Читать книгу Aristoteles: Metaphysik, Nikomachische Ethik, Das Organon, Die Physik & Die Dichtkunst - Aristoteles - Страница 86
b) Unterschiede in den Befreundungsverhältnissen
ОглавлениеWie nun die Gründe der Zuneigung der Art nach verschieden sind, so sind es infolgedessen die Zuneigung und die Freundschaft selbst. Es gibt demnach drei Arten der Befreundung, ebenso viele wie Arten ihrer Gründe. Für jede dieser Arten gilt es, daß eine Erwiderung stattfindet, die nicht verborgen bleibt, und daß diejenigen, die einander befreundet sind, einander alles Gute wünschen, und zwar Gutes in dem Sinne der Gründe, die die Befreundung bewirken. Diejenigen, bei denen die freundschaftliche Verbindung durch den Vorteil gestiftet ist, hegen solche freundliche Gesinnung nicht um der Persönlichkeit willen, sondern um des Guten willen, das ihnen wechselseitig vom anderen zufließt. Das gleiche gilt von denen, deren Zuneigung in dem Streben nach Annehmlichkeit wurzelt. So liebt man die guten Gesellschafter nicht um ihrer Persönlichkeit willen, sondern wegen des Vergnügens, das sie bereiten. Diejenigen, deren Zuneigung ihren Grund im Vorteil findet, lieben den anderen um des eigenen Vorteils willen, und diejenigen, bei denen sie auf der Aussicht auf Annehmlichkeit beruht, lieben ihn um ihres Vergnügens willen, also nicht weil der, dem sie ihre Neigung zuwenden, diese Person ist, sondern sofern er Vorteil oder Vergnügen gewährt. Solche Zuneigung also gründet sich auf Nebenrücksichten. Nicht deswegen, weil er ist der er ist, wird derjenige dem man seine Neigung zuwendet zum Gegenstande der Neigung, sondern weil er in einem Falle Vorteil, im anderen Falle Vergnügen bereitet.
Solche Verhältnisse sind denn auch leicht lösbar, wenn die Menschen nicht die gleichen bleiben. Bereiten sie kein Vergnügen oder keinen Vorteil mehr, so erlischt die Zuneigung zu ihnen. Vorteil aber erhält sich nicht dauernd, sondern ist zu verschiedenen Zeiten verschieden. Schwindet nun der Grund, aus dem man befreundet war, so schwindet auch die freundschaftliche Gesinnung, weil sie durch jenen bedingt war. Solche Freundschaftsverhältnisse kommen am meisten bei Leuten im höheren Lebensalter vor, / denn diese sind nicht auf das Vergnügen, sondern auf den Vorteil gerichtet, / unter den Leuten in den besten Jahren aber und unter den Jünglingen findet man sie, wo die Rücksicht auf das Nützliche vorwaltet. In solchen Verhältnissen pflegen denn auch die Leute keine Lebensgemeinschaft miteinander; in vielen Fällen ist ihnen der Umgang nicht einmal angenehm; sie empfinden also auch kein Bedürfnis nach solchem Umgang, außer sofern jene sich hilfreich erweisen. Denn nur soweit sind sie willkommen, als sie die Aussicht auf einen Vorteil gewähren. Auf gleiche Linie stellt man dann auch das gastfreundliche Verhältnis zu Auswärtigen.
Dagegen beruht bei jungen Leuten die Zuneigung auf dem Triebe zu dem was ihnen Vergnügen bereitet. Denn die Jugend lebt ihren Gefühlen nach und hat am meisten im Auge was vergnüglich ist und was der Augenblick bietet. Nimmt die Zahl der Jahre zu, so andern sich auch die Dinge, an denen man Vergnügen findet. Deshalb wird in der Jugend Freundschaft schnell geschlossen und auch schnell wieder gelöst; denn die Freundschaft schwindet wie die Freude, und die Veränderung in dem was Freude macht geht schnell vonstatten. Junge Leute sind ferner zu sinnlicher Liebe geneigt; sinnliche Liebe aber ist meistenteils leidenschaftlicher Art, und ihr Streben geht auf Lust. So verliebt man sich denn schnell und hört auch schnell wieder auf, zuweilen so, daß man noch an demselben Tage in seiner Liebe wechselt. Verliebte aber möchten mit dem Gegenstand ihrer Neigung am liebsten den ganzen Tag zusammen sein und gemeinsam leben; denn das ist der besondere Charakter, den bei ihnen das Verhältnis der Zuneigung annimmt.
