Читать книгу Der Kirschgarten. Eine Komödie in vier Akten - Anton Tschechow - Страница 6
[7]Erster Akt
ОглавлениеDas Zimmer, das noch immer »Kinderzimmer« genannt wird. Eine der Türen führt in Anjas Zimmer. Morgendämmerung. Bald wird die Sonne aufgehen. Es ist schon Mai. Die Kirschbäume blühen, doch im Garten ist es noch kalt. In der Nacht hat es gefroren. Die Fensterläden sind geschlossen. Dunjascha und Lopachin treten ein, Dunjascha mit einer Kerze, Lopachin mit einem Buch in der Hand.
LOPACHIN. Der Zug ist angekommen, Gott sei Dank! Wie spät ist es?
DUNJASCHA. Gleich zwei. (Löscht die Kerze.) Es wird schon hell.
LOPACHIN. Wie viel Verspätung hat der Zug wohl gehabt? Mindestens doch ein, zwei Stunden. (Gähnt und reckt sich.) Was mache ich für Dummheiten: Komme extra her, um sie an der Station abzuholen, und nun verschlafe ich mich … Im Sitzen bin ich eingeschlafen … So ein Ärger … Wenn du mich doch geweckt hättest!
DUNJASCHA. Ich dachte, Sie wären weggefahren. (Horcht.) Da, anscheinend kommen sie schon.
LOPACHIN (horcht). Nein … Erst muss das Gepäck noch abgeholt werden und dies und das …
(Pause.)
Ljubow Andrejewna hat fünf Jahre im Ausland gelebt. Ich weiß nicht, wie sie jetzt ist … sie war ein guter Mensch, natürlich und einfach. Ich erinnere mich: Als ich ein Junge war, so fünfzehn Jahre alt, da hat mein verstorbener Vater, der damals im Dorf einen Kramladen hatte, mich einmal mit der Faust ins Gesicht geschlagen, [8]so, dass das Blut aus der Nase rann … Wir waren aus irgendeinem Grund auf den Gutshof gekommen, und er war angetrunken. Ljubow Andrejewna, ich sehe sie vor mir, war noch jung, und so schlank, sie führte mich zum Waschbecken, das war hier in diesem Zimmer, dem Kinderzimmer. »Weine nicht«, sagte sie, »du kleiner Bauer, bis zur Hochzeit ist alles wieder heil!«
(Pause.)
»Kleiner Bauer!« … Mein Vater war wirklich ein Bauer, ich stehe nun aber mit weißer Weste da, in gelben Halbschuhen. Mit dem Schweinerüssel im Kuchenladen. Nur, dass ich reich geworden bin und viel Geld habe, aber wenn man’s sich überlegt, bleibt ein Bauer eben ein Bauer. (Blättert in dem Buch.) Das Buch da habe ich gelesen, und verstanden habe ich nichts. Ich bin beim Lesen eingeschlafen.
(Pause.)
DUNJASCHA. Und die Hunde haben die ganze Nacht nicht geschlafen. Sie wittern, dass die Herrschaft kommt.
LOPACHIN. Was hast du bloß, Dunjascha …?
DUNJASCHA. Mir zittern die Hände. Gleich falle ich in Ohnmacht!
LOPACHIN. Ganz schön empfindlich bist du, Dunjascha! Und ziehst dich an, wie eine junge Dame, und dann die Frisur. So geht’s doch nicht. Man darf nicht vergessen, wer man ist.
(Jepichodow tritt ein, mit einem Blumenstrauß. Er trägt ein Jackett und blankgeputzte Stiefel, die bei jedem Schritt laut knarren. Beim Eintreten fällt ihm das Bukett hin.)
JEPICHODOW (hebt den Strauß auf). Das da schickt der Gärtner. Ins Speisezimmer stellen, sagt er. (Gibt Dunjascha den Strauß.)
[9]LOPACHIN. Und mir bring Kwass mit!
DUNJASCHA. Jawohl, mein Herr! (Ab.)
JEPICHODOW. Nachtfrost hat es heute gegeben, drei Grad Kälte, dabei stehen die Kirschen in Blüte. Ich kann unser Klima nicht billigen! (Seufzt.) Ich kann’s einfach nicht. Unser Klima kann im gegebenen Falle nicht günstig sein. Sehen Sie, Jermolaj Alexéitsch, gestatten Sie mir, Ihnen darzulegen, dass ich mir vorgestern neue Stiefel gekauft habe, jedoch, gestatten Sie mir, Ihnen zu versichern, sie knarren derart, dass es nicht auszuhalten ist. Womit könnte ich sie wohl schmieren?
LOPACHIN. Hör auf! Du gehst mir auf die Nerven!
JEPICHODOW. Jeden Tag stößt mir irgendein Unglück zu. Aber ich beklage mich nicht, ich habe mich daran gewöhnt und kann sogar darüber lächeln.
(Dunjascha tritt ein, sie bringt den Kwass für Lopachin.)
