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Einleitung: Fake News Ein Fallbeispiel aus eigener Erfahrung

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Einleitung: Fake News Ein Fallbeispiel aus eigener Erfahrung

Wir geben es zu: Bei der Vorbereitung dieses Buchs sind wir einer Falschmeldung aufgesessen. Ja, wir selbst sind auf Fake News hereingefallen; wir haben geglaubt und glauben wollen, was so schön in unser Konzept von einem Handbuch zu Fake News gepasst hätte:

«Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen halten Nachrichten, die sie bei Facebook lesen, für grundsätzlich seriös und glaubwürdig – Qualitätsmedien wie die Webseite von ‹Spiegel Online› dagegen schneiden schlechter ab: weniger als 30 Prozent der Teenager vertrauen diesen Plattformen bei ihrer Informationsbeschaffung. Das hat eine Studie von Wissenschaftlern aus Dresden ergeben.»

Klingt gut, oder? Das klingt sogar ein bisschen zu gut: Die Studie gibt es tatsächlich, «Mediennutzung und Medienkompetenz jugendlicher Migranten in Sachsen (JuMiS)» heißt sie und wurde unter anderem erstellt von Lutz Hagen, Professor und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaften (IfK) an der TU Dresden.[1] Am 26. September 2016 stellte er diese damals schon zwei Jahre alte Untersuchung zusammen mit aktuellen Forschungsergebnissen beim Kongress des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger in Berlin vor. Was allerdings nicht stimmt, ist die Berichterstattung, dass Jugendliche in Sachsen Facebook für glaubwürdiger halten als «Spiegel Online». Trotzdem machte diese Nachricht schnell die Runde, wurde in Social-Media-Kanälen genauso verbreitet wie bei seriösen Medien. So berichtete etwa Jan Böhmermann in seinem «Neo Magazin Royal» vom 29. 9. 2016[2], Facebook sei für junge Sachsen das glaubwürdigste Medium.

Das sei eine glatte «Fehlinterpretation einer Präsentationsfolie»[3], stellte Lutz Hagen kurz darauf per Pressemitteilung richtig. Die von ihm verwendeten Informationen seien «in den sozialen Netzwerken mit falscher Interpretation rasch verbreitet worden». Tatsächlich, betont der Medienwissenschaftler, würden die von ihm befragten über 2 100 Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund im Fall einer widersprüchlichen Berichterstattung – etwa zu einem Unglück, einem Anschlag oder einer Naturkatastrophe – mehrheitlich klassischen Medien Vertrauen schenken. Demgegenüber rangieren Nachrichtenangebote aus Onlinemedien «in puncto Glaubwürdigkeit sogar hinter Rundfunk und Print». Ein Befund also, der genau das Gegenteil aussagt von dem, was zuvor als vermeintliches Forschungsergebnis verbreitet wurde – und worauf auch wir zunächst hereingefallen sind.

Doch wie konnte es zu dieser Falschmeldung, zu dieser Fake News kommen? Der Wissenschaftler war in seinem Vortrag vor den Mitgliedern des BDZV der Frage nachgegangen, inwiefern Jugendliche noch über eine Kultur der Nachrichtenkompetenz verfügen – wie gut sie also in der Lage sind, Nachrichtenangebote im Hinblick auf ihre Qualität und Seriosität einzuschätzen. Diese Leitfrage steht auch über seinen Arbeiten im Rahmen des Forschungsprojekts «Vermittlung von Nachrichtenkompetenz durch die Schule», dessen Ergebnisse Lutz Hagen beim BDZV-Kongress präsentierte. Und dabei griff er unter anderem auch auf Ergebnistabellen der 2014 erschienenen JuMiS-Studie zurück. Eine der benutzten Folien wurde zum Ausgangspunkt der Falschmeldung.

Beim schnellen Blick auf die Tabelle kann möglicherweise tatsächlich der Eindruck entstehen, dass 83,3 Prozent der befragten Jugendlichen dem sozialen Netzwerk Facebook vertrauen, der ARD aber nur 31 Prozent und «Spiegel Online» sogar nur 21 Prozent. Aber: «Diese Interpretation ist falsch», sagt Lutz Hagen. Den Jugendlichen wurde nämlich die folgende Frage gestellt:

«Stell dir einmal vor, auf der Welt ist eine schlimme Naturkatastrophe passiert. Die Berichte in den Medien unterscheiden sich aber, so dass Du nicht weißt, was wirklich passiert ist. Welchem Medium würdest Du dabei am ehesten vertrauen? Du kannst maximal zwei Medien ankreuzen! Bitte notiere auch, an welchen Sender, welche Zeitung oder welche Internetseite Du dabei genau gedacht hast. Du kannst deutsche und fremdsprachige Medien nennen!»

