und dann hast du mir irgendwas Süsses mitgebracht, wenn ich dir meine winzigen Leiden klagte.“

Er trat einen Schritt zurück, denn der rote Mund war zu verführerisch nahe gewesen und er hätte sich schämen müssen, die Ruhe dieses Kinderherzens aufzuwühlen.

Du bist ein lieber Mensch, Hans, der liebste, den ich kenne! Die Worte wollte er wie einen köstlichen Schatz behalten. Vielleicht erfüllten sich seine ehrgeizigen Wünsche.

Keine Mühe und Arbeit wollte er sich verdriessen lassen, um zum Ziele zu kommen. Und dann würde er Margarete Wulffenberg fragen, ob aus der eigenartigen Kinderfreundschaft ein Bund fürs Leben werden konnte.

Margarete hatte ihn wohl auch lieb, deshalb hing sie so an ihm, nur war sich ihre grosse Jugend, die fernab allem Erleben wohnte, dessen noch nicht bewusst geworden.

In einigen Jahren sann sie wohl schon darüber nach, weshalb sie ihn seit Jahren immer so strahlend begrüsste, wenn er in den Ferien heimkehrte.

Als Gymnasiast hatte er manchmal mitleidig auf die Kleine niedergeblickt, die wie ein magerer, gerupfter Spatz aussah, und die von ihrer Grossmama jedem kindlichen Spiel mit Altersgenossinnen ferngehalten wurde.

Margarete beobachtete ihn.

„Was ist dir, Hans, habe ich dich gekränkt, du siehst so ernst und nachdenklich aus?“

Der junge Mann zeigte sofort eine heitere Miene.

„Du kannst mich gar nicht kränken, Gretel, überhaupt würde ich dir nichts Kränkendes glauben, seit du vorhin sagtest, ich sei für dich der liebste Mensch auf der Welt.“ Er nahm noch einmal ihre Hand. „Auf Wiedersehn, Gretel, auf Wiedersehn übermorgen!“

Er verliess auf demselben Weg, auf dem er gekommen, den Park.

Margarete aber kehrte noch einmal in den Pavillon zurück, setzte sich wieder auf das brüchige Sofa, liess den Ring an ihrem Finger in der strahlend hellen Julisonne funkeln.

„Glaube, Liebe Hoffnung,“ sagte sie leise vor sich hin und sah auf zu dem Bilde des Narren, der mit demütigem Gesicht und einem höhnischen Lächeln um die verkniffenen Lippen, niederschaute zu der letzten Wulffenberg, vor deren Ahnen er einst in dem Gewand aus grün und lila Dreiecken seine Possen hatte treiben müssen.

Um so tollere Possen, je mehr ihm das Herz im Leibe wehe getan.

Lange, lange war das her.

Damals gehörten den Fürsten Wulffenberg noch dreissig Dörfer oder mehr und Dutzende von Höfen. Heute schenkte der Nachkomme des Narren der letzten Wulffenberg einen Ring.

Es war ihr erster und einziger Ring, den sie besass, denn es gab keinen Schmuck mehr in der Familie, ausser der kleinen Krone, von der sie ja heute erst erfahren.

Margarete nickte dem Bilde zu.

„Darfst so höhnisch lächeln, wie du willst, Kaspar Westfal, das Glück ist jetzt auf Seite deiner Enkel. Die Enkel von denen, die dich einst quälten, sind arme Weibsleute, der Name, vor dem du dich ducken musstest, ist schon im Mannesstamm erloschen.“

Margarete war es, als blicke Kaspar Westfal jetzt zufriedener.

Sie sann allerlei, träumte mit offenen Augen in dem flimmernden, durch die hohen Scheiben brechenden Mittagssonnenschein, und dann fielen ihr die Lider zu.

Da bewegte sich plötzlich die Gestalt im Rahmen, wie es ihr schien, und stieg mit gravitätischer und sehr komisch anmutender Wichtigkeit nieder. Die kleinen blanken Schellen am zackiggeschnittenen Kragen fingen an zu läuten, die Schellen an der Narrenkappe verstärkten das Geräusch, das so klang, als ob ein Schlitten nahe

Margarete wollte aufspringen, wollte fliehen, doch vermochte sie kein Glied zu rühren vor Angst und Staunen.

Der Narr stand nun dicht vor ihr.

Er rückte mit den Schultern und da schwand sein Höcker und er war gerade gewachsen, genau wie Hans, sah ihm auch plötzlich zum Verwechseln ähnlich und jetzt sprach er auch mit der Stimme von Hans.

„Ich bin für dich der liebste Mensch, den du kennst und du bist mir das Liebste auf der weiten Welt, denke stets daran, Gretel.“

Durch die halbgeöffnete Tür des Pavillons blickte das frische hübsche Gesicht Fräulein von Steins.

Sie sah die Prinzessin in anscheinend tiefen Schlaf versunken.

Leise trat sie näher, fasste sie sanft an der Schulter.

„Gretel, wach auf, wach auf!“

Die grauen Blauaugen öffneten sich, blickten verständnislos umher.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis die Prinzessin begriff, dass sie eingeschlafen gewesen.

Sie schaute zu dem Bilde empor.

Der bucklige Narr, Kaspar Westfal, war nach wie vor in den schweren, schwarzen Rahmen gebannt.

Else von Stein lachte.

„Schlafmütze! Hast doch nicht etwa deinen Besuch verschlafen?“

Margarete schüttelte den Kopf, zeigte der Aeltesten den Ring.

„Mein Konfirmationsgeschenk!“ erklärte sie glücklich, „aber Grossmama darf es nicht sehen, sie ist so grenzenlos stolz und würde mir verbieten, von Hans Westfal Geschenke anzunehmen, denn bei ihr beginnen die Menschen erst beim Adeligen.“

Else von Stein nickte.

„Den Ring darfst du der Fürstin nie zeigen. Er ist überdies ziemlich kostbar. Doch nun komm, es ist gleich Tischzeit und wir dürfen Ihre Durchlaucht nicht warten lassen.“

Eilig gingen beide Mädchen dem Schlosse zu.

Else von Stein dachte, dass dieser Ring, wenn er der Fürstin vor die Augen käme, für Margarete eine böse Stunde heraufbeschwören würde.

Ob Hans Westfal der Prinzessin den Ring wohl in aller Harmlosigkeit gegeben hatte, oder ob da schon, wie sie vermutete, heimliche Wünsche mitsprachen, heimliche Zukunftswünsche?

Es war doch merkwürdig, dass dieser Einundzwanzigjährige noch immer so treu die eigenartige Kinderfreundschaft hielt.

Seit den zwei Jahren, die sie im Schlosse lebte, versäumte Hans Westfal es nie, bei seinen Ferienbesuchen ein paar Plauderstündchen mit Margarete im Pavillon abzuhalten.

Wenn das so weiterging, gab es eines Tages mit der Fürstin einen ordentlichen Tanz, darauf durften sich Hans Westfal und die Prinzessin schon heute gefasst machen.

Und falls sie selbst dann noch im Hause war, würde ihr die alte Dame die Hauptverantwortung zuschieben.

Und eigentlich nicht mit Unrecht.

„Else?“ Margarete blieb stehen.

„Was denn, Gretel?“

„Du, Hans Westfal ist wirklich der liebste Mensch, den ich kenne, ich habe ihm das heute auch gesagt.“

„Hmm!“ machte Else von Stein ganz lang gedehnt. Sie war doch sieben Jahre älter als die Prinzessin, und in diesem lang gedehnten Hmm! lag eine Menge Lebensweisheit, die Fräulein von Stein aber lieber für sich behielt.

Zwei Tage später liess Margarete den jungen Studierenden der Technischen Hochschule wieder in den Pavillon ein.

Hans Westfal sah so freudig erregt aus, dass es dem jungen Mädchen sofort auffiel.

Er lief im Pavillon umher, schien zu unruhig, um sich zu setzen.

„Ich kann nur ein paar Minuten, höchstens eine Viertelstunde bleiben, Gretel. Professor Tauber hat mir telegraphiert, er lädt mich nach München ein, wo er sich zurzeit aufhält. Er will von dort aus eine Umreise durch Bayern unternehmen, verschiedene technische Sehenswürdigkeiten will er beschauen und prüfen. Er möchte mich überallhin mitnehmen. Er strahlte. „Du, das ist eine grosse Auszeichnung, um die mich alle Studiengenossen beneiden würden. Ich reise natürlich! Heute schon fahre ich. In zwei Stunden muss ich fort und habe noch nicht gepackt. Mutter unterdrückte eine Träne, weil ihr Aeltester sie so bald wieder verlässt, aber sie begreift die Vorteile für mein Studium, meine Zukunft.“

Margarete neigte ein wenig den Kopf. Es tat ihr bitterleid, dass Hans schon wieder fort musste, dass es nun schon wieder vorbei war mit den reizvollen Zusammenkünften, aber es war ja für Hans gut, so in der Gunst seines Professors zu stehen.

Es bewies, dass Hans ein besonders Tüchtiger sein musste.

Sie hob den Kopf.

„Es ist schade, dass deine Ferien für mich schon zu Ende sind, aber ich freue mich mit dir über die Auszeichnung.“

Sie sahen sich beide an und in Hans Westfals Brust wuchs der hoffende Gedanke: Du willst dir das schmale Mädel erringen!

Wenn aus dem Backfischchen eine junge Dame geworden sein würde, dann musste er es geschafft haben, dann musste er es soweit gebracht haben, dass die hochmütige Fürstin ihm, wenn Margarete ihn liebte, die Hand der Enkelin nicht verweigern durfte.

Er trat ganz nahe an die Prinzessin heran.

„Nun werde ich erst im Spätherbst, vielleicht auch erst Weihnachten, wiederkommen. Frage nur um die Ferienzeiten bei meiner Mutter nach. Und dann Gretel, vergiss mich nicht, ich möchte dein bester Freund bleiben. Immer! Ich möchte für dich der liebste Mensch auf der Welt beiben! Immer!“

Margarete Wulffenberg hatte plötzlich Tränen in den Augen.

„Diesmal warst du gar zu kurz hier, wir haben uns gar nicht richtig ausplaudern können wie sonst,“ klagte sie, „das tut mir so leid.“

Er zog ein kleines Batisttuch aus der Brusttasche, fuhr ihr lächelnd über die Augen.

„Die kleine Gretel heult!“

Er wollte selbst über das Abschiedsweh hinwegkommen.

Nun lachte sie auch, lachte unter Tränen zu ihm auf.

„Lass es dir gut gehen, Hans, und auf frohes Wiedersehn.“

Herrgott, waren die tiefblauen, von Tränen schimmernden Augen schön! musste er denken.

Er strich über ihr Haar, leise und zart.

„Auf Wiedersehn, Gretel, auf Wiedersehn!“

Im Herbst kam Hans Westfal gar nicht nach Hause, Weihnachten, als er da war, musste Margarete wegen starker Erkältung das Zimmer hüten, und Ostern machte Hans mit Professor Tauber eine Mittelmeerreise.

Die Westfals waren wohlhabend genug, sie konnten ihrem Aeltesten, auf den die ganze Familie stolz war, dergleichen gestatten.

Frau Westfal, eine blonde derbe Frau, mit offenen, hübschen Zügen, erzählte der Prinzessin, was ihr Sohn alles zu sehen bekommen würde.

Portugal, Spanien, Marokko!

Sie kicherte verhalten.

„Wenn unsereins als Kind auf der Schule solche Namen hörte, dann hat’s einem ordentlich vor Andacht geschuckelt, so märchenweit klang das: Und nun fährt mein Junge dahin, wie andere hier in den Harz oder an den Rhein. Mein Alter sagt, ich mache schon ein ganz hochfahrendes Gesicht. Ach, Prinzessin, ich bin doch auch so stolz auf meinen Hans, so stolz, dass ich’s gar nicht beschreiben kann. Er hat ja schon, ehe er noch sein letztes Examen gemacht, eine einträgliche Stellung als Ingenieur bekommen, bei der grossen Frankfurter Firma Mannholz, die auch im Ausland die grössten Brückenbauten und dergleichen übernimmt. Professor Tauber hat mit dem Chef von Mannholz gesprochen, ihn warm empfohlen, und nun soll Hans schon nächstes Frühjahr, wenn er sein letztes Examen hinter sich hat, mit nach Indien. Ich weiss nicht mehr, wie das heisst, wohin er kommt, aber er muss mindestens zwei Jahre dortbleiben. Das ist mir das Schrecklichste, Prinzessin. Bedenken Sie, was das für eine Mutter heisst, zwei Jahre den geliebten Sohn zu entbehren!“ Sie seufzte. „Aber es geht um seine Zukunft. Sein Ehrgeiz will das alles doch, und dann kann ich meine Liebe nur am besten dadurch beweisen, dass ich mich füge, ihm nichts erschwere.“

Margarete war plötzlich unsäglich traurig zumute.

Zwei Jahre würde Hans fort sein, draussen in der weiten Welt. Und jetzt war er Ostern auch nicht gekommen, machte eine Mittelmeerreise, nun würde sie ihn erst im Juli sehen. An ihrem Geburtstag aber würden sie beide wieder im Pavillon sitzen.

Die Frau Schmiedemeister Westfal begleitete Margarete bis vor die Tür, kehrte gedankenvoll ins Haus zurück.

Sie hatte deutlich beobachtet, wie die blasse Haut der Prinzessin noch blasser geworden war, als sie das von den zwei Jahren erzählt hatte.

Das blutjunge Ding, das im Schlosse wie ein eingesperrtes Vöglein sass, hing viel zu viel an Hans und er an dem Mädelchen. Man konnte nicht wissen, wohin sich so etwas auswuchs. Beide wurden älter und mit der Fürstin wollte sie nichts mehr zu tun haben, das war die hochmütigste Frau, die es auf Erden gab.

Hockte in ihrem Bau, der mehr einem Eulennest als einem Schlosse glich, und „regierte“ immer noch, was ihre Vorfahren längst als hoffnungslos aufgegeben.

Und dann wurde es Sommer.

Margarete schlüpfte wieder täglich entweder in das grauleinene Kleid, in das rosa oder in das weisse. Die Fürstin hatte festgestellt, diesen Sommer genügten die drei Kleider noch. Sie waren, da Margarete gewachsen war, zwar etwas kürzer geworden, aber man trug ja jetzt sehr kurze Kleider.

Else von Stein hielt nur um Margaretes willen hier noch aus, die trostlose Einsamkeit legte sich oft wie ein Alpdruck auf ihre Brust. Eine begüterte Tante in Oberösterreich hatte ihr, der Elternlosen, angeboten, zu ihr zu kommen, aber sie hielt aus, die lebensunerfahrene Prinzessin tat ihr leid, sie mochte sie nicht im Stich lassen

Die Tante aus Oberösterreich schrieb wieder. Sie sei so allein, wolle reisen, aber sich mit keiner bezahlten Gesellschafterin einlassen. Sie sei so ängstlich und möchte keine Fremde um sich.

Else von Stein las Margarete den Brief vor, liess ihn dann in den Schoss sinken.

„Ich bleibe bei dir, Gretel. Wer weiss, wer sonst hier an meine Stelle rückt und dir dein Leben erschwert.“

Die Prinzessin lächelte tapfer.

„Du bist sehr lieb, Else, aber du solltest das Angebot deiner Tante annehmen. Vielleicht wartet bei ihr irgendwie das Glück auf dich. Hier findet das Glück ja nicht her, wir wohnen zu weit abseits von allen wichtigen Landstrassen und Eisenbahnlinien.“

„Ach, die Tante soll wenigstens noch ein Jahr warten, dann bist du siebzehn und eine junge Dame, brauchst keine Dresseuse mehr.“

Margarete sah die Aeltere an, um ihren roten Muno zuckte es leicht.

„Else, geh nur hier fort, denn es ist schade um dich, du versauerst hier in dieser Luft. Niemand besucht uns, nur Sonntags zu Tisch manchmal der uralte Dorfpfarrer. Ich will dich nicht halten, ich darf das nicht.“ Ihre Stimme bebte. „Und doch, wenn ich dir auch zurede, so kann ich mir doch gar nicht vorstellen, dass du eines Tages nicht mehr hier bist. Du bist von der ersten Stunde an so lieb und warmherzig zu mir gewesen.“

Die Fürstin Alexandra kam selten in das Zimmer ihrer Enkelin, heute aber wollte sie ihr einen Auftrag erteilen.

Sie stand gerade vor der Tür von Margaretes Zimmer und hörte drinnen das klare weiche Organ Fräulein von Steins.

Sie dachte nicht daran, zu lauschen, und dann zog sie die schon ausgestreckte Hand doch von der Klinke zurück, denn was sie zufällig vernahm, liess sie stutzen.

Die Stimme Else von Steins sagte eben: „Wenn du noch ein paar Jahre älter sein wirst, musst du einmal versuchen, hier aus der Einöde herauszukommen, musst mit eigenen Augen gucken, wie ganz anders alles in der Welt aussieht und zugeht, als es deine Grossmama sich selbst und dir einredet. Es geht republikanisch zu in der Welt und mit einem Titel allein kann man heutzutage nicht mehr viel erreichen —“

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, auf der Schwelle, vor den beiden bestürzt sich erhebenden Mädchen, stand Fürstin Alexandra.

Ein scharfer Blick unter den halbgeschlossenen Lidern traf die Gesellschafterin.

„Ich bin durch Zufall, oder vielleicht richtiger ausgedrückt, durch Fügung Ohrenzeugin Ihres letzten Satzes geworden, Fräulein von Stein. Ich muss Ihnen zuerst mein Erstaunen ausdrücken, dass Sie es wagen, eine Prinzessin Wulffenberg mit dem spiessbürgerlich verballhornten Vornamen ‚Gretel‘ und dem intimen ‚Du‘ anzusprechen. Wenn Ihnen meine Enkelin dazu das Recht gegeben haben sollte, was ich voraussetze, durften Sie doch nicht so dreist sein, von dem Recht Gebrauch zu machen. Ein Fräulein von Stein müsste wissen, was sich gehört. Ich nahm das auch an, sonst hätte ich nie daran gedacht, Ihnen die Vertrauensstellung bei der Prinzessin zu geben. Aber nicht nur die Dreistigkeit erregt mich. Viel mehr noch Ihr freier Ton. Sie predigen ja förmlich Umsturz! Anscheinend sind Sie vollkommen damit einverstanden, dass es jetzt republikanisch zugeht in der Welt. Meine Enkelin braucht diese republikanische Welt aber nicht kennen zu lernen. Der Name Wulffenberg wird sie in Kreise führen, in deren Lexikon das Wort ‚Republik‘ überhaupt nicht steht. Ich weiss, es gibt leider auch unter dem Adel umstürzlerische Elemente und dazu zählen anscheinend auch Sie. Solche Elemente aber gehören nicht in die Nähe der Fürstin Wulffenberg und ihrer Enkelin, und deshalb muss ich Sie ersuchen, Fräulein von Stein, noch heute das Schloss zu verlassen.“

Margaretes meist blasse Wangen waren von dunkler Röte überflammt.

„Grossmama, verzeihe, aber die Schuld trifft mich allein. Ich erlaubte Fräulein von Stein nicht nur, mich ‚Du‘ zu nennen, sondern ich bat sie sogar darum ganz flehentlich. Es klingt so lieb und warmherzig, wenn sie ‚Gretel‘ zu mir sagt. Im übrigen ist sie schon seit langem von ihrer Tante, Baronin Pürkner, aufgefordert worden, zu ihr zu kommen und nur aus reiner Freundschaft für mich ist sie geblieben. Else ist die Güte selbst.“

Die Fürstin machte eine unwillige Handbewegung.

