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Zweiter Abschnitt.
ОглавлениеGeneral Alexius war der Freund eines alten Edelmannes, dessen graue, fast in Trümmern zerfallne Burg, in düsterer Einsamkeit, tief in den unbesuchtesten Bergen des Harzes ihr morsches Daseyn behauptete. Nur wenig ragten die niedrigen, bemoosten Thürme über die Gipfel uralter Tannen hervor, die das Schloß dicht umgaben, und es ganz vor den Augen des Wanderers verbargen. Hier lebte, mit einem einzigen Diener, allein, abgeschlossen von dem äußern Treiben des Lebens, der alte Gregor. Er war finster wie sein Haus und dessen Umgebungen. Lange Zeit hatte er ohne die geringste menschliche Gesellschaft gelebt, und er war damals noch zuweilen in die Umgegend des Schlosses hinab gestiegen, um seine nothwendigsten Lebensmittel zu kaufen; seitdem aber vor einigen Jahren ein alter Mann sich zu ihm gefunden, den er nach und nach als Diener angenommen, hatte man ihn nicht wieder gesehen.
Das Volk trug sich seinetwegen mit vielerlei Sagen, er sollte reich seyn wie Crösus, und unermeßliche Schätze sollten seine Keller und Gewölbe füllen, aber man wußte nicht, durch welche Hülfe; — so viel sey gewiß, der habe keinen geringen Antheil dabei.
General Alexius war der Einzige, der noch zuweilen Zutritt bei dem Alten fand, er besuchte ihn oft in seiner unheimlichen Burg, und kam jedesmal mit ausgelassener Fröhlichkeit von dort zurück. Auch diesmal wollte er hinreiten, und hatte Valerius unter dem Siegel der Verschwiegenheit erlaubt, ihn zu begleiten. Sie kamen an. Gregor empfing den neuen Gast argwöhnisch mit unzufriedenen Blicken, und des Abends, als man sich eben niederlegen wollte, stürzte er in ihr Gemach, trieb sie gewaltsam heraus, und ruhete nicht eher, als bis sie wichen, und die dunkle, unterirdische Treppe, den einzigen Aus- und Eingang seiner Burg. hinabtaumelten. Sie holten ihre Pferde aus einem nahen Meierhof, und Valerius wollte den Weg zum Schlosse seiner Mutter einschlagen, das nicht weit entlegen seyn konnte. —
Die Nacht goß ein schauerliches Halbdunkel über die Thäler, der Sturm heulte; in den finstern Wäldern krachten die alten, stark beästeten Bäume; es war, als weise der Winter noch einmal recht zornig und unfreundlich dem herannahenden Frühling sein Antlitz. In Valerius Brust erwachte ein sonderbares Gefühl; es wurde ihm plötzlich unheimlich zu Muthe, und es wehete ihn ein furchtbar gespenstiger Schauer an. Er sah auf den General Alexius, der neben ihm lang und kerzengerade auf seinem Rappen hintrapte, seine Umrisse verschwammen im Dunkel, nur sein hochrother Mantel, der im Sturme flatterte, glühete wie Feuer durch die Nacht; — kaltes Entsetzen rieselte in Valerius Gliedern nieder; er rannte seinem Pferde bewußtlos die Sporen in den Leib, und sprengte, wild galoppirend, über Baumwurzeln und Felsengestein tollkühn dahin.
Endlich stand das edle Thier von selbst still, von einem nahen Hügel herab winkten die hellen Fenster des mütterlichen Schlosses. Hinter sich hörte Valerius seinen Begleiter keuchend heran nahen.
»Ei, ei, mein Freund,« rief ihm dieser zu, »was reiten Sie so rasch, mitten in der Nacht, man kann ja Hals und Bein brechen.« —
»Glauben Sie?« lachte Valerius wild auf. »Nun, bei Gott, das ist lustig!« —
Sein Beginnen kam ihm kindisch vor, er reichte deshalb dem General die Hand, die dieser, ironisch lächelnd, mit einem langen prüfenden Blick ergriff. —
So ritten sie den Schloßberg hinauf; Alexius, mit fast tonloser Stimme die Melodie eines Liedes pfeifend; Valerius, mit Mühe alle die aufgeregten unangenehmen Empfindungen zurückpressend, die ihn bestürmten.
