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ОглавлениеHoch über Venedig war die Sonne als orange brennender Ball ins Meer eingetaucht. Die Strände waren verlassen. Die Strandbars geschlossen. Keine Musikbox dudelte mehr. Nur auf dem nahen Trampolin drehte ein einsamer Irrer seine Runden. Man hörte sein blopp — blapp — blopp — blapp. Monoton und idiotisch.
Lucia schlenderte durch den Sand in Höhe der Hütten. Sie trug nur ihre Cordhose und einen Pulli, darunter nichts, keinen BH, keinen Slip. Die nackten Füße malten Spuren in den Sand. Die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, zog sie an einer Zigarette, die sie sich in einen Mundwinkel geklemmt hatte. Um die Hände nicht aus den Taschen nehmen zu müssen, schüttelte sie hin und wieder mit einer heftigen Kopfbewegung die Asche ab. Als sie am Piazzale San Martino weiter südlich gehen wollte, blieb sie plötzlich stehen, öffnete den Mund und ließ die Kippe in den Sand fallen.
Zwei große Jungen, vielleicht Anfang Zwanzig, der eine weißblond, der andere schwarz, beide trugen ihr Haar schulterlang. Sie hatten sich die Hosen aufgeknöpft und wichsten sich gegenseitig die Schwänze. Derweil küßten sie sich intensiv, indem jeder mit der Zunge die Mundhöhle des anderen auszuforschen trachtete. Die Augen hielten sie geschlossen und Lucia machte keinen Lärm. So waren sie völlig verdutzt, als sie sahen, daß das fremde Mädchen ganz nah bei ihnen stand und sie wohl schon einige Zeit betrachtet haben mußte.
„Es ist nicht strafbar“, murmelte der Schwarzhaarige, „er ist alt genug“, und fügte dann, fast trotzig, hinzu: „Und Erregung öffentlichen Ärgernisses ist es auch nicht!“ Der Blonde schwieg.
Es war nur ein Schritt, bis sie hautnah bei ihnen stand. Ihre Erektionen hatten nicht nachgelassen. Wortlos ließ sich Lucia vor dem Blonden auf die Knie fallen, zog mit einem Ruck seine Hose herunter, umschloß mit dem Mund seinen Penis und umklammerte mit den Händen seine Oberschenkel, als fürchte sie, er werde davonlaufen. Den Blonden durchlief ein Zittern. Der Schwarze stand hilflos neben seinem Freund. Lucia löste eine Hand von dem Oberschenkel und umschloß das Glied des anderen, wichste es so, wie es vorher der Junge getan hatte. Der hatte indes damit begonnen, nicht nur das Aufundab von Lucias saugendem Mund aufzufangen, sondern selbst in rhythmischen Stößen in diesen vollen Frauenmund hineinzuvögeln. Dann und wann gab er ein leises Wimmern von sich.
Der Schwarzhaarige hatte sich aus Lucias Hand befreit und war hinter seinen Freund getreten, dessen Oberkörper er leicht nach vorn drückte, so daß Lucia ihre Haltung verändern mußte. Fest drückte er sich auf den Rücken des Freundes und stieß mit ruhigen, gekonnten Bewegungen seinen Schwanz immer tiefer in den Hintern des Jünglings, der immer öfter das Lied seiner Lust sang. Lucia fühlte mit der Hand zwischen die beiden und stellte fest, daß der Schwanz des Schwarzhaarigen zur Hälfte verschwunden war. Die Jungen stöhnten im gleichen Takt und Lucias Mund und Rachen waren immer noch ausgefüllt von dem zuckenden Jungenpimmel. Mit beiden Händen hatte sie die Eier des Fickenden umschlossen, die wild gegen die Hinterbacken des anderen klatschten. Das Stöhnen entartete zum Schrei. Lucia schluckte und schluckte und spürte zugleich, wie der Samen des Arschfickers dem Freund durch den Damm lief. Sie ließ sich auf den Rücken fallen. Erschöpft legten sich die Jungen neben sie.
