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Kapitel 1

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Mit einem Lächeln auf seinem eingefallenen Gesicht wacht Tay auf. Verschlafen blickt sich der Junge um. Und schon erlischt das Lächeln wieder, als er erkennen muss, dass alles nur ein schöner Traum gewesen ist. Ein Traum, der sicher nie in Erfüllung gehen wird. Tay liegt auf einer schäbigen Reismatte, eingehüllt in schmutzige Baumwolltücher, die ihn vor den gefährlichen Moskitostichen schützen.

Sein primitives Nachtlager befindet sich mitten auf dem Gehsteig. Hinter ihm stehen baufällige Häuser, an denen der Schimmelpilz wuchert. Müll türmt sich am Straßenrand in großen Haufen und verbreitet einen widerwärtigen, fauligen Geruch.

Tay rümpft nicht einmal mehr die Nase. Er kennt den Gestank dieser Straße, hat sich im Laufe der Jahre ganz an ihn gewöhnt. Mit seinen abgemagerten Fingern schält sich der Junge aus den Baumwolldecken und steht langsam auf. Sein hagerer, ausgemergelter, kleiner Körper streckt sich, und mit einem wehmütigen Seufzer rollt Tay sein Nachtlager zusammen. Der Traum ist ausgeträumt. Das schöne Schloss, in dem der Junge auf Seidenkissen schlafen konnte, existiert in Wirklichkeit nicht. Die Fantasie ist grausam, gaukelt wunderbare Bilder vor, die sich in nichts auflösen.

Tay steckt sein zerrissenes T-Shirt in den Bund seiner kurzen Hose und fährt sich durch sein struppiges, verfilztes Haar.

Dann macht er sich auf den Weg. Die Stadt erwacht zu neuem Leben. Saigon ist riesengroß. Fast vier Millionen Menschen leben hier auf engstem Raum beisammen. Saigon, auch Ho-Chi-Minh-Stadt genannt, verkörpert am meisten das Elend und die Armut von allen Städten Vietnams. Hier leben Tausende weit unter dem Existenzminimum und wissen nicht, wie sie ihre hungrigen Mägen füllen sollen.

Tausende Schicksale, die vom reißenden Fluss des Lebens an die scharfkantigen Klippen gespült worden sind, junge und alte Menschen, um die sich niemand kümmert und deren einziges Zuhause die Straße ist. Täglich werden es mehr. Viele kommen aus den ländlichen Provinzen in die Ho-Chi-Minh-Stadt, weil sie glauben, hier das große Glück zu finden. Doch niemandem wird etwas geschenkt. Arbeit, die sie ernährt, finden die wenigsten. Die meisten landen als Bettler und Diebe bei den „Street people", den Menschen, die auf der Straße leben und bei denen jegliche Hoffnung auf ein besseres Leben erkaltet ist. Sie finden sich mit ihrem Schicksal ab und vegetieren ohne Chance auf ein besseres Morgen dahin.

So wie Tay. Kaum 13 und schon am Ende. Kinderschicksal. Eines von vielen. Stumpf blicken die Augen des Jungen. Nichts gibt es in dieser Stadt, was ihn seelisch wärmen könnte. Tay weiß, dass er aus eigenem Antrieb nie aus seinem Elend herauskommt. Einem wie ihm gibt man keine Chance. Straßenkinder in Saigon sind nicht mehr wert als die lästigen Ratten, die das Kanalsystem der Riesenstadt bevölkern und immer wieder in baufälligen Stadtteilen ans Tageslicht dringen.

Das alles weiß Tay und er hat den Hass der Menschen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen, nur zu oft zu spüren bekommen. Unzählige Narben auf seinem geschundenen Körper zeugen von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Kaufleuten und Polizisten.

Tay atmet tief durch. Sein hagerer Brustkorb hebt und senkt sich. Dann marschiert er los. Seine zerschlissenen Bastschuhe schleifen über den Boden.

Der Junge verlässt die dreckigen Straßen des baufälligen Stadtviertels und nähert sich immer mehr dem Zentrum, wo der Verkehr zusehends dichter wird. Fahrräder sausen an Tay vorbei und viele Motorroller, die sich zwischen den alten, klapprigen Autos hindurchschlängeln. Immer wieder sieht man die mit bunten Tüchern bespannten Cyclos - die vietnamesische Version der chinesischen Rikschas. Busse und Lastkraftwagen röhren überlaut und verstopfen die viel zu engen Straßen.