JEPICHODOW. Nun möchte ich gehen. (Stößt an einen Stuhl. Der Stuhl fällt um.) Da! … (Wie im Triumph.) Da sehen Sie, was für eine Situation, entschuldigen Sie den Ausdruck, zu allem übrigen … Das ist doch einfach … geradezu bemerkenswert! (Geht ab.)
DUNJASCHA. Und mir, das muss ich Ihnen sagen, mir hat Jepichodow einen Heiratsantrag gemacht!
LOPACHIN. Und …
DUNJASCHA. Ich weiß nicht so recht … ein ruhiger Mensch ist er, aber dann, wenn er manchmal so anfängt daherzureden, dann versteht man kein Wort. Das klingt schön und gefühlvoll, ist nur unverständlich. Eigentlich finde ich ihn ganz nett. Er liebt mich wahnsinnig. Ein Pechvogel ist er, jeden Tag passiert ihm irgendein Unglück. Wir ziehen ihn damit auf: Ein Pech nach dem anderen …
[10]LOPACHIN (horcht). Da, ich glaube, sie kommen …
DUNJASCHA. Sie kommen! Was ist mit mir? … Mir wird ganz kalt.
LOPACHIN. Wahrhaftig, sie kommen. Gehen wir ihnen entgegen! Wird sie mich wiedererkennen? Fünf Jahre haben wir uns nicht gesehen!
DUNJASCHA (aufgeregt). Gleich falle ich in Ohnmacht … Ich falle gleich!
(Man hört, wie zwei Equipagen vor dem Haus vorfahren. Lopachin und Dunjascha gehen schnell hinaus. Die Bühne bleibt leer. Aus den Nachbarzimmern hört man Lärm. Auf einen Stock gestützt geht Firs eilig über die Bühne. Er war Ljubow Andrejewna Ranewskaja zur Bahnstation entgegengefahren. Er trägt eine altmodische Livree und einen Zylinder. Er murmelt vor sich hin, aber man versteht kein Wort. Der Lärm hinter der Bühne nimmt zu. Eine Stimme: »Gehen wir hier durch! …« Ljubow Andrejewna Ranewskaja, Anja und Scharlotta Iwanowna mit einem Hündchen an der Leine, alle in Reisekleidern. Warja, im Mantel und mit einem Kopftuch, Gajew, Simeonow-Pischtschik, Lopachin, Dunjascha, die ein Bündel trägt und einen Sonnenschirm, die Dienstboten mit Gepäckstücken – alle gehen über die Bühne.)
ANJA. Gehen wir doch hier durch! Weißt du noch, Mamá, was dies für ein Zimmer ist?
LJUBOW ANDREJEWNA (freudig, unter Tränen). Das Kinderzimmer!
WARJA. Wie kalt es ist, meine Hand ist ganz steif geworden. (Zu Ljubow Andrejewna.) Ihre Zimmer, Mamáchen, das weiße und das lila Zimmer, sind ganz so geblieben, wie sie immer waren.
[11]LJUBOW ANDREJEWNA. Das Kinderzimmer, mein liebes, schönes Kinderzimmer … Als ich klein war, habe ich hier geschlafen … (weint) und nun bin ich wieder wie ein kleines Kind … (Küsst ihren Bruder, dann Warja, dann wieder ihren Bruder.) Auch Warja hat sich nicht verändert, sie sieht wie ein Nönnchen aus … und Dunjascha habe ich auch wiedererkannt … (Küsst Dunjascha.)
GAJEW. Der Zug hatte zwei Stunden Verspätung. Warum wohl? Was für Zustände!
SCHARLOTTA (zu Pischtschik). Mein Hund frisst nun auch Nüsse!
PISCHTSCHICK (verwundert). Stellen Sie sich vor!
(Alle ab, außer Anja und Dunjascha.)
DUNJASCHA. Wir haben so sehr gewartet … (Nimmt Anja den Mantel und den Hut ab.)
ANJA. Unterwegs habe ich vier Nächte nicht geschlafen … Jetzt bin ich ganz durchfroren.
DUNJASCHA. Sie sind zur Fastenzeit abgereist, als es schneite und fror. Aber jetzt? Meine Liebe! (Lacht und küsst sie.) So lange haben wir Sie erwartet, meine Freude, mein Lichtchen … Jetzt muss ich Ihnen etwas sagen, ich kann es keine Minute länger aushalten …
ANJA (müde). Schon wieder etwas …
DUNJASCHA. Der Kontorist Jepichodow hat mir nach Ostern einen Heiratsantrag gemacht.
ANJA. Immer dasselbe mit dir … (Bringt ihre Frisur in Ordnung.) Ich habe meine Haarnadeln verloren … (Sie ist so erschöpft, dass sie sich kaum aufrecht halten kann.)
DUNJASCHA. Ich weiß noch gar nicht, was ich tun soll. Er liebt mich, so sehr liebt er mich!
ANJA (schaut durch die Tür in ihr Zimmer, zärtlich). Mein [12]Zimmer, mein Fenster, als ob ich nie fortgewesen wäre. Zu Hause bin ich! Morgen früh werde ich aufstehen und gleich in den Garten laufen … Ach, wenn ich doch jetzt einschlafen könnte! Während der ganzen Reise hierher habe ich nicht schlafen können vor lauter Unruhe.
