Читать книгу Zehn Geschichten für Kinder: zum Schmunzeln, Lachen, Nachdenken - Antonia di Pello - Страница 4
Nr. 2: Rolli und die Glücksbringer
ОглавлениеAn einem schönen Sommertag spielten die Glücksbringer auf dem großen Hof von Herrn Bollmann Fußball. Das taten sie natürlich am liebsten bei schönem Wetter, und Sport ist ja gesund und daher auch wichtig, soviel wussten sie von ihren Eltern. Heute hatten die Mädchen gegen die Jungen gespielt und mit 6:3 Toren gesiegt. Darüber gab es keinen Streit, weil ja meistens der Bessere gewinnt. Auch wenn sie jetzt ziemlich müde waren, wollten sie doch noch schnell in ihrer Klüngelbude etwas trinken. „Was ist das denn, was da an unserem Kummerkasten hängt?“, rief Michel. Tatsächlich hing dort eine große Pappe, die zusammen-gerollt und mit einem alten Seil verknotet war. Enno nahm die Pappe mit in die Klüngelbude, schnitt das alte Seil durch und rollte sie vorsichtig auf. „Da ist ja schon wieder eine Nachricht angekommen! Aber wieso diesmal auf Pappe?“ „Lies` vor! Wer schreibt uns denn heute?“, wollten alle wissen. Enno blieb zunächst ganz still, begann dann aber, vorzulesen:
„Liebe Kinder aus der Klüngelbude!
Ich heiße Rolf, aber alle nennen mich Rolli. Ich lebe neben den Gleisen des Bahnhofes, weil ich obdachlos bin. Eigentlich bin ich ganz zufrieden mit meinem Leben an den Gleisen. Leider verspotten mich aber viele Leute, wenn sie an mir vorbeigehen. Manche haben mich sogar schon bespuckt. Ich habe einen sehr, sehr großen Wunsch auf dem Herzen, den ihr mir vielleicht erfüllen könnt. Mein Wunsch ist, mal wieder so richtig gerne und intensiv zu lachen! Wenn möglich eine ganze Stunde lang, so richtig laut und herzhaft wie früher. Früher hatte ich nämlich noch einige Freunde, die mich in meiner Wohnung besuchen konnten. Seit ich jedoch kein Dach mehr über dem Kopf habe, kommen auch die Freunde nicht mehr, obwohl sie wissen, dass ich keine Arbeit mehr habe, aber viel Zeit. Darüber bin ich ziemlich traurig und habe schon so lange überhaupt nicht mehr gelacht. Manchmal jedoch lache ich ein bisschen, z. B. wenn mich ein bestimmter Straßenhund morgens früh ableckt, um mich zu wecken. Ich nenne ihn Wurzel, auf diesen Namen hört er inzwischen auch. Wurzel ist inzwischen mein bester und einziger Freund geworden. Allerdings wäre es doch um so vieles schöner, könnte ich wieder einmal mit Menschen zusammen lachen! Dies wäre ein großer Wunsch von mir! Gebt mir doch bitte eine Nachricht, ob sich da etwas machen lässt?! Ihr findet mich auf dem Weg zu Gleis zehn auf dem Bahnhof. Dort liege ich jeden Abend auf meiner grünen Decke und trage eine rote Wollmütze auf dem Kopf. Ganz liebe Grüße sendet euch in der großen Hoffnung auf ein Treffen: Rolli vom Bahnhof.“
Nach diesem Brief waren die Kinder ziemlich traurig, aber alle waren sich sofort einig darüber, Rolli zuerst einmal in die Klüngelbude einzuladen, um mit ihm gemeinsam Pommes zu essen, weil er sich selber bestimmt keine Pommes leisten könne. „Das können wir doch schon morgen oder übermorgen tun“, meinte Ben. „Wie gut ist es doch, dass wir einen Kummerkasten angebracht haben. Nur so erfahren wir vom Kummer der Menschen und lernen sie sogar persönlich kennen. Wer weiß, was Rolli uns von seinem Leben ohne Bett, ohne Strom, ohne Wasser und vielleicht auch von seinem Hunger noch alles erzählen wird? Wir machen uns gleich morgen auf den Weg zum Bahnhof und besuchen ihn. Wenn das mit den Briefen im Kummerkasten so weitergeht, werden wir jeden Tag erneut zu Glücksbringern.“
Auf dem Weg nach Hause trafen die Kinder gemeinsam die Entscheidung, mit Rolli in den lustigsten Zeichen-Trickfilm zu gehen, den sie je gesehen hatten. Für Rolli würden sie gerne ihr Taschengeld spendieren. Wahrscheinlich hätte er seinen Höllenspaß an diesem Klamauk, den die Tierfiguren im Film so anstellen. Der nächste Nachmittag war nun gekommen, und die Kinder machten sich gemeinsam auf den Weg zu Gleis zehn, um Rolli zu besuchen. Als sie angekommen waren, entdeckten sie sofort die grüne Decke, von der Rolli geschrieben hatte, aber weit und breit war von Rolli nichts zu sehen. Allerdings saßen in der Nähe vier Männer und eine Frau auf den kalten Steinen am Boden und unterhielten sich. Ben sagte zu seinen Freunden: „Das sind bestimmt auch Obdachlose, wahrscheinlich Kumpels von Rolli! Die fragen wir jetzt, ob sie wissen, wo Rolli abgeblieben ist.“ Sie gingen hin, fragten nach, und siehe da, die Frau wusste Bescheid und sagte sofort, Rolli sei unterwegs, um leere Pfandflaschen einzusammeln, um sich von dem Erlös etwas zu essen zu kaufen. Die Glücksbringer wollten jedoch nicht umkehren, sondern auf Rollis Heimkehr warten.