Die vollkommenste Zuneigung aber ist die, die Menschen von edler Art und gleicher sittlicher Gesinnung verbindet. Diese wünschen einander als Menschen von edler Gesinnung gleichmäßig alles Gute, und von edler Gesinnung zu sein macht ihr Wesen aus. Das aber bezeichnet die innigste Freundschaft, den Freunden alles Gute zu wünschen rein um ihrer selbst willen; denn da gilt die Zuneigung der Persönlichkeit selbst abgesehen von Nebenrücksichten. Zwischen ihnen bleibt darum die Freundschaft bestehen, solange sie edel gesinnt sind; sittliche Gesinnung aber ist beständig. Da ist jeder von beiden edel an und für sich und edel gegen den Freund; denn edle Menschen, solche, die edel sind von Wesen, sind auch einander hilfreich, und im selben Maße sind sie einander lieb. Edle Menschen sind an und für sich ein Gegenstand des Wohlgefallens und sind es gegenseitig für einander. Denn jeder Mensch hat Freude an seiner eigenen Art zu handeln und an einer die ihr gleicht; edel Gesinnte aber haben dieselbe oder eine ähnliche Art zu handeln. Es ist wohl verständlich, daß Freundschaft von dieser Art beständig ist; trifft doch bei ihr alles zusammen, was bei eng verbundenen Gemütern vorhanden sein soll. Alle Freundschaft hat zum Ziele ein Gut oder ein Gefühl der Befriedigung, entweder schlechthin oder für den Befreundeten, und das im Sinne einer gewissen Verwandtschaft des Wesens. Hier ist alles Genannte im Wesen der Persönlichkeiten bei einander; hier sind sie einander wesensverwandt und was sonst noch dazu gehört, und das Gute schlechthin ist auch das was schlechthin Befriedigung gewährt. Dies aber ist das Liebenswerteste, und so waltet denn zwischen solchen Menschen das Band der Zuneigung und Freundschaft am meisten und am innigsten. Natürlich finden sich solche Freundschaften selten, denn Menschen von dieser Art gibt es wenige. Es bedarf dafür ferner der Zeit und der Gewohnheit des Zusammenlebens; denn dem Sprichwort zufolge lernt man einander nicht eher kennen, als bis man das bekannte Maß Salz zusammen verzehrt hat. Man kann nicht früher Gefallen an einander finden oder befreundet sein, bevor jeder vom Werte des andern völlig überzeugt ist und sein volles Vertrauen erlangt hat. Diejenigen, die schnell ein freundschaftliches Verhältnis zueinander eingehen, möchten gern Freunde sein; sie sind es aber nicht, wenn sie nicht zugleich liebenswert sind und dies auch einer vom andern wissen. Denn der Wunsch, Freundschaft zu schließen, stellt sich schnell ein, die Freundschaft nicht.
