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Erster Abschnitt.

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Inhaltsverzeichnis

Es war ein kalter, unfreundlicher April-Abend; der Sturm sauste heulend durch die entblätterten Bäume. In unheimlicher Jagd trieben sich die zerrissenen Wolken am Himmel, und schwarze Finsterniß umlagerte das Gebirge, seine riesenhaften Felsmassen hoch in die Wolken emporhebend.

In dem Schlosse der Gräfin Elisabeth herrschte tiefe Stille. Sie selbst saß schweigend in ihrem Armstuhl, neben ihr lag ihre Tochter Wanda auf den Knien und in ihrem Stoße schlummerte die kleine Maria. Mit den blonden Locken dieses schuldlosen Kindes spielend, blickte Wanda schwermüthig nach dem Fenster; die vom Winde gepeitschten Schlossen prallten rasselnd dagegen, und der Wind, durch jede kleine Oeffnung pfeifend, störte die stille Ruhe des Schlosses.

Alles engte Wanda’s Herz zusammen; sie ließ schweigend das Haupt auf Elisabeth Busen sinken, und drängte die Thränen zurück, welche aus ihren Augen hervorbrechen wollten.

»Ich verstehe Dich,« sagte Elisabeth, ihr gütig die Stirn küssend, »die aufgeregte Natur schlägt zuweilen an die Saiten unsrer Seele. Laß Licht bringen, Wanda! Es ist heut nicht traulich in der lieben Dämmerstunde. Sieh nur, welche häßliche, riesige Gestalten das vom Winde getriebene Gewölk durch das Zimmer jagt!«

Wanda zündete die hohen Kerzen an; ihr heller Schein fiel blendend auf Mariens Gesicht, deren sanfter Athem gar seltsam gegen den Sturm abstach, der draußen heulend gegen die Mauern des Schlosses sich brach.

»Sieh,« fuhr Gräfin Elisabeth fort, »wie unser kleiner Engel so sanft schläft! An diesem Herzen gehen die Stürme noch spurlos vorüber, die Wetterstürme sowohl, als die Lebensstürme. O möchte es doch immer ruhig in Deinem Gemüthe bleiben! Aber das Schicksal, mein theures Kind, wird Dich bald herausreißen aus Deiner friedlichen Ruhe! Ach, Wanda, ich zittere jetzt oft; die Zeiten werden schlimmer und schlimmer; der Schauplatz dieses endlosen Krieges wälzt sich mehr und mehr in unsere Nähe; schon schweifen einzelne Truppen der feindlichen Armeen, Weimaraner und Schweden, durch unsere Berge, und wir, unbeschützt und allein in diesem leicht bezwingbaren Schlosse —«

»Ruhig, meine liebe Mutter,« unterbrach sie Wanda, indem sie, vor einem hohen Feuerbecken stehend, glühenden Wein bereitete, »ängstige Dich nicht! Was hilft es, die noch helle Gegenwart durch trübe Bilder der Zukunft zu verdüstern? Laß und das vergessen! Erzähle mir lieber den Ausgang jener Geschichte, die Du vorhin begannst. Ich bitte, holde Mutter! sieh, ich bin so gespannt, kaum vermag ich’s auszusprechen; das Schicksal jener edlen Frau zieht mich auf unnennbare Weise an.«

Gräfin Elisabeth sträubte sich mit sichtlicher Abneigung; endlich ließ sie sich durch Wanda’s Bitten bewegen.

»Es ist nicht meine Schuld,« fing sie an, »wenn Du Dein Verlangen bereuest. Das Ende dieser Geschichte ist schrecklich, schaurig; Du wirst Dich entsetzen. Ich thue es Dir zu Liebe. Ach, auch mir bangt, eine That zu erzählen, vor der meine Seele zurückbebt.

Der fremde Jüngling,« fuhr sie fort, »hörte nicht auf, die edle Frau mit seinen Anträgen zu bestürmen. Sie stand nicht mehr in ihrer ersten Jugendzeit; denn schon zwei Kinder, Mädchen von 9 und 6 Jahren, waren die Frucht ihrer glücklichen Ehe, aber dennoch blühete sie noch in seltener Schönheit, viele Jungfrauen von jüngerem Alter weit überstrahlend.