Kurz vor der Dunkelheit war es dann soweit: ein Mann kam ihnen mit einer Plastiktüte entgegen, das konnte nur Rolli sein! Sie riefen seinen Namen, und sofort lachte Rolli ihnen zu. Seine große Freude über diesen Besuch sah ihm jeder sofort an. Dann berichteten die Kinder ihm, was sie sich für ihn ausgedacht hatten, und dass sie ihn morgen Nachmittag in die Klüngelbude einladen möchten. Rolli strahlte übers ganze Gesicht vor lauter Freude und Begeisterung, wurde dann aber sehr nachdenklich und fragte die Kinder, ob sie ihn denn auch in seiner alten Kleidung mitnehmen würden, denn er habe nichts anderes anzuziehen. Auch besäße er keine Schuhe mit Schnürsenkeln, um etwas ordentlicher auszusehen. Tatsächlich waren seine Schuhe offen und sahen sehr mitgenommen aus. Unter seinem fast bodenlangen, uralten Mantel, den er trug, fiel das nicht sofort auf. Einige Löcher hatte der Mantel auch schon, außerdem fehlten daran die Taschen. „Alles kein Problem“, gaben die Glücksbringer zur Antwort. „Wir holen Dich morgen Nachmittag hier ab und gehen gemeinsam zur Klüngelbude.“ Danach verabschiedeten sie sich von Rolli, der jetzt schon vor Freude strahlte. Auf dem Heimweg unterhielten sich die Kinder noch lange darüber, wie leid es ihnen tue, dass Rolli keine Kleidung zum Wechseln hat und keine ordentlichen Schuhe besitzt. Sie wussten aber ganz genau, dass ihre Väter jede Menge Hosen, Hemden, Pullover und Schuhe besaßen und bestimmt gerne etwas davon an Rolli verschenken würden, sobald sie zu Hause von ihm erzählt hätten. Darin hatten sie sich nicht getäuscht, denn nun legten am Abend alle sechs Väter Kleidung und auch Schuhe für Rolli zusammen und taten sie in eine große Plastiktüte, damit die Glücksbringer am nächsten Morgen an Rolli genügend saubere und ordentliche Kleidung verschenken konnten. Schon beim Aufwachen waren sie alle sehr gespannt auf den Nachmittag, und als es endlich soweit war, nahm jeder seinen Kleidersack in die Hand, und sie trafen sich, um gemeinsam zum Gleis zu gehen. Dort angekommen, wartete Rolli bereits auf die Kinder. Die öffneten die Kleidersäcke und riefen laut „Überraschung!“, und jeder wollte zuerst seine Sachen zeigen. Rolli war völlig sprachlos vor Freude, weil er noch nie so viele gute Kleidungsstücke besessen hatte, und wollte sofort mit der Anprobe beginnen. Für diese Anprobe musste er in die Toilette des Bahnhofes gehen, um sich dort umzuziehen. Als er sich in der neuen Kleidung vorstellte, hätte man ihn fast nicht wiedererkannt! Von Kopf bis Fuß war alles perfekt, sogar die Schuhe passten ihm gut. Die Kleidersäcke durfte er im Bahnwärterhäuschen lagern, weil er ja keinen Kleiderschrank besaß. Außerdem wird das Bahnwärterhäuschen jeden Abend abgeschlossen, damit nichts wegkommt. Stolz und überglücklich ging Rolli nun mit den Glücksbringern in die Klüngelbude. Unterwegs kauften sie sieben Portionen Pommes mit Ketchup und Mayonnaise, für jeden also eine Portion, die sie gleich in der Klüngelbude gemeinsam essen wollten. „Was für ein sensationeller Tag!