Читать книгу Im siebten Himmel ist ruh - Arna Aley - Страница 4
ОглавлениеDie ärmliche aber saubere Wohnküche eines Holzhauses in einer abgelegenen Ortschaft. Auf der linken Seite ist die Tür zum Vorzimmer zu sehen, auf der rechten Seite befinden sich zwei Türen: Die hintere Tür führt in das Gästezimmer, die vordere Tür bleibt bis auf weiteres verschlossen.
CELINE
(aus dem Off) Was sagten Sie?
CLAUDIA
Auf dem glatten Boden lässt er sich gut rollen.
CELINE
(erscheint in der Gästezimmertür) Wer?
CLAUDIA
Der Koffer.
CELINE
Ach so. Ich habe nur nachgeschaut, ob ich genug saubere Bettwäsche habe, sonst hätte ich welche von Oma Franzi geholt. Sie geht aber sehr früh ins Bett, Oma Franzi, sie spart Strom. Sobald es dunkel wird, geht sie ins Bett. Sie ist auch schon uralt.
CLAUDIA
(lacht) Oma Franzi.
CELINE
Roberto hat sie so genannt. Roberto ist mein Sohn. Er sollte gleich nach Hause kommen. Sie werden sehen: großer Junge. Mich hat er schon längst überholt, um zwei Köpfe. Zwei Köpfe größer als ich – aber sehr hilfsbereit.Wie Oma Franzi sagt: goldenes Kind. Er ist aber kein Kind mehr. Es ist schon unheimlich, wie die Zeit vergeht. Was wollte ich noch gerade machen? Ach so, die Bettwäsche habe ich, die brauche ich nicht zu holen, was noch? Setzen Sie sich.
CLAUDIA
Danke.
CELINE
Warten Sie, ich wische den Stuhl ab, nur so zur Sicherheit. Es ist schon sauber hier, Sie müssen überhaupt kein Bedenken haben, aber -
CLAUDIA
Ich habe kein Bedenken, lassen Sie das.
CELINE
Ich wische lieber ab. Oma Franzi hat einen Wellensittich, oh, (an den Käfig gerichtet) tut mir Leid, Franzi, Entschuldigung. (zu Claudia) Das ist ein Nymphensittich. (an den Käfig gerichtet) Entschuldigung, Franzi. (zu Claudia) Selbst möchte man auch nicht Dinosaurier genannt werden, oder?
(Claudia prustet.)
Warum lachen Sie?
CLAUDIA
(lacht) Oma Franzi.
CELINE
Deswegen heißt sie auch Oma Franzi, weil der Nymphensittich Franzi heißt. Er ist aus Deutschland. Sie kommen doch auch aus Deutschland, oder?
CLAUDIA
(prustet) Ich bin aber kein Nymphensittich.
CELINE
Ist das nicht ein deutscher Name „Franzi“?
CLAUDIA
Vielleicht ein Papageienname, keine Ahnung.
CELINE
Das ist ein Nymphensittich. Oma Franzi gönnt ihm ab und zu Auslauf im Freien, natürlich nicht draußen, sonst würde er abhauen, hier in unserer Wohnküche. Der liebe Franzi hinterlässt manchmal böse Überraschungen. Ich wische immer den Stuhl lieber ab, bevor ich mich hinsetze. Was ist daran so lustig?
CLAUDIA
Ich weiß es nicht.
CELINE
Den Namen gibt es bei uns nicht. Er klingt schon lustig: Franzi.
(Claudia prustet.)
Bedeutet der Name für Sie was, dass Sie so lachen müssen?
CLAUDIA
(lacht) Nein.
CELINE
Was ist denn?
CLAUDIA
Ich weiß nicht, wo ich den Koffer ablegen kann. (prustet) Ich stehe so bescheuert hier rum, (prustet) als ob ich mich an dem Koffer festhalten würde, (prustet) damit ich nicht umkippe oder was?
CELINE
Stellen Sie ihn ab. Ich weiß es nicht, möchten Sie, dass ich Ihnen das Gästezimmer zeige?
CLAUDIA
Nein. (prustet) Ich stelle ihn irgendwo hier ab.
CELINE
Ja, dort in der Ecke. Stellen Sie ihn dort in der Ecke ab, dann stolpert keiner über ihn. Oder – Warten Sie – Besser dort, an der Wand. Lehnen Sie ihn dort an die Wand an.
CLAUDIA
Er muss nicht angelehnt werden, er steht von selbst. (prustet)
CELINE
Dann stellen Sie ihn an der Wand ab.
CLAUDIA
Oder doch besser in der Ecke? Was war das Argument (prustet)
CELINE
Was?
CLAUDIA
Was war das Argument für die Ecke?
CELINE
Dass keiner über den Koffer stolpert, aber –
CLAUDIA
Ist doch gut.
CELINE
Aber in der Ecke versammeln sich die Staubfusseln so schnell. Ich habe zwar heute Morgen geputzt – Stellen Sie den Koffer an der Wand ab, dann habe ich ein ruhigeres Gewissen.
CLAUDIA
Wegen den Staubfusseln? (prustet)
CELINE
Wegen dem Foto.