DUNJASCHA. Vorgestern ist auch Herr Pjotr Sergéjitsch gekommen.
ANJA (freudig). Petja!
DUNJASCHA. Der Herr schlafen im Badehaus und wohnen da auch. Ich fürchte, sagten der Herr, zu stören. (Wirft einen Blick auf ihre Taschenuhr.) Man müsste den Herrn wecken, aber Wárwara Michájlowna hat es verboten. Du, sagte sie, weck ihn nicht!
(Warja tritt ein. Sie trägt einen Schlüsselbund am Gürtel.)
WARJA. Dunjascha! Rasch den Kaffee … Mamachen möchte Kaffee …
DUNJASCHA. Sofort! (Geht ab.)
WARJA. Nun, Gott sei Dank, ihr seid wieder da! Du bist wieder zu Hause! (Sie streichelnd.) Mein Seelchen ist wieder da! Meine Schöne ist wiedergekommen!
ANJA. Ich habe so viel ausgestanden …
WARJA. Das kann ich mir vorstellen.
ANJA. Abgereist bin ich in der Karwoche, da war es kalt. Scharlotta redete unterwegs immerzu und machte ihre Kunststücke. Ach, warum hast du mir diese Scharlotta aufgeladen? …
WARJA. Ich konnte dich doch nicht allein reisen lassen, mein Seelchen! Mit siebzehn Jahren!
ANJA. Wir kommen also nach Paris. Da ist es kalt, Schnee. Und ich spreche entsetzlich schlecht französisch. Mama wohnt im fünften Stock. Ich komme zu ihr, da sind bei [13]ihr irgendwelche Franzosen, Damen, ein alter Pater mit seinem Büchlein. Und alles ist ungemütlich, voll Tabaksqualm. Mir tat die arme Mama leid, wirklich sehr leid. Ich umarmte sie, drückte sie an mich und konnte sie einfach nicht mehr loslassen. Und Mama hat mich dann auch gestreichelt und hat geweint …
WARJA (unter Tränen). Nicht weiter! Sprich nicht weiter …
ANJA. Ihr Landhaus bei Mentone hatte sie schon verkauft. Nichts hatte sie behalten, gar nichts. Und auch mir war keine Kopeke geblieben, kaum dass wir Geld für die Rückreise hatten. Und Mama begreift es nicht! Wir setzen uns zum Beispiel ins Bahnhofsrestaurant, und sie bestellt das teuerste Menü und gibt dem Ober noch einen ganzen Rubel Trinkgeld! Und Scharlotta bestellt auch. Und Jascha verlangt für sich auch eine Portion, einfach schrecklich. Mama hat nämlich diesen Jascha als Kammerdiener. Er ist mit uns gereist …
WARJA. Ich habe den Burschen schon gesehen.
ANJA. Na, und wie steht’s hier? Habt ihr die Zinsen bezahlt?
WARJA. Wie können wir das denn!?
ANJA. Mein Gott, mein Gott!
WARJA. Im August soll das Gut verkauft werden …
ANJA. Mein Gott …
LOPACHIN (blickt zur Tür hinein und meckert wie eine Ziege). Määäh … (Zieht sich wieder zurück.)
WARJA (unter Tränen). Dem möchte ich’s doch mal zeigen … (Droht mit der Faust zu ihm hin.)
ANJA (umarmt Warja, leise). Warja, hat er dir einen Antrag gemacht? (Warja schüttelt verneinend den Kopf.) Aber er [14]liebt dich doch … Warum erklärt ihr euch nicht? Worauf wartet ihr?
WARJA. Ich denke manchmal, uns glückt nichts. Er hat so viel andere Dinge, an mich denkt er nicht … er beachtet mich gar nicht. Soll er meinetwegen, aber mir wird es schwer, ihn vor Augen zu haben … Alle reden von unserer Hochzeit, alle gratulieren schon, aber in Wirklichkeit geschieht nichts. Das ist wie ein Traum … (Verändert den Ton.) Ein nettes Bröschchen hast du da, wie eine kleine Biene.
ANJA (traurig). Die hat Mama gekauft. (Während Anja in ihr Zimmer geht, sagt sie munter, kindlich.) Und in Paris bin ich mit einem Ballon geflogen!
WARJA. Mein Seelchen ist wieder da, meine Schöne ist wiedergekommen!
(Dunjascha ist inzwischen mit der Kaffeemaschine gekommen und macht Kaffee.)
WARJA (an der Tür). Ich laufe den ganzen Tag in der Wirtschaft herum, mein Seelchen, und träume dabei. Du müsstest einen reichen Mann heiraten, dann würde ich ganz beruhigt sein, ich würde zum Kloster pilgern, dann nach Kiew … dann nach Moskau, und würde so immer weiter wandern, von einer heiligen Stätte zur andern … zöge von Ort zu Ort. Das wäre eine Seligkeit! …
ANJA. Die Vögel singen schon im Garten. Wie viel Uhr ist es wohl?
