Читать книгу Die Missionen 141-150 der Raumflotte von Axarabor: Science Fiction Roman-Paket 21015 - Antje Ippensen - Страница 46
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ОглавлениеDorian Pallomer hatte ein Problem. Nicht erst seit heute. Eigentlich war das ein Problem, das stets gegenwärtig war: Er war nämlich das, was man kleinwüchsig nannte. Schlimmer noch: Er sah aus wie ein Zehnjähriger.
Die Ärzte attestierten ihm eine seltene Krankheit. Immerhin so selten, dass es anscheinend im gesamten Quadranten des Imperium von Axarabor niemanden gab, der jemals von dieser Krankheit auch nur gehört hatte, geschweige denn, dass er in der Lage gewesen wäre, sie zu behandeln.
Nun, Kleinwüchsigkeit war ja nicht grundsätzlich eine Krankheit. Sobald sie auftrat, konnte man gentechnisch eingreifen, um es zu korrigieren. So wurde das schon seit Jahrtausenden gehandhabt. Deshalb gab es praktisch keinen Kleinwüchsigen mehr auf den Welten, wo man sich eine solche Behandlung leisten konnte.
Es gab also praktisch nur diese eine Ausnahme mit Namen Dorian Pallomer!
Nicht dass seine Eltern es sich nicht hätten leisten können, ihn behandeln zu lassen. Er stammte immerhin aus einer Familie, die man getrost superreich nennen durfte. Auf dem Planeten ZAROMEINO jedenfalls mit Sicherheit die reichste und vor allem auch einflussreichste Familie überhaupt. Es gab seit Jahrtausenden keine Planetenregierung auf ZAROMEINO ohne mindestens ein wichtiges Mitglied aus dem weitverzweigten Familienclan der Pallomer.
Nur einer aus diesem Clan würde niemals auch nur den Hauch einer Chance haben, ebenfalls Regierungsmitglied zu werden oder auch nur das geringste Amt auf dieser Welt bekleiden zu können: Dorian Pallomer!
Obzwar er der Älteste war in der Familie des Clanoberhauptes, gab es niemanden, der einen Mann, der aussah wie ein Zehnjähriger, für voll nahm. Weder innerhalb der Familie noch außerhalb. Ganz im Gegenteil: Der Clan schämte sich ob dieses in aller Augen als missraten geltenden Mitgliedes.
Dabei war Dorian Pallomer alles andere als missraten. Sein einziger Makel war eben sein Aussehen – und dafür konnte er ja nichts.
Allerdings hatte er schon früh gelernt, aus dieser Not eine Tugend zu machen, indem er sich heimlich unter das Volk mischte und dort unerkannt als immerwährender Zehnjähriger sein Unwesen trieb. Dorian Pallomer, weit intelligenter als ihm jeder zutrauen wollte, und von ungewöhnlicher Gesundheit und Fitness, was anscheinend mit dieser unerklärlichen Krankheit zusammenhing, die ihn heimsuchte, genoss die Narrenfreiheit eines Zehnjährigen. Vor allem in den Slums der Hauptstadt, wo Millionen von Menschen ein wahrlich menschenunwürdiges Dasein fristen mussten, im tiefsten Schatten einer Gesellschaft, die Armut einfach komplett ignorierte, anstatt sie zu bekämpfen.
Hier fühlte sich Dorian Pallomer wohl. Die anderen Kinder glaubten, er sei eine Vollwaise, seine Eltern wären dahin gerafft worden von einer normalerweise heilbaren Krankheit, deren Heilung sie sich jedoch nicht hatten leisten können. Das war eine Geschichte, die gab es in den Slums der Hauptstadt ZAROMEINO-Zentral dermaßen häufig, dass niemand mehr nach den näheren Umständen fragte.
Einziges Problem des kleinen Dorian Pallomer: Er musste alle höchstens drei Jahre seine Gang wechseln, sonst fiel es auf, dass er niemals älter aussah. Ansonsten nutzte er seine Intelligenz und seine Lebenserfahrung, die ihm niemand ansehen konnte, um im Handumdrehen in jeder Gang der Boss zu werden. Zumal er mit seiner Gang lukrative Raubzüge durchführte, was ihm sogleich die Hochachtung aller einbrachte.
Es ahnte ja niemand, dass Dorian Pallomer jedes Mal mit seiner Gang quasi sich selbst überfiel beziehungsweise seine eigene Familie.
Weil es so gut wie keine Bilder gab von ihm als Dorian Pallomer, konnte ihn auch keiner in den Slums erkennen. Überhaupt verhinderte seine Familie nachhaltig, dass allzu viel über seine Existenz in die Öffentlichkeit geriet.