Vier Tage waren endlich vorübergegangen, aber noch war dem General Alexius das Reiten unmöglich. Während er sich die meiste Zeit in Gräfin Elisabeths Zimmer, in einem Sessel sitzend, befand, konnte er so ihr ruhig freundliches Walten und Wanda’s liebereiches, holdes Wesen betrachten. Wenn sie, das schöne, blonde Haar sorgfältig geflochten und aufgesteckt, mit der ernsten, doch engelsanften Miene zu ihm trat, und die seelenvollen, blauen Augen seinen Gluthen begegneten, geschah es oft, daß sie erschreckt vor solchen Blicken, die ihrigen erblassend niederschlug, während auch er zuweilen die gewöhnliche, abgeschlossene Fassung verlor.
General Alexius war zu gewissen Zeiten, trotz seiner verwundeten Brust, sehr gesprächig; oft, wenn er mit Valerius sprach, und ihn einmal das Feuer seiner Rede entflammte, konnte er außer sich gerathen. Er ließ sich dann nicht unterbrechen, der Gang seiner Ideen wurde wilder und wilder, der Flug seiner Gedanken gränzte an Raserei, und er hielt zuweilen mitten in solchem Wirbelsturm seines Geistes plötzlich inne, als besänne er sich, und sank dann erschöpft und erbleicht in seine Kissen zurück.
Endlich war der Zeitpunkt da, wo er ohne Gefahr zum Lager zurückgehen konnte. Der andere Morgen war zur Abreise bestimmt, und still, während der Dämmerstunde, in ihrem vertrauten Kabinet saß Gräfin Elisabeth, neben ihr Valerius und Wanda; Marie auf dem Schooße des Ritters, spielend mit den gestickten Zipfeln des Kragens, der über seine Schultern hinfiel.
»Es ist doch wahr,« fing Gräfin Elisabeth an, indem sie Valerius Hand ergriff, »der Schmerz der Trennung findet liebende Herzen jedesmal schwach, wenn sie auch seinen Stachel lange auf sich zukommen sahen; was hilft es, die Brust mit schwer errungener Festigkeit zu stählen, der Panzer schmilzt doch augenblicklich in Thränen hin, beim ersten Wehen der gefürchteten Stunde. Ach, mein Sohn, mein liebes, liebes Kind,« fuhr sie fort, ihn fest an sich ziehend, »noch habe ich Dich, noch können meine Augen Deine geliebten Züge erreichen; aber morgen, morgen suchen sie Dich vergebens.«
»Stille doch,« fiel ihr Valerius ein, »wozu, Mutter, streben Sie sich unnöthig zu erweichen? Glauben Sie?« fuhr er düster fort, »das Leben hat so wenig genug helle Sonnenblicke; es ist ein trübes, halbdunkles Gemisch von zerrissenen Lichtstrahlen und finstern Wolken. Eben so ist das Gefühl, das Sie jetzt hervorrufen wollen. Lassen Sie es ruhen! Man nennt diese verkrüppelte Freude, diesen diesen Zwitterschmerz Wehmuth — aber ich halte nichts davon; furchtbar ganz muß mein Schmerz oder meine Freude, all mein Empfinden helle, flammende Leidenschaft seyn! — — — Und doch fühle ich oft mein Inneres zerrissen, schwankend! Ich weiß auch, Mutter, woran das liegt; das sind Sie mit Ihren zarten Worten und mit Ihrer ewigen noch zarteren Liebe, die sich unaufhörlich zwischen mich und mein Ziel stellt.« —
Gräfin Elisabeths Herz blutete. »Ach, Du rauhes Kind!« sagte sie; »wie Du meine Seele verwundest! Aber eine Mutter kann ihrem Sohne viel vergeben, und ich kenne Dich ja besser, als Du selbst. Fahre fort! welches ist das Ziel, das Du meinst?«
Valerius warf einen forschenden Blick in ihr sanftes, von Thränen gefülltes Auge. »Vergeben Sie, liebe Mutter,« sagte er, gerührt ihre Hand küssend, »daß ich Sie doch immer durch das Aussprechen meiner Meinung beleidige! Sie wollen das Ziel wissen, nach dem ich strebe. Wohlan! Freiheit im ungebundensten Sinne, schrankenlose Freiheit des Geistes und des Herzens. Und Gefühle sind Schranken, vorzüglich sanfte Gefühle sind enge, bindende Schranken für den freien Geist. Es giebt nur ein Gefühl, das wahrhaft löset, Mutter, verzeihen Sie den rauhen Namen, das ist Haß, gänzliche Wegwerfung der Menschen.«
»Sind das Prinzipien aus Alexius Schule?« fragte Gräfin Elisabeth erschüttert.