WARJA. Gleich drei, Zeit zum Schlafen für dich, mein Seelchen! (Geht zu Anja ins Zimmer hinein.) Eine Seligkeit! (Jascha tritt ein, mit einem Plaid und einer Reisetasche.)
JASCHA (geht quer über die Bühne, affektiert). Gestatten die Herrschaften hier durchzugehen?
[15]DUNJASCHA. Man erkennt Sie gar nicht wieder, Jascha! Was für ein Mensch sind Sie bloß im Ausland geworden? …
JASCHA. Hm … Und wer sind Sie?
DUNJASCHA. Als Sie von hier abgereist sind, war ich schon so groß … (Zeigt die Höhe vom Fußboden aus.) Ich bin Dunjascha, die Tochter von Fjodor Kosojédow. Sie kommen nicht darauf?
JASCHA. Hm … Du kleine Gurke! (Schaut sich um und umarmt sie. Sie schreit auf und lässt eine Untertasse fallen. Jascha geht schnell ab.)
WARJA (in der Tür zu ihrem Zimmer, ärgerlich). Was ist hier schon wieder los?
DUNJASCHA (unter Tränen). Eine Untertasse ist zerbrochen.
WARJA. Scherben bringen Glück.
ANJA (kommt aus ihrem Zimmer). Man müsste Mama Bescheid sagen: Petja ist hier …
WARJA. Ich hatte angeordnet, ihn nicht zu wecken.
ANJA (nachdenklich). Vor sechs Jahren ist Vater gestorben und einen Monat später ist mein Bruder Grischa im Fluss ertrunken, so ein hübscher Junge, sieben Jahre war er alt. Das hat Mama nicht ertragen, sie ist fortgefahren, fort, ohne sich umzuschauen … (Zittert.) Wie gut ich sie verstehe. Wenn sie das nur wüsste!
(Pause.)
Und Petja Trofimow war Grischas Lehrer. Durch ihn kann sie an alles erinnert werden …
(Firs tritt ein, er trägt ein Jackett mit weißer Weste.)
FIRS (an der Kaffeemaschine, besorgt). Die gnädige Frau werden hier speisen … (Zieht weiße Handschuhe über.) [16]Ist der Kaffee fertig? (Streng, zu Dunjascha gewandt.) Du! Und die Sahne?
DUNJASCHA. Ach, du lieber Gott … (Geht rasch hinaus.)
FIRS (macht sich an der Kaffeemaschine zu schaffen). Ach du dummes Ding … (Brabbelt vor sich hin.) Aus Paris sind sie gekommen. Der gnädige Herr ist auch mal nach Paris gereist … mit den Pferden … (Lacht.)
WARJA. Firs, wovon redest du?
FIRS. Wie belieben? (Freudig.) Meine gnädige Frau ist zurückgekommen! Ich habe es noch erlebt! Nun kann ich in Ruhe sterben … (Weint vor Freude.)
(Ljubow Andrejewna, Gajew und Simeonow-Pischtschik treten ein: Simeonow-Pischtschik in einem ärmellosen Halbkaftan und Hosen, die in den Stiefeln stecken. Gajew macht beim Eintreten mit den Armen und dem Oberkörper Bewegungen, als spiele er Billard.)
LJUBOW ANDREJEWNA. Wie war das noch? Lass mich mal überlegen … Den gelben Ball in die Ecke! Die Doublette in die Mitte!
GAJEW. Einen in die Ecke geschnitten! Früher mal haben wir beide, Schwester, gemeinsam in diesem Zimmer geschlafen, und jetzt bin ich schon einundfünfzig, wie seltsam das ist …
LOPACHIN. Ja, die Zeit vergeht.
GAJEW. Wen?
LOPACHIN. Die Zeit, sage ich, sie vergeht.
GAJEW. Und hier riecht es nach Parfum, nach Patschuli.
ANJA. Ich gehe schlafen. Gute Nacht, Mama! (Küsst ihre Mutter.)
LJUBOW ANDREJEWNA. Mein liebstes Kind (küsst Anjas Hand), du bist froh, wieder zu Hause zu sein, nicht [17]wahr? Ich kann noch gar nicht wieder so recht zu mir selber kommen.
ANJA. Gute Nacht, Onkel!
GAJEW (küsst Anjas Wangen und Hände). Gott mit dir! Wie du deiner Mutter gleichst! (Zu seiner Schwester.) Du, Ljuba, sahst in ihrem Alter genauso aus.
(Anja reicht Lopachin und Pischtschik die Hand, geht hinaus und schließt die Tür hinter sich.)
LJUBOW ANDREJEWNA. Sie ist ganz erschöpft.
PISCHTSCHIK. Das war wohl auch eine lange Reise.
WARJA (zu Lopachin und Pischtschik). Nun, meine Herren? Es ist drei Uhr, wollen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen?