Dies also ist die Freundschaft, die in bezug auf die Zeitdauer wie in allen anderen Beziehungen die vollkommenste ist; hier empfängt jeder vom anderen in jedem Sinne dasselbe und das gleiche, so wie es zwischen Freunden sein soll. Die Freundschaft, die Annehmlichkeit und Vergnügen zum Ziele hat, hat Ähnlichkeit mit dieser; denn Freude machen einander auch die Edelgesinnten. Das gleiche gilt von der Freundschaft, die der Vorteil stiftet; denn auch Vorteil gewähren einander die edlen Menschen. Auch dauerhaft sind Freundschaftsverhältnisse von dieser Art, wenn beide Teile sich gegenseitig dasselbe, etwa Vergnügen, gewähren, und nicht bloß dasselbe, sondern auch aus derselben Quelle, wie es z.B. in der Freundschaft zwischen unterhaltenden Leuten der Fall ist, nicht dagegen in der Zuneigung zwischen Liebhaber und Geliebtem. Denn diese letzteren haben ihre Freude nicht an demselben; sondern der eine hat sie am Anblick des andern, dieser aber an den ihm vom Liebhaber erwiesenen Aufmerksamkeiten. Hört nun die Jugend auf, so hört in manchen Fällen auch das Band der Neigung auf; dem einen macht der Anblick keine Freude mehr, dem andern werden keine Freundlichkeiten mehr erwiesen. Dagegen dauern auch wieder manche solche Verhältnisse fort, wenn man am anderen infolge der Gewohnheit des Zusammenlebens seine ganze Gemütsverfassung auf Grund der Charaktergleichheit lieb gewonnen hat. Ist aber, was man in Liebesverhältnissen austauscht, nicht Befriedigung des Gefühls, sondern Vorteil, so ist die Zuneigung weniger eng und dauerhaft. Freundschaftsbande, die der Vorteil knüpft, lösen sich zugleich mit dem Vorteil; denn befreundet war man ja nicht der Person, sondern dem Nutzen, den sie gewährte.
Um sinnlicher Befriedigung und um des Vorteils willen können auch geringwertige Menschen miteinander befreundet sein, ebenso treffliche mit geringwertigen, und solche, die keines von beiden sind mit Menschen von beliebiger Beschaffenheit; dagegen sind offenbar bloß die edlen Naturen schon durch ihre Persönlichkeit Freunde. Denn schlechte Menschen haben aneinander keine Freude, wo nicht ein Nutzen dabei herauskommt. Auch gegen Klatsch und Verhetzung ist nur die Freundschaft zwischen Edelgesinnten geschützt; denn nicht leicht glaubt man irgendeinem dritten, wo man selbst in langer Zeit jemand bewährt gefunden hat. Bei ihnen herrscht das gegenseitige Vertrauen, die Gewißheit, daß keiner dem andern Unrecht tun wird, und alles sonst, was als Kennzeichen wahrer Freundschaft gewürdigt wird. Dagegen hindert in anderen Freundschaftsverhältnissen nichts, daß sie auf diesem Wege auseinander gebracht werden. Denn wenn die Menschen von Freundschaft auch da reden, wo es nur den Vorteil gilt, wie bei den Staaten, / denn die Bündnisse zwischen Staaten werden augenscheinlich nur um des Vorteils willen geschlossen, / und da, wo man sich um des Vergnügens willen gern hat, wie die Kinder, so werden dementsprechend auch wir von Freundschaft in solchen Verhältnissen sprechen dürfen und dann mehrere Arten von Freundschaft annehmen müssen. In erster Reihe und in eigentlichem Sinne werden wir Freundschaft nennen diejenige, die zwischen Edelgesinnten als solchen besteht, und nur in analogem Sinne werden wir auch die anderen Verhältnisse mit diesem Namen bezeichnen. Freundschaft besteht bei diesen nur, sofern es sich dabei um ein Gut und etwas einem Gute Ähnliches handelt; gilt doch auch sinnliche Befriedigung bei denen, deren Neigung auf sie gerichtet ist, als ein Gut. Indessen dies beides kommt nicht leicht zusammen vor; es befreunden sich nicht dieselben Menschen zugleich um des Vorteils und der sinnlichen Befriedigung willen. Denn was nur zufälliger Nebenerfolg ist, findet sich nicht häufig zusammen ein.