„Bist du Fräulein von Steins Verteidiger? Ich stehe jedenfalls auf dem Standpunkt, dass sie das in sie gesetzte Vertrauen gröblich missbraucht und sich ungehörig benommen hat.“

Sie wandte ihr eiskaltes Gesicht Else von Stein zu.

„Ich glaubte, in Ihnen gerade eine gute Wahl getroffen zu haben, weil Sie ihr Lehrerinnenexamen mit Glanz bestanden, weil Ihre Urgrossmutter Hofdame bei einer Fürstin Wulffenberg gewesen und weil ich dachte, die Prinzessin hat an Ihnen eine verhältnismässig junge Gefährtin. Aber ich sehe ein, eine würdige, erfahrene Dame dürfte hier doch besser am Platze sein.“

Sie blickte über die hübsche Else von Stein hinweg ins Leere.

„Ich erwarte Sie in einer Stunde bei mir unten, um Ihr Gehalt in Empfang zu nehmen. Lassen Sie sich dann bei mir melden.“

„Jawohl, Durchlaucht!“

Else von Stein hatte gar keinen Versuch mehr gemacht, sich zu verteidigen. Sie verneigte sich vor der Fürstin, die jetzt das schmale Zimmer verliess.

Die beiden Mädchen sahen sich ein Weilchen stumm an, dann sang Else, mit einem Spitzbubenlächeln um den Mund, halblaut den Kehrreim eines alten Kuplets: „Siehst du wohl, siehst du wohl, das kommt davon!“

Aber gleich ward sie wieder ernst.

„Schade, Gretel, dass wir uns nun doch trennen müssen. Ich hätte gern noch ein Weilchen ausgehalten hier, deinetwegen.“

Margarete wurde traurig: „Ich muss eben sehen, wie ich allein fertig werde. Aber grässlich ist es mir, dass dich Grossmama so heruntergeputzt hat.“

Else von Stein schnippte mit den Fingern.

„Nicht soviel machte ich mir daraus, denn von ihrem Standpunkt hat sie recht, wenn ich ihren Standpunkt auch nicht verstehe. Mir tut es nur leid, dich verlassen zu müssen.“

Margarete fing plötzlich an zu weinen.

„Alle verlassen mich! Hans Westfal reist im Frühjahr als Ingenieur nach Indien für zwei Jahre, wer weiss, wie weit du mit deiner Tante herumkommst in der Welt, nur ich muss bleiben und in dem stumpfsinnigen Auf und Ab der Tage hier weiterleben. Es ist unerträglich.“

Die Aeltere legte zärtlich den Arm um die Schultern des erregten Mädchens

„Gretel, du darfst dich nicht in solche Verzweiflung hineinreden. Du bist doch noch sehr, sehr jung und hast also noch viel Zeit vor dir, die Welt kennen zu lernen. Wirst auch eines Tages hier herauskommen. Vorläufig hat das noch keine Eile. Sei vernünftig, Gretelchen, mach uns den Abschied nicht zu schwer. Und nun komm mit zur Post, ich will eine Depesche an meine Tante aufgeben und wenn wir zurück sind, muss ich bei der Fürstin antreten.“

Else von Stein hatte vorhin aufgehorcht. Im Frühjahr reiste Hans Westfal für zwei Jahre nach Indien? Das hatte die Prinzessin in ihrer Erregung mit herausgestossen, vorher hatte sie nichts davon erwähnt.

Sie dachte bei sich, dass es so gut war für Margarete. Die zwei Jahre würden doch wohl einen Keil zwischen die Freundschaft der Letzten aus dem Hause Wulffenberg und dem Sohn des Dorfschmiedes treiben. Wenn das nicht geschah, sah sie böse Stunden für Margarete voraus.

Am Nachmittag reiste Else von Stein schon. Sie fuhr vom Dorf aus mit dem Postauto bis zur Bahnstation.

Die Prinzessin schluchzte beim Abschied laut auf und viele Tage nachher noch trat sie der Fürstin mit verweinten Augen entgegen, denn sie weinte täglich, bis dann eines Nachmittags Ersatz für Fräulein von Stein ankam.

Margarete wurde von dem Mädchen zu der Fürstin gerufen und dort sass eine sehr dürre Dame mit grauem Haar, die ihr als Fräulein von Keller vorgestellt wurde, und die ihr eine untertänige Verbeugung machte, die einem Hofknix ähnelte

Feindselig musterte Margarete die „Neue“ und nahm sich vor, sie recht schlecht zu behandeln, denn diese allzu ergeben dreinblickende Dame gefiel ihr ganz und gar nicht.

Fräulein Antonie von Keller aber musste ein wahres Elefantenfell haben, stellte Margarete fest, denn sie nahm nichts übel und liess sich nicht wieder weggraulen.

Und immer war sie in ihrer Nähe. Sie konnte keinen Ausgang mehr allein unternehmen.

Schliesslich wurde ihr die Sache zu dumm.

Fräulein von Keller war mit ihr in den Park gegangen, obwohl Margarete deutlich genug erklärt hatte, sie wünsche, allein im Park spazieren zu gehen.

Sie machte vor einem blühenden Fliederbusch halt.

„Fräulein von Keller, ich sehne mich danach, ein bisschen ohne Ihre unerträgliche Gesellschaft zu sein, vielleicht befreien Sie mich jetzt für ein Weilchen davon.“

Sie war sich voll und ganz des schroffen Tones und der unfreundlichen Worte bewusst, aber auf Liebenswürdigkeit reagierte Antonie von Keller gar nicht.

Die Dame blieb in höflich ergebener Haltung vor ihr stehen.

„Ich folge nicht meinen eigenen Wünschen, Prinzessin, wenn ich Ihnen zuweilen aufdringlich erscheine, sondern tue meine Pflicht, wie sie Durchlaucht von mir fordert.“

Margarete biss sich auf die Lippen. Das sah der Grossmama ähnlich. Also nahm sie ihr durch die Aufpasserin das letzte bisschen Freiheit fort.

Sie durfte nichts gegen die Fürstin äussern, schweigend und schlecht gelaunt, wanderte sie weiter durch den Park. Neben ihr, mit der gewohnt ergebenen Miene, schritt Antonie von Keller.

„Prinzessin,“ begann Fräulein von Keller nach einem Weilchen, „es tut mir sehr leid, von Ihnen falsch beurteilt zu werden, ebenso wie Ihre Durchlaucht von Ihnen anscheinend falsch beurteilt wird. Die Fürstin muss doch vor allem darauf sehen, dass Sie in der Denkungsweise aufwachsen, wie sie für ein Mitglied Ihres hohen Hauses selbstverständlich ist. Das erfordert die Tradition. Sie sind die Letzte aus dem Hause Wulffenberg und alle Hoffnungen und Wünsche der Fürstin sammeln sich noch einmal um Ihre Person, Prinzessin. Sie stehen im Mittelpunkt dieser Hoffnungen und Wünsche. Sie sind noch jung, sind leicht empfänglich für fremde Einflüsse, dagegen will und muss Ihre Durchlaucht Sie schützen. Sie meint es gut mit Ihnen.“

Margarete ging stumm an der Seite der grauhaarigen Dame durch den sommerlichen Park, der gar nicht mehr gepflegt wurde und einer blühenden Wildnis glich.

Sie hörte wohl zu, aber die Worte fanden nur ihr Ohr, nicht ihr Herz.

Fräulein von Keller seufzte.

„Ich bin Ihnen unsympathisch, Prinzessin, und Ihnen wäre es am liebsten, wenn ich heute noch das Schloss verlassen würde, deutlich genug lassen Sie es mich ja merken.“ Sie schüttelte den Kopf. „Glauben Sie mir, Prinzessin, es ist ein sehr, sehr peinlicher Gedanke, trotzdem aushalten zu müssen.“

Margaretes Augen blitzten sie an.

„Dann gehen Sie doch! Weshalb wollen Sie denn dann durchaus hierbleiben? Nein, ich mag Sie nicht, mag Sie gar nicht! Und nun laufen Sie zu meiner Grossmama, verklatschen Sie mich und kündigen Sie Ihre Stellung.“

Beide waren wieder stehen geblieben.

Antonie von Keller hatte flackernde Röte auf den schon welken Wangen.

„Nein, Prinzessin, ich werde Sie weder verklatschen, noch meine Stellung kündigen, denn ich bin froh, ein Dach über dem Kopf zu haben und soviel Essen, dass ich satt werde. Höhere Wünsche habe ich nicht mehr, längst nicht mehr und ich hatte einmal so viele Wünsche.“

Sie wies auf eine Bank unter dichtem Holunderstrauch, dessen schwarze Beeren tief niederhingen.

„Wollen wir uns dorthin setzen, Prinzessin?“

Es klang sehr bittend.

Margarete dachte, es war ja gleich, ob sie herumspazierte oder sich setzte.

Sie nahm auf der alten Bank Platz.

Unfern standen zwei Göttinnen aus Sandstein, Efeu legte sich um ihre Glieder wie ein enges dunkelgrünes Gewand.

Fräulein von Keller lächelte mit schmerzlich tief niedergebogenen Mundwinkeln.

„Ich hatte einmal sehr viele Wünsche, als ich noch hübsch und jung war. Aber der Mann, den ich liebte, starb, ich musste mein Brot unter Fremden verdienen, ward überall herumgeschubst, bis ich, älter werdend, immer schwerer Unterschlupf fand. Wo aber soll eine alte Person, wie ich bin, noch hin? Heute herrscht die Jugend allüberall und unsereins muss froh sein, wenn noch irgendein Plätzchen frei bleibt, in das man sich hineindrücken kann. Dafür tut man viel, dafür verleugnet man, wenn es verlangt wird, seine Ueberzeugung.“ Sie atmete tief. „Und das brauche ich nicht einmal, denn ich stehe auf dem Standpunkt, wir Menschen sollen nicht alle gleich sein, wie es die Modernen fordern, für mich gibt es Auserwählte. Ich habe den Respekt vor Kronen im Blut, und ich bin stolz darauf, nach Schloss Wulffenberg berufen worden zu sein. Aber von alledem abgesehen, versichere ich Ihnen, Prinzessin, Sie können tun, was Sie wollen, freiwillig verlasse ich meinen Posten nicht, denn das, was Sie bisher bei mir sicher Dickfelligkeit nannten, ist wirklich nichts weiter als Selbsterhaltungstrieb.

Margarete, die geradeaus geschaut hatte auf die Sandsteindamen in den Efeutoiletten, vernahm neben sich mühsam gebändigtes Schluchzen.

Ihr gutes Herz meldete sich

„Meinetwegen brauchen Sie das Schloss nicht zu verlassen, Fräulein von Keller,“ sagte sie freundlicheren Tones, „denn wir beide wissen schliesslich schon, wie mir miteinander daran sind und mit Ihrer Nachfolgerin falle ich vielleicht noch mehr rein, wie mit Ihnen!“

Die dürre Dame versuchte ein strahlendes Gesicht zu machen, doch das hatte sie, weil sie von je zu wenig Gelegenheit dazu gehabt, längst verlernt, es reichte nur noch zu einer Grimasse.

Margarete fand sich von dieser Stunde an mit der alten Gesellschafterin ab und allmählich begann das respektvolle Wesen, das Fräulein von Keller ihr gegenüber zur Schau trug, auf sie zu wirken. Sie fing an, mehr Gewicht auf ihren Rang zu legen. Der Wulffenbergsche Hochmut, den Else von Stein in ihr bekämpft und unterbunden, schnellte hoch und als sie zu Hans Westfals Mutter kam, da fand die einfache Frau, die Prinzessin hatte sich verändert.

Nicht zum Vorteil.

„Sie wird einmal so hochmütig wie die Fürstin, Hans,“ meinte sie, „und wenn du klug bist, redest du dir auf Grund eurer Kinderfreundschaft nicht etwa in etwas hinein, was nachher wehe tut, wenn man es sich abgewöhnen muss.“

Hans Westfal lachte fröhlich und antwortete: „Ich fürchte mich nicht davor, Mutter, denn im Grunde ist Gretel ein liebes, harmloses Geschöpf. Ich glaube nicht, dass sie einmal Ihrer Durchlaucht gleichen wird.“

Er eilte zur Zusammenkunft.

Die Mutter sah Dinge, die es nicht gab.

Aber heimlich lachte er, weil die Mutter von später gesprochen. Beim Himmel, wenn es so weit war, dann wollte er es mit allen hochmütigen Fürstinnen der Welt aufnehmen um eines geliebten Mädchens willen.

Erst aber galt es etwas zu werden und solange Margarete zu verschweigen, an was er doch mit der Seligkeit dachte, die wohl nur erste Liebe auslöst.

Margarete war heute sechzehn Jahre.

Er stand dann vor der Pforte an der Rückseite des Parks, und Margarete öffnete nach einem Weilchen. Sie trug das weisse Kleid, das sie am selben Tage des vorigen Jahres getragen, und er dachte ein bisschen gerührt, dass sich jede kleine Verkäuferin bestens bedankt hätte, das verwaschene, ausgewachsene Fähnchen zu tragen.

Es durchzuckte ihn, wie wunderschön das sein musste, wenn er Margarete später elegante, geschmackvolle Kleider kaufen würde.

Seine Augen lachten ihr entgegen.

Wie ein warmer Strom ging es durch den Körper des schlanken Mädchens.

Um wie vieles stattlicher Hans Westfal geworden war, dachte Margarete. Sie reichte ihm impulsiv beide Hände, errötete ein wenig.

„Ich benehme mich gar nicht wie eine richtige Prinzessin. Meine Neue behauptet, ich müsse zurückhaltender im Wesen werden!“ Sie lachte vergnügt. „Dir gegenüber bekäme ich das gar nicht fertig.“ Sie nickte ihm zu. „Wir haben uns lange nicht gesehen, Hans.“

Er wollte auf den Pavillon zu.

Margarete machte eine abwehrende Gebärde.

„Wollen uns da links auf die Bank setzen, ich kam nicht gut los, die Neue beschützt mich nämlich auf Schritt und Tritt, und da musste ich ihr, um allein wegzukommen, das Geheimnis unserer Kinderfreundschaft und unserer Zusammenkünfte lüften. Sie hat dann gemeint, wenn ich mit dir dort auf der Bank plaudern würde, wolle sie mich nicht begleiten. Aber ich darf nicht länger als zwanzig Minuten mit dir zusammen sein. Ich habe das versprochen.“ Sie zögerte. „Sonst wäre ich sie nicht los geworden.“

Hans Westfal machte ein sehr törichtes Gesicht und er empfand das auch. Es tat ihm weh, dass nun eine ganz fremde Person von der reizvollen Heimlichkeit wusste, die er so sehr liebte.

Wie eine Profanierung erschien es ihm.

Er wusste schon von seiner Mutter, dass Fräulein von Stein einer älteren, stocksteifen Dame hat Platz machen müssen.

Er sagte ein bisschen erregt: „Schade, Gretel, dass deine Duenna meine Ferienfreude so beschneidet.“

Sie sassen dann auf der Bank nahe der Mauer, sahen seitlich den Pavillon, und Hans Westfal war es, als sei der alte Pavillon mit den paar brüchigen Polstermöbeln und dem Bild des Narren, der seines Blutes war, ein verlorenes Paradies.

Er erzählte von seinen Plänen, aber er hatte dabei das Gefühl, es klang alles, was er doch so tief und warm empfand, nüchtern und steif.

Dann schaute Margarete flüchtig auf ihre silberne Armbanduhr, da fragte er mit leichter Schärfe im Ton: „Die mir gütigst bewilligten zwanzig Minuten sind wohl um und ist damit die Audienz wohl zu Ende?“

Er erhob sich hastig.

Margarete sah ihn traurig an.

„Weshalb sprichst du so bitter und spöttisch? Ich kann doch auch nichts dafür, dass Fräulein von Keller meint —“

Er unterbrach sie.

„Es ist sehr traurig für dich, Gretel, dass die junge, liebenswürdige und vernünftig denkende Stein, die wie eine Freundin zu dir war, hat gehen müssen, um einer Art Hofdame Platz zu machen. Arme Prinzessinnen brauchen vernünftige, der neuen Zeit Zugeständnisse machende Menschen um sich, keine verkalkten Hofschranzen.“

Margaretes rote Lippen zuckten.

„Denkst du, ich fühle mich jetzt besonders wohl? Ich wünsche auch, Else Stein wäre noch bei mir, aber immerhin —“ sie schob eine nachdenkliche Pause ein, „ganz unrecht können Grossmama und die Keller doch auch nicht haben: Ich bin doch nun einmal eine Prinzessin!“

Es war ohne jede Unterstreichung gesprochen. Aber vielleicht rebellierte in Hans Westfal noch ein Tropfen jenes Blutes, das einst durch seines Ahnen, des Hofnarren Kaspar Westfals Adern rann, denn ihm schien der letzte Satz Margaretes wie das Hinwerfen eines Trumpfkartenblattes, oder wie ein hochfahrender Hinweis auf den sozialen Unterschied zwischen der Prinzessin Wulffenberg und dem Sohn des Dorfschmiedes.

Er verneigte sich.

„Lebewohl, Gretel, und auf Wiedersehen, wenn uns der Zufall wieder zusammenführen sollte. Hierher komme ich nicht mehr zu heimlicher Audienz.“

„Aber, Hans, du redest ja Unsinn!“

Margarete war ganz jämmerlich zumute bei dem Gedanken, sie könne Hans Westfal vielleicht nicht mehr wiedersehen.

In diesem Augenblick knackte es in der Nähe und gleich darauf stand die dürre Gestalt Fräulein von Kellers vor den Beiden.

Die ältliche Dame trug ein graues, stark hinter der Mode zurückgebliebenes Seidenkleid, das nur die Fussspitzen sehen liess, ein Rüschenfichu deckte Hals und Brust und die grauen Scheitel lagen wie festgeleimt über der etwas eckigen Stirn.

Fräulein von Keller nahm nicht die geringste Notiz von Hans Westfal, tat, als wäre er gar nicht vorhanden.

„Prinzessin, Sie wünschten zwanzig Minuten im Park zu verbringen, ich erlaube mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass bereits eine halbe Stunde verflossen ist. Wir können wohl gemeinsam ins Schloss zurückkehren?“

Margarete sagte laut: „Es kommt wohl auf ein paar Minuten nicht an. Und nun möchte ich Ihnen meinen Freund Hans Westfal vorstellen.“

Jetzt geruhte die dürre Dame dem jungen Mann einen Blick zu schenken.

Sie schloss halb die Lider, wie sie das von der Fürstin kannte, suchte ihrem verkümmerten Gesicht die Maske der Herablassung vorzubinden. —

„Ah, Sie sind der frühere Lebensretter, der einmal das achtjährige Prinzesschen vor einem wild gewordenen Pferd fortriss und zugleich, was wohl noch interessanter ist, ein Nachfahre des Wulffenbergschen buckligen Hofnarren.“

Sie wies auf den Pavillon.

Das Blut schoss Hans Westfal bis zu den Schläfen.

Das also hatte Margarete der grässlichen, stocksteifen Duenna erzählt, dass diese es ihm nun hinwarf wie eine Demütigung?

Er richtete sich stolz auf.

