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Kapitel 2
ОглавлениеWo bleibt die Würde?
(Nach einem Erlebnis von Silvia W.)
„Kannst du nicht fester anpacken?“, schimpfte Doris, die Altenpflegerin, mit der ich seit einigen Tagen auf der Station arbeitete. „Die Huber ist verdammt schwer!“
Ich nahm alle Kräfte zusammen, und gemeinsam konnten wir dann die alte Frau aus ihrem Bett heben. Doris ließ sie ziemlich unsanft in den bereitstehenden Sessel fallen und schleuderte ihren Arm zurück, mit der sich die alte Dame an ihre Pflegerin geklammert hatte. Wütend biss ich die Zähne zusammen. Doch dann sprudelte es aus mir heraus. „Glaubst du nicht, dass du viel zu grob bist, Doris? So kann man doch nicht mit alten Menschen umgehen!“
„Die Huber kriegt das doch gar nicht mit!“, lachte meine Kollegin, während sie sich daran machte, das Bett neu zu überziehen. „Sieh doch selbst, wie verweht sie ist!“
„Auch in diesem Zustand spüren die Menschen, ob man liebevoll oder brutal mit ihnen umgeht!“, widersprach ich, doch Doris winkte ab und sagte: „Papperlapapp! Sei nicht so empfindlich, Silvia! Wenn du erst einmal so lange wie ich diesen beschissenen Job machst, dann vergehen dir diese sentimentalen Gedanken. Die alten Weiber sollen froh sein, dass man ihnen den Hintern putzt. Schließlich sind sie hier nicht in einem Luxushotel …“
Ich schüttelte den Kopf. „Mit deiner Einstellung, Doris, solltest du dir einen anderen Beruf suchen“, knurrte ich wütend, während ich meiner Kollegin half, das Leintuch zu spannen. „Jeder Mensch hat doch ein Recht darauf, würdevoll behandelt zu werden. Ganz besonders, wenn er alt und pflegebedürftig ist …“
„In welche Klosterschule bist denn du gegangen?“, lachte mich Doris aus. „Du hast keine Ahnung vom wirklichen Leben. Jeder, der in dieses Heim kommt, weiß doch, wie chronisch unterbesetzt wir sind und dass wir keine Zeit haben, einen wunderbaren Service zu bieten. Für rund 900 Euro im Monat habe ich dazu auch keine Lust, wenn du mich fragst.“
„Hallo!“, rief Frau Huber, die alte Patientin, plötzlich mit schwacher Stimme und wollte aus dem Sessel aufstehen.
„Sitzen bleiben!“, herrschte sie Doris an. „Sonst brichst du dir wieder deine Flossen, und wir haben den Salat. Wirst es wohl erwarten, verdammt noch mal!“
„Hör endlich auf, so mit unseren Heimbewohnern zu reden!“, schimpfte ich. „Du bist in jeder Hinsicht frustriert und abgestumpft, Doris, und ich sage noch einmal, dass du hier am falschen Platz bist!“
„Das muss ich mir von einem Jungküken wie dir wohl nicht sagen lassen!“, fauchte Doris und verabreichte mir eine Ohrfeige, die höllisch brannte.
„Jetzt bist du zu weit gegangen!“, rief ich und massierte meine Wange. „Ich werde dich bei der Heimleitung melden, obwohl ich noch nie eine Kollegin verpetzt habe!“
„Dann wünsche ich dir viel Glück, Silvia!“, lästerte Doris. „Mir zittern jetzt schon die Knie! Glaubst du wirklich, dass man mich deswegen hinausschmeißt? Das können die sich gar nicht leisten, denn dann bricht der Betrieb hier endgültig zusammen. Und einen Ersatz für mich finden die nicht so schnell! Jetzt haben wir aber genug gequatscht! Komm, pack mit an! Die Huber muss wieder in ihr Bett zurück!“
Genauso unsanft, wie die alte Dame herausgehoben worden war, wurde sie von Doris wieder ins Bett verfrachtet. Meine Kollegin warf die Decke lieblos auf den abgezehrten Körper und sagte dann: „So, Zimmer 9 ist erledigt. Jetzt kommt die alte Heimann an die Reihe. Vor der musst du dich in Acht nehmen. Die kann ganz schön rabiat werden, wenn sie ihren schlechten Tag hat.“
„Aber damit wirst du ja spielend fertig“, sagte ich höhnisch. „Schließlich hast du keine Hemmungen, selbst Hand anzulegen, wie ich nun weiß!“
Epilog: Da die Atmosphäre in diesem Haus auch sonst nicht für mich stimmte, wechselte ich meine Stelle und arbeite jetzt in einem jungen, engagierten Team mit, das sich liebevoll um die alten Menschen kümmert. Von Doris habe ich erfahren, dass sie ihren Beruf – in ihren Augen den Job – an den Nagel gehängt hat und jetzt in einer Bar als Kellnerin arbeitet. Ich bin froh, dass es nun eine ungeeignete Pflegerin weniger gibt, unter der alle zu leiden hätten.