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Einleitung

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Meine Abhandlung richtet sich an Menschen, denen es darum geht, das Problem der menschlichen Existenz zu lösen. Es dürften in der Regel Menschen sein, die schon verschiedenste Wege eingeschlagen haben: traditionell-religiöse, esoterische, tiefenpsychologische oder spirituelle wie Yoga, Zen-Buddhismus, Mystik u.v.a.. Aber auch Menschen, die vielleicht schon aufgegeben haben, je eine Antwort zu finden und solche, die in gefährliche Grenzsituationen geraten sind, wie ich. Denn das Problem der menschlichen Existenz ist ein Problem des Narzissmus, des grundlegenden Zustands des Menschen im Ich-Bewusstsein. Psychologisch ist leicht nachzuvollziehen, dass der Mensch beim Eintritt in das Leben zunächst nur um seine Existenzsicherung kreist, d. h. um Nahrungsaufnahme und sein körperliches Wohlbefinden. Die Sorge um sich selbst ist primär, aber bleibt sie es das ganze Leben lang? Im weiteren Lebensverlauf tritt allmählich das Du der Mutter, anderer Menschen und die Welt insgesamt in das Bewusstsein, aber eben in das Bewusstsein des Ichs, nicht ins Bewusstsein des Menschen als solchem. Das Ich lässt - mehr oder weniger - anderes in sein Bewusstsein; dadurch verändert es sich, wird wissender, ängstlicher, weltoffener oder weltablehnender, je nach den Eindrücken, die auf es einwirken – aber es bleibt immer Ich. Dieses grundlegende Ich-Verhaftetsein wird religiös-christlich interpretiert als Sündenfall verstanden, und weil es universal jeden Menschen betrifft, als Erbsünde. Es ist damit nichts anderes gemeint als die Grundgegebenheit des Menschseins in seinem Dasein als Ich. Sündenfall ist das Fallen aus der Einheit mit dem göttlichen Ursprung, was unabdingbar mit dem Eintritt in die menschliche Existenz vollzogen wird. Narzissmus ist keine Krankheit, wie neuere psychotherapeutische Arbeiten nahe legen wollen, sondern eine Grundgegebenheit des menschlichen Daseins. Die Ichverhaftetheit ist damit auch relativ unabhängig von Erziehung und Umwelteinflüssen. Natürlich wirken Erziehung und Umwelt verstärkend oder abschwächend, so wie eine Rose bei liebevoller Pflege viel besser gedeiht als wenn sie vernachlässigt wird. Aber an der Struktur der Rose ändert sich dadurch nichts. Genauso ist es beim Ich: Es blüht auf, wenn es gefördert wird und stellt sich übertrieben in den Mittelpunkt oder es wird ängstlich, unsicher, wenn es vernachlässigt wird; aber es bleibt immer Ich. Und so stellt sich die Frage: Gibt es ein Entkommen aus dieser Existenz im Ich-Bewusstsein, gibt es ein Zurückfinden zu dem ursprünglichen Einssein? Offensichtlich haben manche Menschen ein Empfinden, ein Wissen, einen inneren Antrieb, diesen Ich-Zustand zu überwinden. So weit ich sehe, wird der radikalste Versuch zur Überwindung des Ichs im Zen-Buddhismus unternommen; das Christentum bietet Erlösung durch den Glauben an Jesus-Christus an; bei S. Freud scheint es kein Entrinnen aus dem Narzissmus zu geben.

Seit frühester Jugend habe ich geahnt, geglaubt, gehofft, dieser – damals noch nicht klar gesehenen - Ich-Verhaftetheit zu entrinnen. Aber es war immer der Versuch, vom Ich her das Ich zu überwinden, und das ist notwendigerweise zum Scheitern verurteilt. Das Ich kann sich nicht, wie Münchhausen, am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Darin liegt die große Tragik: Ich bin bemüht, die Ichhaftigkeit zu überwinden und bleibe doch immer im Ich gefangen. Ausweglos! Es ist wie in F. Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“, wo ein Mensch lebenslang Einlass begehrt, ihm der Zugang aber verwehrt wird und ihm am Ende des Lebens gesagt wird, dass diese Türe nur für ihn gedacht war. Das Ich hat nicht die Möglichkeit, das Ich zu überwinden. Die Verzweiflung darüber, - ganz gleich, wie viel Wissen über diese Zusammenhänge vorhanden ist -, scheint mir die Ursache vielen Leids zu sein, das Menschen über sich und andere bringen.