„Jawohl, meine Dame, ich bin ein Nachfahre Kaspar Westfals, aber es ist viel Zeit seither vergangen. So viel, dass man es gar nicht mehr begreifen kann, dass sich Menschen anmassen durften, Mitmenschen zu ihren Narren zu stempeln, Mitmenschen, die wahrscheinlich klüger waren als sie, nur rechtloser, weil sie arm waren.“

Fräulein von Keller lächelte mokant.

„Sie vergessen, es handelt sich nicht nur um den Unterschied zwischen reich und arm, sondern um gewaltige Standesunterschiede.“

„Die mittelalterlichen Vorurteile liegen in ihren letzten Zuckungen, auf das Herz, auf die Gesinnung kommt es bei der Bewertung eines Menschen an, bald werden wir hoffentlich so weit sein, dass diese Ansicht als allgültiges Gesetz gilt und —“

„Ich habe leider keine Zeit, Herr Westfal,“ fiel ihm die dürre Dame ins Wort, „ausserdem interessiere ich mich nicht für Kommunismus!“

Hans Westfal war verblüfft. Die Auffassung Fräulein von Kellers belustigte ihn, er musste laut lachen.

Da fiel sein Blick auf Margarete.

Sie sah ihn bittend an.

Er streckte ihr die Hand entgegen.

„Es war nicht nötig, Gretel, dass du einer Fremden von unserem Freund im Pavillon erzähltest.“

Margarete schämte sich, denn Hans hatte recht. Wie von einer Familienschande hatte Fräulein von Keller den buckligen Hofnarren erwähnt und sie hatte sich eigentlich gar nichts dabei gedacht, als sie ihr von Kasper Westfal gesprochen.

Nun fühlte sich Hans gekränkt.

Sie wollte etwas recht Freundliches sagen, doch er hatte ihre Hand schon wieder fallen lassen, lächelte ihr ein rasch verwehtes Lächeln zu und sich von Fräulein von Keller mit kurzer, abgehackter Verbeugung verabschiedend, ging er auf die nahe Tür in der Mauer zu.

Margarete verharrte wie gelähmt.

Irgend etwas würgte ihr in der Kehle, quälte sie.

Sie wollte rufen: Hans, bleib! denn sie fühlte es, Hans Westfal würde den Weg hierher, den er seit Jahren so oft gefunden, nicht mehr finden.

Fräulein von Keller berührte sie an der Schulter

„Dieser Herr Westfal hat keine Manieren! Kommen Sie, Prinzessin, die Fürstin wünscht Sie bald zu sprechen.“

Margarete schüttelte die knochigen Finger von ihrer Schulter, denn eben schlug die kleine Pforte in der Mauer dumpf ins Schloss.

„Hans!“ wie ein unartikulierter Laut zwang sich der Name über die Mädchenlippen.

Fräulein von Keller sagte erregt: „Lassen Sie den Menschen doch laufen. Es ist doch überhaupt unhaltbar dieses ‚Freundschaftsbündnis‘, bringt Ihnen nur Aerger und Sorge

Denn wenn Durchlaucht davon erfährt —“

Margarete rannte nach der Pforte, an ihr vorbei jagte die dürre Dame, stellte sich mit weitausgebreiteten Armen vor die Tür.

„Sie dürfen dem Menschen nicht nachlaufen, ich dulde es nicht, Prinzessin. Tun Sie es aber, dann gehe ich schnurstracks zur Fürstin, und erzähle, was ich weiss.“

Margarete atmete hastig.

„Ob Sie nun der Grossmama noch etwas erzählen oder nicht, darauf kommt es schon gar nicht mehr an. Ich hatte, ohne mir etwas dabei zu denken, zu Ihnen von dem Bild im Pavillon geredet, und Sie haben Hans Westfal seine Verwandtschaft mit dem Hofnarren wie einen Schimpf entgegengehalten. Für ihn aber kommt der Schimpf von mir. Und nun zürnt er mir und war heute zum letzten Male hier.“ Sie wandte sich. „Ich will auf mein Zimmer gehen, weil ich —“

Sie beendete den Satz nicht, rannte plötzlich fort.

Kopfschüttelnd schaute ihr Fräulein von Keller nach. Sie war wohl gerade zur rechten Zeit nach Schloss Wulffenberg gekommen, denn ihre Vorgängerin, dieses junge Fräulein von Stein, hatte anscheinend diese dumme Geschichte unterstützt, die doch zu nichts Gutem führen konnte.

Der junge Westfal, den sie selbst nicht übel fand, liebte die Prinzessin, darüber gab es keinen Zweifel, und in ein paar Jahren wäre die Letzte aus dem Hause Wulffenberg auch so weit gewesen, dass die die Gefühle des Dorfschmiedsohnes erwidert hätte.

Gut, dass sie das Vertrauen, das die Fürstin in die Gesellschafterin ihrer Enkelin setzte, besser zu schätzen wusste, wie Fräulein von Stein.

In der stolzen Ueberzeugung, streng korrekt gehandelt zu haben, folgte sie Margarete.

Die junge Prinzessin aber hatte sich in ihr Zimmer eingeriegelt und weinte herzbrechend, und dann fiel ihr ein, neben der Bank, auf der sie mit Hans gesessen, stand auf einem abgehauenen Baumstamm eine wunderhübsche Bonbonniere, die ihr Hans als Geburtstagsgeschenk mitgebracht.

Sie eilte wieder in den Park, holte das Schächtelchen und schlich damit in den Pavillon.

Mochte die Keller sie suchen.

Sie hockte nun auf dem alten Sofa, stopfte Pralinen in den Mund und hielt Zwiesprache mit Kasper Westfal.

Sie sagte leise zu ihm: „Du bist eben ein ganz, ganz armer Narr gewesen!“

Und da war es ihr, als bewegten sich die gemalten Schelmenlippen, erwiderten ihr: „Ein armer Narr bist auch du, warte es ab, wirst noch dahinter kommen.“

Margarete erhob sich scheu und fröstelnd. Sie fühlte sich gar so müde und abgespannt.

Sie traf in der Vorhalle des Schlosses die Fürstin.

„Komm mit in mein Zimmer, Margarete, es ist ein Brief gekommen, der dich auch interessieren wird. Wir werden nämlich morgen Besuch bekommen, meine Jugendfreundin, Renate Rödnitz und ihr Enkel werden uns besuchen. Ich lud sie schon vor längerer Zeit ein, jetzt wollen sie mir endlich die Freude machen.“

Prinzessin Renate Rödnitz und ihr Enkel, Prinz Erwin, waren mit der alten Kalesche, die ihr die Fürstin an die Bahn geschickt, vorgefahren und die weisshaarige Durchlaucht schritt die kleine Freitreppe hinunter, um die Jugendfreundin, mit der sie brieflich stets in Verbindung geblieben, zu begrüssen.

Erwin Rödnitz war sehr schlank und elegant, aber ein leichter Zug von Verlebtheit lag schon über dem rassigen, hübschen Gesicht.

Fürstin Alexandra wusste genau, warum sie die Prinzessin letzthin immer wieder eingeladen. Ihr war Prinz Erwin eingefallen, der vielleicht als zukünftiger Gatte Margaretes in Frage kommen konnte.

Die Rödnitz waren von altem Stamme, wie die Wulffenberg, und Erwin der Letzte des Hauses. Sie waren noch leidlich vermögend, die alte Prinzessin, seine Grossmutter, war eine gute Rechnerin.

Am Tage vorher waren einige bestellte Kleider für Margarete angekommen und auch eine Zofe, die ziemlich hohe Ansprüche machte, dafür aber ondulieren, maniküren, pediküren, massieren, überhaupt alles konnte, was auf ieren oder üren endete.

Sie war vordem bei einem Filmstar gewesen und verstand sich auf Mode und Schick.

Doch fand Luise Moldenhauer schon nach vierundzwanzig Stunden heraus, dass der Unterschied zwischen einem grossstädtischen Filmstar und einer in einem versteckten Odenwaldschlosse lebenden Prinzessin so gewaltig war, wie sie ihn gar nicht für möglich gehalten. Allerdings war der Filmstar im Alter nahe den Vierzigern gewesen und diese Prinzessin war noch so jung, dass sie auch eigentlich noch nichts wissen brauchte von all den kosmetischen Mitteln, die es gab zur Erhöhung der Schönheit und Vertuschung des Alters.

Sie hatte sich also an den vom Dorfbarbier miserabel verschnittenen Bubikopf herangemacht und ihn in Form gebracht. Die alte Durchlaucht hatte verblüfft erkennen müssen, wie eine kleidsame Haartracht doch den ganzen Menschen zu verändern vermochte.

Entzückend sah Margarete jetzt aus mit dem leicht gewellten Haar, ganz anders sah sie aus.

Schön nicht, dazu war das Gesicht zu unregelmässig, aber sehr interessant.

Das fand auch Erwin Rödnitz, den seine Grossmutter fast gegen seinen Willen mitgeschleppt hatte nach Wulffenberg. Er hing sehr an seiner einzigen, alten Verwandten, und nachdem er Margarete gesehen, war er einem Eheplan gar nicht abgeneigt. Mit der blutjungen, etwas exotisch wirkenden Prinzessin konnte er sich sehen lassen. Schade, dass sie kein Vermögen besass.

Margarete war fortan viel mit Erwin Rödnitz zusammen. Sein frischer Ton, seine Lustigkeit gefielen ihr und sie wanderten zusammen durchs Dorf, als kannten sie sich seit langem.

Hans Westfal sich die beiden von weitem und wich ihnen aus.

Seine Mutter sagte: „Die neue Zofe hat überall erzählt, die Prinzessin soll den jungen Prinzen heiraten. Sie habe gehört, dass die Durchlaucht zu ihrer Freundin geäussert hätte, die beiden passten vorzüglich zusammen, und wenn ihre Enkelin auch noch sehr jung wäre, so könne sie selbst doch ruhig sterben, wenn die Letzte aus dem Hause Wulffenberg standesgemäss versorgt sei.“

Hans Westfal hörte äusserlich ruhig mit an, was seine Mutter ihm berichtete.

„Dienstbotenklatsch!“ sagte er dann fast heftig.

Die Mutter sah ihn prüfend an.

„Junge, lieber Junge, es handelt sich um mehr als Dienstbotenklatsch. Schlage dir das Mädel aus dem Kopf, sie ist nichts für dich.“

Er dachte an das letzte Beisammensein mit Margarete, erinnerte sich daran, was Fräulein von Keller zu ihm gesagt.

Er senkte den Kopf. Die vernünftig denkende Mutter hatte recht, und wenn Margarete auch nur ein wenig an ihm gelegen wäre, dann hätte sie nach dem unerfreulichen Ausgang letzthin den Versuch gemacht, ihn im Schmiedehaus zu sprechen.

Die Kinderfreundschaft war zu Ende und mit seiner Liebe musste er fertig werden.

Er reiste schon ein paar Tage vor Ferienschluss ab, und als er im Herbst wiederkam, hörte er, die blutjunge Prinzessin wäre die Braut des Prinzen Rödnitz geworden. An ihrem siebzehnten Geburtstag sei die Hochzeit.

Die Mutter meinte tröstend: „Sei froh, Hans, dass alles so gekommen. Deine Wünsche hätten nur Kämpfe und Sorgen heraufbeschworen!“

Weihnachten hörte er, die Durchlaucht und Prinzessin Margarete wären mit der Gesellschafterin und Zofe nach Gut Rödnitz in der Mark Brandenburg gereist, und eines Morgens kam während dieser Ferien ein Brief im Schmiedehaus an, der seine Adresse trug.

Hans blickte fast betroffen auf die schmalen, steilen Buchstaben, las den Absendervermerk: Margarete Wulffenberg in Rödnitz, Mark Brandenburg.

Niemand hatte gesehen, dass er den Brief erhalten, und er ging damit in den tief verschneiten Winterwald, und öffnete den Umschlag erst dort.

Margarete schrieb:

„Mein lieber Hans!

Dass ich verlobt bin, wirst Du erfahren haben, aber mir ist’s manchmal, als könne unsere Freundschaft doch nicht so schroff zu Ende gegangen sein, wie es doch eigentlich geschah. Schau, Hans, es war nicht recht, dass ich der alten Keller erzählt habe, der einstige Hofnarr der Wulffenberg sei ein Ahne von Dir gewesen. Wie sich dann die Keller zu Dir ausdrückte, klang es erniedrigend für Dich. Es kränkte Dich! Aber Du nahmst das zu schroff auf.

Verzeih mir, Hans, wenn ich Dir also indirekt wehe tat. Ich musste dir das sagen, es liess mir keine Ruhe.

Ich bin jetzt sehr froh. Auf Rödnitz geht es lustig zu. Fast jeden Tag ist was los. Wir tanzen und musizieren, machen Schlittenfahrten und Besuche auf Nachbargütern. Wir besuchen Berliner Theater und Grossmama ist generös. Ich besitze elegante Toiletten und Grossmama Rödnitz hat mich mit Schmuck versorgt. Ich werde verwöhnt und finde das Leben wunderschön. Und weil es mir so gut geht, mag ich nicht, dass Du meiner vielleicht im Groll gedenkst.

Also vergib Hans.

Einen herzlichen Gruss

Gretel.“

Hans Westfal blickte noch ein Weilchen auf die Zeilen nieder, dann riss er den Brief in winzige Stückchen, wanderte tiefer in den Winterwald hinein und streute die Papierfetzen langsam aus.

Nun erst war er völlig fertig mit dem Traum, der ihn einmal so hold eingesponnen.

Weil es Margarete so gut ging, wollte sie nicht, dass er ihrer im Groll gedachte. Nur deshalb!

Und sie hatte ihm doch einmal, wenn auch in der holden Torheit ihrer fünfzehn Jahre, gesagt, er sei ihr der liebste Mensch auf der Welt.

Er rannte sich müde und strebte an, dass körperliche Ermattung den Schmerz in der Brust betäuben sollte. Ein wenig gelang es ihm. Verachtung mischte sich ein.

Wie seicht der Brief war.

Mochte sie glücklich werden mit dem hocharistokratischen Junker aus der Mark.

Die letzten Ferientage verstrichen. Er reiste wieder nach Charlottenburg. Er musste seinen Kopf klar behalten für das Hauptexamen.

Seine ganze Zukunft hing davon ab.

Einmal war er in Berlin im Theater, im Metropol Unter den Linden. Da sah er in einer Loge Margarete neben ihrem Verlobten. Noch ein paar andere, höchst elegant gekleidete Herren und Damen sassen mit in der Loge.

Margarete trug ein lachsfarbenes Samtkleid und sah entzückend aus.

Aber Hans Westfal musste denken, dass sie ihm früher in dem verwaschenen weissen Kleide fast besser gefallen hatte.

Er sah, wie sie lachte und genoss.

Durch sein Herz ging ein leises und doch starkes Weh, er verliess das Theater lange vor Schluss der Vorstellung.

Es folgten ein paar Tage geistiger Ermattung. Ihm fehlte jede Arbeitslust.

Immer glaubte er das reizvolle, pikante Köpfchen Margaretes vor sich zu sehen.

Aber schliesslich gab er sich selbst einen moralischen Ruck. Nur nicht die Zukunft verpatzen, um eines Mädels willen, dem gar nichts an ihm gelegen war.

Er sagte sich dann auch wieder, er tat Margarete unrecht. Sie war ja heute noch ein halbes Kind. Wie durfte er sie in seinem Herzen gleich einer treulosen Geliebten behandeln.

Gewaltsam jagte er schliesslich alle Gedanken an Margarete fort, verscheuchte sie wie lästige Tagediebe, auf die man die Hunde hetzt.

Kopf klar und an nichts denken, als an die Arbeit und an seine Zukunft.

Mit eiserner Energie gelang es ihm.

Sein Examen fiel glänzend aus und er reiste zum letzten Male vor seiner Abfahrt nach Indien nach Hause.

Der robuste Vater riss ihm bald die Hände ab vor Freude über das erstklassige Examen, die Mutter drückte ihn wieder und wieder ans Herz, der Bruder, der einst die Schmiede erben würde, stand fast verlegen dabei, bis auch er von Hans fest an die Brust gezogen wurde.

„In vierzehn Tagen geht mein Schiff ab Hamburg, es reisen noch ein paar Ingenieure von Mannholz nach Batavia,“ erzählte Hans. „Ihr glaubt ja gar nicht, wie ich mich auf da drüben freue. Auf all das Fremde, Neue und auf die Arbeit!“

Die Mutter nahm ihn bei nächster Gelegenheit beiseite.

„Bist du gut mit allem fertig geworden, Hans, hat es dir nicht mehr so sehr weh getan das mit der Prinzessin?“

Muttersorge um den geliebten Sohn bebte durch die Frage.

Hans Westfal fühlte, wie, von den Worten erweckt, die Erinnerung auf ihn zukam gleich einem Schmerz, und ihr folgte seine einstige Hoffnung in stumpfen, düsteren Trauergewändern.

Er erwiderte leise: „Ich bin gut damit fertig geworden, Mutter, nur darf man nicht daran rühren. Das ist wie mit Wunden, die man heil wähnt, und die, wenn zufällig eine Hand darüber streift, doch schmerzen.“

Die Frau nickte.

„Ja, so mag das wohl sein, Hans, aber damit du nicht erschrecken sollst, falls du ihr zufällig einmal in den Weg läufst, die Prinzessin ist wieder hier und bleibt bis zur Hochzeit hier.“

Hans versuchte zu lächeln.

„Ich werde sie wohl kaum treffen.“ Er zuckte die Achseln. „Sei ruhig, Mutter, man kann sich hier gut aus dem Wege gehen.“

Ja, das konnte man, aber weder Frau Westfal noch Hans hatten damit gerechnet, dass Margarete direkt in die Schmiede kommen würde. Und das tat sie.

Eines Vormittags, als Hans vor der Schmiede stand und überlegte, wohin er seine Schritte wenden sollte, kam Margarete vom Walde auf die Schmiede zu, stand gleich darauf vor ihm.

„Guten Tag, Hans, ich hatte Sehnsucht nach dir und ich dachte es mir, dass du jetzt daheim sein müsstest, hörte es auch zufällig von unserem Kutscher.“

Wie eine hypermoderne Dame sah das blutjunge Prinzesschen aus, das im Juli erst siebzehn Jahre ward. Der knabenschlanke Körper steckte in einem weichfliessenden Mantel aus rostbrauner Seide mit schmalen Hermelinstreifen verziert, unter dem weissen Filzhut, der die Augen fast deckte, stahlen sich seitlich ein paar dunkle Locken hervor und in den kleinen Ohren hingen sehr lange Gehänge aus Perlen und Brillanten.

Ein Geschenk der alten Prinzessin Rödnitz.

Hans war nicht fähig, etwas zu erwidern.

Die Prinzessin lächelte.

„Hans, lieber Hans, ich habe dir doch geschrieben. Bist du denn so hart, kannst du mir denn gar nicht verzeihen, dass ich damals zu Fräulein von Keller ein bisschen vom Kaspar Westfal geschwatzt habe? Es geschah doch nicht, um dich zu kränken! Wie konnte ich ahnen, dass die Pute dir in so verletzender Weise davon sprechen würde.“ Sie hielt ihm die Hand hin. „Sei nicht mehr böse, Hans!“

Die wunderschönen Blauaugen sahen ihn bittend an.

Er nahm die Hand, liess sie sofort wieder frei.

„Die Sache ist nicht wert, darüber zu sprechen,“ sagte er jetzt.

Seine Stimme war wie zersprungen.

Denn nun er das liebliche Gesichtchen so nahe sah, so nahe die leuchtenden Augen, den roten Mund, da war alles in ihm wie Abwehr.