CLAUDIA
Welchem Foto?
CELINE
Vielleicht sollte ich es wieder aufhängen, solange Roberto nicht gesehen hat, dass ich es abgehängt habe. Es wird ihm bestimmt sofort auffallen, dass das Foto da nicht mehr hängt. Und dann wird er sich sicherlich fragen, warum ich das Foto seines Vaters abgehängt habe, wo es doch seit zwanzig Jahren, genauer gesagt, seit achtzehn Jahren an der Stelle gehangen hat. Mir wird er nichts sagen, Roberto redet soundso wenig, nur das Wichtigste aber er denkt viel nach.
CLAUDIA
Roberto ist schon so ein kleiner Philosoph. (Pause)Ich meine –
CELINE
Klein ist er nicht. Er ist zwei Köpfe größer als ich.
CLAUDIA
Ich meine, wenn einer viel denkt und wenig redet, das hat schon was Philosophisches – (prustet)
CELINE
Warten Sie, ich helfe Ihnen mit dem Koffer.
CLAUDIA
Ich glaube, das kommt von der Übermüdung.
CELINE
Dass ich das Foto abgehängt habe?
CLAUDIA
(prustet) Nein, ich meine, dass ich ständig lachen muss. Das Lachen kommt von der Übermüdung.
CELINE
(deutet auf den Koffer) Schöne Farbe.
CLAUDIA
Ja, ich mag türkis auch gerne.
CELINE
Türkis?
CLAUDIA
Das ist türkis.
Pause.
CELINE
(verträumt) Mittelblaugrün. (Pause) Haben Sie schon einmal einen Italiener getroffen, der mittelblaugrüne Augen hat?
CLAUDIA
Einen Italiener?
CELINE
(stolz) Der Vater von Roberto ist ein Italiener.
CLAUDIA
Trägt er Farblinsen? (prustet) Entschuldigung.
CELINE
Der Koffer ist ganz schön schwer. Ich wüsste nicht, womit ich so einen Riesenkoffer voll kriegen könnte.
CLAUDIA
Ich bin schon seit einigen Wochen unterwegs. (versucht das Lachen zu unterdrücken) Und das Klima wechselt von Land zu Land. In Deutschland war es um einiges kälter als in Frankreich. Und hier – Ihr habt hier sogar Schnee.
CELINE
Wir haben hier viel Schnee. Haben Sie noch nie Schnee gesehen?
CLAUDIA
(prustet) Natürlich habe ich Schnee gesehen, aber – Ich meine, nicht in diesem Jahr.
CELINE
Es ist auch bei uns nicht jedes Jahr so, dass es so früh im Winter schneit. Und wenn man so will, ist eigentlich noch Herbst. Jetzt ist doch erst Mitte November, oder?
CLAUDIA
Der siebzehnte November.
CELINE
(atmet laut aus, betrachtet die Stelle, an der das Foto gehangen hat, nickt nachdenklich mit dem Kopf) Der siebzehnte November.
CLAUDIA
Man kann die Stelle erkennen, wo das Foto gehangen hat.
CELINE
Soll ich es zurückhängen? Wo bleibt Roberto so lange? Ich glaube, es ist besser, ich hänge das Foto zurück.
CLAUDIA
Ich weiß es nicht.
CELINE
Doch, ich hänge es zurück. (will raus, um das Foto zu holen)
CLAUDIA
Tragen Sie auch sein Foto in ihrem Portemonnaie? Hinter der Klarsichtfolie?
CELINE
(zögert) Nein.
CLAUDIA
Ich finde es immer so unangenehm, wenn Frauen an der Supermarktkasse ihre Portemonnaies aufmachen, und man wird gezwungen, auch wenn man es überhaupt nicht möchte, deren ganzen Haufen Elend mitzuerleben: den harmlosen Ehemann, die vernünftigen Kinder, die süßen Enkelkinder, den schlauen Hund, die kuschelige Katze. Auch wenn das nur eine Minute lang, nur eine halbe Minute lang dauert, fühle ich mich für den Rest des Tages missbraucht.
CELINE
Ich hole das Foto.
CLAUDIA
Lassen Sie das mit dem Foto, hängen sie es nicht zurück, wenn sie es schon einmal abgehängt haben.
CELINE
Aber das ist doch was völlig anderes –
CLAUDIA
Die kleinen Fotos hinter der Klarsichtfolie, die man seit zwanzig Jahren mit sich rumträgt, nimmt man genauso wenig wahr wie auch ein Porträtfoto, das zwanzig Jahre an der Wand in der Wohnküche hängt.
CELINE
Um genauer zu sein, seit achtzehn Jahren. Vor achtzehn Jahren habe ich das Foto an dieser Stelle aufgehängt, seitdem habe ich Robertos Vater nicht mehr gesehen.