Tragisch ist die Unfähigkeit der meisten Menschen, - ob gebildet oder nicht -, die wahren Ursachen dessen, was ihr Leben bestimmt, zu erkennen. Im Grunde will jeder Mensch glücklich sein. Er geht in dem guten Glauben an das Leben heran: Wenn er recht handelt, sich bemüht, ein einigermaßen angenehmer Mitmensch zu sein, im Leben tüchtig ist und es zu etwas bringt, dann stellt sich das Glück schon ein. Wobei ich glaube, dass diese Haltung eher für meine Generation gegolten hat und heute sich zunehmend die Auffassung breit macht: Glücklichsein gibt’s sowieso nicht, einen Sinn im Leben gibt’s auch nicht, es geht sowieso alles den Bach hinunter, also schaue ich, dass ich zu möglichst großem materiellem Reichtum komme, dann lässt sich der verzweifelte Zustand wenigstens angenehmer aushalten. Diese Haltung ist angesichts der politischen Situation durchaus verständlich: Wie kann eine jährliche Neuverschuldung um Milliarden, die gerade mal die horrenden Zinsen der Gesamtverschuldung deckt, woanders hinführen als in den Zusammenbruch? Wie kann Wachstumsideologie, die von allen als Heilrezept gegen Arbeitslosigkeit angesehen wird, woanders hinführen als in die Vernichtung aller Ressourcen; man braucht nur den Taschenrechner zur Hand nehmen! Oder glauben wir alle sowieso nicht, dass die Erde in 200 Jahren noch bewohnbar sein wird?

Was dem heutigen Menschen abhanden gekommen ist, ist das bohrende Hinterfragen des eigenen Denkens und Handelns. Die Freud’sche Psychologie hat es einem ja leicht gemacht: Für mein Unglück, meine Unzufriedenheit und Unzulänglichkeit findet sich garantiert in der Kindheit etwas, was schief gelaufen ist. Ich möchte nicht missverstanden werden: Ich bestreite nicht, dass in der Kindheit vieler Menschen, vielleicht auch in früheren Leben oder genetisch bedingt oder durch Gestirne beeinflusst im Leben eines Menschen Dinge passiert sind, durch die ihm viel Leid zugefügt worden ist. Dem soll man durchaus nachgehen und, wenn möglich, aufarbeiten. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, dass, wenn das alles erkannt ist, das Leben des Menschen damit in Ordnung gekommen ist. Andererseits hat die Resilienz-Forschung gezeigt, dass auch ein „Gedeihen trotz widriger Umstände“ (Titel eines internationalen Kongresses im Februar 2005) möglich ist. Die Unfähigkeit, glücklich zu sein, beruht nicht auf einer schief gelaufenen Kindheit, dem Schicksal in früheren Leben usw., sondern auf der Tatsache, dass der Mensch im Ich-Bewusstsein getrennt ist von sich selbst, seinen Mitmenschen und der Welt. Dieses Abgespalten sein, Getrenntsein, Abgesondert sein – Sünde kommt von „sondern“ – von sich, dem anderen und seinem Seinsgrund ist die tiefste Ursache der Unfähigkeit des Menschen zum Glücklichsein. Nur Einssein beglückt, und da im Zustand des Gespaltenseins Einssein nicht möglich ist, verlagert sich die Qualität auf die Quantität. Die Folge ist die Gier, die im Buddhismus als die zentrale Ursache des Leides erkannt wird. Begegnen wir heute nicht überall dieser Gier? Der Gier, mit Aktien Geld zu machen, überhaupt der Gier nach schnellem Geld ohne etwas zu leisten – daher der große Erfolg von Gewinnspielen aller Art -, der Gier nach dem neuesten Automodell mit noch mehr PS, nach dem neuesten Handy, der neuesten Digitalkamera – alle zwei Monate! werden im „Warentest“ wieder neue Digitalkameras getestet (seit mehr als einem Jahr!) -, die Gier nach einer neuen Frau. Sie zeigt sich im Abholzen der Regenwälder genau so wie im Leerfischen der Weltmeere, was schon Häuptling Seattle im 19. Jahrhundert gesehen hat: „Wenn der letzte Baum gerodet und der letzte Fisch gegessen ist, werdet ihr erkennen, dass man Geld nicht essen kann.“ Bald ist es soweit!

Ich kann nur staunen, dass es den meisten Menschen nicht möglich ist, zu durchschauen, was da läuft: Dass man in der Quantität das sucht, was man als Qualität nicht haben kann, dass man auf der materiellen Ebene etwas sucht, was nur im geistigen Bereich zu finden ist. Dieses Unvermögen, zu durchschauen, dass wir ein geistiges Verlangen (nach Einheit) auf die materielle Ebene projizieren, womit es zu einem absolut unstillbaren Verlangen wird, betrifft alle Bildungsschichten und hat nichts mit einer verkorksten Kindheit zu tun, sondern mit der fehlenden Bereitschaft, den Dingen und seinem eigenen Denken, Wollen, Fühlen und Handeln auf den Grund zu gehen und Verantwortung für eben dieses Denken, Handeln und Fühlen zu übernehmen.

Im Folgenden möchte ich aufzeigen, wie umfassend das Leben des Menschen durch sein Ich bestimmt wird. Teil I zeigt die Ich-Struktur auf, Teil II, was ich unter Projektion des Unendlichen in die Endlichkeit verstehe. In Teil III, der ursprünglich eine selbstständige Einheit war (s. Vorwort), soll der Weg aufgezeigt werden, der dieses Gefangensein im Ego überwindet und den Menschen zum wahren, umfassenden und beglückenden Menschsein befreit. Leben aus der Einheit soll in Teil IV kurz dargestellt werden.

Sackgasse

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