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Das Frühstücksbrettchen

Diese kleine Geschichte wurde im Amt gern und viel erzählt, wenngleich ich sie nicht selbst miterlebt habe. Nichtsdestotrotz hat sie sich so oder so ähnlich zugetragen.

Gerhard Stommel war ein Mann der Praxis. Gern sah er die Ergebnisse seine Arbeit. Das Problem war nur, dass seine Arbeit am PC viel zu abstrakt war, als dass man nach getanem Tageswerk handfeste Ergebnisse hätte sehen können. Also suchte sich der Beamte andere Möglichkeiten, den Mangel an greifbaren Resultaten zu kompensieren. Die Hobbythek, moderiert von dem ebenso sympathischen wie quirligen Jean Pütz, war dafür genau das Richtige. Immer wieder gab es pfiffige Tipps und Anleitungen, um nützliche Dinge zu basteln, bauen oder herzustellen. Heute war es wieder soweit. Allerdings war Kollege Stommel etwas enttäuscht über das angekündigte Thema. Es ging im Kern um gesunde Ernährung. Daher war es eher unwahrscheinlich, dass diesmal handwerkliche Dinge eine Rolle spielen sollten. Er vermutete, dass es sich vorwiegend um Kochrezepte drehen würde. Das war dann doch eher die Domäne seiner Frau. Wie gravierend sich die heutige Themenwahl für ihn noch ganz persönlich auswirken sollte, ahnte er freilich nicht.

Die Sendung fing an und es ging, wie er es erwartet hatte, ums Essen. Gesunde Alternativen zum täglichen Ernährungseinerlei wurden aufgeführt und Kochrezepte vorgestellt. Stommel sah nur mit mäßigen Interesse zu, während seine rechte Hand, dem Sendungsmotto zum Trotz, immer wieder in die Schale mit Kartoffelchips griff.

Dann jedoch wurde er hellhörig. Warnte man doch plötzlich eindringlich vor Salmonellen. Ein Thema, das aufgrund einiger tragischer Todesfälle bereits seit Wochen in den Nachrichten war. So riet man beispielsweise davon ab, hölzerne Teller, wie man sie gern in italienischen Restaurants benutzte, zu verwenden. Denn in den Holzfasern konnte sich Ungesundes, eben jene Salmonellen, besonders gut einnisten. Doch gab man auch einen Rat wie man, wenn man dieses Geschirr nicht entsorgen wollte, die Teller quasi geschmacksneutral desinfizieren konnte. 30 Sekunden in die Mikrowelle und von Keimen wäre keine Spur mehr übrig. Das war, so fand er, doch mal ein nützlicher Tipp. Schließlich nutzte er im Amt ein Frühstücksbrettchen aus Holz. Gerhard Stommel wusste, was er morgen noch vor der ersten Amtshandlung tun würde. Was ein Glück, dass er vor zwei Jahren die alte Mikrowelle mit ins Büro genommen hatte.

Ohne der Sendung weiter große Aufmerksamkeit zu schenken, blieb er trotzdem bis zu ihrem Ende wach und ging schließlich zu Bett.

Pünktlich, wie an jedem Morgen, betrat er sein Büro um genau 7 Uhr 50. Er legte seinen Mantel ab, stellte seine Arbeitstasche auf den Schreibtisch, packte sein in weißes Cellophanpapier verpackte Frühstück aus, sowie die Tupperdose mit dem Mittagessen. Als Nächstes griff er nach dem bereitliegenden Frühstücksbrettchen und ging hinter seinem Stuhl zur Fensterbank. Dort stand die Mikrowelle, die er normalerweise nur für seine Mittagsmahlzeit nutzte. Diesmal jedoch legte er das Brettchen hinein und schloss die Türe des Geräts. Dann hielt er kurz inne und überlegte. Was hatten sie in der Hobbythek noch gesagt? Ach ja, 30 Sekunden bei 600 Watt. Das Problem war nur, dass der Timer des Geräts nicht mehr funktionierte. Deswegen war die Mikrowelle auch zu Hause aussortiert worden. Er musste also auf den Sekundenzeiger der Armbanduhr schauen und dann manuell ausschalten. Kein Problem. Er schaltete das Gerät ein und blieb, mit Blick auf die Uhr, davor stehen. Als erst 10 Sekunden verstrichen waren, klingelte plötzlich das Telefon. Verärgert warf Stommel einen Blick über die Schulter in Richtung Telefondisplay. Es war noch keine acht Uhr! Wer rief denn jetzt schon an? Verflixt, sein direkter Vorgesetzter. Sie waren sich eben auf dem Flur begegnet. Daher wusste sein Chef auch, dass er bereits zugegen war. In dem Fall hatte Stommel keine Wahl, und er musste an den Anruf beantworten. Vermutlich war es eh nichts Wichtiges. Stommel beschloss, die Mikrowelle einfach kurz weiterlaufen zu lassen, und ging rüber an den Apparat.