»Alexius?« erwiederte Valerius. »Alexius und immer wieder Alexius. O, ich habe es wohl gesehen, daß Ihr ihn nicht leiden mögt, das Ihr ihn vermeidet, daß Ihr stets um ihn herumgeht, was hat er Euch denn gethan?«
»Nichts, mein Kind,« entgegnete Elisabeth; »aber glaube mir, Deiner Mutter — Deiner liebenden Mutter, ein unbezwingbar zurückstoßendes Gefühl bewegt mich in seiner Nähe, und ein zerreißendes Wehe faßt mich, wenn ich denke, das Du wieder mit ihm eng verbrüdert in’s Leben hinausgehst. — O dieser schauervollen Philosophie, die Deinen Frieden vernichtet, die alle schönen, hoffnungsreichen Blüthen Deines Geistes entblättert! Wem anders wäre sie, als Seine? Sprich, mein Kind, wie kann ich sie losreißen von Deinem Herzen, wie kann ich Dich erretten aus Deinen Banden?«
Gräfin Elisabeth wurde durch ein leises Klopfen an der Thür unterbrochen. Der General trat herein. Um seinen Mund schwebte ein ironisches Lächeln, erschien Valerius Verlegenheit zu bemerken, die dieser nur mühsam bemäntelte.
»Verzeiht, ich würde es nicht gewagt haben,« sagte er dann, »Eure Unterhaltung zu stören; aber mich treibt die Noth. Gnädige Frau, Sie werden uns heute Abend noch los. Ein Brief des Feldherrn, den ich so eben erhielt, ruft uns schleunigst zurück. — Freilich, der alte Tilly hat Recht,« setzte er hinzu, wer nennt es Wahnsinn, in einer Gegend, die von Feinden schon rings überströmt sey, sich aufzuhalten; und wir müssen nun schon die Nacht zu Hilfe nehmen, wenn wir unentdeckt durchkommen wollen.« —
Man mußte ihm Recht geben. Wirklich hatten einige Bauernknaben, die gegen Abend auf das Schloß gekommen waren, von vielen fremden Soldaten, die in ihrem Dorfe hauseten, erzählt.
Gräfin Elisabeth sah mit schwimmenden Augen Valerius nach, wie er sich zur Abreise rüstete.