CLAUDIA
Für einen selbst ist es völlig egal, ob das Foto an der Wand hängt oder nicht, weil man es nicht wahrnimmt. Schon nach einem Jahr, nach einem Monat, nach einer Woche nimmt man es nicht mehr wahr. Man hängt das Foto an die Wand oder man steckt es hinter die Klarsichtfolie, damit die anderen das sehen. Man hofft, dass die anderen sich dafür interessieren werden. Aber die anderen interessieren sich nicht dafür, weil sie die eigenen Ehemänner, Katzen und Enkelkinder hinter die Klarsichtfolie ihres Portemonnaies gesteckt haben und sie genauso seit zwanzig Jahren nicht mehr wahrnehmen. Man ist im Grunde sowieso immer allein. Ob meine Mutter mich im Personalausweis-Foto-Format mit einem freien Ohr hinter der Klarsichtfolie ihres Portemonnaies mit sich rumträgt oder nicht: Was macht das für mich für einen Unterschied? Was bringt mir das, dass der nächste Kunde, der in der Schlange eines Supermarktes hinter meiner Mutter steht, mein freies Ohr sieht? Ich stehe hier sowieso mutterseelenallein!
CELINE
Leiden Sie unter Depressionen?
CLAUDIA
Ich glaube, ich bin einfach müde.
CELINE
Sie sollten sich untersuchen lassen, ich meine, solch plötzlicher Stimmungswechsel könnte ein Anzeichen für psychische Dysregulation sein.
CLAUDIA
Sind Sie Medizinerin?
CELINE
Nein, seit der Vater von Roberto weggefahren ist, leide ich an akuter psychischer Dysregulation.
CLAUDIA
Seit achtzehn Jahren?
CELINE
(stolz) Seit achtzehn Jahren akut.
CLAUDIA
Wau! Ich glaube nicht, dass ich an akuter psychischer Dysregulation leide.
CELINE
Der plötzliche Stimmungswechsel deutet aber darauf hin.
CLAUDIA
Ich bin einfach müde, die Reise war ziemlich anstrengend.
CELINE
Es geht doch schnell mit dem Zug. Vielleicht leiden Sie an einer latenten psychischen Dysregulation?
CLAUDIA
Ich bin nicht mit dem Zug gekommen, ich bin geflogen.
CELINE
Dann können Sie nicht müde sein. Ich habe gelesen, dass bei Ihnen immer mehr junge Leute unter Depressionen leiden. Und dass sich das Alter der Betroffenen immer weiter nach unten verschiebt. Die werden immer jünger, die jungen Leute, die unter Depressionen leiden.
CLAUDIA
Ich falle bestimmt nicht in die Zielgruppe der Studie, von der Sie gelesen haben, ich bin viel zu alt dafür und außerdem leide ich an nichts.
CELINE
Jeder Mensch leidet an etwas. So was gibt es nicht, dass man an nichts leidet, das glaube ich Ihnen nicht. Auch wenn das nur Männerlosigkeit ist, unter der man leidet, man leidet trotzdem darunter.
CLAUDIA
Bitte was?
CELINE
Das ist das Leiden von Oma Franzi: Männerlosigkeit. Die lateinische Bezeichnung für diese Krankheit kann ich Ihnen leider nicht sagen, die kenne ich nicht. Wenn man an dieser Krankheit leidet, leidet man daran, dass man keinen Mann hat. Klarer kann ich es nicht mehr sagen. Man ist halt männerlos, so wie andere kinderlos sind.
CLAUDIA
Das ist mir schon klar, danke.
CELINE
Warum sagten Sie, dass Sie nicht in die Zielgruppe der Studie fallen, weil Sie zu alt sind?
CLAUDIA
Weil ich zu alt bin.
CELINE
Ich weiß nicht, ob ich mir das erlauben darf, aber ich würde Sie auf Anfang zwanzig schätzen und die Studie umfasste Jugendliche zwischen sechszehn und fünfundzwanzig.
CLAUDIA
Ich werde öfter auf viel jünger geschätzt, als ich in Wirklichkeit bin.
CELINE
Freuen Sie sich nicht darüber?
CLAUDIA
Warum sollte ich mich darüber freuen, dass ich auf Anfang zwanzig geschätzt werde, wenn ich in Wirklichkeit dreißig bin. Wozu habe ich die Jahre gelebt, wenn man sie mir nicht ansieht.
CELINE
Für die innere Reife.
CLAUDIA
Innerlich würde ich mich auf sechzehn schätzen. Das Problem ist, dass ich mich mit jedem Jahr, das dazukommt, immer jünger fühle. Heute fühle ich mich viel jünger als ich mich vor zehn Jahren gefühlt habe.
CELINE
Vielleicht sollten Sie sich doch ärztlich untersuchen lassen. Ich meine es ernst.
CLAUDIA
Meine Diagnose lautet: Alterslosigkeit oder wie? (Pause) Vor zehn Jahren wäre ich nicht auf die Idee gekommen, hierher zu fahren, ich hätte es für unvernünftig gehalten. Jetzt sitze ich in Ihrer Wohnküche.
CELINE
Ich kann Ihnen gerne das Gästezimmer zeigen, aber das hier ist der wärmste Raum in dem ganzen Haus. Finden Sie es hier nicht gemütlich?
CLAUDIA
Doch, doch. Die Luft ist nur ein wenig muffelig.