Sind nun dies die Arten, in die das Freundschaftsverhältnis zerfällt, so wird den Grund der Befreundung zwischen geringwertigen Menschen die Aussicht auf das Angenehme oder auf den Vorteil bilden, da sie in dem Streben danach einander verwandt sind; edle Menschen aber werden schon durch ihre Persönlichkeit Freunde sein, einfach auf Grund ihrer edlen Gesinnung. Die letzteren sind demnach Freunde an und für sich, jene sind es nur beiläufig, und das Verhältnis zwischen ihnen zeigt zu jenem nur eine Analogie.
Wie man nun auf Grund ihrer sittlichen Beschaffenheit bei den einen vom Adel des Wesens, bei den anderen von rühmlicher Wirksamkeit spricht, so geschieht es auch auf Grund des Freundschaftsverhältnisses. Die einen genießen das Glück des Zusammenlebens und tun sich gegenseitig alles Gute an; die andern mögen im Schlaf oder bei räumlicher Trennung nicht füreinander tätig sein: sie sind doch gegeneinander so gesinnt, daß sie sich im Sinne der Freundschaft zu betätigen herzlich gern bereit wären. Räumliche Entfernung steht also nicht der Freundesgesinnung an und für sich, sondern nur ihrer Betätigung im Wege. Dauert die Entfernung längere Zeit, so sieht man allerdings wohl eine Abschwächung der Freundschaftsgesinnung eintreten. Darum heißt es:
»Freundschaft lockert sich oft, wo Austausch fehlt des Gespräches.«
Es läßt sich ferner beobachten, daß weder Leute in höheren Jahren noch verdrießliche Leute zur Freundschaft geneigt sind. Denn das Interesse am Angenehmen kommt bei ihnen zu kurz, und niemand bringt es fertig, immerfort mit solchem zu leben was Verdruß oder was auch nur kein Vergnügen bereitet. Denn die Natur treibt augenscheinlich dazu, zu meiden, was Verdruß, und zu begehren, was Vergnügen macht. Das Verhältnis zwischen Leuten, die aneinander ein Wohlgefallen haben, aber nicht zusammenleben, trägt mehr die Züge des Wohlwollens als die der Freundschaft. Denn nichts ist Freunden so eigen, als miteinander zu leben. Beistand begehren diejenigen, die dessen bedürftig sind, Beisammensein auch die, die mit allem versehen sind. Vereinsamt zu sein, sagt gerade den letzteren am wenigsten zu. Man kann aber nicht Tag für Tag zusammen sein, wenn einer dem anderen kein Vergnügen macht und beide nicht an denselben Dingen ihre Freude haben; denn dies bildet den Grundzug aller kameradschaftlichen Gemeinschaft.
Freundschaft im höchsten Sinne ist also, wie wir wiederholt gesagt haben, die zwischen Edelgesinnten. Denn Gegenstand der Liebe und des Begehrens ist das, was an und für sich, und für den einzelnen das, was für ihn gut und erfreulich ist; für den Edelgesinnten ist es aus beiden Gründen der Edelgesinnte. Die persönliche Zuneigung trägt zunächst den Charakter des Gefühls, die Freundschaft den einer befestigten Gesinnung. Denn Neigung empfindet man ebensosehr für leblose Dinge; dagegen ist Erwiderung der Neigung Sache des Willens, und der Wille stammt aus befestigter Gesinnung. Denen, die man liebt, wünscht man alles Gute um ihrer selbst willen, nicht aus einem bloßen Gefühle, sondern aus einer Gesinnung heraus, und wer den Freund liebt, liebt, was für ihn selbst ein Gut ist; denn der Edle, den man zum Freunde gewonnen hat, wird ein Gut für den, dessen Freund er ist. So liebt denn jeder von beiden das, was für ihn ein Gut ist, und vergilt gleiches mit gleichem durch den Wunsch, den er hegt, wie durch das Glück, das er bereitet. Freundschaft bezeichnet man als Gleichheit, und dies gilt am meisten von der Freundschaft zwischen Edelgesinnten.