»Sollten die gnädige Frau,« fing indessen Alexius, fein lächelnd, an, »den Muth haben, sich allein auf dieser einsamen Burg zu behaupten? Ich wüßte einen Ort, der sicherer wäre.« —
»Und der ist?« fiel ihm Elisabeth ein. —
»Das kaiserliche Lager. Dort, unter dem Schutze eines mächtigen Heeres würden Sie nicht nöthig haben, nächtliche Ueberfälle wie hier zu befürchten.« —
»Ach, lassen Sie das, Herr General,« sagte Wanda sanft und schüchtern. »Man wird uns diese kleine Besitzung unangetastet lassen. Das Schwedenvolk ist eine hochherzige Nation, tapfer und großmüthig.« —
»Meinen Sie?« fiel ihr Alexius gezogen ein, indem er sie von oben bis unten maß. »Ei, seht doch! Das weiß doch wohl der Schwedenkönig nicht, daß sich ihm hier so ganz naiv eine Lobrednerin findet.«
Wanda schwieg erröthend. Eben trat Valerius hinzu. Auch er hatte schon an die fernere Unsicherheit seiner Mutter gedacht. Die Reden des Generals wußten seine Besorgnisse so zu erhöhen, daß er jetzt bittend in Gräfin Elisabeth drang, ihren einsamen Aufenthalt mit Tilly’s geräuschvollem Lager zu vertauschen. Sie wurde endlich überstimmt, ihre eigne Ängstlichkeit, die zarte Besorgniß für Marie und Wanda, ließen sie einwilligen. Der Tag, wurde festgesetzt, an dem Valerius sie abholen sollte. Leise triumphirend, schritt Alexius im Zimmer umher, Wanda begleitete ihn mit scheuunruhigen Blicken. —
Endlich wieherten die Pferde im Hofe; Valerius, in den langen Reitermantel gehüllt, sagte den Seinigen Lebewohl. Der General, indem er mit dankenden Worten Abschied nahm, drückte der Gräfin Elisabeth einen flüchtigen Kuß auf die Stirn. — Sie fuhr mit der Hand an die Stelle, es durchzuckte sie ein unnennbares Wehe. Als sie wieder zu sich kam, ritten die beiden dunklen Gestalten schon in die finstere Nacht hinaus.
Die Zeit bis zum bestimmten Tage flog rasch dahin. Der Frühling trat indeß schöner und schöner hervor, die Natur schüttelte die letzten Bande des Winters von sich und Blätter und Blüthen schaukelten sich wieder auf den frisch belebten Zweigen der Bäume. Aber in Elisabeths und Wanda’s Herzen wollte der alte Frohsinn, die beglückende und unbefangene Heiterkeit nicht wiederkehren. Das Lager stand vor ihnen wie ein drohendes Gespenst, sie zitterten vor der Stunde, wo sie ihr liebes, heimathliches Schloß verlassen sollten, wie vor einem herannahenden Unglück.
Und doch verbargen sich beide gegenseitig, die Nothwendigkeit wohl erkennend, dieses Gefühl; nur die kleine Marie fragte einigemal mit bangen, verweintem Gesichtchen, ob sie denn mit müßte in’s Lager? Das Kind schien seit einiger Zeit gar nicht mehr dasselbe, alle Munterkeit war dahin, traurig hing es das goldgelockte, sonst immer lächelnde Köpfchen. Zuweilen schmiegte es sich mit auffallender Zärtlichkeit an Wanda oder Elisabeth; es schien, als ahne es das Schicksal, daß es bald von den geliebten Pflegern seiner Kindheit sich trennen würde.
Da leuchtete eines Abends ein langer Zug glänzend gewaffneter Krieger durch das Thal; die Zeichen der kaiserlichen Farben flatterten in der Luft, und grüßend neigte Valerius seinen Degen, als er mit seiner Bedeckung den Schloßberg hinaufritt, und Wanda und Elisabeth am Fenster erblickte. Die Koffer standen geschnürt auf den Wagen, und der folgende Morgen war zur Abreise bestimmt.
Gräfin Elisabeth hatte sich in ihrem vertrauten Cabinet verschlossen; Wanda, mit Marien an der Hand, durchschritt noch einmal die ausgeleerten Gemächer der Burg. Unten winkte der Garten, ihr stilles Lieblingsplätzchen mit seinen jungen Blumen und Blüthen. Wanda fühlte sich mächtig dahin gezogen, sie stieg hinab, um auch ihm ihr weinendes Lebewohl zu bringen. An Mariens Hand durchflog sie die duftenden Gänge und Gebüsche. Die Luft wehete ihr so mild, so trostbringend entgegen, sie ging weiter, und immer weiter in das nahe Wäldchen, wo eine kleine Kapelle, die sie einst selbst gebaut hatte, sich befand. Indem sie näher traten, bemerkte sie, daß die kleine bemooste Thür halb offen stand, und ein leises Geflüster drang aus dem innern Heiligthum hervor.
Plötzlich stürzten einige gewaffnete Männer heraus, ergriffen beide Mädchen, hoben sie auf ihre Arme, und flohen mit ihnen in höchster Schnelligkeit den Berg hinab. Vergebens strebten jene, tödtlich erschrocken, sich den eisernen Armen zu entwinden, Marie schrie mit lauter tönender Stimme um Hülfe, Wanda lag in halbohnmächtigem Zustand in den Armen ihres Entführers.