Besser konnte es für ihn also gar nicht sein.
Jedenfalls war das bisher so gewesen. Heute jedoch sollte sich dies alles schlagartig ändern. Ausgerechnet an seinem fünfzigsten Geburtstag, an dem er immer noch als Zehnjähriger locker in den Slums durch kam.
Heute musste er den Slums fern bleiben. Er hatte ja schon ziemlich viele Freiheiten, weil keiner aus dem Familienclan irgendetwas von ihm erwartete. Also kümmerte sich auch keiner ernsthaft um ihn. Nur an diesem runden Geburtstag, da war das natürlich etwas anderes: Anlässlich dessen wurde von seinem Vater Zubor Pallomer, dem gegenwärtigen Präsidenten von ZAROMEINO, ein großes Fest initiiert. Ganz zum Leidwesen seines Sohnes, des ewigen Zehnjährigen.
Zwar waren ausschließlich Mitglieder des Pallomer-Clans eingeladen und das komplette Fest blieb höchst inoffiziell, aber dahin kamen trotzdem immerhin beinahe vierhundert eingeladene Seelen, eingerechnet die Angeheirateten natürlich.
Für Dorian eine „abscheuliche Ansammlung von Inzucht und Schwachsinn“. Was er allerdings nicht laut zu sagen wagte. Als Sohn des Präsidenten hatte er zwar einige Freiheiten, doch dazu gehörte nicht die Freiheit, seinen eigenen Clan dergestalt zu beschimpfen.
Trotzdem wäre Dorian viel lieber in den Slums gewesen, bei denjenigen, die er als seine echten Freunde ansah. Wenn auch nur für maximal drei Jahre, bis er sich andere Freunde suchen musste. Bei einem Slumgebiet, das Millionen von Menschen im absoluten Elend beinhaltete, war das keine Kunst, jedes Mal aufs Neue wieder unterzutauchen und an anderer Stelle unerkannt wieder aufzutauchen. In den vergangenen Jahrzehnten hatte Dorian das zur wahren Perfektion reifen lassen.
Und es nutzte nicht nur ihm und seinem eigenen Seelenheil: Er brachte ziemlich viel Geld in die Slums und verhinderte den Hungertod all derer, die durch seine Mitgliedschaft innerhalb der Kindergangs mittelbar und unmittelbar profitierten. Also durfte er sich bei alledem auch noch rühmen, mehr Gutes getan zu haben in diesen vergangenen Jahrzehnten in den Slums von ZAROMEINO-Zentral als seine gesamte Familie jemals innerhalb der letzten Jahrtausenden getan hatte. Ein Clan nämlich, für den Egoismus, Geld- und Machtgier immerhin als besondere Tugenden zählten.
So gesehen war es nicht nur für Dorian Pallomer ein besonderes Glück, wie ein ewiger Zehnjähriger auszusehen, sondern auch für die Slums der Hauptstadt.
Und jetzt saß er hier auf seinem Ehrenplatz an der Festtafel zu Beginn der überbordenden Geburtstagsfeier, die ihm zu Ehren stattfinden sollte. An diesem Tisch durften nur die engsten Clanmitglieder Platz nehmen, zum Beispiel sein Vater und seine Brüder, die er sich vorgenommen hatte komplett zu ignorieren. Alle anderen Tische waren so angeordnet, dass die unbedeutenden Mitglieder am weitesten weg sitzen mussten von diesem wichtigsten Tisch.
„ Ich scheiße drauf!“, murmelte er ärgerlich vor sich hin.
„ Wie bitte?“, fragte sein Kammerdiener, der Hermione James. Er hatte ihn selber so genannt, als er ihn mit fünfzehn Jahren bekommen hatte. Der Hermione war ihm als sein Spielzeug geschenkt worden, an seinem fünfzehnten Geburtstag. Ein künstlich geschaffenes halborganisches Geschöpf, das ebenfalls aussah wie ein Zehnjähriger. Es war extra dafür herangezüchtet worden, um ihm zur Verfügung zu stehen.
Dorian wusste, wie selten Hermione innerhalb des Imperiums waren. Es hieß, für den Besitz eines solchen Geschöpfes müsste man ganze Sonnensysteme eintauschen. Mit anderen Worten: Sie waren eigentlich unbezahlbar. Vielleicht war er deshalb auch der einzige im gesamten Clan, der sich des Besitzes eines solchen Geschöpfes erfreuen konnte.
Dorian hatte den Hermionen anfangs abgelehnt, bis er bemerkt hatte, wie intelligent dieses Wesen war. Seine Schöpfer hatten ihn zwar so programmiert, dass er auf Gedeih und Verderb demjenigen untertan war, auf den er eingeschworen wurde, also wie ein lebendiges Spielzeug ohne eigenen Willen, aber der Hermione hatte nicht nur Intelligenz, sondern auch Gefühle.
