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Die zwei Staaten des Augustinus
ОглавлениеAugustinus verfolgt die Geschichte der Menschheit von ihrem Ursprung bei Adam und Eva und passt sie in das Schema seiner Rahmenerzählung der zwei Staaten ein. „Daher kommt es, daß es trotz der großen Zahl der Völker auf Erden und ihrer Vielgestaltigkeit in Sprache, Kriegswesen, Tracht doch nur zwei Arten menschlicher Gemeinschaft gibt, die wir nach unseren Schriften recht wohl als zwei Staaten bezeichnen können.“ (DCD XIV. 1) Ein Staat lebt nach dem Fleisch, ein anderer nach dem Geist. Einer wird durch Selbstliebe geschaffen, der andere durch die Liebe zu Gott. Der eine rühmt sich selbst, der andere empfängt seine Herrlichkeit von Gott (DCD XIV. 28). Der eine ist dazu bestimmt, sich mit dem Teufel ewiger Strafe zu unterwerfen, wodurch er sich als Staat zerstört, der andere dazu, zusammen mit Gott in alle Ewigkeit zu herrschen (DCD XV. 1 und 4).
Die Trennung zwischen den beiden Staaten nimmt mit den Kindern des ersten Paares ihren Anfang. „Zuerst also wurde von jenen beiden Stammeltern des Menschengeschlechtes Kain geboren, der zum Staat der Menschen gehört, nachher Abel, der zum Gottesstaat gehört.“ (DCD XV. 1) Die Feindschaft zwischen den beiden Staaten kommt zuerst in Kains Brudermord zum Ausdruck, und auf Kains Beispiel folgte Romulus, der Gründer Roms, der seinen Bruder Remus erschlug (DCD XV. 5).
Im 15. und 16. Buch des Gottesstaates zeichnet Augustinus die frühe Geschichte des Gottesstaates nach, indem er der Erzählung der Genesis folgt und den Staat in den jüdischen Patriarchen durch Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Joseph und Moses verkörpert sieht. Das 17. Buch versucht das Verständnis des Gottesstaates aus den Schriften der Propheten und Psalmisten zu vertiefen. Die Prophezeiungen, die das Königtum Davids und die jüdische Priesterschaft verherrlichen und ihnen ewige Dauer versprechen, müssen ihre Erfüllung anderswo finden, da die Institutionen Israels nicht mehr existieren (DCD XVII. 7).
Mit dem 18. Buch kehren wir zur profanen Geschichte zurück. Es erzählt den Aufstieg und Fall einer Reihe von heidnischen Reichen: Assyrien, Ägypten, Argos und Rom. Augustinus ist darum bemüht, biblische und säkulare Chronologien in Einklang zu bringen. Den von Moses geleiteten Exodus verlegt er in die Zeit des mythischen Königs Kekrops von Athen und den Untergang Trojas in die Richterzeit Israels. Die Gründung Roms, den Beginn der Philosophie in Ionien und die Vertreibung der Juden aus Israel betrachtet er als gleichzeitige Ereignisse. Er teilt uns mit, dass sich die Zerstörung des Tempels in Jerusalem zur Zeit der Regierung von Tarquinius Priscus in Rom ereignete. Die Babylonische Gefangenschaft der Juden endete um dieselbe Zeit wie die Vertreibung der Könige und die Gründung der römischen Republik. Eine der Absichten dieser ziemlich schwindelerregenden Chronologie besteht darin, mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die Lehren der jüdischen Propheten älter sind als die Untersuchungen der heidnischen griechischen Philosophen (DCD XVIII. 37).
In Augustinus’ Darstellung wird Jerusalem zum Symbol des Gottesstaates und Babylon zu dem des Weltstaates. Babylon war die Stadt der Verwirrung, in der Gott die ursprüngliche Einheit der Menschensprache zerbrochen hatte, um den Bau des Turmes zu Babel zu verhindern (Gen. 11: 1–9). In der weltlichen Stadt reden die Philosophen in ebenso vielen verschiedenen Sprachen wie die Bauarbeiter in Babylon. Einige behaupten, es gebe nur eine Welt; andere dagegen, es gebe mehrere. Einige sagen, die Welt sei ewig, während andere behaupten, dass sie zugrunde gehen werde. Einige behaupten, sie werde durch einen göttlichen Geist gelenkt, andere hingegen, sie sei der Spielball des Zufalls. Manche sagen, die Seele sei unsterblich, während andere behaupten, dass sie mit dem Körper ihr Ende finde. Einige verlegen das höchste Gut in die Seele, andere in den Körper, wieder andere in äußere Güter. Einige lehren, dass wir den Sinnen vertrauen können, während andere sagen, ihr Zeugnis sei zu verschmähen. In der weltlichen Stadt gibt es keine Autorität, die zwischen diesen widersprüchlichen Ansichten eine Entscheidung treffen könnte: Babylon umfasst unterschieds- und wahllos alle Meinungen, ohne zwischen wahr und falsch zu trennen (DCD XVIII. 42). Wie anders verhält es sich in der Stadt Gottes, in der alle die Autorität der kanonischen Schrift anerkennen!