Auf das Herz der fremden jungen Mannes hatte sie tiefen Eindruck gemacht; er besuchte ihr Haus, eines der glänzendsten der Stadt, oft, und auch sie sah seine Gegenwart nicht ungern, in sofern er zur Unterhaltung der Gesellschaft beitrug und in den Schranken ehrerbietiger Entfernung gegen sie verharrte. Ein Zug ironischen Lächelns, welcher ihr auffiel, mißfiel ihr und es entschlüpften ihm oft, im raschen Gange des Gespräches, Reden und Grundsätze, vor denen sich die tugendhafte Frau entsetzte. Sie entfernte sich daher immer mehr von ihm; er aber, als er dies merkte, fing an, kühner und dreister in sie zu dringen, ja endlich ganz unverschleiert von seiner heißen Liebe zu ihr zu reden. Sie hörte ihn nicht an, und hielt ihm das Sträfliche einer solchen Leidenschaft vor, da sie vermählt und glücklich vermählt sey.

Hiedurch aber ließ er sich nicht schrecken; ja selbst die Drohung, die sie später hinzufügte, Alles ihrem Gemahl zu entdecken, konnte ihn nicht von seinem rasenden Beginnen zurückbringen. Er sagte ihr ganz unverhohlen, wie glühend er diesen Gemahl hasse, der ihn um das Glück seines Lebens bringe; wie er selbst den Anblick der Kinder, diesen immerwährenden Beweis ihrer Ehe und seines Unglücks, kaum ertragen könne, daß er aber dennoch, trotz aller Hindernisse, zum Ziel seiner brennenden Wünsche zu gelangen gedenke.

Durch solche und ähnliche Reden sah sich endlich die edle Frau genöthigt, dem frechen Jünglinge das Haus zu verbieten. Er verließ sie mit kaltem Lachen, welches den letzten Funken freundschaftlicher Zuneigung, den ihr edles Herz für ihn empfand, gänzlich auslosch.

Es war eines Abends spät, als die Frau, von einem Bankett heimkehrend, sich in ihrem verschlossenen Zimmer entkleidete. Sie legte eben die Perlen und die goldenen Spangen auf den Tisch nieder, als eine verborgene Thür ihres Kabinets sich öffnete, und der italienische Jüngling wie außer sich zu ihren Füßen stürzte. Ihr Schreck, ihr Erstaunen war groß. Sie wollte ihm befehlen, sich augenblicklich wieder zu entfernen, aber der Freche ließ sie nicht zu Worte kommen; er fing an, sie im höchsten Ausdruck der Leidenschaft, um Erfüllung einer unreinen Wünsche zu flehen; er umfaßte ihre Knie, mit Gewalt wollte er erzwingen, was ihm Güte und Liebe versagten.

Da stieß ihn die edle Frau hoch entrüstet von sich, und drohete, im Fall er sich nicht augenblicklich entfernte, ihren Gemahl um Hülfe zu rufen, und ihn der gerechten Rache desselben zu opfern. —

›O dieser Gemahl!‹ rief der Jüngling knirschend, indem er mit geballter Faust sich vor die Brust schlug. ›Weib, müßt Ihr denn nur den, den allein lieben? Giebt es denn kein Mittel, die Bande zu trennen, die Euch so innig und fest an den Verfluchten binden?‹

›Mutter!‹ riefen in dem Augenblick von außen sanft klagende Stimmen; ›mach doch auf, liebe Mutter, Deine Kinder wollen zu Dir herein.‹ —

›Ha! meine Töchter!‹ sagte die erschrockene Frau, öffnete schnell die Thür, und nahm die Kinder in ihren Arm; diese schmiegten sich ängstlich an sie, als fürchteten sie sich vor dem Fremden.

›Ha! Auch Ihr noch?‹ donnerte dieser, wilde Blicke auf Mutter und Kinder schießend, und verließ schnell das Gemach, durch dieselbe Thür, durch die er hereingekommen war.