Tay genießt ein wenig das bunte Treiben, er stößt sich nicht an dem Höllenlärm, der seine Ohren martert, und nicht am rußigen, öligen Gestank, der aus unzähligen Auspuffen dringt. Hier hat der Junge ein wenig Ablenkung, ist mitten drin im pulsierenden Leben der Riesenstadt und fühlt sich auf irgendeine Weise sogar geborgen.

Tay schlendert über die Mang-Thang-Tam-Straße, wird von hastenden, eilenden Menschen mehrfach angerempelt, stolpert immer wieder über bettelnde Menschen, die am Straßenrand sitzen und ihre knochigen Hände bittend nach oben strecken. Frauen sitzen da mit ihren Säuglingen am Arm und flehen die Vorübereilenden um ein paar Dong an. 5000 Dong am Tag müssten sie bekommen, um sich eine heiße Suppe und ein Schüsselchen voll Reis leisten zu können. 5000 Dong sind für diese Menschen ein Vermögen. Tay weiß, wie schwer es ist, diese Summe durch Betteln zu verdienen.

Der Junge schlurft weiter durch die Straßen. Die Luft wird immer wärmer, und zugleich nimmt die Feuchtigkeit in der Atmosphäre zu. Das Atmen wird immer mühsamer. Schon klebt Tay das T-Shirt am Körper fest. Wiederum bläst ihm ein vorüberfahrender Bus eine pechschwarze Rußwolke ins Gesicht, dass Tay nach Luft schnappt. Das Klingeln der vielen Fahrräder zerrt an den Nerven. Die Geräuschkulisse ist zermürbend.

Tay geht nun am prachtvollen Rathaus der Stadt vorbei, das sich hinter einem gut gepflegten Garten erhebt, und verlässt dann die breite, dicht befahrene Straße. Mit wenigen Schritten erreicht der Junge die engen, verwinkelten Gassen der Altstadt und steht wenig später am berühmten BenThank-Markt, wo ein wildes Gedränge herrscht. Tausende Vietnamesen preisen hier lautstark ihre Waren an. Dazwischen dröhnt hämmernde Beatmusik aus unzähligen, zum Teil scheppernden Lautsprechern. Radios, Fernsehgeräte und Uhren werden hier ebenso feilgeboten wie Obst, Gemüse, Fisch, duftende Gewürze und geräuchertes Fleisch.

Tay drängt sich zwischen den Leuten hindurch. Seine Augen stehen weit offen. Bei dieser Fülle von Waren erwachen viele Wünsche.

Der Junge spürt, wie sein Magen knurrt. Er hat großen Hunger. Ein Lebensmittelstand reiht sich an den anderen. Farbige Tücher bilden eine Art Dach, das vor den Strahlen der Sonne und vor dem Regen schützen soll. Frauen belagern die Obst- und Gemüsestände und verhandeln lautstark mit den Verkäufern. Die Kopfbedeckung vieler Vietnamesinnen besteht auch heute noch aus dem typischen Reisstrohhut, der wie ein flacher Kegel in der Mitte spitz zusammenläuft. Die Männer hingegen bevorzugen die amerikanischen Baseballkappen mit extragroßen Schirmen vorn und verstellbaren Bändern hinten.

Tay zwängt sich zwischen den Frauen hindurch, ergattert einen Platz in der vordersten Reihe und starrt verlangend auf die leuchtend frischen Früchte. Sein Herz beginnt plötzlich lautstark zu klopfen, sein Mund wird trocken. Wahnsinniger Hunger quält den Jungen - und hier, nur wenige Zentimeter vor seinen Händen, liegt das saftigste Obst, das man sich vorstellen kann.

Tay spürt, wie seine Hände zittern. Er ist ja schließlich noch ein Kind, kein ausgekochter Profi. Er weiß, dass er etwas tun will, was unrecht ist. Und was gefährlich ist. Denn wenn man ihn dabei ertappt ...

Tay atmet tief durch. Wie durch einen Nebelschleier sieht er die verlockenden Früchte, mit denen er seinen großen Hunger stillen will. Nervös blinzelt er nach rechts und links. Eine dicke Vietnamesin steht unmittelbar hinter ihm, drückt ihm ihren Einkaufskorb unsanft in den Rücken. Der Verkäufer hat alle Hände voll zu tun.

Schnulzige Schlagermusik dringt aus dem kleinen Transistorradio, das an einer Schnur von einem Holzbalken herunterhängt. Die Antenne ist geknickt, steht fast im rechten Winkel zur Seite weg.

Dies alles registriert Tay fast im Unterbewusstsein.