Die wichtigsten Streitgespräche zwischen den Philosophen betreffen das höchste Gut und das größte Übel. Das höchste Gut ist dasjenige, um dessentwillen andere Dinge wünschbar sind, während es selbst um seiner selbst willen ersehnt wird. Philosophen haben versucht, das höchste Gut in diesem Leben auszumachen: Einige meinen, man könne es Lust und Vergnügen gleichsetzen, andere, es sei mit der Tugend identisch, andere, es bestehe in der Geistesruhe, wieder andere, es bestehe im Vergnügen an den grundlegenden Gütern, deren Genuss die Natur uns ermöglicht habe. Viele Sekten setzen das höchste Gut einem oder einer Kombination dieser Güter gleich. Doch der Gottesstaat weiß, dass das ewige Leben das höchste Gut und der ewige Tod das größte Übel ist und dass nur durch Glaube und Gnade das höchste Gut erreicht und das größte Übel vermieden werden kann (DCD XIX. 1–4).
Aus Augustinus’ Beschreibung der beiden Staaten wird deutlich, dass man nicht einfach Babylon mit dem heidnischen und Jerusalem mit dem christlichen Reich gleichsetzen kann. Der Gottesstaat war bereits lange vor der Geburt Christi eine Gemeinschaft, und lange vor der Bekehrung Konstantins. Das christliche Reich enthält sowohl Sünder als auch Heilige. Augustinus veranschaulicht dies anhand des Kaisers Theodosius, den der heilige Ambrosius zwang, für die Brutalität, mit der er im Jahre 391 einen Aufstand in Thessaloniki niedergeschlagen hatte, Buße zu tun (DCD V. 26). Ebenso wenig kann der Gottesstaat mit der Kirche auf Erden gleichgesetzt werden, obwohl man in späteren Jahrhunderten Augustinus’ Buch manchmal als Leitfaden für die Beziehungen zwischen Kirche und Staat las. Das Wesen der zwei Staaten lässt sich erst dann vollständig begreifen, wenn wir ihren Endzustand betrachten, wie Augustinus dies im letzten der drei Bücher des Gottesstaates tut.
Augustinus sucht in den Sprüchen der Propheten, in den Predigten Jesu, den Briefen der Apostel und dem Buch der Offenbarung nach Informationen über die Zukunft der Welt. Zwischen der Auferstehung Jesu und dem Ende der Geschichte liegt ein Zeitraum von 1000 Jahren, wie in der Offenbarung beschrieben ist (DCD XX. 1–6). In dieser Zeit herrschen die Heiligen mit Christus. Ihre tausendjährige Herrschaft entfaltet sich in zwei Stadien: Während ihres Lebens auf der Erde sind Heilige die leitenden Mitglieder einer Kirche, zu der auch Sünder gehören, und auch nach ihrem Tod gehören sie noch auf mysteriöse Weise in die Gemeinschaft mit der Kirche, die das Reich Gottes ist (DCD XX. 9). Mit Verachtung behandelt Augustinus sämtliche Interpretationen der Offenbarung, die sich auf ein tausendjähriges Trinkgelage der Heiligen nach dem Ende der Geschichte freuen. Wie immer wir Johannes’ Jahrtausend auch verstehen, sei es wörtlich oder indem wir die Zahl 1000 als Symbol für Perfektion deuten: Wir befinden uns schon jetzt in der Mitte der Herrschaft der Heiligen (DCD XX. 7).