Das Schlafzimmer der Kinder lag unter dem Kabinette ihres Vaters. In der folgenden Nacht fuhren die Kleinen plötzlich, lautschreiend aus ihrem Schlummer auf; es war ihnen, als hörten sie über sich ein ungewöhnlich starkes Geräusch. Wie von innerm Drang getrieben, sprangen sie aus dem Bette, rissen die Thür auf, und traten auf den Vorsaal. Eben huschte jemand mit leisen Tritten die gegenüberliegende Treppe herab. Ein unwiderstehliches Grausen bemächtigte sich der Kinder Herzen und sie ließen ein so lautes Angstgeschrei hören, daß es das ganze Gebäude durchhalte.

Plötzlich fiel Licht in den Saal; vor den Kleinen stand jener fremde Jüngling, den sie gestern in dem Zimmer ihrer Mutter gesehen hatten, bleich, mit verzerrten Zügen, ein blutiges Messer gegen sie aufgehoben, wollte er eben zustoßen auf die unbedeckte Brust der Unschuld, als ein kräftiger Arm in den seinen fiel; der Dolch wurde ihm entwunden, und er selbst niedergeworfen und gefesselt.

Es war ein Diener des Hauses, der durch das Geschrei der Kleinen erweckt, sie jetzt durch schleuniges Hinzueilen rettete. Man stürzte die Treppe hinauf zum Zimmer des Hausherrn; der edle Herr lag mit vielen Stichen ermordet in seinem Blute.«

* * * * *

Gräfin Elisabeth schwieg; bleich in ihrem Sessel zurückgelehnt, las sie auf Wanda’s Gesicht den Eindruck, den ihre Erzählung auf sie gemacht hatte.

»Schrecklich,« sagte diese leise, »o erschrecklich! daß der Mensch so sinken kann! Aber was wurde aus dem Mörder?« setzte sie nach einer Pause hinzu.

»Dieser,« entgegnete die Gräfin, »ist den Gerichten übergeben, und nachher, wenn die Gerechtigkeit geübt ist, wahrscheinlich auf dem Schaffot gestorben.« —

»Ach, Du weinst, liebe Mutter?« fragte Wanda bestürzt, indem sie sah, daß ihre Thränen unaufhaltsam hervorbrachen.

»Ja, mein Kind,« erwiederte diese, »ich kann nicht leugnen, daß eine so blutige Rache mich unendlich schmerzt. — Aber horch! ist es Dir nicht auch, als tönten Stimmen von außen?«

Wirklich vernahm man ein verworrenes Geräusch, und kurz darauf wurde die Glocke an der Schloßpforte gezogen. Beide erschraken; das Kind, das bis dahin ruhig geschlummert, fuhr schnell aus Elisabeths Schoß empor.

»Was ist das?« fragte die Kleine, sich ängstlich umschauend.

Jetzt hörte man den Hausvoigt die Pforte öffnen. Sporen klirrten, und der Hufschlag von mehreren Pferden wurde vernehmbarer.

»Wer kann so spät hier noch eintreffen?« fragte die Gräfin ängstlich.

Wanda ergriff eine Kerze, und ging ungewissen Schrittes der Thüre zu.

Zwei verirrte Officiere von dem schwedischen Heere bitten um ein friedliches Nachtlager,« meldete ein hereintretender Diener.

»Schweden? Schweden?« wiederholte Elisabeth erschrocken. »Herr Gott! Feinde! — Jedoch, hier ist keine Wahl,« setzte sie nach einigem Besinnen hinzu, »laßt sie herein kommen!«

Marie hatte bis dahin mitten im Zimmer horchend gestanden, jetzt lief sie plötzlich zur Thür, und riß die Flügel mit ihren kleinen Armen weit auseinander. Zwei dunkle hohe Gestalten, in lange weiße Mäntel gehüllt, traten herein; ihre Helme waren geschlossen, vom Regen erschlafft hingen die hohen Federn auf ihre Schultern herab. Sie verneigten sich beide leise.