Sein Herz rast, und in seinem Magen scheint ein großer Klumpen Eis zu liegen.

Lange kann der Junge nun nicht mehr warten. Sonst fällt er auf, wird zur Rede gestellt.

Tay gibt sich einen Ruck.

Jetzt! rast der Gedanke durch sein Gehirn, und seine Hände schießen nach vorn. Blitzartig krallen sich seine Finger um die vor ihm liegenden Früchte, reißen sie an sich, und mit einem Ruck wirft sich Tay herum.

Die dicke Vietnamesin kreischt auf, verliert ihren sperrigen Einkaufskorb, der zu Boden fällt. Der Junge weicht aus, springt darüber und beginnt nun zu laufen. Tay boxt sich durch die langsam dahinschlendernden Menschenmassen und kennt nur ein Ziel: nur weg von hier! Er verlässt die belebte Einkaufsstraße, taucht nach rechts in eine kleine Gasse, in der weniger Betrieb herrscht, und wirft einen kurzen Blick zurück. Anscheinend ist ihm niemand gefolgt - denkt Tay - und für einen kurzen Moment bleibt er heftig atmend stehen. Schweißtropfen rinnen dem Jungen über die Stirn und dringen ätzend in seine Augen. Seine Knie zittern. Doch seine Beute hält er fest umklammert. Noch ist die Gefahr nicht gebannt. Tay nimmt seine letzten Kräfte zusammen und beginnt zu laufen.

Doch er kommt nicht weit.

Auf einmal taucht vor ihm wie aus dem Boden gewachsen ein Polizist auf. Olivgrüne Uniform, ein scharfkantiges Gesicht und in der rechten Hand einen Schlagstock. Tay könnte losheulen.

Die Angst überschwemmt seinen ganzen Körper, sein Herz schlägt pochend gegen seine Rippen.

Die Schrecksekunde dauert viel zu lang. Tay verspielt seine letzte Chance. Die Angst lähmt den Jungen, und dies nützt der Polizist auf seine Weise aus.

Brutal greift er nach dem T-Shirt und zerrt Tay mit einem Ruck zu sich heran. Die Finger des Jungen öffnen sich automatisch. Die Früchte fallen auf den schmutzigen Boden, rollen in den Dreck der Straße.

Tay zappelt hilflos im harten Griff des uniformierten Mannes. Ein paar Sonnenstrahlen werden vom blinkenden Abzeichen auf seiner Brust reflektiert.

Tay kneift die Augen zusammen. Sein ganzer Körper ist gespannt. Der Junge weiß, was nun kommen wird. Er ist schließlich nicht zum ersten Mal in so einer Situation. Und tatsächlich!

Der Polizist schwingt seinen Stock. Dann schlägt er zu. Tay schreit auf.

Seine Schulter brennt wie Feuer. „Hab' ich dich doch noch erwischt!", schreit der Mann triumphierend und schleudert den Jungen gefühllos gegen die Fassade eines alten Hauses. Tay spürt die Kälte der Wand in seinem Rücken, und er sieht die Kälte in den Augen des Polizisten. Jegliche Hoffnung erstirbt. Nackte Angst überfällt den Jungen.

Und schon holt der Polizist zum zweiten Schlag aus. Instinktiv taucht Tay zur Seite weg. Der Stock donnert gegen die Hauswand, dass der Verputz nur so wegfliegt. Der Beamte flucht, sein Gesicht ist verzerrt. Noch ehe Tay entwischen kann, zappelt er wieder im harten Griff des Uniformierten, der ihn mit spielerischer Leichtigkeit gegen die Fassade drückt. Mordlust glimmt in den Augen des Uniformierten auf, der hier ein wehrloses Opfer gefunden hat. Straßenkinder sind wie Ratten - und daher gehören sie erschlagen! denkt der brutale Mann, der eigentlich Recht und Gesetz vertreten sollte. Aber für Straßenkinder gelten andere Regeln. Jedenfalls in seinen Augen. Straßenkinder haben keinen Wert - überhaupt, wenn sie beim Stehlen erwischt werden. Dann gehören sie bestraft. Und zwar ganz gehörig. Das ist man der Gesellschaft schuldig. Sonst nimmt dieses Pack überhand und terrorisiert in Kürze ganz Saigon. Daher der Hass des Mannes gegenüber den hilflosen Kreaturen, daher die wilde Entschlossenheit, so brutal gegen Tay vorzugehen.

Der Beamte will wieder zuschlagen, doch plötzlich zögert er. Die erhobene Hand bleibt in der Luft stehen. Irgendetwas scheint ihn zu irritieren, von seinem Vorhaben abzulenken. Ruckartig wendet er den Kopf nach hinten.