Augustinus lässt uns wissen, dass sich das Drama am Ende der Geschichte, nachdem eine Reihe von Jahren verstrichen ist, in sieben Akten vollziehen wird. Zuerst wird der Prophet Elias erscheinen und das jüdische Volk zu Christus bekehren. Anschließend wird der Satan freigelassen und für dreieinhalb Jahre wird der Antichrist die Gläubigen verfolgen, wobei er als seine Gehilfen die Völker Gog and Magog einsetzt. Die Heiligen werden ihre Leiden ertragen, bis sich die Angriffe von Gog and Magog erschöpft haben (DCD XX. 11f. 19). Drittens wird Jesus zur Erde zurückkehren, um die Lebenden und die Toten zu richten. Viertens werden die Seelen der Toten, um gerichtet zu werden, von ihrem Ruheplatz zurückkehren und wieder mit ihren Körpern vereinigt werden. Fünftens wird das Gericht die Tugendhaften von den Bösen trennen, wobei die Heiligen in die ewige Glückseligkeit gelangen, die Bösen in die ewige Verdammnis (DCD XX. 22. 27). Sechstens wird die gegenwärtige Welt in einer kosmischen Feuersbrunst zugrunde gehen, und es werden ein neuer Himmel und eine neue Erde geschaffen werden (DCD XX. 16–18). Siebtens warden die Seligen und Verdammten in ihre ewige Bleibe gelangen, die ihnen im Himmel und der Hölle bestimmt ist (DCD XX. 30). Das himmlische Jerusalem in der Höhe und das unauslöschliche Feuer in der Tiefe sind die Endzustände der zwei Staaten von Augustinus’ Erzählung.
Die Massa Damnata. Dieses Manuskript des Gottesstaates zeigt Adam und Eva, die nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies dem Tod begegnen, und die Menschheit auf ihrem Weg in die Hölle, während nur die Auserwählten durch göttliche Gnade gerettet werden.
Augustinus erkennt, dass diese Vorhersagen nicht leicht zu akzeptieren sind, und er nennt als besonders schwer anzuerkennende Vorstellung, dass die Bösen eine ewige körperliche Strafe erleiden werden. Doch werden Körper nicht vom Feuer verzehrt, wird man dagegen einwenden, und muss nicht, was Schmerzen erleiden kann, früher oder später auch den Tod erleiden? Augustinus antwortet hierauf, dass Salamander im Feuer gedeihen und dass der Ätna seit Ewigkeiten glüht. Seelen können ebenso gut wie Körper Schmerzen erleiden, Philosophen sind sich aber darin einig, dass Seelen unsterblich sind. Es gibt zahllose Wunder in der Natur – Augustinus führt eine lange Liste an, einschließlich der Eigenschaften von Zitronen, Diamanten, Magneten und Früchten des Toten Meeres5 –, die es völlig glaubwürdig machen, dass ein allmächtiger Schöpfer einen menschlichen Körper in entsetzlichen Schmerzen ewig am Leben erhalten kann (DCD XXI. 3–7).
Für die meisten Menschen stellt nicht so sehr der physische Mechanismus, als vielmehr die moralische Rechtfertigung einer ewigen Verdammnis ein Problem dar. Wie kann irgendeine, in einem kurzen Leben begangene Untat eine Strafe verdienen, die ewig dauert? Augustinus antwortete hierauf, dass selbst in der menschlichen Rechtsprechung kein notwendiges zeitliches Verhältnis zwischen Verbrechen und Strafe bestehe. Ein Mann kann als Strafe für einen ehebrecherischen Kuss stundenlang geprügelt werden, ein Sklave kann für die Beleidigung seines Herrn, die er in wenigen Momenten aussprach, Jahre im Gefängnis verbringen müssen (DCD XXI. 11). Es ist falsche Sentimentalität aus Mitleid zu glauben, dass die Schmerzen der Hölle jemals ein Ende nehmen werden. Wenn man versucht ist, dies zu glauben, könne man schließlich auch mit dem Häretiker Origines glauben, eines Tages werde selbst der Teufel bekehrt werden (DCD XXI. 17)!
Schritt für Schritt versucht Augustinus nicht nur zu beweisen, dass eine ewige Strafe möglich und gerechtfertigt ist, sondern dass es äußerst schwierig ist, ihr zu entgehen. Ein tugendhaftes Leben reicht hierfür nicht aus, denn die Tugenden der Heiden sind ohne den wahren Glauben nichts als gleißende Laster. Getauft zu sein ist nicht genug, denn die Getauften können vom wahren Glauben abfallen. Ein rechter Glaube ist ebenfalls nicht genug, denn selbst der standhafteste Katholik kann in Sünde fallen. Die Hingebung an die Sakramente reicht nicht aus: Niemand weiß, ob er sie in einem Geist empfängt, in dem er Anspruch auf die Erfüllung von Jesu Versprechen des ewigen Lebens hat (DCD XXI. 19–25). Menschenliebe reicht nicht aus: Augustinus verwendet mehrere Seiten darauf, die Passage des Matthäusevangeliums wegzuerklären, in der der Menschensohn die Schafe von den Böcken danach scheidet, ob sie in ihrem Leben Nächstenliebe gezeigt haben oder nicht (Matt. 25: 31–46; DCD XXI. 27).