CELINE
(schnuppert) Man kann hier nicht lüften, die Fenster sind zugenagelt. Oma Franzi hat Angst vor Einbrechern. Ich könnte aber ein wenig Lufterfrischer in den Raum sprühen.
CLAUDIA
Nein, bitte nicht. Die Luft stört mich überhaupt nicht, was ich sagen wollte, dass ich es für eine verrückte Idee von mir halte, hierher zu kommen. Das merke ich erst, wo ich hier, in Ihrer Wohnküche sitze. Nicht, dass ich es hier nicht gemütlich finde, das überhaupt nicht, das wollte ich auch nicht sagen, nur jetzt, wo der ganze Reisestress vorbei ist, merke ich besonders deutlich, dass es verrückt von mir war, so eine Reise zu unternehmen.
CELINE
Das alte Lied: Man fährt nach Spanien, nach Italien, aber um hierher zu kommen muss man ein Verrückter sein.
CLAUDIA
Das muss man wirklich, glaube ich.
CELINE
Und was muss man sein, um hier zu leben? Ein völliger Idiot?
CLAUDIA
Reicht es nicht, dass man hier geboren ist?
CELINE
Und dann ist man automatisch ein Idiot? Das wollten Sie damit sagen.
CLAUDIA
Man ist ein Einheimischer. Das ist etwas völlig anderes als –
CELINE
Als was?
CLAUDIA
Als wenn man nur als –
CELINE
Ach, lassen Sie es!
CLAUDIA
Als wenn man nur als Tourist hierher kommt.
CELINE
Das ist es genau: Alle Touristen sind Menschen und wir sind alles Idioten hier.
CLAUDIA
So habe ich es nicht gemeint.
CELINE
Das ist meine Meinung. Das Schlimmste ist, die meisten merken nicht einmal, dass sie Idioten sind. Was glauben Sie, warum ich mich in einen Italiener verliebt habe? Es sieht scheußlich aus.
(Claudia schaut auf sich runter.)
Die Stelle, an der das Foto gehangen hat, sieht scheußlich aus. Ein hellerer Fleck ist an der Wand geblieben. Den sieht man ganz deutlich. Sehen Sie?
CLAUDIA
Also, scheußlich ist das nicht. Man sieht, dass etwas abgehängt wurde, was jahrelang an der Stelle gehangen hat.
CELINE
Ich glaube, ich hänge das Foto zurück, solange Roberto nicht gesehen hat, dass ich es abgehängt habe.
CLAUDIA
Es sieht überhaupt nicht scheußlich aus. Die Wandfarbe wird sich mit der Zeit ausgleichen.
CELINE
Warten Sie, ich – Ich hole es.
CLAUDIA
Wo ist er jetzt?
CELINE
Roberto?
CLAUDIA
Der Mann von dem Foto, der ist doch nicht tot.
CELINE
Er ist zurück nach Italien.
CLAUDIA
Hat er Sie allein mit dem Kind sitzen lassen?
CELINE
Ich hole es. (ab)
Claudia schaut sich in der Wohnküche um, entdeckt einen Spiegel, stellt sich vor ihn, betrachtet sich einen Moment lang im Spiegel, geht zum Koffer, versucht ihn zu öffnen, der Verschluss klemmt.
CELINE
(kommt zurück mit dem eingerahmten Foto in den Händen, sie hat sich umgezogen: sie hat jetzt schwarze Pumps, einen schwarzen Rock und eine weiße Bluse an, wie zu Feierlichkeiten, sie liefert auch entsprechend feierliche Stimmung dazu, spricht lauter, heiterer) Wo bleibt denn Roberto so lange? Manchmal frage ich mich, ob ich ihm nicht zu viel erlaube, aber – Kriegen Sie Ihren Koffer nicht auf?
CLAUDIA
Der Verschluss klemmt, ich glaube, er ist verrostet. Der ist schon uralt, der Koffer.
CELINE
Die Lippen hat er von seinem Vater. Eindeutig.
CLAUDIA
Wer jetzt? Roberto oder der Herr auf dem Foto? Wer hat die Lippen von seinem Vater?
CELINE
Roberto. Sie werden es gleich sehen, er sollte jede Minute da sein. Um diese Zeit ist er normalerweise zu Hause – Er hat sicherlich jemanden getroffen und unterhält sich auf der Straße, vor dem Haus. Er hat viele Freunde. (drückt ihr Gesicht an die Fensterscheibe) Man kann leider das Fenster nicht öffnen, so sehe ich nichts. Die Straßen sind so schlecht beleuchtet, vor unserem Haus ist die Lampe schon seit zwei Jahren kaputt, keiner kümmert sich aber darum. (reicht Claudia das Foto) Schauen Sie, solche schwungvollen Lippen hat nicht jeder. Besonders die Oberlippe, die ist besonders schwungvoll. Warum lachen Sie? (schaut auf sich runter, dann auf das Foto) Wie würden Sie solche Lippen beschreiben? Was lachen Sie so? Wegen meiner Bluse? Das ist – Wie Sie schon sagten, wie mit dem Klima: Von Land zu Land unterschiedlich. Bei uns trägt man solche Blusen sehr wohl und –
CLAUDIA
Entschuldigen Sie, ich muss mich beruhigen, sonst – (prustet vor Lachen)
CELINE
(träumerisch) Lachen Sie nur, es ist schön, wie Sie so gesund lachen. (dreht wieder auf) Ich habe drei solche Blusen. Habe ich mir gekauft. In blau, in rot und in weiß. Soll ich Ihnen die anderen zwei zeigen? Die sind schon ähnlich wie diese, aber – Die Knöpfe sind anders, glaube ich. Warten Sie – Nein, die Blaue kann ich Ihnen nicht zeigen, die ist in der Wäsche. Aber die Rote – Warten Sie, wo habe ich sie denn hingelegt – Ach so, hier an der Leine hängt sie, frisch gewaschen. Sehen Sie, die Knöpfe sind ein wenig anders, aber sonst – Der Schnitt ist gleich. Möchten Sie die haben? (reicht Claudia die Bluse)
Claudia zögert die Bluse entgegen zu nehmen.