LJUBOW ANDREJEWNA (lacht). Du bist immer noch dieselbe, Warja. (Zieht sie an sich und küsst sie.) Ich trinke nur noch meinen Kaffee, dann gehen wir alle. (Firs schiebt ihr ein Fußbänkchen unter die Füße.) Danke, mein Guter! Kaffee muss ich haben. Ich trinke ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit. Danke schön, mein Alterchen! (Küsst Firs.)
WARJA. Ich will mal nachschauen, ob sie alle Sachen gebracht haben … (Geht hinaus.)
LJUBOW ANDREJEWNA. Sitze ich hier wirklich? (Lacht.) Springen möchte ich, die Arme weit ausbreiten! (Bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.) Und plötzlich schlafe ich ein! Gott weiß, ich liebe die Heimat, ich liebe sie zärtlich. Ich konnte während der Fahrt nicht aus dem Fenster sehen, immerzu musste ich weinen. (Unter Tränen.) Nun muss ich aber meinen Kaffee trinken. Ich danke dir, Firs, danke schön, mein Alterchen. Ich bin so froh, dass du noch lebst!
[18]FIRS. Vorgestern.
GAJEW. Er hört schlecht.
LOPACHIN. Gleich, um fünf Uhr früh, muss ich nach Charkow fahren. So ein Ärger! Ich wollte Sie wiedersehen, mit Ihnen sprechen … Sie sind immer eine so wunderbare Frau!
PISCHTSCHIK (atmet schwer). Sogar noch schöner geworden … elegant wie eine Pariserin … das wirft einen gradezu um!
LOPACHIN. Ihr Herr Bruder, Leonid Andréitsch hier, pflegt von mir zu sagen, ich wäre ein ungebildeter Bauer, ein Kulak. Mir ist das aber völlig gleichgültig. Soll er doch reden! Ich möchte bloß, dass Sie mir vertrauten, wie früher, dass Ihre wunderbaren Augen mich mit demselben rührenden Blick anschauten wie früher. Barmherziger Gott! Mein Vater war noch Leibeigener Ihres Großvaters und Vaters. Sie aber, gerade Sie, haben für mich damals so viel getan, dass ich all das vergessen habe und Sie lieb habe wie eine Verwandte … Sie sind für mich sogar mehr als eine Verwandte.
LJUBOW ANDREJEWNA. Ich kann nicht stillsitzen, nein, ich bin dazu nicht imstande … (Springt auf und geht sehr aufgeregt umher.) Diese Freude ertrage ich nicht … Lacht mich aus, ich bin so töricht … mein lieber Schrank … (Küsst den Schrank.) Mein lieber Tisch …
GAJEW. Aber, als du fort warst, ist hier die alte Kinderfrau gestorben.
LJUBOW ANDREJEWNA (setzt sich und trinkt Kaffee). Ja, Gott im Himmel, man hat es mir geschrieben.
GAJEW. Und Anastássij ist gestorben, und Petrúschka, der so schielte, ist nicht mehr bei mir. Der lebt in der Stadt [19]beim Polizeimeister. (Nimmt aus der Tasche eine Schachtel mit Bonbons, lutscht ein Bonbon.)
PISCHTSCHIK. Mein Töchterchen, Dáschenka, lässt Sie grüßen …
LOPACHIN. Ich möchte Ihnen so gern etwas recht Angenehmes sagen, etwas Aufheiterndes … (Sieht auf seine Uhr.) Jetzt muss ich aber abfahren, ich habe keine Zeit mehr, mich mit Ihnen zu unterhalten … also in zwei, drei Worten: Sie wissen ja schon, Ihr Kirschgarten wird wegen Ihrer Schulden versteigert. Am 22. August ist der Termin. Aber machen Sie sich keine Sorgen, meine Teure, schlafen Sie ruhig, es gibt einen Ausweg … Mein Projekt ist folgendes. Bitte hören Sie zu! Ihr Gut liegt nur zwanzig Werst von der Stadt entfernt. Die Eisenbahn geht daran vorbei, und wenn der Kirschgarten und das Land am Fluss in Baugrundstücke parzelliert wird, um Datschen darauf zu bauen, und wenn man dann diese Sommerhäuser verpachtet, dann haben Sie mindestens Einnahmen von fünfundzwanzigtausend Rubeln jährlich.
GAJEW. Verzeihen Sie: Was für ein Unsinn!
LJUBOW ANDREJEWNA. Ich begreife Sie überhaupt nicht, Jermolaj Alexejitsch!
LOPACHIN. Sie werden von den Leuten in den Sommerhäusern wenigstens fünfundzwanzig Rubel jährlich pro Desjatine kassieren, und wenn Sie das Projekt jetzt schon bekanntgeben, dann garantiere ich Ihnen mit allem, was Sie wollen, dann werden Sie bis zum Herbst kein freies Fleckchen mehr haben. Die Leute werden alles pachten. Mit einem Wort: Ich gratuliere! Sie sind gerettet! Die Lage der Grundstücke ist wunderbar, der [20]Fluss ist tief. Nur … man muss natürlich Ordnung schaffen, saubermachen … zum Beispiel, sagen wir mal, alle alten Gebäude abreißen, dies Haus hier, das sowieso zu nichts mehr taugt, den alten Kirschgarten abholzen …
LJUBOW ANDREJEWNA. Abholzen? Mein Lieber, entschuldigen Sie, davon verstehen Sie nichts. Wenn es in diesem Gouvernement etwas Interessantes gibt, sogar etwas sehr Sehenswertes, so ist das doch nur unser Kirschgarten.