„Nimmst du dir immer alles, was du haben willst, ganz einfach, so wie jetzt?“ fragte der Blonde.
„Ja.“
„Immer schon?“
„Nein. Seit gestern!“
Der Schwarze warf ein: „Und wie lange willst du das so machen? Ich meine, ein Leben lang? Auch als Großmutter noch?“
„Ich werde nie Großmutter sein. Ich werde mir immer alles nehmen, was ich haben will, bis zu dem Tage, an dem ich von hier in Richtung Meer gehen werde. Und immer weiter gehen werde, bis das Wasser meine Knie umspült, bis meine Brüste im Wasser sind, bis nur noch meine Haare und dann nichts mehr zu sehen ist. An diesem Tage habe ich mir das letzte genommen, was ich mir nehmen wollte, das Leben!“
Die Giardino-Bar gegenüber dem Floridiana öffnete früh. Viele nahmen hier ihren Frühstückscaffè mit einer Zigarette oder den morgendlichen Apéritiv, einen Camparisoda, einen Rabarbero zucco oder den mundigen Rosso antico.
Lucia blickte auf ihre Armbanduhr. Zehn Uhr — ein herrlicher Morgen. Die Stadt erwacht. Ein guter Platz, Leute zu beobachten. Die Straßenkreuzung gab viel her für die Augen. Es waren kaum Autos unterwegs, man ging zu Fuß. Touristen eilten zum Strand, nur ja keine Minute Sonnenbraterei verpassen. Bäuerliche Frauen mit großen Kopftüchern auf dem Kirchgang. Reiche Amerikaner mit Fotoausrüstung, mit Brillanten behangen. Verspätete Nachtbummler, die der Bus aus Rimini ausgespuckt hatte. Geldadel aus Mailand und Rom, ohne Schmuck, ohne Aufwand, die Zigarettenschachtel und das Feuerzeug in der Hand haltend. Bei so viel Mühe des Herunterspielens klatschten einem geradezu die Lirebündel um die Ohren. Der Kellner erschien in der Sommeruniform eines Flottenadmirals.
„Un caffè freddo!“
„Prego, subito!“
Wie viele Tage war sie nun hier? Drei, vier? Vier wohl, aber das war nicht wichtig.
„Wie lange bleibst du?“ hatte ihre Mutter in Mailand gefragt.
„Ich weiß nicht“, hatte sie geantwortet. „Vielleicht ein paar Wochen, ein paar Monate, ich weiß nicht.“
Mutter war ehrlich entsetzt gewesen. „Aber warum, bambina? Was hast du vor? Ein Urlaub, so zum Erholen, der dauert vier oder fünf Wochen. Dann ist man wieder in Ordnung. So haben es Vater und ich stets gemacht und so kennst du es auch. Wozu jetzt diese Planlosigkeit?“
„Mamma, versteh mich. Ich handle nicht planlos. Ich muß mit mir ins reine kommen. Ein neues Leben anfangen, erwachsen werden.“
„Ein neues Leben!“ Mutter schnaubte. „Hat man so was je gehört? Mit zwanzig will sie ein neues Leben anfangen! — Komm her zu mir, bambina. Sag es mir, wenn dich etwas bedrückt. Kann ich dir helfen? Hast du dir vielleicht …“ Mamma konnte den Satz nicht vollenden. Sie wäre zusammengebrochen, hätte sie je über Sexuelles, über Erotik sprechen müssen.
„Nein Mamma, ich habe nicht. Aber, vielleicht werde ich —“, auch Lucia konnte nicht weitersprechen. Doch aus anderem Grund. Die Mamma hätte sie doch nicht verstanden. Es wäre ein Gespräch ohne Anfang und Ende geworden, ein Fluß, der im Kreise fließt, ein Strom, der sich in sich selbst ergießt und keine Mündung, kein Ergebnis. Zum Schluß hätte die Mamma geweint und nichts begriffen, außer, daß ihre Tochter seltsam, fern und unerreichbar war.