Und so gelangen wir, im 22. Buch des Gottesstaates, schließlich zur ewigen Freude der Heiligen im neuen Jerusalem. Denjenigen, die nicht glauben können, dass irdische Leiber ewig im Himmel leben können, gibt Augustinus die folgende, höchst platonische Antwort:
„Wären wir nun aber nur Seelen, d.i. reine Geister ohne Leib, und wüßten wir, im Himmel wohnend, nichts um irdische Leibeswesen, und sagte man uns, wir würden dereinst durch ein wunderbares Band mit irdischen Leibern zu deren Beseelung verbunden werden, würden wir da nicht mit viel größerem Nachdruck uns dagegen wenden, den Glauben daran verweigernd, und uns darauf berufen, die Natur dulde es nicht, daß etwas Unkörperliches durch ein körperliches Band gefesselt werde? Und doch ist die Erde voll von Seelen, die solch irdische Glieder beleben, welche mit ihnen auf wunderbare Weise verbunden und verflochten sind. Warum sollte also, wenn der nämliche Gott, der solche Leibeswesen erschaffen hat, es will, nicht ein irdischer Leib zu einem himmlischen Leib erhoben werden können, da doch der Geist, der vorzüglicher ist als jeder Leib, also selbst als ein himmlischer, an einen irdischen Leib gebunden werden konnte?“ (DCD XXII. 4)
Kein Christ kann sich weigern, an die Möglichkeit eines himmlischen Menschenkörpers zu glauben, da alle akzeptieren, dass Jesus von den Toten auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist. Es ist nicht schwerer, an das den Seligen versprochene ewige Leben zu glauben, als an die Auferstehung Jesu.
„Unglaublich ist es, daß Christus im Fleische auferstanden und mit dem Fleische gen Himmel gefahren ist; unglaublich, daß die Welt zum Glauben an etwas so Unglaubliches übergegangen ist; unglaublich, daß unbekannte Männer von niedrigster Herkunft, ganz gering an Zahl, ohne Bildung, etwas so Unglaubliches so wirksam der Welt und in ihr auch den Gelehrten beizubringen vermochten. Von diesen drei Unglaublichkeiten wollen unsere Gegner die erste nicht glauben; die zweite müssen sie mit eigenen Augen schauen; und wenn sie die dritte nicht glauben, werden sie nie inne, wie es dazu kam.“ (DCD XXII. 5)
Um zu beweisen, dass all diese unglaublichen Dinge tatsächlich glaubwürdig sind, beruft sich Augustinus auf göttliche Allmacht, die sich in einer Reihe von Wundern manifestiert hat, die entweder von ihm selbst beobachtet wurden oder deren Augenzeugen zu seinen Freunden zählen. Doch er erkennt an, dass er auf Probleme eingehen muss, die philosophische Gegner gegen den Begriff der körperlichen Auferstehung überhaupt vorgebracht haben.
Wie sollen menschliche Körper, die aus schweren Elementen bestehen, in der ätherischen Erhabenheit des Himmels existieren können? Dies ist Augustinus zufolge nicht problematischer, als wenn Vögel in der Luft fliegen oder auf Erden Feuer ausbricht. Werden die auferstandenen Körper alle männlich sein? Nein: Die Frauen werden ihr Geschlecht behalten, obwohl ihre Organe nicht länger dem Beischlaf und der Geburt dienen werden, da es im Himmel keine Ehe mehr geben wird. Werden die auferstandenen Leiber alle dieselbe Größe und Form haben? Nein: Jedem wird die Gestalt verliehen, die er zur Zeit der Reife hatte (wenn er im Alter starb) oder gehabt haben würde (wenn er jung starb). Und wie ist es mit denen, die im Kindesalter starben? Sie werden ihre Reife bei der Auferstehung augenblicklich erlangen.