LOPACHIN. Sehenswert ist dieser Kirschgarten nur insofern, als er sehr groß ist. Einmal in zwei Jahren bringt er eine Kirschenernte, und auch dann weiß man nicht, wohin damit, niemand kauft sie.
GAJEW. Sogar im »Enzyklopädischen Wörterbuch« wird dieser Park erwähnt.
LOPACHIN (auf die Uhr schauend). Wenn wir keinen Ausweg finden und zu keinem Entschluss kommen, dann wird am 22. August der Kirschgarten mitsamt dem ganzen Gut zwangsversteigert. Also, entschließen Sie sich! Es gibt keinen anderen Ausweg, das schwöre ich Ihnen. Absolut keinen!
FIRS. In früheren Zeiten, so vor vierzig oder fünfzig Jahren, da hat man die Kirschen getrocknet, eingemacht, mariniert, Marmelade daraus gekocht, und dann ist es schon vorgekommen, dass …
GAJEW. Halt den Mund, Firs!
FIRS. Und dann ist es schon vorgekommen, dass die gedörrten Kirschen mit den Wagen bis nach Moskau und nach Charkow gebracht wurden. Das gab Geld! Und damals waren die getrockneten Kirschen so weich und [21]saftig, so süß und aromatisch … Damals kannte man das Rezept.
LJUBOW ANDREJEWNA. Und wo ist dies Rezept geblieben?
FIRS. Man hat es vergessen. Niemand kennt es mehr.
PISCHTSCHIK (zu Ljubow Andrejewna). Und in Paris? Was? Wie? Haben Sie da mal Frösche gegessen?
LJUBOW ANDREJEWNA. Krokodile habe ich gegessen.
PISCHTSCHIK. Stellen Sie sich vor!
LOPACHIN. Bisher gab es auf dem Lande nur Gutsherren und Bauern, aber jetzt sind noch die Sommerfrischler hinzugekommen. Alle Städte, sogar die allerkleinsten, umgeben sich mit Sommerhäusern. Ja, man kann sagen, dass der Sommerfrischler sich nach zwanzig Jahren ganz ungewöhnlich vermehrt haben wird. Heute trinkt er nur seinen Tee auf der Terrasse, es kann aber noch so weit kommen, dass er sich auf seiner Parzelle mit Landwirtschaft beschäftigt, und dann wird Ihr Kirschgarten glücklich, reich und üppig werden …
GAJEW (empört). Was für ein Quatsch!
(Warja und Jascha kommen.)
WARJA. Da sind zwei Telegramme für Sie, Mama. (Nimmt den Schlüssel vom Bund und öffnet die knarrenden Türen eines alten Schranks.) Hier sind sie.
LJUBOW ANDREJEWNA. Die sind aus Paris. (Zerreißt die Telegramme, ohne sie durchzulesen.) Mit Paris ist alles aus …
GAJEW. Und weißt du auch, Ljuba, wie alt dieser Schrank ist? Vor einer Woche zog ich mal die untere Schublade heraus, gucke nach dem Datum, aber die Ziffern waren nicht mehr zu lesen. Vor genau hundert Jahren ist dieser [22]Schrank gemacht worden. Was? Wie? Man könnte ein Jubiläum feiern. Ein unbeseelter Gegenstand, und doch, immerhin ist es ein Bücherschrank.
PISCHTSCHIK (erstaunt). Hundert Jahre … Stellen Sie sich vor!
GAJEW. Ja … ein unbeseelter Gegenstand … (Den Schrank betastend.) Mein lieber, sehr verehrter Schrank! Ich begrüße deine Existenz, die nun schon mehr als hundert Jahre lang den lichten Idealen des Guten und der Gerechtigkeit geweiht ist. Dein schweigender Aufruf zu fruchtbringender Arbeit hat im Laufe der einhundert Jahre seine Kraft nicht verloren. (Unter Tränen.) In Generationen unserer Gattung hat er den Mut besessen, den Glauben an eine bessere Zukunft aufrechtzuerhalten, und uns zu den Idealen des Guten und des sozialen Selbstbewusstseins erzogen.
(Pause.)
LOPACHIN. Ja …
LJUBOW ANDREJEWNA. Du bist immer noch wie früher, Ljonja, du bleibst dir immer gleich.
GAJEW (ein wenig verwirrt). Vom Ball weg rechts in die Ecke. Ich schneide die Mittellinie.
LOPACHIN (sieht noch einmal auf die Uhr). Nun wird’s aber Zeit für mich.