Entgegen seiner Erwartung zog sich das Gespräch jedoch und Stommel hatte trotz des brummenden Geräuschs in seinem Rücken, die Mikrowelle binnen Sekunden vergessen. Das Gerät dagegen, erinnerte sich seines Auftrags sehr gut und verrichtete unablässig weiter seinen Dienst.

Holz wird für vielerlei Eigenschaften, dass diesem Material innewohnt, geschätzt. Für den Berufsstand der Schreiner ist es essentiell und auch der Holzschnitzer weiß die leichte Verarbeitbarkeit des Naturprodukts zu schätzen. Viele Menschen schätzen Holz allein des Geruchs wegen, der sie an die natürliche Herkunft des Rohstoffs erinnert. Und nicht wenige benutzen Holz auch, um ihren Kamin damit zu befeuern.

An eben jene Brennbarkeit des Materials verschwendete Gerhard Stommel, während er bereits seit Minuten mit seinem Vorgesetzten sprach, keinerlei Gedanken. So merkte er auch nicht, was sich da hinter ihm zusammenbraute.

Zunächst wurde das Brettchen immer heißer. Schließlich hatte das Holz über die Jahre Feuchtigkeit aufgesogen. Bald darauf fing es an zu kokeln. Zunächst noch recht wenig, sodass sich der Qualm lediglich im Innern der Mikrowelle verteilte. Doch bald darauf suchte sich der zunehmende Rauch einen Weg nach draußen, welchen er auch ohne Mühe fand. Da erhitzter Qualm leichter ist als die Umgebungsluft, stieg dieser sofort nach oben und erreichte weiterhin unbemerkt die Decke des Büros.

Wie es sich für ein typisches deutsches Amt gehörte, war man stets um die Sicherheit der Beamten und der Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes besorgt. Somit befand sich in jedem Büro ein Rauchmelder. Jener in Gerhard Stommels Büro machte sich wenige Augenblicke später mit dem nunmehr zum ihm gelangten Qualm bekannt und schlug Alarm.

Dies war auch der Augenblick, indem Stommel erst erstarrte und dann erschrocken den Hörer auf die Gabel fallen ließ. Dass er seinem Chef dabei das Wort abschnitt, spielte in dem Moment nur eine untergeordnete Rolle.

Zum besseren Verständnis der nun folgenden Ereignisse sollte man wissen, dass es zwei Arten von Rauchmeldern gibt. Jene, die man privat im Haus unter die Decke heftet und die ganz individuell bei Rauchbildung Alarm schlagen. Und solche, die zentral verbunden sind, und im kompletten Gebäude einen Alarm auslösen. Der in Gerhard Stommels Büro gehörte zur letzteren Sorte, und tat genau das, was er sollte. Er löste im gesamten Amtskomplex den Feueralarm aus. Dadurch wiederum wurde der Notfallplan initiiert, der gründlich und gewissenhaft, wie wir Deutsche nun einmal sind, befolgt wurde.

Während Gerhard Stommel in Panik die Mikrowelle ausschaltete und ein Fenster aufriss, um den Rauch loszuwerden, machten sich auf jeder Etage des Gebäudes eigens ausgewählte Mitarbeiter an die Aufgabe, alle übrigen Kolleginnen und Kollegen aufzufordern, dass Gebäude zu verlassen. Selbstverständlich immer darauf achtgebend, dass sie nicht die Aufzüge verwendeten. Während sich ca. 300 Menschen durch die Treppenhäuser quetschten, machte sich bereits ein Großaufgebot der Feuerwehr auf den Weg. Dafür hatte es nicht einmal eines Anrufs bedurft, denn der Alarm war automatisch direkt bis zur Feuerwehrzentrale durchgereicht worden.

