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Einführung

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Befreiung durch Bälle jonglieren? Das klingt wohl zu phantastisch, als dass man es glauben könnte. Und Sie haben recht: Um es gleich zu sagen und Ihnen Enttäuschung zu ersparen: einen Automatismus gibt es nicht! Das gibt es gerade im geistigen Bereich nicht, dass ich eine Methode, eine Technik anwende und darauf hoffe, Erfolg zu haben, ohne mich voll der Sache hinzugeben. Sie werden voll gefordert und es ist Ihre Entscheidung, ob Sie sich voll fordern lassen wollen. Es ist keine Pille, die Sie schlucken könnten, um dadurch zur Befreiung zu gelangen. Jeder muss selber den Weg gehen; das kann einem niemand abnehmen.

Ich verweise auf eine Stelle, wo Buddha sagt:

„Ich trage niemanden auf meinen Schultern, um ihn an das letzte Ziel zu bringen. Niemand kann einen anderen auf den Schultern zum letzten Ziel tragen. In Liebe und Mitgefühl kann er höchstens sagen: ‚Also, so ist der Weg, und so bin ich gegangen. Arbeite auch du, gehe du ihn auch, und du wirst das Ziel erreichen.’ Aber jeder Mensch muss ihn selber gehen, muss jeden Schritt des Weges selber tun. Wer einen Schritt gemacht hat, ist einen Schritt näher am Ziel. Wer hundert Schritte gemacht hat, ist hundert Schritte näher am Ziel. Wer alle Schritte auf dem Weg gemacht hat, hat das letzte Ziel erreicht. Du selbst musst den Weg gehen.“

(entnommen aus dem Buch „Geschichten, die der Seele gut tun“ von Jack Kornfield & Christina Feldmann, S. 131)

Ich denke, dass dieses Büchlein nicht das erste ist, das Ihr Interesse erweckt hat, weil von „Befreiung“ die Rede ist. Vielleicht haben Sie schon Yoga- oder Meditations-Kurse besucht. Ich gehe davon aus, dass Sie auf der Suche sind und offensichtlich bisher noch nicht gefunden haben, sich noch nicht als „erleuchtet“ oder „befreit“ bezeichnen würden.

Beide Begriffe werden meistens ziemlich gleichbedeutend verwendet. Ich möchte aber eine Unterscheidung treffen. Wenn von „Erleuchtung“ die Rede ist, dann stellen sich wohl viele ein tolles Erlebnis hervor, vielleicht so ähnlich, wie es durch die Einnahme von LSD bewirkt wird. In den 70-er Jahren gab es einen amerikanischen Professor Timothy Leary, der propagiert hat, Drogen zu nehmen, um religiöse Erfahrung zu machen. Erfahrungen mit Drogen wie LSD und Meskalin ähneln durchaus der Erfahrung, die ein Zen-Meister schildert:

„Eines Tages entrümpelte ich meinen Kopf von allen Vorstellungen. Ich gab jedes Wünschen auf. Ich warf alle Worte, mit denen ich dachte, fort und verharrte in Ruhe. Ich hatte ein etwas seltsames Gefühl – als sei ich irgendwo hingeraten oder ich rührte an eine mir unbekannte Macht … und husch! ich trat ein. Ich verlor die Begrenzung meines leiblichen Körpers. Ich behielt natürlich meine Haut, aber ich fühlte mich im Mittelpunkt des Kosmos stehend. Ich sprach, meine Worte jedoch hatten ihre Bedeutung verloren. Ich sah Leute auf mich zukommen, aber sie alle waren ein und dasselbe. Alle waren ich selbst! Diese Welt war mir völlig unbekannt. Ich hatte geglaubt, ich sei erschaffen worden, jetzt jedoch musste ich meine Meinung ändern: Ich war niemals erschaffen worden, ich war der Kosmos, ein Individuum mit Namen Mr. Sasaki gab es nicht.“

(entnommen aus Alan Watts, Zen-Buddhismus, S. 152)

Ich halte diese Schilderung für ein Entgrenzungserlebnis, das wohl die meisten mit Erleuchtung in Verbindung bringen. Ich denke, dass das von vielen angestrebt wird, die sich der Meditation hingeben. So ein Entgrenzungserlebnis kann man auch bei anderen Gelegenheiten haben: beim Betrachten eines Sonnenuntergangs, beim Hören von Musik, wenn man sich am Strand dem Meeresrauschen hingibt. Es sind schöne Erlebnisse, aber sie bewirken nicht das, worum es mir geht: Um die Transzendierung des Ichs.

Einer der bedeutendsten Lehrer des Advaita in der neueren Zeit dürfte Ramana Maharshi sein. Er ist der Überzeugung, dass man Erleuchtung nur erlangen kann, wenn man sich aus der Welt zurückzieht und sich der Meditation hingibt. Hingegen muss man meiner Überzeugung nach im konkreten Leben in dieser Welt dahin gelangen, einen Standpunkt zu erringen, der es einem ermöglicht, in dieser Welt zu leben, aber frei zu sein von den Verstrickungen im Ich, in denen sich die meisten Menschen befinden. Um diese Befreiung aus der Gebundenheit und Gefangenheit im Ich geht es mir.