Jetzt hört er es wieder ganz deutlich. Die Melodie ist ihm vertraut. Sie klingt schrill, zerrt an den Nerven. Schwere Stiefel trampeln über den harten Boden. Und schon sind sie da ...

Der Polizist lässt die Hand mit dem Schlagstock sinken, wischt sich übers schweißnasse Gesicht und starrt der Gruppe von Jugendlichen entgegen, die lautstark die Straße heraufmarschiert.

Tay verfolgt mit flackernden Augen das Geschehen. Die unmittelbare Gefahr scheint fürs Erste gebannt zu sein. Der Junge schnappt nach Luft, löst sich von der kalten Hauswand, spürt die Schwäche, die seinen ausgemergelten Körper lähmt. Seine Knie werden weich wie Pudding, und sein Magen möchte am liebsten rebellieren. Die schrille Melodie hallt in seinen Ohren, die schweren Stiefeltritte kommen immer näher.

Der Polizist steckt den Schlagstock weg, starrt mit gefurchter Stirn auf die Näherkommenden und rückt seine Kappe zurecht.

Die Gruppe bleibt stehen. Das Hämmern der Stiefel verklingt. Nur die Melodie wird weitergespielt. Der Anführer hält mit beiden Händen ein Dan Mai vor dem Mund, entlockt dieser speziellen Maultrommel aus Bambus weiterhin disharmonische Töne und beobachtet den Beamten unter gesenkten Augenlidern hindurch. Seine Freunde verharren schweigend. In ihren verschlossen wirkenden Gesichtern ist keine Gemütsregung zu erkennen. Obwohl die jungen Männer bestimmt erst 16 oder 17 sind, wirken sie wesentlich älter und wesentlich härter. Das raue Leben auf der Straße hat sie geprägt. Bekleidet sind sie mit ausrangierten, zerrissenen Army-Jacken, dreckigen T-Shirts und geflickten Hosen. Eine Welle von Gewalt geht von diesen Jugendlichen aus, obwohl sie keine Waffen in den Händen halten.

Die Melodie hört abrupt auf. Der Anführer lässt die Hand mit dem Dan Mai sinken. Dann verliert er seinen schläfrigen Blick, schaut den Polizisten mit offenen Augen an und tritt wie zum Angriff einen Schritt nach vorn.

„Lass den Jungen in Ruhe!", befiehlt er mit hartem Unterton und macht eine energische Handbewegung.

Der Beamte will aufbegehren, stemmt seine Fäuste wie zum Widerstand in seine Hüften. „Das ist wohl einzig und allein meine Sache."

„So? Meinst du?" Die Stimme des Anführers klingt gefährlich leise.

Der Polizist fühlt sich mit einem Mal denkbar unwohl in seiner Haut, als er in die entschlossenen Gesichter der Umstehenden blickt. Wieder schwappt eine unsichtbare Welle von Gewaltbereitschaft von diesen Jugendlichen herüber, und der Beamte weiß, dass er es keineswegs auf eine Auseinandersetzung darauf ankommen lassen kann. Er würde mit Sicherheit den Kürzeren ziehen. So viel ist klar. Mit der Bande von Dinh legt sich niemand an, der nur einigermaßen bei Verstand ist. Dinh ist in der ganzen Stadt bekannt als brutaler Anführer einer Straßengang, die vor nichts haltmacht.

„Ich glaube, einer von uns beiden wird hier nicht mehr gebraucht“, sagt Dinh mit seiner leisen Stimme, und so etwas wie ein verzerrtes Lächeln erscheint für Sekunden auf seinem Gesicht, das auf der rechten Wange eine schlecht verheilte Narbe aufweist. „Die Sache hier ist erledigt! Um den Jungen kümmern wir uns jetzt!"

Wieder tritt Dinh einen Schritt nach vorn, steht jetzt unmittelbar vor dem Polizisten, dessen Nervosität von Sekunde zu Sekunde zunimmt.

Tay beobachtet unterdessen das Geschehen mit offenem Mund. Weit sind seine Augen aufgerissen.

Der Beamte weiß, dass ihm jetzt wirklich nicht mehr viel Zeit bleibt, um einigermaßen ungeschoren aus der Sache auszusteigen. Jeglicher Widerstand wäre sinnlos, würde nur nackte Gewalt hervorrufen. Kraftlos sinken seine Arme nach unten, seine straffe Haltung sackt in sich zusammen. Zögernd macht er einen Schritt rückwärts. Er hat aufgegeben. Das sieht man jetzt ganz deutlich.