Es hatte jedenfalls nicht lange gedauert, bis Dorian den Hermionen voll und ganz akzeptiert hatte, weil er den unschätzbaren Vorteil erkannte. Der Hermione war in der Lage, sein Äußeres zu verändern. Zwar nur im Rahmen seiner Körpermaße, aber die entsprachen sowieso denen seines Herrn Dorian Pallomer. Also konnte Dorian so lange in den Slums verweilen wie er wollte, denn in dieser Zeit vertrat ihn der Hermione in perfekter Weise. Somit war er also nicht nur der Kammerdiener sondern auch sein perfekter Doppelgänger.
Nur heute, auf seinem fünfzigsten Geburtstag, würde das nicht funktionieren. Da wurde von ihm ausdrücklich erwartet, dass er gemeinsam mit seinem Kammerdiener auftrat. Also konnte er ihn nicht als Doppelgänger zur Feier schicken.
Dorian sah James an und wiederholte seine Worte, ein wenig lauter als zuvor:
„ Ich scheiße drauf!“
Erschrocken zuckte der Hermione zusammen. Er warf rasch einen prüfenden Blick in die Runde.
„ Aber, ich bitte dich, Herr, wenn das jetzt jemand mitbekommt...“
„ Wenn du noch einmal Herr zu mir sagst, bekommst du überhaupt nichts mehr mit!“, drohte Dorian erzürnt. „Du weißt, dass ich das nicht mag!“
„ Äh, ja, entschuldige, Dorian, ist mir so herausgerutscht. Es macht mir nämlich Angst, wenn du dich dermaßen sorglos verhältst.“
„ Ach was, das hat doch niemand mitbekommen!“ Dorian machte eine wegwerfende Handbewegung.
Der Hermione schüttelte bekümmert den Kopf:
„ Du weißt doch, hier im Herrscherpalast haben die Wände Ohren. Und du weißt auch, dass die Demokratie unserer Welt nur eine Farce ist. In Wirklichkeit hat dein Clan seit Jahrtausenden das Sagen. Egal, welche Regierung gewählt wird. Es ist sowieso immer mindestens einer aus dem Clan mit dabei und dann auch noch in führender Position. Das Ganze also ist ein Überwachungsstaat übelster Sorte, wobei sich der Clan sogar auch noch selbst überwacht.“
„ Ja, zurzeit ist mein Vater ja sogar Präsident. Er würde jeden zu Tode foltern lassen, der es wagte, ihm quer zu kommen, selbst wenn es sein eigener Sohn wäre. Dreckskerl! Soll ihn der Raumteufel holen.“
„ Du bist wirklich zu leichtsinnig, Dorian!“, ermahnte ihn der Hermione mit einem deutlichen Zittern in der Stimme.
„ Ja, ich weiß, aber ich kann einfach nicht anders manchmal. Das Ganze hier geht mir dermaßen auf die Nerven... Du weißt selber, was die von mir halten, nämlich gar nichts. Und jetzt macht mein Vater ein solches Theater ausgerechnet um mich zu ehren, an meinem fünfzigsten Geburtstag, wobei ich hier sitze wie ein Zehnjähriger? Noch scheinheiliger geht ja wohl nicht. Um nicht zu sagen niederträchtig, weil er mich damit wohl nur demütigen will. Mir wäre es sowieso viel lieber, er hätte mich gänzlich vergessen. Möglichst für immer. Ich will diesen Dreckskerl von einem Präsidenten nämlich am liebsten nie mehr sehen. Nach Möglichkeit nie mehr in meinem restlichen Leben. Wenn du nur mal selber sehen könntest, wie die Menschen in den Slums hausen müssen. Das verdanken sie alle nur diesem scheiß Drecksclan!“
„ Wenn die das mitbekommen, sperren sie dich zumindest weg, falls dir nicht noch Schlimmeres blüht!“, warnte jetzt der Hermione noch eindringlicher.
Dorian lachte humorlos.
„ Ja, ja, ich weiß. Also mache ich weiterhin gute Miene zum bösen Spiel. Für die nächsten fünfzig Jahre.“
Der Hermione musterte ihn, als würde er ihn zum ersten Mal sehen.