Bei verdrießlichen und bei bejahrten Leuten kommen Freundschaftsverhältnisse desto weniger zustande, je übler ihre Laune ist und je weniger sie Freude am Umgang mit anderen haben. Denn solche Freude am Umgang ist freundschaftlicher Verbindung am meisten förderlich und geeignet, solche Verbindung zu stiften. Daher kommt es, daß junge Leute sich schnell befreunden, bejahrte Leute nicht; denn man schließt nicht Freundschaft mit solchen, an denen man keine Freude hat. Das gleiche gilt von den verdrießlichen Leuten; doch können solche ganz gut für einander Wohlwollen hegen. Sie wünschen einander Gutes und leisten Beistand wo es nottut; aber Freunde sind sie doch nicht eigentlich, weil sie weder dauernd zusammenleben, noch aneinander Freude haben, was für die Freundschaft das dringendste Erfordernis ist.
Mit vielen Freundschaft zu pflegen im Sinne der vollkommensten Freundschaft geht nicht wohl an, wie man ja auch nicht zu vielen zugleich in einem Liebesverhältnis stehen kann; denn solche Freundschaft hat die Art eines höchsten Grades, und dergleichen kann eigentlich nur einem gegenüber statt haben. Andererseits ist es nicht leicht der Fall, daß einem mehrere zugleich in hohem Grade lieb sind, und es ist auch das nicht leicht, vielen Edlen zu begegnen. Man muß überdies Erfahrung haben und in langem Umgange beisammen sein, und das ist sehr schwierig. Dagegen ist es, wo es bloß Vergnügen und Vorteil gilt, wohl möglich, vielen zu gefallen. Denn Leute, die dergleichen gewähren, kommen häufiger vor, und diese Art von Leistungen bedarf auch nicht langer Zeit. Unter diesen beiden Verhältnissen nun hat dasjenige, das in der Aussicht auf Vergnügen wurzelt, zur Freundschaft größere Verwandtschaft, falls beide Teile einander wechselseitig das gleiche Vergnügen bereiten und es auch dieselben Dinge sind, durch die sie einander Freude machen.
Von dieser Art sind die Jugendfreundschaften. Bei ihnen kommt mehr eine ideale Gesinnung zum Ausdruck; Freundschaft, die der Vorteil stiftet, zeugt dagegen von Krämersinn. Wohlversehene Leute haben kein Bedürfnis nach solchen, die Vorteil, sondern nach solchen, die Vergnügen verheißen. Denn sie wünschen sich Gesellschaft; aber was verdrießlich stimmt, erträgt man wohl einige Zeit; auf die Dauer dagegen hält das kein Mensch aus, und wenn es auch die Idee des Guten selber wäre, die einen ärgert. Darum suchen sie sich lieber Freunde, die ihnen angenehme Empfindungen erwecken. Solche müssen natürlich mit dieser Eigenschaft auch eine edle Gesinnung verbinden und sich ihnen so bewähren; so erst werden sie alle Eigenschaften haben, die man bei Freunden sucht.
Leute in Macht- und Herrscherstellung sieht man zwischen Freunden und Freunden unterscheiden. Die einen sind ihnen brauchbar, die andere Klasse dient ihnen zur Unterhaltung; daß beides zusammenfällt, kommt nicht leicht vor. Sie suchen nach Leuten zu ihrer Ergetzung, / diese aber brauchen nicht solche von sittlicher Gesinnung zu sein, / und nach brauchbaren Leuten, / diese aber müssen nicht gerade zu edlen Zwecken dienen; sondern insofern sie es auf Ergetzung absehen, suchen sie unterhaltende geistreiche Leute, und andererseits solche, die gewandt sind, ein aufgetragenes Geschäft auszuführen; dies beides aber trifft nicht leicht in derselben Persönlichkeit zusammen.