JASCHA (reicht Ljubow Andrejewna ihre Medizin). Vielleicht wollen Sie Ihre Pillen nehmen …
PISCHTSCHIK. Sie sollten keine Medikamente nehmen, meine Beste … die schaden nicht, nutzen aber auch nicht … geben Sie mal her … (Nimmt die Pillen, schüttet sie auf die Handfläche, bläst auf sie, schiebt sie sich in den Mund und trinkt Kwass hinterher.) Da!
[23]LJUBOW ANDREJEWNA (erschrocken). Sie haben wohl den Verstand verloren!
PISCHTSCHIK. Alle Pillen sind herunter!
LOPACHIN. So ein Vielfraß!
(Alle lachen.)
FIRS. Als der Herr zu Ostern bei uns waren, haben er einen halben Eimer Gurken verzehrt … (Brabbelt vor sich hin.)
LJUBOW ANDREJEWNA. Was redet er da?
WARJA. Schon seit drei Jahren murmelt er so vor sich hin. Daran haben wir uns gewöhnt.
JASCHA. Das hohe Alter!
(Scharlotta Iwanowna im weißen Kleid, sehr mager, geschnürte Taille, eine Lorgnette am Gürtel, geht über die Bühne.)
LOPACHIN. Verzeihen Sie, Scharlotta Iwanowna, ich bin noch nicht dazu gekommen, Sie zu begrüßen. (Will ihr die Hand küssen.)
SCHARLOTTA (entzieht ihm ihre Hand). Erlaubt man Ihnen, die Hand zu küssen, so werden Sie den Arm wollen und dann noch die Schulter …
LOPACHIN. Heute glückt mir nichts!
(Alle lachen.)
LJUBOW ANDREJEWNA. Scharlotta, zeigen Sie uns ein Zauberkunststück!
SCHARLOTTA. Hören Sie auf. Ich möchte schlafen. (Geht ab.)
LOPACHIN. In drei Wochen sehen wir uns wieder. (Küsst Ljubow Andrejewna die Hand.) Leben Sie bis dahin wohl. Es ist Zeit. (Zu Gajew.) Auf Wiederbesehen! (Umarmt Pischtschik.) Auf Wiederbesehen! (Gibt Warja die Hand, dann Firs und Jascha.) Keine Lust, abzureisen! (Zu Ljubow Andrejewna.) Wenn Sie sich die Sache mit den [24]Landhäusern überlegt und sich entschlossen haben, dann sagen Sie mir Bescheid. Fünfzigtausend kann ich als Darlehen bekommen. Überlegen Sie es sich gründlich!
WARJA (verärgert). Nun gehen Sie doch endlich!
LOPACHIN. Ich geh ja schon, ich geh schon! (Geht ab.)
GAJEW. Ein grober Kerl … Pardon … Warja will ihn ja heiraten, er ist ja Warjas Künftiger.
WARJA. Nun reden Sie doch bitte nichts, lieber Onkel, was hier nicht hergehört.
LJUBOW ANDREJEWNA. Wieso denn, Warja, ich würde mich sehr freuen. Er ist ein guter Mensch.
PISCHTSCHIK. Ein höchst ehrenwerter Mensch … das muss man schon sagen … Und meine Daschenka sagt auch, dass er … verschiedenes sagt sie … (schnarcht, wacht aber sogleich wieder auf) und trotzdem, meine Verehrteste, leihen Sie mir bitte zweihundertvierzig Rubel … Ich muss morgen die Hypothekenzinsen bezahlen.
WARJA (erschrocken). Die haben wir doch nicht, das können wir nicht.
LJUBOW ANDREJEWNA. Tatsächlich, ich habe nichts mehr.
PISCHTSCHIK. Das Geld wird sich finden. (Lacht.) Ich gebe nie die Hoffnung auf. Ich dachte schon mal, alles wäre aus, ich wäre verloren, da, sieh mal an, da ging die Eisenbahnstrecke an meinem Grundstück vorbei und ich kriegte Geld dafür. Und wenn nicht heute, dann morgen, ehe man sich’s versieht, passiert was … zweihunderttausend gewinnt Daschenka in der Lotterie, sie hat ja ein Los.
LJUBOW ANDREJEWNA. Den Kaffee haben wir getrunken, nun kann man ausruhen.
[25]FIRS (bürstet Gajew mit der Kleiderbürste ab, im Befehlston). Schon wieder haben Sie nicht die richtigen Hosen angezogen. Was soll ich nur mit Ihnen machen!
WARJA (leise). Anja schläft. (Öffnet leise das Fenster.) Die Sonne ist schon aufgegangen. Es ist nicht mehr kalt. Schauen Sie nur, Mamachen: Was für herrliche Bäume! Mein Gott, und die Luft! Die Stare zwitschern!
GAJEW (öffnet das andere Fenster). Der ganze Garten ist weiß. Du hast ihn doch nicht vergessen, Ljuba? Da, diese lange Allee verläuft schnurgerade, wie ein straffer Riemen. Wenn der Mond scheint, leuchtet sie auf. Weißt du’s noch, hast du sie nicht vergessen?