Unten am Fuße des Berges wurden sie niedergesetzt, in einiger Entfernung hielten viele Pferde und eine vierspännige Kutsche. Die Geraubten hielten sich in der Angst ihres Herzens fest umschlungen, als ein höher Kriegsmann auf sie zu kam, ungerüstet, bloß einen leichten Helm in die dunklen Locken gedrückt.
»Weh!« schauderte Wanda zusammen, »Bernhard!!« —
Marie war aufgesprungen, hoffend, lächelnd, blickte sie dem Jüngling entgegen. »Wo,« fragte dieser ruhig, nach seinen Leuten zurückgewendet, wo habt ihr die dritte Dame? — Memmen!« donnerte er sie zornig an, daß sie erbleicht zurückfuhren, »habe ich euch nicht befohlen, drei zu bringen?« —
»Lassen Sie es gut seyn,« fiel ihm Wanda klagend ein, »es ist an uns genug! Sie Räuber! womit haben wir verdient, daß Sie uns so behandeln! Lassen Sie uns frei! Bernhard, so habe ich mich denn in Ihnen so schrecklich geirrt! Gott im Himmel! was bleibt denn Wahrheit, da Sie logen?« —
»Fräulein,« unterbrach sie Bernhard, »schelten Sie jetzt nicht; ich habe sehr auf Ihr Vertrauen, auf Ihre Stärke gerechnet! Meine edle Wanda! ich kann frei in Ihr schönes Auge sehen, ich bin rein von Betrug! Steigen Sie in jenen Wagen. Sie werden sich einige Zeit von Ihrer Mutter trennen, aber ich führe Sie froh und freudig wieder in ihre Arme.« —
Sie schwieg, ihre Blicke hafteten starr auf seinen Augen, als wollte sie in seine innere Seele sehen. —
»Sie sind im Begriff,« fuhr er fort, »sich in Tilly’s kaiserliches Lager zu begeben. — Wie, in Tilly’s Lager?!! In diesem ausgelassenen, sittenlosen Haufen, in Alexius Nähe, sollte ich die edle Elisabeth, die engelreine Wanda wissen? Drum folgen Sie mir!«
»Und Sie könnten verlangen,« fiel ihm Wanda ein, »daß ich die unglückliche Elisabeth verlasse? Nein! wo sie athmet, bin auch ich. Ich danke Ihnen, Bernhard, mein edler Freund! Lassen Sie das Schicksal seinen Lauf gehen. Gott wird uns schützen.«
Bernhard wandte noch Manches ein, sie widerlegte seine Gründe mit ruhiger Klarheit.
»Sie wollen, Sie wollen also wirklich nicht?« rief er endlich. »Nun, es sey! ich will Sie nicht zwingen! Leben Sie wohl, Sie hohe, reine Seele. — Aber,« fuhr er fort, meinen Schmerz kann ich Ihnen nicht ersparen; ich nehme Marien mit mir — unabänderlich! Sie erbleichen, Wanda? Seyn Sie stark, machen Sie mir meinen Entschluß nicht noch schwerer durch Ihre Thränen!«
»Mein Kind! meine Schwester!« rief Wanda unter heftigem Weinen. Gott! o Gott! Sie sind hart. Können Sie es uns erlassen, so haben Sie Mitleid! Aber,« fuhr sie sich ermannend fort, »Bernhard, ich will auch groß seyn, ich will Sie durch ein unbegränztes Vertrauen bestechen! Da nehmen Sie das Kind, das heilige, theure Kleinod unsers Herzens! Ich will nicht fragen, wer Sie ihm sind, sondern glauben, es sey in guten Händen.«
»So habe ich’s gern, edles Mädchen?« rief Bernhard, indem er einen Siegelring vom Finger zog und eine goldne Kette, die um seinen Küraß hing, losmachte. »Großen Seelen kleidet großes Vertrauen. Nehmen Sie diesen Schmuck zum Pfande, daß Sie das Ihrige nicht belog. Er ist mir sehr theuer, das Liebste unter allen irdisch werth losen Dingen!« —
Wanda empfing die Sachen halb bewußtlos; innerlich brach ihr Herz. Sie fühlte Marien gewaltsam von sich losreißen, sie sah sie, trotz ihres Sträubens, in die Kutsche heben. Die Reiter sprengten fort, das schwere Fuhrwerk rasselte von dannen, ohnmächtig sank sie in das feuchte Gras nieder. —
Als Wanda endlich wieder zu sich kam, befand sie sich im Schloß auf einem Sopha liegend. Man hatte sie vermißt, und endlich, nach langem fruchtlosen Suchen, sie in ihrem hülfsbedürftigen Zustande gefunden. Es war schon dunkel; Gräfin Elisabeth saß mit verweinten Augen zu ihrem Haupte. Wanda erzählte ihr in abgebrochenen Sätzen das Geschehene.