Ich möchte das an einer Begebenheit verdeutlichen, die Ajahn Brahm von sich erzählt, in der beide Sichtweisen – Erleuchtung und Befreiung – aufgezeigt werden:

„In meinem vierten Jahr als Mönch in Thailand meditierte ich lange Zeit in einem abgelegenen Kloster im Nordosten des Landes. Bei einem sehr ausgedehnten Meditations-Gehen wurde mein Geist eines Abends zu sehr später Stunde plötzlich außergewöhnlich klar. Tiefe Erkenntnisse stürzten wie ein Gebirgs-Wasserfall auf mich herab, und plötzlich begriff ich unergründliche Mysterien, von deren Existenz ich zuvor keine Ahnung gehabt hatte. Dann geschah das ganz Große. Es riss mich gänzlich hin, überwältigte mich. Das war es. Die Erleuchtung.

Eine solche Glückseligkeit hatte ich noch nie erlebt. So viel unglaubliche Freude, doch gleichzeitig war alles in mir und um mich herum voller Frieden. … Enttäuschend war allerdings, dass sie nicht sonderlich lange anhielt.

In jenen Tagen war das Essen im nordöstlichen Thailand ausgesprochen widerwärtig. … Normalerweise bestand unsere Tagesmahlzeit aus vergammeltem Fischcurry, das tatsächlich total vergammelt war. … Am Tag nach meiner Erleuchtung sah ich zu meiner Überraschung zwei unterschiedliche Currys auf dem Tisch, um unserem klebrigen Reis zu Geschmack zu verhelfen. Einmal das übliche stinkende Fischcurry, aber daneben stand ein genießbares Schweinecurry. Wie schön, dachte ich, eine passende Mahlzeit, um meine Offenbarung zu feiern.

Der Abt bediente sich vor mir. Er nahm drei riesige Kellen des herrlichen Schweinecurrys – der Vielfraß! Aber es war noch genug für mich übrig. Doch anstatt mir den Topf zu reichen, schüttete er das leckere Schweinecurry zu dem vergammelten Fischcurry, rührte alles genüsslich um und erklärte: ‚Eins ist sowieso wie das andere.’

Ich war sprachlos. Ich schäumte. Ich war wutentbrannt. … Das Schwein.

Wie ein Blitz traf mich dann die Erkenntnis. Erleuchtete haben keine Lieblingsspeisen, werden nicht wütend und belegen ihren Abt nicht mit Schimpfnamen – nicht einmal in Gedanken. Doch ich war fuchsteufelswild, und das bedeutete, dass ich ganz und gar nicht erleuchtet war.“

(entnommen aus: Ajahn Brahm, Die Kuh, die weinte; S. 197 ff)

Diese Geschichte zeigt wunderbar, was allgemein unter Erleuchtung verstanden wird, und dass dies noch längst keine Verwandlung des Menschen bedeutet, das heißt noch keine Transformation des Ich-Seins.

Es bedeutet eben nur wenig, wenn man in Meditationshaltung wunderbare Erleuchtungserlebnisse hat, aber in seinem Menschsein der alte bleibt.

Es geht darum, ein erfülltes, vom Ich befreites Leben in dieser Welt zu führen und nicht darum, sich aus dieser Welt zurückzuziehen und hehre Erlebnisse zu haben. Es geht um Verwandlung, um eine Transformation, um ein Neuwerden des Menschen. Und da stellt sich die Frage, wie ich es anstellen muss, dass sich diese Transformation ereignet und ich zu einem erfüllten Leben finde.

Was steht denn dem im Wege, dass viele, obwohl sie in Wohlstand leben, nicht glücklich sind, und dass oft Menschen, die weniger haben, glücklicher sind als solche, die viel haben? Nahezu der gesamte Aufwand der Technik diente dazu, dem Menschen das Leben zu erleichtern und angenehm zu machen. Er erhoffte sich davon das Glück nach dem Motto: Je leichter und unbeschwerter das Leben ist, umso glücklicher werde ich sein. Wenn man diesem Irrtum nachgeht, stößt man unweigerlich auf eine Grundtatsache: Der Mensch erlebt sich als Ich, und das hat folgenschwere Konsequenzen. Letztlich ist es die Existenz als Ich, die es einem unmöglich macht, all das zu erleben, wonach sich der Mensch sehnt: Glück, Geborgenheit, Liebe, Verständnis, Frieden unter den Menschen und den Völkern, gelingende Partnerschaft usw.. In der Regel sind wir geneigt, das Misslingen des Lebens anderen zuzuschreiben: der schwierigen Kindheit, die man gehabt hat, dem Mangel an Zuwendung, den schwierigen Menschen, mit denen man im Beruf und Alltag zu tun hat, den eigenen Kindern, die sich nichts mehr sagen lassen und einem nur Sorgen bereiten. Meistens liegt die Schuld beim anderen. Wenn ich mich über etwas ärgere, dann ist es für mich selbstverständlich, dass es der andere war, der durch sein Verhalten mich zum Ärger veranlasst hat.

Sind es immer die anderen, die daran schuld sind, dass ich unzufrieden bin oder läuft ganz grundsätzlich etwas falsch, das es mir unmöglich macht, Glück zu erfahren?

Befreiung durch Bälle jonglieren

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