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D WIE DEMONSTRATIONEN

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Zwei Staatsfeiertage in der DDR waren für Demonstrationen vorgesehen: der 1. Mai – der „Internationale Kampftag der Arbeiterklasse“ für die gesamte Bevölkerung – und der 7. Oktober – der „Republikgeburtstag“ für die Paradetruppen der NVA. An diesen beiden Tagen und nur an diesen beiden Tagen demonstrierte das gesamte Land seine ideologische Geschlossenheit.

Zum Maiumzug war ein Großteil der Bevölkerung auf den Beinen. Es gab kein Gesetz, das die Teilnahme an den Demonstrationen vorschrieb, aber es herrschte entsprechender Psychoterror. Wer nicht an der Demonstration teilnahm, stellte sich als Staatsfeind bloß. Die Teilnahme wurde gruppenweise organisiert und kontrolliert – Schulklassen, Arbeitskollektive, gesellschaftliche Organisationen traten möglichst geschlossen an. Vornan zog die Blasmusik zu Fuß und auf einem Pferdewagen, es folgten die politischen Notabeln, dann die Werktätigen der Betriebe, die Verkäuferinnen von Konsum und HO, dann die LPG-Bauern, schließlich die Schulklassen, letztere in Pionierkleidung. Natürlich wurden rote Fahnen und DDR-Fahnen vorangetragen, die Kinder schwenkten kleine Papierfähnchen. Die Häuser mussten geschmückt werden, vor allem an der Demonstrationsroute. Dafür wurden kostenlos Fähnchen verteilt, auch junge Birken, mit denen das Hoftor geschmückt werden konnte. Die offiziellen Gebäude trugen Transparente, wie sie auch im Demonstrationszug mitgeführt wurden. Ihre Losungen waren von der Partei vorgeschrieben, eigene Formulierungen wurden nicht geduldet: „Es lebe die DDR und die unverbrüchliche Freundschaft mit der Sowjetunion!“, „Für Frieden und internationale Solidarität!“, „Es lebe die Waffenbrüderschaft mit der ruhmreichen Sowjetarmee!“, „Für eine glückliche Zukunft der Menschheit in Frieden und Sozialismus!“, „Nieder mit den Kapitalisten!“, „Es lebe der Fünfjahrplan!“, „Alle Macht der SED!“, „Für höchste Erträge und vorzeitige Planerfüllung!“ Die Betriebe und die LPG schmückten Lastwagen mit ihren Produkten: Maschinen, Früchte, Produkte. Aufstellung war um neun Uhr auf dem Aufstellplatz, der Zug setzte sich um zehn Uhr in Bewegung, erreichte um elf Uhr sein Ziel im Zentrum, wo eine Kundgebung stattfand. Die Rede dort war für Klein und Groß zum Erbrechen langweilig – die politischen Phrasen der Partei wurden Jahr für Jahr rituell wiederholt. Nach dem Ende dieses offiziellen Teils gab es im Gasthof Freibier und Bockwurst auf Gutschein für die, die an der Demonstration teilgenommen hatten. Allgemein endete der Tag mit kollektivem Besäufnis. Es war das einzige Mal im Jahr, dass ich meinen Vater besoffen nach Hause heimkehren und seinen Rausch ausschlafen sah.

Die Teilnahme an der Demonstration machte den Kindern der niedrigeren Klassen Spaß, denen der größeren Klassen nicht mehr. Den Erwachsenen machte es insofern Spaß, da es ein arbeitsfreier Tag mit Freibier war und der Möglichkeit, Freunde zu treffen. Überzeugten Kommunisten machte es sicher Freude, aber davon gab es nicht viele. Die meisten nahmen in äußerer Haltung, aber innerer Distanz teil. Es war ein politischer Pflichtgottesdienst. Frei von der Demonstrationspflicht waren die Menschen, die nicht in sozialistische Kollektive integriert waren: Hausfrauen, Rentner, Vorschulkinder, Kranke und Behinderte, dazu notorische Außenseiter wie Zeugen Jehovas, Pfarrer oder andere Querulanten, zu denen später auch meine Eltern gehörten. Die Teilnahmeverweigerung stellte einen Protestakt dar, der als Angriff auf den Staat, den Weltfrieden, die Partei, die Regierung und den Sozialismus interpretiert wurde. Entsprechend hoch war der Psychodruck, der noch durch Kollektivstrafen verstärkt wurde: Eine Brigade, die nicht vollzählig an der Demonstration teilnahm, wurde mit Prämienentzug sanktioniert. Das erhöhte den Ärger, ja Zorn der Kollegen auf eigenbrötlerische Abweichler.

Die größte Demonstration war natürlich die offizielle in der Hauptstadt, bei der die Bevölkerung an der Ehrentribüne der Staats- und Parteiführung vorbeidefilierte. Dazu wurden Teilnehmer aus dem ganzen Land, die dazu ausgezeichnet worden waren, kostenlos mit Bussen nach Berlin befördert.

Am 7. Oktober fand in Berlin die jährliche große Militärparade statt, zu der Ehrengäste befreundeter Staaten aus aller Welt eingeladen waren, die auf der Tribüne Platz nahmen.

Andere Demonstrationen waren verboten. Es gab kein Demonstrationsrecht. Vor Faschingsumzügen etwa hatte die Partei fürchterliche Angst.

Das Ende der DDR begann mit dem Aufkommen ungenehmigter Demonstrationen kleiner Gruppen oppositioneller Jugendlicher in den 1980er Jahren: zum Liebknecht-Luxemburg-Gedenken am 15. Januar in Berlin, zur Dokfilmwoche in Leipzig im November, zum letzten DDR-Kirchentag im Juli 1989 in Leipzig und dann nach den montäglichen Friedensgebeten in der Leipziger Nikolaikirche im Sommer 1989.

Mein kleines DDR-ABC

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