»Verzeiht gütigst, edle Frauen,« sagte der Eine, »daß wir Eure Ruhe so spät noch stören, aber wir konnten nicht weiter. Der Sturm wird zu heftig, der Regen gießt in Strömen herab und machte unsere Pferde scheu.« —

»Ja,« setzte die etwas tiefere Stimme des Andern entschuldigend hinzu, »es ist heute sehr rauhes nordisches Wetter; die Natur harmonirt mit der Zeit. Ihre Güte, edle Damen, wird uns ein Nachtlager unter diesem ruhigen und einladenden Dache nicht versagen.«

Gräfin Elisabeth, an diese beiden hochedlen Gestalten fast demüthig heraufschauend, und bestochen von dem angenehmen und edlen Betragen der Fremden, konnte nicht anders, als mit Freuden in ihr Gesuch willigen. Sie winkte ihre Diener und geschäftige Hände befreiten jene von den langen, triefenden Mänteln.

Erstaunt betrachteten die Hausbewohner den ungewöhnlichen Glanz und Waffenschmuck, in denen sich der Schein der Kerzen in buntfarbigen Strahlen brach. Jetzt nahmen die Schweden ihre Helme ab, und dem Lichte sich nähernd, lächelten ihre Häupter in wunderbarer Schönheit aus dem blinkenden Golde hervor.

Fast bemerkbar verwundert trat Wanda zurück. Marie schlug mit heimlich freudigem Lachen in die kleinen Hände. Der Eine, noch Jüngling, noch höher und gewaltiger an Gestalt als sein Begleiter, hatte etwas in seinen Zügen und in seinem ganzen Wesen, das auf den ersten Blick unwiderstehlich beherrschte und hinriß. Sein dunkles Haupt war von reichen Locken umspielt, die Augenbraunen, die sich unter der schönen Stirn wölbten, beschatteten ein Auge, in dem feurige Lebenslust, tiefer Ernst, mit einer hinreißenden Milde und Lieblichkeit vereinigt, hervorstachen. Der schöne Mund, über dem sich ein kleiner Knebelbart erhob, die Zähne, die, wenn er sprach, wie Perlen daraus hervorleuchteten, und vor allen eine gewisse Hoheit seines Wesens, deren Stempel jedes seiner Worte trug, machten ihn zu einer Erscheinung, vor dessen Gewalt Wanda’s Herz in dunklem Vorgefühl zitterte.

Der Andere, obschon etwas älter, ungefähr dreißig, und ganz das Gegentheil seines Kriegsgefährten, verlor dennoch wenig in Betracht gegen Jenen. Sein Gesicht war sehr weiß, in allen seinen Zügen, in seinem großen blauen Auge, lag etwas unmerkbar Weiches, Frommes, ein Ausdruck sanfter Schwärmerei, der unwiderstehlich einnahm. Sein langes blondes Haar war zurückgelegt, und fiel in Locken auf seine Schultern nieder. Sein Blick war erhaben, fast heilig.

Man hatte sich um einen runden Tisch gesetzt. Wanda’s Glüh- Wein dampfte vor den wohlbehaglichen Gästen.

»Was freue ich mich,« fing die Gräfin an, »daß Sie nicht an uns vorüber geritten sind. Zwar Sie sind Schweden und wir Unterthanen des Kaisers; aber was kümmert uns in diesem trauten Kreise die Glaubensverschiedenheit der Völker? — Sie sind mir willkommne Gäste,« fuhr sie sehr freundlich fort, indem sie ihnen die Hand reichte, »man sieht ja in der Einsamkeit, vorzüglich wenn die Natur unfreundlich stürmt, freundliche Menschen so gern um sich!«

Marie stand mit spähenden Blicken neben ihr; ihre Augen weideten sich an den schönen hohen Kriegergestalten. Wanda sah still zu, wie die Brust der Kleinen immer höher schlug.

»Sie wollen,« hub der Jüngere an, »auch gern unsere Namen wissen — nicht mehr als billig. Mein Bruder,« fuhr er lächelnd fort, auf den Blonden weisend, »ist Obrist, ich Hauptmann unter seinem Regimente; er nennt sich Gustav, ich Bernhard; unser Geschlecht ist edel.«

»Das glaube ich,« lächelte die Gräfin.