LJUBOW ANDREJEWNA (blickt durch das Fenster in den Garten). Oh, meine Kindheit, meine Reinheit! In diesem Kinderzimmer habe ich geschlafen, von hier aus sah ich in den Garten, und jeden Morgen erwachte mit mir das Glück, und der Garten war genau wie heute, nichts hat sich verändert! (Lacht vor Freude.) Ganz, ganz weiß! Oh, mein Kirschgarten! Nach dem düsteren, regnerischen Herbst und dem kalten Winter bist du wieder jung geworden, glückstrahlend, und die Engel des Himmels haben dich nicht im Stich gelassen … Wenn ich doch von meiner Brust und meinen Schultern den schweren Stein wegwälzen könnte, wenn ich doch meine Vergangenheit vergessen könnte!
GAJEW. Ja, und wegen der Schulden wird der Kirschgarten verkauft, wie seltsam ist das …
LJUBOW ANDREJEWNA. Da seht nur, unsere verstorbene Mutter geht im Garten umher … im weißen Kleid … (Lacht vor Freude.) Dort ist sie …
GAJEW. Wo denn?
[26]WARJA. Um Gottes willen, Mama!
LJUBOW ANDREJEWNA. Niemand ist da, mir schien es nur so: rechts, wo es zur Laube geht, hat sich ein weißes Bäumchen herabgebeugt. Gerade wie eine Frau.
(Trofimow tritt ein, in einer abgetragenen Studentenuniform. Er trägt eine Brille.)
LJUBOW ANDREJEWNA. Was für ein wunderbarer Garten! Das weiße Blütenmeer, der blaue Himmel …
TROFIMOW. Ljubow Andrejewna!
(Sie sieht sich nach ihm um.)
Ich möchte Sie nur begrüßen und gehe auch gleich wieder weg. (Küsst leidenschaftlich ihre Hand.) Mir war gesagt worden, ich sollte bis morgen warten, ich hatte aber keine Geduld mehr …
(Ljubow Andrejewna sieht ihn erstaunt an.)
WARJA (unter Tränen). Das ist Petja Trofimow …
TROFIMOW. Petja Trofimow, früher der Lehrer Ihres Sohnes Grischa … Habe ich mich denn so sehr verändert?
(Ljubow Andrejewna umarmt ihn und weint still vor sich hin.)
GAJEW (bekümmert). Nun genug, genug, Ljuba!
WARJA (weint). Ich habe Ihnen doch gesagt, Petja, Sie möchten bis morgen warten.
LJUBOW ANDREJEWNA. Mein Grischa … mein Junge, Grischa … mein Sohn …
WARJA. Was ist daran zu ändern, Mamachen? Es war Gottes Wille.
TROFIMOW (weich, unter Tränen). Es wird schon, es wird schon …
LJUBOW ANDREJEWNA (weint leise weiter). Mein Junge ist gestorben, ertrunken … weshalb, wofür, mein [27]Freund? (Ruhiger.) Drüben schläft Anja und ich rede so laut … mache Lärm … Nun, Petja? Warum sehen Sie so schlecht aus? Weshalb sind Sie so gealtert?
TROFIMOW. Im Zug hat eine Frau von mir gesagt, ich wäre wohl ein Herr, den die Motten kahlgefressen haben.
LJUBOW ANDREJEWNA. Damals waren Sie ganz und gar noch ein junger Mann, ein lieber kleiner Student, wahrhaftig, und jetzt sind Ihre Haare schon nicht mehr voll, und dann Ihre Brille. Sind Sie denn wirklich noch Student? (Wendet sich zur Tür.)
TROFIMOW. Ich muss wohl ewig Student bleiben.
LJUBOW ANDREJEWNA (küsst ihren Bruder, dann Warja). Nun, geht schlafen … Auch du bist alt geworden, Leonid!
PISCHTSCHIK (geht hinter ihr her). Also, jetzt schlafen … Och, mein Rheuma! Ich werde bei Ihnen bleiben … Wenn Sie mir doch, Ljubow Andrejewna, meine gute Seele, morgen, schön früh am Morgen, zweihundertvierzig Rubel …
GAJEW. Immer das Gleiche will er!
PISCHTSCHIK. Zweihundertvierzig Rubel gäben mir die Möglichkeit, die Hypothekenzinsen zu bezahlen.
LJUBOW ANDREJEWNA. Ich habe das Geld wirklich nicht, mein Bester!
PISCHTSCHIK. Ich gebe Ihnen das Geld ja wieder, meine Liebe … So eine lächerliche Summe …
LJUBOW ANDREJEWNA. Nun gut, Leonid wird es Ihnen geben … Gib es ihm doch, Leonid!
GAJEW. Wenn ich es ihm gebe, haben wir die Taschen ganz leer.
LJUBOW ANDREJEWNA. Was hilft’s, gib’s ihm schon … er braucht das Geld … er zahlt es ja zurück.
[28] (Ljubow Andrejewna, Trofimow, Pischtschik und Firs gehen ab. Gajew, Warja und Jascha bleiben.)
GAJEW. Dass meine Schwester immer noch nicht mit Geld umgehen kann! … (Zu Jascha.)