“, sagte Rolli, noch immer fassungslos vor Glück. Was er natürlich noch nicht wusste, war, dass die Kinder unter Rollis Stuhlkissen in der Klüngelbude heimlich ein Pupskissen versteckt hatten. Wenn er sich gleich daraufsetzen würde, gäbe dieses Kissen einen lauten Pups von sich, und das hört sich ganz echt an und ist sehr zum Lachen, denn Rolli wollte ja noch mal so richtig laut lachen. Endlich in der Klüngelbude angekommen, packten alle ihre Pommes aus und boten Rolli seinen Sitzplatz mit dem versteckten Pupskissen an. Der ließ sich richtig auf seinen Platz plumpsen, und schon pupste das Kissen laut. Sofort erschrak Rolli, denn er war sich keiner Schuld bewusst, etwas Unanständiges getan zu haben. Als die Kinder sich jedoch alle den Bauch vor Lachen hielten, war ihm klar, dass hier ein Scherzartikel an seinem Sitz versteckt war. Die Kinder lüfteten das Geheimnis mit dem Pupskissen, und jeder wollte es auch einmal haben. Jetzt aßen alle ihre Pommes, und dabei wurde um die Wette gepupst, so oft, dass Rolli zum ersten Male richtig laut mitlachen musste. Somit war ein guter Start in einen lustigen Tag schon jetzt gelungen. Nach dem gemeinsamen Essen holten die Glücksbringer einen Karton voll bunter Hüte hervor, denn alle wollten mit einem Hut auf dem Kopf ins Kino gehen. Rolli durfte sich als erster den Hut seiner Wahl aussuchen und entschied sich für einen großen Schäferhut, der ihm auch richtig gut zu Gesicht stand. Die anderen bedienten sich ebenfalls aus der Hutkiste, bis alle bedeckt waren und sehr lustig aussahen. Und nun verrieten sie Rolli, dass sie ihn jetzt ins Kino einladen würden. Der konnte sein Glück kaum fassen und sich nicht daran erinnern, wann er zuletzt einen Film gesehen hatte. Umso größer war seine Freude, nach so vielen Jahrzehnten einen Film im Kino sehen zu dürfen. Dort angekommen, kauften die Glücksbringer nicht nur die Eintrittskarten, sondern auch Popkorn, Getränke und Naschzeug für alle. Dann setzten sie sich in einer Reihe nebeneinander auf die Kinostühle, mit Rolli sozusagen als Ehrengast in der Mitte. Nun gingen auch schon die Lichter aus, Musik erklang, und der lustige Zeichen-Trickfilm begann. Kaum sah man im Film die ersten Bilder der Tierfiguren, wie sie faul gähnend den neuen Tag erblickten, rief ein Känguru den anderen Tierfreunden zu: „Kinder, dieser Tag ist ein Griff ins Klo!“ Rolli krümelte sich vor lauter Lachen und hielt sich den Bauch fest. Immer wieder lachte er sich über die komischen Tierfiguren kaputt, klopfte sich auf die Schenkel, klatschte in seine Hände und wippte vor lauter Lachen auf dem Stuhl so sehr hin und her, dass er plötzlich herunterfiel, aber sofort, immer noch lachend, wieder vom Boden aufstand. Unentwegt lachte er weiter, bis nach fast zwei Stunden dieser herrliche Film zu Ende war. Wieder draußen angekommen, hatte er kaum noch eine Stimme, weil er ununterbrochen so laut und herzhaft gelacht hatte. Aber er sagte immer wieder: „Heute war der allerschönste Tag in meinem Leben!“, und tanzte auf der Straße noch ganz ausgelassen und albern bis hin zum Bahnhof an Gleis zehn. Dort umarmte und drückte er die Glücksbringer und bedankte sich viele Male für diesen schönsten Tag in seinem Leben. Natürlich versprachen sich alle ein baldiges Wiedersehen, und sie winkten beim Abschied ihrem glücklichen Rolli so lange zu, bis sie ihn nicht mehr sehen konnten. Die Glücksbringer unterhielten sich auf ihrem Weg nach Hause noch lange über Rolli und darüber, wie glücklich sie auch selber waren, einem Obdachlosen so viel Freude bereitet zu haben.