Margarete sagte gleichmässig freundlich:

„Darf ich dir zum glücklich bestandenen Examen gratulieren?“

Er nickte kurz.

„In knapp zwei Wochen reise ich nach Indien ab.“

Sie stand unschlüssig.

Sie merkte deutlich, Hans Westfal war bemüht, zwischen sich und ihr eine Scheidewand aufzurichten. Ihr Stolz bäumte sich auf. Sie stand wie eine Bettlerin da, es fiel Hans gar nicht ein, sie ins Haus zu bitten.

Was hatte sie ihm denn so Unverzeihliches angetan?

Da war ihr Verlobter anders. Dem durfte sie sagen, was sie wollte, er lachte nur, nahm nie etwas übel, war überhaupt ein allzeit lustiger Kamerad.

Deshalb hatte sie ihn auch so gern. Nein so lieb!

Hans sagte etwas abgehackt: „Verzeihung, aber da wir nun doch einmal miteinander sprechen, möchte ich vorschlagen, dass wir uns, falls wir uns noch einmal treffen, nicht mehr der gewohnten Anrede aus Kindertagen bedienen. Prinz Rödnitz könnte das übel nehmen.“

Margaretes Gesichtchen sah plötzlich schmaler aus.

„Erwin — ich meine, mein Verlobter, ist wohl nicht so kleinlich.“

Jähe Glut überzog ihre Wangen, denn ihr fiel ein, Erwin Rödnitz war sehr hochmütig und sie hatte ihm nichts von der Kinderfreundschaft erzählt.

Hans lächelte: „Nehmen Sie nur meinen Vorschlag an, Prinzessin —“ Er wandte flüchtig den Kopf. „Ich hörte eben meine Mutter rufen, entschuldigen Sie mich also, bitte.“

„Hans!“ Wie ein Klagelaut sprang der Name über die Lippen Margaretes. „Hans, was tat ich dir, weshalb behandelst du mich so, als ob ich dir Gott weiss was angetan hätte?“

Er riss sich zusammen. Sie wusste ja wohl wirklich nicht, was sie ihm angetan.

Wie durfte er ihr etwas nachtragen, was nur in seinen Augen einer Schuld glich. Margaretes Kinderfreundschaft hatte er voll und ganz besessen, und wenn er auch bei ihr darin den Keim der Liebe vermutet, so hatte er sich eben geirrt.

Das hatte ihm sein Verstand ja schon so oft klar gemacht.

Und wenn sie einmal behauptet, er sei für sie der liebste Mensch auf der Welt, dann hatte sie nur aus ihrem damaligen Empfinden heraus gesprochen. Den Prinzen Rödnitz hatte sie erst später kennen gelernt.

Wehmut hüllte ihn ein wie in einen grossen Mantel.

Er sagte weich: „Sei mir nicht böse, Gretel, ich bin durch die Vorbereitungen für das Examen überarbeitet und nervös, denn ich vergass sogar, dir Glück zur Verlobung zu wünschen. Werde recht, recht glücklich, Gretel!“

Das feine Mädchenantlitz strahlte.

„Ach, wie bin ich so froh, Hans, dass du endlich etwas Nettes, Liebes zu mir sagst. Und weil dich deine Mutter rief, will ich dich auch nicht länger aufhalten. Wenn wir uns nicht mehr sehen sollten, Hans —“

Sie brach ab und um die roten Lippen zuckte es wie bei einem Kinde, das weinen will.

Hans war bestürzt. Margarete kämpfte mit dem Weinen?

Er neigte sich ihr zu, wollte etwas sagen, was ihm ganz tief im Herzen entsprungen war, da riss sie noch einmal seine Hand an sich.

„Reise mit Gott und kehre gesund zurück!“

Leichtfüssig eilte sie davon, am Waldrand entlang auf die Pforte zu, die durch die rückseitige Mauer in den Park führte.

Er schauerte zusammen. Er ward nicht mehr klug aus sich und aus Margarete.

Niemand von den Seinen schien etwas von dem Besuch bemerkt zu haben, und er vermochte auch jetzt mit niemand über gleichgültige Dinge zu reden, er musste allein sein.

Er lief in seinen geliebten Wald und lief weit darin herum.

Das erste Grün sprosste an Baum und Strauch und die Vögel zwitscherten hell und jubelnd zum Lobe des Schöpfers, der diese Welt alljährlich so wundersam erneute.

Sonnenbänder schlangen sich breit um die alten Buchenstämme und fern sang eine fröhliche Stimme:

„Es lacht die Welt im Frühlingsschein,

Nun lebe wohl, lieb Mädel mein,

Du küssest einen Andern.

Was soll ich da noch länger hier?

Nimm einen letzten Gruss von mir,

Will in die Fremde wandern!“

Hans war stehen geblieben. Deutlich hatte er Wort für Wort verstanden.

Er lächelte bitter. Das Lied passte auf ihn.

Der Sänger kam näher. Es war ein junger Mensch, den er nicht kannte, der grüssend an ihm vorbeiging.

Hans kehrte heim. Die Mutter ängstigte sich, wenn er zu lange ausblieb, sie geizte ja mit jeder Minute, die sie ihn noch bei sich haben durfte.

Bald, bald trug ihn ein Dampfer weit übers Meer, das Wunderland Indien wartete auf ihn.

Margarete stand im hauchdünnen weissen Seidenkleid mitten in ihrem Mädchenstübchen. Fräulein von Keller und die Zofe waren ihr behilflich bei der bräutlichen Ausschmückung.

Die Sommersonne floss breitwogig durch das weit offene Fenster und die schlanke Prinzessin stand ganz eingehüllt in das goldene Licht.

Die Fürstin trat ein.

Sie trug heute, an Margaretes Hochzeitstag, zum ersten Mal seit langer Zeit ein farbiges Kleid. Es war aus violetter Ripsseide, und ein paar Meter antiker, leicht vergilbter Spitze, drückten dem Gewand den Stempel besonderer Vornehmheit auf.

Fräulein von Keller ward sich in der Nähe der Fürstin immer ganz besonders ihrer Abhängigkeit bewusst. Sie knickte vor lauter Ergebenheit in den Knien zusammen.

Margaretes Augen leuchteten vor Erregung, aber es war die Freude, heute eine so wichtige Persönlichkeit zu sein und eine schöne, weite Hochzeitsreise vor sich zu haben. Nach Oesterreich und Tirol. Und Erwin war immer lustig und guter Dinge. Es musste sich famos kameradschaftlich mit ihm leben lassen.

Die Fürstin trug einen unter buntem Seidentuch geborgenen Gegenstand.

Sie lächelte die Enkelin an.

„Nun will ich dir die Krone der Fürstinnen Wulffenberg über Schleier und Myrthenkranz befestigen, Kind. Bist du auch keine Fürstin Wulffenberg, so hast du doch um deines Namens willen das Recht, sie zu tragen.“

Sie legte den verhüllten Gegenstand mit grösster Behutsamkeit auf ein Tischchen, half den Brautschleier arrangieren und den Kranz.

Margarete erglühte vor Stolz.

An die Krone hatte sie nicht gedacht, nicht daran gedacht, dass sie heute das wertvolle alte Schmuckstück tragen sollte

Die Fürstin entfernte das Tüchlein, und nun glänzte dunkles Gold auf und daraus sprang ein Funkeln und Gleissen, dass man davor fast die Augen schliessen musste.

Margarete neigte ein wenig den schleierumwallten schmalen Kopf und liess sich das Krönlein, das zuletzt ihre Mutter getragen, auf dem Haupt feststecken.

Fräulein von Keller schielte seitlich empor. Sie war wie geblendet von den Strahlen, die aus den Smaragden und Brillanten brachen.

Die Zofe lächelte. Ihr imponierte dergleichen weniger. Von ihrem Filmstar war sie in der Beziehung verwöhnt. Und wenn auch nicht alles echt war, was die Kinogrösse an Schmuck getragen, so hatte es doch gefunkelt, wie die herrlichsten Märchenschätze.

Die Fürstin küsste Margarete auf die Stirn, dabei flüsterte sie ihr zu: „Möge die Krone der Fürstinnen Wulffenberg den Prinzessinnen Rödnitz Glück bringen! Ich werde nach der Feier die Krone wieder an mich nehmen und für dich wie vorher verwahren.“

Es klopfte.

Die alte Prinzessin Rödnitz steckte ihr stark gepudertes Gesicht durch die Tür.

„Erwin zappelt vor lauter Ungeduld wie ein Hampelmann, bei dem man an der Strippe zieht. Ist Margarete fertig?“

Sie trat vollends ein, konnte einen Laut der Genugtuung nicht unterdrücken.

Beim Himmel, die schmale Wulffenberg wirkte sehr dekorativ und vornehm als Braut. Im allgemeinen erinnerte sie immer an so etwas wie eine moderne Tänzerin. Ihre Freundin Alexandra war eigentlich direkt hinterhältig. Von dieser Krone, die über Schleier und Kranz funkelte, hatte sie gar nichts gewusst. Das heisst, gewusst hatte sie davon, doch war sie der Meinung gewesen, die Wulffenbergs hätten sie längst in Geld umgewertet. Da bekam Erwin doch eine reichlich wohlhabende Frau, während man gar nicht damit gerechnet hatte.

Auch sie küsste Margarete auf die Stirn.

Die beiden alten Damen führten Erwin Rödnitz, der in einem der Prunkzimmer gegenüber wartete, die Braut zu.

Auch er blickte fast verblüfft auf den sofort in die Augen fallenden Schmuck. Donnerwetter! waren das Steine, die vier vorderen, die das Kreuz bildeten.

Aber der tote Schmuck lenkte seine Aufmerksamkeit nur kurz auf sich, das schmale, feine Rassegesicht, in dem die blutroten Lippen so genussdürstend brannten, schien ihm heute wertvoller als aller Schmuck der Welt. Seine Augen liebkosten die entzückende Braut, weideten sich daran in glücklicher Besitzerfreude.

Die Hochzeit fand im Schloss statt, in der kleinen Familienkapelle, die bei Margaretes Konfirmation zum letzten Male einer kirchlichen Feier gedient und seitdem verschlossen dagelegen hatte.

Die Hochzeit fand im engsten Kreise statt. Nur zwei Freunde des Prinzen und ein paar Damen von Margaretes neuem Bekanntenkreis, den sie sich anlässlich ihres Aufenthaltes auf Rödnitz erworben, waren zugegen.

Die Fürstin hatte keine grosse Hochzeit gewünscht.

„Das ist heutzutage Protzerei und unsereins überlässt das am besten den Emporkömmlingen!“ hatte sie gesagt.

Ein junger Priester stand an dem mit frischem Grün geschmückten Altar. Es war der neue Dorfpfarrer, der erst vor kurzem hierher versetzt worden war.

Er hatte die lodernde Stimme eines Fanatikers und was er sprach, brach aus ihm empor wie ein warmer, lebensspendender Quell.

Seine Stimme füllte den kleinen Raum mit hallendem Klange und Margarete war es, als mache sie jetzt erst jemand darauf aufmerksam, auf die Wichtigkeit dessen, was Erwin Rödnitz und sie im Begriff standen zu tun.

Seine Stimme war wie eine klangvolle Saite, aus der eine herzwarme, starke Melodie kam, der sie lauschte, wie etwas nie Gehörtem, das sie packte und erschauern machte.

„Die Welt ist voll Sünde und Qual und harrt immer neuer Erlösung,“ sprach er. „Unser Heiland, der für uns alle den Kreuzestod starb, hat uns das Beispiel der grössten, überwältigenden Liebe gegeben. Durch ihn ist die wahre Liebe aus Himmelsfernen zu uns gebracht worden, und deshalb soll es keinen Menschen gelüsten, mit dem heiligen Wort ‚Liebe‘ Gefühle zu benennen, die nichts mit der Liebe gemeinsam haben. Liebe ist das Grösste und Schönste und Köstlichste auf Erden, und wenn zwei junge Herzen sich eins fühlen im herrlichen Bewusstsein gegenseitiger Liebe, dann sollen diese Herzen Gott danken ohne Ende. Aber Liebe heisst mehr als mit einander Freude und Glück tragen. Liebe ist erst wahrhaft Liebe, wenn sie sich bewährt in Stunden der Not, dann erst ist ihr Atem köstlich, dann erst umwittert sie der Hauch der Unsterblichkeit, dann erst ist euer Empfinden Liebe. Eure jungen Herzen fanden sich. Möge der Himmel euch in Treue gemeinsamen Weg gehen lassen, so gehen lassen, dass ihr am Ende desselben sagen dürft: Alles, was uns das Leben gab, war schön, ob’s noch so schwer gewesen, wir trugen es zusammen in Liebe, die niemals irrt, niemals strauchelt.“

Margarete musste die Lippen fest aufeinander pressen, sonst hätte sie laut aufgeschluchzt, so schwer lag ihr plötzlich das Herz in der Brust.

Ihr Kopf schmerzte, das winzige Krönlein drückte.

Die Ringe wurden gewechselt, der Dorforganist spielte auf dem Harmonium: „Befiehl du deine Wege,“ und eine kristallklare Frauenstimme, es war die der Lehrerstochter, sang dazu.

Alles weitere zog an Margarete wie schemenhaftes Erleben vorüber. So unwirklich, so, als hätte sie selbst gar nichts damit zu tun.

In ihr war Wirrnis ob der Priesterworte, die sie beängstigten und ein schmerzhaftes Fragen in ihr erweckt hatten.

War es wirklich die wahre Liebe, die Liebe, von der dieser junge Dorfpfarrer gesprochen, die Erwin und sie für einander empfanden? War ihr Verhältnis nicht eher das von zwei vergnügten Sportkameraden, die eine Rodelfahrt oder etwas derartiges unternehmen wollten?

Man speiste im Jagdsaale, der um der vielen Geweihe willen die darin die Wände deckten, so genannt wurde. Die Fürsten Wulffenberg waren alle leidenschaftliche Jäger gewesen und hatten dereinst ja auch grossen Wald besessen.

Man unterhielt sich lebhaft, merkte kaum, wie still die Braut war.

Der junge Pfarrer sass mit an der Tafel, er schaute manchmal heimlich zu der blassen Braut hinüber, deren Augen so tiefernst blickten und deren Lippen sich so genusssüchtig wölbten.

Ihm schien, es gab zwei widerstreitende Naturen in dieser blutjungen Frau, die würden ihr vielleicht zu schaffen machen, später.

„Trink doch, Marga, trinke, damit du etwas Farbe bekommst, heute, an deinem Hochzeitstag gehört sich das so,“ lachte ihr Erwin Rödnitz ins Ohr. „Aber ich weiss, was dich so umgeschmissen hat. Vorhin in der Kapelle habe ich bemerkt, wie du ganz kreidig geworden bist. Den reinsten Bussprediger habt ihr hier. Uebrigens verkrümeln wir uns bald, in einer Stunde steht das Auto am hinteren Parktor. Wir verschwinden ohne Abschied.“

Margarete versuchte die schwere Stimmung abzuschütteln.

Sie war ja töricht, die Predigt so schwerfällig aufzufassen. Sie hatte Erwin doch lieb — und die Grossmama hatte diese Heirat gewünscht. Was hätte sie denn dagegen tun sollen?

Sie trank von dem purpurnen Wein. Ihr ward leichter, wohler.

Sie fühlte die Augen des jungen Pfarrers auf sich ruhen und unwillkürlich ward ihr Blick von dem seinen gebannt. Seine Augen hatten Aehnlichkeit mit Hans Westfals Augen, auch seine Züge wiesen eine entfernte Aehnlichkeit mit den seinen auf. Auch seine Gestalt? Ja, auch seine Gestalt! gab sie sich selbst zu.

Und eigentlich war die Aehnlichkeit sehr, sehr gross.

Ja, man hätte meinen können, Hans Westfal selbst sass mit an der Hochzeitstafel und sah sie an, ununterbrochen und zwingend.

Weshalb schlug ihr Herz mit einem Male so wild, als wollte es ihr die Brust sprengen?

Hans Westfal! Ihr war es, als hätte sie den Namen laut und gell hinausgeschrien, und doch war kein noch so leiser Laut über ihre Lippen gekommen.

Aber die Fürstin schaute zu ihr herüber, stand auf und hob damit die Tafel auf.

Sie trat auf die Enkelin zu.

„Du musst dich zur Reise umkleiden, geh, ohne Abschied von jemand zu nehmen. Ich komme noch einen Augenblick zu dir in dein Zimmer.“

Margarete nickte gehorsam: „Ja!“

Beim Vorüberschreiten kam sie dicht an dem Pfarrer vorbei. Sie hätte beinahe gelächelt. Er besass ja nicht die geringste Aehnlichkeit mit Hans Westfal.

Sie hatte den schweren Wein so hastig getrunken und das hatte sich durch eine Sinnestäuschung gerächt.

In ihrem Zimmer erwartete sie die Zofe, gleich darauf befand sich auch die Fürstin in dem einfachen Mädchenstübchen. Sie löste das Krönlein über Schleier und Myrthenkranz, half ihr das Schleiergewoge entfernen.

Ein graues Reisekleid mit gleichfarbenem dünnen Seidenmantel lag bereit, ein winziges Hütchen aus grauem dänischen Leder ward tief in den Kopf gedrückt und nun war Margarete fertig.

Die Fürstin gab der Zofe, die später nach Rödnitz, Margaretes neuer Heimat, übersiedeln sollte, einen Wink, sich zu entfernen.

Den kurzen Abschied von der Enkelin wollte sie ohne Zeugen nehmen.

Sie zog die schlanke Gestalt an sich und Margarete war es, als habe sie das hochmütige Antlitz der alten Dame noch niemals so weich und gütig gesehen, wie in diesem Augenblick, und weich, fast zärtlich war auch die Stimme, mit der sie leise sagte: „Ich wünsche dir Glück auf deinen ferneren Lebensweg, Margarete, meine Mission auf Erden ist mit dem heutigen Tage zu Ende, die Letzte unseres stolzen Namens hat einen ebenbürtigen Bund geschlossen. Nun darf ich, wenn meine Stunde schlägt, ruhig und in Frieden für immer die Augen schliessen. Sei dir stets deines neuen Namens und deines Geburtsnamens bewusst, tue nichts, was einen Schatten auf diese hohen Namen werfen könnte, und ehre die Krone als ein Heiligtum. Vergiss nie, was du beschworen. Ich hebe sie für dich weiter am alten Platz auf. Du weisst ja Bescheid.“

Sie hauchte zwei Küsse auf die Wangen Margaretes, dann trat sie zurück und öffnete die Tür.

Erwin Rödnitz wartete schon auf dem Gange, etwas abseits stand die Zofe, die sich schnell zum Ernst zwang, denn der Prinz hatte ihr eben einen Witz erzählt.

Luise Moldenhauer, die Zofe, war sehr hübsch, hatte lustige braune Augen, ein keckes Gesichtchen und weissblondes Kraushaar.

Erwin Rödnitz hatte sehr viel für hübsche Weiblichkeiten übrig.

Ganz flüchtig verabschiedete sich auch noch die alte Prinzessin Rödnitz von dem jungen Paar, dann kehrten die beiden Damen, die ihre Enkelkinder so wunsch- und standesgemäss miteinander verheiratet hatten, kurz nacheinander zu der kleinen Gesellschaft zurück.

Fürstin Alexandra als Letzte, sie hatte erst das Krönlein zurückgetragen an seinen sicheren Aufbewahrungsort.

Das junge Paar aber ging allein durch den Park zur hinteren Mauerpforte, wo das Auto wartete.

