Читать книгу Unfälle sind keine Zufälle - Antonia Margutta - Страница 8

Prolog

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Das Meer kräuselte sich nur leicht, als sie die elegante Segelyacht, Solaris 72 DH, unter Motor aus dem Hafen steuerte. Der leicht korpulente Agent der Charterfirma vor Ort hatte seine Bedenken geäussert, als sie ihm nur dreissig Minuten zuvor klar gemacht hatte, dass sie die Yacht alleine übernehmen und in einen anderen Hafen überführen wolle. »Aber Signora!«, hatte er entsetzt ausgerufen, »72 Fuss, das sind fast 22 Meter, die Solaris 72 DH ist eine sportliche Yacht und verlangt trotz ihrer vielen technischen Finessen grosses seglerisches Können, Sie brauchen mindestens noch zwei weitere Crewmitglieder, die Ihnen bei der Überführung helfen.« Sie hatte ihn bei seinen Ausführungen nur mitleidig angeschaut und schliesslich ungeduldig unterbrochen, indem sie ihm mit einer raschen Handbewegung das Wort abschnitt. Sie hatte es noch nie leiden können, wenn ihr jemand sagte, was sie machen konnte und was nicht. Sie konnte alles und hatte stets alles unter Kontrolle, ihren Job, ihre Mitarbeiter, ihren Mann, ihre Kinder und da wollte dieser dickliche, leicht schwitzende Charter Agent ihr verbieten, ein Boot zu übernehmen! Lächerlich, komplett lächerlich! Sie hatte dem verdutzten Mann ihre Platin American Express Karte auf den Tresen geknallt und mit kalter und ungeduldiger Stimme gesagt: »Ich werde das Boot lediglich unter Motor in den nächsten Hafen überführen, wo mir Freunde beim Vertäuen helfen werden, ich verfüge über alle notwendigen Ausweise zum Führen eines Bootes auf Hochsee, habe die verlangte Anzahlung bereits geleistet und habe absolut keine Zeit, mich mit Ihnen über solche Kleinigkeiten zu unterhalten. Falls ich aufgrund Ihrer Einmischung noch mehr Zeit verliere, sehe ich mich gezwungen, hier und jetzt Herrn Crivelli anzurufen und ihn über Ihre Inkompetenz in Kenntnis zu setzen. Bestimmt werden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass dies unnötig ist, oder?« Dabei schaute sie ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und kniff die Lippen verärgert aufeinander. Bei der Erwähnung des Namens Crivelli war der Agent bleich geworden und hatte noch stärker geschwitzt. Der CEO des Charterunternehmens »Stella di Mare« war allseits bekannt für sein cholerisches Temperament und er, Davide Antonini, konnte es sich mit seinen vierundfünfzig Jahren und dem chronischen Asthma nicht leisten, seine Arbeit zu verlieren, nur weil eine gestresste Top-Managerin sich unvernünftig verhielt. So hatte er ihr schliesslich resigniert die Schlüssel zur Yacht überreicht, ihr rasch die Systeme an Bord erklärt und dann Mast- und Schotbruch gewünscht.