CELINE
Ich dachte, sie wollten sich umziehen. Nach einer Reise hat man immer das Bedürfnis, sich umzuziehen. Nehmen Sie die Bluse, ich schenke sie Ihnen. Ich habe die Bluse nur zwei oder drei Mal angehabt, sie ist noch ganz neu. Und, wie gesagt, frisch gewaschen ist sie auch. Man muss sie nach jedem Tragen waschen.
CLAUDIA
(nimmt zögerlich das Geschenk an, unsicher) Danke.
CELINE
Bedanken Sie sich nicht lange, ziehen Sie sich um.
CLAUDIA
Soll ich sie wirklich anziehen? Und wenn Roberto zurückkommt?
CELINE
Es geht doch schnell. Den Pulli aus, die Bluse an. Ich stelle mich solange an die Tür.
CLAUDIA
Ich meine, was wird er sagen, dass ich die Bluse von seiner Mutter trage.
CELINE
Männer merken so was nicht. Roberto ist inzwischen ein richtiger Mann geworden.
Claudia zieht sich zögerlich um.
CELINE
(stellt sich an die Tür) Was für ein Deo benutzen Sie?
CLAUDIA
Ich?
CELINE
Man schwitzt schon ganz schön darin.
CLAUDIA
(prustet vor Lachen) Ich benutze gar kein Deo.
CELINE
Sind Sie allergisch gegen Deos?
CLAUDIA
Ich bin nicht allergisch, ich benutze einfach kein Deo.
CELINE
Das habe ich auch gelesen, dass die ganzen Scheidungen, die ganzen kranken Kinder, die ganzen Neurosen, die ganzen Nervenzusammenbrüche nur daher kommen, dass die Leute sich mit verschiedenem chemischen Zeug besträuben. Das ist so ein Quatsch alles. Angeblich findet man den richtigen Partner nicht, weil der natürliche Körpergeruch von den verschiedenen Duftstoffen verdeckt wird. Man kann sich nicht mehr beriechen, haben die geschrieben. (geht auf Claudia zu) Riechen Sie an mir!
CLAUDIA
Was soll ich machen?
CELINE
Ich laufe an Ihnen vorbei und Sie sollen die Geruchswolke riechen. Einfach riechen.
CLAUDIA
Sind wir im Zoo oder wie?
CELINE
Wenn Sie lachen, werden Sie nichts riechen. Wonach rieche ich?
CLAUDIA
Nach Schweiß gemischt mit Polyesterstoff, nehme ich an.
CELINE
Eben nicht, aber das ist es genau, das wäre mein natürlicher Geruch. Möchten Sie den Partner haben, der auf so einen Geruch steht?
(Claudia prustet)
Was ist?
CLAUDIA
Sie laufen irgendwie komisch.
CELINE
Finden Sie das auch? Oma Franzi –
CLAUDIA
Habe ich schon zwei Gemeinsamkeiten mit Oma Franzi oder wie?
CELINE
Oma Franzi sagt, wenn ich laufe, sieht es so aus, als ob ich Angst hätte, dass mir jeden Moment ein Arschtritt verpasst werden könnte, und wenn ich noch etwas aus meinem Leben machen möchte, sollte ich laufen, wie eine Frau, die weiß, dass ihr die Männer nachschauen.
CLAUDIA
Haben Sie das versucht?