Dinh genießt seine Überlegenheit und beginnt zu grinsen: „Dann sieh zu, dass du von hier fortkommst! Sicher wirst du woanders wesentlich dringender gebraucht!"

„Ist schon gut!", beeilt sich der demoralisierte Polizist zu sagen, greift sich mit einer linkisch anmutenden Bewegung an seine Uniformkappe und macht die ersten Schritte rückwärts, bevor er sich umdreht und rasch das Weite sucht.

Die Bande beginnt zu lachen, triumphierend, höhnisch. Tay steht zögernd da und blickt den Anführer fragend an. Dinh geht auf den Jungen zu und donnert ihm seine Rechte mit voller Wucht auf den Rücken, dass Tay in die Knie geht.

„Da hast du aber mächtig viel Glück gehabt, würde ich sagen. Wenn wir nicht zufällig vorbeigekommen wären ..."

„Ja, das stimmt!”, murmelt Tay ziemlich kleinlaut. „Ich bin euch wirklich dankbar ..."

„Ach, was!", wischt der Anführer den Satz zur Seite, da er keine Gefühle aufkommen lassen will. „Leute wie wir müssen zusammenhalten. Sonst gehen sie unter und werden zertreten. Wenn du willst, kannst du bei uns mitmachen! Dann wird dir so eine Situation mit Sicherheit nicht mehr passieren. Gegen uns kommt keiner an! Wir sind die Größten!", prahlt der Anführer und wirft sich stolz in Positur, dass die schäbige Army-Jacke weit auseinanderklafft und den Blick auf ein blutverkrustetes T-Shirt freigibt. „Bei uns wird es dir nicht schlecht gehen. Das Betteln auf den Straßen ist ein für alle Mal vorbei. Wir holen uns einfach, was wir brauchen, und wir bekommen immer, was wir wollen. Stimmt's, Jungs?", wendet sich Dinh an seine Freunde, und diese stimmen johlend zu, heben die Fäuste und bekunden auf diese Weise ihr Zusammengehörigkeitsgefühl.

„Sag uns doch deinen Namen!", verlangt der Anführer, und der Junge gibt kleinlaut Antwort.

„Ab heute gehörst du also zu uns, Tay!", verkündet Dinh und verabreicht dem Jungen einen neuerlichen Schlag auf den Rücken, um damit die Aufnahme in seine Bande zu besiegeln.

„Ich erwarte von dir, dass du aufs Wort gehorchst! Ist das klar? Aufmucken gibt es bei uns nicht. Was ich anordne, wird gemacht. Widerspruchslos! Hast du mich verstanden?"

Tay nickt, zerrt nervös an seinem T-Shirt. „Ich - ich werde mir Mühe geben ..."

„Das glaube ich dir!", lacht Dinh und fährt dem Jungen durch die schmutzigen, verfilzten Haare. Jetzt erst sieht Tay, dass dem Anführer der kleine Finger fehlt. Die Wunde ist noch nicht alt und schaut dementsprechend furchtbar aus. Erschrocken zuckt er zusammen, doch Dinh lacht laut und polternd, zieht den Jungen mit einem Ruck zu sich heran und beugt sich zu ihm hinunter: „Du stehst in unserer Schuld, Tay! Das darfst du niemals in deinem Leben vergessen - nie! Hast du mich verstanden?"

Tay zögert, sucht nach den passenden Worten. Ungeduldig drückt Dinh den Jungen zu sich heran und zischt: „Deine Schüchternheit musst du als Erstes ablegen, Kleiner! Wir können nur ganze Männer gebrauchen, Männer, die ihren Mund aufmachen, wenn es etwas zu sagen gibt. Also, was ist jetzt? Kriege ich von dir eine vernünftige Antwort oder nicht?"

Tay räuspert sich, seine hagere Gestalt streckt sich, und mit fester Stimme sagt der Junge: „Ich werde nie vergessen, dass du mir das Leben gerettet hast, Dinh! Das schwöre ich dir!"

„Bravo!", ruft der Anführer und gibt den Jungen frei. „Genau das wollte ich hören, Tay! Du gehörst zu uns, mit Haut und Haaren.“

Die übrigen Bandenmitglieder johlen zustimmend. Dinh gibt den Befehl zum Rückzug. Stiefel poltern über den Asphalt. Die Gruppe setzt sich in Bewegung. Tay läuft nebenher - einem ungewissen Schicksal entgegen.

Staub des Lebens

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