»Bernhard? Bernhard?« wiederholte sinnend die kleine Marie. »Ach Gott! wie ist mir denn? Sollten Sie es wirklich seyn, edler Herr Bernhard,« fuhr sie fort, indem sie ihm näher sprang, aber dennoch in ungewisser Ahnung wieder stehen blieb. —

»Was will der kleine Engel?« fragte der Jüngling, sich mit gütiger Freundlichkeit zu ihr niederbeugend, und sie auf seinen Schooß hebend, »kennst Du mich, mein Kind?« —

»O wohl! recht gut!« lächelte die Kleine verschämt unter seiner liebkosenden Hand. »Wie jetzt, haben Sie mich immer liebkosend in die Höhe gehoben, mit mir gelacht und mich geküßt!«

»Mein Gott! Frau Gräfin,«, fiel der Hauptmann ein, »das ist Ihr eignes Kind nicht?«

»Nein,« entgegnete die Gräfin, die den ganzen Auftritt in stummer Verwunderung angesehen hatte, »wenn bloß die Natur das Recht, den Namen Mutter verleiht, so ist sie es nicht. Ich weiß selbst nicht, woher das Kind ist, und wem es sein Daseyn verdankt. Des Himmels Wege sind wunderbar! Sie, mein Herr Ritter, könnten mir nach Mariens Betragen vielleicht Aufschluß über den kleinen Liebling ertheilen. Erlauben Sie, daß ich Ihnen manches erzähle, was uns betrifft.«

»Ich habe nur zwei Kinder,« hub sie an, »diese, meine Wanda, und einen Sohn, mit Namen Valerius, der jetzt als Officier unter Tilly’s Fahnen vor der belagerten Stadt Magdeburg steht. Dieser Jüngling hat den Frieden nie gesehen; er ist im Kriege geboren und darin aufgewachsen. Schon als Kind kam er unter das Regiment meines Gemahls; als dieser aber in einem blutigen Treffen sein Leben verlor, ward Valerius, ohne väterliche Leitung, in den wilden Strudeln des Krieges umher geworfen. Das junge Blut stürmte heftig in ihm; seine natürliche Kühnheit und Muth arteten bald in kriegerische Wildheit aus.

Einst campirte ein Regiment an den Grenzen von Böhmen; ein wenig wichtiger Vorposten ward ihm zu Theil. Der unruhige Kopf sann auf Abentheuer, und es war ihm sehr gelegen, als ein Soldat ihm meldete, so eben ziehe in höchster Stille durch einen abgelegenen Hohlweg ein Haufen protestantischer Krieger, die einen Transport von der deutschen Grenze her zu geleiten schienen. Valerius flog mit seinen Cameraden dahin; schon hörten sie leise Stimmen und einen Wagen über den unbequemen Felsenweg rasseln. Jetzt kam der lange Zug aus dem Thal hervor. Man stürzte sich wie rasend auf ihn; der Kampf wurde hartnäckiger, als man es geglaubt hatte. Endlich unterlagen die Ueberfallenen, und was nicht auf der Stätte geblieben war, floh eilig davon. Die Thür eines Wagens flog jetzt auf, und ein paar weibliche Gestalten, wahrscheinlich die Wärterinnen Mariens, stürzten heraus, und flohen in die nahe liegenden Gebüsche.

Alles war jetzt still und todt, nur ein leises Wimmern drang aus dem Wagen. Mein Sohn Valerius näherte sich demselben, auf dem Boden saß weinend ein kleines dreijähriges Kind und streckte ihm die Händchen bittend entgegen. Sein Herz fühlte Erbarmen, er nahm es heraus zu sich auf sein Roß, und sprengte mit der zwar unwillkommnen Beute nach seinen Zelten zurück. Das Kind wurde im bald lästig; seine Cameraden zogen den achtzehnjährigen Jüngling damit auf, und er, der wilde, unbedachte Krieger, übergab die arme Kleine den Händen eines bärtigen Musquetiers zur Pflege.