CELINE
Mir schaut keiner nach. Eigentlich bin ich froh darüber, dass mir keiner nachschaut, weil ich nie sicher bin, ob meine Strumpfhose nicht wieder eine Laufmasche hat. Ich kann mich nicht erinnern, dass es auch früher so war. Ich glaube, früher hatten die Strumpfhosen einfach bessere Qualität. Ich war schon immer sehr streng, was die Laufmaschen betrifft, aber jetzt – Wissen Sie, ich hasse es, wenn die Lebensumstände den Charakter eines Menschen beeinträchtigen. Ich hasse es wirklich. Früher, sobald ich eine Laufmasche entdeckt habe, bin ich in den nächsten Laden gerannt und habe mir eine neue Strumpfhose gekauft, und dann bin ich zur nächsten öffentlichen Toilette gerannt, in der Hand die neue Strumpfhosenpackung, damit alle sehen, dass jetzt eine Notsituation ist, dass es für mich nicht üblich ist, mit einer Laufmasche rumzulaufen, dass ich gerade auf dem Weg bin, nach einer öffentlichen Toilette zu suchen, und sobald ich sie gefunden habe, werde ich die alten Strumpfhosen ausziehen, wegwerfen und die neuen anziehen. Man hat oftmals eine Frau mit einer neuen Strumpfhosenpackung in der Hand die Straße entlang rennen sehen. Und wenn man wusste, wo die nächste öffentliche Toilette ist, hat man es ihr gezeigt, ohne dass sie danach gefragt hätte. Und sie bedankte sich mit einem Lächeln. Und man lächelte zurück. Nur unter Frauen, natürlich, Männer hatten damit nichts zu tun. Obwohl, das ist vielleicht das Einzige, was ein Mann an einer Frau bemerkt: Eine Laufmasche. (Pause) Wissen Sie, das war ein ganz anderes Leben.
CLAUDIA
Ich sehe gerade, dass meine Strumpfhosen auch eine Laufmasche haben und der Kofferverschluss klemmt immer noch.
CELINE
Oma Franzi sagt, er kann gar nicht Robertos Vater sein, aber – Roberto hat genau die gleichen Lippen wie er. Schauen Sie sich die Lippen an, die sind wirklich außergewöhnlich für – wie Sie so schön sagten – Für das Klima hier.
(Claudia prustet vor Lachen.)
CELINE
Er ist ein Italiener. Roberto lernt auch Italienisch. Jetzt kommen immer mehr Italiener hierher. Die sind hier stationiert. Wir haben einen Exerzierplatz, der sehr gut ausgestattet ist. Deswegen kommen die Italiener hierher. Zum Üben. Ich bin echt froh, dass Roberto kein Mädchen ist, er fühlt sich so von denen angezogen. Er geht direkt nach der Schule in das italienische Café und sitzt dort bis zum Abend. Manchmal gehe ich einfach dahin, um ihn abzuholen. Dann ärgert er sich. Aber er will doch Medizin studieren, er braucht Zeit zum Lernen. Vor allem Latein. Er ist ganz schlecht in Latein. Es ist nicht so, dass er sprachunbegabt ist oder kein Interesse daran hat, nein. Italienisch lernt er gerne. Aber was kann er mit Italienisch werden?
CLAUDIA
Dolmetscher. (prustet vor Lachen)
CELINE
Ein Schwuler wird aus ihm werden, wenn er jeden Abend in dem italienischen Café verbringt. Die werden uns noch ins Unglück stürzen, diese Italiener.
CLAUDIA
Wenn sie hier auch weiter stationiert werden, werden sie auch Dolmetscher brauchen. Das ist vielleicht gar nicht schlecht für ihn. Vielleicht will er kein Arzt werden. Ist er auch jetzt dort? In dem Café?
CELINE
Wo denn sonst. Das ist es eben, dass man hier als junger Mensch gar keine Wahl hat, wo man hingeht. Es gibt nur das eine Café. Und dort hocken die Italiener Tag und Nacht. Weil sie nichts zu tun haben, und weil ein Italiener, auch wenn er nur ein Soldat ist, immer noch mehr Geld hat als unsereins, der arbeitet. Ich als Lehrerin kann mir nicht leisten, in das Café zu gehen und Eis zu essen. Und Roberto mag so gerne Eis. Und ich habe ihm auch jedes Mal, wenn ich in die Stadt einkaufen gefahren bin, eine Fünfhundert-Gramm-Packung Milcheis mitgebracht. Das mochte er immer am liebsten: Einfaches Milcheis aus der örtlichen Herstellung mit selbsteingekochten Kirschen. Die Eiswurst hat er mit einem Filzstift in sieben Scheiben aufgeteilt und über die Woche verteilt gegessen. Ich erzähle Ihnen das als eine Selbstverständlichkeit, aber vielleicht haben Sie so eine Eiswurst noch nie gesehen. Ich glaube, sie werden nur bei uns hergestellt. (holt aus dem Kühlschrank eine „Eiswurst“) Hier, sehen Sie, sieht wie eine dicke Wurst aus.
CLAUDIA
Und was steht drauf geschrieben?
CELINE
Milcheis. In unserer Sprache.
CLAUDIA
Wie klingt das?
CELINE
Pieniški ledai.
CLAUDIA
Pieniški ledai?
CELINE
Ja, genau so. Pieniški ledai. Sie können das sehr gut aussprechen.
CLAUDIA
Pieniški ledai.