Nach wenigen Schritten blieb Margarete stehen, schaute sich um.

Plump lag die Rückseite von Schloss Wulffenberg vor ihren Blicken.

Es war ein seltsam geformter Bau, gedrungen und doch unvollendet scheinend. Vor mehr als fünfzig Jahren hatte ein grosses Feuer den einen Seitenflügel eingeäschert und einen der flankierenden Türme. Man hatte kein Geld zum Wiederaufbau besessen, die Form des Schlosses war seitdem etwas merkwürdig und grotesk.

„Komm, Marga, werde nur nicht sentimental angesichts der ollen Raubritterburg,“ lachte Erwin Rödnitz und zog seine junge Frau mit sich fort.

Schweigend schritt Margarete neben dem Manne her. Sie hatte sich so sehr auf das Fortkommen von hier gefreut, es stets ersehnt, und jetzt empfand sie doch Abschiedsschmerz.

Sie gingen am Pavillon vorüber und da entzog Margarete ihrem Gefährten den Arm.

„Ich muss da drinnen noch schnell Abschiedsumschau halten,“ rief sie ihm zu und lief auf die Tür des Pavillons zu.

„Verrückt!“ murmelte Erwin Rödnitz vor sich hin und folgte seiner jungen Frau langsam.

Margarete aber stand vor dem Bild des Hofnarren Kaspar Westfals und winkte ihm zu: Lebewohl, Lebewohl! Sie strich mit heimlicher Zärtlichkeit über das alte Sofa, auf dem sie so oft mit Hans gesessen und sah dann plötzlich Erwin an der offenen Tür stehen.

„Marga, der Zug wartet nicht auf uns. Was gibt’s denn hier zum Abschiednehmen? Es ist doch nur Trödelzeug hier zu sehen.“

Margaretes Wangen brannten. Sie begriff sich selbst nicht mehr.

„Komm, du närrisches Ding, es ist die höchste Zeit!“ mahnte er.

Da lachte die junge Prinzessin Margarete Rödnitz, die Letzte aus dem Hause Wulffenberg, laut auf.

„Hast recht, Erwin, es ist nur Trödelzeug hier zu sehen.“

Aber in ihrem lauten Lachen ging ein Seufzer mit unter, der irgendwie dem Trödelzeug galt.

Kaspar Westfal, der bucklige Narr, lächelte schlau und verhalten. Er wusste mehr als die schmale Prinzessin selbst. Er wusste genau, dass sie keinen Abschied von ihm und von dem alten Sofa genommen, sondern nur Abschied von den glücklichen heimlichen Plauderstunden, die sie hier mit Hans abgehalten.

Und der kluge bucklige Narr wusste noch viel mehr. Aber das ging um die Liebe, die dumme Liebe, und von der Liebe hatte er nie etwas gehalten, denn seine arme bucklige Person war nie geliebt worden. Die Frau, die sich zu ihm gefunden, hatte ihn nur genommen, weil er ein kleines Vermögen erspart.

Draussen wartete das Auto mit dem Handgepäck, die Koffer waren schon an die Bahn gebracht worden.

Margarete stieg ein und sie sass ganz steif und hochmütig da, weil sie sich gegen eine klangvolle liebe Stimme wehren musste, die da drüben vom Schmiedehaus herzukommen schien. Es war, als wenn Hans Westfal sie rief, immer wieder rief.

Gretel! Gretel! glaubte sie es zu hören.

Ach, und Hans Westfal war doch so weit, war wohl schon längst unter tropischem Himmel gelandet.

Erwin neigte sich ihr zu, flüsterte, damit es der Chauffeur nicht verstehen sollte: „Ich glaube, trotzdem du noch reichlich jung bist, es war die höchste Zeit für dich, hier herauszukommen. Mein Kleines hat schon was Schrullenhaftes. Aber Wulffenberg ist ja auch so ein verwunschener Spukwinkel.“

Margarete lächelte und ihre Lippen brannten. „Du, ich freue mich auf die Reise, auf alles Neue. Ich glaube, du hast recht, es war die höchste Zeit!“

Die Sonne stand noch hoch am Himmel, doch vom Walde her schritt schon die erste Dämmerung. Von einer Biegung der Landstrasse konnte man die Vorderfront des alten Schlosses sehen. Nur für Minutenfrist, dann schoben sich tannenbewachsene Hügel gleich einem Vorhang vor ein Bild.

Das Auto sauste dahin, um den Zug noch auf der Station zu erreichen.

Sie fanden ein Abteil allein und lachten sich strahlend an.

„Fein, dass man hier auf keine Schnüffelnasen Rücksicht nehmen braucht,“ rief der Prinz vergnügt und zog Margarete an sich, um sie zu küssen.

Sie entwand sich ihm.

„Du, küssen ist eigentlich was ganz Dummes,“ versicherte sie, „ich begreife nicht, wie man sich daraus etwas machen kann.“

Höchst überzeugt brachten es die roten Lippen hervor.

Erwin Rödnitz zog ein komisches Gesicht.

„Na, weisst du, Kind, deine Meinung in allen Ehren, aber der Kuss ist ein Hauptbestandteil der Liebesehe.“

Margarete nickte. „Ja, die Menschen haben in manchen Dingen sehr merkwürdige Ansichten.“

Während das junge Paar seine Hochzeitsreise machte, übersiedelte die alte Prinzessin Rödnitz völlig nach Wulffenberg. Die beiden Freundinnen wollten ihren Lebensabend gemeinsam verbringen.

Fräulein von Keller blieb bei ihnen als Gesellschafterin und Vorleserin, und als das junge Paar von der Reise heimkehrte, fand es Gut Rödnitz vollkommen frei für ihr junges Regiment.

Prinz Erwin stellte fest, dass die Reise mit seiner jungen Frau eigentlich ziemlich langweilig gewesen war. Er hatte sich alles doch anders gedacht. Es war grade gewesen, als ob er mit einem Pensionsmädel durchgebrannt wäre, das nicht recht wusste, was es wollte. Nach aussen hin hatten Margaretes korrekte Prinzessinnenmanieren allerdings nicht das geringste zu wünschen übrig gelassen, aber ihm gegenüber gab sie sich sehr merkwürdig. Einmal fiel sie ihm um den Hals, als wollte sie ihn vor Liebe abwürgen, ein anderes Mal dagegen war sie eiskalt wie eine hochmütige Fremde und sah ihn bitterbös an, wenn er dann eine Zärtlichkeit wagte.

Er tröstete sich damit, Margarete sei noch zu jung, ihre siebzehn Jahre standen den Geheimnissen der Liebe noch mit verschlossenen Sinnen gegenüber.

Er war in seiner Art verliebt in das schmale, dunkelhaarige Geschöpf, dem das ungarische Blut der Mutter fast einen leicht zigeunerhaften Einschlag in alleredelster Art gab.

Gut Rödnitz war ziemlich gross, die noch immer willensstarken Hände der alten Prinzessin hatten von je für den geliebten Enkelsohn alles in Ordnung gehalten. Er selbst hatte sich wenig um den Gutsbetrieb, um Einnahmen und Ausgaben gekümmert. Hatte seine Gutsherrnpflichten etwas spielerisch aufgefasst und war lieber in Berlin mit lebenslustigen Freunden herumgebummelt, als dass er sich um Saat und Ernte Sorgen gemacht hätte. Der alte Inspektor Jäger war ja zuverlässig und war immer die rechte Hand der alten Prinzessin gewesen.

Erwin Rödnitz kehrte mit vielen guten Vorsätzen heim. Nun sollte es tüchtig an die Arbeit gehen.

Aber erst musste er sich von der Reise erholen.

Er erzählte Margarete, er müsse nach Berlin auf die Bank, und in Berlin suchte er alte Freunde auf, vertraute seinem besten Freund an: „Man müsse ja wohl einmal heiraten, aber die Ehe sei ziemlich öde.“

„Deine Frau ist noch fabelhaft jung,“ tröstete der andere, „die muss erst etwas älter werden. Im übrigen wirst du sehr um die blutjunge, entzückende Gattin beneidet.“

Der Satz gefiel Erwin Rödnitz, beneiden liess er sich gern.

Er lud Gäste ein und Margarete erfüllte zum ersten Mal ihre Repräsentationspflichten.

Sie trug ein moosgrünes, glänzendes Seidenkleid, aus dem Hals und Arme in dunklem Elfenbeinton herauswuchsen. Die unwahrscheinlich grossen Augen waren wie bläuliche Flammen, beherrschten vollständig das unregelmässige, feine Gesicht, in dem der rote Mund wie ein blutendes Herzchen stand.

Die Freunde des Prinzen machten ihr alle den Hof, und Margarete drang das Gefeiertwerden wie süsses Rauschgift ins Blut.

Der Prinz beobachtete amüsiert, dass seine junge Frau auch kokett sein konnte.

Von diesem Abend an verstand sich das Ehepaar besser. Es hatte ihnen beiden an Anregung gefehlt, sie langweilten sich allein.

Im Winter verbrachten sie ein paar Monate in Berlin, wohnten in einem der teuersten Hotels, und wo nur irgend etwas Besonderes los war, sah man den Prinzen Rödnitz und seine pikante und sehr elegante junge Gattin.

Die alte Prinzessin schrieb: „Kinder, ihr müsst sparsamer leben! Wenn ihr so weiter wirtschaftet, geht das Gut zugrunde.“

Erwin lächelte über die besorgte alte Dame und zeigte seiner Frau den Brief gar nicht.

Grossmütter sind immer überängstlich, und einmal musste er doch selbständig werden, lange genug hatte die seine ihn am Gängelband geführt.

Er begann, wie schon vor seiner Hochzeit, jetzt aber noch leidenschaftlicher, zu spielen und hatte grosse Verluste.

Eines Morgens kam er müde und verstimmt ins Hotel zurück.

Margarete empfing ihn: „Wie siehst du aus, Erwin, nimm doch Rücksicht auf das Hotelpersonal und die Zofe. Siehst aus wie ein richtiger Nachtschwärmer!“

Er war ärgerlich, denn sein Spielverlust übertraf alle früheren Verluste.

„Was geht mich die Bedienung an! Die Meinung der Leute ist mir schnuppe. Ich habe Pech gehabt im Spiel, und unser Bargeld reicht nicht, die Schuld zu decken.“

Margarete lachte laut.

„Deshalb brauchst du doch nicht so sauertöpfisch dreinzuschauen. Schreibst eben einen Scheck heraus auf die Bank.“

Er schnitt eine Grimasse.

„Mein liebes Kind, das hört sich ja sehr hübsch an, aber wir haben nix mehr auf der Bank stehen.“

Margarete taumelte zurück.

„Wo ist denn das viele Geld hingekommen? Wir sind doch erst sieben Monate verheiratet, und Grossmama Rödnitz meinte, wenn wir nur leidlich gut zu wirtschaften verständen, und das Geld nicht durch irgendwelche politische Ereignisse entwertet würde, reichte es, bis wir alte Leute wären.“

Der Prinz sah fahl aus, seine Lider waren gerötet und ein fader Geruch von Wein und Zigaretten entströmte seinen Kleidern.

Er erwiderte höhnisch: „Möglich, dass es gereicht hätte, bis wir alte Leute gewesen, aber dann hätten wir eben ständig in Rödnitz hocken bleiben müssen. Deine Toiletten kosten Geld, dein Schmuck desgleichen, hier im Hotel ist’s nicht billig, und was wir mitmachen, ist ebenfalls teuer.“

„Doch am meisten kostet dein Spiel, Erwin,“ entgegnete sie vorwurfsvoll, „das ist weggeworfenes Geld, und ohne dein Spiel könnte es gar nicht möglich sein, dass unser Geld auf der Bank bereits alle sein sollte.“ Sie schrie ihn unbeherrscht an. „Ich glaube es auch nicht! Lass mich auf die Bank gehen und fragen.“

„Damit es auffällt, nicht wahr? Damit man auf der Bank sofort merkt: hallo! was Prinz Rödnitz hier liegen hatte, war sein gesamtes Barvermögen! Nee, mein liebes Kind, sowas nennt man Kredituntergraben. Jedenfalls muss die Spielschuld gezahlt werden, und du wirst so gut sein, mir einige deiner wertvollsten Schmucksachen auszuhändigen. Ich will sie beleihen lassen. Gutsnachbar Südermann schielt schon lange nach ein paar Rödnitzer Wiesen, ich werde sie ihm verkaufen, dann kannst du den Firlefanz wiedererhalten.“

Margarete presste die Hand aufs Herz. Also das Barvermögen auf der Bank war wirklich vollständig abgehoben! Sie, die sie in Einfachheit, ja beinahe Armut gross geworden, konnte es nicht fassen, dass soviel Geld so rasch zu Ende gehen konnte.

Und sie war nicht schuldlos daran, weil sie niemals danach fragte, was die Kleider, die sie sich bestellte, kosteten, und was alles andere kostete, das den Rahmen ihres jetzigen Lebens bildete.

Sie trug die Mitschuld und deshalb besass sie auch kein Recht, ihrem Manne Vorwürfe zu machen.

Sie wollte lieber freundlich und lieb mit ihm sprechen, damit er der hässlichen Leidenschaft entsagte, die das Geld wegfrass, wie ein böses Ungeheuer.

Sie näherte sich dem Manne.

„Erwin, verkaufe die Wiesen, lasse meinen Schmuck beleihen und dann wollen wir hier alles ordnen, nach Rödnitz heimkehren und mit Sparsamkeit versuchen, den Verlust wieder hereinzubringen.“

Er verzog den Mund.

„Mein liebes Kind, wenn nicht ein Wunder geschieht, werden wir die Scharte nur schwer auswetzen.“ Sein schlaffes, übermüdetes Gesicht ward plötzlich straffer. Vielleicht doch — ein Mittel gäbe es.“ Er pfiff ein paar Takte. „Donnerwetter, dass mir das erst jetzt einfällt.“ Er legte die Arme auf Margaretes Schultern. „Mein liebes Kind, nichts ist so schlimm, wie es im ersten Moment aussieht. Lass dir keine grauen Haare wachsen, es wäre schade um deinen scharmanten Bubikopf.“

Margarete ward von der frohen Stimmung mitgerissen.

„Was ist dir denn eingefallen, Erwin? Ich bin so begierig, es zu erfahren.“

Er neigte sich ihr zu, küsste sie.

„Davon ein anderes Mal. Die Hauptsache, wir werden reicher werden, als wir gewesen. Jetzt aber muss ich ein Bad nehmen und dann will ich starken Kaffee haben.“

Schon war er im nächsten Zimmer verschwunden, wo Margarete ihn nach der Bedienung klingeln hörte.

Sie fuhr sich mit dem von Spitzen umsäumten Taschentuch über den Mund. Ihr war es, als hinge noch der Alkoholdunst daran fest, der ihr von ihres Mannes Lippen entgegengeweht.

Sie strich lässig an ihrem weissen flauschigen Morgenkleid hinunter und sann, was er wohl gemeint haben könnte mit den verheissenden Worten vorhin: Wir werden reicher werden, als wir gewesen!

Nun, lässig dahingeredet war es nicht, also wollte sie sich keine Sorgen machen. Heute abend war eine der elegantesten Ballvorstellungen der hauptstädtischen Wintersaison. Ihr hellfliederfarbenes Kleid mit den silbernen Perlchen würde Aufsehen erregen. Der Kostümzeichner eines ersten Modeateliers hatte es für sie entworfen.

Sie trat ans Fenster.

Unten auf dem Platz vor dem Hotel strömte das Alltagsleben der Grossstadt schon in starken Wogen. Autos rasten, die Elektrischen läuteten und dazwischen bewegten sich die eilenden Menschen irgend einem Ziele zu. Viel schlechtgekleidete, armselige Menschen waren dabei.

Margarete schloss ein wenig die Augen.

Ihr war es, als höre sie Hans Westfal sagen: Es erstehen täglich mehr Unzufriedene, die behaupten, vielen Menschen ginge es zu schlecht, weil es vielen anderen zu gut geht.

Wie Scham wallte es in ihr auf. Sie tat gar nichts, nahm nur und lebte in Freuden, ohne jedes Verdienst.

Hans Westfal!

Lange hatte sie nicht mehr seiner gedacht in dem seichten, amüsanten Leben, das sie jetzt führte.

Wie mochte es ihm gehen?

Dachte er in der fremden Tropenwelt wohl auch noch manchmal an sie und die seltsame Freundschaft, die sie beide einmal verbunden?

Sie lächelte ein wenig. Es war hübsch, sich an Hans Westfal zu erinnern, wirklich wunderhübsch.

Mit Margaretes Perlenkette, die sie von ihm als Hochzeitsgeschenk erhalten, und ein paar Schmucksachen, die ihr seine Grossmutter gegeben, konnte Erwin Rödnitz seine Spielschuld decken. Er hatte den Schmuck verpfändet, versprach baldige Auslösung.

Noch immer wohnte man im Hotel, und durch Inspektor Jäger waren die Verhandlungen wegen dem Verkauf der Wiesen eingeleitet worden. Aber, wie das immer so ist, dass man weniger erzielt, wenn man etwas zum Verkauf anbietet, als wenn es begehrt wird, so war es auch hier. Der Nachbar bot jetzt die Hälfte der geforderten Summe.

Der Prinz war wütend.

„Der Kaffer kriegt die Wiesen überhaupt nicht, nun erst recht nicht. Wir brauchen ihn ja nicht.“

Er lief im Salon der Hotelzimmerwohnung aufgeregt hin und her.

Margarete liess ihn ein Weilchen toben. Dann meinte sie: „Ich denke, du weisst einen Weg, wie wir zu Reichtum gelangen können. Weihe mich doch endlich ein. Denn wenn es solchen Weg nicht gibt, ist unser teurer Aufenthalt hier unverantwortlich. Unsere alten Damen glauben uns längst auf dem Gut, ihre Briefe kommen nach dort, werden uns nachgesandt, sowie unsere Nachrichten an sie erst nach Rödnitz an den Inspektor geschickt werden, damit der dortige Poststempel daraufkommt. Entweder erzähle mir, auf was für eine Idee du letzthin verfallen bist zur — nun, sagen wir ‚Rettung’, oder ich glaube nicht daran.“

Der Prinz reckte seine hohe Gestalt, die sich manchmal ein bisschen wie ermüdet nach vorn neigte.

„Meinst also, ich hätte geflunkert, nicht wahr?“

Er zog an seinem eleganten dunkelblauen Jackett, und es schien fast, als ob ihn leichte Verlegenheit beherrschte.

Dann nahm er in einem bequemen Sessel gegenüber seiner jungen Frau Platz. Auch jetzt sprach er noch nicht.

Sie mahnte: „Aber ich bitte dich, Erwin, gar so schwer kann es doch nicht sein.“

Er machte ein fideles, jungenhaftes Gesicht, das sie am liebsten an ihm mochte.

„Ach, schlimm ist es gar nicht, Marga, es hängt mit dir zusammen. In deine Hand ist es gegeben, unserm Gut die Wiesen zu erhalten und uns soliden Reichtum zu bescheren!“

„In meine Hand ist es gegeben?“ Margarete schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht, was du meinen könntest, denn du weisst doch, du hast ein armes Mädchen zur Frau genommen.“

Erwin Rödnitz betrachtete interessiert seine Hände.

„Ich habe das auch geglaubt, bis ich die Fürstinnenkrone der Wulffenbergs sah, deren Smaragden und Brillanten, wie mir meine Grossmama versicherte, echt wären.“

„Natürlich sind sie echt,“ bestätigte Margarete, „aber ich verstehe immer noch nicht.“

Der Prinz lächelte nachsichtig.