Freude und Vorteil zugleich, haben wir gesagt, gewährt ein Mensch von ernstem sittlichen Charakter. Leider nur gewinnt sich der Mensch in überragender Stellung solche Leute nicht zu Freunden, wenn er sie nicht auch in sittlicher Gesinnung überragt. Ist das nicht der Fall, so ist zwischen dem Mann von edler Gesinnung und dem Manne von überragender Macht keine Gleichheit hergestellt; denn dazu müßte das Übergewicht an Macht dem Übergewicht an edlen Eigenschaften entsprechen. Es ist aber nicht gerade die Regel, daß Machthaber solche Charakterzüge an sich tragen.
Die Freundschaftsverhältnisse, von denen wir bisher gesprochen haben, beruhen auf Gleichheit. Beide Teile leisten und wünschen einander eins und dasselbe, oder sie tauschen miteinander das eine für das andere aus, etwa gewahrtes Vergnügen gegen empfangenen Vorteil. Daß diese letzteren Arten der Befreundung weniger eng und dauerhaft sind, haben wir bereits dargelegt. Man darf sagen: wegen der Ähnlichkeit und der Unähnlichkeit, die sie mit der wahren Freundschaft haben, sind sie einerseits Freundschaftsverhältnisse, und andererseits sind sie es wieder nicht. Auf Grund ihrer Ähnlichkeit mit der auf sittlicher Gesinnung beruhenden Freundschaft stellen sie sich als Freundschaftsverhältnisse dar; das eine Mal gewähren sie Ergetzung, das andere Mal Vorteil, wie ja beides auch bei jener der Fall ist. Dadurch aber daß die eine Art nicht durch Verhetzung trennbar und daß sie dauerhaft ist, diese letzteren aber schnell vergehen, und auch sonst durch eine Menge von Unterschieden, zeigen sie, daß sie doch keine rechten Freundschaftsverhältnisse sind, und zwar um der Unähnlichkeit willen, die zwischen ihnen und jenen obwaltet.
Nun gibt es aber weiter eine zweite Art von Verhältnissen der Befreundung, die sich durch die Überlegenheit des einen Teils über den anderen kennzeichnet; das ist der Fall zwischen Vater und Sohn und überhaupt zwischen dem Älteren und Jüngeren, zwischen Mann und Weib, und allgemein zwischen dem Herrschenden und dem Untergebenen. Auch in diesen Verhältnissen muß man aber noch weiter unterscheiden.
Es ist nicht dasselbe Verhältnis, das zwischen Eltern und Kindern, und das zwischen Herrschenden und Untergebenen; aber es ist auch das Verhältnis vom Vater zum Sohn nicht dasselbe wie das des Sohnes zum Vater, das Verhältnis des Mannes zum Weibe nicht dasselbe wie das des Weibes zum Manne. Denn bei jeder von dieser Persönlichkeiten ist die sittliche Beschaffenheit und Aufgabe eine andere, und eine andere auch der Grund der Zuneigung, und danach gestalten sich denn auch die Gefühle der Zuneigung und das Band zwischen ihnen anders. Es empfängt daher nicht jeder vom andern dasselbe, noch darf er es verlangen. Wenn die Kinder den Eltern erweisen was den Erzeugern gebührt, und die Eltern den Kindern was den Kindern gebührt, so ist die Zuneigung in diesem Verhältnis dauerhaft und rechtschaffen. Ähnlich muß sich auch in allen Verhältnissen der Befreundung, die auf der Überlegenheit des einen Teils beruhen, das Gefühl der Zuneigung gestalten. So muß der höher Stehende mehr Freundlichkeit empfangen als gewähren; das gleiche gilt für den der den größeren Beistand gewährt, und ebenso für jeden, der irgendwie der Überlegene ist. Wo nämlich das Gefühl der Zuneigung sich nach der Würdigkeit richtet, da stellt sich gewissermaßen eine Gleichheit her, und in dieser erblickt man allgemein den Grundzug der Befreundung.
