Читать книгу Il mio Camino Alternativo - Ariane Demmler - Страница 5
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ОглавлениеReizüberflutung, Großstadtwahnsinn – Berlin! Die Stadt hatte mich einst in ihren Bann gezogen, doch jetzt macht sie mich einfach nur fertig! Vom kulturellen Übermaß, von sportlichen Zugzwängen und dem berühmt berüchtigten Dating-Fiasko in all seiner Oberflächlichkeit, bleibe ich immer häufiger ernüchtert oder schlichtweg überfordert zurück. Nach über fünf Jahren in meiner bittersüßen Wahlheimat bemerke ich, wie mir so einiges über den Kopf wächst. Wie mir die dreckigen Viertel, die lauten Straßen, die latent unfreundlichen Baumarktangestellten und die sich langsam, aber sicher mehrenden ONS zu viel werden, habe ich anfangs noch erfolgreich zu verdrängen versucht. Selbst wenn man, wie ich, Energie für zehn hat, werden einem die vielen Verpflichtungen, der hohe Leistungsdruck auf allen Ebenen und der steigende Sozialstress des Öfteren zum Verhängnis. Wieso versuche ich es eigentlich jedem recht zu machen? Warum kann ich partout nie nein sagen?
Für einen kurzen Moment nur, will ich all dem Trubel entfliehen, nicht aller zehn Minuten mein Handy checken oder mich für einen neuen Sportkurs oder Workshop zur allgemeinen Lebensverbesserung einschreiben. Ach, eigentlich will ich dafür nicht nur einen kleinen Moment Zeit haben, sondern einige, viele, langanhaltende Augenblicke genießen. Doch, was kann ich tun? Wie kann ich mich dem alltäglichen Wahnsinn entziehen? Vielleicht irgendwo hingehen? Gibt es irgendeinen Ort auf dieser Welt, an dem ich gerade lieber wäre?
Ich spule meine Kassette ganz oldschool zurück und besinne mich meiner einstigen Vorhaben und Ziele. Ich möchte reisen und dabei entschleunigen - einfach niemanden sehen oder mit unzähligen Leuten quatschen. Ich hätte Lust, endlich einen lang gehegten Traum zu verwirklichen. Und das mache ich jetzt auch! Ich packe meinen Trekking-Rucksack und begebe mich auf einen langen Hike von Frankreich über die Pyrenäen, quer durch Nordspanien bis hin nach Santiago de Compostela. Mit etwas Kleingeld in der Tasche haue ich einfach ab und zeige allen nervigen Verpflichtungen den Mittelfinger. Nun höre ich auf meine innere Stimme, um mich irgendwo im Nirgendwo frei zu entfalten. Soweit das überhaupt möglich ist, würde ich dabei gerne auf inhaltslosen Smalltalk verzichten und mich ganz nebenbei meiner heimlichen Leidenschaft, dem Schreiben, widmen. Ich weiß, dass sich seit vielen Jahrzehnten schon etliche Jakobspilger auf genau den selben Wanderweg begeben. Sei es, um mit vergangenen, schmerzhaften Erlebnissen abzuschließen oder um einfach nur der farbenfrohen Natur zu huldigen und der frischen Luft mit täglicher Bewegung zu frönen. Nun werde auch ich mich auf das Reiseabenteuer Jakobsweg begeben, um meine Komfortzone der eigenen vier Wände in Berlin - Prenzlauer Berg zu verlassen und mich Tag für Tag einer neuen Herausforderung zu stellen.
Gehen, manchmal laufen oder rennen, sinnieren, beobachten, auf mich wirken lassen, einfach lauschen - all das kann mir dieser fast achthundert-kilometer-lange Wanderweg, wie der Camino de Santiago de Compostela bieten. So nutze ich die Gunst der Stunde und mache mich auf. Gerade einmal achtundzwanzig Tage bleiben mir, um dieses Vorhaben durchzuziehen. Viel Zeit, um mir jedes nordspanische Städtchen in Ruhe anzusehen, bleibt mir dafür leider nicht. Ich will mich jedoch körperlich herausfordern und meine sportlichen Grenzen austesten und eventuell sogar überschreiten. Jetzt endlich, mit Anfang dreißig, nehme ich mir die Zeit und den Mut, diese hoffentlich wundervolle Reise anzutreten. Für eine kurze Weile in diesem Jahr gehört jeder Tag, jeder Gedanke, jede Begegnung nur mir allein. Jede Sekunde, jeden Eindruck und jeden einzelnen Moment werde ich aufsaugen, genießen und zelebrieren. Ich will erleben, wovon alle beim Camino de Santiago sprechen. Könnten auch mir außergewöhnliche Dinge passieren oder sogar Wunderliches widerfahren? Werde ich unvergessliche Erlebnisse oder außergewöhnliche Begegnungen haben, die mich verändern oder meine bisherige Denkweise beeinflussen? Wer weiß, ob es im Anschluss überhaupt einen einschlägigen Nachhall geben wird? Im Moment lässt sich noch nicht beurteilen, ob diese mehrwöchige Wandertour das überhaupt kann oder soll. Ob meine Gesinnung oder meine Wirkung auf andere sich mit diesem Trip ändern wird, zeigt sich hoffentlich in naher Zukunft.
Nun denn: Galoschen geputzt, Trinkfläschchen gefüllt und los geht's! Möge das Reiseabenteuer beginnen.