CELINE
Sagen Sie es ihm, wenn er kommt. Vielleicht wird er das wieder essen. Er mag Milcheis. Es kann sich doch nicht einfach so von heute auf morgen sein Geschmack verändert haben. Das Eis liegt schon seit Wochen unberührt. Ich kaufe gar kein Fleisch mehr. Wo soll ich das lagern, wenn das ganze Kühlfach mit Eiswürsten zugefüllt ist. Sagen Sie es ihm. Ich werde nicht aufhören, ihm das Milcheis aus der Stadt mitzubringen, auch wenn der ganze Kühlschrank damit zugefüllt wird. Dann kaufe ich einen neuen Kühlschrank. Ich nehme den von Oma Franzi, sie macht ihn eh nie an, sie spart Strom. Aber gehen Sie abends an dem Exerzierplatz vorbei, dort brennt alle fünf Meter eine Lampe. Die ganze Ortschaft ist im Dunkeln, nur der Exerzierplatz steht voller Lichter. Und so was zieht die jungen Leute von hier an. Das sind doch alles Kinder, die außer dieser Ortschaft noch nichts im Leben gesehen haben. Das zieht die an. Diese Lichter. Was wissen die schon. Die Soldaten sind für diese Kinder reiche Leute. Nur weil sie sich leisten können, Eis im Café zu essen. Und dann wollen die unseren auch kein Milcheis aus dem Supermarkt mehr essen. Obwohl das das gleiche Eis ist, was sie auch in dem Café an die Italiener verkaufen. Nur mit Schokolade oder Nüssen drauf, anstatt Kirschen. Sagen Sie es ihm, wenn er kommt.
CLAUDIA
Was soll ich ihm sagen?
CELINE
Einfach so wie Sie es vorhin gesagt haben: Pieniški ledai.
CLAUDIA
Pieniški ledai?
CELINE
Pieniški ledai.
CLAUDIA
Pieniški ledai.
CELINE
Pieniški ledai.
CLAUDIA
Pieniški ledai.
CELINE
Pieniški ledai.
CLAUDIA
Wissen Sie, wonach Sie riechen? Nach Zitrusfrüchten.
CELINE
Nach Zitrusfrüchten?
CLAUDIA
Und nach Zimt.
CELINE
Warum nach Zimt?
CLAUDIA
Ich weiß es nicht, Sie riechen einfach so. Nach Zitrusfrüchten gemischt mit Zimt.
CELINE
Aber da ist gar kein Zimt drin in dem Parfüm. Jedenfalls steht es nicht auf der Packung drauf.
CLAUDIA
Es riecht aber danach.
CELINE
Wieso schreiben sie es nicht drauf?
CLAUDIA
Sind Sie allergisch gegen Zimt?
CELINE
Nein, ich meine nur, wo sie doch sonst jeden Mist draufschreiben: „Die Tüte bitte nicht über den Kopf ziehen“. Das lädt doch geradezu ein, sich die Tüte über den Kopf zu ziehen, wenn es schon so ausdrücklich verboten ist. Gelangt die Tüte in die Hände eines Kindes und es liest den Hinweis, natürlich zieht es sich die Tüte über den Kopf, um einfach zu sehen, was daran so schlecht ist, wenn man sich die Tüte über den Kopf zieht. Ich will nicht zu weit mit meinen Ausführungen gehen, aber jetzt ziehen sich alle Tüten über den Kopf.
(Claudia prustet vor Lachen.)
Fast alle. Sie lachen wieder, aber – Es ist nicht zum Lachen. Manche von denen sind schon tot. Und dann stehst du als Mutter am Grab deines Kindes, nur weil es sich die Tüte über den Kopf gezogen hat.
CLAUDIA
Tut mir Leid. (versucht das Lachen zu unterdrücken)
CELINE
Das ist alles nur aus Langeweile. Aus Langeweile kann man sich was weiß ich was alles einfallen lassen. Und die schnüffeln alle aus Langeweile. Beschmieren die Plastiktüten von innen mit Klebstoff, ziehen sie sich über den Kopf und schnüffeln. Roberto schnüffelt nicht, aber man wird schon paranoid als Mutter. Neulich habe ich Spuren von getrocknetem Klebstoff auf der Tischdecke entdeckt, wie eine Wahnsinnige bin ich von einem Kiosk zum anderen gerannt und habe überall gefragt, ob Roberto Klebstoff gekauft hätte. In jedem Kiosk kannst du jetzt Alkohol, Zigaretten und Klebstoff kaufen. Tag und Nacht. Sogar auf Kredit. Und dann stehen die Jungs von den Kiosks vor dem Schuleingang mit den Namenslisten derer, die zu lang ihren Klebstoffkredit nicht bezahlt haben. So nennen sie das auch: Klebstoffkredit. Und wenn er innerhalb von drei Tagen nicht bezahlt wird –
CLAUDIA
Was hat Roberto mit dem Klebstoff gemacht? Die Tischdecke repariert? Der kleine Bastler.
CELINE
Er ist nicht klein. Er ist zwei Köpfe größer als ich.
CLAUDIA
Stellen Sie sich vor den Spiegel!
CELINE
Warum?
CLAUDIA
(stellt sich vor den Spiegel) Kommen Sie her!
Celine stellt sich vor den Spiegel.
CLAUDIA
So!
CELINE
Ich mag mich nicht im Spiegel anschauen.
CLAUDIA
Ziehen Sie die Schuhe aus!
CELINE
Was haben Sie vor?