Indessen, unter Gleichheit ist offenbar in Rechtsverhältnissen nicht ganz dasselbe zu verstehen wie in Freundschaftsverhältnissen. In Rechtsverhältnissen bedeutet das gleiche in erster Linie das was nach der Würdigkeit bemessen ist, und erst in zweiter Linie einfache Gleichheit der Größe nach; im Freundschaftsverhältnis steht umgekehrt das der Größe nach gleiche voran, und die Abmessung nach der Würdigkeit kommt erst in zweiter Reihe. Das tritt klar hervor, wenn der Abstand in sittlichem oder unsittlichem Charakter, in Wohlstand oder sonst etwas anderem beträchtlich wird. Dann sind die so Verschiedenen gar nicht mehr Freunde, noch verlangen sie es zu sein. Am augenscheinlichsten wird dies den Göttern gegenüber; denn diese sind durch jede Art von Gütern über allen Vergleich erhaben. Man sieht es aber auch bei den Königen; denn Menschen, die in weit geringerer Stellung sind, lassen gar nicht den Gedanken in sich aufkommen, ihre Freunde sein zu wollen, ebensowenig wie die ihres Unwertes sich Bewußten daran denken, Freunde der Edelsten und geistig Höchststehenden zu werden. Es gibt für diese Dinge keine exakte Grenze, bis an die noch von Freunden geredet werden kann. Man kann auf der einen Seite viel abziehen, und es kann immer noch Freundschaft bestehen; nicht aber, wenn die Kluft allzuweit wird, wie die zwischen Mensch und Gott. Daher das Bedenken, ob wohl Freunde den Freunden wirklich die größten Güter gönnen, z.B. das, Götter zu sein. Denn dann würden sie selbst nicht mehr ihre Freunde sein, also auch nicht mehr für sie einen wertvollen Besitz bedeuten; denn Freunde sind ein wertvoller Besitz. Ist nun der Satz richtig, daß der Freund dem Freunde alles Gute um seiner selbst willen wünscht, so wäre demnach erforderlich, daß dieser bleibe was er ist, und ihm als Menschen wird der Freund die größten Güter wünschen. Allerdings nicht alle; denn jeder Mensch wünscht an erster Stelle alles Gute sich selbst.
Wenn die meisten Menschen wünschen, Beweise freundlicher Gesinnung mehr entgegenzunehmen als solche zu gewähren, so nimmt man an, daß es Ehrsucht ist, was sie dazu treibt. Darum haben die meisten die Schmeichler gern. Denn der Schmeichler ist ein gutmeinender Mensch, der sich unterordnet, oder er gibt sich wenigstens so, und nimmt die Miene an, als ob er mehr Freundlichkeit zu erweisen als zu empfangen wünschte. Solche Beweise von Zuneigung zu empfangen macht beinahe denselben Eindruck, wie Beweise der Ehrerbietung zu empfangen, und das ist es gerade worauf die meisten sich spitzen. Indessen möchte man annehmen, als strebten die Menschen nach solcher Ehre nicht um dieser selbst, sondern um dessen willen was daran hängt. Wenn die meisten durch Auszeichnung, die ihnen von den Mächtigen widerfährt, beglückt sind, so ist der Grund die dadurch eröffnete Aussicht; sie meinen nämlich durch jene erlangen zu können was ihnen not tut, und freuen sich an der Auszeichnung als an einem Vorzeichen künftigen Wohlergehens. Diejenigen aber, die von charaktervollen und durch Geist hervorragenden Männern ausgezeichnet zu werden wünschen, sind von der Begierde beseelt, die eigene Meinung die sie von sich hegen durch jene sichergestellt zu sehen. Sie erwärmen sich also an dem Gedanken, Männer von Verdienst zu sein und sich auf das Urteil derjenigen die sie dafür erklären stützen zu können. Dagegen Beweise von freundlicher Gesinnung zu empfangen macht an und für sich Freude. Deshalb sollte man diese für wertvoller halten als erfahrene Auszeichnung, und freundschaftliche Zuneigung sollte um ihrer selbst willen für begehrenswert gelten.