Gelegentlich schrieb er mir die Geschichte. Ich konnte es mir nicht denken, daß irgend ein Wesen durch eines meiner Kinder leiden sollte; diese Vorstellung war mir schrecklich. Ich schrieb ihm, mir das Kind zu überlassen; er willigte ein, und ich entschloß mich, nach Böhmen zu reisen, mit dem Vorsatz, die Uebereilung meines Sohnes durch treue Mutterliebe an dem kleinen Wesen so viel als möglich zu sühnen. Meine Wanda und ich reiseten ab. Auf halbem Wege kam mir Valerius entgegen, und übergab mir das Kind. —

Ach, wie das kleine, bleiche Wesen meinen Hals unter heftigem Weinen umklammerte, wie es zitterte! Seitdem nun habe ich für sie, edle Herren,« fuhr die Gräfin fort, »mütterlich gesorgt, und ob ich meine Pflicht erfüllt habe, darüber mag sie selbst entscheiden. Wem sie angehöre, wußte sie selbst nicht, sie sprach nur noch unverständlich ihren Namen Marie, und kein Zeichen fand sich, das den Namen ihrer Familie verrieth. Ihre Erinnerung weiß nichts aus ihren frühern Lebensverhältnissen wiederzugeben; nur zuweilen blitzen kleine helle Sterne aus der Vergangenheit in ihre Seele, sie vermag jedoch die einzelnen Strahlen nicht festzuhalten; schnell, wie sie entstanden, verschwinden sie auch wieder und so bleibt uns alles dunkel. Aber das thut nichts, ich bin bis dahin ihre treue Mutter gewesen, und will es, wenn das Schicksal nicht gewaltsam dazwischen tritt, auch bleiben.

Jetzt, Herr Hauptmann, ist die Reihe an Ihnen; enthüllen Sie das Geheimniß! — Ich zittere zwar im voraus, denn vielleicht ein Wort von Ihnen raubt mir das liebe Kleinod meines Herzens.«

Die Gräfin schwieg. Hauptmann Bernhard hatte sie aufmerksam, jedoch mit niedergeschlagenen Blicken angehört.

»Nein, edle Mutter,« sagte er jetzt mit etwas unsicherer Stimme, ich weiß gar nichts von dem Schicksal des Kindes. Sie meint in mir ein Bild aus ihrer früheren Vergangenheit vor sich zu sehen; aber wie leicht verwirren sich denn Vorstellungen und Bilder in der Seele eines Kindes. — Aber dennoch,« fuhr er sehr weich fort, »muß ich Ihnen meine Bewunderung für Ihre hohe Güte zollen, sich eines fremden Kindes zu erbarmen. Gott wird Sie dafür belohnen.«

Während dessen hatte sich die kleine Marie neben den Hauptmann auf den Boden gesetzt, ihre Hand ruhete in der seinen, und sie besah sich, auf kindliche Weise in den blanken Armschienen seiner Rüstung.

»Erlaube mir das,« sagte sie mit weicher Stimme, indem sie seine Hand küßte, »ach, Du hast es sonst wohl gethan.«

»Aber, mein Gott!« fuhr sie plötzlich horchend auf, »hört doch — das ist ja Valerius Stimme!«

»Valerius?« bebte Wanda zusammen. »Marie, Du träumst! Wo käme der jetzt so spät in der Nacht noch her?«

»Ha! ja!« entgegnete die Kleine ängstlich, »ich habe es deutlich vernommen, gebt nur Acht; es war seine Stimme.«

Wirklich erscholl jetzt eben ein Rufen vor dem Schloßthor; er war es. Gräfin Elisabeth sprang die Treppe hinab, dem geliebten Sohne entgegen.

»Ach,« flüsterte Wanda indessen, sich leise zwischen Gustav und Bernhard biegend; »edle Herren, mein Bruder ist hitzig, schnell und ein eifriger Soldat des Kaisers; sollte er ein rasches Wort reden, sich übereilen — vergebt ihm.«

Gustav wollte sie eben beruhigen, als Graf Valerius, in Begleitung noch eines andern Ritters, am Arme seiner Mutter herein trat. Hoch und stolz gewachsen, lag etwas Edles in seiner Gestalt, sein Gesicht war schön, aber sehr bleich, und ein Zug kalten, leisen Spottes spielte um seinen Mund. In seinem schwarzen Auge lag eine gewisse Verachtung, die er auf das Leben und die Menschen, wie er sie kannte, erstreckte, geworfen hatte; jedoch schien es auch, als suchte dasselbe Zuge zuweilen, wie im wehmüthigen Schmerz, ein anderes besseres Wesen.