Alle Jugendlichen Ohne Migrationshintergrund Mit Migrationshintergrund
Fernsehen
ARD (Tagesschau, Tagesthemen, Brisant) 31,0 32,5 22,3
RTL (RTL aktuell, Punkt 12, Punkt 6, RTL Exklusiv) 23,5 23,4 23,6
n-tv 6,7 5,6 12,2
RTL II (RTL II News) 5,6 6,1 2,7
ZDF (heute, heute journal, hallo deutschland) 4,9 4,7 6,1
BasisTV (n) 963 815 148
Zeitung
Sächsische Zeitung 31,7 32,1 28,4
Leipziger Volkszeitung 25,3 25,6 23,0
Bild Zeitung 8,6 8,2 10,8
Dresdner Morgenpost 8,2 8,0 9,5
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) 5,2 5,4 4,1
BasisZeitung (n) 597 523 74
Radio
Energy Sachsen 23,1 22,5 27,9
MDR Jump 19,1 19,5 16,3
Radio PSR 11,4 11,1 14,0
MDR Info 7,7 7,2 11,6
Hitradio RTL 7,7 8,4 2,3
BasisRadio (n) 376 333 43
Onlinenachrichtenseiten
Spiegel Online 21,0 23,4 11,9
ARD online/tagesschau.de 7,7 9,6 0,0
Sat1.de 4,3 4,2 4,8
Rtl.de 4,3 4,8 2,4
Rtl2.de 3,8 4,8 0,0
BasisOnlinenachrichten (n) 209 167 42
Soziale Netzwerke
Facebook 83,3 85,4 78,4
BasisSoziale Netzwerke (n) 181 130 51

Abbildung 1: Vertrauen in die Medien konkret: TOP 5 (Offene Nennungen, in Prozent, Basis: Befragte, die die jeweilige Medienkategorie angekreuzt haben; Quelle: Hagen et. al. 2014, S. 217)

Als Antwort standen zur Verfügung:

–Gedruckte Tages- und Wochenzeitungen

–Online-Nachrichtenseiten

–Fernsehen

–Weblogs

–Soziale Netzwerke

–Nachrichtenmeldungen in Deinem Webportal

–Radio

–Den Medien vertraue ich gar nicht

Tatsächlich kreuzten nur 8,8 Prozent der sächsischen Schüler «Online-Nachrichtenseiten» als Antwort an und sogar nur 7,1 Prozent benannten «soziale Netzwerke» als vertrauenswürdigstes Medium. Innerhalb derer allerdings, die sich für diese Kategorie entschieden hatten, «war Facebook mit 83,3 Prozent das mit Abstand am häufigsten genannte Medienangebot, in der Kategorie Online-Nachrichtenseiten war dies mit 21 Prozent «Spiegel Online», sagt Lutz Hagen. Dass sich die 83,3-Prozent-Angabe bei Facebook eben nur auf die 181 Jugendlichen bezieht, die zuvor die Kategorie «soziale Netzwerke» angekreuzt hatten, ist zwar unter der Tabelle vermerkt, wurde aber bei der Fehlinterpretation der Ergebnisse – absichtlich oder unabsichtlich – übersehen. Lutz Hagen erklärt: «Die meisten Jugendlichen aus Sachsen, und zwar 36 Prozent, würden im Zweifelsfall am ehesten der Fernsehberichterstattung Glauben schenken. Am häufigsten – nämlich in jedem dritten Fall – werden dabei Angebote der ARD genannt. 20 Prozent der Befragten halten die gedruckte Tages- oder Wochenzeitung für das vertrauenswürdigste Medium.» Abbildung 2 macht diese Gewichtung deutlich.

Alle Jugendlichen Ohne Migrationshintergrund Mit Migrationshintergrund
Fernsehen 35,9 35,8 36,3
Gedruckte Tageszeitung/Wochenzeitung 21,6 22,6 17,0
Radio 15,4 16,5 10,3
Onlinenachrichtenseiten 8,8 8,2 11,5
Soziale Netzwerke 7,1 6,2 11,3
Nachrichtenmeldungen im Webportal 2,1 1,9 2,9
Webblogs 1,2 1,2 1,5
Medien vertraue ich gar nicht 7,8 7,5 9,1
Basis (n; Anzahl gegebener Antworten) 3.207 2.625 582

Abbildung 2: Vertrauen in die Medien allgemein (Basis: Alle befragten Jugendlichen, in Prozent; Quelle: Hagen et al. 2014, S. 214)

Was also lernen wir aus dieser Geschichte rund um die vermeintliche Facebook-Gläubigkeit von Jugendlichen?

–Wir alle sind anfällig für Fake News – vor allem dann, wenn die vermeintliche Nachricht unsere Vorurteile, Erwartungen und Weltbilder bestätigt.

–Der Verweis auf «Studien» oder einen wissenschaftlichen Hintergrund ist kein Beleg für die Seriosität einer Nachricht.

–Die Überprüfung von Nachrichten ist mit Hilfe eines geeigneten Instrumentariums möglich, diese Recherche kostet aber Zeit – und man muss wissen, lernen und üben, wie man selbst eine solche Überprüfung vornehmen kann.

–Jugendliche haben mehrheitlich ein Bewusstsein dafür, wo seriöse Nachrichten zu finden sind – aber es ist und bleibt Aufgabe der Erziehung und damit auch des Unterrichts, diese Medien- und Nachrichtenkompetenz zu stärken und auszubauen.

Wir denken, dass dieses Beispiel gut zeigt, warum es notwendig ist, den Umgang mit Fake News und die Entwicklung von Nachrichtenkompetenz als wichtige und in unserem zunehmend digitalisierten Alltag unverzichtbare Aufgabe von Schule und Unterricht zu begreifen. Dieses Handbuch soll dafür Ideen und Anregungen liefern – auf theoretischer und unterrichtspraktischer Ebene gleichermaßen.

Köln und Oldenburg, im April 2018

Julia Egbers

Armin Himmelrath

Fake News

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