Eigentlich aber liegt der Wert derselben doch mehr in der Liebe die man erweist, als in der die man erfährt. Einen Beweis dafür liefert das Mutterglück; dies besteht im Erweisen von Liebe. Es kommt vor, daß Mütter ihren Kindern die Nahrung von anderen reichen lassen und sie mit ausdrücklichem Bewußt sein lieb haben, ohne Gegenliebe zu verlangen, wenn beides nicht zusammen sein kann; sie sind ganz zufrieden, wenn sie nur sehen, daß es ihren Kindern gut geht, und sie haben sie lieb, auch wenn diese, weil sie ihre Mutter gar nicht kennen, ihr nichts von dem erweisen was einer Mutter zukommt. Ist aber bei dem Bande das die Menschen verbindet die Hauptsache die Liebe, die man erweist, und gewinnen sich diejenigen Beifall, die ihren Freunden Liebe erweisen, so darf man Liebeserweis als die Tugend des Freundes bezeichnen, und die Folge ist, daß wo solche Liebe in Hinblick auf den hohen Wert der Persönlichkeit erwiesen wird, die Freunde beständig sind und ihre Freundschaft festgefügt ist.
Auf diese Weise kann noch am ehesten Freundschaft ohne Gleichheit bestehen; denn so findet leicht eine Ausgleichung statt. Gleichheit und Ähnlichkeit aber macht Freundschaft, und am meisten die Ähnlichkeit der von sittlichem Streben Erfüllten. Diese bleiben, wie sie an und für sich beständig sind, auch einander treu; sie bedürfen nicht der Menschen von niederer Art, noch leisten sie sich gegenseitig bedenkliche Dienste, sondern eher noch darf man sagen, sie weisen sie ab. Denn das ist die Art edelgesinnter Gemüter, weder selbst falsche Wege zu gehen, noch es den Freunden zu gestatten. Auf charakterlose Menschen ist kein Verlaß. Sie bleiben nicht einmal sich selber treu und gleichförmig; nur für kurze Zeit befreunden sie sich, und nur für kurze Zeit ist dem einen die niedrige Gesinnung des andern willkommen. Demgegenüber sind diejenigen, die einander Nutzen oder Unterhaltung gewähren, immer noch beharrlicher; denn sie halten zusammen, solange sie einander Unterhaltung oder Vorteil gewähren.
Freundschaft, bei der es sich um den Vorteil handelt, möchte am ehesten zwischen solchen Menschen zustande kommen, die in entgegengesetzter Lage sich befinden, so zwischen einem Armen und einem Reichen, einem Ungebildeten und einem geistig Hochstehenden. Wer in die Lage gerät, etwas zu bedürfen, der sucht es zu erlangen dadurch, daß er dafür eine Gegenleistung gewährt. Hierfür darf man auch den Liebhaber und den Geliebten, den Schönen und den Häßlichen heranziehen. Liebhaber machen darum bisweilen einen lächerlichen Eindruck, wenn sie verlangen, ebenso heiß geliebt zu werden, wie sie lieben; da wäre doch wohl zu fordern, daß sie auch ebenso liebenswert seien, und haben sie von dieser Eigenschaft nichts an sich, so wird ihr Verlangen lächerlich. Im allgemeinen gilt der Satz, daß wenn Entgegengesetztes einander zustrebt, dies nicht an der Sache selbst, sondern an besonderen Umständen liegt. Das Streben geht auf das Mittlere zwischen den Gegensätzen; denn dieses Mittlere bezeichnet das Gute. So ist es für das Dürre gut, nicht daß es naß werde, sondern daß es in den mittleren Zustand gelange, und das gleiche gilt auch für das Warme und so fort. Indessen, darauf wollen wir uns hier nicht weiter einlassen; es liegt von unserm Gegenstande zu weit ab.