CLAUDIA
Ziehen Sie die Schuhe aus und stellen Sie sich gerade hin! (zieht ihre Schuhe auch aus und stellt sich gerade hin)
Celine stellt sich in Strumpfhosen neben Claudia hin.
CLAUDIA
Ist er wirklich nur zwei Köpfe größer als Sie?
CELINE
Er ist Zweitgrößter in seiner Klasse. Das sehe ich, wenn sie Sportunterricht haben. Ich glaube, er ist sogar der Größte, aber der andere Junge hat so komische Sportschuhe an, mit so hohen Absätzen. Ich staune nur, dass er sich nicht beim Laufen das Bein bricht. Oder beim Springen. Oder bei den ganzen anderen Übungen, die sie da machen müssen. Hatten Sie auch Sportunterricht in der Schule?
CLAUDIA
Ich habe den Sportunterricht gehasst.
CELINE
Ich auch. Das schlimmste war der Hürdenlauf.
CLAUDIA
Und das Bockspringen. Ich habe immer Angst gehabt, dass ich bei dem Bocksprung entjungfert werde.
CELINE
Haben Sie auch diese Angst gehabt?
CLAUDIA
Hat Oma Franzi auch Angst gehabt, wenn sie die Beine zu weit auseinander spreizt, reißt ihr Jungfernhäutchen ein?
CELINE
Ich habe davor panische Angst gehabt. Beim Hürdenlauf. Oma Franzi hat mir vor jedem Sportunterricht gesagt: „Komm mir nicht mit blutig aufgerissenen Knien nach Hause!“ Und ich habe schreckliche Angst gehabt, entjungfert nach Hause zu kommen.
CLAUDIA
Kannten Sie Oma Franzi, als Sie noch zur Schule gingen?
CELINE
(widerwillig) Eigentlich ist sie meine Mutter. (hastig) Welcher Mann auf dieser Welt wird mir glauben, dass ich meine Jungfräulichkeit mit einer Hürde verloren habe.
CLAUDIA
Wohnt sie hier im Haus?
CELINE
Im Anbau. Sie kann nicht in Räumen schlafen, die keinen direkten Ausgang nach draußen haben. Sie hat Angst, zu ersticken.
CLAUDIA
Aber das heißt, dass Roberto nur um einen halben Kopf größer ist als ich. Stellen wir uns Rücken an Rücken.
CELINE
Bekommen Sie auch langsam das Gefühl, dass Sie Roberto seit langem kennen? Oma Franzi sagt, dass die Leute auf der Strasse, wenn sie mich kommen sehen, einen großen Bogen um mich machen, damit sie mir nicht begegnen, weil sie das Gerede über Roberto nicht mehr hören können.
CLAUDIA
Rücken Sie näher zu mir.
CELINE
(rückt vorsichtig rückwärts) Roberto hat mir einen Kranz aus getrockneten Blumen zum Geburtstag geschenkt. Ich habe dem Kioskbesitzer gesagt, wenn Roberto den Klebstoff nicht bezahlt hat, soll er mir sagen. Roberto hat mir so ein schönes Geschenk gemacht, ich weiß nur nicht, ob das Geld, was er hatte, dafür gereicht hat. Er musste noch die getrockneten Blumen kaufen und die Form für den Kranz, sehen Sie, darunter ist so eine vorgefertigte Form aus Draht und Stroh. Die hat er bestimmt nicht selbst gemacht, so was kauft man. Dann wickelt man ein breites Stoffband um die Form herum, damit das Stroh nicht zu sehen ist und der Draht muss auch gut versteckt sein. Eigentlich sollte man den Draht so gut verstecken, dass man ihn nicht sieht und nicht fühlt. Ansonsten wirkt die ganze Konstruktion bedrohlich. Aber ein Kranz, den man verschenken will, darf alles andere als bedrohlich sein.
CLAUDIA
Unterrichten Sie Floristik?
CELINE
Deutsche Sprache und Literatur. Aber ich könnte ihm so viel beibringen, was den ganzen Haushalt betrifft. Es ist sehr viel wert, wenn man gut im Haushalt ist. Aber Roberto interessiert sich nicht dafür. Es ist auch verständlich, Haushalt ist Frauensache. Zumindest bei uns ist es so. Immer noch. Es wird auch noch lange so bleiben. Unsere Männer sind so ungeschickt, wenn ich so nachdenke, kenne ich keinen, der nicht ungeschickt ist. Das hängt mit der Erziehung zusammen, wir verwöhnen unsere Söhne zu sehr. Roberto habe ich auch verwöhnt, aber – wenn er mir so einen Kranz zum Geburtstag schenkt – und der Kranz ist gar nicht so ungeschickt gemacht, schauen Sie. Die Farben: gelbe Blümchen, rote Beeren, grüne Blätter – Stimmt alles. So von der Komposition her. Wird doch noch was aus dem Jungen werden.
(Claudia prustet vor Lachen.)
Manchmal lachen Sie über Sachen – Was kann er mir sonst schenken? Ein Fläschchen Parfüm? Das ist nicht die Sache eines Sohnes, seiner Mutter Parfüms zu schenken. Das ist meine Sache, einen Mann zu finden, der mir Parfüms schenkt.