Was sollte sie, die Mutter schon anfangen mit dem Wort Emanzipation? Und wenn sie, die Tochter, ihr dann noch zu erklären versucht hätte, daß es ihr vor allem auf die sexuelle Emanzipation ankam?
Doch es war sinnlos, darüber zu grübeln. Sie hatte sich entschlossen. Sie war schon zu weit gegangen in diesen vier Tagen, als daß sie noch zurück gekonnt hätte. Mein Gott, wie leicht war es gewesen! Und wieviel Vergnügen hatte es gemacht! Das größte, schönste, gewaltigste, intensivste Vergnügen der Welt! Und man konnte es jederzeit haben, an jedem Ort, zu jeder Zeit — fantastico!
Lucia betrachtete sich. War sie für einen Sonntag halbwegs korrekt angezogen? Im Hotel hatte sie nicht daran gedacht, daß Sonntag war, maß dem Tag auch weiter keine Bedeutung bei. Doch hier, quasi auf dem Präsentierteller, an einer Straße, die voller Kirchgänger war?
Sie sah auf ihre langen gebräunten Beine, die nackten Füße in den aufregenden Sandaletten, die lackierten Zehen. Der braune Minirock war entschieden zu kurz. Aber auch durch Ziehen ließ er sich nicht verlängern und gab weiterhin den größten Teil der kräftigen Oberschenkel frei. Die dünne, lindgrüne Bluse ließ alles ahnen, bei intensiver Betrachtung auch sehen. Den mittleren Knopf wenigstens sollte sie schließen! Sie versuchte es, vergeblich. Ein BH hätte die Brüste besser geteilt, so war die Bluse gearbeitet. Aber was der BH zurückgehalten und geteilt hätte, trug Lucia lieber naturell. Der Knopf blieb offen.
Eine Zigarette! „Darf ich Ihnen Feuer anbieten?“ Ein Feuerzeug klickte. Der Fremde sprach italienisch mit einem kleinen Akzent. „Gestatten Sie?“
Lucia schaute um sich. Die Bar war bereits recht gut besucht. Sie nickte.
Verstohlen betrachtete sie den Ausländer. Schwarze Schuhe, helle Leinenhose, dunkelblauer Blazer mit weißem Hemd und Krawatte, das dunkelblonde Haar sorgfältig gescheitelt und gekämmt. Er könnte Deutscher sein.
„Wie heißen Sie?“ Lucia hatte die Frage ganz ohne Vorbereitung abgeschossen.
Der Fremde stutzte, faßte sich aber und sagte knapp:
„Neufert. Neufert aus Frankfurt.“
Lucia lachte: „Ihren Vornamen will ich wissen!“
Herr Neufert aus Frankfurt, er mochte um die Dreißig sein, stutzte und faßte sich abermals. „Rolf“, sagte er, „Rolf Neufert.“ Er wagte nicht, die Gegenfrage zu stellen. „Ich heiße Lucia“, half sie ihm und Rolf Neufert warf ein „Angenehm!“ dazwischen.
„Wieso sprechen Sie so gut italienisch?“
Bescheiden wehrte er ab. „Mein Vater hat ein Importgeschäft. Textil und so. Wir machen viele Geschäfte mit Italien. Und da ich das Ganze mal übernehmen soll, lag es auf der Hand. Ich habe drei Jahre in Florenz studiert“, fügte er nicht ohne Stolz hinzu.
Das Gespräch entwickelte sich. Rolf erwies sich als Mann von Welt, mit besten Manieren, korrekt, aber doch wenig erfahren. Selbst am Nebentisch konnte man spüren, daß Rolf immer mehr entflammte. Er erzählte von sich, von seiner Familie, den Geschäften, als ob er noch vor dem Mittagessen einen Heiratsantrag machen wolle.