Alle Auferstehungsleiber werden vollkommen und schön sein: Zur Auferstehung gehören Schönheitsoperationen in kosmischem Umfang. Missbildungen und Verunstaltungen werden entfernt, den Amputierten ihre Glieder zurückgegeben. Abgeschnittene Haare und Fingernägel werden wieder Teile ihrer ursprünglichen Körper werden, allerdings nicht in Form von Haaren und Nägeln. „Und so braucht man um die Mageren und die Dicken nicht besorgt zu sein, sie möchten im Jenseits auch diese Leibesbeschaffenheit aufweisen, auf die sie schon hienieden gern verzichteten, wenn es auf sie ankäme.“ (DCD XXII. 19)
Augustinus wirft auch ein Problem auf, dass Gläubigen in allen Jahrhunderten, in denen der Glaube an eine Auferstehung am Ende der Zeiten ernst genommen wurde, weiterhin Schwierigkeiten bereitet hat. Angenommen ein hungriger Mann schafft seinem Hunger durch Kannibalismus Abhilfe: Zu welchem Körper wird das verdaute Menschenfleisch bei der Auferstehung gehören? Augustinus gibt hierauf eine sorgfältig durchdachte Antwort. Bevor A so hungrig wird, dass er den Körper von B verzehrt, muss A sehr viel Gewicht verloren haben – Teile seines Körpers müssen in die Luft ausgeatmet worden sein. Bei der Auferstehung wird dieses Material wieder in Fleisch verwandelt, um A die passende Üppigkeit zu verleihen, und das verdaute Fleisch wird B zurückgegeben. Man solle sich den gesamten Vorgang analog zum Ausleihen einer bestimmten Geldmenge vorstellen, die zur festgesetzten Zeit zurückzugeben sein wird (DCD XXII. 30).
Doch was werden die Seligen mit diesen wunderbaren Auferstehungsleibern tun? Augustinus gesteht: „Denn was sonst dort geschehen sollte, wo man weder aus Trägheit untätig ist noch aus Not arbeitet, kann ich mir nicht denken.“ Die Bibel sagt uns, dass sie Gott schauen werden, und dies stellt Augustinus vor ein weiteres Problem. Wenn die Seligen ihre Augen nicht auf Wunsch öffnen und schließen können, geht es ihnen schlechter als uns. Doch wie könnte jemand, der Gott schaut, seine Augen schließen? Seine Antwort ist subtil. In diesem seligen Zustand wird Gott tatsächlich für die Augen des Körpers und nicht nur für die des Geistes sichtbar sein, doch wird er kein zusätzlich gesehener Gegenstand sein. Es wird eher so sein, dass wir Gott sehen, indem wir seine Herrschaft über die Körper sehen, aus denen die uns umgebende materielle Welt besteht, wie wir ja auch das Leben unserer Mitmenschen anhand ihres Verhaltens beobachten. Das Leben ist kein zusätzlich gesehener Körper, und dennoch glauben wir nicht nur, dass sie leben, wenn wir die Bewegungen von Lebewesen beobachten, sondern wir sehen es. In der Stadt Gottes werden wir sein Wirken an der Harmonie und Schönheit erkennen, die er allem anderen verleiht (DCD XXII. 30).
Obwohl er zwar auf jeder Seite von der Bibel abhängt, verdient der Gottesstaat einen bedeutsamen Platz in der Geschichte der Philosophie, und zwar aus zwei Gründen. Erstens bemüht sich Augustinus ständig darum, seine religiöse Weltsicht in die philosophische Tradition Griechenlands und Roms einzupassen: Wo dies möglich ist, versucht er die Bibel mit Platon und Cicero in Einklang zu bringen. Wo dies nicht gelingt, fühlt er sich verpflichtet, antichristliche philosophische Argumente anzuführen und zu widerlegen. Zweitens gab die von Augustinus aus biblischen und klassischen Elementen konstruierte Darstellung den Rahmen für philosophische Diskussionen in der lateinischen Welt vor, und zwar bis zur Renaissance und Reformation und darüber hinaus.
Augustinus war einer der interessantesten Menschen, die jemals philosophische Texte verfasst haben. Er hatte einen scharfen, lebendigen analytischen Verstand und seine beste Prosa ist anschaulich, geistreich und bewegend. Im Gegensatz zu den Philosophen des Hochmittelalters ist er ständig darum bemüht, seine philosophischen Einsichten durch konkrete Bilder zu veranschaulichen, und die von ihm angeführten Beispiele sind niemals schal oder leblos, wie dies bei den Texten der großen Scholastiker allzu häufig der Fall ist. Er kann Anekdoten, Epigramme und Paradoxa in den Dienst der Philosophie stellen und unter der glatten Oberfläche der Sprache tiefe philosophische Probleme erkennen. Zu den höchstrangigen Philosophen zählt er jedoch nicht, da er zu sehr Rhetoriker blieb: Bis zum Ende seines Lebens konnte er zwischen echter logischer Analyse und bloßen sprachlichen Pirouetten nicht wirklich unterscheiden. Doch nachdem er Bischof geworden war, waren seine Ziele niemals rein philosophisch. Rhetorik und Logik waren lediglich Mittel zur Verbreitung des Evangeliums von Christus.