„ Wenn ich überlege, dass du dich in den fünfunddreißig Jahren, seit ich bei dir bin und sogar bei allen möglichen Gelegenheiten vertrete, überhaupt nicht verändert hast... Da kommt es mir auch so vor, als dass sich das auch in den nächsten fünfzig Jahren nicht ändern wird. Vielleicht bist du durch diese Krankheit sogar unsterblich?“
„ Falls es sich überhaupt um eine Krankheit handelt!“, zweifelte Dorian jetzt. „Eigentlich ist es mir ja egal, weil ich mich alles andere als krank fühle. Immerhin kann ich so den Menschen in den Slums in einem Maße helfen, was anders überhaupt nicht möglich wäre.“
„ Das stimmt auch wieder!“, pflichtete ihm der Hermione James bei.
Mehr traute er jetzt nicht mehr zu sagen, denn allmählich füllten sich die Plätze hier am Tisch.
Dorian saß an der Kopfseite. Sein persönlicher Hermione links von ihm. Der Präsident, Zubor Pallomer, der normalerweise hier am Kopfende gesessen hätte, würde rechts von ihm Platz nehmen. Seine Mutter, die vor Jahren auf unerklärliche Weise gestorben war, hätte normalerweise unmittelbar neben dem Präsidenten gesessen, doch dieser Platz würde ihr zu Ehren heute leer bleiben. Soviel wusste Dorian jedenfalls.
Verdammter Scheinheiliger!, schimpfte er in Gedanken – und meinte seinen Vater. Er war fest der Überzeugung, dass dieser seine Frau hatte umbringen lassen. Aus welchem Grund, entzog sich seiner Kenntnis. Vielleicht hatte sie es gewagt, ihn zu betrügen? Auszuschließen war es nicht.
Allerdings hatte Dorian auch zu seiner Mutter in den vergangenen Jahrzehnten kein gutes Verhältnis gehabt. Wie überhaupt zu niemandem. Als er die Zehn überschritten hatte und seine angebliche Krankheit immer deutlicher geworden war, hatte Dorian sich von allen weitgehend zurückgezogen. Sie waren eigentlich froh darum gewesen. Trotzdem würden sie heute hier erscheinen. Keiner konnte es sich leisten, einer Clanseinladung fern zu bleiben. Noch nicht einmal Dorian Pallomer, der sich nicht erinnern konnte, wann jemals es für ihn unangenehmer gewesen war als ausgerechnet heute, wo das doch sein Ehrentag sein sollte.
Ich scheiße drauf, ihr Arschlöcher!, dachte er zerknirscht, wagte es aber jetzt nicht mehr, dies laut werden zu lassen, denn soeben trat der Präsident persönlich neben ihn.
Wortlos setzte sich Präsident Zubor Pallomer auf seinen Platz und ließ streng seinen Blick in die Runde gehen. Dann erst sah er seinen Sohn an.
Dorian hatte das Gefühl, in den Augen seines Vaters regelrecht zu versinken. Das hatte er noch niemals zuvor erlebt. Was war los mit ihm? Irgendwie war sein Vater völlig anders als sonst. Er sah nur äußerlich genauso aus, aber...?
„ Du bist ein ziemlich ungewöhnlicher Typ!“, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Es war eindeutig die Stimme seines Vaters, aber wieso hörte er sie in seinem Kopf, während sein Vater nicht einmal die Lippen bewegte?
Dorian versuchte, dem forschenden Blick seines Vaters auszuweichen. Es gelang ihm nicht. Etwas bannte ihn auf der Stelle.
Er hörte neben sich einen erstickten Laut: James! Er hatte ebenfalls etwas bemerkt.
„ Ihr seid überhaupt ein äußerst interessantes Gespann, der Hermione und du. Wenn er dich vertritt, während du in den Slums dein Unwesen treibst, tut er das mit einer Perfektion, dass wirklich niemand bis heute bemerkt hat, was da läuft.“
„ Bis auf dich, Vater!“, ächzte Dorian entsetzt.
Zubor Pallomer lächelte fein und legte warnend den Finger an den zugespitzten Mund.
„ Nicht laut sprechen, sondern nur mit deinen Gedanken, Dorian! Genauso wie James. Ihr müsst einfach nur denken, was ihr sagen wollt. Dann können wir uns hier in aller Ruhe unterhalten – und keiner von all diesen Idioten bekommt etwas mit.“
„ Wer – wer bist du?“, fragte Dorian. Es bereitete ihm Mühe, es nicht laut auszusprechen, und tatsächlich: Der Präsident verstand ihn auch ohne laute Worte:
„ Nicht dein Vater, soviel steht jedenfalls fest!“
Endlich gelang es Dorian, sich an seinen Hermionen zu wenden.
Dieser war genauso entsetzt wie er.
Ja, entsetzt – einerseits. Andererseits griff etwas nach seinem Herzen, was man mit einem einzigen Wort bezeichnen konnte:
Angst!