Und Mittag wurde es bald. Die Verabschiedung. Die unvermeidliche Frage. „Können wir uns Wiedersehen, Lucia?“
Lucia schwieg. Einen Augenblick nur war sie in Versuchung.
Rolf drängte. „Bitte, ich möchte Sie einladen. Heute abend, morgen abend. Wir gehen ins La Stalla, fahren zum Eden Rock! Kennen Sie Eden Rock? Es ist fantastisch!“ Sie bot ihm eine Zigarette an. „Nun seien Sie mal ganz ruhig, Rolf. Ich werde Sie vermutlich schockieren. Aber es muß wohl sein!“
Er begriff nichts: „Sind Sie etwa verheiratet?“
„Nein. Hören Sie mir mal zu. Sie verstehen ein wenig von Italien —“ Rolf nickte Zustimmung — „Sie verstehen ein wenig von italienischer Mentalität, haben darüber gelesen, vor allem über die Frauen“ — wiederum Nicken — „vergessen Sie das alles! Es stimmt nicht mehr!“
„Aber dann verstehe ich Sie erst recht nicht. Wenn Sie also meinen, daß Sie modern sind, frei, wenn ich mich so ausdrücken darf, warum wollen Sie dann nicht eine kleine, harmlose Einladung annehmen?“
„Ich will es Ihnen erklären, Rolf.“ Sie versuchte, ihrer Stimme den schulmeisterlichen Klang zu nehmen. „Nehmen wir an, wir gehen heute abend ins La Stalla! Wir würden etwas trinken, tanzen, na ja, das Übliche. Spätestens um zwei würden Sie versuchen, mich zu küssen, um halb drei würden Sie mir gestehen, daß Sie sich bis über beide Ohren in mich verliebt hätten. Vermutlich würde ich nicht umhin können, Ihnen etwas ähnliches zu sagen. Und spätestens auf dem Nachhauseweg würden Sie mich ,besitzen‘ wollen, so sagt man doch unter jungen, wohlerzogenen Männern?“
Rolf wirkte verlegen.
„Sehen Sie, Rolf, und damit finge es an. Ich würde mich nicht besitzen lassen wollen, sondern allenfalls würde ich mit Ihnen einen großen Spaß haben wollen. Ob im Auto, am Strand oder in meinem Bett, wir würden es treiben nach meiner Lust, nach meiner Laune. Das würde Sie zunächst schockieren, dann aber wäre es auch Ihnen angenehm.“
Rolfs Blick wurde immer verständnisloser.
„Wenn wir das alles aber machen würden, dann würden Sie mich morgen anrufen, mit Blumen vor dem Hotel erscheinen, am Strand nach mir suchen. Vergeblich, Rolf. Denn morgen werde ich bereits einen anderen haben. Oder mehrere andere. Was weiß ich. Das ist sicher. Und Sie, Rolf, Sie sind nicht der Typ, das durchzustehen!“
Lucia erhob sich. Rolf Neufert aus Frankfurt war so fassungslos, daß er seine Manieren vergaß und sitzen blieb.
„Ciao, Rolf und nehmen Sie sich nicht das Leben. Versuchen Sie’s weiter! Ich bin ganz sicher, ich weiß es, Sie könnten Tausende junge Mädchen finden, die Sie Wochen und Monate zappeln lassen, bis Sie endlich glauben, sie bezwungen zu haben. Und nur darauf kommt es Ihnen doch an, oder?“
Rolf schnappte nach Luft. Er wollte sprechen, aber er konnte nicht. Verzweifelt machte er eine Geste, sie solle noch bleiben.
Lucia trat einen Schritt zurück. „Es ist besser so, Rolf, ich wäre Ihnen schlecht bekommen! Guten Appetit fürs Mittagessen!“
Bereits auf der Gramsci blickte sie noch einmal zurück. Rolf saß immer noch regungslos am Tisch, den Kopf auf die Hände gestützt. Als habe ihm jemand gesagt, er müsse noch einmal das Abitur nachmachen.