Nun also fuhr sie langsam auf die offene See hinaus und genoss den leichten Fahrtwind im Gesicht und Haar und die würzige, salzige Morgenluft. Still lächelte sie vor sich hin, energisches Auftreten war eben doch das A und O. Sie steuerte das Boot unbeirrt weiter von der Küste weg und nicht, wie angegeben, in den nächsten Hafen. Sie wollte einige Stunden nur für sich alleine verbringen und für einmal ungestört sein von BlackBerry und i-Phone und den ständigen Unterbrechungen ihres Tages. Nur ihre Kollegin Fabia hatte sie in ihre heimlichen Segelpläne eingeweiht. Nach weiteren zehn Minuten mit Kurs aufs offene Meer drehte sie das Boot schliesslich in den Wind und begann, die Segel zu setzen. Nicht, dass dazu viel körperliche Kraft notwendig gewesen wäre, bei modernen High-Tech Yachten wie dieser konnten die Segel per Knopfdruck vom Cockpit aus gesetzt werden, sie verfügten auch über Trimm-Kontroll-Vorrichtungen, mit welchen elektrische Winschen Segel nicht nur dichtholen sondern auch fieren können und sogar Wendemanöver voll elektronisch möglich sind. Nichts für Puristen des Sports, doch zu viel Anstrengung lag ihr nun mal nicht. Sie liebte den Moment, wenn sich die Segel blähten und das Boot Fahrt aufnahm, um alsbald elegant durchs Wasser zu gleiten. Die Windverhältnisse waren mit 3 – 4 Beaufort ideal und so gönnte sie sich eine eiskalte Cola Zero, sobald das Boot auf Kurs war und lehnte sich genüsslich zurück. Die Doppelsteuerräder der Solaris bewegten sich durch den eingeschalteten Autopiloten wie von magischer Hand, es war Lebensqualität pur.

Sie musste kurz eingenickt sein und wusste im ersten Moment nicht, was sie aufgeschreckt hatte. Ein Blick auf ihre Armbanduhr zeigte, dass sie kaum mehr als zwanzig Minuten gedöst hatte. Nun realisierte sie, dass das Schiff stark vibrierte und versuchte, anzuluven. In einem Segelmagazin hatte sie gelesen, dass dies bei einem defekten Autopiloten vorkommen kann. Leise fluchte sie vor sich hin, bei so einer exklusiven Yacht sollte das doch wohl nicht passieren können. Doch Profisegler erlebten das manchmal auch auf ihren Rennyachten, warum also nicht auch sie. Musste sie halt die Segel etwas anders trimmen, was soll’s. Doch irgendwie schien auch das nicht zu funktionieren, der defekte Autopilot schien störende Auswirkungen auf die übrigen Bordsysteme zu haben. Mit einem Knopfdruck schaltete sie den Autopiloten aus, sofort reagierte die Yacht wieder auf ihre Ruderbewegungen und das Vibrieren hörte auf. Alles, was sie jetzt tun musste, war, das Boot erneut in den Wind zu drehen und die Segel zu bergen, um dann unter Motor zurück in den Hafen zu fahren. Ein Kinderspiel! Doch nach mehreren Versuchen aus dem Cockpit, die Segel zu bergen, musste sie verärgert und mit aufkeimender Unruhe feststellen, dass sich diese nicht mehr automatisch bergen liessen. Hätte sie doch bloss auf den dicklichen Agenten gehört. Eine so grosse Yacht alleine auf Kurs zu halten und auch noch Grosssegel und Genua von Hand zu trimmen oder in diesem Fall zu bergen, liess sich ohne zusätzliche Hilfe nicht bewerkstelligen. Sie war so sehr in Gedanken vertieft, wie sie das Problem lösen sollte, dass sie das herannahende Motorboot viel zu spät bemerkte. Das Riva hielt genau auf sie zu. War der Typ am Steuer komplett bescheuert? Der würde sie auf Höhe des Vorschiffs voll steuerbordseitig rammen! Sie fuchtelte wild mit den Händen, und nun schien auch das andere Boot sie wahrzunehmen und versuchte, den Kurs zu korrigieren. Fluchend und hektisch fiel sie ab und rannte kopflos nach vorn, um die Segel manuell zu fieren. Ein fataler Fehler, denn jetzt drehte das Boot, welches führerlos und ohne Autopilot war aufgrund eines Winddrehers, zurück. Mit schreckgeweiteten Augen sah sie, wie der gewaltige Baum sich ihr mit rasender Geschwindigkeit näherte. Das Letzte, was sie wahrnahm, war ein enormer Schlag und das Gefühl, in die Luft befördert zu werden. Sie wurde über Bord geschleudert und versank innerhalb von Sekunden bewusstlos im Meer. Das Ganze hatte nur wenige Augenblicke gedauert. Das Riva hatte derweil in einer engen Kurve abgedreht und fuhr nun wieder in Richtung Land.

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