Er hatte die schwedischen Zeichen der fremden Officiere gleich bei seinem Eintritt in das Zimmer bemerkt. Das Herz pochte ihm, jedoch aus Achtung für seine Mutter hielt er sich zurück, und that nicht, als ob er sie sähe. Nach den ersten Begrüßungen nahm er seinen Begleiter, den man bis dahin wenig beachtet hatte, bei der Hand.

»General Alexius,« sagte er, ihn vorstellend. »Derselbe, liebe Mutter, von dem ich Ihnen neulich schrieb; mein Freund und Kriegesobrister. — Wir waren,« fuhr er fort, »bei einem benachbarten Edelmann zum Besuch, und wollten morgen früh wieder im Lager seyn. Das Wetter überfiel uns, und da nahmen wir unsre Zuflucht zu Ihnen, um uns ein Nachtlager bei Ihnen auszubitten.« —

»Aber,« fiel ihm der General in etwas unverständlicher und unangenehmer Mundart in’s Wort, indem er die überlange dünne Gestalt leise beugte, »wie ich sehe, sind die gnädigen Frauen schon incommodirt.«

Dabei warf er schielende Blicke auf die Schweden, und sein Gesicht legte sich in widrig lächelnde Falten. Die Gräfin schwieg und war etwas verlegen.

Da trat der Obrist Gustav hinzu; er wandte sich zu Valerius, und entschuldigte bei diesem mit edler Ruhe seine und Bernhards Gegenwart:

»Ich hoffe, Graf Valerius,« sagte er, »Ihr werdet den Zwist, der unsere Nationen feindlich trennt, nicht auf Einzelne übertragen. Eure Mutter war gnädig genug, uns Verirrte ein Nachtlager zu gönnen; duldet darum auch Ihr einmal, daß Schweden und Kaiserliche eine Nacht friedlich unter einem Dache schlafen!« —

Valerius Antwort war höflich, wiewohl nicht ganz ohne Bitterkeit.

Man setzte sich wieder, ein kaltes Gespräch begann. Wanda, an der Seite ihres Bruders sitzend, konnte sich eines gewissen beklommenen Gefühls nicht erwehren; sie sah nur auf den General Alexius, wie er, in den feuerfarbenen Mantel gewickelt, in seinem Sessel zurückgelehnt saß, und die kleinen stechenden Augen im Kreise umherfliegen ließ, und, wie er sie besonders auf ihre Mutter und den Schweden Gustav richtete, der kaum wagte, das reine blaue Auge zu ihm aufzuschlagen.

Plötzlich stand Alexius auf, und verließ das Zimmer. Gustavs Blicke folgten ihm argwöhnisch nach. Er trat nach einer Weile wieder herein, die kalte abgeschlossene Miene verrieth einen tückischen Triumph.

»Ihren Degen, mein Herr,« sagte er, indem er sich dicht vor Gustav hinstellte, mit lauter Stimme. »Valerius! Valerius!« setzte er dann laut kreischend hinzu, »zu Hülfe! laß sie nicht entkommen!«

Verwundert stand Valerius auf; die erschrockenen Schweden fuhren empor, ihre Helme waren im Nu übergeworfen. Marie stürzte nach den Schwertern, die an einem Pfeiler lehnten, und hielt die leuchtenden Waffen den Kriegern mit beiden Händen zitternd hin.

»Ist das Ernst oder ein unzeitiger Scherz?« fragte Bernhard, mit der Rechten das Schwert ziehend. —

Die Gräfin und Wanda stürzten sich wie Friedensengel dazwischen; aber des General Alexius blitzendes Schwert wies die Erschrockenen zurück. Ein Kampf begann, die Thür des Vorsaals hielt Alexius mit den Dienern der Gräfin besetzt; die Schweden wurden von allen Seiten gedrängt.