„Eigentlich müsstest du nun schon Bescheid wissen. Kurz heraus, ich meine, da es keine Fürstin Wulffenberg mehr geben wird, wenn Fürstin Alexandra einmal stirbt, hat die Krone ihren Zweck für die Zukunft verfehlt. Einige Steine sind enorm gross, sie werden hoch bezahlt werden.“ Er sah fragend auf Margarete. „Nun weisst du Bescheid, Kind.“

Die junge Frau erwiderte kurz und erregt: „Dann wirst du wohl über andere Wege, die zum Reichtum führen, nachsinnen müssen, denn solange ich lebe, werde ich nicht erlauben, dass auch nur der kleinste Stein aus der Krone gebrochen wird.“

„Auch nicht, wenn du mich und dich aus schwerer finanzieller Lage retten kannst?“

„Auch dann nicht!“ gab sie stark betont zurück.

„Und weshalb nicht?“ fragte er heftig.

„Weil ich es meiner Grossmama geschworen habe, die Krone zu hüten wie ein Heiligtum!“

„Quatsch ist das!“ entfuhr es ihm.

Sie zuckte die Achseln.

„Ich glaubte, du müsstest für die Worte: Ahnen, Tradition und Pietät Verständnis haben, Erwin,“ sagte sie vorwurfsvoll.

Er bog sich vor, sah sie mitleidig spöttisch an.

„Dummes, kleines Frauchen, nicht wir lassen unsere Ahnen im Stiche, sondern sie haben uns im Stiche gelassen, sonst hätten sie nicht so miserabel gewirtschaftet, dass nicht mehr viel von ihrem Reichtum bis auf uns gekommen ist. In der Beziehung pfeife ich auf Ahnen, Tradition und Pietät.“

Margarete war von ihrem Sessel aufgesprungen

Sie streckte in heftiger Abwehr beide Hände aus.

„Erwin, um des Himmels willen, so etwas darfst du nicht sagen, auch nicht im Scherz!“

Er wiederholte stark unterstrichen: „Jawohl, ich pfeife auf Ahnen, Tradition und Pietät!“

Er tupfte sich mit dem nach Juchten riechenden Taschentuch die Stirn, denn ihm war heiss geworden, weil er jetzt wusste, es würde nicht so leicht sein, seine Frau gefügig zu machen, die Steine der Krone herzugeben. Aber nun lag wenigstens der Anfang dazu hinter ihm, jetzt musste er bei dem Thema bleiben, seinen Willen durchkämpfen.

„Erwin, es klingt abscheulich, was du eben gesagt hast, ganz abscheulich. Wenn dich meine Grossmama gehört hätte, sie wäre so entsetzt gewesen, dass sie nie wieder ein Wort mit dir wechseln würde.“

Margarete zitterte vor Erregung. „Du führst doch den Namen Prinz Rödnitz, ja, gilt dir der Name nichts?“

Er blickte sie nachsichtig an.

„Liebes Kind, du kannst das nicht auseinanderhalten. Sieh mal, was vorbei ist, ist eben vorbei, wir Lebenden haben recht, immer. Und ein klangvoller Name ist was sehr, sehr Nettes, weil es doch ’ne Mengen Menschen gibt, die Kotau davor machen. Man imponiert damit, ragt über den Durchschnitt weg. Aber es gehört Geld dazu, so einen Namen und Titel mit Anstand zu führen, denn es läuft heutzutage so viel, sogar allerhöchstes Adelsproletariat herum, dass man nur noch durch Geld obenauf bleibt.“

„Ich meine, auch durch Streben und Fleiss,“ setzte sie ihm entgegen. „Wir sind doch beide noch jung, du siebenundzwanzig, ich siebzehn, überlege, was wir schaffen können, wenn wir nur wollen. Schulden haben wir keine besonderen mehr, wir wollen nach Rödnitz, uns einschränken, wollen leben wie schlichte Gutsbesitzersleute. Ich will gerne in jeder Beziehung helfen, will bei der Mamsell lernen —“

Er unterbrach sie ungeduldig.

„Ich sehe dich schon im Geiste im Schweinestall, wie du den Ferkeln das Futter bringst. Ueberlege nur, bis es soweit ist, was du dabei für Toilette machen willst. Ich glaube, dein letztes Kleid, das fliederfarbene mit den Silberperlchen, könnte vielleicht dem Geschmack der Ferkel entsprechen. Und für den Kuhstall, zum Melken empfehlen ich das aus weissem Samt mit der Bordüre aus Venezianer Gold.“

Margarete war ärgerlich, weil Erwin ihren von heissem Eifer beseelten Vorschlag verspottete und musste doch lachen bei dem Gedanken, in grosser Toilette auf dem Gute die Ferkel und Kühe zu besuchen.

Der Prinz nützte den günstigen Moment. Mit einem lachenden Menschen lässt sich leichter verhandeln, als mit einem ernsten.

Er blickte die junge Frau bittend an.

„Sei vernünftig, sei lieb, Marga, und hilf uns aus der Patsche. Ich gebe zu, wir haben zu viel verbraucht, aber wir waren eben beide keine Selbständigkeit gewöhnt, zwei resolute Grossmamas haben uns zu lange beschützt. Mir gab die meine allerdings ein reichliches Taschengeld, aber ich gewann im Spiel ab und zu ganz nett und schob mich so durch. Meine Reisen nach Berlin hielten mich auf der Höhe, auf Rödnitz wäre ich versimpelt. Also, Kindchen, sei vernünftig, gönne uns ein bisschen Lebensfreude! Und ohne Moneten muss man zu weit abseits stehen. Ich will ja Gutsherr spielen, natürlich. Aber Frühling, Sommer und Herbst reichen dafür aus, den Winter muss ich in der Grossstadt verleben und du auch. Wir haben hier einen liebenswürdigen Kreis gefunden, sind förmlich Mittelpunkt und wären blödsinnig, uns in unserer verschneiten Klitsche zu vergraben. Aber man schläft besser, wenn Sicherheit hinter einem steht. Und wenn ich die Wiesen nicht zu verkaufen brauche, bleibt Rödnitz wertvoller. Also, Marga, stopfe die Schlagworte Ahnen, Tradition und Pietät in die Mottenkiste und sei gescheit. Wir wollen die Juwelen in der kleinen Krone fachmännisch schätzen lassen und die grössten davon losschlagen.“

Die junge Frau machte nur eine fast unmerkliche Geste der Verneinung. Schade um jedes Wort, dachte sie.

Erwin Rödnitz sagte hastig: „Sei doch nicht eigensinnig. Familienwerte sind dazu da, der Familie zu nützen. Wir können uns wundervoll mit so ein paar grünen und weissen Steinen helfen. Jetzt ist’s totes Kapital, in bare Münze umgewertet, bringt es uns noch Zinsen ein.“

Margarete liess sich lässig wieder in ihren Sessel fallen, legte den feinen dunkelhaarigen Rassekopf fest gegen die Rücklehne.

„Dringe nicht weiter in mich, Erwin, da ich deinen Wunsch nicht erfüllen könnte, selbst wenn ich wollte, denn die kleine Krone ist nicht in meinem Besitz, sondern, obwohl sie jetzt mein Eigentum ist, unter Grossmamas Obhut.“

„Das kann ich mir denken,“ erwiderte er, „aber das lässt sich doch ändern. Du reist eben zu den Grossmamas in das olle Spukschloss und holst das Schmuckstück. Behauptest kühn, du willst die Krone bei einem Fest oder dergleichen tragen.“

„Das glaubt mir Grossmama nicht, und wenn sie es tut, würde sie böse sein, dass ich so pietätlos mit dem kostbaren Familienerbstück umzugehen beabsichtige. Die Krone ist in dem „ollen Spukschloss“, wie du Wulffenberg nennst, gut und sicher aufgehoben, ich werde sie nicht holen, denn was du mir auch sagen magst, ich halte, was ich Grossmama beschwor. Das Krönlein der, Fürstinnen Wulffenberg wird von mir als Heiligtum geachtet werden.“

Da wandte sich Erwin Rödnitz schroff ab und ging hinaus.

Laut fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

Margarete aber drängte nur mühsam die zornigen Tränen zurück, die in ihr aufstiegen. Sie fand das Betragen ihres Mannes hässlich.

Was sollte Luise Moldenhauer, die Zofe, denken, die ein paar Zimmer weiter Wäsche zeichnete, wenn sie die Tür so zuschlagen hörte.

Luise Moldenhauer, mit dem weissblonden Flimmerhaar über der niedrigen geraden Stirn aber lächelte in sich hinein. Sie hatte längst erkannt, dass die prinzliche Ehe nicht auf Liebe und Vertrauen aufgebaut war, sondern, dass die zwei Hochgeborenen Opfer grossmütterlicher Vorsorge geworden.

Die blutjunge Prinzessin mochte ja auch wohl dem Prinzen gefallen haben, denn sie wirkte durch die schmale Gestalt, das aparte Gesichtchen, aber jetzt langweilte sie ihn längst, sonst hätte er nicht immer wieder Versuche gemacht, mit ihr, der Zofe seiner Frau, anzubändeln.

Erwin Rödnitz war wütend in sein Zimmer gelaufen.

Er setzte sich an den Schreibtisch. Nun musste er die Wiesen doch für ein Butterbrot hergeben. Es blieb ihm ja nichts anderes übrig.

Hier im Hotel musste er bald wieder zahlen und allerlei Läpperschulden waren auch angewachsen. Margarete wusste davon nichts. Er stützte das Kinn in die flache Schale der Hand. So ein Blödsinn, dass er sich nun weiter den Kopf zerbrechen musste, weil es dumme Weiber auf Erden gab.

Fürstin Alexandra hatte den Ahnenspleen und ihrer Enkelin hatte sie anscheinend auch von den Spleenbazillen eingeimpft.

Es klopfte.

Luise Moldenhauer trat auf das „Herein“ in ihrer bescheiden scheinenden Art ein.

„Ihre Durchlaucht lässt Eure Durchlaucht bitten, auf ihre Begleitung zum Wohltätigkeitsball zu verzichten, da sie sich nicht wohl genug fühlt.“

Erwin Rödnitz hätte am liebsten mit der Faust auf die Schreibtischplatte geschlagen. Also Margarete schmollte, wünschte heute abend nicht mit ihm den Ball zu besuchen.

Was ihm daran lag.

So eine Wohltätigkeitssache war überhaupt langweilig, man ging nur hin, um mit dabei gewesen zu sein.

„Bestellen Sie Ihrer Durchlaucht, es täte mir sehr leid, dass sie sich nicht wohl fühle, ich würde mich später nach ihrem Befinden erkundigen.“

Luise Moldenhauer wollte sich entfernen, doch Erwin Rödnitz hielt sie am Kleide zurück.

„Luise, Sie armes Wurm, kommen so wenig fort, immer müssen Sie hier im Hotel herumhocken. Soll ich Ihnen mal eine Karte fürs Theater bringen oder —“ Er zwinkerte ein wenig mit den Augen. „Oder hat das arme Wurm nichts anzuziehen für Theaterbesuch und dergleichen? Ich würde mir dann erlauben —“

Er redete nicht zu Ende.

Luise Moldenhauer konnte sehr unschuldig und doch kokett blicken. „O Durchlaucht —“

Er lachte. „Lass mal die Durchlaucht ein bisschen beiseite, Mädelchen, wollen mal als Mensch zum Menschen sprechen.“

Er erhob sich blitzgeschwind, packte die Zofe um die Hüfte und küsste den hübschen, frischen Mund. Einmal, zweimal und öfter. Luise aber liess es sich gefallen.

Ein kleines verschlagenes Lächeln lag auf ihrem kecken Gesicht, als sie sich jetzt dem Manne entzog und mit einem Knix und gesenkten Wimpern sagte: „Ihre Durchlaucht erwartet mich.“

Schon war sie zur Tür hinaus.

„Der Racker hat’s hinter den Ohren,“ brummte Erwin Rödnitz und liess sich wieder vor dem Schreibtisch nieder.

Auch am nächsten Tage wünschte Margarete keinen Abendausgang. Sie erklärte ihrem Manne, sie denke nicht daran, so leichtsinnig weiterzuleben und sie bitte ihn dringend, mit ihr auf das Gut zurückzukehren. Sie müssten beide arbeiten und sie wolle lernen, um eine richtige Gutsherrin zu werden.

Sie legte ihre Arme um seinen Hals.

„Sei lieb, Erwin, wollen beide versuchen, durch eigene Kraft vorwärts zu kommen. Ich denke es mir herrlich, wenn wir uns eines Tages sagen können, mit Fleiss und Umsicht haben wir unser Verschulden wieder gut gemacht.“

Er streifte ihre Arme von sich ab.

„Du redest so phrasenhaft, Marga, und mir geht das Verständnis dafür ab. Was haben wir denn verschuldet? Haben es uns nur gegönnt, zu leben, wie es unserem Stande zukommt, das ist alles. Verlangst wohl möglicherweise noch, wir sollen in Sack und Asche Busse tun deshalb? Wenn du aber durchaus willst, fahre nach Rödnitz zurück, ich verspüre noch keine Lust dazu.“

Sie trennten sich wieder in Verstimmung.

Luise Moldenhauer erbat am Spätnachmittag für den Abend ein paar Stunden Urlaub, sie habe eine ganz alte Tante im Berliner Norden wohnen, die sie so sehr gern einmal besuchen möchte.

„Gewiss, gehen Sie nur, Luise,“ erlaubte die Prinzessin, „ich bleibe ja heute abend zu Hause. Sie können heimkehren, wann Sie wollen, ich bedarf Ihrer heute nicht mehr.“

Luise dankte und heimlich lachte sie: Wenn du wüsstest!

Prinz Erwin hatte Luise Moldenhauer Kleid, Mantel und Hut zuschicken lassen. Alles aus tadellosem Material, und als sich Luise vor ihrem Abendausgang vor dem Spiegelschrank ihres Zimmerchens betrachtete, lachte sie sich zufrieden an.

Wie eine Dame der besten Gesellschaft sah sie aus.

Sie verliess über die Dienertreppe das Hotel und durchschritt ein paar Strassen, eilte einer stilleren Gegend zu.

An einer Strassenecke machte sie Halt, blickte sich um. Ja, sie war am Ziel.

Sie war erregt. Ob der Prinz wirklich kommen würde?

Sie brauchte nicht lange zu warten, schon tauchte seine hohe Gestalt auf, stand neben ihr, sein Arm schob sich in den ihren.

„Brav, blonde Maus, dass du gekommen bist, und nun wollen wir einen fidelen Abend verleben.“

„Ihre Durchlaucht hat —“ begann Luise Moldenhauer.

„Still, Mädel, meine Frau darf zwischen uns nicht erwähnt werden, und nun führe mich irgendwohin, wo es lustig zugeht. Wirst dich ja, aus der Zeit, da du noch die Filmdiva bedientest, hier auskennen.“

Luise lächelte zu ihm empor.

„Ob es aber, wo ich mich auskenne, fein genug für Durch —“

„Pst! lass doch die Titulaturen, sage Fritz zu mir, und wenn dich sonst wer fragt, heisse ich Fritz Müller, und jetzt los. Es braucht nicht fein zu sein, wo wir hingehen. Unter uns, die Feinheit kommt mir manchmal zum Halse raus!“

Er rief ein Auto an und Luise Moldenhauer nannte eine Adresse.

Sie fuhren nach Zuckelmayers Festsälen, wo alle Abende Tanz stattfand.

Luise tanzte fürs Leben gern. Ein Riesenspektakel scholl ihnen entgegen, als sie, nachdem sie die Garderobe abgelegt hatten, dem Saale zuschritten, in dessen Mitte getanzt wurde, während auf etwas erhöhten Plätzen die Zuschauer sassen.

„Da drüben ist ein Tisch frei,“ stellte Luise glücklich fest und schob sich mit ihrem Begleiter durch ein paar der tanzenden Paare, die sich nach dem wilden Gequäle einer Jazzmusik, die ein feister Neger dirigierte, bewegten.

Sie fanden wirklich noch einen völlig unbesetzten Tisch und Luise liess sich strahlend nieder. Ach, wie lange war sie hier nicht mehr gewesen.

Ordentlich heimatlich ward ihr zumute.

Ein Kellner kam.

„Was willst du trinken, Maus?“ fragte der Prinz, der den Betrieb hier höchst originell fand.

Luise erwiderte treuherzig: „Ich habe Hunger, und Schnitzel mit Spargel ist hier Spezialität.“

„Also bringen Sie zweimal Schnitzel mit Spargel, Kellner,“ sagte der Prinz, „und eine Flasche guten Rotwein.“

Der Kellner blickte den Bestellenden genauer an. Den Herrn kannte er doch. Wenn ihn nicht eine grosse Aehnlichkeit täuschte, war es Prinz Rödnitz, der eine schmale, kinderjunge Frau besass. Er selbst war noch vor vier Wochen in einem erstklassigen Restaurant am Zoo angestellt und hatte den Prinzen dort mehrmals bedient. Hatte seinetwegen sogar seine prachtvolle Stellung verloren, weil sich der Prinz beklagt hatte, er hätte tölpelhaft serviert. Da war er entlassen worden.

Hm, die schicke, dunkelhaarige Frau fand er eigentlich viel schöner als dieses blonde Mädchen, trotzdem es auch nicht übel war. Der Prinz hatte keinen schlechten Geschmack, das musste man ihm lassen.

Ja, war dieser hier denn auch wirklich der Prinz? Er eilte davon, die Bestellung auszuführen.

Luise atmete hastig, ihre braunen Augen glänzten.

„Hier bin ich früher so gern hergegangen, ich finde, es hat sich seither gar nicht sehr verändert. Der dicke Tom,“ sie zeigte auf den dirigierenden, schwitzenden Neger, „war damals auch schon hier. Sehen Sie da drüben das kleine blonde Mädchen? Das ist seine Braut, und wenn eine andere mit ihm zu sprechen wagt, stürzt sie dazwischen, als wenn sie Angst hat, er soll ermordet werden. Sie ist wahnsinnig eifersüchtig.“

Sie wollte noch mehr erzählen, doch dergleichen interessierte ihn nicht.

„Liebes Kind, ich heisse Fritz, vergiss das nicht, und ausserdem musst du hier ‚du‘ zu mir sagen, sonst fallen wir auf. Der Kellner hat mich ohnedies schon so blöd angestarrt.“

Luise Moldenhauer nickte eifrig.

„Es ist mir auch aufgefallen, aber Sie sind —“ Sie verbesserte sich errötend: „Du bist für hier zu gediegen elegant.“

Sie plusterte sich vor sich selbst ein bisschen auf. Das hätte sie sich auch nicht träumen lassen, dass sie einmal in Zuckelmayers Festsälen mit einem leibhaftigen Prinzen sitzen würde.

Der Kellner nahte, gerade als sie an ihr Gegenüber die Frage richtete: „Tanzest du nachher auch mal mit mir, Fritz?“

Er antwortete nicht, der Kellnerblick störte ihn.

Erst als der Mann sich wieder entfernt hatte, meinte er: „Es macht mir keinen Spass, mich da unten zwischen dem transpirierenden keuchenden Knäul herumstossen zu lassen. Ein bisschen zugucken genügt. Wollen essen und dann woanders hingehen.“

Luises eben noch so strahlende Züge sahen ganz flach aus vor Schreck.