»Tröste Dich, Mutter!« sagte sie, als am Ende Elisabeths Schmerz sich in einen Strom von Thränen ergoß. »Glaube mir, er ist edel! Ich, ich hafte für ihn! Marie konnte in keine bessere Hand kommen!« —
»Ach!« rief Gräfin Elisabeth, mit gefalteten Händen, »Dir, Dir, Vater der Unschuld, empfehle ich sie an, wenn Menschen sie verlassen; o behüte ihr liebes, kleines Leben!«
Eben trat Valerius düster herein. Er hatte das Gerücht von etwas Außerordentlichem schon vernommen. Gräfin Elisabeth erklärte ihm den Zusammenhang.
»Seht Ihr,« sagte er, »es betrügt auch alles, alles mein Herz! So rächt sich dieser Schwede! Ich hatte Marien sehr lieb; bei Gott! Darum nimmt er sie mir weg!«
Wanda hätte ihm gern widersprochen, aber sie schwieg.
Als sie mit ihrer Mutter allein im Schlafzimmer war, fiel plötzlich beim Auskleiden Ring und Kette von Bernhard klirrend zu ihren Füßen. An der letzteren befand sich eine verschlossene goldene Kapsel, die endlich nach einigen Versuchen Wanda’s aufsprang. Ein schönes, feines Portrait mit diamantnem Rahmen lag darin.
Es war das Brustbild einer Dame von etwa vierzig Jahren, nicht mehr in voller Blüthe, aber von hinreißender Anmuth umflossen. Bernhards Züge lächelten auf diesem weichen, himmlischen Gesicht, die Augen strahlten von einer Freundlichkeit, einer Huld, die selbst im Bilde entzückte. Einfach und schmucklos war das hellbraune Haar aufgesteckt, und ein dunkeles Gewand, bis dicht unter das Kinn reichend, begränzte dies bezaubernde marmorweiße Oval des Gesichts.
Auf der Kehrseite dieses Bildes war noch ein anderes angebracht. Ebenfalls eine Dame, aber noch in voller Jugend, von hoher Schönheit umstrahlt. Ueber diese Züge schien ein leiser Anflug des Schmerzes zu wehen. Das große braune Auge lächelte wie in stiller Trauer, um die feinen Lippen schwebte ein schöner Zug leiser Melancholie. Durch ihr tiefbraunes Haar waren Perlen und weiße Rosen geflochten, auch der Gürtel des schwarzen Kleides war mit weißen Perlen umkränzt. —
Wanda betrachtete die Bilder, in stillem Entzücken verloren. Sie drückte sie fest an ihr Herz.
»Seine Mutter,« flüsterte sie, »und — seine Braut! — — Das ist die Braut für solchen Heldenjüngling! Ach keine andere kann es seyn! — Aber,« fuhr sie weich und sinnend fort, »ich habe ihn ja auch verstanden! ich habe ihm ja auch in der tiefsten Seele gelesen —« —
Ein heißer Thränenstrom stürzte über ihre Wangen, und eine unnennbare Wehmuth zitterte in ihrem Herzen. »Arme, arme Wanda!« riefen ihr tausend Stimmen zu, während sie sich niederlegte, und unter immer leiser fließenden Thränen entschlummerte.