4 Löschzüge, zwei Rettungswagen und das Fahrzeug des Feuerwehreinsatzleiters standen binnen weniger Minuten vor dem Amtsgebäude. Kurz wurden sie beim Pförtner noch informiert, wo genau im Gebäude der Alarm ausgelöst wurde, bevor sich ein 8 Mann starker Trupp, bewaffnet mit Atemschutzmasken und schwerem Gerät, den Weg ins Innere bahnte.

Mittlerweile war auch Gerhard Stommel mit blassem Gesicht all den anderen Kollegen nach draußen gefolgt und verhielt sich auffällig ruhig. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das alles auf ihn zurückfallen würde.

Alles was Strom zum Betrieb braucht, ist, wie die meisten sicherlich wissen, recht empfindlich, wenn Feuer ins Spiel kommt. Also hatte man sich für die Räume, in denen sich die Computerserver befanden, eine Strategie überlegt, die den Betrieb auch im Feuerfall sicherstellen sollte. Durch das Auslösen eines Alarms wurden die Serverräume nach einem Countdown vorsorglich mit CO2 geflutet. Zuvor hatten die dort arbeitenden Mitarbeiter den Raum natürlich verlassen. CO2 nimmt jedem Feuer die wichtigste Nahrung - Sauerstoff. So auch in diesem Fall. Doch leider wurde bei der Planung des Notfallszenarios einen entscheidenden Fehler gemacht. Noch nie war das Ganze auch nur ein einziges Mal getestet worden.

So kam es dann, dass die Stromzufuhr zu den Servern planmäßig gekappt wurde. Denn schließlich könnte sich ein potentielles Feuer auch durch die Wände in die Stromleitungen fressen. Daher hatte man den Serverraum nicht nur mit CO2 geflutet, sondern auch mit einer Notstromversorgung auf Basis von Batterieaggregaten versehen. Genug um alle Maschinen einen Tag lang, ohne externen Strom, betreiben zu können. Dummerweise sprang die Notstromversorgung nicht an.

Während es im Gebäude mangels Stroms dunkel wurde, und alle Computer und Server abrupt den Betrieb einstellten, hatte in Zwischenzeit die Feuerwehr Gerhard Stommels Büro erreicht und erkannte recht schnell die Ursache des ganzen Schlamassels. Noch immer lag kokelnd das Frühstücksbrettchen in der geöffneten Mikrowelle. Mit grinsenden Gesichtern und auch einer gewissen Erleichterung bekämpfte man den Schmorbrand und hatte ihn binnen Sekunden besiegt.

Aus Sicht der Feuerwehr wurde aus dem angenommenen Großeinsatz so ganz plötzlich eine Bagatelle. Alles andere als eine Nichtigkeit waren dagegen die Folgen des Vorfalls für das ganze Bundesland. Da die hier beschriebene Behörde eine zentrale Rolle für diverse Ämter spielte, konnten diese plötzlich nicht mehr arbeiten. Denn die Software, die sie nutzen, wurde ihnen über das interne Netzwerk zur Verfügung gestellt. Nur dass das Amt, das jene Dienste zur Verfügung stellte, den Betrieb mangels Stroms eingestellt hatte.

So hatte Gerhard Stommel mit einem einzigen Frühstücksbrettchen unfreiwillig dafür gesorgt, dass ein Großteil der Beamten des Landes einen Tag Urlaub auf Kosten der Steuerzahler nehmen mussten.

Nachtrag: Gerhard Stommel arbeitet auch heute noch für das ungenannte Amt. Selbstverständlich hat er von seinem Vorgesetzten einen ordentlichen Einlauf bekommen. Mikrowellen sind seitdem im Haus ungern gesehen wenngleich auch nicht gänzlich verboten. Auch hat man die Notfallstrategie nachgebessert und sie sogar getestet. Ob und welche Konsequenzen das Ganze für Kollege Stommel hatte, will ich hier nicht berichten. Darüber hülle ich den Mantel des Schweigens.

Ende

Ein Amtsschimmel ist kein Rennpferd

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