„Schon wieder gehen sollen wir? Oh, es ist doch hier so wunderschön!“

Der Prinz musste lachen. Er bereute seinen Einfall schon, sich mit der Zofe seiner Frau eingelassen zu haben. Es war eine Dummheit gewesen, die sich nicht lohnte, und es wäre wohl auch bei den paar Küssen letzthin geblieben, wenn er sich nicht so sehr über Margarete geärgert hätte.

Am besten war es, er zog sich so schnell wie möglich zurück.

Er schnippelte an dem Schnitzel herum. Er fand es verbraten, während es Luise grossartig schmeckte.

Nach einem kleinen Weilchen sagte er lässig: „Mir ist eben noch eine ganz wichtige Verabredung mit einem Freunde eingefallen, den ich jetzt sicher in seinem Klub treffen kann, sei mir also nicht böse, Kind, wenn ich mich verabschiede. Du wirst dich hier auch ganz gut allein unterhalten.“

Luise liess beinahe Messer und Gabel fallen vor Bestürzung.

„Habe ich irgend etwas Dummes getan, Durch —. Ich meine Fritz?“

Er lächelte beruhigend:

„Nee, Kind, lass dir durch mein Fortgehen den Appetit nicht verderben. Morgen reden wir weiter.“

Sie war schon zufrieden.

„Und darf ich, wenn ich nachher allein bin, auch tanzen? Ich sehe so viele Bekannte hier.“

Er nickte. „Tanze so viel du willst und versprich dich nicht, wenn dich jemand fragt, wer dein Begleiter war.“ Er schob ihr einen Fünfzigmarkschein zu. „Bezahle die Zeche davon, den Rest kannst du behalten.“

Sie lachte über das ganze Gesicht und war nun völlig damit ausgesöhnt, dass der Prinz fortging. Ordentlich leicht wurde ihr. Nun konnte sie sich doch bewegen, wie sie wollte.

Kaum war Erwin Rödnitz gegangen, stand der Kellner wieder an Luisens Tisch.

„Soll ich das Schnitzel für den Herrn warmstellen lassen, er wird doch bald wiederkommen, nicht wahr?“

Das blonde Mädchen kaute eifrig, gab mit vollem Mund Antwort.

„Das Schnitzel kann stehen bleiben, das esse ich auch noch, und der Herr kommt nicht wieder, ich bezahle das Bestellte.“

Der Kellner war ein ganz hübscher Mensch, er blinzelte Luise verliebt an.

„Ein Kavalier, der seine Dame, die er zum Vergnügen führt, so bald im Stich lässt, ist ’ne grosse Ausnahme. Sagen Sie, Fräulein, wer ist der Herr eigentlich gewesen, er kam mir so sehr bekannt vor.“

Luise Moldenhauer brummte: „So, kam er Ihnen bekannt vor? Na, angestarrt haben Sie ihn ja auch genug. Aber wenn es Sie interessiert, er heisst Fritz Müller, und weiter weiss ich auch nichts von ihm.“

Der Kellner zog überlegen die Brauen hoch.

„Mein liebes Fräulein, da hat er Sie angeschwindelt. Das Gesicht kenne ich, wenn ich anfangs auch nicht ganz sicher war. Ich habe eine erstklassige Stellung gehabt in einem Restaurant, wo nur Herrschaften der vornehmsten Kreise verkehrten, und wegen Ihrem Herrn Fritz Müller wurde ich da rausgeschmissen. Er beklagte sich bei meinem Chef, ich sei ungeschickt und so weiter. Und wenn so einer sich beklagt, hat unsereins immer unrecht.“

Luise unterbrach ihn.

„Sie verwechseln den Herrn also. Der vorhin bei mir gesessen, war wirklich ein Herr Müller, und nun lassen Sie mich in Ruhe essen.“

Der Kellner ging sofort, die Blonde hatte zuletzt ausgesehen, als wenn sie sehr ungemütlich werden konnte. Aber er beobachtete den Tisch von weitem, und als er sah, das hübsche Mädchen war mit dem Essen fertig, ging er, um das Geschirr abzuräumen.

Luise zahlte und gab ein gutes Trinkgeld. Nach einem Weilchen stand sie auf, schlenderte in den Saal; jetzt wollte sie erst Bekannte begrüssen.

Der Kellner blickte nachdenklich dorthin, wo noch vor kurzem der Herr gesessen, in dem er den Prinzen Rödnitz zu erkennen geglaubt.

Sollte er sich dennoch getäuscht haben? Seine Augen sahen plötzlich seitlich unter dem Tisch etwas Glänzendes liegen.

Er schritt näher, liess als Scheinmanöver für die Nahesitzenden seine Serviette fallen und als er sie wieder aufhob, nahm er einen kleinen metallenen Gegenstand mit auf.

Abseits untersuchte er den Gegenstand.

Es war ein silbernes Zigarettenetui, auf dem eine geschlossene Krone und darunter die Buchstaben E. R. eingraviert waren.

Der Kellner lächelte spöttisch. Dieser Herr Fritz Müller bediente sich eines Zigarettenetuis mit der Krone und dem Monogramm des Prinzen Erwin Rödnitz.

Das hübsche, blonde Mädchen hatte sicher keine Ahnung, was für eine vornehme Persönlichkeit sie vorhin „Fritz“ genannt hatte. Er hatte es selbst gehört.

Ach, die Weibsleute lassen sich ja so leicht beschwindeln.

Ein mit billiger Eleganz gekleideter Herr stand vor dem Hotelportier.

„Ich möchte gern den Prinzen Rödnitz sprechen.“

Der Portier winkte einen der Pagen herbei.

„Ich weiss nicht, ob Durchlaucht oben ist, lassen Sie sich melden.“

Der Page führte den Fremden eine Treppe hinauf, blieb vor einer Zimmertür stehen.

„Ihre Karte, mein Herr, für die Anmeldung.“

Der Herr lachte.

„Ich bin kartenlos, sage nur, ich hätte etwas gefunden, was Durchlaucht gehört.“

Der Page klopfte. Ein sehr hellblonder Frauenkopf kam zum Vorschein und der Page entledigte sich seines Auftrags. Die Tür schloss sich wieder.

Der Page erklärte wichtig: „Das war die Zofe der Prinzessin.“

Der Fremde machte ein nachdenkliches Gesicht. Der sehr hellblonde Frauenkopf gab ihm zu denken.

Schon öffnete sich die Tür wieder.

„Durchlaucht lässt bitten!“

Luise Moldenhauer liess den Fremden ein, beachtete ihn aber kaum, erkannte den Kellner aus Zuckelmayers Festsälen nicht wieder.

Der Prinz sass am Schreibtisch, wandte sich nur ein wenig um.

„Man sagte mir, Sie hätten etwas gefunden, was ich verlor. Ich vermisse nichts bis jetzt. Um was handelt es sich?“

Kurz und unfreundlich klang es.

Der andere erwiderte leise: „Ich fand ein silbernes Zigarettenetui.“

Er hielt es dem Prinzen entgegen, ohne es jedoch loszulassen.

„Wo fanden Sie es? Es ist tatsächlich mein Eigentum.“

Der Prinz streckte die Hand aus.

„Ich fand es in Zuckelmayers Festsälen unter dem Tisch, wo Durchlaucht gesessen.“

Jetzt schaute Erwin Rödnitz dem Besucher scharf ins Gesicht, überlegte dabei blitzgeschwind.

„Ja, ich wollte mir mal so ein Ballokal ansehen. Aber woher wissen Sie meinen Namen, meine Adresse?“

Der Kellner hielt das Etui krampfhaft fest.

„Ich habe Durchlaucht schon vor dem gestrigen Abend bedient. Durchlaucht beschwerten sich bei meinem vorigen Chef, ich serviere tölpelhaft und ich verlor deshalb eine prachtvolle Stellung.“ Sein Gesicht färbte sich dunkler. „Ich war auf dem Weg nach oben! Ein paar Beschwerdeworte aus prinzlichem Munde schleuderte mich weit hinunter. Man muss leben, aber Zuckelmayers Festsäle verdanke ich nur Ihnen, Durchlaucht, sonst wäre ich heute noch in dem vornehmen Restaurant am Zoo.“

Dem Prinzen schien es, als läge in den Worten des Kellners versteckte Drohung.

Er erwiderte halblaut: „Ich kann mich nicht erinnern, mich über Ihre Bedienung beschwert zu haben, aber wenn ich es getan, dann war sicher Grund dazu vorhanden.“

„Natürlich, die vornehmen Leute sind immer im Recht,“ sagte der Kellner.

Der Prinz machte eine ungeduldige Bewegung. Wie lange wollte denn der Mensch das Zigarettenetui noch festhalten?

Er langte in ein Fach seines Schreibtisches, entnahm ihm einen Zwanzigmarkschein.

„Bitte, für Ihre Bemühungen, Herr —. Ja, wie heissen Sie denn?“

Der Kellner liess das Geld unbeachtet.

„Ich heisse Fritz Müller. In Wirklichkeit Fritz Müller. Sie sehen, Durchlaucht, es ist ein Durchschnittsname, jeder kann zufällig so heissen, und ich empfehle Ihnen, sich bei nächster Gelegenheit eines anderen Pseudonyms zu bedienen.“

Erwin Rödnitz hätte dem Mann am liebsten die Tür gewiesen, aber er wagte es nicht recht.

„Ich habe wenig Zeit, Herr Müller, und bitte Sie, mir nun mein Eigentum zurückzugeben und diese Belohnung dafür anzunehmen.“

Er hielt ihm abermals den Geldschein entgegen.

Der Kellner machte keine Miene, danach zu langen.

„Verzeihung, Durchlaucht, aber ich möchte keine Belohnung für einen so selbstverständlichen Dienst. Dagegen —“ er schob eine winzige Pause ein, „wäre ich sehr dankbar, wenn Sie mir eine kleine Summe leihen würden, Durchlaucht. Ich habe nämlich Gelegenheit, eine hübsche, kleine Wirtschaft zu übernehmen zu vorteilhaftesten Bedingungen, und weil ich mich gern selbständig machen möchte, und weil Sie, Durchlaucht, doch die Schuld tragen, dass ich mich zurzeit in minderwertiger Stellung befinde, ist es wohl nicht mehr als recht und billig, dass Sie mir wieder, wie man so sagt, aus dem Dreck helfen.“

Erwin Rödnitz begriff.

„Sie wollen mich erpressen, mein Lieber, nicht wahr? Sie meinen, weil ich mal ein Viertelstündchen in einem obskuren Tanzlokal gewesen, diese Wichtigkeit müsste das Licht der Welt scheuen?“ Er lachte erzwungen. „Unsereins interessiert sich auch mal für sowas wie ein Ballokal, und wenn es mir einfallen sollte, das Leben in einer Kaschemme kennenlernen zu wollen, so darf ich das auch tun.“

Der Kellner nickte. „Freilich, Durchlaucht, und ich finde auch nichts dabei, dass Sie Zuckelmayers Festsäle beehrt haben. Das Wort „erpressen“ sollten Sie nicht wiederholen, denn ich könnte es übelnehmen.“

„Geben Sie mir mein Eigentum und halten Sie mich nicht länger auf.“

Der Prinz schob heftig seinen Stuhl zurück.

Der andere rührte sich nicht vom Fleck.

„Wie ist es mit der Anleihe, Durchlaucht? Ich brauche nur fünftausend Mark auf die hübsche kleine Wirtschaft anzuzahlen.“

„Mann, jetzt habe ich es satt. Entweder Sie gehen jetzt gutwillig oder ich klingele.“

Der Kellner rührte sich immer noch nicht.

„Klingeln Sie nur, Durchlaucht. Ihre Partnerin von gestern Abend, die blonde Zofe der Frau Prinzessin, wird dann sicher zu Ihrem Schutz herbeieilen.“

„Das blöde Weibsbild hat geschwatzt!“ entfuhr es dem Prinzen.

Der Kellner schüttelte den Kopf.

„Das Mädel hat dicht gehalten, aber da mir der Hotelpage erzählte, die hellblonde Person, die uns die Tür öffnete, wäre die Zofe der Frau Prinzessin, wusste ich Bescheid. Uebrigens hat sie mich nicht mal erkannt!“

Erwin Rödnitz war wütend. Der gestrige Abend kam ihm teuer zu stehen.

Er sagte, so ruhig es ihm nur möglich war:

„Fünftausend Mark sind viel Geld. Meinen Sie, unsereins hat das Geld immer so bei der Hand? Ich werde Ihnen fünfhundert Mark schenken.“

Fritz Müller verbeugte sich.

„Ich möchte das Anerbieten nicht annehmen, da mir damit nicht geholfen ist. Ich werde jetzt der Frau Prinzessin das Etui aushändigen und sie bitten, mir darauf Geld zu leihen.“

„Sie sind ein ganz gemeiner Erpresser!“ rief Erwin Rödnitz zornig.

Im selben Augenblick war der Andere mit schnellem Sprung an der Tür, die er aufriss, und nun stand er vor der Prinzessin, die eben eintreten wollte.

Fritz Müller war verblüfft. Er hatte den Prinzen nur einschüchtern und gefügig machen wollen.

Wenn es zu einem Skandal kam, durfte er auf keinen Vorteil mehr rechnen.

Margarete trat beiseite, wollte den aus dem Zimmer Kommenden an sich vorbei lassen.

Er blieb stehen.

Der Prinz hatte seine Frau nicht gesehen. Er rief erregt: „Also, in Dreiteufelsnamen, Mann, bleiben Sie. Ich werde Ihnen das Geld geben, im übrigen interessiert es meine Frau gar nicht, ob ich mit ihrer Zofe in einem Tanzlokal war oder sonstwo.“

Der Kellner klappte zusammen.

Nun hatte sich der Prinz selbst reingeritten.

Deutlich waren die Worte aus dem Munde ihres Mannes an Margaretes Ohr gedrungen. Wenn sie auch keine Zusammenhänge sah, war der eine, einzige Satz doch so klar und deutlich gewesen, dass es daran nichts mehr zu drehen und zu deuteln gab.

Sie schritt an dem Besucher vorüber auf ihren Mann zu. Sogar ein Lächeln fand sie, weil sie nicht klein werden wollte vor den beobachtenden Blicken des ihr unsympathischen Fremden

Sie sagte so leichthin, wie es ihr nur möglich war: „Natürlich interessiert es mich nicht, wo du mit meiner Zofe gewesen bist, aber es ist geschmacklos, in meiner Gegenwart davon zu sprechen.“

Der Kellner riss die Augen auf. Donnerwetter, das schien ja eine sehr eigenartige Ehe zu sein, diese prinzliche.

Erwin Rödnitz biss auf seiner Unterlippe herum. Nun sass er fest. Aber er bewunderte aufrichtig die Art und Weise, wie seine blutjunge Frau die doch gewiss heikle Situation beherrschte.

Es imponierte ihm,

Fritz Müller hatte die Tür ins Schloss gedrückt. Er sah den Prinzen an.

„Durchlaucht sagten eben, ich solle das Geld haben —“

Erwin Rödnitz machte eine verächtliche Gebärde. Jetzt hatte er es nicht mehr nötig, Schweigegeld zu zahlen.

Er sagte barsch: „Wenn Sie mein Zigarettenetui nicht sofort herausgeben, zeige ich Sie wegen Fundunterschlagung an. Und wenn Sie die zwanzig Mark Finderlohn verschmähen, erhalten Sie gar nichts.“

Dem Kellner blieb keine Wahl. Als er im Wohnzimmer an der Zofe vorbeiging, raunte er ihr zu: Prinzenliebste!

Da erkannte Luise Moldenhauer den Kellner von gestern abend aus Zuckelmayers Festsälen.

Angst stieg ihr bis in die Kehle.

Die Angst war nicht grundlos. Schon eine halbe Stunde danach befahl ihr die Prinzessin, ihre Sachen zu packen. da sie der Dienste einer Zofe fernerhin entraten könnte.

Erwin Rödnitz spielte den Zerknirschten.

Margarete war unzugänglich.

„Ich schäme mich unserer Ehe,“ sagte sie weinend, „ich schäme mich entsetzlich. Aber ich wusste ja nicht, was ich tat, als ich deine Frau wurde, weil ich zu jung war, und nun muss ich wohl aushalten, denn wir dürfen anderen Menschen kein Schauspiel geben. Aber ich will, dass wir jetzt nach Rödnitz zurückkehren, dort so leben, wie es unsere finanziellen Verhältnisse gestatten.“

Zwei Tage später reisten sie beide ab, und an einem stürmischen Apriltage ward Alexander Rödnitz auf dem Gute geboren. Eine glücklichere Mutter als Margarete hat es wohl kaum gegeben. Sie lebte nur für das Kind und achtete nicht darauf, dass ihr Mann immer öfter nach Berlin fuhr und immer länger dort blieb.

Die alten Damen hatten zur Taufe des Kindes nach Rödnitz kommen wollen, doch beide waren an der in diesem Frühjahr besonders heftig auftretenden Grippe erkrankt. Fräulein von Keller hielt Margarete durch tägliche kurze Nachrichten auf dem Laufenden.

Eines Morgens kam eine Depesche, die Fürstin läge im Sterben. Die junge Frau packte das Notwendigste zusammen und fuhr mit dem winzigen Erdenbürger und der Kinderfrau nach Wulffenberg.

Ihr Mann atmete auf, nachdem sie fort war.

Nun konnte er wenigstens ungestört allerlei Verkäufe machen, von denen sie nichts wissen brauchte. Ein grosses Stück Ackerland ging denselben Weg, den vorher die Wiesen gegangen, auch das lebende Inventar verminderte sich bedenklich in dieser Zeit.

Spielschulden drängten und bei ein paar Geldverleihern wuchsen die Zinsen zu unheimlicher, beängstigender Höhe an.

Inspektor Jäger war empört.

„Durchlaucht, auf diese Weise ist das Gut in Jahresfrist längst Eigentum fremder Leute!“ versuchte er dem Prinzen die Lage klar zu machen.

Erwin Rödnitz verwahrte sich dagegen.

„Sie sind ein Gespensterseher, verehrter Inspektor, ein paar gute Ernten renken alles wieder ein.“

Der Inspektor brummte missbilligend: „Was verkauft ist, ist verkauft!“

Ein bisschen flau war dem Gutsherrn auch zumute, aber die Geldkalamitäten mussten eben behoben werden, ganz gleich, auf welche Weise.

Ein Telegramm Margaretes rief ihn. Die Fürstin war gestorben und Grossmama Rödnitz würde kaum wieder gesunden.

Als er in Wulffenberg eintraf, holte ihn Margarete vom Bahnhof ab. Sie sassen dann nebeneinander in der alten Kalesche und erst während der Fahrt erfuhr der Prinz, dass auch seine Grossmama gestorben war.

Er erschrak sehr und dennoch empfand er die Trauerbotschaft wie eine Befreiung. Nun gab es, ausser Margarete, niemand mehr auf Erden, der ihm Vorwürfe machen durfte.

Und mit ihr würde er fertig werden, nun sie keinen Hinterhalt mehr in Wulffenberg suchen konnte.

Um seine einzige Verwandte, die alte Prinzessin, tat es ihm leid, aber das Gefühl des Aufatmens überwog.

Acht Tage nach der Beisetzung kam der Notar aus der Kreisstadt, zwei Testamente wurden geöffnet. Die Fürstin vermachte das geringe Bargeld, das sie noch besessen, dem kleinen Urenkel Alexander, den sie nicht mehr hatte sehen können, auch die alte Prinzessin hatte ihr kleines Vermögen dem Kinde verschrieben. Beide Damen hatten ihr Testament nach Erhalt der Geburtsanzeige gemeinsam gemacht.