Auch Valerius, dem Beispiel seines Generals folgend, hatte das Schwert ergriffen, und vertheidigte den Zugang der Thür. —

Während hier Gustav focht, wandte sich Bernhard noch einmal schnell an die Gräfin, die halb ohnmächtig in einem Sessel lag:

»Leben Sie wohl, edle Gräfin,« sagte er, »leben Sie wohl, liebe Wanda; ade Marie. Zürnt uns nicht, das war nicht unser Wille; wir gehen jetzt, vielleicht hört ihr mehr von uns!«

Nach diesen Worten wandte er sich um, und sich mit Löwenkraft auf Alexius werfend, faßte er ihn, schmetterte ihn zur Erde, und als er sich mit Gewalt aufraffen wollte, stieß Bernhard ihm die Spitze seines Schwertes in die Brust, so daß er blutend und Zähne knirschend zurücksank. Indem dies geschah, fiel auch Gustav mit starker Hand in Valerius Arm, faßte seine Klinge, entwand sie ihm und schleuderte sie weit weg.

Die Diener, die dies mit ansahen, wagten ferner nicht, sich in den Streit zu mischen; ehrerbietig traten sie zu beiden Seiten zurück, und ließen die beiden Helden unangetastet ihren Weg ziehen. Bald darauf hörte man den Hufschlag ihrer Pferde, und Marie sah weinend durch das Fenster die holden Gestalten in der dunklen Nacht verschwinden.

Einem Gewitterschauer gleich, das durch den stillen, sanften Frieden des Thales plötzlich hinsauset, und alle darin spielenden Frühlingslüfte in herbstliche Kälte verwandelt; so waren die letzten sturmvollen Augenblicke über Elisabeths und Wanda’s Frieden vorübergegangen. Niemand sagte ein Wort, ängstliche Stille herrschte. Valerius, in einer Fensternische stehend, blickte, aufgebracht und unzufrieden mit sich selbst und dem Betragen des Generals, düster vor sich nieder, und kraftlos in einen Sessel geworfen, hielt sich Alexius mit der Hand die verwundete Brust.

»Verbindet mich,« sagte Alexius endlich im matten, bittenden Tone.

Elisabeth sprang schnell auf, holte feines Linnen, und indem sie ihm alle mögliche Hülfe gewährte, drängte sie jeden Laut des Vorwurfs zurück, der sich bitter in ihrer Seele regte. Auch Valerius trat herzu; er untersuchte die Wunde, sie war nicht gefährlich, jedoch sah er wohl, daß man vor Ablauf einige Tage nicht würde in’s Lager zurückreiten können.

Diese Vorstellung schien dem General Alexius unangenehm. Die zarte Sorgfalt, mit der sich Elisabeth seiner annahm, schien ihn auf sonderbare Weise zu quälen; man sah, daß es ihm oft schwer wurde, seine brennenden Blicke in ihre sanften holden Augen, wie das sonst seine Gewohnheit war, zu tauchen,

Der fremden Officiere wurde mit keiner Sylbe wieder erwähnt. Es schien, man wolle von beiden Seiten den Schleier der Vergessenheit über den unangenehmen Vorfall werfen. Seit jenem Abend ging Alles einen gewissen abgemessenen, feierlichen Gang in Gräfin Elisabeths Schlosse. Niemand wagte, frei und laut zu reden; es war Jedem, als würde seines Herzens innerste Regung behorcht. Die Diener betraten scheu die Wohngemächer, und zitterten vor Valerius Winken; Marie wagte in Alexius Gegenwart nur leise zu flüstern. —

Aber in Wanda’s Herzen lebte jener Abend mit unauslöschlichen Farben fort. Gustavs und Bernhards Erscheinen hatte noch unbekannte Gefühle in ihrer kindlichen Seele geweckt; Bilder waren ihr ins Leben getreten, die sie bis dahin nur in dunklen Träumen geahnet.

»So,« sagte sie sich, »so müßten Helden aussehen! Diese Huld, diese Stärke und Kühnheit, sind sicher das Eigenthümliche edler, heldenmüthiger Seelen.« —

Auch die Gräfin sprach gern von den beiden Fremden, wenn sie mit Wanda allein war; auch sie konnte keine Feinde in denen sehen, die es durchaus seyn sollten; im Gegentheil fühlte sie durch Alexius, ihres Landsmanns, Nähe stets von unerklärbaren, zurückstoßenden Gefühlen ihr Herz beengt. —

Wanda

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