Erwin Rödnitz war zornig.

„Mit dem Bargeld hätten wir uns so gut weiterhelfen können!“ schalt er. „Aber bis der Junge mündig wird, liegt es fest.“

„Das ist auch der Zweck, den die Grossmamas verfolgt haben,“ erwiderte Margarete, „sie wollten etwas für die Zukunft unseres Sohnes tun. Im übrigen brauchen wir doch jetzt kein Bargeld, um uns weiterzuhelfen, hast doch alles geregelt. Und wenn wir eine halbwegs gute Ernte haben, können wir wohl schon etwas zurücklegen, damit wir wieder ein Bankkonto haben werden.“

Der Prinz pfiff durch die Zähne, aber er schwieg vorläufig.

Im Spätherbst waren ein paar Wechsel fällig, die ihm, wenn er an die Summen dachte, die darauf standen, Fieberströme durch den Körper jagten. Er wusste ja selbst nicht mehr, wo all das viele Geld, das schon durch seine Finger gelaufen, hingekommen war, es war aber weg. Für Deckung der Wechsel musste er sorgen. Doch woher es nehmen, woher?

Das Krönlein mit den Smaragden und Brillanten, das immer noch wie eine grosse Hoffnung vor ihm her gaukelte, fiel ihm ein.

Er fragte Margarete danach.

„Ist die Kostbarkeit auch sicher und gut verwahrt?“ erkundigte er sich. „Du wirst die Krone doch mit nach Rödnitz nehmen müssen.“

Die Prinzessin fragte hastig: „Du hast doch etwa nicht noch immer Gelüste nach den Steinen?“

Er würde sich hüten, jetzt mit einem ehrlichen „Ja“ zu antworten. Vorläufig interessierte es ihn, zu hören, wo die Krone aufgehoben wurde.

Er sagte: „Du wünschest nicht, dass die Juwelen verkauft werden, ich habe mich dem Wunsche gefügt.“

Margarete erwiderte: „Ich freue mich, dass du vernünftig bist. Dafür sollst du auch erfahren, wo Grossmama unser wertvollstes Familienbesitztum aufbewahrt. Du musst es sogar wissen, denn dergleichen sollten immer zwei Menschen wissen.“

Sie zeigte ihm das Geheimnis des Paneels, führte ihn durch den Gang in den kleinen kapellenartigen Raum und öffnete den antiken Kasten, in dessen Samtvolster die kleine Krone aus dunklem Golde ruhte.

Erwin Rödnitz war verblüfft. Er lachte laut.

„Hier sucht keiner die Krone, das ist ein famoser Versteckwinkel.“

„Nicht wahr?“ Margarete schloss den Kasten wieder. „Ich gebe dir nachher den Schlüssel zum Kasten, den Grossmama besass. Falls ich krank werde oder gar sterbe oder meinen Schlüssel verliere.“

In des Mannes Augen blitzte es auf.

„Soll die Krone nicht mit nach Rödnitz, Marga?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Ich meine, sie ist hier vorzüglich aufgehoben, wir können sie unbesorgt hier lassen.“

Er stimmte ihr zu. Halb verschwommen noch tauchte ein Plan in ihm auf, der ihn vielleicht mit einem Schlag aus allen finanziellen Nöten zu befreien vermöchte.

Er blickte sich in dem engen Gelass um.

„Phantastisch zurechtgemacht ist hier alles,“ sagte er.

Margarete schob den Tisch beiseite, auf dem das Kruzifix stand und hob den kleinen Teppich.

Nun lernte Erwin Rödnitz auch den geheimen Gang kennen, der zur Familiengruft auf dem Dorffriedhof führte.

Er schüttelte sich in komischem Entsetzen.

„Hier zu Wulffenberg passen solche unterirdische Gänge. Weisst du, ständig möchte ich hier nicht wohnen. Wir wollen das Schloss später verkaufen. Wie denkst du darüber? Es ist ein alter, unheimlicher Steinblock!“

Wulffenberg verkaufen? Daran hatte Margarete noch nicht gedacht. Die Frage wollte überlegt sein. Sie zuckte die Achseln, erwiderte nachdenklich: „Ja, vielleicht könnten wir Wulffenberg später verkaufen.“

Die Familie Westfal hatte zur Beisetzung der Fürstin Alexandra auch einen Kranz geschickt und Margarete dachte, dass es nun Zeit war, sich dafür zu bedanken.

Sie wählte den Weg durch den Park, und als sie das Pförtchen in der Mauer öffnete, stieg die Erinnerung an den Tag in ihr auf, als Hans zum letzten Male hierher gekommen.

Ganz deutlich fiel ihr die ganze Szene ein.

Zum erstenmal hatte sie ihn nicht in den Pavillon geführt und dann war Fräulein von Keller aufgetaucht, hatte spöttisch seine Verwandtschaft mit dem buckligen Hofnarren erwähnt. Hans hatte das sehr übel genommen und ihr an der hässlichen, störenden Episode die Schuld gegeben.

Sie ging langsam am Waldrand entlang der Schmiede zu.

Es war Juni, die Bäume prangten im hellsten Grün und die Luft war kraftvoll und doch schmeichelnd lau.

Margaretes düsteres Kleid schob sich scharf in die Helle und sie sann, wie so ganz anders alles gewesen, als sie zum letzten Male hier gegangen. Sie sah das Dach des Schmiedehauses auftauchen. Rauch kräuselte sich aus dem Schornstein, quoll in mattem Grau, wie weiche, bewegliche Straussenfedern gegen den strahlend blauen Himmel.

Margarete trat über die Schwelle des Hauses und weil ihr kein Mensch begegnete, klopfte sie an die Wohnzimmertür, hinter der sie ein Geräusch gehört zu haben glaubte.

Doch niemand rief Herein.

Margarete öffnete die Tür, spähte in das Zimmer.

Sie erschrak. Auf einem Stuhle am Tisch sass Frau Westfal in einem Zustand völliger Auflösung, ihre eine Hand umkrampfte ein Zeitungsblatt, während sie die andere gegen die Stirn drückte, als plage sie starkes Kopfweh.

Margarete zog die Tür hinter sich ins Schloss, verharrte abwartend, wusste nicht, ob sie bleiben oder sich lieber wieder entfernen sollte.

Die Lider der Frau zuckten hoch, Augen, in denen das Licht des Irrsinns flackerte, richteten sich auf Margarete.

Unwillkürlich wich die Prinzessin zurück vor den wirren Augen und dem schmerzverzogenen Gesicht der sonst stets so ruhig und gelassen blickenden Frau.

Sekundenlang lag ein Schweigen über dem Raume, der wie vollgesogen war von etwas Dunklem, Unheimlichem.

Die Frau stöhnte laut auf und das Stöhnen erstarb in einem Wimmern.

Margarete vermochte die marternde Stimmung nicht mehr zu ertragen

Sie ging auf Marie Westfal zu, fragte leise: „Was ist denn hier geschehen, was Sie so völlig aller Fassung beraubte?“

Das Zeitungsblatt raschelte und dann hielt es Margarete in den Händen.

Es war ein Frankfurter Blatt. Zitternde Finger wiesen auf eine bestimmte Stelle.

Margarete las und dann flatterte die Zeitung zu Boden. Totenblass war das feine Gesicht der Prinzessin und ihre Lippen formten lautlos die Silbe: Nein! Immer wieder diese Silbe.

Die Aeltere erhob sich von ihrem Stuhle, und nun standen sich die beiden, an Alter und Lebensverhältnissen so völlig verschiedenen Frauen gegenüber, blickten sich hilflos an.

Plötzlich aber sanken sie sich in die Arme wie Mutter und Tochter, von gemeinsamer Not geeint.

In Margaretes Kopf war schmerzende Ueberfülle und doch war nichts anderes darin, als die grause Botschaft: Hans Westfal war tot, war drüben weit über den Meeren, im Zauberlande Indien, auf das er sich so sehr gefreut, von einem eisernen Brückenträger erschlagen worden.

Und die Tränen der beiden Frauen strömten zusammen, erpresst von dem grausamsten Weh.

„Du hast ihn lieb gehabt, Kind, nun weiss ich es bestimmt,“ sagte Marie Westfal so leise, dass es nur wie ein Hauch an Margaretes Ohr glitt

Fester presste sich das feine dunkelhaarige Köpfchen auf die Schulter der einfachen Frau und ebenso leise kam es zurück: „Ich habe es aber nicht gewusst, und nun werde ich immer traurig sein müssen, weil ich es ihm nie gesagt habe.“

„Er hat dich geliebt, Kind, Hans hat dich sehr geliebt, aber er wusste, dass seine Wünsche vermessen waren, und du warest ja auch noch zu jung, viel zu jung.“

„Mutter, ich habe ihn schon lieb gehabt als kleines Mädel, nur dass man das natürlich nicht richtig erfasst. Unsere Kinderfreundschaft barg schon die Liebe und ich ahnte nichts davon.“ Sie weinte laut auf.

„Still, ganz still, du musst nach aussen hin damit fertig werden, denn du hast einen Gatten, hast ein Kind.“

Margarete zuckte zusammen.

Sie hatte ein Kind! Ja, der Anruf traf ihr Herz, der Hinweis auf den Gatten aber nicht.

Erwin Rödnitz hatte sich bisher nicht im geringsten darum gekümmert, was sie für ihn empfand.

Er war ein leichtsinniger Mensch, ein Spieler und Schuldenmacher und sie erinnerte sich an den Tag, da sie ihre sehr hübsche Zofe hatte entlassen müssen.

Langsam lösten sich die beiden Frauen voneinander und die Aeltere sagte sanft: „Verzeihen Sie, Frau Prinzessin, in der Erregung überschritt ich die Schranken und nannte Sie ‚du‘.“

Margarete blickte aus tränenverschleierten Augen die Andere an.

„Das ist doch so gleichgültig, und nun wir wissen, wie ich zu Hans gestanden habe, sollten wir uns weiter du nennen.“

Die kräftig gebaute, jetzt so müde und verfallen aussehende Frau, liess sich wieder in den Stuhl sinken.

Margarete fiel auf die Knie vor ihr, barg ihr schmerzendes Haupt in ihren Schoss.

„Mutter, du — es kann ja nicht sein, es ist ja nicht auszudenken.“

Die Aeltere legte ihre Hände auf das weiche, glänzende Haar Margaretes.

„Es ist nicht auszudenken und doch, wir werden uns fügen müssen. Niemand von den Meinen weiss es bis jetzt. Ich wollte die Zeitung lesen und da fand ich das Schreckliche. Und vor einer Woche kam noch so ein zufriedener, glücklicher Brief von ihn

Margarete hob den Kopf, nahm das in ihrer Nähe liegende Blatt auf, das die Unglücksbotschaft enthielt.

Und sie las noch einmal genau, was sie vorhin so unvorbereitet grausam getroffen.

Es stand unter den kurzen Auslandsnotizen:

„Aus Batavia kommt die Meldung, dass dort im Innern Javas der bei der deutschen Eisenbaufirma Mannholz beschäftigte junge deutsche Ingenieur Westfal von einem eisernen Brückenpfeiler erschlagen worden sei und sofort tot war.“

Die Zeitung schob sich leicht hin und her in den bebenden Händen Margaretes.

Marie Westfal drückte die Fäuste gegen die Schläfen.

„Ich werde wahnsinnig,“ wimmerte sie vor sich hin.

Margarete zog den Frauenkopf, in dessen glattgescheiteltem Blondhaar ein paar breite Silbersträhnen schimmerten, zu sich nieder.

„Mutter, liebe Mutter, es ist entsetzlich, aber denke an deinen Mann und deinen anderen Sohn. Sie werden auch leiden, wenn sie das Furchtbare erfahren. Sei stark, Mutter, liebe Mutter. Und ich werde an meinen kleinen Jungen denken, wenn’s gar zu wehe tun will.“

Sie erhob sich von den Knien.

„Ich will gehen, ich habe kein Recht dazu, mein Leid vor anderen zu zeigen.“

Marie Westfals Lippen zuckten.

Du bist jung, mein Kind, die Zeit wird deinen Schmerz heilen, ich verwinde es niemals, das nicht.“

Margarete neigte sich, küsste die Frau.

„Liebe, liebe Mutter!“

Sie schritt zur Tür, blickte sich von dort aus um.

Frau Westfal sah ihr nach und ihre Züge bewegten sich wie in einem Krampf.

Margarete öffnete die Tür. Auf dem Flur kam ihr der Schmiedemeister entgegen.

Er starrte sie an, weil ihr, ohne dass sie es wusste, noch immer die Tränen über die Wangen liefen.

Er grüsste sie, sie erwiderte den Gruss nicht, wies nur auf die Tür: „Helfen Sie Ihrer Frau, sie hat eine böse Nachricht über Hans erhalten.“

Sie eilte an dem bestürzten Manne vorbei, rief über die Schulter zurück: „Hans ist tot!“

Dann stürmte sie davon.

Noch mehr Jammer mochte sie nicht mitansehen. Ihr war ja schon zumute, als zerschnitte ihr eine rohe, grausame Hand das Herz im Leibe in viele kleine Stücke, die nun bluteten und zuckten und die rohe, grausame Hand fand kein Ende des entsetzlichen Spiels.

Sie ging dann wieder am Waldessaume dahin, aber ihr war es, als seien alle Farben in der Natur inzwischen matt und trübe geworden. Sie schlich förmlich und sie fürchtete sich davor, im Schlosse über irgendwelche gleichgültigen Dinge mit ihrem Mann oder Fräulein von Keller sprechen zu müssen.

O, was hätte sie dafür gegeben, wenn sie wenigstens einen einzigen Tag für sich allein gehabt hätte, einen einzigen Tag für ihren Schmerz.

Als sie den Park betreten, rastete ihr Fuss und dann hastete Margarete mehr gefühlsmässig als überlegt auf den Pavillon zu, blickte sich scheu um, ob sich auch zufällig niemand in der Nähe befand, der beobachten konnte, wohin sie ging.

Sie stand gleich darauf im Pavillon, eine dicke Staubschicht lag über den wenigen Möbeln darin, aber die Prinzessin bemerkte es gar nicht. Sie setzte sich auf das alte Sofa, dessen Ueberzug noch brüchiger geworden, und schaute zu dem Bilde des Buckligen auf, der Zeuge ihrer Zusammenkünfte mit Hans gewesen.

Er lächelte verhalten und überlegen mit seinem spöttisch traurigen Narrenmunde auf die schmale Prinzessin nieder, die sich in die Ecke des staubigen Sofas drückte, wie ein verirrtes, schutzsuchendes Kind.

Und Margarete schaute zu dem Bilde auf, und aus allen Winkeln des Raumes lösten sich Erinnerungen gleich feinen Spinnweben und schwebten auf sie zu.

Immer schmerzlicher ward sich Margarete bewusst, dass sie Hans Westfal von ganzem Herzen geliebt hatte. Aber der Ahnenstolz und Hochmut der Grossmutter hatte ihr Empfinden so einzuzwängen verstanden, dass sie nicht darauf gekommen, dass sie Hans Westfal geliebt hatte.

Nun wusste sie es mit einer grausamen und trotz allem Schmerz doch beseligenden Gewissheit, sie beide waren vom Schicksal für einander bestimmt gewesen.

Sie barg ihr Antlitz in den Händen.

Zu spät, viel zu spät begriff sie Hans Westfals Liebe und die ihre.

Aber nur nicht mehr weinen. Sie wollte keine Frage, keinen Blick nach dem Grund der Tränenspuren auf ihrem Antlitz forschen lassen.

In allen Lebenslagen nach aussen hin Haltung bewahren! das war das Leitmotiv gewesen, das Fürstin Alexandra hochmütiges Gesicht stets so undurchdringlich gemacht

Margarete liess die Hände lässig sinken. Niemand brauchte wissen, wie ihr Herz aufschrie in unsäglichem Schmerz.

Sie erhob sich, flüsterte zu dem im bunten Narrenkleide empor: „Hans ist tot, er wird nie mehr hierherkommen.“ Sie wiederholte wie für sich: „Nie mehr!“

Und als würde ihr erst jetzt die volle, tiefe Bedeutung dieser Worte klar, schrie sie laut auf: „Nie mehr!“

Und dann schien der Boden unter ihr zu schwanken und von allen Seiten drängten Nebel auf sie zu.

Die Prinzessin Margarete Rödnitz lag bewusstlos vor dem Bilde des Hofnarren und das düstere Kleid bauschte sich um sie herum, liess das bleiche Gesicht wie eine liebliche Wachsmaske erscheinen.

Fast eine Viertelstunde lag sie so, ehe ihr Körper seine Bewegungsfähigkeit wiederfand.

Sie begriff im ersten Augenblick gar nicht, wie sie hierhergekommen, bis sie sich des Schrecklichen wieder klar bewusst wurde.

Sie erhob sich mühsam, klopfte den Staub von ihrem Kleide und kehrte ins Schloss zurück.

Der Prinz war ins Dorf gegangen, hörte sie. Sie war froh, jetzt nicht gleich mit ihm über Dinge sprechen zu müssen, die ihr in ihrer Stimmung so nebensächlich dünkten.

Zwei Tage danach reiste das Paar mit dem Kinde und der Kinderfrau wieder nach Rödnitz. Fräulein von Keller blieb als Verwalterin im Schloss und sie war glücklich, vorläufig ein sicheres Dach über dem Kopfe zu haben, ohne dass sie die Ketten der Abhängigkeit fühlte.

Der Sommer verging sehr still auf dem Gute, durch die Trauer um die beiden alten Damen unterblieben die Besuche in der Nachbarschaft und Erwin vertraute seinem Inspektor an: „Es ist zum Auswachsen langweilig!“

Inspektor Jäger erwiderte unerschrocken, es sei sehr betrübend, wenn ein Gutsherr keine Freude am Landleben habe.

„Das kommt noch, wenn ich erst einmal ein oller Krauter sein werde,“ erwiderte der Prinz, „aber noch lacht zu viel Jugend in meinem Blut!“

Der Inspektor unterdrückte eine Antwort.

Ein Jammer, dass der Prinz nur für Vergnügen, Geselligkeit und Spiel Sinn hatte. Seine Grossmutter hatte die Zügel der Gutsregierung fest in Händen gehabt, dem Enkel zerrann aller Segen, der ihren Fleiss und ihr Interesse gelohnt, unter den Fingern. Die junge Frau gab sich wohl Mühe, aber guter Wille allein vermag es auch nicht immer zu schaffen.

Der Inspektor sah sorgenvoll in die Zukunft.

An Margaretes achtzehntem Geburtstag und erster Wiederkehr ihres Hochzeitstages war der Prinz verreist, und Margarete dachte mit Bitternis, wie traurig es doch war, dass ihr Mann auch nicht durch die kleinste Aufmerksamkeit bewies, dass er an diesen Tag gedacht.

Fräulein von Keller hatte Glückwünsche gesandt, sonst niemand. Da sass nun die junge Herrin von Rödnitz ganz allein und hielt ihr Kind im Arm, sann allerlei trüben Gedanken nach, und ihr war es, als sei sie schon uralt, als lasteten die Erlebnisse von hundert Jahren auf ihrem Kopf, machten ihn stumpf und müde.

Nur wenn sie auf das kleine, rosige Kindchen niedersah, hellten sich ihre Züge auf.

Wenn das Kind nicht wäre, müsste mein Leben unerträglich sein, dachte Margarete.

Die letzte aus dem Hause Wulfenberg

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